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von der liebe bleibt



keine sehnsucht
nur luft die ich berühre
und dieses foto
das schwarzweisse
du weißt schon

: du im bett
nackt
eine zigarette zwischen den fingern

du lachst und siehst mich an
als wäre ich da
und nicht hier mit allem
was verschwunden ist
und vergessen hat
mich mitzunehmen

während ich immer weiter
deine schritte zähle schritte
die mich stets verlassen
ohne je leiser zu werden
verse



ich machte sie aus den dingen die mich umgaben
machte sie aus all dem unerzählten
raum und der treppe die in den oberen stock führt
dem holzschrank der truhe und dem esstisch
den dunklen und hellen trauben in der schale
dem zigarettenstummel im aschenbecher
und dem schachbrett mit den weissen und schwarzen
figuren einer abgebrochenen partie
einem bild von butjatha an der wand
dem leise schnarchenden dackel auf dem teppich
und dem apfelbaum vorm fenster und der sonne

ich dachte an das kind im bauch meiner freundin
und dann dachte ich daran dass mir immer die worte
fehlen werden um mehr daraus zu machen
als dieses fast nichts das die ränder von so vielem berührt was es zu sagen gäbe

still sass ich da und betrachtete sie
verse
sonst nichts

untröstlich



sie ist allein auf der welt
sagt die zerrissenheit
die wie ein altes fischernetz
ihre traurigen augen umfängt

und nicht das weinen
nur die tränen
lassen sich noch
mit dem handrücken
wegwischen



opas blues



sitze immer hier am fenster
jeden tag und auch die nacht
sitz im stillen hier und schaue
was die strassenecke macht

autos fahren rum und menschen
tauchen auf und schwinden hin
nur die ecke flieht nicht ständig
aus dem auge aus dem sinn

sitze immer hier am fenster
jeden tag und auch die nacht
schaue wie es ein und aus geht
aus und ein – atme ich sacht



in der schreibstube



wovon der bleistift
angespitzt
träumt

fragt
im stillen

ein leeres
und weiss/es

schon bei der ersten berührung



eine erfundene geschichte



vor sich hintastend
in die ereignislosigkeit
seines gestern
fand er nichts
in seinem gedächtnis
was auch nur entfernt
auf ein verbrechen deutete

trotzdem dauerten
die verhöre an
im kalten harten licht
das ihn blendete
immer wechselnde stimmen
immer dieselben fragen

und er wollte sich wirklich erinnern
aber da war nichts

bis er in einer nacht schrie

: wo ist mein leben?

am nächsten morgen
legte er ein geständnis ab
und zum ersten mal
schwiegen die stimmen
die sonst nie schwiegen

während er ungläubig
der geschichte zuhörte
die er da erzählte



blinde junge frau mit geige



letzte nacht traf herr freitag (zufällig)
auf einer strasse in seinem traum
eine schwarz gekleidete blinde
junge frau mit geige
die ganz in ihrem lied zu wandeln schien
als sie an ihm vorbeiging
sagte er im letzten moment zu ihr
dass er sie gerne einmal nackt sähe

sie lächelte mit geröteten wangen
schüttelte ihren kopf so leise
dass lauter töne aus ihrem haar fielen
und antwortete

: sie wissen doch wenn sie erwachen
bin ich weg

da erwachte herr freitag aber
die blinde junge frau war nicht weg
sondern lag nackt in seinem bett
an ihrer seite schlief die geige und

herr freitag wäre sehr erregt gewesen
wäre er nicht in diesem moment
da die frau ihre augen öffnete
sang- und klanglos
verschwunden



beim treppe hochsteigen



beim plötzlichen stechen
in der herzgegend
still
schrecklich wie ein grossbrand
murmelt der grossvater
beim treppe hochsteigen

: wie wurde bloss aus dem kind
das ich einmal war
dieser uralte mann?

und stufe um stufe steigt er höher dann
als könne er eine tür noch erreichen



ansprache des kapitäns



am himmel ticken die sterne
dieselben wie immer
die segel sind gebläht
die stille an bord
übermächtig –
der kapitän hat den kompass gegen eine uhr getauscht
und seit tagen schon schaut er versunken auf sie

bis er irgendwann endlich aufblickt
und mitten in den text hinein
spricht der kapitän dann
: hier spricht der kapitän

die an deck versammelte mannschaft
umklammert instinktiv die reling
die männer fürchten sich
ohne zu wissen wovor
als der kapitän verkündet
mit verheissungsvoller stimme
: es ist jetzt genau
zwei uhr dreiundzwanzig
am sechsten juli zweitausendundacht –
männer, so weit sind wir bis jetzt noch nie gekommen

mit einem hurra der männer
die vor erleichterung die arme hochreissen
endet die ansprache des kapitäns
indem er befiehlt
: musik!

und der kapellmeister hebt seinen stock
und das schiff gleitet weiter durch die nacht
auf gleichbleibendem kurs



an die ferne



du weißt es gibt ein entkommen
für dich
wirds immer ein entkommen geben

stets bist du dir voraus
deine flucht holt niemand ein

selbst wenn du näher kommst
vielleicht schon ganz nah bist

du wirst nichts erreichen
du weißt es wird nicht reichen

wenn du dich einholst
wenn du dich berührst



das kleine schwarze auge des fisches



auf dem ladentisch
liegt ein toter fisch

sein kleines auge starrt mich an
schrecklich schwarz so schwarz

als berühre es
ein loch im weltall



letzte schritte



im kopf reste von uns
in den müll gekippt
erinnerungen
ins vergessen
bellen die hunde
eines streunens
ohne zähne
bissen wir uns
in tage die traumlos
begannen und endeten
so verlassen
selbst die einsamkeit
verliess uns liess uns zurück
auf dem sofa im tv-licht
um ihr gewicht leichter
als auf anderen reisen
ist heute mein koffer

Impressum

Texte: GEDICHTE Copyright 2008 - Marc Hermann
Tag der Veröffentlichung: 22.12.2008

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