„Oh mein Gott, Robin, was ist denn mit dir los?“ Christie riss ihre Augen auf und sah ihre beste Freundin an, als diese sichtlich niedergeschlagen ins Büro kam, „hat er wiedermal am Rad gedreht?“
„Kannst du laut sagen“, sagte Robin, ließ sich auf ihren Stuhl fallen, drückte sich an die Lehne und ließ ihren Kopf in den Nacken sinken, um die Augen zu schließen. Ihr war heiß, obwohl sie bleich wie eine Wand war und in Manhattan tiefster Winter herrschte. Sie sah aus wie ein Gespenst, hatte sie festgestellt, als sie vorhin an der verspiegelten Wand im Gang vorbeigegangen war. Ihr ohnehin schon blasser Teint hatte es tatsächlich geschafft, einen noch blasseren Ton anzunehmen.
„Was hast du dieses Mal ausgefressen?“ Christie war aufgestanden und um den Tisch herum zu Robin gekommen. „Hat er dich etwa gefeuert?“ Sie ging neben ihrer Freundin in die Hocken.
„Nein, er hat mich nicht gefeuert. Noch nicht. Dieses mal hatte er was an dem Artikel auszusetzen, den ich über Brad Sterling geschrieben habe.“
„Aber, der ist doch letzte Woche erschienen. Und er hat ihn abgesegnet“, stellte Christie fest. „Außerdem war er gut!“
„Hat er auch“, sagte Robin, immer noch mit geschlossenen Augen, „dummerweise hat aber Carolyn Peck von Brads Management angerufen. Offenbar rückt der Artikel Brad in ein schlechtes Licht, weil er keine Lobpreisung an ihn ist. Und Brad fühle sich deswegen auf den Arm genommen. Natürlich hat Ronson die gesamte Schuld auf mich abgewälzt, er hat Carolyn eine Mail geschrieben, dass ich den Artikel offenbar ohne sein Wissen in Druck gegeben habe, was lächerlich und irrsinnig ist und obendrein gar nicht geht. Außerdem war der Artikel wirklich gut, Christie. Und das sage ich nicht nur, weil ich ihn geschrieben hab. Er war wirklich gut. Er war objektiv, gut recherchiert, er hat eben nichts geschönt. Aber...er war gut!“
Robin öffnete die Augen, in denen sich Tränen wiegten.
„Vielleicht solltest du kündigen“, meinte Christie. „Ich meine, Ronson dieser Mistkerl scheint es auf dich abgesehen zu haben. Allen anderen kommen prima mit ihm zurecht, nur du kannst ihm nichts recht machen!“
„Klar, es ist ja auch kinderleicht, einen anderen Job als Journalistin zu ergattern, mitten in Manhattan, wo an jeder Ecke Schreibwütige herumstehen“, sagte Robin resigniert, „ich brauche den Job. Leider habe ich weder einen reichen Erbonkel noch irgendwo im Wandschrank einen Goldschatz versteckt!“
„Ich meinte ja auch, dass du dich mit deinen Büchern selbständig machen solltest“, sagte Christie.
„Nein, so gut sind die nicht“, wehrte Robin ab.
„Robin, sie sind klasse“, entgegnete Christie.
„Du musst das sagen, du bist meine beste Freundin“, lächelte Robin und war überrascht darüber, dass es ihr so schnell nach der Standpauke durch ihren Vorgesetzten schon wieder gelang, zu lächeln.
„Und gerade WEIL ich deine beste Freundin bin, solltest du mir glauben“, beharrte Christie, „verlass dich drauf, wären sie mies, würde ich ganz schön hart mit dir ins Gericht gehen und dir die Wahrheit vor den Latz knallen!“
„Wenn es so weiterläuft wie jetzt, werde ich mich mit meinem Büchern schneller als mir lieb ist, an einen Verlag wenden müssen“, sagte Robin und in ihrer Stimme schwang eine gewisse Düsterheit mit.
„Hat er wiedermal gedroht...“
„Bingo.“
„Mistsack“, schimpft Christie und konnte gar nicht verstehen, warum ihr Boss so ein Problem mit Robin hatte. Alle anderen aus der Redaktion der „Sparkle“, einer Boulevardzeitschrift, die von Manhattan aus landesweit agierte, kamen bestens mit ihm klar, Joe Ronson war der verständnis- und humorvolle Chef, den sich jeder wünschte. Und alle wussten auch, dass Robin großartige Arbeit leistete. Sie war für die A-Promis zuständig, schrieb Portraits über Angelina Jolie, Katy Perry und Richard Gere. Der Artikel, den sie über den Hollywoodstar Brad Sterling geschrieben hatte, war erstklassig gewesen und Christie war sicher, dass Joe Ronson, der Chefredakteur, den Artikel ebenso erstklassig gefunden hätte, wenn ihn jemand anderes als Robin geschrieben hätte. Es wurde klar, dass nicht eine verliebte Anfang-Zwanzigjährige ihn geschrieben hatte, die sich von seinem Augenzwinkern und seinen Flirtversuchen hatte beeinflussen lassen, sondern ein Profi, der sein Handwerk verstand.
Doch Ronson hatte seit Jahr und Tag ein Problem mit Robin. Sie konnte ihm nichts recht machen. Vermutlich würde er sogar an einem Artikel von ihr herummäkeln, der für den Pulitzerpreis nominiert worden wäre.
„Aber Robin, so wie jetzt kann es doch auch nicht weitergehen, findest du nicht“, fragte Christie. „Ich meine, du bist ein Wrack, sieh dich doch nur mal an!“
„Schönen dank auch“, sagte Robin und lächelte wieder. Langsam fasste sie sich. Die Standpauke, die eigentlich ein ausgewachsener Schreianfall von Joe Ronson gewesen war, hatte sie zwar in Mark und Bein erschüttert, doch langsam fing sie sich wieder. Und sie wusste, dass Christie Recht hatte. Mittlerweile war es so weit gekommen, dass sie nachts wach wurde und darüber nachgrübelte, ob sie einen Artikel nicht doch noch umschreiben sollte, oder ob es ein Fehler gewesen war, einen anderen Artikel verfrüht abzugeben, weil Ronson bestimmt eine Kleinigkeit darin fand, ihr einen Strick drehen zu können. Es war einfach furchtbar, nicht so arbeiten zu können, wie sie wollte, sondern immer den kritischen Blick von Joe Ronson im Nacken zu haben, der mit Sicherheit an allem, was aus ihrer Feder kam, etwas auszusetzen hatte.
„Ich glaube, ich mach jetzt Schluss“, sagte sie und stopfte ihr Handy in ihre Handtasche, „Ich werd mich in meinem Appartement einschließen, ein Bad nehmen, ein Glas Wein trinken und mich fragen, warum gerade ich so einen miesen Vorgesetzten wie Joe Ronson abbekommen musste. Und dann werd ich noch die letzten Vorbereitungen für Weihnachten treffen – der einzige Lichtblick momentan!“
Wenn Robin an Weihnachten dachte, wurde ihr warm ums Herz – Ronson hin oder her. Sie musste nur noch zwei Tage herunterbiegen, dann ging es für drei Wochen in die Weihnachtsferien. Die Redaktion und alle Promis und ihre Skandälchen mussten sich bis zum siebenten Januar gedulden, damit Robin sich wieder mit ihnen befasste. Robin Garrett liebte Weihnachten. Seit Jahr und Tag verbrachte sie es gemeinsam mit ihrer Familie bei ihren Großeltern in den Hamptons. In der ersten Woche wurden alle Vorbereitungen für das Fest der Feste erledigt. Einkäufe wurden gemacht, der Baum wurde aufgestellt, die Weihnachtsbriefe wurden geschrieben und verschickt. Es gab in der Woche vor Weihnachten eine große Weihnachtsparty, zu der viele Freunde und Verwandte der Familie eingeladen waren, es gab Weihnachtsspaziergänge, Adventmärkte und -singen. Rundum waren die Wochen vor Weihnachten, zwischen Weihnachten und Neujahr und die erste Woche im neuen Jahr für Robin die schönsten drei Wochen im ganzen Jahr.
Im nächsten Moment klingelte das Telefon, dass auf Robins Tisch stand. Sie und Christie sahen sich an. In Robins Blick schwang leichte Panik mit.
„Ist er das schon wieder“, fragte Christie.
Robin nickte.
„Ich nehm ab und sag, du bist schon weg“, schlug Christie vor.
„Bloß nicht, dann schreit er morgen herum, warum ich schon so früh aus dem Büro abhaue, wo ich doch ohnehin nur miserable Arbeit leiste!“ Sie atmete einmal tief durch und nahm den Hörer ab.
„Ja bitte?“
„Garrett, kommen sie sofort in mein Büro“, brüllte Joe Ronson so laut, dass sogar Christie es hören konnte.
„Sofort“, sagte Robin ruhig, legte den Hörer auf und erhob sich.
„Auf in den Kampf, Tiger“, sagte Christie und sah Robin mitfühlend an, die wieder etwas blasser geworden war. Robin verließ das Büro und machte sich auf den Weg – in die Höhle des Löwen.
Robin Garrett war dreiunddreißig Jahre alt und arbeitete seit mittlerweile sieben Jahren beim Sparkle. Hatte sie in der Anzeigenabteilung angefangen, wo sie Wortanzeigen abtippte, die gebrauchte Lippenstifte, Pickelcreme und Schminkartikel aus Omas Zeiten feilboten und sich schließlich zur Assistentin der Promiredakteurin hochgearbeitet, so war sie mittlerweile das Zugpferd des Magazins, wenn es um A-Promis ging. Niemand hatte bessere Kontakte zu Managern, Haushältern, Assistenten und den Promis selber, als Robin Garrett. Richard Gere zum Beispiel schickte ihr jedes Jahr zum Geburtstag einen Strauß Blumen ins Büro und Johnnie Depp hatte sie einmal auf den Roten Teppich geholt und sie gebeten, ihn zur Premiere eines Films zu begleiten, weil er sich so gut an ihr letztes Interview erinnern konnte und sie einfach nett fand. Dummerweise teilte Robins Vorgesetzter Johnnie Depps Meinung in keinster Weise. Er hatte schon immer an ihr herumgemäkelt, doch seit sie quasi die A-Liste der Promis auf und ab interviewte, war er nur noch am meckern, was weder Robin selbst noch ihre Kollegen nachvollziehen konnten. Immerhin brachte sie dem Sparkle die neuesten News von Jennifer Aniston, Gerard Butler, Shia LeBoeuf und Cameron Diaz. Sie hatte einen ausgezeichneten Draht zu Charlie Sheen und war die einzige gewesen, die ihn kurz nach seinem Rauswurf bei Two and a half Men zum Interview bitten durfte, und mit der er auch ehrlich und ernsthaft gesprochen hatte. Neil Patrick Harris hatte ihr vorgemacht, wie er den legendären Barney Stinson spielte und Sylvester Stallone hatte gemeinsam mit ihr im Fitnessstudio trainiert, als er sich für den zweiten Teil der „Expendables“ vorbereitete. Niemand – schon gar nicht in Robins Alter – konnte auf ein Repertoire all dieser Stars zurückblicken, die ihr alle bereitwillig Rede und Antwort gestanden hatten.
Robin hatte schon oft darüber nachgedacht, dass Ronson vielleicht nur mit ihr herumschrie, weil er Angst hatte, sie würde nachlassen, würde er ihr nicht ständig Druck machen, doch wenn man die Sache einmal genau betrachtete, so war sie äußerst kontraproduktiv. Welcher Vorgesetzte machte seinen gut arbeitenden Mitarbeitern denn „nur vorsorglich“ Druck.
Sie ging an der großen Tanne vorbei, die im Wartebereich aufgeputzt stand und atmete einmal tief durch, bevor sie das Büro von Joe Ronson erneut betrat. Der Wunsch, dass sich aus dem Nichts direkt vor ihr ein schwarzes Loch auftat, wurde ihr leider nicht erfüllt.
Joe Ronson saß hinter seinem immer unordentlichen Schreibtisch, starrte auf den Bildschirm und blickte noch nicht einmal auf, als Robin eintrat. Er war übergewichtig, hatte dunkelblondes, unauffälliges, Haar und trug immer Braune Cordhosen und weiße Hemden, die er in den Hosenbund steckte, sodass sein massiger Bauch noch viel umfangreicher wirkte. Sein Gesicht war voller roter, „hektischer“ Flecken, seine Finger fegten über die Tastatur.
„Sie wollte mich sprechen, Sir“, sagte sie und schloss die Tür hinter sich.
„Habe ich ihnen schon einmal gesagt, dass sie ALLES falsch machen? Alles, was ich ihnen auftrage, machen sie falsch“, keifte Ronson und sah noch immer nicht vom Bildschirm auf, gerade so, als würde er seinen Text davon ablesen.
„Ist das alles“, fragte Robin und wurde leicht ungehalten. Sie hatte sich vor noch nicht einmal zwanzig Minuten eine Standpauke anhören müssen und jetzt sollte es wieder von vorn losgehen? Sie wusste um ihren Wert für die Firma und auch wenn Ronson ständig versuchte, ihr weiß zu machen, dass sie alles falsch machte, was sie tat, so war ihr klar, dass Sparkle ohne sie nicht dort wäre, wo es war. Ohne Robin Garrett könnte Sparkle von wöchentlichen Interviews mit A-Promis träumen und vielleicht eine Reportage darüber bringen, wie die Verkäuferin aus dem Donutladen um die Ecke die Weihnachtsfeiertage verbrachte. Niemand von ihnen würde ein Exklusivinterview mit Tom Selleck an Land ziehen und mit Richard Dean Anderson in MacGyver-Erinnerungen schwelgen.
„Werden sie nicht frech“, schrie Ronson, „sie haben Brad Sterling ganz schön aufgebracht. Und seine Managerin erst!“
„Mr. Ronson, in dem Artikel stand NICHTS negatives über Brad. Und sie haben ihn freigegeben“, versuchte sie es noch einmal. „Ganz im Gegenteil, er war sachlich und auf den Punkt gebracht. Mr. Sterling kommt sehr gut dabei weg. Was hätte ich denn auch negatives über ihn schreiben sollen, wenn mir seine Agentin die Fragen quasi vorgekaut und die antworten dreimal überprüft hat?“
„Der Artikel war scheiße, mehr nicht“, schrie Ronson. „Mrs. Peck ist fuchsteufelswild und nur weil ich ein gutes Wort für sie eingelegt habe, bekommen sie jetzt eine Chance, die Sache richtig zu stellen!“
„Was für eine Chance? Und was soll ich richtig stellen?“ Langsam wurde auch Robin ungehalten und die Idee, sich mit ihren Büchern den Lebensunterhalt zu verdienen, schien ihr immer interessanter.
„Wenn wir die Exklusivinterviews mit allen Promis verlieren, die Carolyn Peck vertritt, können wir dichtmachen. Es wäre IHRE Schuld, wenn es soweit kommen würde. Aber wie ich schon sagte, ich habe Mrs. Peck bekniet und sie gibt ihnen eine Chance, alles wieder gerade zu biegen!“
Robin atmete ein und wollte noch einmal darauf hinweisen, dass es nichts geradezubiegen, gab, doch dann besann sie sich eines besseren. Es würde ohnehin nichts bringen. Ronson war in Rage.
„Brad Sterling ist die ganze nächste Woche auf Marthas Vineyard. Er besitzt dort eine Villa, auf der er die Weihnachtsfeiertage verbringen wird. Er hat zugestimmt, dass sie ihn begleiten und eine exklusive Story über ihn schreiben. Kein stinknormales Frage-Antwort-Spiel wie sonst auch immer. Sie weichen ihm keinen Tag von der Seite. Sie gehen hin, wo er hingeht, sie tun, was er tut. Wir bringen in der Januar-Ausgabe eine Sonderedition – ich denke an eine Hochglanzbeigabe „Brad Sterling – der neue Stern am Hollywoodhimmel“ oder so.“
„Ich soll mit Brad Sterling nach Marthas Vineyard? Nächste Woche?“
„Sie sind eine Blitzmerkerin“, sagte Ronson.
„Aber Sir, ich bin nächste Woche gar nicht hier. Ich habe schon im August meinen Weihnachtsurlaub eingetragen. Ich komme erst im Januar wieder zurück!“
Joe Ronson sah Robin vernichtend an.
„Ihr Job hat aber keinen sehr hohen Stellenwert für sie, Miss Garrett, wenn sie noch nicht einmal bereit sind, eine Woche Urlaub zu opfern“, sagte er dann mit boshaftem Unterton.
Robin war ausgelaugt. Ronson hatten den ganzen Nachmittag über damit zugebracht, sie niederzumachen – erst wegen des Artikels, der wirklich gut war, und jetzt wegen allem möglichem, was ihm nur einfiel.
„Mein Job hat einen sehr hohen Stellenwert“, entgegnete Robin und wollte Ronson am liebsten seinen Computer vom Tisch fegen, „aber Mr. Ronson, die Weihnachtsferien verbringe ich IMMER mit meiner Familie auf Long Island, ich...“
Bevor sie den Satz fertiggesprochen hatte, wünschte sie schon, ihn nicht ausgesprochen zu haben.
„Wie niedlich, sie verbringen die Weihnachtsfeiertage also mit ihrer Familie. Aber wissen sie was? Das interessiert mich nicht die Bohne. Entweder, sie bewegen ihren Arsch morgen nach Marthas Vineyard, oder sie können ihren Schreibtisch räumen und ihren diesjährigen Weihnachtsurlaub in die Länge ziehen. Da draußen gibt es genug Reporter, die sich einen Arm abkauen würden, um diese Reportage für Sparkle zu machen!“
Robin überlegte. Jetzt wäre der optimale Zeitpunkt, Ronson eines vor den Latz zu knallen und zu kündigen. Hatte sie das wirklich nötig? Hatte sie es wirklich nötig, sich tagein tagaus von diesem Ekel grundlos anbrüllen zu lassen? Sich niedermachen zu lassen und sich vorschreiben zu lassen, wie sie ihren Job zu tun hatte? Sie sollte am nächsten Tag bereits nach Marthas Vineyard aufbrechen? Ohne Vorwanung? Christie hatte Recht, ihre Bücher waren nicht schlecht. Wenn sie sie überarbeitete, würde sie früher oder später bestimmt einen Verlag dafür finden. Und was, wenn nicht? Immerhin gab es eine Menge verkrachter Autoren auf den Straßen von Manhattan, die Taxi fuhren, in Cafés kellnerten oder sich sonstwie verdingten, weil ihre tollen Bücher doch nicht so toll waren. Der Job bei Sparkle war ja im Großen und Ganzen toll. Sie liebte es, mit all den A-Promis auf Du und Du zu sein, Blumen von Richard Gere zu bekommen und die private Handynummer von Jennifer Aniston zu haben, mit der sie schon einmal Yoga gemacht hatte. Wenn sie jetzt kündigte, konnte sie sicher sein, einen Job, der dem beim Sparkle ähnlich war, nie wieder zu bekommen. Wenn überhaupt, würde sie vielleicht für den Lokalteil eines kleinen Waschblattes schreiben. So eine Chance bot sich einem nur einmal im Leben.
„Okay, ich machs. Sie kriegen ihre Story!“
Als Robin zurück in das Büro kam, dass sie sich mit Christie teilte, wartete diese schon aufgeregt.
„Was war denn?“
„Er schickt mich morgen nach Marthas Vineyard – die ganze nächste Woche über bis an Heiligabend!“
„Was sollst du denn auf Marthas Vineyard?“
„Eine Reportage über Brad Sterling schreiben – ich muss eine ganze Woche mit ihm in seinem Haus verbringen, Ronson will in der Januar-Ausgabe ein Special über ihn bringen.“
„Aber deine Ferien...“
„Sind gestrichen. Stattdessen habe ich das Vergnügen, mit Brad Sterling, diesem selbstgefällige Arschloch die Zeit zu verbringen, die ich eigentlich mit meiner Familie verbringen wollte!“
„Du wirst eine Woche zusammen mit Brad Sterling in einer Villa auf Marthas Vineyard leben“, fasst Christie zusammen.
„Das ist nicht so toll, wie du glaubst!“
„Das sag ich ja nicht, aber dir ist schon klar, dass so manch andere Frau ihre Großmutter verkaufen würde, um ihn nur einmal aus der Nähe sehen zu können!“
„All diese Frauen haben aber beim letzten Interview nicht erfahren, dass er davon ausgeht, dass er jede bekommen kann. Und dass er von seinen Betthäschen verlangt, ihn beim Sex „Face“ zu nennen, in Anlehnung an diesen Typen aus dem A-Team.“
„Was?“
„Ich sagte doch, der Typ ist nicht normal. Wenn ich all diesen Scheiß, den er von sich gegeben hat, ins Interview geschrieben hätte, hätten Ronson und diese verrückte Mrs. Peck noch mehr am Rad gedreht. Der Kerl ist völlig hinüber. Hat wohl den Hollywoodvirus und hält sich für unwiderstehlich.“
„Und du kommst aus der Sache nicht raus?“
„Klar komm ich raus – indem ich kündige. Und das kann ich einfach nicht, Christie. Ich meine, ich habe ein Leben zu finanzieren!“
Am nächsten Tag, kurz vor Mittag schloss Robin die Tür ihres Appartements ab und drückte mit der linken Hand nochmals dagegen, um sich zu vergewissern, dass auch wirklich abgeschlossen war. Sie zog ihren großen Louis Vuitton-Koffer hinter sich her und hatte oben auf, auf dem Gestänge des Ziehmechanismus noch eine Reisetasche desselben Labels drauf gepackt. Dank Joe Ronson, Carolyn Peck und Brad Sterling würden sie horrormäßige neun Tage erwarten. Sie würde bis zum Morgen des heiligen Abends auf Marthas Vineyard bleiben und Stoff für die Reportage über Brad sammeln. An Heiligabend würde sie dann mit der Fähre in die Hamptons fahren, um wenigstens die eigentlichen Feiertage mit ihrer Familie zu verbringen und parallel dazu die Reportage fertig zu bekommen. Als kleinen Seitenhieb hatte Joe Ronson ihr als Deadline für die Reportage den ersten Januar genannt. Er wollte den Bericht am ersten Januar, um spätestens neun Uhr morgens auf seinem Tisch haben.
Robin betrat den Aufzug und fuhr hinunter in die Lobby, wo sie zielstrebig auf den Tisch des Portiers zuging, der wie üblich, die Tageszeitung darauf ausgebreitet, in seinem kleinen Fernseher die Sportnachrichten sah. Albert, der Portier war ein Mann in seinen sechzigern, der kurz vor der Pensionierung stehen musste, und in dem Robin immer so etwas wie einen Großvater gesehen hatte. Albert hatte immer ein offenes Ohr, fragte nach ihrem Befinden, wusste, konnte die Heizung reparieren und seine Frau backte die besten Cupcakes, die sie je gegessen hatte.
"Hallo Albert, ich wollte ihnen noch schöne Feiertage wünschen", sagte sie und überreichte ihm diskret einen Umschlag, in dem sich einhundert Dollar befanden.
"Miss Garrett, sie sind also über die Feiertage gar nicht in der Stadt?" Albert sah von seinem Spiel auf und ließ den Umschlag ebenso diskret, wie Robin ihn überreicht hatte, in der obersten Schublade seines Schreibtisches verschwinden.
"Nein, ich muss leider kommende Woche arbeiten und werde an den Feiertagen direkt in die Hamptons zu meiner Familie fahren", sagte Robin.
"Dann wünsche ich ihnen das Schönste Weihnachtsfest, das sie sich vorstellen können, Miss Garrett", sagte Albert und drückte Maddys Hand.
"Vielen Dank Albert, das wünsche ich ihnen auch. Und ihrer Frau!"
Robin verabschiedete sich und marschierte durch die Eingangshalle zum Ausgang, wo bereits eine schwarze Mercedes-Limousine auf sie wartete. Kurz, bevor sie auf den Wagen zutrat, schoss ihr durch den Kopf, das dies die letzte Möglichkeit war, die Agentur zu verlassen. Sie müsste nur nach links oder nach rechts laufen, sich ein Taxi rufen und in die Hamptons fahren. Ihre Familie wäre bestimmt überrascht, dass sie nun doch früher als erwartet kommen würde, sie müsste noch nicht einmal jemandem erzählen, dass sie ihren Job geschmissen hatte. Sie hatte eine ganze Menge Ersparnisse, mit denen sie sich bestimmt einige Monate über Wasser halten konnte, es war gut möglich, dass sie innerhalb weniger Tage oder Wochen einen neuen Job fand. Immerhin war sie die A-Listen-Lady des Sparkle. Jedes Magazin müsste sich um sie reißen. Doch letztlich brachte sie den Mut doch nicht auf. Sie ging auf die Limousine zu. Der Fahrer verstaute ihr Gepäck nahezu unter Schweißausbrüchen im Kofferraum und wie bestellt hatte es begonnen, zu schneien. Sie sah sich um, blickte die Columbus Avenue hinab und sah Menschen, die ihre Weihnachtseinkäufe erledigten, die Freunde trafen, um mit ihnen auf die Feiertage anzustoßen, Menschen, die nach Hause kamen und glücklich waren. Sie stieg in den Fond der Limousine.
„Sie sind zu spät.“
Brad Sterling saß im Wagen, hielt sich ein iPad unter die Nase und sah nicht auf, als Robin einstieg. Und ja, wenn man ihn so ansah, und nicht wusste, was für ein Mistkerl er eigentlich war, konnte man bei ihm vermutlich ganz leicht schwach werden. Er war groß, bestimmt über einsneunzig, hatte dunkelblondes Haar im Undone-Style und trug fast immer einen Dreitagesbart, der bei ihm aber weder unpassend noch ungepflegt aussah, sondern ihn ziemlich anziehend machte. Sein Markenzeichen, das, was jeder Mensch auf dieser Welt mit Bradley Stering verband, waren seine einzigartigen, meerblauen Augen. Robin konnte sich nicht erinnern, jemals jemanden kennen gelernt zu haben, der derartige Augen hatte, bis auf Terence Hill, der aber irgendwann einmal zugegeben hatte, dass er farbige Kontaktlinsen trug. Bradley behauptete, das Meerblau sei echt. Robin nahm sich vor, dies in den kommenden neun Tagen zu überprüfen.
„Ich bin pünktlich“, widersprach sie, sah in die andere Richtung und wünschte sich, dass die Zeit möglichst schnell verging.
Die Limousine brachte Robin und Brad auf den La Guardia Airport, von wo aus sie mit Brads Privatmaschine, einer Bombardier Challenger, nach Marthas Vineyard aufbrachen.
„Ich wusste nicht, dass sie Pilot sind“, sagte Robin, als sie in die kleine Maschine einstiegen und Brad im Cockpit Platz nahm. Während der Fahrt hatte er sie weder eines Blickes gewürdigt noch sich irgendwie mit ihr unterhalten. Vermutlich machte er es ihr absichtlich schwer.
„Ich hatte noch nicht viele Flugstunden“, sagte er. „Angst?“
„Sie ahnen ja nicht, wieviel Freude sie mir mit einem Absturz machen würden“, sagte Robin und ging nach rechts in den Teil der Kabine, der für die Passagiere vorgesehen war. Die Maschine war luxuriös ausgestattet, hatte breite, weiche, weiße Ledersitze, einen großen Flachbildschirmfernseher und ein iPad an Bord. Robin fischte ein Notizbuch aus ihrer Tasche und schrieb auf, dass Brad Sterling passionierter Pilot war. Dann notierte sie noch: „Augen – Kontaklinsen oder echt?“ kringelte die Worte ein und legte das Notizbuch beiseite. Sie nahm sich vor, ihn über seine Flugambitionen auf Marthas Vineyard zu befragen – sollten sie jemals dort ankommen.
Das Anwesen war gigantisch. Auf der Fahrt vom Flughafen zum Haus hatte Brad, der gleich zu Anfang erwähnt hatte, das er nur noch Bradley genannt werden wollte, da seine Eltern sich bestimmt etwas dabei gedacht hätten, als sie ihm diesen Namen schenkten, in einem Fort erwähnt, wie teuer und exklusiv das Anwesen war. Es hatte angeblich drei Millionen gekostet und die Umbauten, die er daran hatte vornehmen lassen, hatten noch einmal diese Summe verschlungen.
Mr. Sterling ist ein eingebildetes, oberflächliches Arschloch, dass sich über seine materielle Habe identifiziert und offenbar so ein minderwertiges Selbstbewusstsein hat, dass die picklige Dicke, mit der niemand zum Abschlussball gehen will, schrieb Robin in ihr Notizbuch, schwärzte die Textpassage jedoch gleich wieder. Sie wollte nicht, dass Brad...Bradley ihr daraus einen Strick drehen konnte, wenn er in ihren Notizen las. Würde er an seine Managerin weitergeben, dass Robin ihn für ein eingebildetes Arschloch hielt, würde sie mit Sicherheit ihren Schreibtisch räumen müssen.
Das Anwesen aber, das war wirklich gigantisch. Es war eines dieser typischen Herrenhäuser, in denen gut und gerne ein Gruselfilm hätte spielen können, es hatte mehrere Flügel, Bradley erklärte ihr, dass es insgesamt zwölf Schlafzimmer und acht Bäder gab, dass er einen Fitnessraum und einen Wellnessbereich hatte einbauen lassen, ebenso wie ein Heimkino. Es gäbe auf dem Anwesen Personal, doch er hätte allen frei gegeben, da er seinen Aufenthalte auf Marthas Vineyard zum Abschalten nutzte und den Kopf frei bekommen wollte. Robin notierte weiter und fand diese Aussage als die erste halbwegs menschliche von Bradley. Doch allerdings nur solange, bis er erwähnte, dass er den Kopf am besten mit Groupies aus der Umgebung frei bekam und sie nicht wagen sollte, sich über den Damenbesuch zu beklagen, den er definitiv bei sich empfangen würde.
Das Zimmer, das Brad für Robin ausgewählt hatte, war wunderschön, was nicht weiter besonders war, wenn man das Anwesen als ganzes betrachtete. Alles hier war einfach perfekt und hätte sich wunderbar in Robins Weihnachtswunderland einfügen können, wenn es nicht auf eine eigene Art und Weise "kalt" gewesen wäre. Robin war es gewohnt, bereits Mitte November, allerspätestens aber zu Thanksgiving Weihnachtsdeko anzubringen, Weihnachtslieder zu hören und die ersten Lebkuchen zu verkosten. In ihrem Appartement wimmelte es nur so von Weihnachtsmännern und Tannengirlanden, der Baum wurde am Black Friday aufgeputzt und überall standen kleine Schalen mit Weihnachtsgebäck herum. Von alldem war hier in Brads Villa nichts zu finden. Die Räume waren groß, sauber und auch edel eingerichtet, doch sie alle hatten nichts wohnliches an sich, sie wirkten viel eher wie Hotelzimmer.
Robin hatte ihren Koffer auf das Bett gehievt und war gerade dabei, ihre Sachen auszupacken. Diese Weihnachten, sagte sie sich, würden soviel anders werden, als alle vorangegangenen. In diesem Haus gab es NICHTS Weihnachtliches. Sie sah zum Fenster hinaus, das ihr gegenüber lag und stellte fest, dass es immer noch schneite. Der großflächige Garten war mit einer flaumigen weißen Schicht bedeckt und sie beschloss, später die Umgebung zu erkunden.
"Na, wie gefällts ihnen hier?"
Während sie mit auspacken beschäftigt war, hatte Robin gar nicht bemerkt, wie Brad in ihr Zimmer gekommen war.
"Es ist wirklich schön hier, eine schönes Haus", sagte Robin, fragte sich dann jedoch, warum sie Brad Honig ums Maul schmieren sollte. Es war nicht ihre Art, sich so zurückzuhalten, wie sie es gerade tat. "Allerdings finde ich es etwas kalt!" Sie sah in Brads Augen und hielt seinem Blick stand. Der Mistkerl wusste diese Augen einzusetzen.
"Kalt", sagte er nur uns sah sie fragend an.
"Ja. Es wirkt so, als würde hier niemand leben. Das Haus ist großartig, aber es hat ungefähr soviel Charme wie ein drittklassiges Hotelzimmer. Es ist einfach...kalt!"
Brad begann zu grinsen. Dabei bildeten sich kaum merkliche Fältchen um seinen Augen. Robin war erschrocken darüber, dass sie diese kleinen Dinge überhaupt wahr nahm. Sie war niemand, der sich mit den Typen, die sie interviewte, einließ und konnte mit Fug und Recht behaupten, noch nie etwas mit einem Interviewpartner gehabt zu haben. Ihren Promis trat sie immer äußert professionell gegenüber. Natürlich fand sie hier und dort jemanden toll. Gerard Butler zum Beispiel hatte nichts anbrennen lassen und ihr ziemlich eindeutige Angebote gemacht, als sie in Anfang Oktober über seine neuesten Filmpläne ausgefragt hatte. Doch auch er hatte keine Chance bei ihr gehabt.
"Ach, daher weht der Wind", sagte Brad und kam einen Schritt ins Zimmer herein.
"Was?"
Brad stand Robin nun direkt gegenüber. ESeine Lippen wirkten irrsinnig anziehend, so wie sie sanft geschwungen waren.
"Wenn dir kalt ist, dann kann ich schon dafür sorgen, dass dir heiß wird. Ich steh auf Rothaarige!"
Brad schlang seine Arme um Robin und zog sie zu sich. Robin wusste, dass sie ihn sofort von sich stoßen musste. Doch die Berührung fühlte sich einfach wunderbar an. Sie konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal ein Date gehabt, geschweige denn, wann mehr gelaufen war, als nur ein nettes Essen. Alle Kerle, die noch verfügbar waren, schienen Vollidioten zu sein. Und Brad Sterling...war einer von ihnen. Er war momentan scharf und sie war einfach da, das schien Grund genug für ihn zu sein, sich an sie ranzumachen. Ungefähr auf dieselbe Art und Weise, wie wenn man Hunger hat und im Kühlschrank nichts weiter drin ist, als ein altes Stück Pizza, das zwar noch nicht ranzig ist, aber schon bessere Tage gesehen hat. Man würde es essen, bevor man hungrig blieb. Und trotzdem hätte sie nichts lieber getan, als das, was gerade dabei war, zu geschehen, geschehen zu lassen. Brads Körper fühlte sich stark und warm an, der Arm, der sie umschlungen hielt, war sanft aber dennoch fordernd zugleich. Er bewegte seine Lippen auf ihre zu...
"Brad...ley....lassen sie das", sagte Robin schließlich doch und befreite sich aus Brads Umarmung. Ganz glücklich war sie dabei nicht. Sicher würde sie nicht die zukünftige Mrs. Sterling werden, wenn sie sich auf ihn einließ, aber einen Nacht mit Bradley Sterling wäre bestimmt auf ihre eigene Art und Weise sehr besonders. Nein. Schluss. Sie war hier, um eine Reportage zu schreiben und ihren Job professionell zu erledigen. Wie professionell war es wohl, gleich nach der Ankunft mit dem Hausherren zu schlafen?
Brad sah sie amüsiert an.
"Sind wir etwa verklemmt? Hören sie, das wird ihre einzige Chance sein, mir näher zu kommen, denn wenn erstmal die Mädls hier aufkreuzen, die ich eingeladen habe, werden sie sich fühlen, wie das hässliche Entlein!"
"Das hässliche Entlein wird am Ende ein schöner Schwan, also wäre ich gern das hässliche Entlein", sagte Robin und biss sich auf die Lippen. Was für einen Schwachsinn verzapfte sie da eigentlich?
Brad verzog die Lippen zu einem Grinsen und sie bereute schon, dass sie "es" nicht hatte geschehen lassen.
"Was?"
"Nichts. Ich bin hier, um meinen Job zu tun, nicht mehr und nicht weniger. Um ihre Libido kann sich jemand anderer kümmern!"
"Das wird auch so sein, Robin, das wird auch so sein", murmelte Brad altklug. "Also, wenn sie was zu essen wollen, der Kühlschrank ist voll. Sie können von mir aus den Fitnessbereich benutzen, aber halten sie sich vom Pool und vom Wellnessbereich fern, dort werde ich heute Abend eine Party feiern, zu der sie nicht eingeladen sind. Am besten, sie kommen nach acht gar nicht mehr herunter und halten sich vom Westflügel völlig fern!"
"Danke für die Einführung, ist fast wie auf Alcatraz", sagte Robin und die Zuneigung für Brad, die sich eben noch in ihr ausgebreitet hatte, war Angewidertheit gewichen.
"Ich will nur nicht, dass sie sich entmutigt vorkommen. Ich meine, ich erwarte Models, Schauspielerinnen...sie wissen schon, hässliches Entlein eben!"
"Bilden sie sich bloß nichts ein sie Großmaul." Robin war wütend. Wie kam er eigentlich dazu, auf ihrem Aussehen herumzureiten. Gut, sie hatte nie behauptet Model zu sein und vermutlich würde sie neben einer Hollywoodschönheit wirklich ganz schön blass aussehen, aber hässlich war sie mit Sicherheit nicht. Sie war gute 1.70 groß, kurvig, aber dennoch schlank und ihr feuerrotes Haar zog so manche Blicke auf sich und ihr Porzellanteint wirkte makellos. Gepaart mit ihren eigenen, blitzblauen Augen, die Bradleys um nichts nachstanden, konnte man wirklich nicht behaupten, sie wäre hässlich.
"Tu ich nicht, ich stelle nur die Regeln auf. Ich wollte sie hier gar nicht haben, das tue ich alles Carolyn zuliebe, die mich bekniet hat, sie mitzunehmen, weil sie offenbar auf ihren Chef scharf ist oder so. Glauben sie nicht, ich hab mir das ausgesucht. Ich habe bereits einen Status, den muss ich mir nicht erst durch eine Sonderbeilage in der Sparkle erarbeiten!"
"Ach, und sie denken, ICH habe mich darum gerissen, mit ihnen hierher zu kommen? Wenn sie es genau wissen wollen, es wurde mir aufgedrängt. Ich könnte mir ungefähr eine Milliarde anderer Aktivitäten vorstellen, die ich dem hier vorziehen würde. Eine davon wäre, der persönliche Arschabwischer von Fidel Castro zu sein!"
Brad sah sie entwaffnend an und schenkte ihr ein ehrliches Lächeln.
"Ganz schön schlagfertig, Rotschopf", grinste er und schloss die Tür hinter sich.
Etwa eine Stunde später hatte Robin ihr Lager in Brads Villa aufgeschlagen, ihre Klamotten ausgepackt und sich dazu entschlossen, einen Spaziergang durch die Gegend zu machen. Kurz hatte sie überlegt Brad zu fragen, ob er sie begleiten wolle, doch den Gedanken hatte sie gleich wieder verworfen. Erst einmal war er ein Mistkerl und zweitens würde er ihr Angebot ohnehin nur wieder falsch auslegen. Obwohl sie zugeben musste, dass er eine gewisse Anziehung auf sie ausübte.
Sie schlenderte also die Auffahrt der Villa hinunter und wandte sich am Eingangsportal nach rechts. Sie hatte ein kleines Wäldchen am Ende der Straße entdeckt, durch das sie spazieren wollte. Ein weihnachtlicher Schneespaziergang war immer noch die beste Möglichkeit, um den Kopf frei zu bekommen. Während sie den Bürgersteig entlang marschierte, fischte sie ihr iPhone heraus und rief Christie an.
"Hey, na wie läufts", meldete diese sich gewohnt motiviert.
"Der Typ ist so ein Arsch, dass ich gar keine Worte dafür finde", begann Robin. Dann erzählte sie von der Begebenheit in ihrem Zimmer, dass er sie erst fast geküsst und ihr dann vorgeworfen hatte, sie wäre ein hässliches Entlein.
"Was? Du solltest dort abhauen, Robin, ehrlich", sagte Christie. "Ich meine, du hast es sicher nicht nötig, dich von diesem Idioten auch noch beleidigen zu lassen."
"Ehrlich gesagt habe ich darüber auch schon nachgedacht", erwiderte Robin während sie zwischen zwei Fichten hindurch trat und sich als nächstes auf einem Pfad befand, der durch den kleinen Wald hindurchzuführen schien.
"Aber diese Genugtuung werde ich weder Brad und schon gar nicht Joe Ronson geben. Ich meine, dass ich meinen Job behalte, ist doch eher unwahrscheinlich, oder? Wenn Brad nicht mitspielt und mir nicht genügend Stoff für eine Story liefert, kann ich meine Sachen am ersten Januar so sicher packen, wie der Papst katholisch ist. Vermutlich werde ich meine Sachen auch dann packen können, WENN ich eine Story liefere, weil die Ronson sowieso wieder nicht zusagen wird. Aber, wenn ich jetzt einfach abreisen würde, dann müsste ich damit leben, dass ich es nicht versucht habe. Dass ich einfach den leichteren Weg gewählt und mich dem "Kampf" nicht gestellt habe. Ich glaube nicht, dass das für mich der richtige Weg ist. Ich will es versuchen und mich Ronson stellen. Und Brad nicht die Genugtuung geben, dass er mich nervös gemacht und vertrieben hat."
"Er macht dich nervös?"
Robin stapfte den Pfad zwischen Nadelbaumreihen entlang über eine makellose Schneedecke.
"Ich weiß nicht, als er vorhin so auf Tuchfühlung mit mir war...da hats schon irgendwie geknistert.."
"Robin", rief Christie aus, "bitte mach dich nicht unglücklich!"
"Tu ich doch gar nicht. Ich bin sehr realistisch und weiß, dass das rein gar nichts zu bedeuten hat. Es war eben einfach nur so ein Moment...den ich mir vermutlich eingebildet hab!"
"Mir wär trotzdem wohler, wenn du nicht mit ihm in einer abgeschiedenen Villa leben würdest. Wer weiß, was dem Mistkerl sonst noch einfällt?"
"Ganz ehrlich denke ich, dass Bradley Sterling andere Dinge im Kopf hat, als MICH zu verführen", lachte Robin.
Als sie zurück zur Villa kam, war es bereits dunkel geworden. Der Spaziergang hatte Robin gut getan, ihr Kopf war etwas frei geworden und sie war sich ganz sicher, diese Reportage zu schreiben. Egal, ob Bradley sich kooperativ zeigte oder nicht. Sie würde Joe Ronson zeigen, was in ihr steckte und einen Artikel abliefern, der sich gewaschen hatte. Und sie würde sofort damit anfangen. Bradley hatte bestimmt noch nicht zu Abend gegessen. Sie würde ihn fragen, ob sie das Kriegsbeil nicht begraben und gemeinsam essen wollten. Sie würde versuchen, eine Basis mit ihm zu finden, die nicht auf Feindseligkeit aufgebaut war. Immerhin konnte sie seiner Bekanntheit und seinem Image auch zuträglich sein, wenn der Artikel durchwegs positiv ausfiel.
Guten Mutes schritt sie also die Auffahrt zur Villa hinauf, die hochbeleuchtet war. So wie es aussah, brannten im Haupt- und im Westflügel sämtliche Lichter. Noch bevor Robin sich fragen konnte, ob Bradley einfach eine Zeitschaltuhr besaß, die die Lichter anmachte und so Einbrecher abschrecken sollte, bemerkte sie jede Menge Autos, die vor dem Haupteingang parkten. Es waren nicht nur normale Autos, einige davon waren Kleinbusse, eines war eine Stretchlimousine mit dem Aufdruck "Hot Party Girls". Je näher sie dem Eingang kam, umso mehr Lärm vernahm sie. Laute Musik dröhnte von drinnen heraus, vermischt mit Gelächter und Geschrei. Robin seufzte, bevor sie die Türe aufdrückte und langsam eintrat.
Niemand nahm von ihr Notiz. Die Vorhalle war voll von leicht bekleideten Frauen, die alle Brustimplantate zu tragen schienen. Viele von ihnen trugen Bikinis, manche noch nicht einmal das. Hier und dort konnte sie vereinzelt einen Mann erkennen, doch die Frauen dominierten diese Party eindeutig. Sie fragte sich selbst, wie verrückt sie wohl aussehen musste - mit ihrem Kleidergröße-vierzig-Körper, den Beinen, die in dicken, schwarzen Uggs steckten und der Daunenjacke, die aussah, als würde sie geradewegs aus der Antarktis kommen. ihre schwarze Mütze hatte sie sich tief in die Stirn und über die Ohren gezogen, dazu trug sie ebenfalls dicke, schwarze Handschuhe und einen Schal. Bradley hatte recht gehabt, jetzt, inmitten all dieser Schönheits-OP-Königinnen mit ihren Brustimplantaten, den aufgespritzten Lippen, dem abgesaugten Fett und den gerichteten Nasen kam sie sich tatsächlich wie ein hässlicher Fettkloß vor.
Um hinauf in den erste Stock zu gelangen, musste sie direkt durch das Partyvolk durch, auf die andere Seite der Vorhalle. Es würde ihr also nicht erspart bleiben, sich den Blicken der Meute auszusetzen. Immer noch besser, als hier neben dem Eingang Wurzeln zu schlagen. Langsam trat sie also aus dem Schatten der Eingangstüre hervor und bahnte sich ihren Weg , an vier Frauen vorbei, die bis auf einen G-String splitterfasernackt waren und sich mit Vanillepudding einrieben, hindurch zwischen mehreren sich küssenden Paaren. Sie hielt den Kopf gesenkt und wollte gar nicht wissen, was rund um sie herum geschah. Sie wollte einfach nur in ihr Zimmer und unter die Dusche. Direkt vor ihr, mitten auf dem Boden war ein weiteres Pärchen gerade dabei, Sex zu haben. Mitten unter all den Leuten. Niemand schien sich daran zu stören und jetzt kam Robin doch der Gedanke, dass es vielleicht besser sein würde, abzureisen. Andererseits würde sie heute kaum noch hier weg kommen. Sie stieg über das Pärchen hinweg, das weiterhin keine Notiz von ihr nahm und stieß im nächsten Moment mit jemandem zusammen, der direkt vor ihr am Treppaufgang stand.
Sie hob ihren Kopf und sah in Bradleys tiefblaue Augen, die sie erst überrascht, dann amüsiert ansahen.
"Wie sehen sie denn aus? Haben sie einen Klamottenladen leergekauft und keine Tüten bekommen?" Obwohl Robin überhaupt nicht sein Typ war, sah sie süß aus, eingepackt wie ein Eskimo, die Mütze tief in die Stirn gezogen, sodass nur ein paar vereinzelte Strähnen ihrer Stirnfransen darunter hervorlugten. Ihre Nase war rot, vermutlich weil es draußen wirklich saukalt war und sie hatte hier drin immer noch Handschuhe an.
"Was zur Hölle ist hier denn los? Hat Caligula seine Zelte hier aufgeschlagen oder was", fragte Robin verärgert.
"Nehmen sie doch erstmal ihre Mütze und den Schal ab", grinste Bradley, zog ihr die Mütze vom Kopf und fing den Schal von ihrem Hals. Dabei näherte er sich ihr so sehr, dass sie sein Parfum riechen konnte. Sie riss ihm Mütze und Schal aus den Händen.
"Geben sie mir das. Und lassen sie mich in Ruhe!"
Bradley grinste sie immer noch an. Ihr rotes Haar gefiel ihm. Es war nicht so fahl und kraftlos, wie viele rothaarige es trugen, sondern leuchtete in diesem kupfernen Ton, den nur ganz wenige ihr Eigen nennen durften. Ihre Augen funkelten ihn böse an und er hatte plötzlich das Bedürfnis, sie zu spüren.
"Was sind dass denn für Handschuhe", fragte er und zog an den Fingern des rechten Handschuhs, der an Robins Hand steckte. "Waren sie da draußen auf der Suche nach dem Schneemenschen? Oder SIND sie etwa der Schneemensch?" Er zog ihr den Handschuh aus und betrachtete ihre zarte, zum Vorschein kommende Hand. Ihn überkam das Gefühl, sie gerne halten zu wollen.
Im nächsten Moment riss Robin ihm den Handschuh weg.
"Hören sie auf, mir meine Sachen auszuziehen", rief sie, vermutlich etwas zu laut, da es um sie herum still wurde.
Bradleys Grinsen wurde breiter. Er beugte sich zu ihr vor.
„War das jetzt ein Freud'scher Versprecher oder ein eindeutiges Angebot?“
"Bradley, Schätzchen, wer ist DAS denn? Ist das deine Mutter?"
Ein dünner, gebräunter Arm mit manikürten, pinken Fingernägeln schlängelte sich um Bradleys Brust, bis plötzlich eine Frau hinter seinem Rücken auftauchte und sich an ihn schmiegte. Sie hatte wasserstoffblondes, langes Haar, pink geschminkte Lippen, große grüne Augen und trug passend zu den Lippen und den Nägeln, einen pinken Bikini, der mehr entblößte, als er verdeckte.
"Ich bin doch nicht seine Mutter, sind sie verrückt", rief Robin und war bestürzt über die Tatsache, dass sie offenbar alt genug aussah, um einen sechsunddreißigjährigen Sohn zu haben.
"Und wer bist du dann", fragte Blondie und sah sie von oben herab an.
"Ich hab sie draußen im Wald aufgelesen", begann Bradley, "und ihr eine warme Mahlzeit und ein Dach über dem Kopf angeboten, immerhin ist Weihnachten!"
"Sagen sie mal, spinnen sie", rief Robin wutentbrannt. "Ich...."
"Meine Güte, Feuermelder, verstehen sie gar keinen Spaß", grinste Bradley sie an. Es gefiel ihm, sie wütend zu machen. Ihre Augen begannen dann zu funkeln, ihre Muskeln schienen sich anzuspannen und sie wirkte, trotz des merkwürdigen Aufzuges wahnsinnig sexy.
"Sie ist Reporterin, Schätzchen", sagte er dann an die Blondine gewandt, "sie schreibt einen Artikel über mich und ist hier, um zu recherchieren!"
"Rescher-was?" Die Blondine kannte das Wort offenbar nicht.
"Gar nichts", Bradley küsste sie auf die Nasenspitze und schlang seine Arme um sie, so wie er es am Nachmittag noch bei Robin gemacht hatte. "Sie ist überhaupt keine Konkurrenz für dich!"
Robin drängte sich an ihm und seiner Blondine vorbei die Treppe hinauf.
"Gute Nacht Mom", rief Bradley ihr nach, was allgemeines Gelächter nach sich zog.
Auf ihrem Zimmer angekommen schälte sie sich aus ihrer Jacke und warf sich aufs Bett. Okay, die Sache mit dem gemeinsamen Abendessen hatte nicht funktioniert. NOCH nicht. Immerhin hatte sie noch ganze neun Abende, ihn zu einem Essen und einem Gespräch zu bitten. Die Blondine hatte tatsächlich angenommen, sie wäre Bradleys Mutter. Furchtbar. Sie wirkte also mit ihren dreiunddreißig Jahren wie jemand, der einen sechsunddreißigjährigen Sohn haben könnte? Sah sie wirklich SO schrecklich aus? Andererseits sollte sie auf eine Aussage, die von einer Frau kam, die vermutlich die Hälfte ihrer Lebenszeit auf dem OP-Tisch des Schönheitschirurgen verbracht hatte, nicht zuviel geben. Dann dachte sie daran, wie Bradley ihr die Mütze, den Schal und den Handschuh ausgezogen hatte. Es war irgendwie, trotz der Party und der Tatsache, dass sie sich eigentlich nicht leiden mochten, eine romantische Situation gewesen. Er hatte gut geduftet und sie hatte die Wärme gespürt, die sein Körper ausstrahlte. Und wie er sie angesehen hatte. Ob das Flirten gewesen war? Nein, bestimmt nicht. Viel eher hatte er sich über sie lustig gemacht. Sie stieg unter die Dusche, schlüpfte in ihren Pyjama und sah noch etwas fern. Dann fiel sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Als Robin am nächsten Morgen gegen neun erwachte, war es totenstill im Haus. Am Vorabend hatte sie noch lange die Musik, das schrille Gelächter und den Lärm gehört, den Bradleys Party veranstaltete. Doch jetzt schien es, als hätte es nie eine Party gegeben. Sie schlug die Bettdecke zurück und stellte fest, dass sie ungewöhnlich gut geschlafen hatte. Sie stand auf, ging zum Fenster und sah hinaus. Über Nacht hatte es weitergeschneit und Marthas Vineyard war unter einer pudrigen Schneedecke versteckt. Ihr Energielevel war in den Morgenstunden meist am höchsten, sodass sie beschloss, laufen zu gehen. In Manhattan besuchte sie regelmäßig das Fitnessstudio, und obwohl Bradley auch eines in seiner Villa hatte, zog sie es vor, in der Natur zu laufen. Sie schlüpfte also in ihre Laufhose, zog ein mintfarbenes top und darüber eine schwarze Sportjacke an und stieg in ihre Laufschuhe. Den iPod shuffle, den sie immer zum Laufen nutzte, clipte sie links an den Ausschnitt ihres Tops. Dann kramte sie ihre Trinkflasche hervor und beschloss, sie in der Küche mit Wasser aufzufüllen.
Langsam öffnete sie ihre Zimmertüre, als wäre sie eine Einbrecherin, die nicht ertappt werden wollte. Der Flur war ruhig. Nichts war zu hören, also ging sie hinaus und die Treppen hinunter. Hatte es zuvor noch den Anschein gehabt, hätte die Party nur in ihren Träumen existiert, so war sie jetzt mit der vollen Dröhnung Afterparty konfrontiert. Die Vorhalle, und zum Teil auch die Treppe sahen aus, als wären sie Schauplatz einer Schlacht gewesen. Überall lagen Gläser, leere Flaschen und Dosen Herum, Beutel mit Chips und andern Snack, hier und dort ein Tablett mit halb aufgegessenen Canapees. Erst jetzt fiel ihr auf, dass zwischen all den Überbleibseln der Party auch der eine oder andere Stringtanga und BH herumlag.
"Oh Gott", murmelte sie sich selber zu und lief die Treppe hinunter, während sie ihren iPod einstöpselte und Green Day zu laufen begann. In der Küche sah es nicht besser aus. Der Boden war mit zugemüllt und auch hier gab es ein schier endloses Sammelsurium an Gläsern und leeren Flaschen.
Der große Doppeltürkühlschrank stand links an der Fensterfront zwischen den Arbeitsplatten und war so enorm, dass Robin dachte, ein ganzer Supermarkt hätte hineingepasst. Trotz allem gab es in diesem Kühlschrank weder Lebensmittel noch antialkoholische Getränke. Nur Champagner, Bier, Tequila, Gin und alles andere, was die Trinkerleber begehrte. Sie schloss die linke Türhälfte und riss die rechte auf, als sie - trotz Green Day - einen Schrei vernahm. Gleich darauf tauchte an der Oberkante der Türe eine Hand auf, die die Tür wieder schloss.
"Oh Scheiße, was soll denn das", rief Robin und ließ ihre leere Trinkflasche fallen, die scheppernd auf den Boden fiel. Sie war so konzentriert gewesen, nicht auf den Müll am Küchenboden zu treten, dass ihr gar nicht aufgefallen war, dass Bradley sich mit einer schwarzhaarigen Gespielin auf der Arbeitsplatte direkt neben dem Kühlschrank verlustierte. Er stand, den nackten Hintern in den Raum gereckt, mit den Schenkeln der schwarzhaarigen um seine Hüften und grinste sie schelmisch an.
"Tinkerbell, sie sind schon wach? Wollen sie mitmachen?"
Mit großen Augen starrte Robin ihn an und er befand, dass sein Spitzname für sie, Tinkerbell, wirklich zutreffend war. Als kleiner Junge hatte er Peter Pan geliebt, und das Video immer und immer wieder angesehen. Jetzt wusste er auch, an wen Robin ihn von Anfang an erinnerte - an die Fee Tinkerbell aus Peter Pan, mit ihren roten, seidigen Haaren, der hellen Haut, den großen Augen. Er betrachtete sie von oben bis unten, was eine verrückte Situation war. Immerhin hatte er in jenem Moment Sex mit...er wusste noch nicht einmal, wie die schwarzhaarige hieß. Robin sah toll aus. Sie war nicht so klapperdürr, wie die Frauen, mit denen er sich sonst umgab, aber gerade das machte den Reiz aus. Ihre Kurven waren unglaublich anziehend. Er hätte nichts lieber getan, als die schwarzhaarige gegen Robin auszutauschen.
"Sie widern mich an", sagte diese jedoch, machte auf dem Absatz und verließ die Küche. Dabei warf Bradley einen Blick auf ihren Hintern, als die schwarzhaarige sich an ihn drängte und quängelte "Los, mach weiter!"
Es war Sonntag-Morgen und seit dem verhängnisvollen Treffen in der Küche am Vortag hatte Robin Bradley noch nicht einmal mehr gesehen. Er feierte auch Samstagabend eine Party, die der vom Freitag in nichts nachstand.
Mit ihrem Artikel war sie kaum vorangekommen. Es sah so aus, als würde Bradley seine Partys jeden Abend feiern, sodass sie nie Gelegenheit haben würde, ihren Job ordentlich erledigen zu können. Sie hatte zwar hier und dort ein paar Recherchen über das Internet angestellt, hatte aber nichts herausgefunden, was nicht schon in irgendeiner alten Ausgabe des Hollywood Reporter oder der Times stand. Alles, was sie bisher hatte, und was offenbar noch niemand wusste, war, dass Bradley die Fliegerei mochte und ab und zu als Pilot abhob. Großartig. Diese Information würde bestimmt eine ganze Sonderbeilage der Sparkle füllen.
Sie hatte beschlossen, Bradley zur Rede zu stellen. Es war ihr Job, hier zu sein, sie war nicht aus Vergnügen mitgekommen und es war Bradleys Job, mit ihr zusammen zu arbeiten und ihr diesen Artikel zu ermöglichen. Es war ihr egal, ob Sonntag war, egal, ob Bradley zwanzig Frauen bei sich im Schlafzimmer hatte, egal, ob er müde oder wach war, sie musste mit ihm reden. Sie mussten einen Zeitplan entwickeln, und ausarbeiten, WANN sie diese Reportage über ihn schreiben konnte.
Sein Schlafzimmer lag im ersten Stock des Westflügels, in dem sich offenbar noch andere Gäste- und Schlafzimmer befanden. Sie wusste, dass es das erste Zimmer auf der linken Seite war und schlich darauf zu. Die Putzkolonne war offenbar schon da gewesen, da Robin keine Partyüberbleibsel mehr weder in der Vorhalle noch auf der Galerie fand. Für gewöhnlich lag ein Höschen draußen am Flur vor Bradleys Zimmer, gerade so, als wollte er eine Art Zeichen setzen, wie auf dem College, wo man Krawatten oder sonstigen Kram an die Tür seines Zimmers hängte, um alle anderen wissen zu lassen, dass man nicht alleine war und ungestört bleiben wollte. An diesem Sonntag-morgen lag kein Höschen vor der Tür. Auch kein BH und auch kein Top, in das Robin nicht einmal als Säugling hineingepasst hätte. Die Tür war komischerweise auch nicht geschlossen, sondern nur angelehnt. Sie knarrte etwas, als Robin sie langsam aufdrückte, aber nicht viel. Das Schlafzimmer war überraschend ordentlich, wenn man bedachte, wie der Rest der Villa nach den Parties aussah. Bradleys Bett war groß, eine Unmenge an Kissen und Decken türmte sich darauf. Durch das Fenster auf der rechten Seite des Raumes, das geöffnet war, kam kalte Luft herein.
"Brad? Bradley", sagte Robin leise und ging ein paar Schritte in das Zimmer hinein. Nichts rührte sich. Vermutlich war Bradley noch ausgeknockt von den Exzessen der vergangenen Nacht.
Robin ging noch einen Schritt auf das Bett zu und hoffte, ihn nicht wieder beim Sex zu überraschen.
"Bradley? Sind sie allein?" Jetzt sprach sie etwas lauter. Sie stand direkt am Fußende des Bettes. Ein einzelner Fuß lugte unter einer Decke hervor. Aufgrund der Behaarung an den Unterschenkeln zu schließen, war es Bradleys Fuß und nicht einer seiner Frauen.
"Bradley", sagte Robin noch einmal und ging zum Kopfende des Bettes. Sie zog die Bettdecke zurück und erschrak. Bradley lag darin, aber er sah...tot...aus. Seine Haut war leichenblass und vor seinem Mund war Schaum, der zum Teil schon eingetrocknet war.
"Bradley?" rief Robin noch einmal und stieß in an. Er bewegte sich nicht.
"Oh scheiße, scheiße, scheiße, scheiße", rief sie, zog die Decke komplett zurück und wischte ihm mit einem Kleenex, das neben seinem Bett lag, den Schaum vorm Mund weg. Sie fühlte sich selbst einer Ohnmacht nahe, doch sie durfte nicht umkippen. Sie tastete nach Bradleys Puls an seinem Hals, und obwohl sein Körper eiskalt zu sein schien, konnte sie den Puls kaum merklich fühlen, aber er atmete nicht. Sie riss ihr Handy aus ihrer Hosentasche und wählte die 911.
"Hallo? Ich brauche sofort einen Notarzt nach 9847 Westcover Avenue", rief sie aufgeregt ins Telefon, als die Vermittlung sich meldete, "ich habe hier eine bewusstlose männliche Person Mitte dreißig, die nicht atmet!"
Nachdem die Vermittlung bestätigt hatte, dass bereits ein Rettungswagen unterwegs sei, begann Robin – unter Schock stehend - mit den Wiederbelebungsmaßnahmen.
Jemand hat ihn offenbar mit K.O.-Tropfen ausgeknockt", meinte der Notarzt, nachdem Bradley versorgt und wieder stabil war. Obwohl der Rettungswagen innerhalb weniger Minuten vor Ort gewesen war, war es Robin wie Stunden vorgekommen, bis er endlich da war.
"Sie haben gute Arbeit geleistet, er hätte sterben können, hätten sie ihn nicht gefunden!"
"Und er muss nicht ins Krankenhaus? Ich meine, halten sie es für eine gute Idee, wenn er nicht überwacht wird?"
"Sein Kreislauf ist stabil und es geht ihm soweit gut. Kein Grund, ihn ins Krankenhaus zu bringen", meinte der Notarzt. "Haben sie eine Ahnung, wer ihm die K.O.-Tropfen verabreicht haben könnte?"
"Keine Ahnung...wissen sie, er feiert viele Parties...mit vielen Gästen..."
"Miss..." begann der Notarzt.
"Garrett, Robin Garrett!"
"Miss Garrett, glauben sie nicht, dass das das erste Mal ist, dass eine von Mr. Sterlings Parties ausufert. Es wundert mich ehrlich gesagt, dass er schon seit Freitag hier ist und bislang nichts schlimmeres passiert ist!"
Robin sah den Arzt entsetzt an.
"Ein typischer Schauspieler eben. Der weiß, dass er bei Frauen gut ankommt, kauft sie sich, schlägt über die Stränge...wie Charlie Sheen!" Er grinste. "Wenn er wieder zu sich kommt, sagen sie ihm, dass er ihnen sein Leben verdankt!"
Sein Schädel dröhnte, es drehte sich alles, ihm war schlecht und er hatte Durst. Das waren die ersten Empfindungen, die Bradley verspürte, als er zu sich kam. In seinem Zimmer war es dunkel. Er fragte sich, wann er zu Bett gegangen war, für gewöhnlich dauerten seine Parties bis in die frühen Morgenstunden, wenn es draußen schon dämmerte. Langsam ließ er einen Arm nach rechts neben sich gleiten, um zu sehen, ob jemand bei ihm war. Fehlanzeige. Er lag allein im Bett. Seine rechte Hand patschte auf das Nachttischchen neben ihm, um Licht anzumachen, was ihm erst nach dem dritten Versuch gelang. Als er sich aufsetzte, dröhnte sein Schädel noch viel mehr und ihm wurde kurz schwarz vor Augen. Es war kurz vor elf Uhr nachts. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah jemanden auf der Recamiere liegen, die neben dem Fenster stand.
"Tinkerbell", krächzte er. Sein Hals tat weh, doch er war anscheinend laut genug gewesen, um sie zu wecken. Sie schlug die Augen auf und sah ihn an. Dann setzte sie sich ruckartig auf.
"Sie sind wach!"
"Was tun sie da", krächzte Bradley. "Und was ist hier überhaupt los?"
Robin stand auf und machte die Stehlampe an, die neben der Recamiere stand. Der Raum wurde sofort heller.
"Jemand hat ihnen K.O.-Tropfen verabreich, Brad," sagte sie. "Sie waren bewusstlos, ich hab sie gestern Morgen gefunden!"
"Gestern? Wann? Welchen Tag?"
"Wir haben Montag, sie haben fast zwei Tage durchgeschlafen!"
"Wer hat mir..." Es fiel ihm schwer, zu sprechen. Robin war neben seinem Bett in die Knie gegangen.
"Nicht reden. Keine Ahnung, wer es war, das herauszufinden ist vermutlich so wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Sie sollten sich übrigens nicht darüber aufregen. Möchten sie etwas Wasser?"
Bradley nickte und Robin goss ihm ein Glas aus dem Krug ein, der auf dem Nachttisch stand.
"Warten sie, ich helfe ihnen", sagte sie, als er danach greifen wollte. Sie nahm das Glas, führte es zu seinem Mund und ließ ihn trinken. Es fühlte sich großartig an, als sich der Wasserfilm über seine trockene Kehle legte.
"Ich hab Kopfschmerzen", sagte Bradley, nachdem er getrunken hatte, in weitaus besserem Tonfall.
Robin zog die oberste Schublade seines Nachtkästchens auf und holte eine Schachtel hervor. Sie löste zwei Tabletten im Wasserglas auf und half ihm abermals beim trinken.
"Danke", sagte er dann. "Haben sie die ganze Zeit hier geschlafen?" Sein Blick fiel auf die Recamiere, auf der sich eine Decke und ein Polster befanden, daneben am Fußboden lag ein Buch.
"Ich hab mich wohler gefühlt, wenn ich sie im Auge hatte", sagte Robin.
"Nett von ihnen. Und...was ist nun passiert?"
Robin setzte sich auf den Fußboden in den Schneidersitz und erzählte, wie sie ihn gefunden hatte, wie der Arzt hier war und ihr erklärte, dass Bradley offenbar mit K.O.-Tropfen betäubt worden war.
"Schlampen", murrte Bradley. "Diese leichten Mädchen haben manchmal solche Aussetzer, wissen sie, Tinkerbell? Die glauben, wenn man sie einmal vögelt, heiratet man sie gleich. Und wenn man ihnen ihre Illusionen raubt, dann ticken sie manchmal aus!"
Bradley spürte, wie es in seinem Magen grollte. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal gegessen hatte.
"Mann, hab ich Kohldampf", sagte er. "Liegt hier irgendwo eine Tüte Chips oder so herum?"
"Nein, aber ich könnte Ihnen Suppe machen", schlug Robin vor.
"Suppe?"
"Ich glaube, die ist besser, als Chips!"
"Sie sind ein Schatz, Tinkerbell, vielen Dank!"
Robin schenkte ihm ein Lächeln, bevor sie zur Tür hinausging. Das erste, das von Herzen kam.
Keine Zwanzig Minuten später kam sie zurück ins Schlafzimmer. Sie hatten ein Tablett dabei, auf dem eine dampfende Schüssel stand, ein weiteres Glas Wasser und einen Löffel. Brad hatte sich bereits aufgesetzt. Er sah schon viel besser aus, als noch vor einer Viertelstunde. Die Farbe war in sein Gesicht zurückgekehrt, seine Augen wirkten munterer, als noch zuvor und er lächelte, als sie eintrat.
Sie stellte das Tablett über Bradley ab.
„Schaffen sies allein, oder soll ich sie füttern“, fragte sie.
Es war verrückt. Noch vor wenigen Tagen hatten Robin und Brad kaum mehr miteinander gesprochen, als notwendig, sie hatten sich Sticheleien an den Kopf geworfen und waren sich aus dem Weg gegangen. Jetzt wirkten sie, als würden sie sich schon ihr Leben lang kennen.
„Ich glaube, ich schaffs alleine. Aber...ich würde mich freuen, wenn sie mir etwas Gesellschaft leisten!“
„Gerne“, sagte Robin und setzte sich auf den Rand des Bettes.
„Die Suppe schmeckt Klasse“, bemerkte Brad nach den ersten Löffeln, „sie hätten Köchin werden sollen!“
Robin lachte. „Dann müsste ich wohl unter der Brücke wohnen. Außer Suppe habe ich nichts drauf!“
„Das heißt, ihr Mann kocht für sie?“
Robin grinste. Sie war sich nicht sicher, ob das eine der obligatorischen „Sind-sie-noch-zu-haben“-Fragen war, oder ob er einfach nur neugierig war.
„Ich bin nicht verheiratet!“
„Ihr Freund?“
„Um ehrlich zu sein, gibt es im Moment niemanden“, sagte Robin. „Ich bin im Job ziemlich eingespannt und bekomme meinen Freizeitstress kaum gebacken. Ich glaube, ein Mann würde mich in den Wahnsinn treiben!“
„Außerdem könnten sie dann nicht mehr mit Richard Gere und Johnnie Depp anbandeln“, sagte Brad zwischen zwei Löffeln Suppe.
„Was?“
„Man erzählt sich auf Hollywoods Straßen, dass Richard Gere ihr heimlicher Verehrer ist und ihnen ständig Blumen ins Büro schickt!“
Robin lachte.
„Ständig? Das macht er eigentlich nur zu meinem Geburtstag. Er ist eben nett. Und verheiratet!“
„Johnnie ist Single!“
„Wir waren einmal auf dieser Filmpremiere. Ich würde also nicht mit der großen Hollywoodromanze rechnen“, sagte Robin, fand es aber bemerkenswert, dass Bradley diese Dinge wusste.
„Ich glaube, sie wären genau die Richtige für manche dieser Hollywoodschönsel“, meinte er.
Robin fragte sich, ob er noch im Delirium war. Immerhin war er der König dieser Hollywoodschnösel. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ein anderer Promi, den sie einmal interviewt hatte, erwähnte, dass er darauf bestand, im Bett „Face“ genannt zu werden, weil er so gut aussah.
„Was?“
„Naja, sie sind so bodenständig. So liebenswert. Die Frauen in Hollywood sind das nicht. Die sind alle oberflächlich. Da zählt nur, welche Gage man für den letzten Film bekommen hat, und wie groß das Anwesen in den Hollywood Hills ist. Gott, wie ich dieses Getue hasse...! Manchmal gibt es Tage, an denen ich wünschte, niemals Filmstar geworden zu sein.“
Robin wollte etwas sagen. Wollte fragen, warum er so etwas von sich gab, wo er doch der Prototyp eines Hollywoodschnösels war. Immerhin hatte er die vergangenen Tage mehr Frauen gehabt, als andere Typen in ihrem ganzen Leben und keine von ihnen hatte ausgesehen, als hätte sie wahnsinnige Charakterstärke oder Niveau zu bieten. Dann besann sie sich eines besseren. Immerhin war er fast zwei Tage bewusstlos gewesen. Vermutlich der falsche Zeitpunkt, ihn mit Fragen dieser Art zu löchern.
Brad hatte die Suppe gegessen, sich den Mund abgewischt und die Schale auf dem Tablett abgestellt.
„Die beste Suppe, die ich je gegessen habe“, sagte er und setzte sein Strahlemann-Lächeln auf, soweit das in seinem aktuellen Zustand möglich war.
„Oh, sie sind ja wirklich ein guter Schauspieler“, lächelte Robin, stand auf und hob das Tablett hoch. Für einen kurzen Moment war Brad versucht, ihren Arm festzuhalten. Er brauchte nur ihren Unterarm berühren, sie sanft zu sich herunterziehen und sie küssen. Oh ja, er hätte sie gerne geküsst. Sie war großartig. Nicht nur, weil sie ihm die Suppe gekocht und die vergangene Nacht in seinem Zimmer gewacht hatte. Sie war...sie war süß. Sie war wirklich Tinkerbell.
Während diese Gedanken durch seinen Kopf schossen, hatte sie das Tablett auch schon genommen und war zur Tür gegangen.
„Also dann, schlafen sie gut. Und fallen sie bloß nicht wieder ins Koma!“ Sie lächelte.
„Mach ich nicht. Gute Nacht, Tinkerbell!“
„Gute Nacht!“ Sie fragte sich, warum er sie ständig Tinkerbell nannte. War das vielleicht wieder einen Spitze, die sie nicht mitbekommen hatte? Hatten seine Partygäste sie so genannt, weil...ja warum? Tinkerbell war die Fee aus Peter Pan. Die war weder peinlich noch hässlich oder blöd, ganz im Gegenteil. Sie öffnete die Tür.
„Gehen sie nicht“, murmelte Brad, kaum merklich.
„Haben sie noch was gesagt?“ Robin drehte sich um.
„Nichts, ich..hab mich nur verschluckt!“
„Dann gute Nacht!“
„Gute Nacht!“
Robin schloss die Tür von draußen. Sie musste unter Wahnvorstellungen leiden. Sie hatte „bitte gehen sie nicht“ verstanden, während Bradley gehustet hatte.
Am nächsten Morgen erwachte Robin um halb neun. Sie erinnerte sich an den vergangenen Abend und mittlerweile waren die Dinge, die Brad gesagt und wie er sie angesehen hatte, längst nicht mehr so mysteriös-aufregend, wie wenige Stunden zuvor. Wenn man die Sache nüchtern betrachtete, war er einfach nett gewesen, wie jeder andere Mensch auf diesem Planeten auch nett gewesen wäre, wenn man ihm das Leben gerettet hätte. Sie sagte sich selbst, bloß nicht zuviel in seine Nettigkeiten hinein zu interpretieren. Immerhin war er Schauspieler.
Sie lief die Treppen hinunter, um ihm Frühstück zu machen. Er war erst vor wenigen Stunden aus seinem Tiefschlaf erwacht, da war es nur recht, ihm Frühstück ans Bett zu bringen. Außerdem konnte sie so vielleicht einige Infos über ihn sammeln, die sie in ihrem – immer noch nicht einmal angefangenen – Artikel verwenden konnte.
„Guten Morgen!“
Als sie in die Küche kam, wurden ihre Augen groß. Bradley stand, putzmunter, an der Kücheninsel, briet Eier und Speck und hatte bereits alles für das Frühstück am Küchentisch drapiert.
„Tinkerbell, sie sind ja schon wach! Haben sie Hunger? Ich hoffe, es ist okay, wenn wir hier in der Küche essen, das große Esszimmer finde ich etwas unpersönlich, wenn man nur zu zweit ist, finden Sie nicht auch?“
„Was machen sie hier unten?“
„Frühstück. Schonmal probiert? Das isst man, nachdem man aufgestanden ist, gibt einem Kraft für den Tag!“
„Ich weiß, was Frühstück ist“, sagte Robin und lächelte. „Ich meinte, was tun sie hier unten? Sie sollten sich ausruhen und im Bett bleiben.“
„Ich fühle mich gut. Und wenn ich noch eine Minute länger im Bett hätte bleiben müssen, wäre ich vor Langeweile ins Koma gefallen!“
„Dann hätte ich sie wohl noch einmal wiederbeleben müssen“, sagte Robin und stellte Teller auf den Tisch. Verstohlen blickte sie zu Bradley hinüber. Er sah wirklich gut aus. Er trug eine blaukarierte Pyjamahose und ein Feinrippunterhemd. Seine Haut war leicht gebräunt und darunter zeichnete sich sein trainierter Körper ab. Kein Wunder, dass die Frauen ihm zu Füßen lagen, dachte sie bei sich, während sie Orangensaft in Gläser füllte.
„Wie gefällt es ihnen bisher hier“, fragte er, als sie sich kurz darauf gegenüber am Tisch saßen und frühstückten.
„Ich hab noch nicht viel von Marthas Vineyard gesehen, ich war am Samstag auf dem Weihnachtsmarkt, der in der Innenstadt ist, und ich war ein paarmal im Wald laufen, aber sonst...!“
„Haben sie Lust, heute was zu unternehmen?“
„Was?“
„Naja, ich dachte, wir sind jetzt bereits fünf Tage hier, haben noch sechs Tage vor uns, die wir auskosten könnten. Wir könnten in die Stadt fahren und den Weihnachtsmarkt besuchen, den sie gefunden haben. Oder in die Mall zum shoppen! Außerdem dachte ich, sollten sie soviel Zeit wie möglich mit mir verbringen, weil sie doch diese Reportage schreiben müssen!“ Er grinste.
„Klingt gut“, sagte Robin. „Ich muss ungefähr noch eine Million Weihnachtsgeschenke besorgen. Für gewöhnlich tue ich das immer in dieser einen Woche vor Weihnachten – in DIESER Woche, die wir gerade haben. Ich liebe es, durch die Läden zu flanieren und Geschenke für meine Familie und meine Freunde auszusuchen.“
„Sie sind ein ziemlicher Familienmensch, nicht wahr“, warf Bradley ein.
„Eigentlich schon. Ich bin ziemlich behütet aufgewachsen, und grade Weihnachten war bei uns immer das Fest der Feste. Alle kommen zusammen, man verbringt Zeit miteinander und lernt schätzen, was wirklich wichtig ist im Leben!“
Bradley lächelte sie an.
„Süße Tinkerbell“,sagte er.
„Warum nennen sie mich eigentlich immer Tinkerbell“, fragte Robin.
„Haben sie jemals Peter Pan gesehen?“
„Natürlich!“
„Dann wissen sie ja, warum!“ Er lächelte. Für ihn war dies Erklärung genug. „Also Tinkerbell, ich würde sagen, wir ziehen uns an und treffen uns in einer halben Stunde hier unten, okay?“
Eine halbe Stunde später saßen sie in Bradleys Geländewagen und fuhren die Straße in Richtung City entlang. Robin sah all die weihnachtlich dekorierten Häuser, die Lichterketten und Santas in den Vorgarten, die in Lichterschlitten saßen die von Lichter-Rentieren gezogen wurden.
„Ihr Haus ist das einzige, das nicht dekoriert ist“, sagte Robin.
„Ich weiß. Aber ist das denn wichtig?“
„Eigentlich schon. Es gibt Straßen, die sich an Weihnachten zusammenschließen und ganze Mottodekos zaubern. Außerdem sieht ihr Haus traurig aus!“
Bradley lachte und sah dabei göttlich aus. „Es sieht traurig aus?“
„Ja, ich finde, es sieht traurig aus!“
„Es ist das imposanteste in der ganzen Straße, Tinkerbell, es sieht nicht traurig aus.“
„Im Sommer vielleicht. Aber nicht an Weihnachten. Wissen sie, was wir machen? Wir fahren in den Baumarkt und kaufen Weihnachtsbeleuchtung!“
Bradley lachte wieder auf dieselbe sexy Art, wie zuvor.
„Was wollen sie tun?“
„Weihnachtsbeleuchtung kaufen!“
„Und wer soll die anbringen? Ich hab dem Personal freigegeben!“
„Sie und ich!“
„Was?“
Robin betete, dass er endlich aufhörte, sie so sexy anzulachen. Er wirkte auf diese Art und Weise noch anziehender, als er es ohnehin schon tat.
„Sie und ich“, sagte sie.
„Sie wissen also, wie man Weihnachtsbeleuchtung anbringt?“
„Hallooohoo...nicht alle von uns haben Personal“, grinste Robin
„Hallooohoo“, grinste auch Bradley und warf ihr einen Blick von der Seite zu. Und in diesem Moment fühlte Robin das erste Mal dieses Kribbeln im Bauch.
Kurze Zeit später schoben sie einen Einkaufswagen von Home Depot vor sich her. Auf dem Weg vom Parkplatz in den Laden hatten drei Frauen Bradley erkannt und ihn um ein Autogramm oder ein Handyfoto gebeten, während sie Robin giftige Blicke zuwarfen. Um die Handyfotos zu schießen, war sie letztlich aber doch gut genug.
„Also, wir brauchen auf alle Fälle Lichterketten“, sagte Robin, als sie in der Beleuchtungsabteilung angekommen waren, in der Bradley sich fühlte wie im inneren einer Glühbirne.
„Dann kleine und große Befestigungshaken, einen großen Tacker, Verlängerungskabel, Unmengen an Verlängerungskabel. Wir brauchen einen Türkranz und Deko für die Fenster, UND: etwas für den Vorgarten!“
„Verrückte Tinkerbell“, grinste Bradley. Es gefiel ihm, in ihrer Nähe zu sein. Sie war ein aufgekratztes Energiebündel, wie sie durch die Gänge wirbelte, Dinge von den Regalen nahm und in den Einkaufswagen packte und dann zielstrebig weitermarschierte.
Während sie sich durch die Beleuchtungsabteilung schoben und den halben Laden leerkauften, wurde Bradley noch weitere viermal von Fans angesprochen und Robin wurde weitere viermal mit giftigen Blicken bedacht. Sie aßen in einer kleinen Pizzeria zu Mittag und verschoben die Weihnachtseinkäufe in der Mall auf den nächsten Tag. Robin wollte unbedingt die Weihnachtsbeleuchtung anbringen und erklärte Bradley, dass er ohnehin schon viel zu spät dran war.
„Okay, also gehen wirs an!“
Nachdem sie wieder zuhause waren und die Einkäufe ausgeladen hatten, hatte Robin sich umgezogen. Hatte sie zuvor noch einen schwarzen Bleistiftrock und einen roten Pulli getragen, so kam sie jetzt in Jeans, einem T-Shirt der Rolling Stones und Turnschuhen die Treppe herunter. Das rote Haar hatte sie zu einem hochsitzenden Pferdeschwanz zusammengebunden.
„Wollen sie das wirklich tun, Tinkerbell“, fragte Bradley, als sie die Werkzeugkiste anhob, die sie zuvor im hinteren Gartenschuppen gefunden hatte. Sie sah so sexy aus mit der alten Werkzeugkiste in der rechten Hand, dass er am liebsten über sie hergefallen wäre.
„Sicher doch. Jetzt gucken sie nicht so, als hätte ich vor, ohne Seil Bungeejumpen zu gehen“, lachte Robin. „Kommen sie schon!“
Ohne groß darüber nachzudenken, legte sie ihre linke Hand auf seinen Rücken und schob ihn Richtung Eingang.
„Gut, sie müssen nichts weiter tun, als mir die Lichterkette raufzureichen“, rief Robin, als sie auf der Leiter stand und die ersten Lampen festgetackert hatte. Bradley stand am Fuße der Leiter und sah hoch. Sie sah rattenscharf aus, wie sie in Jeans und Shirt dort oben stand, einen Hammer und den Tacker im Gürtel stecken hatte und die Beleuchtung anbrachte. Er fragte sich, ob er jemals eine Frau gesehen hatte, die ihr ähnlich war. Die ihn ähnlich anzog, wie sie es jetzt tat.
„Sie haben einen ganz schön knackigen Hintern von hier unten aus betrachtet“, rief er nach oben.
„Und sie sollten sich lieber auf die Lichterkette konzentrieren, von hier oben aus betrachtet“, rief Robin zurück. DAS musste jetzt aber flirten sein.
„Soll ich die Leiter etwas nach rechts versetzen“, rief Bradley hinauf, als er sah, dass Robin sich ziemlich weit nach rechts beugen musste, um die nächsten Lampen anzubringen.
„Nein, geht schon“, rief sie hinunter, stellte sich aufrecht auf die Stehleiter, verlagerte ihr Gewicht nach rechts, sodass die Leiter leicht kippte, drückte das linke Bein samt der linken Seite der Leiter zur Rechten und wiederholte den Vorgang mit der rechten Seite der Leiter, sodass diese am Ende des Manövers um gute eineinhalb Meter nach Rechts versetzt war.
„Sie sind unglaublich“, rief Bradley nach oben. Er hatte noch nie etwas gesehen, was ihn mehr angemacht hatte, als Robins Umgang mit dieser Leiter. Er überlegte, ob er überhaupt jemals eine Frau gekannt hatte, die eine Leiter nur hätte hinaufsteigen können, aber Robin, Robin war unglaublich. Das Manöver mit der Leiter konnte er noch weitere Male beobachten, bis die gesamte Front der Villa beleuchtet war. Mittlerweile war es dunkel geworden.
„Gehen sie mal rein und machen sie den Strom an“, rief Robin, „damit wir sehen können, ob ich alles richtig verkabelt habe!“
Bradley lief zum Eingang, drückte den Schalter, den Robin vorhin angesteckt hatte und im nächsten Moment erstrahlte das Haus in goldenem Lichterglanz.
Er lief zurück hinaus und betrachtete das Werk.
„Wow, das ist...unglaublich“, rief er.
„Hab ich ihnen doch gesagt“, lachte Robin von der Leiter herunter. Dann schwang sie das Rechte Bein über die Leiter und kletterte hinunter.
Bradley starrte hinauf wie zu einem Ölgötzen. Er stand dicht hinter ihr, als sie den Boden berührte. Als sie sich umdrehte, sah sie in seine Augen. Er war keine zwanzig Zentimeter von ihr entfernt.
„Gut gemacht, Tinkerbell“, sagte er. Die Spannung zwischen den beiden war unverkennbar.
„War mir ein Vergnügen“, sagte sie und funkelte ihn mit ihren blauen Augen an. Ihre helle Haut sah in der Dämmerung wunderschön makellos aus. Sie stieß kleine Wölkchen Atemluft aus, wenn sie sprach.
Robin fühlte, dass sie und Bradley sich gefährlich nahe gekommen waren. Sie wollte nichts anderes, als von ihm geküsst zu werden, fühlte eine Anziehung, die unbändig war, doch sie wusste, dass es dazu nicht kommen dürfte. Erst einmal wäre es unprofessionell und zweitens... Bradley sah sie immer noch an und sie wusste, dass er ähnlich dachte. Die Spannung zwischen den beiden war zum platzen.
„Hey, wollen wir jetzt die Innendeko aufstellen“, fragte sie, schlüpfte an ihm vorbei und klappte die Leiter zusammen.
Bradley starb einen kleinen Tod. Er war so kurz davor gewesen, sie zu küssen, doch offenbar hatte er zu lange gewartet und sie war unsicher geworden. Er schalt sich selbst einen Idioten. Hätte er nur früher...verdammt, er hätte sich doch nur nach vorn neigen und sie küssen müssen. Er WUSSTE, dass sie nur darauf gewartet hatte. Er blickte noch einmal zur Beleuchtung hinauf, die in hellem, warmem Licht zu ihm herunterstrahlte, sah Robin nach, die gerade um die Ecke bog, um die Leiter und das Werkzeug im Wirtschaftsraum zu verstauen und ging ihr nach.
Bradley Sterling hatte schon eine Menge in seinem Leben erlebt. Vermutlich mehr, als manch anderer sich träumen lassen würde. Er hatte jeden Kontinent der Erde besucht, hatte Barack Obama die Hand geschüttelt, den Dalai Lama getroffen, war an der chinesischen Mauer entlanggegangen und in seinem Handy waren die Nummern von Katy Perry, Angelina Jolie und Zoey Deschanel. Er war mit George Clooney und Antonio Banderas befreundet, hatte Geld bis zum umfallen und brauchte nur mit dem Finger schnippen, um die schönsten der Schönen kennen zu lernen. Dass es da einiges brauchte, um ihn nicht zu langweilen, lag auf der Hand und eigentlich hätte man meinen mögen, dass es für jemanden wie Bradley Sterling, der sich seines Status, seines Sexappeals und seines Standards bewusst war, nichts besonderes war, sein Haus weihnachtlich zu dekorieren. Doch der Abend, an dem er mit Robin die Weihnachtsdeko aufstellte, war einer der unvergesslichsten seines Lebens. Sie hatte einen Sender gefunden, der nonstop Weihnachtslieder spielte, hatte überall Kerzen angezündet und es duftete nach einem Apfel-Zimt-Gemisch, das ihm nicht mehr aus der Nase wollte und der ihn an seine Kindheit erinnerte. Gemeinsam dekorierten Sie Fensterbänke, schlangen Tannengirlanden das Treppengeländer hinauf und stellten überall kleine Schnee- und Weihnachtsmänner auf. Nach zwei Stunden war die einstmals kühle Villa das reinste Weihnachtswunderland. Erschöpft lies Bradley sich neben Robin auf die Couch fallen. Er sah sich im Wohnzimmer um, das in sanftes Kerzenlicht getaucht war.
„Schade, dass wir kein Feuerholz für den Kamin hier haben“, sagte er, „es wäre bestimmt toll, ihn anzuzünden!“
Robin grinste ihn an. „Sie wollen Kaminfeuer?“ In ihrer Hand lag ein kleines Kästchen, auf dessen Knopf sie drückte. Im nächsten Moment erwachte der Kamin zum leben. Goldenes Feuer züngelte um die Schamottsteine, die sich darin befanden.
„Es ist ein elektrischer Kamin!“ Bradley lachte und klopfte sich auf die Stirn. „Ich bin ein Idiot. Dieses Haus gehört mir seit drei Jahren und ich wusste noch nicht einmal, dass ich einen elektrischen Kamin besitze.“
„Besser zu spät als nie“, sagte Robin lächelnd und legte die Fernbedienung auf den Couchtisch. Dann sah sie ins Feuer. Bradley beobachtete sie. Das Feuer zauberte flackernde Schatten auf ihr Gesicht. Er rutschte ein Stück näher, ohne das sie es bemerkte, rutschte noch ein klein bisschen weiter nach vor, bis er direkt hinter ihr saß. Sie hatte ihr Haar mit einer Klammer hochgesteckt und ihr schlanker Hals lud zum Küssen ein. In seinem Kopf flimmerte es. Noch nie zuvor hatte er solche Panik der Zurückweisung empfunden, wenn er einer Frau nahegekommen war. Aber er musste es wagen. Er hatte heute schon einmal eine Chance verstreichen lassen. Er beugte sich nach vor, nahm ihren wunderbaren Duft war, eine Mischung aus Chanel No. 5 und ihrer ganz eigenen Körperchemie, schlang seine Arme sanft um sie und hauchte einen Kuss in ihre Halsbeuge.
„Ich wollte noch danke sagen, dafür, dass du die letzten Tage für mich da warst, und dass du mein Haus in die die Werkstatt vom Weihnachtsmann verwandelt hast!“ Er hauchte einen weiteren Kuss, diesmal direkt auf ihren Hals.
Robin war wie gelähmt. Jetzt passierte es also. Hatte sie es vorhin noch geschafft, sich zu verdrücken, so hatte er sie jetzt eiskalt erwischt. Und die Nähe zu Bradley gefiel ihr. Das kribbelige Gefühl in ihrem Bauch breitete sich weiterhin aus. Sie wusste, dass es nicht klug war, dies hier geschehen zu lassen, doch sie war zu schwach, ihm jetzt noch zu widerstehen. Sie ließ sich zurück, in seine Arme fallen, neigte den Kopf leicht nach rechts, bis ihre Lippen sich trafen. Bradleys Arme drehten sie zu sich herum und zogen sie auf sich. Er verzehrte sich nach ihrem heißen Körper, seine Hände glitten ihre Seiten hinunter, verharrten auf ihren Hüften und zogen sie auf sich. Seine Küssen wurden heißer und leidenschaftlicher. Seine Hände suchten sich ihren Weg unter ihr Shirt. Ihre Haut war samtweich, fest und trainiert. Einige ihrer Haarsträhnen hatten sich gelöst und kitzelten sein Gesicht, während sie sich küssten.
Robin war schon lange nicht mehr geküsst wurden. Sie hatte zwar hier und dort ein Date und ja, es gab auch hier und da den ein oder anderen Kuss, doch nach all dem Stress im Büro hatte sie in den vergangenen Monaten kaum Zeit für ihr Privatleben gehabt. Außerdem waren die meisten Kerle eifersüchtig, wenn sie Filmstars und Rocksänger auf deren Hotelzimmern besuchte, um sie zu interviewen. Oder sie entpuppten sich nach ein paar Wochen als Mistkerle, die Egomanen waren, sie betrogen oder an ihr herummeckerten. Bislang hatte sie sich immer gesagt, dass sie eines Tages schon den richtigen finden würde, bei dem der Blitz einschlagen würde, bei dem sie wusste, dass er der Richtige war, und je älter sie geworden war, desto weniger hatte sie damit gerechnet, dass ihr dieser "Flash" doch eines Tages noch einmal widerfahren könnte. Als Teenager hatte sie sich gedacht, bis zu ihrem dreißigsten Geburtstag verheiratet zu sein. Die große Dreißig war die Deadline fürs heiraten gewesen, immer schon. Als sie dann siebenundzwanzig und achtundzwanzig wurde, auf die neunundzwanzig zuging und noch immer niemand in Aussicht war, der sie vor den Altar führen würde, resignierte sie mehr oder weniger und schloss mit ihrem Liebesleben ab. Schob den Gedanken, dass es da draußen einen Mann geben könnte, bei dessen Kuss sie in Mark und Bein erzitterte, ab und sagte sich, dass all diese Gespinste vermutlich daher rührten, weil sie eine hoffnungslose Romantikerin war und Filmszenen und Bücher auf ihr eigenes Leben umlegte. Sie wischte den Gedanken des "sich-verliebens", des Gefühles, einfach zu WISSEN, dass es der Richtige war, beiseite. Weil es den Richtigen ja wahrscheinlich doch nicht gab. Niemals hätte sie sich träumen lassen, dass dieses Gefühl bei Bradley aufkam.
„Was machst du“, fragte Robin nach einer Weile zwischen zwei Küssen. Es schien, als hätten sie seit einer halben Stunde kein Wort mehr miteinander geredet.
„Etwas, was ich schon längst hätte tun sollen“, sagte Bradley und versuchte, ihren BH zu öffnen.
„Lass das“, sagte Robin lächelnd.
„Ich kann nicht“, grinste Bradley zurück, während seine Finger am Verschluss herumnestelten. Er fühlte die sanften Wölbungen ihrer Wirbelsäule, nahm alles von ihr so intensiv wahr.
„Doch, du kannst“, sagte Robin und setzte sich auf. Sie war leicht außer Atem, ihre helle Haut war gerötet und noch mehr Strähnen aus ihren Haaren hatten sich selbständig gemacht. Ihre trainierte Sanduhrfigur machte ihr verrückt.
„Weißt du eigentlich, wie verdammt schön du bist“, sagte Bradley, der ebenso außer Atem war, wie Robin.
„Du solltest dir eine Brille kaufen“, grinste Robin. Es war ihr unangenehm, Komplimente anzunehmen – erst recht von Bradley Sterling.
„Ich könnte dich für immer so ansehen, Tinkerbell. Du bist einfach wunderschön!“ Er zog sie wieder zu sich und küsste sie erneut.
„Wollen wir nach oben gehen“, fragte er nach einer Weile. Eigentlich hatte Robin vorgehabt, ihn zu fragen, ob sie etwas essen sollten, doch von seinen Küssen konnte sie erstens gar nicht genug bekommen, und zweitens kribbelte es so sehr in ihrem Bauch, dass sie ohnehin keinen Bissen hinunter bekommen hätte.
„Nichts lieber als das“, sagte sie.
Bradley grinste sie lüstern an.
„Doch...“, sprach sie weiter, „es wäre falsch!“
„Was?“
„Hör mal, du bist der pure Hammer, ich würde meinen rechten Arm für deine Küsse und noch mehr geben, aber...ich bin nicht der Typ, der am ersten Abend mit einem Kerl in die Kiste steigt!“
„Also strenggenommen ist es bereits der sechste Abend“, grinste Bradley.
„Du weißt, was ich meine!“
„Ach Tinkerbell, du bist eine Folterkönigin. Kannst du es tatsächlich verantworten, mich jetzt allein da hochgehen zu lassen?“
„Sieht wohl so aus!“
„Du weißt ja gar nicht, was dir entgeht“, versuchte er es noch einmal.
„Das Risiko muss ich wohl eingehen“, entgegnete Robin und machte Anstalten, aufzustehen.
Bradley hielt sie sanft am Arm fest, zog sie noch einmal zu sich herunter und küsste sie kurz.
"Okay. Wir haben alle Zeit der Welt!"
Am Morgen darauf wachte Robin wie immer um kurz nach acht auf. In den ersten Augenblicken konnte sie nicht einordnen, ob der Tag gestern tatsächlich so abgelaufen war, wie er ihr in Erinnerung war, oder ob sie sich nur einem Hirngespinst, einem Traum hingegeben hatte. Sie duschte, schlüpfte in Jeans und einen Pulli und sprang die Treppen hinunter, wo sich herausstellte, dass sie nicht geträumt hatte. Bradley stand, wie am Tag zuvor, in der Küche und bereitete wieder das Frühstück zu. Wieder trug er die blaukarierte Hose und das Shirt, das ihn so scharf aussehen ließ.
„Guten Morgen, Tinkerbell“, sagte er, als er sie entdeckte. Anders, als am Vortag legte er den Pfannenwender beiseite, mit dem er sich gerade um Pfannkuchen kümmerte, kam auf sie zu und küsste sie. Kaum, dass seine Haut die ihre berührte, breitete sich das warme Wohlgefühl in ihrem Bauch aus. Der gestählte Körper, die starken Arme, die sie hielten, Bradleys Kuss und seinen durchdringenden Augen.
„Hast du gut geschlafen?“
Es war also doch kein Traum gewesen. Das alles war tatsächlich passiert. Robin fühlte sich wie in einer verkehrten Welt. Es konnte doch nicht sein, dass jemand sich um einhundertachtzig Grad drehte. Andererseits hatte sie ihm wahrscheinlich das Leben gerettet, als war es vielleicht doch möglich...
„Ich habe sehr gut geschlafen“, sagte sie, da sie festgestellt hatte, dass sie eine Weile still gewesen war. Wie am Vortag machte sie sich daran, Teller und Gläser auf den Küchentisch zu stellen und fühlte sich kurz wie Martha Steward.
Nach dem Frühstück beschlossen sie, die Einkäufe zu erledigen, die sie am Vortag nicht mehr geschafft hatten. Wieder fuhren sie in Bradleys Wagen in die Stadt in das Einkaufszentrum, das relativ zentral gelegen jede Menge Besucher anlockte.
„Du hast noch nicht einmal einen Weihnachtsbaum“, schoss es Robin durch den Kopf, als sie über den Parkplatz des Einkaufszentrums gingen, auf dem ein Weihnachtsbaumverkäufer seine Zelte aufgeschlagen hatte. Ein riesengroßer, roter Ballonweihnachtsmann erhob sich über den mit Baustellengitter abgegrenzten Bereich, in dem sich Douglastannen und -fichten in den unterschiedlichsten Größen aneinanderreihten.
Bradley hatte sich aus Weihnachten noch nie viel gemacht. Das letzte Mal, dass er einen Weihnachtsbaum gesehen hatte, war gewesen, als er ein Teenager war und mit seinen Eltern gefeiert hatte. Er war nicht der Typ für Weihnachten. Ganz und gar nicht. Seine Lebenseinstellung, die eines Lebemannes, eines Hollywoodstars, der jede Frau haben konnte, die er wollte, passte nicht zu dieser Familienkiste, in der man gemeinsam Weihnachtsbäume aussuchte und an Heiligabend zusammen schmückte. Stattdessen verbrachte er seine Weihnachten lieber in Clubs und Bars, wo er auf seinesgleichen traf – oder auf einer Weihnachtsparty eines anderen Schauspielers, wo er in Kontakt mit Frauen kam, die sich den linken Arm abhacken würden, ihn kennen zu lernen.
Auch dieses Jahr hatte er nicht vorgehabt, einen Baum zu kaufen. Wie gesagt, es war absolut nicht sein Ding, ein „richtiges“ Weihnachtsfest zu feiern und außerdem nadelte der Baum und er konnte den Geruch von Wald in seinen vier Wänden nicht leiden. Doch...Robin wünschte sich einen. Robin war der Prototyp einer dieser Weihnachtsfanatikerinnen. Sie hatte ihm am Morgen erzählt, dass sie für gewöhnlich die Woche vor Weihnachten bei Ihrer Familie verbrachte und Geschenke einkaufte, sich auf das Fest vorbereitete. Sie hatte ihm erzählt, dass sie einen rot-grün-goldenen Pullover besaß, der goldene Schleifen und Zuckerstangen appliziert hatte, und dass sie diesen um die Weihnachtsfeiertage herum gar nicht mehr ausziehen wollte. Bradley hatte geschmunzelt, als sie davon erzählte, wie sie mit ihrer Familie Eggnogg trank, gemeinsam in die Mall fuhr und sie den Baum schmückten. Sie erzählte ihm, dass sie die Feiertage noch nie ohne ihre Familie, bestehend aus ihren Großeltern, ihren Eltern und ihren beiden Brüdern gefeiert hatte – dieses Jahr sollten auch noch die Freundinnen der Brüder hinzukommen. Und dass sie etwas geknickt war, weil sie in diesem Jahr auf all die vorweihnachtlichen Aktivitäten verzichten musste. Er hatte ihr zwar angeboten, sich nach den Feiertagen zu treffen und einstweilen einige Infos und Fragen für sie auszuarbeiten, aber sie wollte ihrem Vorgesetzten, der offenbar ein Mistkerl war, ein Schnippchen schlagen und ihm zeigen, dass sie einen guten Artikel abliefern würde, egal, ob er ihr die Feiertage dadurch ruinierte oder nicht. Sie war eine außergewöhnliche Frau.
„Du hast recht“, sagte er, nahm sie bei der Hand und zog sie nach links zum Baumhändler.
„Du willst einen Weihnachtsbaum kaufen?“ Robin schmunzelte.
„Immerhin hast du mich eben darauf hingewiesen, dass ich keinen habe.“
„Hast du denn Weihnachtsschmuck?“
„Ich habe was viel besseres!“
„So? Was denn?“
„Ich habe meinen ganz privaten, kleinen Weihnachtsengel, der mir bestimmt hilft, Weihnachtsschmuck auszusuchen!“ Er zog sie an sich, legte seinen linken Arm um sich und sie betraten den Baumhandel.
„Sir, Ma'am, kann ich ihnen helfen?“
Ein dicklicher Mann mit Vollbart und einer dicken, karierten Jacke, der Robin an einen Holzfäller erinnerte, kam auf sie zu und reichte ihnen die Hand.
„Wir sind auf der Suche nach einem Baum“, sagte Bradley, als er dem Mann die Hand schüttelte und sich umsah.
„Dann sind sie hier richtig“, lachte der Mann schallend, „ich hab den ein oder anderen Baum hier gesehen. Was für einer darf es denn sein? Tanne, Fichte?“
Ratlos sah Bradley durch die Baumreihen. Die Bäume sahen für ihn alle gleich aus. Sein Blick ruhte auf Robin.
„Also zuhause haben wir immer eine schöne, große Douglasfichte“, sagte Robin.
Bradley sah den Mann an und lächelte: „Also, wir nehmen eine Douglasfichte!“
Der Baumverkäufer sah die beiden freundlich an und führte sie nach hinten.
„Kommen sie, ich hab ein paar wirklich schöne Fichten hinten, da ist bestimmt eine passende für sie dabei!“ Er ging voraus zwischen kleinen und großen Bäumen hindurch und blieb vor einem Konvolut wunderschöner Weihnachtsbäume, alle jenseits der zwei Meter groß, stehen.
„Welcher gefällt dir am besten“, fragte Bradley Robin. Er war sich sicher, dass sie den besten Baum aussuchen würde.
„Ich...ähm...“ Robin war überrascht, dass Bradley sie so in das Aussuchen des Baumes mit einbezog. Ja, dass er überhaupt einen Baum kaufen wollte, wo er von selbst nicht auf die Idee gekommen wäre. Sie fragte sich, ob er all das nur tat, weil er sich auf irgendeine Art und Weise erkenntlich zeigen wollte, weil sie ihm mehr oder weniger das Leben gerettet hatte. Oder ob da etwas anderes war. Am vorigen Abend als sie sich geküsst hatten, da war es gewesen, als würde es eine Chemie, eine Spannung, ein Knistern zwischen ihnen geben. Robin hatte die halbe Nacht wachgelegen und nachgegrübelt, ob dieses Knistern nur in ihrer Fantasie existiert hatte, oder ob es echt gewesen war. Bradley würde ihr doch wohl nicht Gefühle vorspielen, nur weil sie getan hatte, was jeder andere auch getan hätte.
„Tinkerbell?“ Er stupste sie sanft an. „Welchen sollen wir nun nehmen?“
„Ich..“ sie trat einen Schritt nach vorne und besah sich die Bäume, einen nach dem anderen. Vor einer stattlichen Blaufichte, die hoch aufragte blieb sie stehen. Der Baum war gerade, symmetrisch und seine Nadeln leuchteten in sattem, gesundem Grün.
„Diesen hier“, sagte sie schließlich.
„Diesen hier“, sagte Bradley bestätigend zu dem Baumverkäufer.
Der Verkäufer nahm den Baum und trug ihn nach vorne, zog ihm ein Netz über und fixierte es an beiden Enden.
„Ist das ihr erstes gemeinsames Weihnachten“, fragte er, während er die Bänder zusammenband.
„Ja, das ist unser erstes gemeinsames Weihnachten“, bestätigte Bradley, sah Robin an und zwinkerte ihr zu, während er bestätigend seinen rechten Arm um sie legte und sie an sich heranzog. Ihr wurde heiß und kalt und in ihrem Bauch begann es zu kribbeln. Was hatten all diese Anspielungen zu bedeuten? Er würde doch nicht mit ihr spielen, oder? Ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass seine Worte, seine Berühungen und seine Gesten echt waren. Die Romantikerin in ihr sagte ihr, dass seine Worte, seine Berührungen und seine Gesten echt waren. Doch ihr Verstand hämmerte ihr immer wieder ein, dass er Schauspieler war. Dass er sich besser verstellen konnte, als jemand, der seine Brötchen als Buchhalter oder Taxifahrer verdiente. Ihr Verstand rief die Bilder von Bradleys Party auf, die Bilder, als sie ihn in der Küche mit der Frau erwischt hatte.
Der Baumverkäufer lachte und holte sie damit aus ihren Gedanken.
„Also, wenn ich daran denke, wie das erste Weihnachten mit meiner Frau gewesen ist, glauben sie mir, wir haben nicht viel vom eigentlichen Fest mitbekommen!“ Er klopfte Bradley freundschaftlich auf die Schulter. „Fröhliche Weihnachten“, sagte er dann.
„Vielen dank, ihnen auch“, sagte Bradley, nahm den Baum und zog ihn hinter sich her zum Wagen.
Wenig später betraten sie das Einkaufszentrum.
„Okay, wohin sollen wir zuerst“, fragte Bradley. Er war versucht, Robins Hand zu nehmen, doch er hatte keine Ahnung, ob ihr das „zu schnell“ ging. Ob sie es überhaupt wollte. Seine Einstellung Robin gegenüber hatte sich in den vergangenen achtundvierzig Stunden vollkommen verändert. Klar, als er aufgewacht war und sie ihm erzählt hatte, was passiert war, hatte er sich vorgenommen, ihr etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. War er mit dem Vorsatz nach Marthas Vineyard gekommen, ihr das Leben zur Hölle zu machen und den Artikel zu versauen, ihr gar nicht erst die Gelegenheit zu geben, überhaupt über ihn zu schreiben, so wollte er anfangs, dass sie zumindest ihren Artikel bekam. Dass sie sich näher gekommen waren, hatte sich irgendwie „ergeben“. Es war einfach passiert. Sie hatten sich gut verstanden, Zeit miteinander verbracht und auf einmal hatte es „Klick“ gemacht. Als sie sich am Vorabend geküsst hatten, hatte er gespürt, dass es ein Band zwischen ihnen gab, dass Etwas zwischen Ihnen war, was er bislang noch nie gefühlt hatte. Etwas völlig Neues, Wunderschönes. Kurz war ihm der Gedanke gekommen, ob Robin all das nur tat, weil sie einen ausgezeichneten Artikel über ihn schreiben wollte, doch er konnte Menschen gut einschätzen. Ihm war klar, dass viele der Frauen, die er kennen lernte, nicht seinetwegen hier waren, sondern wegen der Figur, die er darstellte. Klar, er sah gut aus, das wusste er. Doch er war sich sicher, dass keine seiner Bekanntschaften Interesse an ihm zeigen würde, wenn er an einer Straßenecke betteln würde. Robin war anders. Öberflächlichkeiten und Materialismus schienen nicht ihr Ding zu sein. Er glaubte, dass ihre Gefühle echt waren. Außerdem schien sie ihmnicht der Typ Frau zu sein, die einfach irgendeinen x-beliebigen Kerl küsste, auch dann – oder gerade dann nicht, wenn es sich um einen begehrten Schauspieler handelte.
„Lass uns zuerst Weihnachtsschmuck kaufen“, schlug Robin vor und zeigte auf einen Einrichtungsladen, der ihnen direkt voraus war.
„Wie sie wünschen, Ma'am“, grinste Bradley, legte seinen linken Arm auf ihren Rücken und schob sie sanft in den Laden.
„Mein Gott, ich komme mir vor, als hätte mich ein Weihnachtsmann verschluckt“, rief Bradley, als sie den Laden betraten. Dass er doch etwas lauter gesprochen hatte, hatte zur Folge, dass eine Schar Frauen auf ihn zugelaufen kamen, die ihn offenbar erkannten. Erst nach zwanzig Minuten Fotos-schießen, Autogramme-geben und schmachtend anhimmeln wurde er wieder „freigegeben“. Robin hatte sich unterdessen ins Getümmel gestürzt und Unmengen von Kugeln, Lichterketten, Girlanden, Schleifen und Engeln besorgt.
Verträumt sah Bradley zu ihr hinüber. Sie wäre die ideale Frau für ihn. Die Frauen, mit denen er bislang zusammen war, waren toteifersüchtig. Keine von ihnen hätte es einfach so hingenommen, dass er Fans Autogramme schrieb, sich mit ihnen fotografieren ließ und ja, auch hier und dort mit einer flirtete. Im Anschluss hätte er sich Schimpftiraden und Eifersuchtsszenen anhören müssen, weil er etwas tat, was sein Job einfach mit sich brachte. Natürlich musste er sich auch um seine Fans kümmern. Robin hingegen war weder sauer noch sah sie ihn böse an. Sie machte ihm keine Vorwürfe, dass er andere anbaggerte und sie alleine einkaufen musste...aber, sie war auch nicht seine Freundin.
„Hey, wieviele Bäume möchtest du denn schmücken, Tinkerbell“, lachte er, als er den Wagen voll Baumschmuck sah.
„Du wirst schon sehen, das sieht hier im Wagen viel mehr aus, als es tatsächlich ist“, lächelte Robin ihn an. "Der Baum ist immerhin riesig!"
„Du bist der Boss“, grinste Bradley.
Kurze Zeit später kamen sie mit Tüten bepackt aus dem Einrichtungsladen.
„Okay, dann sollte ich mich jetzt wohl nach ein paar Geschenken für meine Familie umsehen“, sagte Robin und ließ ihren Blick über die unterschiedlichen Läden schweifen. „Brauchst du auch irgendwas für irgendwen?“
„Eigentlich....nein“, sagte Bradley zögernd. Er wusste nicht, ob er ihr erzählen wollte, dass er die Feiertage seit Jahren allein bzw. mit leichten Mädchen verbrachte, denen er keine Geschenke zu kaufen brauchte.
Sie verbrachten fast den ganzen Tag im Einkaufszentrum. Robin kaufte Unmengen von Geschenken und Bradley war verzaubert davon, mit wieviel Liebe sie die Sachen aussuchte. Bei jedem Geschenk erzählte sie ihm, für wen es gedacht war, was derjenige mochte, warum es gerade dieses Geschenk sein sollte und wie sehr sie sich auf das Gesicht des Beschenkten freute, wenn er es auspackte. Bradleys Herz wurde für einen Augenblick schwer, als er sie so schwärmen hörte. Ihm wurde klar, dass an Heiligabend und am Weihnachtstag, wenn sie mit ihrer Familie Weihnachtsgeschenke austauschte, er ganz alleine in seiner Villa auf Marthas Vineyard sitzen würde. Er würde dieses Jahr mit Sicherheit nicht irgendwelche leichten Mädchen aufgabeln. Dazu...war zuviel passiert. Dazu spielte Robin eine zu große Rolle.
„Hey, was ist denn das da vorne“, rief Robin plötzlich und zog Bradley aufgeregt zu einr Kabine, die aussah, wie einer dieser Fotoautomaten.
Letztlich war es auch einer.
„Your Special Christmas Pics“ stand in roten und grünen Lettern, verziert mit Zuckerstangen und einem Rentier mit roter Nase auf einem großen Schild neben der Kabine.
„Offenbar kann man hier Weihnachtsbilder mit speziellem Hintergrund von sich knipsen lassen“, sagte Bradley, nachdem er die Anleitung über die Benützung der Kabine gelesen hatte.
„Los, lass uns reingehen“, sagte Robin. Im nächsten Moment zog sie ihn auch schon ins Innere.
„Ganz schön eng“, sagte Bradley grinsend, als er den Vorhang hinter sich zugezogen hatte. Es störte ihn nicht, mit Robin so auf Tuchfühlung zu sein.
„Okay, dann lass mal sehen, wie das hier funktioniert...“ Robin beugte sich nach vor und tippte den Bildschirm an, der sich direkt vor ihnen befand.
Sie spürte Bradleys Arme, die sich sanft um ihre Taille legten und sie auf sich zogen. Er saß auf dem kleinen Stuhl vor dem Bildschirm, grinste sie verschmitzt an und seine Lippen waren den ihren verdammt nahe. Sie sah in seine Augen und verlor sich darin.
„Hey“, sagte er.
„Hey“, sagte Robin und hatte völlig vergessen, dass sie eigentlich erst checken wollte, wie die Fotokabine funktionierte. Bradley kam ihr noch näher und noch näher. Im nächsten Moment spürte sie seine Lippen auf ihren. Es war wie eine Explosion, wie etwas, nach dem sie sich schon ewig gesehnt hatte. Seine Hände waren auf ihrem Rücken, ihrer Taille und gruben sich durch ihre feuerrote Mähne. Er zog sie auf sich und der Kuss wurde intensiver, heißer. Für kurze Zeit versiegte er, sie lösten ihre Lippen voneinander und lächelten sich selig an, bevor sie in einen neuerlichen, noch heißeren Kuss versanken. Nach einer Weile versiegte auch dieser Kuss. Nahezu atemlos, aber glücklich, sahen sie sich an.
„Die schärfste Fotosession, die ich jemals hatte, Tinkerbell“, grinste Bradley und küsste sie auf die Nase.
„Aus unseren Fotos ist aber wohl weniger geworden“, meinte Robin und drückte auf den Print-Knopf an der Kabine. "Zumindest können wir sie schwer als Weihnachtskarten an unsere Familien schicken!" Sie lächelte.
Wenige Sekunden später wurden vier Fotostreifen mit verschiedenen Bildern ausgeworfen. Als weihnachtliches Extra, dass die "Pics" erst so richtig "special Christmas" machten, war der Hintergrund aber nicht der blassgraue der hinteren Kabinenwand, sondern witzige Weihnachtsbilder. Einmal eine Comic-Schnelandschaft mit Schneemännern, dann ein Mistelzweig direkt über ihren Köpfen, wieder ein anderer zeigte sie im Ausschnitt einer Herzform und ein weiterer neben Rudolf, dem Rentier. Auf ausnahmslos allen Fotos küssten sie sich. Ehrliche, aufrichtige Küsse zwischen zwei Menschen, die zusammen gehörten.
„Die sind doch großartig“, sagte Bradley und zog einen Fotostreifen heraus. Er betrachtete ihn und sah sich selbst Robin küssen. Sie lachten, lagen sich in den Armen und konnten die Finger nicht voneinander lassen. Die witzigen Hintergründe, die die Fotokabine über die Bilder gelegt hatte, machte das ganze noch warmherziger. Er beschloss, diesen Fotostreifen aufzubewahren und steckte ihn in die Innenseite seiner Daunenjacke. Dann nahm er Robins Hand und sie sie liefen hinaus zum Wagen.
Als sie zurück in der Villa waren, den Weihnachtsbaum abgeladen und ihn in Wohnzimmer direkt neben dem großen Fenster aufgestellt hatten, begannen sie, ihn zu schmücken. Robin hatte sämtlichen Baumschmuck, den sie ausgesucht hatte, auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet, suchte eine Kugel nah der anderen aus und betrachtete immer wieder den Baum, so als gäbe es ein ganz bestimmtes Konzept, nachdem er geschmückt werden müsste. Er selbst hätte wahllos Schleifen, Kugeln und Girlanden an den Baum gehängt, doch Robin schien genau zu wissen, was sie tat. Nach einer Weile setzte er sich auf den Boden und sah sie an. Sie war so herzlich, so lebhaft. Die Frauen, die er sonst datete, schienen im Vergleich zu ihr leblose Schatten zu sein. Keine einzige von ihnen hätte ihn jemals so weit bekommen, einen Weihnachtsbaum zu kaufen.
„Was ist los“, fragte Robin, als sie bemerkte, dass Bradley nicht mehr beim schmücken half sondern im Schneidersitz auf dem Boden neben dem Baum saß.
„Ich seh dich wahnsinnig gerne an, Tinkerbell“, sagte er. In seinem Bauch hatte sich eine wohlige Wärme ausgebreitet. Immer, wenn er Robin ansah, stellte er fest, dass er sich wohl fühlte. Dass sie einen Teil in ihm aktivierte, den er bislang gar nicht gekannt hatte.
Robin wurde rot bei Bradleys Worten. Die Küsse in der Fotokabine hatte sie sehr genossen, doch sie haderte immer noch mit sich. Sie wusste nicht, woran sie war und wie es weitergehen würde, wenn diese eineinhalb Wochen in vier Tagen vorbei waren. Ob es überhaupt weitergehen würde. Sie hatte schon mehrmals versucht, ihre Gespräche in diese Richtung zu lenken, doch sie wagte es schließlich doch nicht, Tacheles zu reden. Etwas in ihr sagte ihr, dass sie töricht sein musste, wenn sie tatsächlich glaubte, dass es ein „Robin und Bradley“ nach diesem Aufenthalt auf Marthas Vineyard geben würde. Bradley war nicht der Typ Mann, der auf Frauen wie sie stand. Vielmehr war es naheliegend, dass er sich einfach mit der Situation arrangierte. Seiner Managerin zuliebe, dem Sparkle zuliebe, sich selbst zuliebe. Natürlich würde der Artikel über ihn viel besser ausfallen, wenn die Autorin ihm wohlgesonnen war, oder etwa nicht?
„Woran denkst du?“
Während Robin wieder einmal ihren Gedanken nachhing, war Bradley aufgestanden, hinter sie getreten, hatte ihr rotes Haar zur Seite genommen und begonnen, ihren Hals zu küssen. Sofort bildete sich eine Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper. Ihr Bauch begann zu kribbeln und als sie seine starken Hände auf ihrem Bauch spürte, die sich ihren Weg über ihren Körper bahnten, war sie nicht mehr fähig, darüber nachzudenken, was in vier Tagen war. In diesem Augenblick gab es nur sie und ihn und sie wusste, dass alles schon viel zu weit gegangen war. Dass sie am Ende vermutlich mit gebrochenen Herzen übrigbleiben würde, während Bradley sich bald noch nicht einmal mehr an ihren Namen erinnern konnte.
Die nächsten Tage verbrachten Robin und Bradley in harmonischer Zweisamkeit. Sie schliefen aus, frühstückten gemeinsam, machten Spaziergänge oder sahen fern. Sie trieben Sport im Fitnessraum oder benutzten die Wellnesoase, die die Villa beherbergte. Bei all diesen Aktivitäten unterhielten sie sich und Robin hatte mittlerweile jede Menge Material für den Artikel gesammelt. Sie war sich sicher, einen Artikel zu verfassen, an dem selbst Ronson nichts auszusetzen hatte. Sie hatte Einblick in Bradleys Innerstes, in seine Seele erhalten. Er hatte mit ihr über Dinge gesprochen, die noch in keinem seiner Interviews erwähnt wurden, wie zum Beispiel, dass er schon einmal verheiratet war, als er Anfang zwanzig war - die Ehe hielt gerade fünf Monate, und wurde aufgrund zu hoher Champagnermengen geschlossen, dass er wohl einer der modeunbewusstesten Menschen auf der Welt war und Gott für seine Styleberaterin dankte, die ihm Anfangs Fotos von verschidenen Outfits gemailt hatte, damit er wusste, was er anzuziehen hatte, wenn sie einmal nicht griffbereit war, und dass er zu seinen Anfangszeiten in Hollywood mit Drogen in Berührung gekommen war, die ihn so weit trieben, seinen Kopf im Rausch gegen eine Wand zu donnern, dass er ohnmächtig wurde und erst im Krankenhaus wieder zu sich kam. Sie beide hatten durch all die Gespräche, in denen auch Robin viel von sich preis gab, zum Beispiel, dass sie noch nie richtig verliebt war und ihren Job gerne als Ausrede heranzog, warum sie keine Beziehung hatte, sie in Wahrheit aber viel zu große Angst hatte, verletzt zu werden, und, dass sie seit ihrer Kindheit Geschichten schrieb und im Moment einen Roman verfasst hatte, den sie sich aber nicht an einen Verlag zu senden getraute, weil sie Panik davor hatte, man würde ihre schriftstellerischen Fähigkeiten in Frage stellen, eine Art Band geknüpft. Sie waren Freunde, und wenn man die Küsse in Betracht zog, viel mehr als Freunde.
Robin hatte beschlossen, Bradley zumindest zu fragen, ob er Lust hatte, mit ihr und ihrer Famile Weihnachten zu feiern. Wie er erzählt hatte, würde er die Feiertage allein auf Marthas Vineyard verbringen, vielleicht einen Film ansehen und bald ins Bett gehen. Sie hatte schon Menschen kennen gelernt, die die Feiertage auf diese Art verbrachten - Joe Ronson war zum Beispiel so einer, aber von ihm wusste sie, dass es seine eigene Entscheidung war, sich an Heiligabend abzukapseln und bis zum 27. Dezember nicht mehr aus seinem Haus auf Long Island herauszukommen. Bei Bradley lag die Sache etwas anders. Robin glaubte nicht, dass er sich freiwillig dafür entschieden hatte, die Feiertage abgeschieden und allein verbringen zu müssen. Seine Familie verbrachte Weihnachten, wie er ihr erzählt hatte, in Frankreich bei seiner Schwester. Er war zwar auch eingeladen gewesen, doch aufgrund einiger Pressetermine und eines Nachdrehs für seinen aktuellen Film sollte er bereits am 28. wieder vor der Kamera stehen. Sie war sich nicht sicher, ob er zusagen würde, aber der Gedanke, ihn über Weihnachten ganz allein in diesem riesigen Haus zu wissen, das zwar aufgrund der Weihnachtsdeko und des Baumes längst nicht mehr so kalt wirkte, wie zu Anfang, doch immer noch nicht dasselbe war, wie ein gemütliches Heim mit Freunden und der Familie, machte sie unruhig.
Um für den Fall der Fälle, nämlich das Bradley tatsächlich mit ihr und ihrer Familie Weihnachten feierte, gerüstet zu sein, schlüpfte sie am 23. Dezember in ihre dicke Jacke und ihre Stiefel. Sie hatte das perfekte Geschenk für ihn im Sinn. Als sie am Vorabend ihre Handtasche ausgeräumt hatte, waren ihr die Schnappschüsse in die Arme gefallen, die sie und Bradley in der Fotokabine in der Mall hatten machen lassen. Lange hatte sie darüber nachgedacht, ob es eine gute Idee wäre, die Fotos vergrößern und auf einer Leinwand auf einen Rahmen aufziehen zu lassen, weil die Bilder eben etwas intimes zwischen ihnen zeigte, bei dem sie nicht sicher war, ob es für ihn dasselbe bedeutete, wie für sie. Sie küssten sich, sie herzten sich, sie umarmten sich. Man konnte die Zuneigung, die sie füreinander empfanden, beinahe sehen. Und gerade deswegen entschied sie sich dafür, ihm so ein Bild zu schenken. Selbst, wenn er es nicht aufhängen, es in einer Kiste auf seinem Speicher einmotten würde, dann würde er sich, wenn er es in ferner Zukunft wieder einmal in die Hände bekam, an diese ganz besondere Zeit erinnern, die sie beide auf Marthas Vineyard verbracht hatten.
Bradley saß in dem gemütlichen Lesesessel am Fenster im Wohnzimmer und überflog das Manuskript, dass sie ihm nach langem hin und her doch gegeben hatte. Nachdem sie ihm erzählt hatte, dass sie - zwar nur für sich selbst und für Christie - Schnulzenromane schrieb, gab er keine Ruhe, bis sie ihm nicht einen zum lesen gab. Er war begeistert. Sie schrieb so enthusiastisch, wie sie vom Wesen her war. Sie beschrieb die Szenen, die Charaktere und die Geschehnisse so plastisch und real, dass er, sobald er zu lesen begonnen hatte, in ihr Buchuniversum eingebettet wurde. Er bangte mit den Protagonisten, fand sich selbst ein bisschen im männlichen Hauptcharakter und konnte das Manuskript gar nicht mehr aus der Hand legen. Ihm war klar, dass er Robin dazu überreden musste, dieses Manuskript einzusenden. Es könnte ihr Durchbruch als Autorin werden.
"Tinkerbell, willst du nochmal raus", fragte er, als er aufsah. Er musste schmunzeln, als er sie betrachtete. Sie sah süß aus mit dieser dicken Jacke und den Uggs. Er schätzte es an ihr, dass sie sich aus Äußerlichkeiten nicht viel zu machen schien und gerade deswegen so attraktiv war. Sie hatte in der Zeit, in der sie hier waren, noch kein einziges Mal Make up getragen, hatte ihre Haare nicht irgendwie aufwändig herumgesteckt oder sich darüber beklagt, dass sie nicht saßen, sondern war einfach perfekt, so wie sie war. Sie wusste vermutlich gar nicht, wie attraktiv sie eigentlich war, mit ihrem hellen Porzellanteint, dem kupferroten Haar und den blauen Augen.
"Ja, mir ist eingefallen, dass ich noch ein Geschenk vergessen hab", schwindelte sie. Das das Geschenk für ihn sein sollte, konnte sie ihm nicht auf die Nase binden.
"Soll ich dich fahren? Oder möchtest du den Wagen?" Er legte das Manuskript weg und war drauf und dran, aufzustehen.
"Nicht nötig", wehrte sie ab, ich laufe gerne das Stück. Draußen hat es gerade wieder zu schneien angefangen, es sieht richtig weihnachtlich aus.
"Ich sollte dich Mrs. Claus nennen, anstatt Tinkerbell", grinste Bradley.
"Bis später, Santa", lachte Robin, fragte sich, ob Bradley die zweideutige Anspielung überhaupt mitbekommen hatte und verschwand aus der Haustüre.
Als Robin zurückkam war es schon dunkel geworden. Die Menschenmengen, die so kurz vor Weihnachten noch Besorgungen machen mussten, waren a diesem Tag enorm gewesen. Doch dank ihres Durchhaltevermögens hatte sie bei dem kleinen Stand in der Mall, der Fotos auf T-Shirts, Kappen, Kochschürzen und unter anderem auch Leinwände druckte, Glück gehabt. Das Bild für Bradley war großartig geworden. Der Betreiber des Fotostandes hatte die einzelnen Bilder vom Streifen abgeschnitten und sie, nachdem er sie vergrößert hatte, in einem geordneten Chaos auf der Leinwand verteilt und schließlich daraufgedruckt. Robin war überwältigt, als sie das Ergebnis sah und war sich sicher, dass auch Bradley seine Freude daran haben würde. Jetzt musste sie es nur noch einpacken und verstecken.
Sie kam die Auffahrt hoch und fühlte sich kurz, als habe sie ein Deja vu. Die vielen Autos vor dem Haus, die Festbeleuchtung, das alles hatte sie doch vor wenigen Tagen schon einmal miterlebt. Hatte Bradley wieder eine seiner Parties gegeben, und vergessen, ihr davon zu erzählen? Musste er ihr überhaupte Bescheid geben, wenn er in SEINEM Haus eine Party gab? Robin hatte, wenn sie ehrlich mit sich war, nicht damit gerechnet, dass Bradley noch einmal eine Party geben würde, nach allem, was in den letzten Tagen passiert war. Ihr Blick fiel auf das in braunes Packpapier eingeschlagene Paket. Hatte sie in die letzten Tage doch zuviel hineininterpretiert? Natürlich hatte sie das. Bradley war einfach nur nett gewesen und sie hatte es mit der großen Liebe verwechselt. Es kam schließlich nicht von ungefähr, dass sie mit fast vierunddreißig Jahren immer noch als Single durch die Welt stapfte. Es würde NIE so laufen, wie sie es sich immer ausmalte. NIEMALS würde sich ein Traummann Hals über Kopf in sie verlieben, ihr einen Antrag machen und glücklich bis ans Ende ihrer Tage mit ihr zusammenleben. Und schon gar nicht Bradley Sterling. Sie hatte doch Augen im Kopf und sah, wie es bei ihren Freundinnen ablief. Keine von ihnen führte diese perfekte Traumbeziehung, von der Robin immer träumte. Aus dem Haus drang Musik und Gelächter, und erst jetzt wurde ihr bewusst, wie lächerlich sie gewesen war. Sie war in die City spaziert, hatte ein Bild für Bradley anfertigen lassen, weil sie dachte, zwischen ihnen beiden wäre etwas Besonderes. Er war ein Schauspieler, zur Hölle, und er wollte ihr danken, dass sie ihn nicht hatte verrecken lassen. Sie hatte ihm erzählt, dass sie noch nie eine Beziehung gehabt hatte, die länger als acht Wochen gedauert hatte, und sich nach einer Beziehung a la Hollywood sehnte, wo einem wahre, andauernde Liebe vorgegaukelt wurde. Sie hatte ihm davon erzählt, dass sie sich selbst auferlegt hatte, bloß keine dieser Schnulzen mehr im Fernsehen anzusehen, weil sie sich danach immer wie ein Idiot vorkam, wenn sie realisierte, dass dieses Gefühl von wahrer Liebe in Wirklichkeit wahrscheinlich gar nicht existierte. Vermutlich hatte Bradley ihr, als Gegenleistung dafür, dass sie ihn nicht hatte krepieren lassen, zeigen wollen, wie sich so eine Beziehung anfühlte. Wie es war, wenn man sich begehrt fühlte und jemandem etwas bedeutete. Er war Schauspieler, es war bestimmt ein leichtes gewesen, ihr diese paar Tage "Gefühl" zu schenken. Obendrein hatte er ihr die Möglichkeit gegeben, einen wirklich großartigen Artikel über ihn zu schreiben, was wollte sie also mehr?
Während sie auf die Eingangstüre zuschritt und die Musik immer lauter wurde, machte sich ein Kloß in ihrem Hals bemerkbar.
"Du wirst jetzt nicht heulen, du wirst jetzt nicht heulen, du wirst jetzt nicht heulen", sagte sich sich selbst. Sie blieb vor der Türe stehen und wusste, dass sie nicht hineingehen wollte. Sie erinnerte sich zurück an den ersten Abend auf Marthas Vineyard, als eine von Bradleys Frauen gedacht hatte, sie wäre seine Mutter. An den Morgen, an dem sie Bradley halbtot in seinem Bett gefunden hatte und an die vergangenen Tage, an denen er so liebevoll zu ihr gewesen war. Für einen kurzen Augenblick überlegte sie, einfach kehrt zu machen, sich ein Taxi zu rufen und abzuhauen. Egal wohin, nur weg von hier. Sie hatte ihr Portemonnaie und ihr Handy eingesteckt, mehr würde sie auch gar nicht brauchen. Die paar Klamotten, die noch auf ihrem Zimmer waren und das iPad sowie das Notebook konnte ein Kurier für Sie abholen. Sie schüttelte kurz den Kopf. Nein. Sie würde nicht feige sein und Bradley zugestehen, dass sie mehr für ihn empfunden hatte, indem sie einfach abhaute. Sie würde da reingehen, ihren Krempel packen und dann mit dem Taxi hinunter zur Anlegestelle fahren, wo die Fähre sie zu ihren Großeltern in die Hamptons bringen konnten, wo die restliche Familie schon weilte und damit rechnete, dass sie erst am nächsten Tag eintraf. Das Bild lehnte sie an die Hausmauer, wo es unter dem Dachvorsprung vor dem Schneefall, der wieder eingesetzt hatte, geschützt blieb.
Sie atmete tief durch und drehte den Türknauf. Es war wie am ersten Abend. Leicht bekleidete, oder gleich ganz nackte Frauen tummelten sich in der Eingangshalle, die Musik lief viel zu laut und überall lag Müll herum. Halbleere Gläser und Champagnerflaschen, Pizzakartons, Whiskey- und Vodkaflaschen, einige Rollen abgerolltes und zerfetztes Klopapier und noch vieles mehr, was Robin gar nicht erst identifizieren wollte. Dieses Mal wartete sich nicht eine Weile, wie am ersten Abend, und ließ das Chaos auf sie wirken. Sie bahnte sich ihren Weg durch die Menge, versuchte, niemandem ins Gesicht zu sehen und mit niemandem zusammenzustoßen. Insgeheim wünschte sie, dass sie plötzlich ein Arm an der Schulter packen und sie herumdrehen würde. Dass Bradley hinter ihr stand, sie mit seinen meerblauen Augen ansah und sie bat, nicht zu gehen. Dass er irgendeine Erklärung für diese Party hatte, und dass er ihr sagte, dass er sie liebte. Wie verrückt sie doch war. Selbst in dieser Situation kam diese dumme kleine Romantikerin in ihr zum Vorschein. In einer Situation, die für jeden anderen Menschen auf dieser Welt so klar, so vielsagend war, dass ihr jegliche Form von Romantik abgesprochen werden konnte.
Kein Arm hielt sie zurück und kein Bradley erklärte ihr, dass diese Party ein "Mißverständnis" sei. Als sie oben am Fuße der Treppe angekommen war, und sich noch einmal umsah, erblickte sie ihn, wie er mit einer Blondine beschäftigt war. In jenem Moment kam sie sich furchtbar vor. Vor noch nicht einmal vierundzwanzig Stunden war SIE in seinen Armen gelegen, hatte er sie Tinkerbell genannt und ihr das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein. Sie lief in ihr Zimmer. Mittlerweile rannen Tränen über ihre Wangen,die Sturzbächen glichen. Sie wollte nur noch weg hier, packte ihre Klamotten und den Rest ihrer Sachen in den Koffer und rief währenddessen ein Taxi. Als sie den Reißverschluss ihres Koffer zugezogen und sich vergewissert hatte, dass sie nichts im Zimmer zurückgelassen hatte, stellte sich ihr die Frage, wie sie nun wieder nach unten kommen sollte. Sie wusste nicht, ob sie unbemerkt bleiben konnte, wenn sie vollbepackt wie ein Lastenesel zwischen der Partymeute hindurchmarschierte. Als sie vorhin hier hochgekommen war, hatte sie zwar niemand bemerkt, aber sie wusste nicht, ob die Leute unten alle so mit Feiern beschäftigt waren, dass es nicht auffiel, wenn jemand, der angezogen war wie ein Eskimo, sich mit einem riesengroßen Koffer seinen Weg quer durch die Eingangshalle bahnte. Andererseits, wen kümmerte es schon, wenn sie jemand bemerkte. Ein paar blöde Kommetare hin oder her machten die Situation jetzt auch nicht mehr schlechter.
Etwas wehmütig warf sie noch einen letzten Blick auf das Zimmer, in dem sie sich recht wohl gefühlt hatte, bevor sie hinaus auf den Flur trat. In diesen Teil des Hauses hatten sich keine Gäste verirrt und der Flur war dunkel und wikte trotz des von unten heraufkommenden Lärms gemütlich, fast so, als wolle er sie zum bleiben überreden. Robin zog die Türe hinter sich zu und stapfte, immer noch in Uggs und Jacke den Flur entlang zu den Treppen. Sie kam sich kurz wie das Phantom der Oper vor, das von oben auf die Bühne sah und auf die Schauspieler hinabblickte, sehnsüchtig, dazuzugehören, und dennoch in dem Wissen, dass es nie einer von ihnen sein würde. Bradley konnte sie nicht mehr entdecken. Er hatte zuvor mit der Blondine auf einem der Loungesessel gesessen, doch jetzt waren beide nicht mehr da. Wut und Ärger über seine Dummheit stiegen in Robin hoch. Vor einer Woche hatte ihm ein Stelldichein mit einer Unbekannten fast das Leben gekostet, und jetzt war er dabei, denselben Blödsinn erneut abzuziehen. Ihm war wohl nicht zu helfen. Waren schon die "normalen" Männer verkorkst, die Robin kennenlernte, dann waren Schauspieler wohl noch ein Level darüber. Sie stieg die Treppen hinab, trug den Koffer dabei, anstatt ihn die Treppen geräuschvoll hinunterzurollen, um nicht zuviel Aufsehen zu erregen. Doch darüber machte sie sich jetzt keine Sorgen mehr. Bradley würde nicht da sein, um sie aufzuhalten. Er war "anderweitig beschäftigt". Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie am Fußende der Treppe angelangt war und ihren Koffer abstellte. Sie zog ihn hinter sich her quer durch die Eingangshalle, die zur Disco umfunktioniert worden war, ohne dass jemand auf sie aufmerksam wurde. Wieder entbrannte in ihr die Hoffnung, dass Bradley auftauchte, sie im letzten Moment aufhielt. Sie verharrte für einige Sekunden an der Tür, um dem Schicksal die Chance zu geben, alles wieder ins Lot zu bringen, doch kein Bradley tauchte hinter ihr auf. Sie öffnete die Tür und trat hinaus in die klare, kalte Winternacht, gerade in dem Moment, als ein Taxi die Auffahrt heraufgefahren kam. Ihr Blick fiel auf das Bild, dass sie für Bradley hatte anfertigen lassen. Kurz überlegte sie, ob sie es, als stille Zeugen ihrer gemeinsamen Zeit, hier stehen lassen sollte. Er würde es mit Sicherheit finden. Doch dann nahm sie es auf und trug es zum Taxi.
"Los Sterling, worauf wartest du noch", sagte Bradley zu sich selber. Er stand am Fußende seines Bettes, betrachtete die angetrunkene Blondine, die sich, nur einen Tanga tragend, auf seinen Laken räkelte und fragte sich, was ihn daran hinderte, ihr Gesellschaft zu leisten. Sie war genau von dem Typ Frau, den er bevorzugte. Superschlank, große Brüste, viel Make up, Wasserstoffblond, solariumgebräunt und willig. Doch da war etwas, was ihn davon abhielt, sich auf sie zu stürzen und all das zu tun, was Gott verboten hatte. Er fühlte sich nicht gut, aber nicht deswegen, weil er Alkohol getrunken hatte und ihm übel war, es war etwas anderes, etwas...Tiefergreifendes. Insgeheim war ihm klar, warum er keine Lust auf diese Frau in seinem Bett hatte, deren Namen er noch nicht einmal wusste.
Das alles war...einfach über ihn hereingebrochen. Er hatte vorgehabt, sich einen netten Abend mit Robin zu machen, immerhin sollte es ihr letzter sein, bevor sie morgen in die Hamptons zu ihrer Familie fuhr. Er wollte sie fragen, ob sie nach den Feiertagen zu ihm zurückkommen wolle und ob sie ihn zu Sylvester irgendwohin begleiten wollte, irgendwohin, wo nur sie beide waren. Wo sie sich näherkommen und kennenlernen konnten, fernab von Feiertagsstress und Abgabeterminen. Er wollte Robin geben, wonach sie sich sehnte, ihr zeigen, dass es diese wahre Liebe, von der sie meinte, dass sie nur in Schnulzenfilmen existierte, wirklich gab. Er erinnerte sich, wie das Telefon geklingelt und er abgenommen hatte, und wie Don Whitman dran gewesen war, ein Lebemann, der viel Geld mit Aktien gemacht hatte, und der unweit seines eigenen Anwesens eine Villa hier auf Marthas Vineyard besaß. Don beklagte sich, dass er erst heute erfahren habe, dass Bradley in der Stadt sei, und dass sie unbedingt "die Sau rauslassen" mussten. Bradley zögerte, sagte ihm, dass es nicht gut passte, um zu feiern, und dass sie sich bestimmt bald über den Weg laufen würden, doch Don ließ diese Ausrede nicht gelten und drangsalierte ihn so lange, bis Bradley schließlich einwilligte, dass Don mit "ein paar Mädls" vorbeischaute. Er nahm sich vor, sich von der Party zurückzuziehen, und mit Robin auf ihr Zimmer zu gehen, sobald diese von ihren Einkäufen zurück war. Bestimmt war sie schockiert, wenn sie zurückkam und sah, dass wieder eine Party im Gange war, doch er würde sie am Eingang abfangen, mit ihr hoch in den Kinosaal gehen, den er hatte bauen lassen und sie würden ein paar Filme gemeinsam sehen.
Als Don gegen halb fünf mit den ersten leichten Mädchen ankam und eine Flasche Champagner köpfte, sagte Bradley nicht nein und bevor er sichs versah, hatte sein alter Ego das Steuer übernommen. Er war wieder ganz der alte Partytiger, der er gewesen war, bevor Robin - Tinkerbell - in sein Leben getreten war.
Jetzt stand er hier am Fuße des Bettes, blickte auf eine verbrauchte Frau hinunter, die gut fünfzehn Jahre jünger sein musste, als Robin es war, die aber aussah, als würde sie auf die fünzig zugehen, wenn man sie genau ansah. Der neue Bradley drängte wieder an die Oberfläche und stieß den Partylöwen zurück. Was zur Hölle machte er hier eigentlich? Er hatte längst begriffen, dass er für Robin viel mehr empfand, als nur Freundschaft. Und im Moment war er gerade dabei, einen Fehler zu begehen, den er vermutlich nicht wiedergutmachen konnte.
"Los Face, komm schon, besorgs mir", säuselte die Blondine und leckte sich lasziv über die Lippen.
Ohne ein Wort zu sagen drehte Bradley um, lief aus dem Zimmer hinüber in den Ostflügel, wo Robins Zimmer lag.
"Robin?" Er klopfte, doch nichts rührte sich.
"Robin, bist du da?" Wieder nichts. Er öffnete die Tür. Das Zimmer lag im Dunkeln. Er fragte sich, ob sie schon schlief, doch aufgrund der Tatsache, dass es gerade einmal neun vorbei war, glaubte er das nicht.
"Tinkerbell?" Versuchte er es, doch niemand antwortete ihm. Er machte das Licht an und das Zimmer erhellte sich. Er trat ein und sah, dass der Schrank leergeräumt war und alle persönlichen Dinge von Robin fehlten. Er fühlte sich, als hätte man ihm einen festen Schlag in die Magengrube versetzt. Er hatte keine Möglichkeit mehr, Robin zu erklären was passiert war, weil sie gegangen war. Wie konnte es nur gekommen sein, dass er noch nicht einmal bemerkte, wie sie zurückgekommen war? Dass er nicht bemerkte, wie sie ihren Koffer gepackt und damit das Haus verlassen hatte. Sie war doch...seine Tinkerbell. Er spürte, wie Tränen aus seinen Augen seine Wangen hinunterliefen.
Robin hatte Glück. Nachdem das Taxi sie an der Anlegestelle für die Fähren abgesetzt hatte, erwischte sie gerade die, die als letztes ablegte. Andererseits hätte sie liebend gerne die sieben Stunden gewartet, bis die erste Fähre am nächsten Morgen ablegte, solange sie nicht länger in der Villa bleiben musste. Die Überfahrt sollte etwa drei Stunden dauern, sie rechnete damit, dass sie gegen Mitternacht bei ihren Großeltern in den Hamptons ankommen würde. Sie hatte ihrer Mutter eine SMS geschickt, in der sie erwähnt hatte, dass die Interviews für die Reportage schon früher beendet worden waren und sie jede Minute auskosten wollte, die sie früher zuhause sein konnte. Ihre Familie musste nichts von ihrem Tet-a-Tet mit Bradley wissen – NIEMAND musste davon wissen.
Die Fahrgastkabine der Fähre war hell erleuchtet und außer ihr waren nur zwei Männer an Bord, die wie Handwerker aussahen und sich angeregt unterhielten. aus den Lautsprechern kamen Weihnachtslieder und die Kabine war spärlich mit Tannengirlanden und einem Pappweihnachtsmann im vorderen Bereich geschmückt. Sie setzte sich auf einen der orangefarbenen Plastikstühle am Fenster und sah hinaus in die dunkle Winternacht, während dicke Schneeflocken vom Himmel ins Wasser fielen und sich mit ihm in Ewigkeit verbanden.
Als sie die Augen aufschlug, war das Zimmer hell erleuchtet. Von draußen vernahm sie ein Stimmengewirr, Geklapper mit Geschirr, aufgeregte Schritte, die am Flur auf und ab liefen und Gelächter. Sie war Zuhause. Marthas Vineyard und Bradley Sterling lagen hinter ihr. Als die Fähre gegen Mitternacht an der Montauk-Anlagestelle angelegt hatte, waren ihre Eltern im Empfangsbereich gestanden und hatten sie in die Arme geschlossen.
„Mom, Dad, was macht ihr denn hier“, fragte sie.
„Du hast doch nicht wirklich gedacht, dass wir dich mit dem Taxi fahren lassen“, sagte ihr Vater, Richard, ein groß gewachsener, dunkelhaariger Mann, dessen Schläfer bereits leicht grau meliert waren.
„Geht es dir gut, Liebling“, fragte Grace, ihre Mutter. Die füllige Frau, von der Robin ihre Haarfarbe geerbt hatte, schloss ihre Tochter noch einmal in die Arme. „Du siehst aus, als bedrückt dich etwas!“
„Überhaupt nicht, Mom, ich bin nur etwas geschafft. Es war ein langer Tag und dann noch die Überfahrt von Marthas Vineyard hier her...“
„Dann sehen wir zu, dass wir schnell nach Hause kommen“, sagte Richard und schob seine beiden Frauen sanft in Richtung Ausgang.
Als sie kurze Zeit später im Haus ihrer Großeltern angekommen waren, Robin geduscht hatte und in das Bett stieg, in dem sie als Kind so oft geschlafen hatte, und dabei immer überglücklich und unbeschwert gewesen war, dachte sie an Bradley. Sie hatte die ganze Zeit über versucht, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen, doch es war in den letzten Tagen zuviel geschehen, um ihn zu vergessen. Wieder liefen Tränen ihre Wangen hinab, als sie sein Gesicht vor sich sah. Er hatte sie längst vergessen und würde mit diser Blondine Dinge anstellen, an die sie lieber nicht denken wollte. Irgendwann später war sie in einen tiefen Schlaf gefallen, der sie - endlich - vergessen ließ.
Robin rieb sich die Augen und im ersten Moment war sie glücklich. Sie war endlich Zuhause. Zuhause bei ihrer Familie, wo alles gut war, wo sie niemand verletzte und wo sie einfach nur Weihnachten feiern konnte. Im Zimmer war es heller als sonst, was daran lag, dass es draußen wieder zu schneien begonnen hatte. Sie setzte sich auf, streckte sich und wollte die Decke zurückschlagen, als ihr mit einem Mal Bradley in den Sinn kam.
"Toll", dachte sie bei sich, "du hast es gerade zehn Sekunden vom Tag geschafft, nicht an ihn zu denken!"
Vor vierundzwanzig Stunden war sie mit ihm beim Frühstück gesessen. Er hatte sie Tinkerbell genannt und sie hatte darüber nachgegrübelt, wie sie ihn dazu überreden konnte, Weihnachten mit ihr und ihrer Familie in den Hamptons zu verbringen. Sie ließ sich wieder zurücksinken und ihre Gedanken kreisten um Bradley. Es machte keinen Sinn, darüber nachzudenken, was hätte sein können. Es war gekommen, wie es kommen musste, nachdem sie in reine Nettigkeiten mehr hineininterpretiert hatte. Bestimmt hatte er sie längst vergessen. In diesem Moment würde er mit der Blonden von gestern Nacht im Bett liegen und ihr das Hirn rausvögeln.
"Wer braucht diesen Idioten denn schon", log sie sich trotzig an und richtete sich wieder auf.
Sie kletterte aus dem Bett, schlüpfte in ihre Hausschuhe, die die Form von Plüschbernhardinern hatten, und ging hinunter in die Küche. Die ganze Familie saß bereits am Frühstückstisch, Robins Großeltern, ihre Eltern, ihre Brüder und deren Freundinnen, allesamt im Schlafanzug, wie es die Weihnachtsregeln der Garrets verlangten: Vor zehn trägt niemand Alltagskleidung, nur Schlafanzüge.
„Robin, Schatz, wie schön dass du hier bist!“ Robins Großmutter Dorothy fiel ihrer Enkelin um den Hals. „Du siehst wunderschön aus, Kind, aber viel zu dünn. Isst du denn auch genug?“
„Keine Sorge Oma, ich esse wie ein Pferd“, sagte Robin, drückte ihre Großmutter und fühlte sich etwas besser. Hier im Kreise ihrer Familie war sie geborgen. Hier würde ihr niemand das Herz brechen.
Sie setzte sich auf einen freien Stuhl, goss sich heißen Kakao in ihren rosaroten Riesenbecher ein und schaufelte etwa eine halbe Tonne Zucker nach.
„Hast du wirklich Brad Sterling getroffen“, fragte Isabel, die Freundin ihres Bruders Davey.
Robin hielt inne. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass jemand sie auf Bradley ansprechen würde. Ihre Großeltern wussten bestimmt nicht einmal, wer er war und ihre Eltern hatten zwar wahr genommen, dass sie einen Hollywoodstar interviewte, doch nachdem sie damit ihr Brot verdiente, war das nichts Besonderes und ihre Brüder wären höchstens hellhörig geworden, wenn sie anstatt Bradley Rihanna oder Katy Perry interviewt hätte. Die Freundinnen ihrer Brüder jedoch würden es bestimmt aufregend finden, sie über die Stars auszuquetschen, die sie bereits getroffen hatte.
Sie schluckte.
„Stimmt, ich habe Bradley getroffen und eine umfangreiche Reportage über ihn ausgearbeitet, „sagte sie und war überrascht darüber, wie unbefangen sie über ihn sprechen konnte. Vielleicht hatte sie selbst viel zu viel in ihre eigenen Gefühle für ihn hineininterpretiert.
„Mein Gott, du hast tatsächlich Bradley Sterling getroffen? Ihn von Angesicht zu Angesicht gesehen?“ Isabel kriegte sich kaum noch ein.
„Robin hat schon eine Menge Stars getroffen“, sagte Davey und schmierte Nussnougatcreme auf einen Donut. „Richard Gere schickt ihr immerzu Blumen!“
Isabel machte große Augen und insgeheim war Robin Davey dankbar, dass er von der Gere-Geschichte angefangen hatte.
„Er schickt mir nur zu meinem Geburstag Blumen. Eigentlich macht das seine Assistentin“, entschärfte Robin die Situation.
„Das ist egal“, meinte ihre Mutter, „er gibt es in Auftrag. Meine Tochter hat bei Richard Gere solchen Eindruck hinterlassen, dass er jedes Jahr an ihren Geburtstag denkt“ fügte sie dann, nicht ohne Stolz, hinzu.
Robin war froh, dass das Gespräch nicht mehr zurück auf Bradley gekommen war und genoss das Frühstück mit ihrer Familie. Sie erzählte Isabel und Tammy von den Prominenten, die sie getroffen hatte und von Erlebnissen mit ihnen. Natürlich auch vom Premierenbesuch mit Johnnie Depp. Sie hatte das Gefühl, dass das Weihnachtsfest trotz allem wunderschön werden würde, vor allem, nachdem sie nach dem Frühstück mit ihrer Mutter, ihrer Großmutter und den Freundinnen ihrer Brüder in die Stadt zum einkaufen wollte.
Nach einer Weile, die Familie saß gerade noch am Frühstücktisch, klingelte es.
„Ich gehe schon“, sagte Henry, Robins Großvater und stand auf. Der rüstige achtzigjährige, dem man sein Alter, genauso wie seiner Frau, nicht ansah, verließ die Küche.
„Oh, das ist möglicherweise Kelly Fisher, Robin-Schatz“, sagte Grace. „Ich habe sie gestern Nachmittag im Supermarkt getroffen, sie würde dich gerne einmal wiedersehen. Ich glaube, seit dem College habt ihr kaum voneinander gehört, richtig?“
Robin überlegte. Sie war mit Kelly gemeinsam auf der Columbia gewesen und hatte sie tatsächlich seit der Studienzeit nicht mehr gesehen.
„Kommt in etwa hin, ja“, sagte sie.
„Robin, hier ist Besuch für dich“, rief ihr Großvater.
„Siehst du, ich sagte doch, dass es Kelly sein wird“, lächelte ihre Mutter.
„Verquatsch dich aber nicht, wir wollen um zehn in die Stadt“, sagte Dorothy.
„Keine Sorge!“ Robin stand auf und verließ die Küche. Ihr Großvater kam ihr grinsend entgegen. Robin fragte sich, was ihn so erheiterte.
„Dein Besuch wartet in der Bibliothek auf dich, sagte er und ging zurück in die Küche.
Die Tür zur Bibliothek war nur angelehnt. Robin trat ein. Sie liebte diesen Raum. Schon als Kind war sie kaum hier heraus zu bekommen gewesen. Das Zimmer war – wie alle anderen im Haus, hell und freundlich, durch den Schnefall war es noch heller geworden. Alle drei Wände außer jener, die die Fensterfront beherbergte, war mit raumhohen Bücherregalen zugestellt, in der Mitte gab es einen kleinen Biedermeiertisch und zwei gemütliche Lesesessel.
Die Person, die am Fenster stand und in den Garten hinausblickte, war nicht Kelly Fisher, die schon immer klein und untersetzt gewesen war. Da stand ein Mann, sportlich, durchtrainiert, gut gekleidet. Bradley Sterling.
„Bradley?“ Robin war überrascht und bekam mit einem Mal weiche Knie.
Er drehte sich um und sah furchtbar aus. Seine Augen waren gerötet, er hatte einen Dreitagesbart und seine Haut war ungesund-fahl.
„Tinkerbell!“ Seine Stimme klang dünn und zerbrechlich, gleichzeitig aber unendlich erleichtert und glücklich. Für einige Sekunden sah er sie an, dann stürzte er auf sie zu, riss sie in seine Arme und drückte sie an sich.
„Oh Robin, es tut mir so leid, was ich getan habe“, sagte er.
Robin hob ihre Hände und legte sie auf seinen warmen, starken Rücken.
„Hey hey hey, alles in Ordnung“, sagte sie. Sie war überrascht, wie mitgenommen Bradley wirkte. War das ihretwegen? Nein, das konnte nicht sein, oder?
Bradley hielt sie immer noch fest an sie gedrückt und strich über ihren Rücken.
„Was machst du hier“, fragte Robin nach einer Weile.
„Ich...mir ist klar geworden, dass ich nicht mehr so weitermachen kann und will wie bisher. Tinkerbell, du bist vor gerade mal einer Woche in mein Leben gefegt und hast es völlig auf den Kopf gestellt. Du hast mir gezeigt, was im Leben erstrebenswert ist, und das sind mit Sicherheit nicht irgendwelche ausufernden Parties und jeden Abend eine andere Schlampe im Bett. Ich will mit dir zusammensein, Robin Garrett. Ich will mit dir Weihnachtsbäume dekorieren und Geschenke einkaufen, ich will dieses Gefühl in mir bewahren, dass DU auslöst. Das Gefühl, Zuhause zu sein. Das Gefühl, vollständig zu sein!“
Er griff in seine Hosentasche und holte ein kleines Kästchen hervor.
„Ich weiß, es ist noch nicht Weihnachten, aber ich habe hier was für dich. Ich habe einen Juwelier in Providence um vier Uhr früh aus den Federn geholt, weil ich es unbedingt haben wollte. Es sagt genau das aus, was ich für dich empfinde!“
Er reichte ihr das Kästchen und sie öffnete es vorsichtig. Darin zum Vorschein kamen zwei filigrane Kettchen, die beide je eine Hälfte des Yin-Yang-Symbols als Anhänger hatten.
„Einzeln sind es nur Anhänger“, sagte Bradley, während er eine der beiden Ketten herausnahm, hinter Robin trat und sie ihr anlegte, „aber zusammen ergeben sie ein Ganzes. So wie du und ich. Wie...wir beide!“ Er küsste ihren Nacken.
EPILOG
Wie jedes Jahr lag Marthas Vineyard unter einer dicken Schneedecke still und idyllisch da. Die Häuser der Westcover Avenue waren wie immer hell erleuchtet und auch das der Sterlings stand den anderen in diesem Jahr um nichts nach.
Drinnen gab es ebenso viel Deko wie im Vorgarten und an der Fassade. Einen großen Weihnachtsbaum, Weihnachtsmänner, die auf Kaminsimsen und Fensterbänken saßen, Tannengirlanden, die sich um die Treppengeländer schlangen und goldene Sterne, die überall im Haus verteilt waren.
Es war still in der großen Villa. Das Personal hatte wie immer über die Weihnachtsfeiertage frei und die Sterlings selbst würden an diesem Tage – am Heiligen Abend – ebenfalls abreisen.
Bradley lag eine Weile wach und sah Robin beim schlafen zu. Wie so oft konnte er sein Glück gar nicht fassen. Seine Tinkerbell hatte ihm das Leben gerettet. Nicht nur damals, als sie ihn bewusstlos im Schlafzimmer gefunden hatte, sondern auch im übertragenen Sinne. Recht lange hätten all die exzessiven Partys weder sein Privat- noch sein Berufsleben überdauert. Wäre Tinkerbell nicht gewesen, wäre er vermutlich mittlerweile ein abgehalfterter, abgestürzter Schauspieler, dessen bestes Engangement es war, in der nächsten Staffel des Duschelcamps mitzuspielen.
Robin schlug ihre Augen auf.
"Guten Morgen Tinkerbell", sagte Bradley zärtlich.
„Du siehst mir schon wieder beim Schlafen zu“, grinste sie.
„Das tue ich, Mrs. Sterling!“
„Als er „Mrs. Sterling“ sagte, glitten die Finger ihrer rechten Hand automatisch an den Ehering, den sie seit August an ihrem Ringfinger trug. Sie liebte es, verheiratet zu sein. Sie liebte es, mit Bradley verheiratet zu sein.
„Aber jetzt, da du wach bist“, begann er, zog sie auf sich und sah sie mit seinen meerblauen Augen an, „können wir uns ja anderen Dingen widmen, bevor wir in die Hamptons aufbrechen!“
Sie versanken in einen langen, leidenschaftlichen Kuss, wie er nur zwischen Menschen möglich ist, die füreinander geschaffen sind.
Draußen hatte es wieder angefangen zu schneien. Die Welt machte sich bereit, Weihnachten zu feiern. Die stille, feierliche, warme Atmosphäre, die jedes Weihnachten mit sich brachte, legte sich langsam über die Welt, hüllte sie mit Frieden, Liebe und Wärme ein, wie die Schneedecke, die sanft vom Himmel rieselte.
Texte: Alle Copyright-Rechte dieses Textes liegen bei Daniela Felbermayr
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Tag der Veröffentlichung: 05.12.2012
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