„ Wie lange ist es her, dass ein Mann Ihnen ein Kompliment gemacht hat? Zu lange, genau! Haben sie Sprüche satt wie: Die frisst wie ein Schwein, kein Wunder das DIE single ist! Natürlich haben sie so etwas satt und ich sage Ihnen noch was: Dick ist gesund, dick ist schön und dick ist erotisch! Die Sonne lässt sich wieder blicken, tun sie aber auch selber was für ihre Frühlingsgefühle! 0800/153153: Die Nummer für alle, die sich schwer verlieben wollen!“
Diese Worte waren gerade erst verhallt und ich fragte mich: Hatte dieser Radiomoderator einen Clown gefrühstückt oder war er doch betrunken? Eine Loveline für dicke Frauen mit dem Beziehungsstatus: Verheiratet mit meiner Chipstüte oder verliebt in die Faulheit. Ich war genauso eine Frau. Meine Konfektionsgröße befand sich irgendwo jenseits der vierziger und meine Lebensfreude im Keller, ganz zu schweigen von Frühlingsgefühlen. Gedankenverloren ging ich die eben genannte Nummer im Kopf noch einmal durch und notierte sie auf einem Zettel. Ich fand das ganze eigentlich lächerlich, versprach mir nichts davon, aber was hatte ich dicke Frau schon zu verlieren?
Der lila Jogginganzug, der vor 2 Jahren noch perfekt gepasst hatte, spannte jetzt an den Oberschenkeln, über meinem mächtigen Po und auch der Bauch wurde erheblich in seiner Freiheit eingeschränkt. Ich hatte tatsächlich angerufen. Und ja, ich hatte auch jemanden kennengelernt. Paul, ein nach seinen Angaben ebenfalls kräftig gebauter Mitvierziger, hatte sich am anderen Ende der Leitung gemeldet. Charmant war er gewesen, kinderlos, Nichtraucher, Fleischesser, sowieso ein Genießer-dieser Mann schien in irgendeiner Weise zu mir zu passen. Das erste Date war schnell ausgemacht- Jogging im Stadtpark stand auf dem Programm. Während ich verunsichert an meiner Coladose nippte und verzweifelt versuchte die Luft anzuhalten, wurde mir die Verrücktheit meines Vorhabens erst richtig klar: Zwei sich fremde Dicke würden gleich ausgerechnet Sport zusammen treiben, dabei eklig schwitzen und alle friedlichen Spaziergänger anekeln-Na Bravo! Ich fühlte mich unwohl, nervös und sah aus wie die Wurst in ihrer Pelle-aber es war zu spät für einen Rückzieher.
„Komm schon Specki, beweg deinen Hintern!“ Ein Luftzug neben meinem Ohr riss mich aus meinen Gedanken. Wer hatte da gerade gesprochen? Als ich meinen Blick nach vorne richtete, sah ich schon weit von mir entfernt einen Rollstuhlfahrer. Nein, der konnte es nicht gewesen sein, der konnte schließlich selber nicht laufen. „Bist du festgefroren oder was?“ Biltzschnell hatte sich der Rollifahrer in der Ferne gewendet, ich sah sein Gesicht. War das Paul? Nach den Beschreibungen musste er es sein, erwähnt das er nicht laufen konnte hatte er aber nicht. In der Hoffnung, man würde mir meine Überraschung nicht zu sehr ansehen, setzte ich mich wie automatisch in Bewegung. Erst langsam, dann immer schneller kam meine Körpermasse in Wallung. Das Tempo, welches Paul vorlegte, erlaubte es mir nicht auch nur ein Wort über die Lippen zu bringen. Mein plötzlicher Gedanke ´Man, sind die dick man !` bezog sich nicht auf mein hüpfendes Dekoltee, sondern auf die Oberarme von dem Kontitonswunder vor mir. Nach wiederholtem, langem pusten und schnaufen in Pauls Nacken blieb er endlich stehen. Ich konnte durchatmen. Während er ganz entspannt und ausgeglichen da saß, produzierte mein Körper so viel Flüssigeit, dass unter mir eigentlich ein See, nein ein Meer hätte entstehen müssen. Super, die Dicke hatte sich vor einem Behinderten blamiert.
"Bewegung an der frischen Luft, das macht mich immer so richtig glücklich!" Ein verschmitztes Grinsen umspielte Pauls Lippen, der mich in diesem Moment auf der Parkbank zusammenbrechen sah. " Gesa, du siehst gerade wirklich aus wie ein dicker, gestrandeter Seehund." Nach diesem Satz hörte ich es zum ersten Mal: Sein Lachen. Es war ein freies, ein offenes Lachen, dass meiner Meinung nach nur von Leuten kommen konnte, die ganz und gar mit sich zufrieden waren. Aber war er das, trotz der Gehbehinderug? Schwer vorstellbar, weil ich mich wegen meiner Pfunde schon fühle wie ein überflüssiges Menschenwesen. Ich konnte nicht anders als auch aus vollem Halse zu lachen. In meinem prusten erwiderte ich: " Ja, wie ein Walross wohl eher, und du siehst aus wie Meister Proper auf Rädern!" Gleich nachdem diese Worte aus meinem Mund geglitten waren, bereute ich sie. Meister Proper auf Rädern? Plumper ging es nicht. Wie ein verängstigtes Reh sah ich in seine Augen. Blau wie das Meer, so rein, klar, glänzend, gleichzeitig aufgewühlt, hypnotisierend. " Du bist mir jetzt schon sympatisch, was Humor angeht liegen wir voll auf einer Wellenlänge! Und wenn du dich für etwas schämst, siehst du fast ein bisschen süß aus." Paul zwinkerte mir zu, dann wieder dieses Lachen. Erleichterung durchfuhr mich und gleichzeitig bewunderte ich den offensichtlich nicht nur körperlich starken Mann vor mir. So lebendig wie in diesem Moment hatte ich mich lange nichtmehr gefühlt.
"Eins musst du mir jetzt aber mal verraten, warum trifft man einen Mann wie dich bei einer Singlebörse für dicke Frauen?" Endlich war die Frage raus, die mich seit dem ersten Blick in sein fast perfektes Gesicht quälte. Kurz war er irritiert, hielt inne. Dann sagte er seelenruhig folgene Worte: " Naja, ich kann nicht gehen und du hast dreißig Kilo zu viel, zwei aus einer Randgruppe, ich dachte das ergänzt sich ganz gut." Nun war ich es die keine Worte fand. "Gesa, was soll diese Verunsicherung? Wir sind doch beide normale Menschen, tolle Menschen. Wenn du mit dir unzufrieden bist kannst du abnehmen, ich habe mich mit meinem Schicksal arrangiert. Diese Welt ist viel zu schön, um sich selber leid zutun. Atme doch nur einmal tief ein, riechst du den Frühling?" Ja, ja ich konnte ihn wieder riechen. Es war als hätten mir die Fressorgien, der Geschmack nach Pizza, Pommes,Schokolade den Sinn für das Schöne im Leben genommen. Ich konnte endlich wieder die Blumen riechen, den leichten Wind in meinen Haaren spüren. Tränen liefen über mein aufgequollenes Gesicht." Schönstes Walross in den Meeren, würdest du vom Meister Proper auf Rädern ein Gänseblümchen und eine weitere Einladung zum joggen annehmen?" Pauls Blick war unwiederstehlich, mein Herz fing an zu klopfen. "Sehr gerne!" antwortete ich leise.
Noch ein paar Zahlen: 1 Jahr später, gefühlte 500 Runden im Stadtpark mehr, 25 kg weniger, 2 Liebende = mindestens noch 50 Jahre glückliche Lebenszeit.
Tag der Veröffentlichung: 22.04.2013
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Für meine Schwester, die hoffentlich bald wieder ein Weg zu sich selber findet.
Ich liebe dich.