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Einst, als ich ein Kind war, hatte ich hier, genau hier am Kai auf diesem Fleckchen Erde eine seltsame und faszinierende Begegnung.
Es war tiefster Winter, der ganze Boden war gefroren und erweckte den Eindruck, als wäre nichts darunter außer Schnee und ewiges Eis. Wenn man vor die Tür trat hatte man das Gefühl, als würde der Frostriese selbst einem mit unbarmherzigen Griff umklammern. Es war der strengste Winter seit den ersten Aufzeichnungen, so glaube ich sagte man. Damals lebten meine Eltern und ich noch nahe des kleinen Hafens, ich kann mich noch genau daran erinnern wie ich oft stundenlang am Fenster saß und die kleinen Boote und Schiffe beobachtete, wie sie hinaus aufs offene dunkle Meer fuhren und erst spät abends wieder heimkehrten, ich war fasziniert davon. Doch seit diese unmenschliche Kälte eingesetzt hatte, blieben sie im Hafen, denn die meisten waren festgefroren und die See war stürmisch wie selten.
Eines abends, es war bereits dunkel und niemand zeigte sich mehr auf den Wegen und Straßen, schickte mich meine Mutter zur Nachbarin, ihr war das Mehl ausgegangen und sie hatte mir versprochen, dass wir gemeinsam Kekse backen würden. Eigentlich wollte sie es auf den nächsten Tag verschieben, doch ich war starrköpfig und konnte sie mit meinem Schmollen und den tränennassen Augen schließlich überzeugen. Warm packte sie mich ein, bis ich mich vor lauter Kleidung kaum mehr rühren konnte. An und für sich war es eine übertriebene Geste, wohnten unsere Nachbarn doch kaum zehn Schritte von unserer eigenen Tür entfernt und so lange würde ich ja nicht draußen bleiben, dachte ich.
Noch ein Kuss bevor ich hinaus ging und sich die Türe hinter mir schloss. Sofort umfing mich eisige Kälte, doch ich ließ mich davon nicht beirren und tapste fröhlich Richtung Nachbarhaus, bis ich plötzlich stehen blieb. Irgendetwas war seltsam, ich erinnere mich noch dass es stiller war als vor einigen Sekunden, dass ich mich umdrehte und sah wie vom Meer her langsam Nebelschwaden herauf krochen und den gesamten Boden bedeckten. Ich bildete mir ein den Frost hören zu können, der blitzschnell die Fensterscheiben hinauf kroch und sich selbst über die Straßenlaterne und alles andere legte.
Dann sah ich es. Wie ein riesenhaftes Schiff aus Eis gehauen und so kunstvoll verziert wie es wohl nie eine menschliche Hand schaffen würde, glitt es vollkommen lautlos immer näher, bis es kurz vor der Kaimauer zur Kehrtseite wendete und zum Stillstand kam.
Der Rest ist nur noch undeutlich, wie ein Traum mir in Vergessenheit geraten, aber das nächste was ich noch weiß war, dass sie vor mir stand.
Sie war kein Mensch, nie und nimmer konnte so eine holde Gestalt menschlichen Geblüts sein, sie schien so rein, so unwirklich und kalt. Wage erinnerte ich mich an eine Geschichte an eine Frau, die in einem Land aus Eis und Schnee lebte, dass musste sie sein, die Schneekönigin. Während sie einerseits so zart so zerbrechlich aussah, strahlte sie andererseits eine Stärke aus, wie ich es noch nie auch jetzt noch nicht sah. Ihr Haar war schneeweiß und wirkte wie weicher Schnee und am liebsten hätte ich es berührt, doch ich konnte mich nicht bewegen, ich glaube, ich hielt sogar den Atem an als sich ihr Blick auf meinen legte. Genau in diesem Moment durchstach mein Herz ein seltsamer Schmerz, so als hätte ihr Blick aus den hellen eisblauen Augen, mich verwundet, sofort senkten sich meine Lider um das Brennen darin nicht noch länger andauern zu lassen. Ich fror noch mehr als zuvor, aber dann, als sie ihre Hand hob und sanft meine Wange mit ihrer blassen schneeweißen Hand berührte vergaß ich jeden Schmerz, jede Kälte, ich war so glücklich wie nie, dann wurde es plötzlich schwarz.
Ich erwachte vom Fieber geschüttelt in meinem Bett, neben mir meine besorgte Mutter, es schien als hätte sie lange nicht geschlafen, dunkle Ringe umschatteten ihre Augen und ihr Gesicht war vom Kummer gezeichnet. Daneben stand mein Vater und hatte ihr tröstend den Arm umgelegt, auch er schien nicht so gefasst zu sein wie sonst.
Dann erst wurde ich mir des anderen Mannes im Raum bewusst, es war der Dorfarzt und packte gerade seine Tasche zusammen, niemand hatte bemerkt das ich erwachte, aber sie hatten auch kaum die Möglichkeit dazu, denn schon umfing mich wieder die bekannte Finsternis.
Nur knapp war ich dem Tod damals entronnen. Ich hatte hohes Fieber und war doch von ständigen Schüttelfrost geplagt, jedes Mal wenn ich erwachte war mir eisig kalt obwohl der Schweiß mir auf der Stirn stand und der Ofen in meinem Zimmer ständig am Brennen gehalten wurde. Immer wieder flüsterte ich im Delirium, sprach immer wieder das selbe Wort... Schneekönigin. Der Arzt sprach von Fieberwahn, Unterkühlung und noch anderem das ich nicht verstand.
Bis ich gänzlich genaß und das Bett wieder verlassen konnte war es später Frühling.
Später erzählte man mir, dass man mich draußen etwas fernab vom Haus gefunden hatte. Stocksteif muss ich dagestanden haben,die Lider gesenkt, das Gesicht zum Teil mit einer zarten Schicht Frost überzogen, ich mus wohl ausgesehen haben als würde ich im Stehen schlafen, ganz nahe dem Wassers, nur ein Schritt und ich wäre auf das langsam tauende Eis gefallen.
Meine Mutter hatte sich lange Vorwürfe gemacht, auch mein Vater und ab diesem Zeitpunkt wurde ich noch mehr behütet als zuvor und die Freude an meiner gänzlichen Genesung war so überschwänglich, dass es mich beinahe erdrückt hatte.
Doch ich hatte mich verändert, war ich damals ein sehr aufgewecktes Kind gewesen und hatte immer jemand um mich, so blieb ich jetzt lieber für mich, war still, in Gedanken, nie ganz anwesend und hang meinen Tagträumen nach. Das einzige Thema das mich entflammte waren jene Geschichten über die Schneekönigin und ihr Reich. Alles was ich darüber finden konnte verschlang ich, niemand aus dem kleinen Dorf blieb verschohnt von meinen Fragen nach Geschichten, nach Legenden über sie, bis ich sie alle auswendig kannte und in einem kleine Notizbuch das nach und nach an Dicke wuchs sobald ich das Schreiben ganz beherrschte.
Noch heute, 20 Jahre dannach hänge ich diesem seltsamen Traum manchmal noch nach, gewiss, jetzt bin ich mir nach dem langen Einreden der anderen schon bewusst, das es nicht wirklich war, nur ein Fiebertraum, aber tief in meinem Inneren, dort wo die Wunde zurückblieb, kenne ich doch die Wahrheit.
Manchmal träume ich wirklich von ihr. Wie majestätisch sie doch aussieht, mit der blassen Haut, den hellen seltsamen Augen und dem zarten blassrosa Lippen, die ein sanftes Lächeln umspielen, wenn sie meiner gewahr wurde. Ich sehe sie dann nicht wie damals am Kai, sondern in ihrem Eispalast und ich bin bei ihr.
Einerseits sieht man mir meinen Fanatismus nach, denn nur dadurch wurde ich zu dem großartigen Künstler mit den beeindruckenden kalten, eisreichen Bildern, die sich immer mehr großer Beliebtheit erfreuen. Mit jedem Bild, mit jedem Pinselstrich fühle ich mich ihr näher, vergesse die Kälte, die mein ständiger Begleiter geblieben ist, denn selbst im Sommer bei größter Hitze friere ich noch manches Mal, ein Andenken an meine Königin.
Doch immer mehr will mir ihr schönes Gesicht entgleiten. Mit jedem Tag verliert sich eine zarte Einzelheit in meinem Wirrwarr aus Gedanken und kann nie mehr hervorgerufen werden.
Vielleicht habe ich mich deswegen liiert? Es kommt mir beinahe wie Verrat vor, wie verrückt es auch klingen mag, aber die Hochzeit steht bereits fest. Selina ist gewiss eine fantastische Frau, was sie an mich bindet verstehe ich bis jetzt nicht. Jedes Mal war sie es, welche die Initiative ergriff, die mich zum Essen einlud, die Verbindung stetig hielt und mir schlussendlich auch den Antrag machte, überrascht wie ich war sagte ich ja. Vielleicht verliere ich deswegen das Bild meiner Königin? Aber es ist wohl auch besser so, sollte man nicht mit der Vergangenheit abschließen? Um dies gänzlich zu vollenden will ich noch einmal in mein altes Heimatdorf fahren, nich im Winter, im Sommer, noch bevor ich heirate, um mich zu verabschieden, ihr adieu zu sagen, das schulde ich ihr, ein letztes Mal, dann will ich damals vergessen und mich für die Welt und alles andere wieder erwärmen.

Die Reise dauerte länger als ich dachte. Seltsam wieder hier zu sein, ich muss wohl seit 15 Jahren nicht mehr den Ort meiner Geburtsstätte betreten haben. Ein wenig in alten Erinnerungen und Träumen versunken streife ich zuerst durch die kleinen Gassen und Straßen, wie idyllisch es hier doch ist, ich hatte es ganz vergessen.
Schließlich führen mich meine Schritte wie von selbst langsam dem Kai entgegen. Ich bin ganz ruhig, obwohl ich doch zuerst mit einer seltsamen Spannung der Herfahrt und dem Besuch meines Heimatdorfes entgegen gestanden bin.
Immer weiter tragen mich meine Füße bis ich an der Hafenmauer stehe und aufs offene Meer hinausblicke. Noch ein Stückchen nach vorn und ich bin nahe der weitesten Stelle, die in die dunkle See ragt.
"Ich habe dir Blumen mitgebracht," spreche ich ganz einfälltig, "Es war der schönste Strauß, den ich finden konnte, auch wenn er nicht mit dir konkurrieren kann."
Ein Lächeln umspielt meine Lippen.
"Ich hoffe sie gefallen dir trotzdem." Mit diesen Worten werfe ich den sündteuren weißen Blumenstrauß in die gierigen Fluten der schäumenden See und sehe zu wie das arme Grünzeug eine Zeit lang mit den Wellen kämpft, sich dann aber aus meinem Blickwinkel entfernt. Schnell sind sie für immer verschwunden.
"Sie sollen ein ..." Wie ein einfälltiger Tölpel breche ich ab und betrachte meine Schuhe. Irgendwie wollte ich den Satz nicht vollenden oder konnte es nicht, aber dieser Ort weckt die alten Träume und Sehnsüchte in mir. Seufzend setze ich mich auf einen Stein und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, es ist albern. Wieviele Therapiestunden habe ich doch genau wegen solcher Situatien abgesessen, habe mit meinem Therapeuten besprochen, dass es nur Illusionen waren und jetzt keimt der alte Funke Hoffnung wieder in mir auf, der alles so real und echt erscheinen lässt. Ich bilde mir schon wieder ein den Wind von damals zu fühlen, den Geruch des Frostes zu riechen und zu hören. Ich friere wie ich schon lange nicht mehr gefroren habe, schlinge fröstelnd die Arme um mich, als ich aufsah. War nicht der Himmel zuvor strahlend schön gewesen? Gut es waren ein paar Wölkchen vorhanden gewesen, aber jetzt ist er grau, nichts ist mehr von dem warmen Sonnenschein übrig, er wurde erstickt von den ... Schneewolken? Ich muss eine Sinnestäuschung haben, wie ein Idiot versuche ich die Mantras mir vorzusprechen die ich gemeinsam mit meinem Psychiater für solche Situationen erarbeitet hatte, doch es ist zwecklos. Schon ist nur noch das einzige Geräusch das ich vernehme das leise Kriechen des Frostes über den Boden und die ganze Umgebung. Wo sind plötzlich all die Menschen von vorhin hin? Ich bin verwirrt und fühle mich seltsam hilflos, genauso wie damals als Knabe.
Da ist es plötzlich, das Schiff aus Eis von meinen Gemälden aus dem Nebel herausbrechend und vollkommen geräuschlos auf mich näherkommend. Wie aus Zwang stehe ich auf, sodass die stürmischen Wellen beinahe meine Füße umspülten.
Dann gefriert das Meer, das Eisschiff bleibt stehen und wie ein Engel oder eine Göttin selbst steigt meine Königin aus den tiefen des Gefährts. Ihre Schritte waren lautlos, nun bemerkte ich erst, dass sie nicht wirklich den Boden berührte, sie schien darüber zu gleiten oder zu schweben, welch fantastisches Wesen. Noch mehr als damals war ich von dieser unglaublichen Schönheit gefangen, die Zarheit ihrer Züge, ihr wallendes weißes Haar und die zartrosa Lippen. Ich wage nicht nach ihren Augen zu sehen, aus Angst, mich könnte der selbe zerreißende Schmerz erfassen wie damals als ich ein Kind war.
Abermals stockt mir der Atem, als sie nun ganz nahe nur einen Schritt vor mir stehen bleibt. So nahe erscheint sie mir noch schöner, noch unmenschlicher als jemals zuvor. Doch ich in meiner Angst senke rasch den Kopf, einerseits als Ehrerbietung, andererseits einfach aus Furcht vor weiteren Wunden, vor noch mehr Kälte.
Da bewegt sich die Schwanenhand so zart, so blass, so langfingrig auf mich zu und umfasst sanft mein Kinn um es anzuheben, sodass meine Augen unweigerlich in die ihren blicken müssen. Doch keine Kälte, kein Schmerz umfasst mein Herz, sondern nur ihr warmer, sehnsuchtsvoller Blick ereilt mich. Jede Kälte, die ich empfunden hatte, ist plötzlich verschwunden, nur noch tiefe, beinahe lodernde Wärme breitet sich in mir aus. Ich will in ihren Augen versinken, mich niemals mehr davon abwenden müssen und beinahe so als hätte sie meine Gedanken gelesen erscheint ein wunderschönes bezauberndes Lächeln auf ihren Lippen, dass mich noch mehr gefangen nimmt, wenn das noch möglich ist.
"Komm mit mir," höre ich zum ersten Mal ihre glockenhelle und klare Stimme, die mich noch mehr umgarnt und mir den letzten eigenen Willen raubt, niemals hätte ich dieser Bitte, dieser Aufforderung widerstehen können. Unfähig zu sprechen nicke ich schwach, da nimmt sie meine Hand und geleitet mich in das Schiff...


"Wie... was... wie ist das passiert? Ich meine... es... so etwas... ich meine... das passiert doch nicht einfach so!"
"Wir wissen es nicht. Es ist uns ebenso unbegreiflich wie ihnen. Er muss einen intensiven Kälteschock oder ähnliches erlebt haben, vielleicht eine Fehlschaltung des Gehirns, wir sind uns nicht sicher. Es tut uns Leid."
"Wird er je wieder Erwachen? Besteht eine Chance? Vielleicht ist es nur kurzweilig, früher als er ein Kind war, da hatte er etwas ähnliches erlebt... er.."
"Das können wir nicht sagen, vielleicht, vielleicht auch nicht, aber die Chance ist sehr gering und wir kennen das genaue Ausmaß des ganze nicht, vielleicht würde er niemals wieder so sein wie vorher, vielleicht körperlich und geistig abhängig. Zudem haben wir uns bereits erkundigt wegen dem besagten Vorfall von früher, er war anderer Natur, wenn auch ähnlich. Unsere Medizin ist an eine ihr unbekannte Grenze gestoßen, wir können nichts weiter tun als abwarten."



... und gemeinsam segeln wir gen Norden in ihr Reich aus Eis und Schnee.

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Tag der Veröffentlichung: 01.05.2009

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