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Kapitel 1. Der Auftrag der Redaktion

Mit dem unklaren Wunsch, etwas zu schreiben, setzte ich mich zu Hause an meinen Computer und öffnete eine neue Datei. Nach einer Weile ertappte ich mich dabei, wie ich durch das Fenster auf einen hohen, dichten Busch starrte, der im Garten wuchs.

Es schien, dass meine Aufmerksamkeit von der Geschäftigkeit und dem Gezwitscher eines Spatzenschwarms angezogen wurde, der sich dort allabendlich versammelte. Alle Spatzen, die im Busch saßen, zwitscherten gleichzeitig. Wie sie einander hörten, mit wem und worüber sie sich unterhielten - blieb mir ein Rätsel. Genau so wie der Auftrag der Redaktion des Blieskasteler Verlages: „etwas Lebendiges, Emotionales, noch dazu mit einem spannenden Sujet zu schreiben!“ Außerdem sollte die Handlung in Deutschland spielen - in einem Land, in dem die Menschen ihre Gefühle nicht leben, wo es nicht üblich ist, jeden Tag glühende Leidenschaft zu zeigen ...

Es stellt sich die Frage: Wozu? Wozu sollte jemand ein solches Buch brauchen?

 

Ursprünglich schlug ich dem Verlag vor, einen Roman über die Liebe einer jungen Frau zu einem reifen Mann, der seit vielen Jahren als Einsiedler in seinem Haus lebt, zu schreiben. Aus Gründen, die nur er kennt, vermeidet er jeden Kontakt, nicht nur zu Fremden, sondern auch zu seinen Verwandten. Die Aufmerksamkeit und Fürsorge der neuen Nachbarin, die sich mit ihrem Sohn in der Nähe niedergelassen hat, hilft ihm jedoch, allmählich zum normalen Leben zurückzukehren, obwohl der Mann zu Beginn ihrer Bekanntschaft ihr gegenüber offene Feindseligkeit zeigt.

Ich war mir sicher, dass ich dieses Thema gut entwickeln konnte, denn nach mehreren, nicht ganz erfolgreichen Versuchen, eine Beziehung aufzubauen, war ich mit Gefühlsausbrüchen gut vertraut. Mein Vorschlag erschien den Verlegern jedoch nicht interessant genug, da die Handlung des Romans, obwohl sie die emotionale Seite der Liebe anschnitt, immer noch nicht den Rahmen einer üblichen Provinzstadt sprengte.

Der für die Zusammenarbeit mit den Autoren zuständige Redakteur Christoph Brunner, der die Veröffentlichung meiner ersten beiden Bücher betreut hatte, stimmte dann einem realistischen Liebesroman zu, jedoch nur unter bestimmten Bedingungen.

Erstens sollte sich in ihm die aktive Lebensposition der Helden und ihr Wunsch, mit vollem Einsatz für ihr Glück zu kämpfen, klar erkennen lassen. Zweitens sollte er das Schicksal der Menschen wahrheitsgemäß widerspiegeln, damit die Leser das Geschehen als real empfinden. Und drittens sollte sich die Handlung globaler entwickeln, um die Interessen einer breiteren Leserschaft abzudecken.

Mit anderen Worten, der Verlag hatte wenig Interesse an banalen, romantischen Geschichten mit einem Standard-Set an Szenen und einem märchenhaften und vorhersehbarem Ende. So in der Art: sie trafen sich – sie verliebten sich ineinander – sie wurden vom bösen Schicksal getrennt – haben sich dann wiedergefunden und sind für immer zusammengeblieben. Mit solchen Büchern waren die Regale der Buchhandlungen ohnehin schon gefüllt. Es ging darum, etwas Besonderes zu kreieren, etwas, bei dem man Herzschmerz spürt, das den Leser schon mit den ersten Zeilen in den rasanten Lauf der Ereignisse zieht.

„Du musst dir eine solche Handlung einfallen lassen, dass man nicht nur über das Buch, sondern auch über den Verlag selbst spricht!“; legte mir Christoph bei einem unserer morgendlichen Treffen nahe. „Andernfalls wird der Verlag sein Geld nicht investieren.“

„Und die Handlung des Romans muss unbedingt in Deutschland spielen?“, wollte ich wissen.

„Ja, über Deutschland wird nicht so viel geschrieben, deshalb wollen wir diese Lücke füllen“, antwortete er. Und dann fragte er mich wie zufällig, ob solche Bedingungen der Zusammenarbeit mir nicht Angst machten.

Worauf ich leichtfertig mit „Nein“ antwortete. Und dann fügte ich hinzu, dass die Bedingungen der Zusammenarbeit mich nicht nur nicht erschreckten, sondern sogar faszinierten. Und ich es kaum erwarten kann, so schnell wie möglich an die Arbeit zu gehen. Und ich werde alles tun, damit genau die Art von Roman aus meiner Feder kommt, die sie benötigen: emotional, lebensecht, dem Zeitgeist entsprechend, mit ungewöhnlichen Charakteren und schwierigen Lebenssituationen. Zusammenfassend kann man sagen, dass es unmöglich sein wird, nicht darüber zu sprechen!

Nachdem ich den Autorenvertrag unterschrieben hatte, war ich einige Zeit regelrecht euphorisch und stellte mir vor, wie ich während einer Buchmesse Autogramme gebe und Blumensträuße erhalte ...

Interviews ... Lesetour durch das Land ... Treffen mit Lesern ... Leere Träume einer angehenden Schriftstellerin. Und wie sah es heute aus? Bisher hatte ich noch nicht einmal ein Sujet.

Plötzlich flog ein Schwarm Spatzen aus dem Gebüsch auf und zerstreute sich in alle Winde. Ich schaute wieder auf den Computermonitor. Es schien, als wären gleichzeitig mit den Spatzen auch meine rosigen Träume davongeflogen. Die vor mir geöffnete Datei hatte ihr Aussehen nicht verändert:

„Roman. Teil Eins“ und nichts weiter...

Kapitel 2. Die Qualen der Kreativität

 

Einen ganzen Monat lang begann ich, verschiedene Sujets zu schreiben, aber keines davon hat mir gefallen. Genauer gesagt waren die Ideen nicht schlecht, entsprachen aber nicht ganz den Anforderungen des Verlages.

Die freudige Euphorie wurde von Zweifeln abgelöst, die Träume aber – von Grübeleien. Einen Monat später begann ich, mich für die Leichtfertigkeit, mit der ich diese Arbeit aufgenommen hatte, zu rügen. Ich hätte, bevor ich einen so wichtigen Vertrag unterzeichnete, sorgfältig überlegen und meine Fähigkeiten realistisch einschätzen müssen. Auf jeden Fall nichts überstürzen! Und jetzt blieb immer weniger Zeit zum Nachdenken. Sie schmolz jeden Tag auf verräterische Weise dahin und das Ende der Frist für die Einreichung des Manuskriptentwurfs näherte sich gnadenlos.

Interessant ist, dass dies für mich nicht der erste Vertrag mit diesem Verlag war. Während meines Studiums hatte ich dort meine zwei Sammlungen mit Novellen und Erzählungen veröffentlicht. Die Bücher wurden von den Kritikern gut aufgenommen, was möglicherweise den Verlag veranlasste, weiter mit mir zusammen zu arbeiten. Nur hatte ich noch nie auf Bestellung geschrieben und fühlte mich daher erneut als Literatur-Debütantin.

 

Während meines Studiums an der Universität in Saarbrücken schrieb ich hauptsächlich Werke, deren Handlungen ich aus meiner eigenen Erfahrung und der mich umgebenden Realität schöpfte. Aber jetzt, wo ich mehr Zeit hatte, wollte ich mich mit etwas Ernsthafterem befassen, zum Beispiel mit dem Genre des modernen Liebesromanes. Aber das war nur meine Präferenz. Wenn der Verlag auf einem bestimmten Genre bestehen würde, würde ich mich nicht weigern, mich auch darin auszuprobieren. Mir wäre jedes Projekt recht, da ich Bücher seit meiner Kindheit liebte.

Nach der Veröffentlichung meiner zwei Sammlungen mit Novellen und Erzählungen lud mich der Bürgermeister unseres Städtchens in das Rathaus ein und verlieh mir eine Ehrenurkunde für meinen bedeutenden Beitrag zur Entwicklung regionaler Literatur. Drei Monate später, unmittelbar nach meinem Universitätsabschluss, wurde ich eingeladen, in einer privaten Schreibschule in Blieskastel Kurse für angehende Schriftsteller zu geben. Ich betrachtete diese Arbeit als Lottogewinn, da sie verkörperte, wovon eine Philologie-Absolventin nur träumen konnte.

Trotz meiner bescheidenen Erfolge auf dem Gebiet der Literatur war ich für die Schüler eine lokale Berühmtheit oder zumindest eine Person, über die schon mehrmals in der Presse berichtet wurde. So oder so - meine Klassen waren immer voll, und dies gab den Ausschlag, mich weiterhin mit Schreiben zu beschäftigen.

 

Bevor ich mein erstes Buch veröffentlichte, kam es mir so vor, als würde mich das Leben in Blieskastel ausbremsen. Soweit ich mich erinnern kann, habe ich immer betrübt darüber, dass ich nicht in Berlin oder einer anderen größeren Stadt geboren wurde, was bei meinen Freunden Befremden hervorrief. Viele haben nicht verstanden, warum es mir hier nicht gefiel. Ja, die regionale Infrastruktur ließ zu wünschen übrig, aber wir hatten immer die Möglichkeit, irgendwo im Zentrum auszugehen. Außerdem geht man ja nicht jeden Tag ins Theater, und zum Shopping fuhren wir am Wochenende oft nach Saarbrücken.

Und obwohl ich all diese Argumente mit meinem Verstand begreifen konnte und ihnen teilweise zustimmte, wollte mein Herz verräterisch mehr!

 

Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich das Gefühl, dass mich eine unsichtbare Mauer vom Rest der Welt trennt. Von der bunten Welt, über die ich in Büchern gelesen hatte und die in Filmen gezeigt wurde. Sie hatte wenig Ähnlichkeit mit meiner realen Welt, und deshalb träumte ich davon, Zauberflügel zu finden, die mich dorthin tragen könnten.

Und literarisches Schaffen wurde zu meinen Flügeln! Vielleicht habe ich deshalb angefangen zu schreiben, weil ich mehr vom Leben wollte. Und auf dem Papier war alles möglich!

 

Nachdem ich begonnen hatte zu schreiben, wurde das Gefühl, von der Welt abgeschieden zu sein, schwächer. Das Leben in Blieskastel hat aufgehört, mich so sehr zu belasten, und ich habe in ihm sogar einige Vorteile entdeckt.

Hätte ich in einer großen Stadt gelebt, hätte niemand die Veröffentlichung meiner ersten Bücher bemerkt. Sie wären unter zehntausenden anderen Werken, die Jahr für Jahr die Reihen der Buchneuheiten füllen, verloren gegangen. Die renommierten Verlage hätten meinen Erzählungen wohl kaum Beachtung geschenkt, da dieses Genre noch nie zu den populärsten gehörte. Und niemand hätte daraus ein Ereignis gemacht ... Mit anderen Worten: ich hatte als Anfängerin viel Glück!

 

Mein erfolgreiches literarisches Debüt verdankte ich einem Mitarbeiter unseres lokalen Verlages, Christoph Brunner, der nicht nur mein schriftstellerisches Talent erkennen konnte, sondern mir auch half, an mich selbst zu glauben.

Nachdem er das Manuskript meines ersten Buches erhalten hatte, warf er es nicht (wie es mitunter passiert!) in den Müll, sondern fand die Zeit, sich damit vertraut zu machen. Und er war es, der den Blieskasteler Verlag überzeugte, eine eigene Sparte für Regionalliteratur zu begründen, um lokale Talente zu fördern.

Christoph war der Meinung, dass sich ihre gesamte Verlagstätigkeit ansonsten nur auf das Nachdrucken fremder, unpersönlicher Texte beschränken würde. Das Hauptziel der Verlagsarbeit sah er in der Entdeckung neuer Namen, die zu Beginn ihres Weges weniger finanzielle als vielmehr moralische und technische Unterstützung benötigten.

So wurde ich dank seiner Bemühungen zu einer Debütantin regionaler Literatur, und in Blieskastel erkannten mich viele auf der Straße. Es war ein echtes Märchen, das nur halt zu enge Grenzen besaß. Und diese Grenzen ließen mir keine Ruhe, da ich wusste, dass hinter ihnen - Märchen nicht existierten! Hinter ihnen beginnt ein ganz gewöhnliches Leben, in dem mich niemand als Schriftstellerin kennt.

Und ich wollte so gern aus dieser begrenzten Welt ausbrechen und allen beweisen, dass ich diesen Weg nicht zufällig gewählt habe!

 

 

 

 

Kapitel 3. Auf zu neuen Horizonten

 

Die Arbeit als Dozentin an der Schule des Schreibens konnte meinen Wunsch, neue Horizonte zu entdecken, nicht voll befriedigen. Einerseits mochte ich sie sehr, da sie mir erlaubte, das zu tun, was ich liebte, andererseits band sie mich fest an Blieskastel.

Zunehmend begann ich darüber nachzudenken, ob es nicht Zeit für mich wäre, das gewohnte Flachwasser zu verlassen und ein neues, interessantes Leben an einem anderen Ort zu beginnen. Ich konnte mich nur noch nicht entscheiden, wo genau, also hoffte ich, dass mir das Leben selbst bald schon einen Hinweis geben würde.

Wie viele andere Schriftsteller lockte mich das Unbekannte, deshalb  betrachtete ich den Beginn meines Schreibens an einem neuen, seriösen Roman als ersten Schritt in mein anderes, interessanteres Leben. Wer irgendwann einmal etwas Neues angepackt hat, der weiß, dass es nicht einfach ist. Es ist nicht so einfach, sich umzustellen, wenn man jahrelang in die andere Richtung gegangen ist.

 

Eine weitere Woche verging ergebnislos. Ich wurde nervös. Die Sujets, die mir nach wie vor in den Sinn kamen, schienen mir nicht interessant genug zu sein. Es fehlte ihnen definitiv an Größe und Dramatik, aber ich wusste nicht, woher ich sie nehmen sollte. Außerdem musste ich im Rahmen der Realität bleiben, da ich mir voll bewusst war, wie viele Schicksalsschläge ein gewöhnlicher Mensch ertragen kann.

Zusammengefasst kann man sagen, dass so viel von diesem Roman abhing, aber ich mich ihm immer noch nicht nähern konnte ...

 

Aus dem Internet erfuhr ich, dass in Leipzig bald eine große Buchmesse stattfinden wird, auf der die besten literarischen Neuheiten aus aller Welt präsentiert werden. Berühmte Schriftsteller und Blogger, die von Verlagen als Ehrengäste eingeladen wurden, werden dort offene Pressekonferenzen und Treffen mit Lesern abhalten.

Auch wenn es sich seltsam anhört, ich war noch nie in Leipzig auf einer Messe gewesen. Jedes Mal wurde die Reise aus irgendeinem Grund auf das nächste Jahr verschoben. Als mir klar wurde, dass mich diesmal nichts davon abhält, dorthin zu fahren, beschloss ich sofort, ein Hotelzimmer für eine Nacht zu buchen. Länger in Leipzig zu bleiben konnte ich mir nicht leisten, da die Preise für Hotelzimmer während der Messe dreimal so hoch waren.

Ich beschloss, mit dem Flugzeug von Frankfurt am Main zur Messe zu reisen, da der Flug nur etwa eine Stunde in Anspruch nimmt und die Fahrt mit der Bahn inklusive Umsteigen mehr als vier Stunden gedauert hätte. Und obwohl mich die Zugfahrt aus wirtschaftlichen Gründen mehr anzog, entschied ich mich, nachdem ich in den Nachrichten über mögliche Streiks bei der Bahn hörte, nichts zu riskieren und wählte das Flugzeug.

 

In den nächsten zwei Wochen dachte ich nur über die Messe nach. Ich konnte es kaum erwarten, mich in dieses freudige Getümmel zu stürzen, in dem außer Büchern alles andere in den Hintergrund tritt. Ich träumte davon, weltberühmten Schriftstellern zu begegnen: ihren Auftritten zuzuhören, zu beobachten, wie sie sich in der Öffentlichkeit präsentieren, wie sie mit Journalisten kommunizieren. Vielleicht würde es mir sogar gelingen, mich an ein Mikrofon durchzudrängeln und einem von ihnen die Frage zu stellen, die mich schon lange quält:

„Was braucht es, um ein interessantes Romansujet zu schreiben?“

Ich hatte umfangreiche theoretische Kenntnisse, aber ein praktischer Rat würden mir nicht schaden. Außerdem war ich mir sicher, dass das Problem der Sujetwahl nicht nur mir allein bekannt war.

 

Man kann sagen, dass die Reise nach Leipzig mich nicht nur in literarischer Hinsicht erfreut hat. Ich hatte noch einen geheimen Wunsch. Ich wollte mich wenigstens für ein paar Stunden in eine Großstadtbewohnerin verwandeln. Die breiten Straßen entlang laufen. Den Puls der Stadt wahrnehmen, ihre Schwingungen ... Fühlen, dass im Leben mehr möglich ist ...

Ich war noch nie in Ostdeutschland und nannte meine Reise deshalb scherzhaft „Entdeckung neuer Länder“. Und um meinen ersten Eindruck von Leipzig nicht zu verderben, habe ich nicht im Internet nach Fotos gegoogelt.

 

 

Kapitel 4. Flughafen

Zum Flughafen in Frankfurt am Main bin ich ziemlich schnell gekommen. An diesem Tag war auf der Autobahn nicht so viel los wie gewöhnlich. Zufrieden mit dem angenehmen Zusammenspiel der Umstände fuhr ich in das Flughafenparkhaus und begann, nach einem freien Parkplatz zu suchen.

Aus einem Gespräch mit einer Freundin erinnerte ich mich daran, dass sich in der ersten Parkzone spezielle Frauenparkplätze befinden sollten und ich fuhr direkt dorthin. Diese Parkplätze gibt es erst seit kurzem und ich wollte sehen, was es mit ihnen auf sich hat.

Die Frauenparkplätze erkannte ich sofort, denn ihre Wände waren in leuchtendem Pink gestrichen worden. Diese grelle Farbe verwirrte mich ein wenig, aber ich hatte keine Idee, wie man das ändern könnte.

Ich fuhr näher an die Schranke heran, ließ das Seitenfenster bis zur die Hälfte herunter und spähte in die Parkbox. Trotz der pinkfarbenen Wände waren die meisten Stellplätze von PS-starken, aggressiven Autos beeindruckender Größe besetzt. Und nur an einigen Stellen, als würden sie sich dort zusammenkauern, standen Kleinwagen, bei denen man nach Farbe und Größe davon ausgehen konnte, dass sie von Frauen gefahren wurden.

 

Plötzlich erschien auf dem Parkdeck ein ziemlich gutgenährter Mann mittleren Alters in einem leicht zerknitterten Geschäftsanzug. Hinter sich her zog er einen kleinen, gut gefüllten Trolley, dem ein Rad fehlte. Der Trolley verdrehte sich immer wieder zur Seite, was den Besitzer sehr ärgerte.

Für eine Sekunde neben meinem Auto innehaltend sagte der Fremde, wie zufällig, laut: „Mit welchem Recht bekommen Frauen solche Privilegien? Worin seid ihr besser als Männer?“ - und offensichtlich zufrieden mit seinen eigenen Worten, ging er weiter.

Es machte den Eindruck, dass er das Vorhandensein von Frauenparkplätzen als schreckliche Ungerechtigkeit sich selbst gegenüber betrachtete. Seine Verachtung für die pinkfarbenen Wände der Parkbox zum Ausdruck bringend verzog er auf dem gesamten Weg zu seinem Auto demonstrativ das Gesicht.

Er war jedoch nicht in der Lage, die Tür lässig zuzuschlagen. Sein blauer BMW der Oberklasse war zwischen der Mauer und einem noch größerem Land Rover eingeklemmt. Um auf den Fahrersitz zu gelangen, musste sich der Mann buchstäblich durch die angelehnte Tür ins Auto schlängeln. Er konnte den Parkplatz auch nicht schnell verlassen. Aufgrund der riesigen Größe des Monsters, das neben ihm stand, musste er sich zentimeterweise rausrangieren, was er ruckartig tat, weil er scheinbar aufgrund der Situation total die Nerven verlor.

Als der Mann weggefahren war, besetzte ich sofort den freien Platz. Für meinen kleinen Peugeot war er einfach königlich!

 

Nachdem ich mein Gepäck aufgegeben und die Sicherheitskontrolle vor dem Flug durchlaufen hatte, ging ich in den Warteraum. Von den Passagieren meines Fluges war noch niemand da, deshalb war dieser Raum ziemlich leer. Aus Angst, wegen möglicher Verkehrsstaus den Abflug zu verpassen, hatte ich das Haus sehr früh verlassen und musste nun etwa zwei Stunden die Qual des Wartens auf mich nehmen.

Um keine Zeit zu verlieren, holte ich das Notebook aus meiner Tasche und begann, meine Gedanken über den Vorfall, der sich gerade auf dem Parkplatz abgespielt hatte, aufzuschreiben. Trotz seiner Bedeutungslosigkeit spiegelte er anschaulich die Meinung einiger Männer zu Frauenparkplätzen wieder.

 

Die Zeit verging. Während ich die Szene zu Ende schrieb, war der Warteraum bereits bis zur Hälfte gefüllt. Plötzlich vernahm ich zu meiner Rechten Kinderheulen und ich drehte unwillkürlich meinen Kopf in seine Richtung. Da weinte ein kleiner Junge, dessen Mutter ihm die Spielzeugpistole weggenommen hatte, weil er mit ihr auf den Kopf seines jüngeren Bruders einschlug. Der Bruder jedoch, der sich für eine klügere Taktik entschieden hatte, jammerte nicht laut, sondern blickte nur finster drein, fuhr mit seiner Hand über die verletzte Stelle und warf sich in die Arme seiner Mutter. Eine Minute später spielte er mit der Pistole, und der Unterlegene, aus voller Kehle schluchzend, forderte die Waffe zurück.

Im Warteraum stellten jedoch nicht nur Kinder ihre Forderungen.

 

An der Kaffeemaschine putzte ein wohlbeleibter Mann in einem grauen Business-Anzug, höchstwahrscheinlich ein Geschäftsmann, den völlig perplexen Flughafenangestellten lautstark wegen fehlender Pappbecher herunter. In einiger Entfernung von ihm - zwei Teenager-Mädchen, die versuchten, die Aufmerksamkeit einiger in der Nähe stehender Jungen auf sich zu ziehen, indem sie ihre Unzufriedenheit über das ausliegende Sortiment an kostenlosen Presseerzeugnissen absichtlich sehr laut äußerten.

„Nur ein paar blöde Zeitungen!“, sagte die eine zur anderen und verdrehte die Augen. „Wer liest die denn überhaupt? Wie laaangweilig!“

„Na dieselben, die sie auch schreiben ... oder alle möglichen Langweiler ...“, antwortete die andere und beide brachen in Gelächter aus.

Dann blickten die Mädels zu den Jungs und da von ihnen nicht die erwünschte Reaktion kam, fuhren sie fort.

„Nun, wenigstens ein Modemagazin für uns beide hätte man auslegen können“, begann eines der Mädchen. „Oder zur Not Comics“, schnaubte das andere. „Ohne Bilder werde ich in fünf Minuten eingeschlafen sein! Dann muss man mich auf Händen ins Flugzeug tragen!“

Eine Minute später, ohne etwas Interessantes entdeckt zu haben, entfernten sich die Mädchen von der Zeitungsauslage und setzten sich zwei Plätze entfernt von mir auf die Sitze. Sie schalteten Musik auf einem Smartphone ein, teilten den Kopfhörer miteinander und begannen, mit den Füßen baumelnd, die Musik zu hören.

 

Als ich beobachtete, was im Wartezimmer geschah, kam ich völlig unverhofft für mich selbst zu dem Schluss, dass sich um mich herum nur unzufriedene Menschen befanden. Wie typisch für Deutschland! Hier ist jeder schon so an einen hohen Lebensstandard gewöhnt, dass jede, auch noch so geringe Abweichung vom üblichen Standard die Menschen auf die Palme bringt. Und nicht nur Erwachsene, sondern auch Jugendliche!

So saß ich da, gut gelaunt, und freute mich auf meine bevorstehende Reise und die Teilnahme an der Messe. Plötzlich war aus dem Wartebereich wieder männliches Gekeife zu hören. Ich sah von meinem Laptop auf und schaute zu der Seite, von wo die Stimmen kamen.

Es war derselbe Geschäftsmann im grauen Anzug. Er regte sich wieder auf, nur jetzt über die Kaffeemaschine. Trotz der Tatsache, dass ihm Einwegbecher gebracht wurden, erwiesen sich diese als nutzlos, da eine Minute später die Maschine selbst außer Betrieb ging. Solche Respektlosigkeit gegenüber seiner Person konnte der Mann nicht ertragen. Sein Gesicht lief vor Wut rot an und ließ ihn wie eine frisch überbrühte Tomate aussehen, der gerade die Haut abgezogen worden war.

Nachdem er einige Zeit vor dem kaputten Kaffeeautomaten hin- und hergegangen war und sich davon überzeugt hatte, dass er wohl nicht so schnell repariert werden würde, ging er zur Zeitungsauslage und begann nervös, die Presseerzeugnisse durchzusehen.

Er nahm jede Zeitung in die Hand, überflog mehrere große Schlagzeilen und, missmutig den Kopf schüttelnd, legte er die Zeitung dann zurück. Obwohl es richtiger wäre zu sagen, dass er die Zeitung zurück warf, während er für aller Ohren spitze Bemerkungen machte.

„‚Kampf der Parteien. Wer wird gewinnen?‘“, las er laut vor und kommentierte es sofort: „Dummes Zeug, egal wer auch immer gewinnt, davon wird sich nichts ändern! Alle essen aus derselben Schüssel!“

„‚Ölreserven reichen nicht mehr lange!‘ Ha! Kann man etwa alle unterirdischen Ölvorkommen genau messen?“ Er verzog das Gesicht. „Die Menschen werden mit unbegründeten Behauptungen eingeschüchtert. Wenn alles wirklich so schlecht wäre, würden die Tankstellen schon lange kein Benzin mehr verkaufen!“

Mit diesen Worten fuchtelte er wütend mit der Zeitung in der Luft herum, warf sie ins Fach zurück und griff sofort nach einer neuen.

„‚Kaffee kann der Gesundheit schaden!‘ Hat der Flughafen etwa für diese Anti-Werbung bezahlt?“, fluchte er laut heraus und legte die Zeitung zurück. „Und was macht diese ‚Boulevardpresse‘ hier!!?“, wandte er sich wieder an das nicht existierende Publikum. „Schaut euch dieses widerliche Zeug an!“ Er stieß mit dem Finger auf eine Zeitung. „Ich will sie nicht einmal in die Hand nehmen. Solche Verlage müssen sofort geschlossen werden!“

Nachdem er den letzten Satz ausgesprochen hatte, errötete der Mann noch mehr. Sein Gesicht nahm innerhalb von Sekunden einen weinroten Farbton an.

‚So ist es nicht weit bis zum Herzinfarkt!‘, dachte ich und konnte den Grund für seine Wut nicht wirklich verstehen. ‚Wenn man so auf jede Kleinigkeit reagiert – kann das nicht gesund sein!‘

Die Mädchen, die zuvor Musik gehört hatten, begannen zu kichern. Das unangemessene Verhalten des Geschäftsmannes amüsierte sie sichtlich, was ich über mich selbst nicht sagen konnte. Nach seinem dritten Kommentar zu den Zeitungsartikeln fühlte ich, wie meine gute Laune allmählich verschwand und einer unangenehmen Nervosität Platz machte. Und dieses neue Gefühl hat mich sehr beunruhigt, weil ich nicht in einer solchen Stimmung zur Messe fliegen wollte.

„Was denkst du, welche Zeitung wird er letztendlich wählen?“, wandte sich das Mädchen, das näher zu mir saß, an ihre Freundin und deutete mit einem Kopfnicken auf den Geschäftsmann.

„Die ‚Frankfurter Allgemeine‘, weil sie sehr dick ist“, antwortete diese ohne zu zögern. „Außerdem liest mein Vater sie auch.“

„Und ich denke, diese da, die etwas tiefer liegt. Meiner Meinung nach ist sie noch dicker. Gleich sehen wir es. Wetten wir um eine Dose Cola. Wer verliert, holt sie aus dem Automaten.“

Die Mädchen wurden still und beobachteten schweigend den Geschäftsmann. Ich schloss mich im Stillen ihrer Argumentation an, da auch ich neugierig war, wie das alles enden würde.

Der Annahme der Mädchen, dass solche Typen „dicke“ Zeitungen mögen, konnte ich nur zustimmen. Aus eigener Erfahrung könnte ich dieser Liste „dicke“ Autos, „dicke“ Brieftaschen, „dicke“ Brillen und „dicke“ Verträge hinzufügen, aber ich wollte sie nicht daran hindern, eigenständig die Welt zu entdecken.

Der Geschäftsmann drehte die „Frankfurter Allgemeine“ in den Händen, steckte sie in die Laptoptasche und ging schnell zu einem freien Stuhl in unsere Richtung. Dabei war sein Gesicht jedoch so von Leid gezeichnet, als hätte er gerade die Diagnose einer unheilbaren Krankheit erhalten.

„Bingo! Ich habe es erraten!“, rief das Mädchen, das vorhergesagt hatte, dass der Geschäftsmann diese bestimmte Zeitung auswählen würde.

„Ja, du hast es erraten“, antwortete die andere trocken, sichtlich enttäuscht darüber, dass ihre Freundin Recht hatte, und sie jetzt eine Cola holen musste.

Der Mann ließ sich währenddessen schwerfällig auf einen Sitz fallen, wischte sich mit einem ordentlich gefalteten, graukarierten Taschentuch den Schweiß von der Stirn und begann, mit übereinander gekreuzten Beinen, die Zeitung durchzuschauen. Gleichzeitig durchblätterte er die Seiten so verbissen, dass die Passagiere neben ihm schräge Blicke auf ihn warfen.

Nach weniger als fünf Minuten stand er wieder in der Nähe der Zeitungsauslage. Diesmal griff er nach der „Verlierer-Zeitung“, worauf das Mädchen, das mir am nächsten saß, freudig in die Hände klatschte. Höchstwahrscheinlich bedeutete diese Geste, dass sie jetzt keine Cola mehr holen musste, da das Objekt ihres Streits am Ende beide Zeitungen auswählte.

Zurückweichend traf der Geschäftsmann erneut auf den Flughafenangestellten, bei dem er sich zuvor über das Fehlen von Pappbechern beschwert hatte. Der Angestellte, der einen erneuten Wutausbruch des Passagiers befürchtete, machte sich ganz klein und beeilte sich, den Raum zu verlassen. Dabei hat er versucht, sich äußerst beschäftigt zu zeigen.

Da hatte er sich aber verrechnet. Der Geschäftsmann rief ihm mit lauter Stimme nach:

„Moment mal! Bei Ihnen in der Auslage liegen gelesene Zeitungen! Sind Sie auf dem Laufenden?“

Der Flughafenangestellte blieb stehen und drehte vorsichtig den Kopf zu dem Passagier, den er bereits kannte, und blinzelte unnatürlich schnell.

„Hier, hier! Schauen Sie es sich an! Gelesene Zeitungen!“, regte sich der Geschäftsmann weiter auf und fuchtelte mit seiner Zeitung herum. „Wie kann das sein? Bieten Sie sie etwa mehrmals an!?

Der Angestellte, der nicht ganz verstand, was man von ihm wollte, breitete verwirrt die Hände aus.

„Sehen Sie her, sehen Sie her! Diese ist sogar innen ganz zerknittert! Jemand hat sie schon vor mir gelesen!“, ließ der Passagier nicht locker. „Nicht nur das, ich spüre Sand an meinen Händen, was bedeutet, dass sie bereits auf dem Boden lag! Wie ist das möglich!? Das ist schrecklich! Eine echte Verspottung der Passagiere!“, empörte er sich weiter. „Nehmen Sie sie weg! Ich werde das so nicht lassen! Ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzen beschweren!“

Die „zerknitterte“ Zeitung in die Hände des verwirrten Flughafenangestellten legend, kehrte er mit dem stolzen Blick eines erfolgreichen Anwalts an seinen Platz zurück. Nachdem er sich gesetzt hatte, holte er erneut ein Taschentuch heraus und wischte sich, nun schon mit dem Gefühl einer erfüllten Pflicht, mehrmals den Schweiß von Gesicht und Hals. Aber es half nicht. Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass der Kragen seines Hemdes völlig nass war. Der Mann schwitzte weiter, auch als er auf dem Stuhl saß.

‚Jaaa‘, dachte ich. ‚Er hat definitiv einige Probleme bei der Arbeit oder in seinem Privatleben. Eine solch übermäßige Reaktion auf kleinere Unannehmlichkeiten spricht genau dafür. Irgendwo habe ich gelesen, dass die Ursache für unangemessenes menschliches Verhalten schmerzhafter Ehrgeiz sein kann, der wiederum das Ergebnis einer tiefen Unzufriedenheit mit dem Leben ist. Vielleicht ist diese Person zutiefst unglücklich! Ach, wenn man ihm davon hätte erzählen können ...‘

 

Inzwischen versammelten sich immer mehr Passagiere, die nach Leipzig fliegen wollten. Und obwohl die Uhr auf der Anzeigetafel zeigte, dass es nur noch wenige Minuten bis zum Check-In waren, stand immer noch kein Personal am Schalter. Im Wartebereich begann man ängstlich zu flüstern.

Schließlich trat der Flughafenangestellte, der heute mehrmals unter den hitzigen Ausfällen des Geschäftsmannes zu leiden hatte, ans Mikrofon. Und mit einem sarkastischen Lächeln im Gesicht sagte er:

„Der Check-In für den Flug von Frankfurt am Main nach Leipzig verzögert sich aus technischen Gründen um 45 Minuten.“

Er wiederholte diesen Satz noch zweimal auf Deutsch und Englisch, genoss dabei jedes Wort und ließ den Geschäftsmann nicht aus den Augen. Von außen betrachtet schien es mir sogar, dass er Gefallen daran fand, die Verspätung des Fluges zu verkünden, da er sich sicher war, dass er seinen Peiniger damit ärgern konnte.

Und tatsächlich. Als der Geschäftsmann von der Verspätung des Fluges hörte, zerknüllte er mit einer Hand die Zeitung, die auf dem Sitz neben ihm lag. Heute war eindeutig nicht sein Tag ...

 

Kapitel 5. Ein Fremder

Die Verspätung des Fluges verärgerte mich auch ein wenig, aber nicht genug, um in Verzweiflung zu geraten. Außerdem hat das Notebook meine Lage spürbar verbessert, da ich mir Notizen machen konnte, ohne Zeit zu verschwenden.

Plötzlich richtete sich meine Aufmerksamkeit auf männliche Beine, die in ungewöhnlich farbigen Schuhen an mir vorbeikamen. Als die gleichen Beine aus entgegengesetzter Richtung wieder an mir vorbeigingen, hob ich unwillkürlich den Blick zu ihrem Besitzer.

Ein Mann von ungefähr sechzig Jahren war der Besitzer dieser kunstvollen Schuhe im ausgefallenen, sportlichen Stil. Sie hatten die Farbe einer Meereswelle mit rotbraunen Ledereinsätzen an den Seiten und orangefarbenen Fersenlederteilen, die weit nach oben gebogen waren.

Der Fremde schien sich nicht setzen zu wollen, denn er ging ununterbrochen im Wartebereich hin und her und seufzte dabei in regelmäßigen Abständen laut. Dann blieb er mir gegenüber stehen, zog ein Handy aus der Hemdtasche, überflog die Nachrichten und steckte es mit einem genervten „Hm.“ wieder ein.

‚Noch einer, der mit dem Leben unzufrieden ist,‘ dachte ich. ‚Und fliegt auch nach Leipzig. Nun, da versammelt sich ja eine muntere Truppe!‘

Für eine Sekunde kreuzten sich unsere Blicke. Aber anscheinend war das lang genug, da der Fremde sich schlagartig in meine Richtung bewegte und sich, ohne um Erlaubnis zu bitten, auf den leeren Platz neben mir fallen ließ. Meine Tasche, die vorher dort gelegen hatte, legte er schweigend auf meinen Schoß.

Die Mädchen, die in meiner Reihe saßen, verstummten sofort, starrten mich schweigend an und warteten auf einen Ausbruch der Unzufriedenheit – nur jetzt von meiner Seite. Ich zuckte jedoch nur mit den Schultern und zeigte ihnen, dass ich mich darüber nicht aufregen werde. Außerdem gab es im Wartessaal immer weniger freie Plätze, so dass ich früher oder später sowieso etwas rücken musste.

„Ich werde nie wieder etwas Gutes für Frauen tun!“, sagte der Fremde, als er sich auf den Nachbarplatz setzte. „Sie haben es nicht verdient!“

Zufrieden mit seiner provokanten Bemerkung verschränkte er die Arme vor der Brust, schlug die Beine übereinander und lehnte sich gemächlich auf seinem Stuhl zurück.

Ohne den Blick von der bearbeiteten Datei abzuwenden, fragte ich automatisch: „Warum?“

Darauf hatte er nur gewartet.

Natürlich hatte er auf eine Nachfrage gewartet, sonst hätte er einfach kein Gespräch begonnen. Vielleicht hatte er sogar ein paar unangenehme Worte an seine Adresse erwartet, oder Empörung meinerseits, aber ich beschloss, äußerst höflich zu bleiben.

‚Man weiß nie, was solche Typen im Sinn haben! Mit ihnen lässt man sich besser nicht auf Polemik ein!‘

„Frauen haben mein gesamtes Leben ruiniert!“, antwortete der Fremde etwas zögerlich und sah gleichgültig an die Decke. „Alle, ohne Ausnahme... Und sie ruinieren es immer noch ...“

„Gab es denn viele davon?“, kam eine seltsame Frage über meine Lippen.

„Zur Genüge.“

„Und wie viele sind ‚zur Genüge‘?“ Ich drehte den Kopf in Richtung meines Gesprächspartners und versuchte, sein mürrisches Gesicht zu erkennen.

„Ich habe nicht gezählt, aber viele“, antwortete er und sein Gesicht leuchtete von einem zufriedenen Grinsen auf.

‚Ist es wirklich so?‘, zweifelte ich es an. ‚Vielleicht gibt er seine Wünsche als Realität aus, um in meinen Augen wie Don Juan zu wirken. Aber wozu? Warum sollte er sich so einen Anschein geben, wenn seine gesamte äußere Erscheinung etwas anderes sagt?‘

Im Gesicht befanden sich ungepflegte Stoppeln, durch die hindurch auf der linken Wange eine mit der Zeit verheilende Narbe zum Vorschein kam. Das graue Haar war zerzaust, unter den Augen dunkle Ringe und im Oberkiefer schimmerte auf der rechten Seite eine Metallkrone.

‚Das soll ein Don Juan sein? Da möchte man am liebsten fortlaufen ... und zwar so weit wie möglich!‘

Und seine Kleidung! Sie schrie regelrecht heraus, welche Widersprüche in seiner Seele tobten!

Blaue, schäbige, altmodische Jeans, ein billiges, blau kariertes Hemd und eine dunkelblaue Weste von einem Business-Anzug passten so gar nicht zu seinen extravaganten Schuhen. Ich war jedoch geneigt zu glauben, dass der Mann seinen Kleidungsstil nicht zufällig gewählt hatte.

 

Im Unterricht diskutierten die Schüler und ich oft über die Kleidung der Protagonisten, da es durch diese möglich war, den Figuren bestimmte Charaktereigenschaften zu verleihen. Deshalb habe ich auch jetzt genau darüber nachgedacht:

‚Was versucht dieser Mann mit seiner Kleidung auszudrücken? Was sagt uns dieser unsagbare Mangel an Stil?‘

Einerseits war es ihm offensichtlich egal, welchen Eindruck er auf andere machte. Dies signalisierten seine billigen, abgetragenen Klamotten, die andere Menschen schon längst in die Kleiderspende gegeben hätten. Andererseits kaufte er sich exklusive Designer-Stücke wie zum Beispiel diese Schuhe, auf die ein flüchtiger Blick genügte, um festzustellen: Sie kosteten ein Vermögen!

„Eine Frau sollte zu Hause bleiben und den Haushalt führen. Und sich vor allem nicht rauslehnen!“, wieder sprach der Fremde buchstäblich ins Leere.

„Wollen Sie auch nach Leipzig?“, fragte ich ihn und versuchte, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Vielleicht zur  Buchmesse?“

Er schüttelte verneinend den Kopf.

„Nein, nein ... ich fahre nach Hause. Wir waren in der Türkei im Urlaub.“

„Wir?“ Ich war überrascht und sah mich spontan im Wartebereich um, in der Hoffnung, seinen Begleiter oder seine Begleiterin zu identifizieren.

„Ja, wir: ich und meine Freundin! Ich sag es gleich so: nun meine Ex“, fügte er hinzu und lachte irgendwie nervös.

„Ist sie hier mit Ihnen am Flughafen?“

„Neeiiin! Ich habe sie in der Türkei gelassen. Sie kann sich dort allein erholen“, lachte er erneut, nur jetzt mit einem anderen, ächzenden Lachen, als ob ihm die Luft knapp wurde.

„Aber sie weiß, dass Sie abgereist sind?“

„Nein, nein“, schüttelte er den Kopf.

In diesem Moment klingelte sein Handy. Er zog es aus der Brusttasche seines Hemdes und warf einen kurzen Blick auf die angezeigte Nummer. Dann sagte er:

„Jetzt weiß sie es. Ich hatte nicht erwartet, dass sie so lange brauchen würde, um dies festzustellen. Obwohl, was kümmert es mich jetzt? Sie ist für mich Schnee von gestern.“ Mit diesen Worten drückte er trotzig den Anruf weg.

Der Anruf wiederholte sich und der Mann, der das Telefon noch eine Weile klingeln ließ, schaltete es mit offensichtlichem Vergnügen vollständig aus.

„Was ist zwischen ihnen vorgefallen?“, fragte ich. „Hat sie Sie etwa mit einem anderen betrogen?“

„Das fehlte noch. Wenn sie es auch nur gewagt hätte, hätte ich sie auf der Stelle erwürgt.“ Mit diesem Satz drehte der Fremde zum ersten Mal den Kopf in meine Richtung. Bis dahin hatte er es vorgezogen, vor sich in die Luft oder direkt an die Decke zu starren.

„Also, was ist zwischen ihnen passiert?“, fragte ich erstaunt. „Was konnte so schreckliches geschehen, dass Sie weggegangen sind und sie in der Türkei allein gelassen haben?“

„Es ist ganz einfach: Sie wollte mich zwingen, etwas zu tun, was ich nicht wollte! Ich! ...“, er hob sich selbst mit einer Pause hervor und fuhr dann fort: „Ich befolge niemandes Anweisungen, besonders nicht von Frauen!“

„Warum sprechen sie immer so negativ über sie? ... Das heißt über uns?“, brach es plötzlich aus mir heraus. „Das ist einfach unerträglich!“

Der Mann maß mich mit einem langen Blick aus seinen Augen, die dunkelgrau wie Asphalt waren, und sagte langsam und schwer:

„Weil Frauen mein ganzes Leben ruiniert haben und es jetzt immer noch tun!“

‚Nun, jetzt sind wir wieder da, wo wir angefangen haben‘, dachte ich, verzichtete aber auf einen Kommentar.

 

Während des Gesprächs mit diesem Mann konnte ich nicht einen einzigen Grund für seine starke Feindseligkeit dem weiblichen Geschlecht gegenüber finden. Obwohl das noch gelinde gesagt ist. Seinen Aussagen nach zu urteilen, hasste er uns einfach alle!

Gewöhnlich sollte man solchen Menschen aus dem Weg gehen, und ich hätte das zu nichts führende Gespräch, das lange Zeit von Rhetorik geprägt war, schon längst abbrechen sollen. Aber irgendetwas ließ mich neben ihm sitzen bleiben und sogar dieses seltsame Gespräch fortführen.

„Sie haben mir gerade gesagt, dass Frauen Ihr ganzes Leben ruiniert haben“, wandte ich mich an den Fremden. „Und womit hat Ihre Freundin es ruiniert?“

„Sie fing an herumzukommandieren ... beim Frühstück“, antwortete er völlig ernst.

„Wie - herumzukommandieren?“ Ich lächelte unwillkürlich.

„Ebenso, wie Frauen es gerne machen!“ Und er, die Stimme seiner Freundin nachahmend, sagte mit quiekender Stimme:

„Bitte darum, dass man uns einen anderen Tisch gibt, hier zieht es! Hol einen Saft! Bring Tee mit!“

Er verdrehte die Augen.

„Sehen Sie, türkischer Kaffee war ihr nicht recht! Aber das ist noch nicht alles!“ Und mit noch mehr Emotionalität in der Stimme fuhr er fort:

„Frag, ob sie reifere Bananen haben! Diese sind zu grün! Der Obstsalat auf dem Buffet ist nicht frisch! Bitte darum, dass man mir einen extra zubereitet! Ich brauche eine kleine Dessertgabel für die Schokoladenrolle, ich kann sie nicht mit einem Teelöffel essen! Bring mir noch ein Croissant, aber kein einfaches, sondern ein Schokoladencroissant ... Und sieh zu, dass es nicht von der Seite zerdrückt ist …“

„Also, was ist daran verletzend?“, wunderte ich mich, weil mir diese Szene zwischen ihnen eher lustig als kränkend erschien. „Verhalten sich nicht verliebte Paare auf der ganzen Welt so? Die Frau ist ein bisschen kapriziös, der Mann kümmert sich um sie. Solche Rollenspiele sind natürlich ... besonders im Urlaub!“

„Sie hätte sich das Croissant selbst holen können“, antwortete er knapp.

„Also nur deswegen wurde gestritten?“

„Ich habe jedenfalls kein Croissant geholt, Punkt! Sehen Sie, sie war beleidigt und sprach nicht mehr mit mir. Sie dachte, sie würde mich damit bestrafen“, murmelte er. „Aber so bin ich nicht gestrickt. Ich aß mein Omelett, trank den Kaffee aus, ließ sie in der Cafeteria des Hotels sitzen und kehrte in unser Zimmer zurück. Dort packte ich schnell meine Sachen, rief ein Taxi und fuhr zum Flughafen.“

„Aber so mit einer Frau umzugehen ist unschön, sogar irgendwie unanständig“, sagte ich und zuckte mit den Schultern.

„Und ich werde niemandem erlauben, mich zu benutzen! Verstanden! Das sollen sie ruhig wissen!“, platzte der Fremde nervös heraus und hatte vermutlich die gesamte weiblich Hälfte der Menschheit im Sinn. „Und außerdem war sich diese Madame so sicher, dass ich sie als meine Freundin betrachte, weil wir zusammen in den Urlaub gefahren sind und ein paar Mal miteinander geschlafen haben“, fuhr er fort und zeigte mit dem Finger auf seine Brust. „Ha ha ha! Ich habe ihr gezeigt, was sie mir für eine Freundin ist! Und was sie mir wirklich bedeutet! Im wahrsten Sinne des Wortes - nichts! Ein dummes Huhn ... Und noch dazu nicht mehr die Jüngste!“

Er verstummte und war ganz in Gedanken versunken. Und mir wurde plötzlich klar: Dieser Typ hatte ein klares Problem mit Beziehungen zum weiblichen Geschlecht, dessen Ursprung weit zurück lag. Vielleicht war es ihm in seiner Jugend nicht gelungen, das Herz seines geliebten Mädchens zu erobern, so dass er schließlich auf das gesamte weibliche Geschlecht wütend wurde.

Ich war mehrmals in Psychologiemagazinen auf diese Information gestoßen. In den Artikeln war die Rede davon, dass solche Fälle öfter vorkommen, besonders wenn in diesen Beziehungen wahre Liebe vorhanden ist. In emotionaler Hinsicht sind Männer weniger belastbar als Frauen und daher anfälliger für das Auftreten von psychischen Störungen.

‚Daher vielleicht auch die Widersprüchlichkeit in der Kleidung‘, dachte ich und hatte sofort eine neue Vermutung, warum mein seltsamer Gesprächspartner diese auffälligen Schuhe trug.

Durch deren herausforderndes Farbmuster zeigte er sich seinen Mitmenschen als eine aus dem Rahmen fallende, komplexe Person, die man entweder mit all ihren Mängeln akzeptieren muss oder der man aus dem Weg geht. Eine dritte Beziehungsvariante existierte nicht, da sich der Fremde niemandem anpassen würde. Vielleicht stellte er diese verwegenen Schuhe sogar absichtlich zur Schau, um eine geeignete Lebenspartnerin zu finden, die ohne Furcht vor seinem äußeren Erscheinungsbild seine Bizarrheit verstehen und akzeptieren konnte.

So kommt es, dass er mit seinem Aussehen folgende Reaktion bei den Menschen hervorrief: Sie betrachteten ihn von unten nach oben. Zuerst diese auffälligen Schuhe, dann die Kleidung, und schließlich das Gesicht. Obwohl viele, erschrocken von den Schuhen, gar nicht bis zum Gesicht vordringen, was anscheinend für ihn nur von Vorteil war. Er wollte den Eindruck eines schrägen Typen erwecken und genoss vielleicht sogar die Panik, die er bei anderen mit seinem widersprüchlichen Auftreten verursachte.

Aus psychologischer Sicht war das jedoch gar nicht mal so dumm. Warum vorgeben, jemand anderes zu sein, wenn in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten dein wahres Wesen ohnehin zum Vorschein kommt und die gekünstelte, zur Schau getragene Maske einer idealen Person verdrängt? Ist es nicht besser, dem Gesprächspartner sofort zu zeigen, wer du wirklich bist, ohne Zeit mit einer billigen Inszenierung zu verschwenden? Ist dies nicht der richtige Weg, um Enttäuschungen zu vermeiden, und zwar für beide Seiten?

„Frauen ruinieren immer alles!“ Der Fremde sprach erneut. „Sie sind nutzlos – sie machen nur Ärger! Hältst du sie auf Abstand – sind sie beleidigt. Lässt du sie näher an dich heran - steigen sie dir aufs Dach und vereinnahmen dich! Aber nicht mit mir! Ich weiß, wie ich meinen Mann stehe! Schon bei den ersten Vorwürfen werfe ich sofort alle aus der Tür, so wie räudige Katzen, die die Wohnung beschmutzen. Ich werde niemandem erlauben, meine Seele zu besudeln! Niemandem!!!“

Von dieser frechen Tirade eines Fremden fühlte ich mich unwohl. Ich hatte das Gefühl, dass es ihm diesmal sogar gelungen war, mein Ehrgefühl zu verletzen. Und obwohl er eindeutig auf jemanden aus seiner Vergangenheit wütend war, ließ er im Moment seinen gesamten Zorn an mir aus.

„Sie sind ein echter Frauenhasser!“, kommentierte ich seine Aussage. „Ich weiß nicht, wer genau Ihnen so viel Unrecht angetan hat, aber ich vermute, dass es eine Frau war, die Sie einst zum Ideal erhoben hatten. Und Sie hat auf Ihre Gefühle gepfiffen und betrog Sie mit einem anderen! Und anstatt innerlich loszulassen und diese Geschichte zu vergessen, beleidigen und demütigen Sie andere Frauen! Bestrafen sie für den kleinsten Ungehorsam, obwohl Sie IHR höchstwahrscheinlich ALLES erlaubt hatten!!!“

„Ich soll ein Frauenhasser sein?!“ Mein Gesprächspartner sprang buchstäblich auf den Sitz. „Nichts dergleichen! Sie sagen das, weil Sie mich absolut nicht kennen! Ich habe mich immer gut um die Frauen gekümmert, mit denen ich eine Beziehung aufbauen wollte. Ich kaufte ihnen alles, was sie wollten: Schmuck, Kleidung, Notebooks, Handys ... Ich bezahlte ihnen teure Reisen. Sogar Marihuana habe ich für eine besorgt, aber sie war oft so bekifft, dass ich sie am Ende aus dem Haus werfen musste!“

Der Mann starrte auf seine Schuhe und verstummte. Und obwohl er keinen Laut von sich gab, zeigte sein schwerer, stockender Atem, dass meine Worte seinen wunden Punkt berührt hatten.

Ich versuchte, die Situation zu analysieren, aber meine Gedanken waren durcheinander:

‚Mein Gott, was für ein Mensch! Warum ist so viel Wut in ihm? So viel unerschütterliche Selbstgerechtigkeit? … Und was war das eben? Ein Beispiel schauspielerischer Kunst vor einer Fremden oder ein Ausbruch von Gefühlen, die er tatsächlich in seinem Innersten verbarg? Warum hat er sich mir aufgedrängt und sonst niemandem? Warum hat er sich nicht einen Gleichgesinnten für ein Gespräch unter Männern gesucht? Er hätte sich ruhig zu diesem Geschäftsmann setzen und mit ihm kein gutes Haar an den Frauen lassen können. Ich denke, dass jener  jetzt genau in der richtigen Stimmung dafür war.‘

Ich habe nicht verstanden, was dieser Mann von mir will. Warum beginnt er immer wieder ein und dasselbe Gespräch - über seine Abneigung gegenüber Frauen? Ich persönlich wollte schon längst aufstehen und unter einem Vorwand weggehen, aber aus irgendeinem Grund erlaubten mir meine Erziehung und meine Höflichkeit nicht dies zu tun. Vielleicht war es auch die Neugier, die mich unmerklich bereits zu Beginn des Gesprächs ergriffen hat.

So oder so, ich saß jedoch weiter neben ihm und starrte auf den Monitor meines Notebooks. Die Datei konnte ich nicht mehr bearbeiten, sondern bewegte nur noch ziellos den Cursor von Zeile zu Zeile.

„Und wie verdienst du deinen Lebensunterhalt?“, fragte mich plötzlich der Fremde, aus seinem Dämmerzustand erwacht, und verblüffte mich erneut mit seiner Taktlosigkeit.

‚Wow!‘, dachte ich. ‚Ohne nach meinem Namen zu fragen und ohne sich vorzustellen, ist er sofort zum Du gewechselt und möchte, dass ich ihm von mir erzähle? Hoffentlich kündigen sie bald das Boarding an! Ich halte das nicht lange aus!‘

„Ich schreibe Artikel und Erzählungen für Zeitungen und Buchverlage“, antwortete ich ausweichend und beschloss, es bei dieser Information zu belassen. „Nichts Besonderes.“

„Aha, du verfügst also über kreatives Denken! Versteeeehe!“, reagierte er unerwartet freudig. „Aber ich denke mir so, woher kommen in so jungen Jahren all diese klugen Überlegungen über Menschen!? Nun, ich mag solche Mädels! Wenn du in einem Büro arbeiten würdest, würde ich es spüren und dich nicht einmal ansehen. Ich hasse Büromäuse und all ihr graues Denken! Allein sind sie nichts, aber in der Masse – gefährlich! Glaub mir, ich musste schon mehr als einmal unter ihren ‚kollektiven‘ Entscheidungen leiden!“

Und meiner Nachfrage zuvorkommend, fügte er sofort hinzu:

„Und ich besitze zwei Lebensmittel-Supermärkte: einen in Leipzig und einen in Dresden. In meiner Freizeit komponiere ich Lieder. Das heißt, teilweise bin ich auch ein kreativer Mensch, genau wie du!“

„Singen Sie in einer Band?“, fragte ich und nutzte sofort die Gelegenheit, das Thema zu wechseln.

„Nein, ich komponiere eigenhändig Songs und singe sie selbst zur Gitarre. Ich bin Sänger und Komponist in einer Person und manchmal auch mein einziger Zuhörer“, antwortete er und seufzte. „Meine Songs ziehen kein großes Publikum an, da sich heutzutage die meisten Leute nur noch für Pop interessieren. Sich wiederholende Wörter zu sich wiederholenden Tönen ... Die Erkenntnis ist bitter!“ Er seufzte noch einmal schwer. „Aber ich schreibe Texte mit Sinn darin. Ich lege meine ganze Seele hinein!“

„Worum geht es in den Songs? Sind sie fröhlich?“ Ich konnte nicht widerstehen und würzte die Frage mit ein wenig Ironie. Natürlich habe ich verstanden, dass er keine lustigen Songs komponierte, aber aus irgendeinem Grund wollte ich ihn ein wenig aufziehen. Vermutlich hatte sich die allgemeine Stimmung unseres Gesprächs, die alles andere als freudig war, ausgewirkt.

Nachdem mein Gesprächspartner keine Ironie in meiner Frage bemerkt hatte, starrte er mir in die Augen, presste seine Lippen zu einem dünnen Streifen zusammen und antwortete unzufrieden:

„So wie das Leben, so sind auch die Lieder! Woher soll die Fröhlichkeit denn kommen?“

Und dann murmelte er etwas vor sich hin und verfiel erneut in eine Versteinerung.

Mir schien, dass das Wort „fröhlich“ ihn aus dem Gleichgewicht brachte, da es in keiner Weise zu seinem Leben passte.

Kapitel 6. Im Flugzeug

Schließlich wurde das lang erwartete Boarding angekündigt. Ich seufzte erleichtert und hoffte, dass ich auf dem Weg zum Flugzeug meinen nervigen Gesprächspartner loswerden würde. Von meiner guten Laune war wenig übrig geblieben, außer vielleicht den Wunsch, so schnell wie möglich zur Messe zu kommen. Eine traurige Müdigkeit überfiel mich und so ging ich zur Gangway, nur mit Mühe einen Fuß vor den anderen setzend.

Das Gefühl, das in diesem Moment in meiner Seele aufkam, war vergleichbar mit dem nach einem nicht bestandenen Examen. Sicherlich haben viele bereits erlebt, wie es ist, sich die ganze Nacht auf ein Thema vorzubereiten und dann zur Prüfung genau die Frage zu bekommen, deren Antwort man nicht kennt. Das war’s, ein Fiasko. Man muss sich neu motivieren, um sich wieder an die Bücher zu setzen. Und auch ich muss anscheinend meine Stimmung anheben, sonst geht die ganze Reise einfach ‚den Bach runter‘.

‚Wie können Menschen sich einem nur so ins Vertrauen drängen und alles ruinieren!‘, dachte ich, während ich die Gangway zum Flugzeug hinaufging. ‚Ich hätte mich gleich unter einem klugen Vorwand von diesem Typ wegsetzen müssen. Unmittelbar nachdem er seinen ersten Satz ausgesprochen hatte ... über Frauen!

Aber wer hätte gedacht, dass seine Äußerungen bei mir einen wunden Punkt treffen würden ... bei einer Außenstehenden, die er zufällig als Gesprächspartner ausgewählt hatte.‘

 

In der Kabine nahm der Mann in den seltsamen Schuhen einen Gangplatz auf der rechten Seite, zwei Reihen vor mir ein. Mein Platz war auch in der Nähe des Ganges, aber auf der linken Seite, daher konnte ich ihn gut sehen, wenn ich schräg hinüberschaute.

Mein neuer Bekannter (den ich aus irgendeinem Grund nicht länger als Fremden bezeichnen konnte) setzte sich bequem auf den Sitz, stellte die Luftzufuhr von oben auf volle Kraft und während er etwas vor sich her murmelte, knackte er der Reihe nach mit den Fingergelenken.

 

Ein paar Minuten später näherte sich ein übergewichtiger Mann von ungefähr fünfundvierzig Jahren seinem Mittelplatz und bat ihn, mit der Hand auf den leeren Sitz neben ihm deutend, den Platz mit ihm zu tauschen.

Der Mann war in der Tat sehr korpulent, und bevor er seinen Platz erreichte, war er bereits mehrmals im Gang steckengeblieben. Die Passagiere, denen er unterwegs begegnete, waren wegen seiner Fülle nachsichtig mit ihm und warteten jedes Mal geduldig, bis er sich seinen Weg gebahnt hatte.

Als er seinen Sitznachbarn erblickte stand mein Bekannter schnell auf und gab ihm den Durchgang frei, weigerte sich jedoch, mit ihm den Platz zu tauschen.

„Nein, das werde ich nicht tun!“, sagte er und starrte den verlegenen Passagier an. „Wieso auch?“

Der wohlbeleibte Mann, der eine solche Reaktion anscheinend nicht erwartet hatte, errötete stark, bestand aber weiterhin auf seiner Bitte.

„Nein, ich werde nicht mit Ihnen den Platz tauschen!“, verkündete mein Bekannter schon lauter und gereizter. „Was gibt es hier nicht zu verstehen!?“

Die Stewardess, die die Komplexität der Situation erkannte, näherte sich schnell dem Streithahn und bat ihn, unter Einsatz all ihres Charmes, ausnahmsweise der Bitte des übergewichtigen Mannes nachzugeben, da es für jenen schwierig sein würde, sich durch den Gang zu seinem Sitz durchzudrängeln. Daraufhin brummte der Angesprochene nur wütend, und mit vor der Brust verschränkten Armen erklärte er in aller Ernsthaftigkeit:

„Es ist nicht meine Schuld, dass Sie Elefanten in Passagierflugzeugen befördern! Setzen Sie ihn auf den Platz, für den Sie ihm ein Ticket verkauft haben!“

Die Stewardess, die solche Unverschämtheit seitens des Passagiers nicht erwartet hatte, war beleidigt und ging weg, und der übergewichtige Mann musste sich buchstäblich auf den Mittelplatz quetschen. Für eine gewisse Zeit verstummten alle Gespräche im Flugzeug - die Passagiere beobachteten mit Entsetzen und Neugier, wie er sich abmühte.

Natürlich hätte auch ich Sympathie zeigen und dem übergewichtigen Passagier vorschlagen können, mit mir den Platz zu tauschen. Aber nachdem ich im Kopf alle möglichen Konsequenzen meiner Handlungen durchdacht hatte, beschloss ich, von solch einem unüberlegten Schritt Abstand zu nehmen. Ich wollte nicht wieder mit diesem Frauenhasser zusammen sein. Eine Unterhaltung mit ihm verhieß nicht nur nichts Gutes, sie konnte sogar gefährlich sein. Zumindest für meine Stimmung, die sich bisher kein bisschen verbessert hatte.

Noch ein paar Minuten später hörte die gesamte Flugzeugkabine aus dem Mund meines Bekannten, dass ‚so einem fetten Kerl verboten werden sollte, sich in Gesellschaft normaler Leute aufzuhalten!‘, weil er nach Schweiß riecht und das auch noch stark!

Ein Raunen der Empörung ging durch die Kabine. Jedoch wagte niemand, offen für den beleidigten Passagier einzutreten, da die Wahrscheinlichkeit, eine Zielscheibe für Angriffe seines Nachbarn zu werden, sehr hoch war.

Eine Minute später drückte mein Bekannter die Ruftaste für das Personal. Als sich die Stewardess näherte, sagte er, schäumend vor Empörung:

„Bringen Sie ihm ein Deo oder wenigstens einen Lufterfrischer von der Toilette!“ Mit diesen Worten zeigte er mit dem Finger auf seinen Nachbarn. „Ich kann nicht in seiner Nähe sein, ich ersticke! Oder noch besser, setzen Sie diesen Fettwanst um, irgendwohin, weit weg von mir! Sonst muss ich mich noch – Gott bewahre - im Flugzeug übergeben und Sie müssen es dann wegputzen!“

Die Stewardess wechselte die Gesichtsfarbe und blinzelte schnell mit den Augen. Sicherlich musste sie oft Passagiere in extremen Situationen beruhigen, aber diesmal war sie offensichtlich überfordert.

„Aber das ist mein Platz!“, antwortete der übergewichtige Mann mit piepsiger Stimme, in Gegenwart der Flugbegleiterin plötzlich mutig geworden. „Ich habe für diesen Platz bezahlt. Und wenn er meinen Geruch nicht mag“,  jetzt zeigte er mit dem Finger auf seinen Peiniger, „soll er sich doch selbst umsetzen!“

„Hast du dich jemals im Spiegel gesehen?“,  fuhr mein Bekannter ihn grob an und drehte sich halb zu seinem Nachbarn um. „Du bist doch ein Mann, aber hast dir Brüste angefressen! Wozu brauchst du sie? Hast du vor, jemanden zu stillen?“

„Beleidigen Sie die Passagiere nicht!“,  sagte die Stewardess, die aus ihrer Starre erwachte und endlich wieder in der Lage war zu sprechen. Sie ließ ihren Blick professionell durch die Kabine streifen und wandte sich an den Anstifter des Skandals:

„Kommen Sie mit mir, ich werde Ihnen einen anderen Platz zuweisen. Im Heck des Flugzeugs ist eine ganze Reihe frei.“

„In jedem anderen Fall würde ich widersprechen“,  antwortete er, „doch das wäre jetzt falsch. Diesen Gestank neben sich zu tolerieren ist einfach unerträglich! Gott bewahre, nicht dass ich auch noch zu stinken beginne!“

Mit diesen Worten stand mein Bekannter in den extravaganten Schuhen auf, nahm seine Sachen und ging hinter der Stewardess her. Nachdem er meine Reihe erreicht hatte, nickte er mir freundlich zu ... und als er die zwei leeren Plätze neben mir sah, blieb er stehen, als hätte er an Ort und Stelle Wurzeln geschlagen.

„Oh, ich werde bei ihr sitzen! Wir sind Freunde!“, rief er der Stewardess nach und bahnte sich, ohne sie auch nur noch eines Blickes zu würdigen, den Weg auf den freien Platz neben mir. Ich schaffte es gerade noch, meine Knie in den Gang zu bewegen, um ihm den Weg freizumachen.

„Übrigens, ich heiße Eduard“, sagte er und schnallte sich an. „Das Boarding begann so schnell, dass ich nicht einmal Zeit hatte, mich vorzustellen. Wie ist dein Name?“

„Anna.“

„Ahhh, dear Anna“, sagte er in englischer Manier. „Dieser Name passt wirklich zu dir. So werde ich dich auch nennen! Dear Anna!“

„Und warum ausgerechnet‚ dear Anna‘?“; fragte ich.

„Du hast ein schönes Gesicht, deshalb“,  antwortete er. „Übrigens, bist du verheiratet?“

„Nein.“

„Ich auch nicht ... Genauer gesagt bin ich verheiratet, aber ich lebe schon lange nicht mehr mit meiner Frau zusammen. Daher bin ich so gut wie  Single. Es stellt sich heraus, dass ich auf dem Heiratsmarkt immer noch einen gewissen Wert habe, findest du nicht auch?“ Er lächelte selbstgefällig.

Ich machte ‚große‘ Augen und drückte damit meine Überraschung über seinen ungewöhnlichen Familienstand aus, antwortete aber nicht. Es fiel mir schwer, ihn mir als Bräutigam vorzustellen, ganz zu schweigen von der Definition seines ‚Wertes‘ auf dem Heiratsmarkt. Außerdem lief es bei mir in dieser Hinsicht auch nicht so gut, und ich hatte Angst, er könnte beginnen tiefer zu graben.

 

Das Flugzeug rollte auf die Startbahn. Die Triebwerke heulten auf und beschleunigend raste es über die Startbahn. Schneller, schneller, noch schneller und schon waren wir in die Luft gestiegen ...

Es begann stark zu rütteln ...

Durch den Abfall des Luftdruckes spürte ich heftigen Druck auf meinen Ohren, also holte ich aus meiner Tasche eine Packung Hustenbonbons und versuchte, sie zu öffnen. Ich hatte irgendwo gelesen, dass Schluckbewegungen dem Menschen helfen, Start und Landung besser zu ertragen, weshalb ich unterwegs immer Bonbons bei mir hatte.

Das Flugzeug begann noch stärker zu vibrieren und aus diesem Grund konnte ich den oberen, eng anliegenden Teil der Verpackung nicht abreißen. Nachdem ich es endlich geschafft hatte, steckte ich mir ein Bonbon in den Mund, lehnte mich in meinem Sitz zurück und schloss die Augen, um mich zu entspannen. Das starke Rütteln war mir unangenehm, deshalb versuchte ich, mich so wenig wie möglich zu bewegen.

Und dann erinnerte ich mich an Eduard.

‚Ich sollte auch ihm auch ein Bonbon anbieten, sonst wird es irgendwie unschön‘, dachte ich.

Nachdem ich ein Auge geöffnet hatte, betrachtete ich ihn von der Seite. Jedoch war ich über das, was ich sah, so entsetzt, dass ich vom Sitz hochschreckte. Meine eigenen Befindlichkeiten traten sofort in den Hintergrund.

Eduard saß da, mit den Händen die Zeitung umklammernd, die er aus dem Wartebereich mitgenommen hatte, und bewegte sich nicht. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen fest zu einer dünnen Linie zusammengepresst und auf seiner Stirn und seinen Schläfen erschienen große Schweißtropfen. Sein totenblasses Gesicht zeigte an, dass er sich sehr krank fühlte.

„Vielleicht ein Bonbon?“, fragte ich für alle Fälle. „Man sagt, es hilft … beim Start …“

Doch er antwortete nicht, sondern schüttelte nur den Kopf und drückte sich noch mehr in seinen Sitz.

Mir wurde klar: Er litt unter Flugangst, der sogenannten Aviaphobie, die nicht nur von Schwitzen, sondern auch von einem beschleunigten Herzschlag, Mundtrockenheit und manchmal sogar Übelkeit begleitet wird. Allgemein gesagt nimmt ein Mensch in der Luft sehr unangenehme Empfindungen wahr, die erst wieder verschwinden, wenn das Flugzeug gelandet ist.

In diesem Moment tat mir Eduard leid, aber ich konnte ihm nicht helfen. Die Stewardessen waren ebenfalls aus dem Blickfeld verschwunden, da auch sie bei diesen starken Vibrationen angeschnallt auf ihren Plätzen sitzen mussten.

Ein paar Minuten später sah ich ihn wieder an. Die zu einer Tröte gerollte Zeitung, die er in seinen Händen hielt, wurde vom Schweiß seiner Handflächen ganz nass. Bei jeder Zuckung des Flugzeugs knetete er sie verzweifelt mit den Händen, weshalb sie sich schon bald in einen dicken Papierball verwandelte.

‚Wie schlecht doch die Leute mit Zeitungen umgehen‘, dachte ich.

Nach dem heutigen Aufenthalt im Flughafen schien es mir, dass sie von 60 Prozent der Bevölkerung ihrer Bestimmung entsprechend benutzt werden. Alle übrigen finden eine andere Verwendung für sie, die nichts mit

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Nataliya Lang
Bildmaterialien: Elvira Sharapov
Cover: Nataliya Lang
Übersetzung: Sabine Hennig-Vogel
Tag der Veröffentlichung: 24.06.2022
ISBN: 978-3-7554-1614-2

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