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Im Zeichen des Drachen

 

Auf seinen Knien und mit gesenktem Kopf verweilte er vor ihr, sein linkes Handgelenk auf einer steinernen Säule befestigt, und spürte schmerzhaft die Nadel, die sich tief ins Fleisch arbeitete.

Ihr fühlt Euch gedemütigt!“, stellte die alte weißhaarige Frau fest, während sie unbeirrt weiter den Arm des jungen Kriegers bearbeitete.

Es wird das erste und auch letzte Mal sein, dass ich vor einem Weib knie“, raunte dieser und sah mit seinen braunen Augen auf. Sein hellbraunes Haar klebte in seinem Gesicht, das keine Regung zeigte.

Es ist bemerkenswert, wie Ihr die Schmerzen derart aushaltet. Jemand wird in Euer Leben kommen, der Euch in die Knie zwingt, wegen dem Ihr Eure Maske verliert, Ihr werdet unbeherrscht sein und Euer Herz wird die steinerne Hülle sprengen“, lächelte die alte Frau und streifte sich eine Strähne aus dem Gesicht.

William sah sie kurzzeitig geschockt an. „Schwatzt nicht so ein dummes Zeug und macht Eure Arbeit“, knurrte er erbost.

Doch lediglich ein müdes Lächeln entlockte er mit seiner schroffen Art bei der Frau. „William, ich bin nun seit achtzig Jahren eine Seherin, weiß, was jedem von euch bevorsteht. Ihr erhaltet mein letztes Tattoo, dann werde ich von dieser Welt gehen. Seht hin, was Euch zugedacht ist, Anführer der Krieger!“ Mit diesen Worten löste sie die Manschette von seinem Handgelenk und senkte kurz den Kopf. „Ihr seid zu Großem berufen und doch werdet auch Ihr einen Partner an Eurer Seite benötigen und dieser wird nicht so sein, wie Ihr es erwartet.“

Überrascht hatte er den Drachen auf seinem Handgelenk entdeckt, was ihn als Anführer auswies. „Ich soll Anführer der Krieger werden?“

Ab heute wird es so sein“, antwortete sie müde. „Ihr werdet ein guter Anführer sein, aber das wisst Ihr selbst und Euer Partner …“

Ich benötige keinen!“, sprach er knurrend dazwischen.

Die faltige Frau grinste. „Wie Ihr meint. Hier mein bester Scotch, der hilft gegen den Schmerz“, reichte sie einen Tonkrug zu ihm.

Er entriss diesen ihren zittrigen Händen und wunderte sich kurz, dass sie dennoch so präzise tätowieren konnte, dann nahm er einen großen Schluck.

Ihr solltet es auf Eure Wunde träufeln und nicht den Magen damit ertränken“, runzelte sie die Stirn, hatte sie ihm das doch am Anfang berichtet.

Was von außen helfen soll, kann von innen nur besser sein“, kommentierte er und verließ den steinernen Vorsprung, an dem die Seherin ihr Heim hatte. 

 

William hämmerte auf der Tastatur herum, die sich vor ihm auf dem Schreibtisch befand, während seine Augen über die drei Monitore an der Wand wanderten. Er mochte diese Zeit nicht. Wie einfach war es noch vor 150 Jahren gewesen, als sie Streife gelaufen waren, und nun? Saßen sie vor Monitoren und beschäftigten sich mit Hightech.

Es war nicht seine Welt und doch fügte er sich, es war seine Aufgabe, für die er lebte. Immer mit der Zeit mithalten und verhindern, dass man sie entdeckte.

Sie waren Krieger, ein Mythos in der Menschenwelt. Bekämpfung von Fabelwesen gehörte zu ihren Aufgaben.

Vampire, Dämonen, Hexen und andere Wesen trieben in dieser Welt ihr Unwesen und das musste eingedämmt werden. Dafür waren seit Jahrtausenden die Krieger zuständig.

Selten waren diese Fabelwesen gutmütig, sie wollten die Macht zurück, so wie es einmal war.

William kannte diese Geschichten nur vom Hörensagen, selbst lebte er in dieser Welt, die von jeher den Menschen zugeteilt war. Seit Tagen jedoch war er nur noch genervt.

 

Zudem zermarterte er sich den Kopf, die Seherin war in seinen Träumen aufgetaucht und ließ ihn den Tag seiner Bestimmung immer wieder durchleben.

Er war der Anführer der Krieger, außer ihm war nur der König über ihnen, obwohl sich dieser nie so bezeichnete. Leonard hatte vor 500 Jahren die Herrschaft übernommen. Regierte seine Krieger mit harter, aber gerechter Hand, genau wie sein Volk. Auch wenn sich viele ihrer Art mittlerweile den Menschen angepasst hatten, fanden sie bei Leonard Rat und Hilfe. Schließlich genossen sie ein längeres Leben und dank dem König gab es mittlerweile mehr als ein Dorf, was den Vitae essentia vorbehalten war.

Sie waren die Vitae essentia, so nannte man sie seit Tausenden von Jahren. Die Unterschiede zu Menschen waren nicht gravierend. Aussehen, Verhalten, selbst Gewohnheiten teilten sie, doch waren die Vitae essentia stärker und hatten eine schnellere Wundheilung. Zudem lag auf ihnen ein Fluch, so zumindest bezeichnete es William.

 

Die Seherin hatte ihm einen Partner vorhergesagt, "Partnerin" korrigierte er sich geistig und der Gedanke gefiel ihm nicht. Er wollte niemanden an seiner Seite und irgendwas in ihm sagte deutlich, dass seine Frist, sein schönes Leben allein, bald ein Ende finden würde. Langsam öffnete er das Armband, was seit hundert Jahren sein Tattoo verbarg. Er sah sich den Drachen an, dass dieser bald einen weiblichen Körper zieren sollte, behagte ihm gar nicht.

William war dankbar, als Quinn seine Arbeit übernahm, der Computerfreak ihrer Einheit. Dieser fühlte sich hier unten wohl und das merkte man ihm an. Während William in den Außeneinsatz gehörte und lieber kämpfte statt zu analysieren. Heute war eine Visite bei den verschiedenen Bars der Gegend angesagt, die einzig „unmenschlichen“ Wesen den Zutritt gewährten. Neben William betrat Sean die Bar, sein bester Freund und Gefährte in Kämpfen. Zusammen gingen sie nun schon seit ihrer Lehrzeit auf Streife, wussten, dass sie sich aufeinander verlassen konnten.

Sean war drei Jahre älter als William, hatte schwarzes Haar und blaue Augen, mit denen er so manches Herz brach. Jedoch nicht beabsichtigt, das musste man ihm zugutehalten. Er war freundlich, doch sein Interesse galt keiner anderen Frau als seiner eigenen.

Einen Fluch nannten die meisten es. Angeblich vor tausenden von Jahren von einer Hexe ausgesprochen, die auf einen Krieger hereinfiel, der ihr Herz brach.

Sie hatte einen Bann gesprochen, der jedem einen Partner zusicherte, den es zu finden galt innerhalb von 350 Jahren, sonst war ihr Leben vorbei. Sie zerfielen wie Vampire zu Staub und wurden vom Wind hinfort getragen. Als Beweis der wahren Partnerschaft, übertrug einer der Partner sein Tattoo, sofern er eins trug.

 

William war mittlerweile 200 Jahre und hoffte inständig, noch 149 Jahre Zeit zu haben, bevor er seine Partnerin fand. Allein der Gedanke nicht mehr selbstständig zu sein, verursachte ihm eine unangenehme Gänsehaut.

Denn Teil 2 des Fluches war: 350 Jahre ging es ohne Partner, doch sobald man diesen fand, sie markierte, war ein unsichtbares Band geflochten, welches Energie beanspruchte und Nähe forderte.

Das hatte William bei Sean mitbekommen. Immer wenn dieser sich schwach und müde fühlte, suchte er die Nähe zu seiner Partnerin und schien danach wie aufgeladen. Voller Energie und beschwingt.

Auch wenn diese Eigenschaft dem Anführer zusagte, wollte er es nicht erleben. Zu seinem Glück wäre seine Partnerin eine zickige Frau, die ihm das Leben zu Hölle machen würde und dieses währte gut 800 Jahre.

 

Gerade als sie die erste Bar betraten, ertönte aus Williams Kehle ein Fluch, der selbst dem DJ Einheit gebot.

Denn kaum hatte er einen Schritt in den Innenraum getan, war ein Kellner gegen ihn gerannt, prallte an William ab und stürzte zu Boden.

Mit einem schmerzverzerrten Gesicht rieb er sich sein Gesäß als er aufstand. „Verflucht, schon mal was davon gehört, dass man aufpasst, bevor man irgendwo reinstürmt?“ Blitzende grüne Augen trafen auf die braunen von William, dem es die Sprache verschlagen hatte, als schon eine Ader auf seiner Stirn hervortrat.

Sean legte seine Hand auf Williams Schulter und versuchte ihn damit zu beruhigen, doch dieser schüttelte ihn ab.

Ein Knurren entkam seiner Kehle, als der Geschäftsführer eilig zum Eingang kam. „Sam, verschwinde nach hinten und halt deinen Mund!“ Befahl dieser seinem Kellner und wandte sich dann den zwei Kriegern zu. „Entschuldigt, er weiß nicht, wer Ihr seid. Kommt gerade aus einem …“

Sean hatte es geahnt und war im Gegensatz zu Stephan nicht überrascht, als sich William durch die Menge arbeitete, die ihm bereitwillig Platz machte.

„Steph, es wird böse werden, wenn William deinen Kellner in die Finger bekommt, das ist dir klar, oder?“

Der ehemalige Krieger nickte und senkte seinen Blick. Es passte ihm gar nicht und doch wusste er, dass eine Einmischung außer Frage stand. Das durfte nur Sean, doch dieser würde es nicht tun. Vor 100 Jahren hätte er auch noch das Recht gehabt, doch als er freiwillig seinen Dienst quittierte, enthob man ihm auch seiner Rechte.

 

William nagelte den Kellner an die Wand und blickte ihm tief in die Augen. „Noch nie hat es jemand gewagt …“

„Dann wurde es Zeit und jetzt lass mich los!“ Der Blick war abwertend und als William gerade zu einem Schrei ansetzen wollte, zuckte etwas durch seinen Körper. Hinter ihm drängte sich eine junge Frau an ihm vorbei, zwinkerte ihm keck zu und verschwand in der Menschenmenge.

Der Krieger ließ irritiert den Kellner los und wandte sich ab. Wenn seine Rasse etwas mit anderen gemein hatte, dann den Fluchtinstinkt und dieser schrie geradezu in William. Eilig entfernte er sich von Sam, von den anderen Wesen in diesem Raum und ging hinaus. Die frische Nachtluft schlug ihm ins Gesicht, während seine Gedanken sich langsam ordneten.

„Was ist los?“, vernahm er Seans Stimme, doch er war nicht zu einer Antwort bereit.

Erst als sie die anderen Clubs besucht hatten, überwand sich William, hatte die merkwürdigen Empfindungen in seinem Inneren geordnet. „Ich hab diesen Typ an die Wand gedrängt, plötzlich durchzuckte mich … ein Blitz würde ich sagen, als eine Frau an mir vorbei ist.“

Mit geweiteten Augen sah Sean ihn an, wollte nicht glauben, was er da zu hören bekam. „Deine Partnerin und du haust ab?“

„Du hast sie nicht gesehen, sonst wärst du auch geflohen. Verdammt!“, sauer schlug William auf das Lenkrad, während er in die Einfahrt der Zentrale fuhr.

 

Die folgende Nacht war an Schlaf nicht zu denken. Bilder dieses Abends verfolgten William, die er dringend verdrängen wollte. Diese Methode funktionierte relativ gut, bis er fünf Tage später in ein Gefecht mit zwei Vampiren kam und fast zusammenbrach.

Sean war sofort an seiner Seite und seufzte schwer, während er seinem Anführer aufhalf. „Du weißt, dass du sie finden musst, oder?“

Ein Knurren entkam William, als der sich losriss und zum Auto ging.

Natürlich war er sich bewusst, dass er diese Frau finden musste, sonst würde er bald ohne jegliche Energie und zum Tode verurteilt sein - und die Frau ebenso.

 

Es war kurz nach Mitternacht, als sie zu Stephan in den Club kamen, der wie jeden Tag recht gut besucht war. William hatte dieses Mal langsam die Türe geöffnet und war ebenso vorsichtig in den Club eingetreten, was ein amüsiertes Lachen seines Freundes mit sich führte.

„Keinen Ton!“, raunte William und belegte den anderen Krieger mit einem eisigen Blick.

Sie durchquerten den Raum des Clubs und sahen sich um, doch William entdeckte die Frau nicht. Auch Stephan, der seinem ehemaligen Kollegen helfen wollte, war dazu nicht fähig. Jedoch verwies er auf seinen Kellner, der wohl immer wusste, wer im Club war. Dieser hielt sich trotz seines freien Tages an der Bar auf.

 

***

 

Sam trank im Wechsel einen Schnaps und ein Bier, schien sich sichtlich den Abend schön trinken oder die Gedanken ertränken zu wollen.

William trat an die Theke und bestellte sich ein Bier, dann sah er zu dem Kellner. „Hey!“

Irritiert sah dieser auf, ein abfälliger Blick traf den Anführer der Krieger. „Ach du Schande, du? Kommst du dich entschuldigen?“

„Sicherlich nicht. Ich will von dir wissen, wo diese Frau ist, die blonde, die mich angerempelt hat!“

„Willst du die jetzt auch dumm anmachen? Ich glaube, da bekommst du Ärger mit ihrem Macker. Die gute Trixi ist nämlich gebunden, seit zwei Tagen!“, grinste Sam und kippte das nächste Glas Schnaps seine Kehle hinunter.

„Das kann nicht sein“, entkam es William, er runzelte die Stirn und er sah irritiert, wenn auch gleich fragend zu Sean, der alles genau wie Stephan mitbekommen hatte. Doch beide Freunde zuckten nur ratlos mit den Schultern.

„Hast du gedacht, sie gehört zu dir? Hat geblitzt nicht wahr? Einfach den Körper durchzuckt und schon dachtest du, sie ist die, die zu dir gehört!“ Sam war vom Hocker gerutscht, warf einige Scheine auf die Theke und wandte sich ab.

William sah Sam irritiert an, schwankte zwischen Wut über den abfälligen Tonfall und der Irritation darüber, dass dieser scheinbar wusste, was er dachte. Ehe der Kellner sich entfernen konnte, schnappte William dessen Arm.

Ein warmes Gefühl wanderte durch seinen Körper, schien ihn umschmeicheln zu wollen. „Was?“, fragte er sich selbst, doch bekam eine Antwort ohne Worte.

Sam versuchte sich loszureißen, wobei William fester zupackte, jedoch schon bald nur noch ein breites Lederarmband in der Hand hielt. Sein Blick wanderte vom Band in seiner Hand zum Arm seines Gegenübers und ehe einer blinzeln konnte, donnerte William den Körper des Kellners ein zweites Mal innerhalb einer Woche an die Wand.

 

Keuchend entkam Sam die Luft aus seinen Lungen, während sein Gegenüber sich um dessen Handgelenk kümmerte. Er hatte es geahnt und wusste, was nun folgen würde. Den Sonnenaufgang bekam er sicher nicht mehr mit, Stephan würde sich um einen neuen Kellner bemühen müssen und irgendwer um seine persönlichen Besitztümer. Was nicht viel war und doch wollte Sam, dass diese ihren Platz fanden.

Wieso er sich nicht früher darum gekümmert hatte, konnte er nicht sagen, hatte gehofft, einfach irgendwann umzufallen und von dieser Welt zu verschwinden. Doch nun stand er ihm gegenüber, dem Mann, der angeblich sein Partner sein sollte. Sam schloss die Augen und harrte der Dinge, die kommen sollten.

Seit fünf Tagen zierte es sein linkes Handgelenk, ein Drache, das Zeichen des Anführers der Krieger, hatte sich auf Sams Haut niedergelassen. Jeglicher Versuch, dieses Zeichen wegzubekommen, war vergebens und langsam aber sicher musste er sich eingestehen, dass er der Lebenspartner des Kriegers sein sollte.

„Du hast dir mein Tattoo stechen lassen?“, grollte dessen Stimme und unterbrach Sams Gedanken.

„Nein!“, erwiderte dieser nur und versuchte, Luft in seine Lungen zu bekommen.

Abrupt ließ William von Sam ab, der dankbar nach Luft schnappte und sich zu Boden sinken ließ. Er nahm wahr, wie Stephan und der andere Krieger auf den Anführer einredeten und immer wieder zu ihm sahen.

„William, ich bitte dich, mir wäre es nicht entgangen, hätte er sich tätowieren lassen“, versuchte Stephan diesen zu beruhigen.

Doch Sam konnte die Wut und den Unglauben in den Augen des Anführers erkennen und wunderte sich nicht, als man ihn abführte. „Sperr ihn im Keller ein und lass Fred kommen!“, waren Williams Worte, als man Sam ins Auto setzte und er im Wald verschwand.

„Er wird sich abregen, ist etwas viel im Moment. Ich bin Sean!“, reichte dieser Sam die Hand.

„Hey, ich bin Sam. Meint der denn, mir gefällt das? Er ist ein Mann, ich dachte immer, … normal … ach verdammte …“

Sean atmete tief durch und nickte einfach, während Sam aus dem Fenster sah. Der Alkohol machte sich in seiner Blutbahn breit und ließ ihn schläfrig werden.

 

Kaum eine halbe Stunde später fand Sam sich in einem Kellerraum wieder, der nur ein kleines Gitterfenster aufwies. Er setzte sich auf das Bett, das seinen Namen nicht verdiente und harrte der Dinge, die nun kommen sollten. Müde strich er sich durch sein blondes Haar, befand es plötzlich für zu lang und seufzte schwer. Dieser Sean schien ihm netter gesinnt und ließ etwas Hoffnung in ihm aufkeimen. Er wollte nicht sterben, war mit seinen 180 Jahren zu jung dafür und doch sprach eine innere Stimme ihm zu, dass es kein gutes Ende mit ihm nehmen würde.

Wie lange er nun da gesessen hatte, konnte er nicht sagen, doch kurz bevor er einschlief, wurde die Türe zu seinem Gefängnis aufgeschlagen und William trat mit Sean und einem anderen Mann ein.

Dieser kniete sich neben Sams Schlafplatz und nahm ohne Umschweife dessen Handgelenk. Mit Lupe und einem genauen Blick untersuchte er das Tattoo, bis er mit hochgezogenen Augenbrauen aufstand. „Es ist nicht neu, die Farbe ist schon verblasst und diese Stichtechnik ist mir nur von einer Seherin bekannt!“

„Das kann nicht sein!“, grollte William und forderte einen weiteren Test.

Frederik Murray, der Arzt, wie er sich vorstellte, atmete schwer die Luft aus. „William, es gibt nur eine Methode und du weißt, wie schmerzhaft sie ist“, versuchte der Arzt den Anführer umzustimmen.

Doch Williams Blick war eisern, während er selbst das Handgelenk von Sam festhielt und dieser irritiert von einem zum anderen sah. Sean trat zu ihm, legte eine Hand auf seine Schulter und hielt ein Stück Holz vor Sams Mund. „Beiß drauf, es macht es nicht besser, aber schont deine Stimmbänder!“ Unverständlich folgte Sam der Aufforderung, ließ sich das Stück Holz zwischen die Zähne schieben, als er zum Arzt sah, der eine Flasche aus seiner Tasche zog. Nun wusste er, was ihm bevorstand. Er spuckte das Stück Holz aus und versuchte sich loszureißen, doch wurde er von Sean und William festgehalten. „Das könnt ihr nicht tun, ich bitte euch. Ich kann doch …“, ehe er zu Ende sprechen konnte, floss die ätzende Säure über sein Handgelenk und ein Schrei erfüllte den Raum. Sam zitterte am ganzen Leib, selbst als man ihn losließ, verflüchtigte sich der Schmerz nicht und er sackte in sich zusammen. Sean saß neben ihm, reichte Sam einen Kühlbeutel und versuchte dem Kellner einen aufmunternden Blick zuzuwerfen. Dieser half Sam nicht, sein Handgelenk brannte, als hätte er es im Feuer liegen. Es würde Tage dauern, auch wenn die Heilung der Vitae essentia ihren Körper schneller regenerierte, für eine solche Wunde brauchten selbst sie eine gewisse Zeit. Das unterschied sie von Vampiren. Vitae essentia konnten wie jeder Mensch sterben, es brauchte keine spezielle Methode. Und in dem Moment wünschte sich Sam nichts sehnlicher, als in einen todesähnlichen Schlaf zu fallen, ohne Schmerzen.

Frederik ließ sich abermals vor ihm nieder und griff wieder nach seinem Handgelenk. William grinste, war sich seiner Vermutung scheinbar sicher, was Sam sehen konnte. Der Arzt entfernte den Eisbeutel und brauchte nur einen Blick, bevor er das Handgelenk zu dem Anführer der Krieger hielt. Dem verging das Grinsen, schockiert sah er auf das feuerrote Tattoo, das sich immer mehr abzeichnete.

„Es ist ein Tattoo einer Seherin, deiner Seherin. Ich hoffe, das ist dir Beweis genug. Keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber du weißt, wer es dir sagen kann!“ Mit diesen Worten trug der Arzt Sam noch eine Salbe auf, verband ihm das Handgelenk und verabschiedete sich mit einer Entschuldigung an den Gepeinigten. 

Langsam erhob sich Sam, als Sean ihn aufforderte. Er traute seinen Beinen nicht und doch folgte er den zwei Kriegern. Mehrere Male musste man ihn stützen, damit er nicht die Treppe wieder hinabfiel, die aus dem Keller führte.

 

Lächelnd stellte eine recht jung aussehende Frau Sam eine Tasse mit Tee vor die Nase und wechselte den Kühlbeutel aus. „Willst du ein Schmerzmittel?“

Sam schüttelte erschöpft den Kopf. „Danke, aber so schlimm ist es nicht mehr. Ich bin einfach müde. Danke Sarah!“ Sarah war seit gestern unheimlich freundlich zu ihm, was nach Seans Erläuterung typisch für seine Partnerin war.

„Kein Problem. William hat wirklich übertrieben, was ist nur in ihn gefahren? Sonst ist er beherrscht und nicht so impulsiv.“

„Tja, es ist aber auch eine merkwürdige Situation.“

Sarah nickte und sah zur Tür, wo William den kompletten Rahmen einnahm und schwer die Luft in seine Lungen sog, um sie kurz darauf wieder zu entlassen. „Wenn ihr fertig getratscht habt, würde ich Sam gerne mitnehmen. Wir haben einen Termin beim König!“

Erschrocken blickten Sams grüne Augen zu dem Krieger. „Beim … König?“

„Richtig. Auch wenn Fred gestern sagte, dass das Tattoo echt sei, will ich es nun ganz genau wissen“, mit diesen Worten verließ William die Küche.

Sam hatte schon viel vom König gehört, doch ihn noch nie gesehen. Man sagte über den Herrscher, dass er eine Gabe hätte. Die Vergangenheit war für ihn sichtbar, doch genau wusste er es nicht.

 

Kaum betraten sie den Saal zum König, erhob sich dieser hinter seinem Schreibtisch und trat auf die zwei Männer zu. Immer näher tretend, erschien eine steile Falte auf seiner Stirn. „William MacDermont, was verschafft mir die Ehre?“

William kniete nieder und zog Sam mit sich. „Mein König, es wäre ein Problem zu lösen. Ich hoffe, Ihr habt Zeit.“

„Steht auf. Wer ist Euer Begleiter?“

„Samuel Callaghan, Herr!“, deutete Sam eine Verbeugung an.

„Callaghan, Euer Vater ist Bernhard Callaghan, er sitzt im Aufsichtsrat, nicht wahr?“ Ein simples Nicken war ihm Antwort genug, doch dann änderte sich seine Mimik. „William, das habt Ihr nicht getan, oder?“ Leonard wies auf den Arm von Sam und funkelte den Krieger an.

„Ich wollte sichergehen, es kann nicht sein!“

„Ihr wagt es, hierher zu kommen, obwohl Ihr die Antwort kennt und nachdem Ihr Samuel das angetan habt?“

William senkte seinen Blick, was Sam ein Schmunzeln auf die Lippen legte. „Herr, ich wollte sichergehen“, wiederholte der Krieger.

„Und Ihr hättet damit nicht bis heute warten können? Selbst wenn dieses Tattoo gefälscht wäre, hättet Ihr hierher kommen müssen. Diese Tortur ist eine reine Qual. Ihr kennt die Antwort, William. Es ist Euer Tattoo, was sich auf ihn übertragen hat!“

Natürlich hatte es Sam gewusst, war sich über den Ausgang des Ganzen bewusst gewesen und doch fühlte er sich in dem Moment, als der König es aussprach, wackelig auf den Beinen.

„Aber wie kann das sein?“, fragte er sich selbst und bemerkte nicht einmal, dass er die Worte ausgesprochen hatte.

„Ich gebe zu, es ist selten …“, der König wandte sich ab und ging zu seinem Schreibtisch. „… aber kam schon öfter vor. Zwischen zwei männlichen Vitae essentia kann es zu einer Partnerschaft kommen, doch …“ Leonard setzte sich in seinen Stuhl. „… gibt es da eine kleine Schwierigkeit.“ Erwartungsvoll sahen ihn die zwei Männer an. „Soweit wie mir bekannt ist, sterben die meisten in einer solchen Beziehung, weil sie die Verbindung nicht vollständig akzeptieren und eingehen wollen.“

Bestürzt sahen Sam und William ihn an, dann einander. „Aber wieso? Gibt es da keine Möglichkeit? Ihr sagtet, die meisten.“ Sam stotterte und wollte das nicht gehört haben, er war zu jung zum Sterben.

„Das ist richtig. Mein Neffe lebt mit seinem Partner zusammen, seit über 300 Jahren. Was ihr Geheimnis ist, kann ich euch nicht sagen. Wenn ihr es wünscht, würde ich sie um ein Treffen bitten, auch wenn ich weiß, dass sie nicht jedem helfen, oder es nicht wollen. Sie sind da sehr eigen!“

„Gibt es keine Schriften dazu?“, warf William fragend ein und betrachtete Sam, was diesem nicht entging und ein warmes Gefühl in seinem Körper verbreiten ließ.

Der König verneinte, verwies auf die üblichen Schriften einer Partnerschaft und reichte ihnen eine Kopie.

Jedem Schulkind war bewusst, was darin stand. Eine Partnerschaft ist ein Geben und Nehmen. Energieaustausch und eine Verbindung eines ganzen Lebens. Durch Berührungen und Innigkeiten entsteht Energie, die von den Vitae essentia benötigt wird …

 

***

 

William musste seinen Blick immer wieder von dem blonden Mann neben sich losreißen, selbst als sie wieder im Haus der Krieger waren, hatte er es nicht unter Kontrolle. Es machte ihn nervös und doch gleichzeitig entspannt. In Sams Nähe fühlte er sich wohl und seine Energie kam zurück. Eine Partnerschaft mit einem Mann, er fasste es immer noch nicht. Sein Leben lang hatte er sich auf eine Frau vorbereitet und nun saß Sam neben ihm, der absolut nicht fraulich war.

Beide hatten eine Größe von gut einem Meter und neunzig. Sam war im Kreuz schmaler als William, aber deshalb nicht weniger Mann. Der Krieger suchte nach dem speziellen Etwas an seinem Partner, doch fand es nicht. Allgemein schien ihn sein Nebenmann anzuziehen, das wärmende Gefühl in ihm zu entfachen.

Sarah saß ihnen gegenüber und sah sie seit einer halben Stunde schweigend an. „Was ist los?“, durchbrach sie dann die Stille.

„Er ist mein Partner!“, antwortete William und sah zu Sarah.

„Das wissen wir doch seit gestern und was sagt der König?“

Sam atmete durch, was William durch einen Seitenblick sehen konnte. „Dass es selten sei und die meisten Partnerschaften nicht lange existieren, weil diejenigen sterben.“ Er klang resigniert.

Sarahs grüne Augen wurden groß. „Was? Aber … und jetzt?“

„Das würde ich auch gerne wissen“, trat Sean in die Küche und nahm neben seiner Frau Platz.

William atmete durch. „Leonard versucht, ein Treffen mit einem Paar zu vereinbaren, die es seit 300 Jahren schaffen, zu überleben in dieser Konstellation. Vielleicht können sie uns weiter helfen.“

Nickend saß ihm das Paar gegenüber, dann runzelte Sarah die Stirn. „Aber ist es bei euch nicht genau so wie bei uns? Ihr braucht die Nähe zueinander, Berührungen und nun ja ...“ Leicht verlegen blickte sie zu ihrem Mann, der sie lächelnd ansah.

 

William sah zu Sam, der ebenso schockiert wie er zu sein schien. Das konnte nicht Sarahs Ernst sein, beide ahnten, was das „nun ja“ zu bedeuten hatte. Sollte es so einfach sein? Ein normales Paar?

Kopfschüttelnd wandte sich William ab und stand auf. „Ich bin oben!“ Er brauchte Zeit zum Nachdenken, um mit der Situation klarzukommen. Was, wenn es so war wie Sarah sagte, konnte er eine Beziehung mit Sam eingehen? Allein der Gedanke wollte in seinem Kopf nicht reifen. Wie sollte das gehen, sie waren schließlich zwei Männer.

Langsam ging die Tür auf und Sam trat ein. „Hey!“ Williams Nicken ließ ihn eintreten und auf einem Stuhl gegenüber des Bettes Platz nehmen, auf dem der Krieger normalerweise seine Sachen ablegte. „Ich muss heute Abend arbeiten, ist das okay?“

„Natürlich, es wäre aber gut, wenn du danach wieder herkommst. Wir sollten momentan nicht zu weit auseinander sein.“

„Das sagte mir Sean auch gerade. Er geht davon aus, also … nun …“

„Der Gedanke kam mir auch und dann? Es ist nichts gegen dich Sam, aber wir sind zwei Männer, wie soll das aussehen?“

Sein Gegenüber konnte sich ein Lachen nur schwer verkneifen. „Kannst dich ja mal im Internet informieren, die sind da wirklich gesprächsbereit, oder setz dich an eine Theke zu Menschen, dort ist es weniger selten als bei uns. Allerdings gebe ich dir recht, es ist ein Gedanke, der mich auch etwas ratlos zurücklässt. Ich dachte immer, dass eine Frau irgendwann an meiner Seite ist.“

William löste sich vom Anblick des Mannes auf dem Stuhl und seufzte. „Ich weiß schon, dass es solche Konstellationen bei Menschen gibt, aber … wir sind keine. Kannst du dir vorstellen, mit mir in einem Bett zu schlafen? Hand in Hand durch die Straßen zu laufen? Dass wir uns küssen? Und mehr?“

Sam schwieg kurz und sah zu seinen Füßen. „Das mit dem Bett wäre wohl das geringste Problem.“

Nickend gab William ihm recht. Er hatte schon oft seinen Schlafplatz mit Freunden geteilt, aber Sam war kein Freund, er war sein Partner. Der Gedanke ließ ihn zusammenzucken. Obwohl er ihn gedanklich nun schon so bezeichnet hatte, fiel es ihm jetzt erst auf.

„Ich müsste bald mal heim, frische Klamotten.“

William nickte, erhob sich und ging aus dem Zimmer, seine Gedanken fuhren Achterbahn. Bilder, Szenen in seinem Kopf von ihm und Sam in eindeutigen Situationen, wollten sich nicht unterdrücken lassen. Automatisch nahm er seine Jacke vom Haken, griff nach seinem Autoschlüssel und verließ das Haus.

Sams irritierten Blick bemerkte William erst im Auto, als er schon auf dem Weg in die Stadt war. Mit Absicht hatte er das Haus in den Wäldern bauen lassen, umging so Fragen von Menschen.

„Was?“, blickte er kurz zu Sam.

„Das wollte ich dich fragen. Alles in Ordnung?“

„Nein. Ich … ich weiß nicht, ob ich das kann. Das mit uns beiden, meine ich.“

Sam nickte verstehend, lächelte kurz. „William, lass uns das Ganze erst einmal verdauen. Es sind unnötige Gedanken, die du dir machst.“

Das war leichter gesagt, als getan. Wie in Trance folgte William Sam in dessen Wohnung. „Klein!“, rutschte ihm raus, als er sich umsah. Gerade ein Zimmer zeigte sich, welches in eine offene Küche führte.

„Aber teuer genug. Mehr ist nicht drin. Ich bin allein, da brauche ich keinen Palast!“, grinste Sam und nahm einige Kleidung aus seinem Schrank, um diese in eine Tasche zu packen. „Ich gehe duschen, wenn du was willst, bedien dich“, mit diesen Worten verschwand Sam im Badezimmer.

 William nickte gedankenverloren und sah sich um. Es war eine gemütliche Wohnung, aber klein. Aufgeräumt und ohne viel unnötige Sachen. Wenn er es genau betrachtete, hatte Sam genau so viel Platz wie er selbst. Auch wenn sein Haus groß war, lebten dort schließlich fünf Leute. Zu manchen Zeiten sogar mehr, was er auch für die Zukunft wieder hoffte. Neue Krieger mussten her und das dringend.

 

Eine Wasserperle lief seitlich an Sams Gesicht herunter, als er mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen ins Wohnzimmer trat. Sein blondes Haar stand in alle Richtungen ab. Langsam umrundete das Wasser dessen Gesicht, über das Kinn den Hals hinunter und verschwand im Kragen des Hemdes. William war dem gebannt gefolgt und vernahm nur dumpf die Stimme seines Gegenübers. „William? Hallo?“

„Was? Entschuldige.“ Eine leichte Röte zierte das Gesicht des Kriegers, der beschämt auf den Fußboden sah.

„Kein Problem. Wie machen wir das jetzt, wenn ich mit zu euch soll?“

„Ich fahre dich zur Arbeit und einer holt dich ab. Irgendwer von uns wird schon in der Nähe sein. Wäre dir das recht?“

„Klar, danke. Wenn du möchtest, können wir los.“

William richtete sich auf und ging abermals voraus.

Nachdem er Sam auf der Arbeit abgesetzt hatte, fuhr er ins Haus zurück, wo Sean mit Bennet am Küchentisch saß und zu Abend aß. Er gesellte sich dazu und stocherte in seinem Essen herum, welches er sich auf den Teller geladen hatte.

William bemerkte die Blicke von Bennet auf sich. „Was ist los? Wo ist Sam?“, durchbrach dieser die Stille, wissend, dass der jüngere Krieger ihm nicht ausweichen würde. Schon immer hatte der Anführer der Krieger Respekt vor dem älteren bewiesen und blieb ihm nie eine Antwort schuldig.

„Er ist arbeiten. Ben, ich bin überfordert mit der Situation. Es will nicht in meinen Kopf, dass ich mit einem Mann …“

„Was? Sprich es aus!“, forderte der glatzköpfige Krieger und blickte den Anführer an.

„Dass ich mit Sam intim werden soll.“

Bennet nickte, seine blaugrauen Augen senkten sich kurz. „Die Frage wird nicht sein, ob ihr das wollt und euch vorstellen könnt, sondern, wann es soweit ist. Jeden Tag wird euer Band mehr miteinander verflochten, jede Berührung, jede Nähe trägt dazu bei. Ihr werdet euch nacheinander sehnen und füreinander alles tun.“

Irritiert blickte William seinen Krieger an. „Woher willst du das wissen?“ Er wollte das Gehörte einfach nicht glauben, hatte er wirklich keine Wahl?

„Sagen wir mal, ich habe Kontakte, die ihr bald kennenlernt“, zwinkerte Bennet und stand auf. Das Gespräch war beendet und für ihn gab es nichts mehr zu besprechen.

So blieb William zurück, allein mit seinen Gedanken, nachdem auch sein bester Freund das Feld geräumt hatte.

Er hatte also keine Wahl, irgendwann würde er sich der Partnerschaft hingeben. Sauer stieß er den Stuhl unter sich fort, fegte das Geschirr vom Tisch und stürmte aus dem Haus. Wut durchströmte jede Ader und ließ ihn rennen. William musste weg, soweit es ging, bis seine Füße aufgaben, würde er rennen und die Wut bekämpfen.

Wie lange er gerannt war, konnte er nicht sagen, nur dass es sich gut anfühlte, erschöpft zu sein. Die Wut war abgeflaut, seine Selbstbeherrschung zurückgekehrt.

Ich wollte nie eine Frau, … und die habe ich auch nicht bekommen, ging ihm durch den Kopf. Worüber rege ich mich also auf? Alle Bedenken müssten verschwinden. Keine zickige Tussi, kein Tattoo, das eine Frau verziert und da nicht hingehört. Ein Mann, dem es steht, der mir Widerworte gibt und recht nett zu sein scheint. William seufzte, wandte sich ab und ging wieder zurück.

Schon nach einigen Metern bemerkte er die Müdigkeit, die von seinem Körper Besitz ergriff. Einen Nebel in seinem Kopf, der keine Gedanken mehr zuließ. Schwankend schlug er gegen einen Baum und stürzte über eine Wurzel. Erschöpft blieb er im Moos liegen. Kein Muskel wollte sich mehr bewegen, selbst seine Lider gaben den Kampf auf und schlossen sich.

 

***

 

Sam sah das Tablett mit den Gläsern fallen, nahm das Zerspringen und Klirren wahr und stürzte selbst mitten hinein. Das scharfe Glas schnitt in seine Hände, seine Knie schlugen auf dem harten Boden auf und ein brennender Schmerz durchzog seinen Körper.

Eilig drängte sich Stephan durch die Menge und kniete Sekunden später neben seinem Kellner. „Was ist los?“

„Ich weiß nicht, es ist, als hätte ich nicht geschlafen. Ich habe keine Kraft mehr!“

Verwundert griff Stephan unter die Arme seines Kellners und half ihm auf, während andere Angestellte die Scherben beseitigten. Mühsam half er Sam die Treppen hinauf in sein Büro. Zu Schichtbeginn war er von seinem Angestellten über die Neuigkeiten informiert worden.

„Ihr habt eure Energiereserven doch aufgeladen, bevor du kamst, oder?“, fragte Stephan und schenkte zwei Gläser Wasser ein.

„Wie meinst du das?“, müde rieb sich Sam über die Augen und versuchte, sie angestrengt aufzuhalten.

Die Augenbrauen des ehemaligen Kriegers zogen sich zusammen. „Du weißt schon, wie das funktioniert in einer Partnerschaft?“ Als Antwort erhielt er ein Nicken. „Gut, habt ihr irgendwas davon gemacht, um eure Energiereserven zu füllen?“

„Nun ja, wir waren heute Mittag beieinander.“

„Okay, wie lange und wie intensiv?“

Sams Wangen zierten eine blasse Röte. „Nur beieinander, ungefähr fünf Stunden.“

„Verdammt, was habt ihr euch denn dabei gedacht? Hoffentlich ist Will noch fit.“ Mit diesen Worten griff Stephan zu seinem Handy und ließ sich mit dem Haus der Krieger verbinden.

Es schien zu dauern, bis am anderen Ende einer dran ging und ab diesem Zeitpunkt bekam Sam nichts mehr mit. Er sah nur, wie Stephan wilde Gestiken machte und besorgt zu ihm blickte. Sam hoffte, dass ihm ein Lächeln gelang, aber beschwören konnte er es nicht.

 

Wie viel Zeit verging, bis er Bewegungen um sich wahrnahm, konnte er nun wirklich nicht sagen, alles schien wie im Zeitraffer zu verlaufen. Irgendwann bemerkte Sam nur noch eine weiche Unterlage unter seinem Körper und entspannte sich noch mehr. Ließ seine Augen zufallen und genoss die Stille.

Bis sich das, wie er vermutete, Bett bewegte. Ein Lachen drang an sein Ohr und dann hörte er Stephan. „Wenn die aufwachen, kannst du flüchten!“

„Ich meine es nur gut mit ihnen, es wird helfen. Und sei ehrlich, sieht gut aus!“, schmunzelte Sean.

Jeder von Sams Versuchen, seine Augen zu öffnen, scheiterte. Dafür spürte er bald etwas Warmes an sich, das seine Glieder noch mehr entspannen und seinen Verstand ruhen ließ.

„Sie bringen dich um!“, war das Letzte, das Sam hörte, bevor er in einen ruhigen Traum versank.

 

Langsam öffnete Sam die Augen und schlug auf den Störenfried, der ihn kitzelte. Ein Brummen ertönte an sein Ohr. „Wieso haust du mich?“

Irritiert drehte er seinen Kopf und sah über seine Schulter, direkt in braune verschlafene Augen. „Weil du mich kitzelst!“

„Du wolltest ja nicht wegrücken, oder gar aufwachen!“

„Was liegst du auch mit mir in einem Bett?“

Erst als Sam das sagte, fuhren sie auseinander, wurden sich ihrer Kleidernot bewusst. Erleichtert erfühlte Sam seine Boxershorts und funkelte William an. „Wieso liege ich fast nackt mit dir in einem Bett?“

„Keine Ahnung. Ich weiß nur noch, wie ich im Wald gestürzt bin.“

„Ich im Club. Stimmt, Stephan erzählte was von Energiereserven und dass er hoffe, dass du noch fit bist. So wirklich hab ich das nicht verstanden. Und dann war ich hier und hörte Stephan und Sean.“

Plötzlich sprang William auf, ein harter Schrei durchdrang das Haus. „Sean Brien, du bist tot!“

Das Lachen des Angesprochenen hallte durchs Haus und ließ auch Sam leicht grinsen. Synchron zogen William und er sich an und gingen nach unten.

 

Sean versteckte sich hinter Bennet, was den glatzköpfigen Mann unbeeindruckt weiter frühstücken ließ. „Zu meiner Verteidigung: Es hat euch geholfen, ihr wart total entkräftet“, lachte er. Diese Entschuldigung schien bei William auf taube Ohren zu stoßen, denn schon waren beide aus der Küche verschwunden, der eine auf der Flucht, der andere auf der Jagd.

Sam setzte sich und nahm den Kaffee dankend an.

„War es wirklich so schlimm?“, fragte Bennet.

„Nein, bis er mich geweckt hat. Trotzdem solltet ihr solche Entscheidungen uns überlassen, es hätte durchaus gereicht, uns nebeneinander zu legen!“

Die Augenbrauen des ältesten Kriegers gingen nach oben, als Sean in der Küche stoppte und von William gegen die Wand gedrängt wurde. Doch der Blonde grinste unverschämt und gewinnend, bevor er sich zu seinem Anführer beugte und was in dessen Ohr flüsterte.

Abrupt ließ William von ihm ab, sah irritiert zwischen Sam und Sean umher.

Verwundert sah Sam, wie er sich hinsetzte und schweigend aß. Sein fragender Blick an Sean blieb unbeantwortet.

„Euer Termin ist heute Mittag Punkt zwei, tut uns und vor allem euch einen Gefallen. Bleibt heute zusammen und wenn ihr es irgendwie hinbekommt, mit etwas Körperkontakt. Das sollte euch vor einem erneuten Zusammenbruch bewahren.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Bennet.

William sah zur Uhr, die halb zwölf zeigte, und verschwand ebenso aus der Küche, gefolgt von Quinn, der kaum bemerkt in der Küche im Stehen gegessen hatte und dabei auf ein Tablet starrte.

Sarah räumte den Tisch ab, was Sam ihr gleich tat, während Sean ihm grinsend mit dem Blick folgte. Es machte Sam nervös und als Sarah die Küche verließ, sah er fragend zu dem Krieger.

„Was?“

„Nichts, ich frage mich nur … aber egal!“, das Grinsen wurde breiter.

Wenn es eins gab, was Sam nicht mochte, waren es solche Andeutungen. „Sprich dich aus.“

Williams bester Freund wackelte mit dem Kopf, stand gemächlich auf und trat dicht an ihn. „Ich habe euch lediglich die Hände aufeinandergelegt, der Rest geht nicht auf meine Kappe!“ Mit diesen Worten erklang ein Lachen, das sicherlich an den größer werdenden Augen von Sam lag, und schon verschwand Sean ebenso wie die anderen.

 

Es war fünf vor zwei, als William die Auffahrt der Buckley/Stones hochfuhr. Sie hatten sich belanglosen Themen auf der Fahrt zugewandt, sodass eine relativ entspannte Stimmung zwischen ihnen herrschte. William erwies sich als recht lustig, was Sam schon die Tränen in die Augen getrieben hatte.

Der Wagen hielt und ehe Sam reagieren konnte, war William hinausgesprungen und trat an die Beifahrertür. Mit einer leichten Verbeugung öffnete er die Türe und reichte dem verblüfften Sam die Hand. „Darf ich Sie zu Ihrem Ziel führen?“

Sam atmete tief durch und versuchte ein Lachen zu unterdrücken. „Aber gerne doch, sehr zuvorkommend von Ihnen!“

„Eigennutz ist es wohl eher, denn ich bräuchte etwas Energie von Ihnen!“

Gespielt entsetzt sah Sam den Mann an seiner Hand an. „Ganz schön unverschämt, mein Herr. Das eine Mal lasse ich es Ihnen durchgehen, aber ein zweites Mal kommt es Sie teuer zu stehen!“ Arrogant zuckte sein Gesicht zur anderen Seite und er streckte die Nase in die Luft.

Beide lachten zeitgleich los, bis ihnen die Tränen kamen.

 

Erst als ein Räuspern zu ihnen durchdrang, hielten sie inne und sahen die zwei Männer in der offenen Tür an, die sie abschätzend musterten. William straffte sich, wischte sich kurz übers Gesicht und ging mit Sam an der Hand auf die zwei Männer zu.

„Guten Tag, mein Name ist William MacDermont und das ist Samuel Callaghan.“ Reichte er seine Hand nach vorne. Diese wurde von dem größeren der beiden Männer ergriffen.

„Sehr erfreut, ich bin Kevin Buckley und das ist mein Partner Manuel Stone. Bitte kommt rein!“ Dabei trat Kevin einen Schritt zur Seite und gab den Eingang frei, während sein Partner bereits ins Innere des Hauses verschwand.

 

Sam sah sich um. Ein recht gemütliches Zuhause erwartete sie hier und trotzdem saßen sie beide recht steif auf dem Sofa und warteten ab.

Manuel und Kevin kamen zusammen zu ihnen ins Wohnzimmer und stellten Getränke ab, um dann gegenüber Platz zu nehmen. „Womit können wir euch helfen? Es sieht nicht so aus, als hättet ihr ein Problem damit, was eure Partnerschaft angeht.“ Manuel trank einen Schluck Kaffee und wartete auf eine Antwort.

Verwundert sah Sam zu William, dann folgte er Kevins Blick, der zwischen sie führte. Immer noch waren ihre Hände ineinander gelegt. Verlegen lösten sie diese. „Wir müssen momentan aufpassen, sind gestern zusammengebrochen“, knurrte William und ergriff die Tasse mit Kaffee.

„Zusammengebrochen?“ Interessiert sah Manuel die zwei Männer an.

Sam seufzte. „Ja. Wir waren gestern maximal 5 Stunden zusammen und das auch nur nebeneinander, also wir teilen sonst nichts. Also nichts …“ Er kämpfte um die richtigen Worte und sah hilfesuchend zu William.

„Wir sind seit acht Tagen gebunden, drei davon kennen wir uns nun. Es war eher Zufall als Absicht und überfordert uns beide.“

Mit gerunzelter Stirn blickte Kevin zu seinem Gegenüber. „Aus Versehen? Es muss schon ein recht enger Kontakt sein, damit die Bindung vonstattengeht.“ Der verwirrte Gesichtsausdruck der Betreffenden ließ ihn fortfahren. „Man muss sich sehr nahe kommen, um das Tattoo zu übertragen. Entweder man tanzt zusammen, umarmt sich oder dergleichen. Also muss es bei euch ja eine solche Situation gegeben haben.“

Sams Blick wurde feurig und ging direkt zu William. „Als du mich an die Wand gedrängt hast, weil dein Ego gekränkt war.“

„Vielleicht ja auch, als du in mich rein gerannt bist. Schieb mir jetzt nicht die Schuld zu, du hättest mich nicht so provozieren müssen!“

„Ich dich? Du kamst doch wie ein Stier da reingestürmt und machtest einen auf: Ich bin der Größte! Ich wusste ja nicht einmal, wer du überhaupt bist!“

„Zumindest wäre ich ein Gast gewesen und der Gast ist König!“

Sam verdrehte die Augen. „Du warst aber kein Gast, sondern ein arroganter Affe, der mich schon zweimal an die Wand geschlagen hat!“

„Willst du mir jetzt alles vorhalten? Meine Güte, hast keine bleibenden Schäden behalten, oder?“

„Keine Schäden behalten? Geht’s noch?“ Sam sprang auf, drehte sich abrupt, bemerkte William nicht, der ebenso am Aufstehen war und somit den Ellenbogen ins Auge bekam.

Ächzend fiel dieser zurück auf das Sofa. „Oh verdammt, William, es tut mir leid.“ Nervös biss sich Sam auf die Unterlippe und sah hilfesuchend zu Manuel und Kevin.

Die saßen entspannt auf dem anderen Sofa und tranken ihren Kaffee. „Verdient hat er es ja!“, sprach Kevin und nahm einen weiteren Schluck.

„Stimmt. Ganz schön ungehalten, der Anführer der Krieger, ich dachte, er sei für seine Gelassenheit bekannt“, stimmte Manuel zu.

„Obwohl Sam auch etwas übertreibt, findest du nicht?“

Aus dem Augenwinkel sah Sam, wie William die Hand von seinem Auge sinken ließ. Seine Mimik war starr geworden und die Ader an seinem Hals pochte. „Ihr könnt alles über mich sagen, lasst euch nur aus, aber wagt es nicht, Samuel zu beleidigen. Übertreiben? Ich habe ihn zweimal an eine Wand geschlagen, einmal zum Stürzen gebracht und dafür gesorgt, dass sein Arm mit Säure übergossen wird. Von den Beleidigungen mal abgesehen. Ich denke nicht, dass ihr euch rausnehmen dürft, ein Urteil über Samuel zu bilden, ohne die Vorgeschichte zu kennen.“

Sam sah von William zu den zwei Männern, die sich nun anblickten.

„Das wird nix!“, meinte Manuel und fuhr sich durch sein schwarzes Haar.

Kevin nickte bestätigend. „Auf keinen Fall, das war es!“

Mit finsterer Miene stand William auf, ergriff Sams Hand, der gebannt auf dessen Gesicht sah und darauf wartete, dass dieser einen Schrei abließ.

Doch es kam nichts. Stattdessen zog er Sam mit sich aus dem Haus. Als Sam sich umdrehte, sah er die zwei Gastgeber grinsen. Das war ein Trick!, schoss ihm durch den Kopf und als Manuel ihm noch ein Zeichen machte, dass er seine Hand auf Williams Auge legen sollte, damit es schneller heilte, ratterte es in seinem Kopf. Konnte es sein, dass Manuel und Kevin sie mit Absicht provoziert hatten? Aber wieso?

 

William öffnete die Autotüren, als Kevin aus dem Haus trat. „Hey, ihr zwei!“ Beide sahen zu ihm, der nun zu ihnen trat. „Diese Partnerschaft heißt nicht, dass ihr zwangsläufig eine intime Beziehung eingehen müsst. Jedoch werdet ihr immer zusammen sein. Es gibt einige, die es versucht haben, nebenbei Frauen hatten, aber das ist so eine Sache. Euer Band wird enger werden und ihr solltet da wirklich entspannt dran gehen. Eine Freundschaft ist auch nicht zu verachten.“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und verschwand wieder im Haus.

Sam ließ sich auf das Polster des Sitzes gleiten und nahm neben sich William wahr. Er wandte sich zu ihm und legte wortlos seine Hand auf dessen Auge. Ein Gefühl der Wärme machte sich in Sams Körper breit, ließ ihn die Augen schließen. Es war ein Genuss, sich dem hinzugeben. „Was machst du da?“, durchbrach William diese für ihn absurd erscheinende Situation.

„Manuel meinte, es hilft gegen dein blaues Auge!“

Mit gerunzelter Stirn entfernte der Krieger die Hand seines Partners und sah in den Spiegel. Sein blaues Auge verblasste tatsächlich. Er hätte es maximal zwei Tage gehabt, aber das war angenehmer. „Praktisch, danke.“

„Ich wollte das wirklich nicht“, stellte Sam beim Anschnallen klar, es war ihm mehr als peinlich.

„Ist passiert und wenn wir ehrlich sind, ich hab es verdient.“

Sam konnte dem nicht widersprechen und wollte es auch nicht. Stattdessen genoss er noch etwas die Wärme in seinem Inneren, die ihn ausfüllte.

„Ich hätte gerne gewusst, was sie mit der Aktion bezwecken wollten. Ganz sauber scheinen die beiden nicht zu sein. Und dann eben das noch. Entspannt dran gehen, der ist lustig. Ich brauche Fakten, um damit umgehen zu können. Aber der Tipp mit dem Heilen ist gut zu wissen, nicht wahr? … Schläfst du?“ Die Irritation war in Williams Stimme zu hören.

„Nein, ich genieße.“ Sam hatte kein Interesse, das Gespräch weiter zu führen, genoss einfach, was sich in seinem Körper ausbreitete und zu schnell zu verschwinden drohte. Als sich die Wärme aus seinem Inneren zurückzog, öffnete er die Augen. Sie hatten die Hälfte der Strecke schon zurückgelegt und William bog auf eine Landstraße ab, die durch den Wald zu seinem Haus führte.

„Fertig mit Genießen?“, sah dieser nun schmunzelnd zu Sam. „Würdest du mir vielleicht mal sagen, was es zu genießen gab?“

Sam biss sich auf die Unterlippe, überlegte, wie er es ausdrücken sollte und gerade als sie in den Wald fuhren, bat er William anzuhalten. „Hast du das noch nicht gemerkt? Wenn wir uns berühren, diese Wärme?“

„Jeder gibt Körperwärme ab, natürlich merke ich das.“

„Nein, nicht einfache Körperwärme.“ Mutiger als Sam sich fühlte, beugte er sich zu William und legte ihm die Hände auf die Wangen. Der im ersten Moment skeptische Blick entspannte sich.

 

***

 

Es durchströmte William, ein Gefühl, das er nicht in Worte fassen konnte, geschweige denn mochte. Der Wunsch, einfach die Augen schließen zu wollen, war übermächtig. Als Sam zuvor die Hand auf sein Auge gelegt hatte, war das Gefühl nicht so stark gewesen, obwohl er es auch da wahrgenommen hatte. Selbst als sie Hand in Hand gegangen waren, schien es nicht so intensiv gewesen zu sein wie jetzt, wo kam das her?

Mühsam öffnete er die Augen und sah in Sams grüne. „Entspannend!“ Es war nur ein Hauch, was seine Stimme hergab, William war sprachlos.

„Besser als jede Massage, ich wüsste gerne, wieso das so ist!“ Mit diesem Satz verflüchtigte sich das Gefühl auf Williams Haut, weil Sam seine Hände wegnahm.

Im ersten Moment wollte sich Empörung breitmachen, doch er unterdrückte sie. Natürlich hatte sich Sam zurückgezogen, was hätte es auch für einen Grund geben sollen, dies nicht zu tun. Innerlich seufzend, fuhr William den Rest der Strecke zu seinem Haus.

 

Während Sam sich ins Zimmer verzog und duschen wollte, nahm William in der Küche Platz, direkt gegenüber von Sean, der ihn fragend ansah. Nervös sah sich der Anführer um. „Sag mal, wenn Sarah dich berührt, spürst du dann so eine Entspannung oder dergleichen?“

„Kommt darauf an, ob ich genug Energie habe, wenn ja …“ Sean grinste. „… dann könnte ich mich vergessen. Der Überschuss sorgt dafür, dass man sich geradezu high fühlt.“

„Und dem anderen geht es dann genau so?“

„Nicht zwingend, wenn er weniger Energie hat, oder sich bewusst damit auseinandersetzt, kann einer auch den Verstand bei sich behalten“, lachte Sean auf, um dann irritiert zu seinem besten Freund zu sehen. „Wieso?“ Die Frage brauchte William nicht beantworten, denn schon schmunzelte sein Gegenüber. „Wir hätten es euch sagen sollen, oder? Dann hole ich es mal nach. Jede Berührung festigt euer Band. Die Energie, die übertragen wird, füllt sich bis zum Maximum, alles darüber hinaus ist eine Reserve, die man für andere Sachen nutzen kann. Will, auch wenn du das nicht gerne hörst, man fühlt sich zueinander hingezogen und ich kann dich etwas beruhigen, dein Verlangen verspürt Sam als sein eigenes. Es ist relativ gleich, was der eine und der andere Partner will. Die Frage ist nur, wollt ihr euch dem hingeben und überschreitet die Grenzen einer Freundschaft, oder haltet ihr euch lieber distanziert?“

William sog scharf die Luft ein und stieß sie wieder aus. „Wir haben also eine Wahl?“

„Natürlich. Es gibt einige Partnerschaften, die wohl eher als Freundschaften anzusehen sind, auch wenn das sehr selten ist. Die sexuelle Spannung wird immer größer und das Verlangen, den anderen zu berühren, nimmt immer mehr zu, besonders wenn man sich dem nicht ergibt. Aber klar, einige schaffen es.“ Für Sean schien es leicht zu sein, darüber zu sprechen, während sich William unwohl fühlte. „Was willst du noch wissen?“

„Zu viel, als dass ich dich das fragen wollte.“

„Frag ruhig, nur so wird man schlauer.“

Nervös fuhr er durch seine Haare und ließ seine Augen ruhelos umherwandern. „Wir saßen vorhin im Auto … Sam hat das mit der Wärme erzählt und nun ja, er hat es mir auch gezeigt. Ich hab mich fast in seinen Augen verloren und dann ließ er mich einfach los.“

Sean nickte verstehend. „Und du wolltest das nicht. Hast das Gefühl genossen, warst versucht, dich darin zu verlieren. William, nicht nur, dass ihr euch gerade einmal ein paar Tage kennt, auch, dass eure Bindung etwas ungewöhnlich ist, setzt eure Hemmschwelle höher. Er weiß nicht, was du willst, du nicht, was er will und deshalb zieht immer einer von euch die Handbremse. Lasst euch etwas Zeit, das ergibt sich, sofern ihr das beide wollt. Willst du es denn?“

Ebenso fragend wie Sean, sah auch Bennet, der gerade rein kam, zu seinem Anführer. William ließ seinen Kopf auf den Tisch fallen. Der Älteste hatte ihm nun wirklich noch zu seinem Glück gefehlt.

„Ich wäre dafür es herauszufinden, statt nur hier zu reden. Was sagst du, William, wäre das eine Idee?“ Bennet nahm neben ihm Platz und grinste.

„Und wie soll das aussehen?“ Misstrauen machte sich in William breit. So sehr er seinen Kriegern vertraute, wenn es um einen Kampf ging, so misstraute er ihnen aber in diesem Moment.

Es schien, als ob sich die zwei Krieger wortlos absprachen, beide grinsten unverschämt und der Ältere erklärte es ihm dann.

 

William sah zum zehnten Mal auf die Uhr, doch der Zeiger wollte sich einfach nicht fortbewegen. Um drei würde Sam Feierabend haben und er ihn abholen, wie es abgesprochen war. Der Plan seiner zwei Freunde lief in seinem Kopf wie eine Dauerschleife und er war gespannt, wie es funktionieren würde. Ging Sam darauf ein, oder tat er es als unnötig ab?

 

Endlich zeigte die Uhr halb drei und William machte sich auf den Weg. Zehn Minuten vor der Zeit fand er sich am Club wieder und stellte seinen Wagen ab. Gleich würde er Sam fragen, ob er ein Zimmer mit ihm teilen wollte. Ein komischer Gedanke, wie William fand, und doch die einzige Möglichkeit, um sich sicher zu werden, ob er es konnte und wollte. Doch bei einem war er sich sicher und das seit nun acht Stunden. Er wollte dieses Gefühl zurück, in dem er sich vergessen konnte, das ihm durch Mark und Bein ging und seinen Verstand ausschaltete. Nach solch einer Erholung hatte er sich Jahrzehnte gesehnt und bis heute nie gefunden. Nun würde er es sicher nicht zurückweisen.

William trat in den Club und sah Sam sofort, der mit seinem Kollegen Gläser polierte und sich köstlich amüsierte. Ein unwohles Gefühl machte sich in seinem Magen breit. Was er da sah, gefiel ihm ganz und gar nicht. Zu nah standen sich die zwei Männer, zu vertraut schienen sie sich zu sein.

Da stand der Anführer der Krieger und kämpfte mit seiner Selbstbeherrschung. Er verstand sich selbst nicht, so war es ihm in den 200 Lebensjahren nicht ergangen, doch Sam schaffte es in den wenigen Tagen, seit sie sich kannten, immer wieder.

Williams Muskeln spannten sich merklich an, während seine Zähne fest aufeinander gepresst waren und sein Blick unruhig zu den zwei Kellnern ging. Sams Kollege legte ihm gerade eine Hand auf die Schulter und deute mit dem Kopf auf William.

Kläre die Fronten, steck dein Revier ab!, hallte es in des Kriegers Kopf. Die Anspannung in seinem Körper nahm weiter zu, da der rothaarige Typ nicht daran dachte, die Hand von Sam zu nehmen.

„Was wollen eigentlich die Krieger die letzte Zeit von dir? Steckst du in Schwierigkeiten?“, fragte er dann auch noch so laut, dass es William nicht überhören konnte.

„Nein, ganz und gar nicht, John.“ Sam sah mit einem Hauch von einem Lächeln zu William. „Hey, du bist zu früh, ich brauch noch ein paar Minuten.“

„Ich kann warten!“ Er hörte es selbst in seiner Stimme, das war mehr als nur eine Antwort auf die Frage. Sie schwankte zwischen einem Vorwurf und einer Mahnung.

Das schien auch Sam nicht zu entgehen, der kurz die Stirn runzelte und fragend zu seinem Partner sah.

 

William hatte nicht vor, ihm eine Antwort zu geben, nicht hier, nicht jetzt, wo er nicht alle Sinne beisammenhatte. Irgendwas stimmte nicht mit ihm, da war er sich sicher. Eine Erkältung? Verdorbener Magen? Er setzte sich auf einen der Thekenstühle und beobachtete die zwei Männer beim Reinigen der Theke.

Sam kam mit dem Lappen geradewegs zu ihm, legte seinen Kopf leicht schräg und zwinkerte. „Alles klar?“ Lediglich ein Grummeln entkam Williams Kehle. „Scheinbar nicht, was ist los? Brauchst du Energie?“

In seinem Inneren schrie alles danach, obwohl sein Körper genug Reserven gespeichert hatte. Ob Sam unbedacht handelte, oder wirklich davon ausging, dass seinem Partner Energie fehlte, wusste William nicht. Jedoch genoss er die Berührung an seiner Hand. Die Impulse, die durch seinen Körper jagten, brachten seine Gedanken zum Stillstand, er sah einfach in die grünen Augen seines Gegenübers.

 

Rüde wurde die vertrauliche Geste von John unterbrochen, als dieser Sam anstieß. Sein Gesicht zierte falsche Reue und ließ in William die Wut hochkochen. Der Kerl ging zwei Schritte zu weit und schien es beim Anblick des Kriegers zu merken.

John grinste, stieß Sam ein weiteres Mal an und deutete nach hinten. „Wir müssen noch das Leergut wegschaffen!“

Nickend wandte sich Sam seinem Kollegen zu, ließ so von William ab, welcher ein Knurren nur schwer unterdrücken konnte. Dieser John war ihm suspekt und ein paar Nachforschungen konnten nicht schaden, beschloss er und wartete darauf, endlich fahren zu können. Mit erhitzten Gesichtern tauchten die zwei Kellner nach zehn Minuten wieder auf und in William schien alles ins Stocken zu geraten.

„Stephan flippt aus, wenn er das hört!“, vernahm er Sams Stimme, während dieser um die Theke herum kam. Es war an William, ihn fragend anzusehen. „Irgendwas scheint unten defekt zu sein. Im Keller ist eine Hitze wie in einer Sauna. Ich bin schnell im Büro.“ Damit verschwand der Blondschopf.

 

„Sam ist nicht an Männern interessiert!“

Irritiert drehte sich William zu John, der ihn mit einem bösen Blick bedachte. „Danke für die Information!“, raunte der Krieger und wusste nicht, wie er reagieren sollte.

„Ich weiß nicht, womit du ihn erpresst, aber selbst dem Anführer der Krieger ist es untersagt, jemanden zu erpressen!“

William konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Das ist mir wohl bekannt, das sei dir versichert. Doch ich erpresse Sam nicht, somit brauche ich keine Konsequenzen zu fürchten.“

Johns Reaktion war ein abwertender Blick, er lehnte sich über die Theke. „Und wieso zeigt er dann Interesse an dir, obwohl du ein Mann bist? Bestimmt nicht freiwillig! So gut siehst du auch wieder nicht aus!“

Plötzlich griff jemand an Williams Handgelenk, der entspannt sitzen blieb. Er brauchte nicht hinzusehen, wer das war, allein das Kribbeln in seinem Körper verriet es ihm. Sam öffnete sein Armband, was das Tattoo verbarg, um sich dann die Ärmel seines Hemdes hochzukrempeln. Dann ergriff er die Hand von William, drehte sie mit der Innenfläche nach oben auf die Theke. Beide Tattoos zeigten sich und ihr Gegenüber stockte.

„Unterlass es, meinem Partner irgendwas zu unterstellen!“

William erschrak innerlich vor der drohenden Stimme hinter ihm. Er spürte Sams Brust an seinem Rücken, den hämmernden Herzschlag, der zu ihm drang.

„Du wolltest nie was von Männern wissen!“, wisperte John und sah immer wieder perplex auf die Hände, die ineinander lagen.

„Korrekt, wollte ich nie und nun ist es anders.“

Verräterisch schlug Williams Herz in seiner Brust, dass er meinte, jeder müsste es hören und sehen. Hatte Sam das so gemeint, wie er es sagte? Oder war es einfach eine Klarstellung, weil das Schicksal es so für sie vorgesehen hatte?

 

Stephan unterbrach die Situation und schickte seine Angestellten sich umziehen, während er selbst bei William Platz nahm. „Meine Güte, du machst aus dem Kleinen einen echten Mann!“, feixte der Clubbesitzer.

„Ich denke, das war er schon immer, oder nicht?“

„Nun ja. Sam ist zu freundlich, klare Ansagen sind eher selten. Dass er gegen dich gegangen ist, hat uns wirklich verwundert. Das ist gar nicht seine Art gewesen. Genau wie heute, die eine Frau hat ihn gar nicht mehr in Ruhe gelassen und er hat sie lediglich nett abgewimmelt. Kaum bist du da, scheint er wie ausgewechselt.“

Diese Aussage hörte sich gut an, sehr gut sogar, wenn William es zugab. Immer noch schlug sein Herz zu schnell, jagte das Blut durch den Körper und schien auf Hochtouren laufen zu wollen. „Es ist eine merkwürdige Situation.“

„Bestimmt. Aber er hat euch geoutet und das vor John. Eine Tratschbase wie aus dem 18. Jahrhundert, das darfst du mir glauben.“ Stephan sah auf seine Hände, lächelte halbherzig, was bei seinem ehemaligen Anführer einen irritierten Blick zur Folge hatte.

„War eine lustige Zeit, nicht wahr?“

Wehmut lag in den Augen des früheren Kriegers. „Absolut, manchmal …“

„Vermisst du die Zeit mit uns?“, fragte William nun geradeheraus.

Ein Nicken kam von Stephan, ebenso ein schweres Seufzen. „Ich wollte nie gehen, aber Anna wollte auch nicht im Haus wohnen.“

„Ja und? Ich hätte nie etwas gesagt. Selbst Sarah und Sean habe ich angeboten auszuziehen. Das Haus war gedacht als Heim für uns, als wir noch allein waren. Deshalb hättest du nicht gehen müssen.“ William lächelte und bemerkte, wie sein Freund überrascht zu ihm sah.

Mit dem Angebot, dass Stephan jederzeit seinen Dienst wieder antreten dürfte, verabschiedete sich William und verschwand mit Sam zum Auto.

 

Dieser sackte regelrecht in den Sitz und ließ seinen Kopf gegen die Stütze fallen.

„Alles in Ordnung, Sam? Fehlt dir was?“

Der Angesprochene sah müde zu William. „Alles okay, war anstrengend und dann noch John. Sorry wegen der Show, war affig, ich weiß, aber langsam sollte er verstehen, dass ich nichts von ihm will. Seit Monaten klebt der Kerl an mir. Will nicht akzeptieren, dass ich nicht an Männern interessiert bin.“

Es kam einem Magenschlag gleich, den William erhielt. Eine klare Antwort hatte er jetzt erhalten. Ein dumpfes Gefühl machte sich in ihm breit, sodass er wortlos das Auto startete und nach Hause fuhr.

 

Zwei Wochen, die William mehr als lang vorkamen, hatte er nun schon hinter sich. Ironisch lachte er auf, fehlten ja nur noch ein paar Jahrhunderte neben einem Mann, mit dem er seit einer Woche in Schweigen lebte. Nicht ganz korrekt, William schwieg seit der Nacht, doch seit einer Woche hatte Sam es aufgegeben, ihn in ein Gespräch verwickeln zu wollen.

Die Anspannung zwischen beiden war spürbar, jeden Tag und jede Nacht, wenn sie gemeinsam in einem Bett schliefen. Sie brauchten einander, das war ihnen beiden bewusst und da sie sich am Tage aus dem Weg gingen, blieben ihnen nur die nächtlichen Stunden, um die Energie zu bekommen, die sie benötigten.

Jeden Morgen wachte William mit Sam im Arm auf. Doch dieses eigentlich entspannte und gute Gefühl zu genießen, war nicht möglich. Die Worte der einen Nacht hallten in seinen Ohren und er zog sich rasch zurück.

 

***

 

Müde rieb sich Sam den Schlaf aus den Augen, tastete automatisch neben sich, doch William war nicht im Bett. Wie jeden Morgen, wenn er zu spät erwachte. Dabei genoss er das Gefühl, in den Armen des Kriegers zu liegen. Die Wärme, die dieser durch Sams Körper jagte, war unbeschreiblich.

Sein Blick ging zur Uhr, es war bereits Vormittag und heute stand der Besuch seiner Eltern an. Diese wollten wissen, was es damit auf sich hatte, dass ihr Sohn bei den Kriegern wohnte. Es gab einige Gerüchte, doch keines entsprach der Wahrheit. John hatte nichts gesagt, die größte Klatschbase, wie Stephan ihn bezeichnete, hatte den Mund gehalten.

Sam wusste nicht, ob ihn das beruhigen sollte, wenn er an seinen Vater dachte, sicherlich, aber die ganze Situation momentan war nervenaufreibend.

 

Die ersten Tage mit William waren angenehm gewesen und nun schwiegen sie einander an. Wieso verstand Sam nicht und es wollte ihm auch kein Grund einfallen. Selbst Nähe ließ der Krieger nicht zu. So kämpfte Sam jeden Tag mit seiner Energie, die kaum ausreichend war. Er wusste, dass es seinem Partner nicht anders gehen konnte und doch ließ sich dieser nichts anmerken.

Seufzend stand Sam auf und ging ins Bad. Das musste man dem Haus lassen, die einzelnen Zimmer waren recht komfortabel und die zwei Badezimmer ließen selten Stau bei der Morgentoilette aufkommen.

Gerade als er sich fertig angezogen hatte, klingelte es an der Tür. Sein Puls fing an zu rasen und seine Hände wurden augenblicklich feucht. Er würde nun in die Höhle des Löwen geraten, mit einem schweigsamen Partner und einem Vater, der ihm wahrscheinlich den Tag zur Hölle machen würde.

Langsam ging Sam die Treppen hinab und fand sich viel zu schnell vor seinen Eltern wieder.

Herzlich wurde er von seiner Mutter umarmt, während sein Vater eher steif da stand und seinen Sohn musterte.

„Was machst du im Haus der Krieger?“, war die Begrüßung seines Vaters, während er sich umsah.

Bennet, der seine Eltern hereingelassen hatte, runzelte die Stirn und verschwand.

„Ich, nun ja. Also …“ Ihm fehlte es an Worten, seine Muskulatur verspannte sich, bis ihn eine Wärme erfasste. Sam spürte William hinter sich, wurde augenblicklich ruhiger.

„William MacDermont, willkommen!“, streckte dieser die Hand aus, geradewegs an ihm vorbei und blieb dabei hinter ihm stehen.

„Es ist uns eine Ehre. Das ist meine Frau Sophia und ich bin Bernhard Callaghan. Unser Sohn scheint Ihnen bekannt zu sein.“

„Das ist korrekt, ich würde Sie bitten, mir zu folgen. Dann werden wir Sie gerne über seinen Aufenthalt hier aufklären!“

Eiskalt lief es Sams Rückgrat hinunter. William würde es sagen, dazu stehen und er wäre verstoßen. Reichte es nicht, dass er nicht der Sohn war, den sein Vater sich immer gewünscht hatte? Nun musste er ihn auch noch in der Ehre verletzen?

Bernhard Callaghan war ein angesehener Professor, zumindest unter Ihresgleichen. Ein stolzer Mann, dessen Leben nach Plan lief, bis auf seinen Sohn. Dieser war für den 500 Jahre alten Vitae essentia die reine Enttäuschung, da war sich Sam sicher.

Durch den Druck von Williams Hand an seinem Rücken, wurde er gezwungen zu folgen. Dabei schrie alles in ihm wegzurennen. „Ich will nicht!“, kam leise flüsternd und mit bebender Stimme über seine Lippen.

William blieb stehen und sah ihn fragend an. „Wie soll ich das verstehen? Willst du deinen Eltern nicht sagen, was zwischen uns ist?“ Sam schwieg und brachte keinen weiteren Ton über seine Lippen, während er bemerkte, dass es seinem Partner sauer aufstieß. „Es wird offen gelegt, damit wir uns verstehen. Ich werde kein Versteckspiel spielen, wo du damit angefangen hast, uns zu outen.“

Mit gesenktem Kopf ließ sich Sam in die Küche schieben, wo seine Eltern bereits am Tisch saßen und frischen Kaffee von Sarah eingeschenkt bekamen. Diese verschwand auch kurz darauf, was Sam enttäuschte. Konnte denn keiner bei ihnen bleiben und ihm beistehen? Gleich würde er keine Familie mehr haben, niemanden, zu dem er sich zurückziehen konnte.

 

„Welche Gründe haben Sie, um meinen Sohn bei sich zu behalten?“, sprach Bernhard Callaghan und sah den Krieger vor sich an.

„Die Gründe sind recht einfach zu erklären. Er ist mein Partner!“

Sams Herz stand still, seine Atmung setzte aus und in seinem Kopf war eine unwohle Leere.

„Wie habe ich das zu verstehen, Ihr Partner?“ Auch wenn Bernhard es sichtlich nicht verstehen wollte, seine Vermutung las man offen in seinem Gesicht. Sam zuckte unter dem Blick seines Vaters zusammen. Es war lange her, dass er sich so klein gefühlt hatte. Er wollte zu Kreuze kriechen und alles erklären, blieb aber stattdessen sitzen und sehnte sich nach einem Halt.

Wie gerne hätte er sich heimlich an William geklammert, doch dessen kühle Art hielt ihn davon ab. Zitternd krampften sich seine Hände ineinander, durch den Tisch vor den Blicken seiner Eltern verborgen. Plötzlich spürte er etwas an seiner Hand, langsam legte sich Williams darum. Sam sah zu seinem Partner, war versucht, ein Lächeln auf seinen Lippen erscheinen zu lassen, als er die kühle Maske erkannte. Mit einem Ruck hatte William seine linke Hand gelöst und legte diese auf den Tisch.

Beide Tattoos nebeneinander ließen seine Eltern scharf die Luft einziehen. Erst da fiel Sam auf, dass er scheinbar dem Gespräch nicht mehr gefolgt war.

„Wir haben es uns nicht ausgesucht und doch ist das Band zwischen uns. Somit wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als es zu akzeptieren.“ Die Kälte in Williams Stimme war der Arktis gleich.

Sams Vater sprang auf, lief unruhig in der Küche auf und ab. „Nicht nur, dass du eine Schande für die Familie bist, weil man dir kein Tattoo zugesteht, nein, jetzt lässt du dich auch noch zeichnen? Ich wusste schon immer, dass du kein richtiger Mann bist und nun auch noch die Frau in einer männlichen Beziehung. Komm Sophia, wir müssen gehen!“

Seufzend stand die blonde Frau auf, ihre Augen suchten die ihres Sohnes. „Du weißt, wo du mich finden kannst, mein Junge“, sprach ihr Blick, bevor sie William mit einem Lächeln bedachte und ihrem Mann aus dem Haus folgte.

 

Sam saß da, niedergeschlagen und beschämt. Das letzte Mal fühlte er sich mit zwanzig Jahren so, als seine Mutter ihn mit dem Nachbarssohn erwischte, wie sie gemeinsam masturbierten. Sein Vater hatte ihm mit harter Hand gezeigt, wozu diese da war und das sicherlich nicht, um sich selbst ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

„Was war das gerade?“ Williams Stimme durchschnitt die Stille.

„Mein Vater hält mich für keinen Mann. Seit Jahren verweigert man mir ein Tattoo und ihm gefällt das nicht. Man lehnt mich ab, ohne Erklärung. Was soll ich denn tun? Die Seherin will eben nicht und ich darf nur einmal im Jahr anfragen. Das tue ich bereits seit 100 Jahren.“ Sam ließ seinen Kopf auf den Tisch fallen.

„Moment, es liegt am Tattoo? Man gesteht dir keines zu, wohl mit Bedacht. Die Seherin wusste, was dir bevorsteht und es hätte nicht funktioniert.“ Williams Stimme klang sanft und verstehend. „Sam, ich musste vor 150 Jahren tätowiert werden, um meinen Platz einzunehmen. Nur eine Seite kann ein Tattoo tragen und gibt dieses weiter. Jedoch hat das nicht zu bedeuten, dass du deshalb in irgendeiner Form weiblich bist.“

Sam sah ihn an, ihm misslang ein Lächeln. „Das sieht mein Vater anders. Irgendwie auch logisch, du hast mir dein Tattoo verpasst. Vielleicht sollte ich mich daran gewöhnen, meinen Platz in der Küche zu finden.“ Deprimiert schlug sein Kopf wieder auf die Tischplatte.

„Wenn du kochen kannst, spricht nichts dagegen. Ich kann lediglich Pizza bestellen“, lachte William und eine Hand landete sanft in Sams Nacken. Wohlige Wärme breitete sich in seinem Körper aus. „Weißt du eigentlich, dass ein übertragenes Tattoo nicht nur Schmuck ist? Es zeigt, welche Position du inne hast!“

„Du meinst, welche DU inne hast“, knurrte Sam und seufzte wohlig. Sein Körper erschauderte, als Williams Atem über sein Ohr streifte. „Ich hatte mich korrekt ausgedrückt. Du stehst an meiner Seite und hast somit die gleichen Rechte und Pflichten. Außer dass du nicht gezwungen werden kannst, als Krieger zu dienen.“

„Kann man nicht?“ Sam fühlte sich, als würde er zerlaufen, einfach wie Butter in der Sonne dahinschmelzen. Williams Nähe, seine Lippen, die vermutlich nur Millimeter von seiner Haut entfernt waren, dessen Hand, die ihm immer wieder über den Nacken streichelte. Wie benommen gab Sam sich dem hin und wünschte sich, der Moment würde nicht vergehen. Zulange hatte William ihn auf Abstand gehalten, bis auf nachts, wo beide die Nähe des anderen suchten. „Nein, kann man nicht. Alles in Ordnung?“

Ein Stromstoß ließ seinen Körper hochschnellen, als Williams Lippen seinen Hals berührten. Grüne trafen braune, unsichere Augen, doch Sam hatte keine Zeit, um darauf zu reagieren oder gar sich Gedanken zu machen. Sein Herz pumpte das Blut mit voller Kraft durch seinen Körper, während seine Lippen vor Verlangen brannten. Immer noch lag Williams Hand in seinem Nacken, was ihn dazu trieb, Gleichstand zu schaffen, jedoch legte er seine nicht einfach dort hin, sondern zog sein Gegenüber immer näher.

„Sam, was hast du vor?“ Es war nicht mehr als ein Hauch, welcher diese Frage zu ihm trug. So leise sprach William.

„Ich werde dich küssen!“, seine Stimme klang überzeugt. Sam wollte nur noch eins, den Geschmack des Kriegers aufnehmen.

Vorsichtig, als könnten sie einander verletzen, berührten sich ihre Lippen. Warm, weich und doch auch fest, streiften sie einander, erfühlten sich das erste Mal.

 

„Sind Sams Eltern schon wieder weg?“

Ruckartig stieß William Sam weg und brachte Abstand zwischen sie. Quinns Auftauchen hatte sie in die Wirklichkeit zurückgeholt. Sam stieß den Stuhl, auf dem er saß, nach hinten, schluckte abermals hart und verschwand aus der Küche. Er musste fort, einfach weg und nicht mehr umkehren.

Gerade hatte er sich so gut gefühlt und nun schien er auf dem harten Gestein der Hölle aufzuschlagen. Williams Reaktion sagte alles, er hatte zuviel verlangt und dieser sich scheinbar vergessen.

 

Im Club hatte Sam sich noch rausreden können, seine Annäherung an William als affig betitelt, dabei hatte er nicht mehr gewollt, als ihn zu berühren und sein Revier klar abzugrenzen. Johns Blick hatte ihm nicht gefallen, denn auch was immer dieser behauptet hatte, wusste er, dass John genau das Gegenteil dachte. Wie oft hatte er vor Sam von den  Kriegern geschwärmt und nun war er einem so nahe gekommen. In der Umkleide hatte John ihn kritisch betrachtet. „Du weißt, dass eine Partnerschaft nicht nur Angucken bedeutet. Irgendwann will er auch mal ran!“ Sam hatte nichts erwidern können, war sprachlos aus dem Club gegangen.

 

Gerade ging er die Straße Richtung Stadt entlang, als Bennet in einem Jeep neben ihm anhielt. „Wo willst du denn hin?“

„Weg … also zu meinen Eltern, muss noch was klären, ich …“

Bennet nickte, öffnete die Türe und lächelte verstehend. „Dein Vater war ganz schön entsetzt, oder?“ Ein einfaches Nicken war die Antwort. „Das legt sich auch wieder. Lass ihn erst mal begreifen, was für einen guten Fang du gemacht hast.“

Den Rest der Fahrt schwiegen sie, was Sam dankend zur Kenntnis nahm. Immer noch spürte er die Lippen von William auf seinen eigenen und die Sehnsucht nach dem Moment schien seinen Brustkorb sprengen zu wollen. Dabei hätte es gar nicht so weit kommen dürfen, niemals. Er hatte kein Interesse an Männern und das musste so bleiben. Wenigstens diese Schmach wollte er seinem Vater nicht antun.

„Hier wohnen deine Eltern, oder?“, tippte Bennet Sam auf die Schulter und wies nach rechts.

„Ja, super, danke!“ Mit zitternden Fingern öffnete er seinen Gurt, dann die Tür und stieg grußlos aus.

Das Auto seiner Eltern stand vor dem Haus, er hörte seinen Vater im Garten mit dem Nachbarn sprechen und war sich sicher, dass seine Mutter allein im Inneren war. Langsamen Schrittes und immer nervöser betrat er sein Elternhaus, während seine Kehle sich immer weiter zuschnürte. Sam wollte reden, Klartext, ohne etwas zu beschönigen.

Sophia stand am Küchenfenster und schüttelte seufzend den Kopf. „Hey Mum.“ Erschrocken drehte sie sich um. „Sam? Ich wusste, dass du kommen würdest, aber so schnell? Alles in Ordnung?“ Sam war überzeugt, dass das der berühmte mütterliche Instinkt war, der aus ihr sprach. Nur zu gerne ließ er sich in ihre Arme ziehen, wollte vergessen, was nicht zum Vergessen gedacht war. Auch fühlte die Umarmung seiner Mutter sich nicht so gut an, wie es einst war. „War was mit William?“ Abermals nickte er einfach zur Antwort. „Die Krieger sind seit jeher sehr kompliziert, eigensinnig und stur, damit muss man umgehen lernen. Auch du schaffst das, mein Großer!“

„Das ist so leicht gesagt und Vater …“

Sophia schnaufte erbost. „Ja, dein Vater, sieh ihn dir an … Lässt sich mal wieder von Claus provozieren, weil Lucian sein Tattoo bekommen hat. Er wird im Rat sitzen. Das ist ehrenwert, sicherlich, aber deshalb muss man sich nicht so aufspielen. Du warst nie so. Hast das gemacht, was du wolltest, dir wurde nicht vorgeschrieben, was du wirst. Sam, du hast wirklich Glück!“

„Ach ja? Ich bin die männliche Ausgabe einer Frau, wundervoll.“

„Nun hör nicht auf deinen Vater, der ist einfach … Samuel, er ist stolz auf dich, auch wenn er es dir nicht zeigt.“ Sophia sah ihren Sohn liebevoll an, was ihm nur ein abfälliges Schnauben entlockte.

„Mal sehen, wie stolz!“ Mit diesen Worten trat er durch die Küchentür, die in den Garten führte.

 

„Na, wer ist denn da. Dein Sohn, Bernhard, sag mal, hat er denn jetzt sein Tattoo?“

Der Angesprochene drehte sich um und warf seinem Sohn einen Blick zu, der mehr als nur sein Missfallen ausdrückte.

„Nein, hat er nicht und das weißt du ganz genau, Claus“, grummelte Bernard und drehte sich wieder zu seinem Nachbarn.

„Dann ist er sicher zu ganz Großem berufen“, erklang die Stimme von Luc, dem Sohn des Nachbarn und er zwinkerte Sam verschworen zu.

Beide hielten nichts von den ewigen Prahlereien ihrer Väter, ließen sich auch nicht reinziehen. „Glückwunsch, Luc. Also ein Ratsmitglied, Respekt!“

„Danke, aber jetzt kann ich noch mal die Schulbank drücken. Nun ja und was gibt es bei dir Neues?“

„Wahrscheinlich nichts, was auch? Kellner in einem Club! Kein Umgang für dich, mein Sohn!“ Ein solch abwertender Tonfall hatte Sam noch nicht mal von seinem Vater zu hören bekommen. Er ballte eine Faust und schluckte seine Wut hinab, als ihm Lucs irritierter Blick auffiel.

„Du hast doch ein Tattoo? Aber sagtest du nicht eben …“ Mit einem Griff zog der Nachbarssohn den Ärmel der Jacke etwas höher und entblößte den Drachen. Scharf zog Luc die Luft ein. „Das ist das Tattoo des momentanen Anführers der Krieger.“

Claus lachte auf und schüttelte mit dem Kopf. „So nötig hat es dein Sohn schon, Bernard, dass er sich das Tattoo von William MacDermont stechen lässt. Um Gotteswillen. Bist schon zu bemitleiden!“ Sein Blick ging zu Bernhard, der seufzend hinabsah.

„Ich habe es mir nicht stechen lassen!“, wandte Sam ein.

„Aber das hieße … Oh Gott!“ Luc schien es begriffen zu haben, seine Augen weiteten sich.

„Du glaubst doch nicht, dass dir das einer glaubt. Herrgott noch mal, wie kann man nur so erbärmlich sein. Hättest du deinem Sohn besser mal Anstand und Sitte beigebracht.“

Bernhard erhob seinen Kopf, seine blauen Augen funkelten wütend. „Mein Sohn hat Sitte und Anstand. Mehr als du und ich zusammen. Er ist gebunden mit dem Anführer der Krieger und macht kein Geheimnis daraus. Das ist sein Leben, welches er ehrenwert lebt. Er verdient auf ehrliche Art sein Geld und hat einen Partner, was soll ein Vater sich mehr wünschen?“

Überrascht sah Sam seinen Vater an, doch dieser sah weiter herausfordernd zu seinem Nachbarn.

„Dass der Sohn eine ehrenwerte Frau bekommt. Ein Mann, wer hat denn davon schon gehört. Eure Geschichten wären nicht einmal für einen Roman gut.“

 

„Da ich nicht heiß drauf bin, für die Ewigkeit auf Papier gebannt zu werden, ist mir das nur recht!“ Williams Stimme hallte durch den Garten und ließ die Anwesenden zusammenzucken. „Gibt es ein Problem damit, dass das Schicksal uns zusammengeführt hat?“ Es war die Maske des Kriegers, die auf Williams Gesicht lag. Hart, unerbittlich und gefährlich.

Claus schluckte hart, was Sam an seinem Kehlkopf ausmachen konnte. „Wollen Sie mir sagen, dass das Ihr Ernst ist?“

William trat zu Sam, dessen Körper empfindlich auf die Nähe reagierte und innerlich einem Erdbeben gleichkam. Erst recht als sein Partner ihm die Hand auf die Hüfte legte und eisern zum Nachbarn sah.

„Ich beliebe in solchen Dingen nicht zu scherzen. Haben Sie ein Problem damit?“

Kopfschüttelnd schwieg Claus, was seinem Sohn ein Grinsen aufs Gesicht zauberte. „Hallo, ich bin Lucian Gowan, oder einfach Luc.“

„Es freut mich, Luc und willkommen im Rat, es wurde mir vor einer Stunde mitgeteilt.“

„Danke schön, ich hoffe, dass ich die Erwartungen erfüllen kann. Darf ich fragen, wie es dazu kam, also …“, die Röte schoss Luc in die Wangen, während er interessiert zu Sam sah. Dieser sah kurz zu William, der schmunzelnd neben ihm stand und mit seinem Daumen seine Hüfte zu bemalen schien. Sam kämpfte mit der Konzentration und fragte sich ernsthaft, was den Mann neben ihm dazu trieb, diese Show abzuliefern und vor allem was er hier machte.

„Ich denke, ein Bund wird immer gleich geschlossen, man begegnet sich“, antwortete William nun auf Lucs Frage.

„Ja, mit Sicherheit und doch, ich meine, … Sam hat sich nie für Männer interessiert.“

Nun sah der Benannte zu Luc. „Nicht wirklich, wohl wahr, aber das hat keinen interessiert und es ist in Ordnung, wie es ist.“

 

Es war fast eine Stunde vergangen, bis Bernhard, Sam und William wieder ins Haus kamen, wo Sophia den Tisch zum Kaffee gedeckt hatte. „Und, konntet ihr Claus sprachlos machen?“

Ihr Blick ging eindeutig zu William, der zwinkerte und Platz nahm. „Sehr gut. Nun lasst uns Kuchen essen.“

Außer Sophia sprach kaum jemand an Tisch. Sam versuchte immer wieder, in die Augen seines Vaters zu blicken, doch dieser hielt sie gesenkt. Waren die Worte im Garten ernst gemeint gewesen? Empfand er seinen Sohn doch als ehrenwert und war stolz auf ihn? Sam bezweifelte es, wieso sonst sah sein Vater ihm nicht mal in die Augen?

Seine Gedanken wurden von einem Orkan hinfort gerissen, als William seine Hand auf Sams Knie legte und ihn fragend ansah. Er versuchte zu denken, doch konnte nur fühlen. Versank in den braunen Augen und wollte mehr spüren. Innerlich schien ein Vulkan ausbrechen zu wollen, doch durfte er nicht. Nicht hier, nicht heute, niemals war wohl am besten. Sam bezweifelte, dass sich William Gedanken über sein Tun machte, es eher als nette Geste anzusehen war.

 

***

 

Folter, nicht anders war diese Situation zu betiteln und William wusste, dass er es nicht besser machte. Doch der Drang, seinen Partner zu berühren, war übermächtig, dass er sich selten so schwach vorkam.

Als Sams Mutter sich vom Tisch entfernte, sah er ihr irritiert nach, bis sich Bernhard Callaghan räusperte. „Ich muss mich bei euch beiden entschuldigen. Es stand mir nicht zu, euch in irgendeiner Weise zu beleidigen. Samuel, ich meinte meine Worte ernst. Du bist ein guter Mann geworden, auch wenn ich mir mehr für dich gewünscht habe, allerdings, mehr als Williams Rang wäre sehr unwahrscheinlich gewesen. Es tut mir leid.“

Sam verkrampfte merklich unter Williams Hand, mit großen Augen und einem harten Schlucken sah er seinen Vater an. „Aber deine Worte heute Morgen, auch sonst, sagten was anderes.“

„Ich weiß und ich muss mich schämen. Du bist mein Sohn, mein einziges Kind und ich stoße dich vor den Kopf. Dabei bin ich überrascht, wie du dein Leben meisterst. Dass du sichtlich glücklich bist, mit dem was du hast.“ Bernhard seufzte. „War ich nie, ich wollte immer mehr, das Beste vom Besten. Du bist nicht so, was mich wirklich verwundert, aber ich bewundere es auch. Was das heute Morgen anbelangt … ich war schockiert, damit habe ich nicht gerechnet. Als wir heimgefahren sind und Claus dann noch anfing, dass Luc sein Tattoo hat, war die Wut in mir unbeschreiblich. Ich fragte mich, was ich falsch gemacht habe und dann ging es mir auf. Du hast keins bekommen, weil du eins besitzen würdest. Dir wurde der Schmerz erlassen und das freut mich wirklich. Doch sagt mir, wie werdet ihr es handhaben? Ihr scheint mir keine normale Beziehung zu haben.“

William zog seine Hand zurück, die bisher scheinbar unentdeckt geblieben war und sah Sams Vater überlegend an. „Eine Freundschaft ist nicht zu verachten und so wurde es uns auch gesagt. Schritt für Schritt, wir sollen sehen, was daraus wird und nichts überstürzen.“

Bernhard nickte verstehend. „Aber könnt ihr euch allgemein eine normale Beziehung vorstellen?“

Sam hustete verlegen los, während William in seinem Kopf nach Worten suchte. Was sollte er denn darauf antworten? Konnte er sich eine „normale“ Beziehung vorstellen, mit einem Mann, mit Sam? „Nun ja …“

„Das ist gut, sehr wichtig sich nichts zu verbauen!“

Irritiert sah der Krieger zu seinem Partner, der sich ein Lachen verkniff. War Bernhard nun wirklich davon ausgegangen, dass er es bejaht hatte? Das konnte er nicht, oder?

 

Sophia trat wieder ins Zimmer und wurde sofort von ihrem Mann informiert. „Sie schließen eine reguläre Beziehung nicht aus. Das ist doch gut, nicht wahr?“

„Sehr gut. Man sollte immer offen für Neues sein und auch wenn die Vorstellung sicherlich merkwürdig sein mag, ihr findet sicherlich einen Weg. Ich kann euch gerne mal einen Termin bei Doktor Sygn holen, der wird euch da sicher gerne aufklären.“

Sam sah entsetzt zu seiner Mutter. „Mama, ich bitte dich. Oh Mann, ich werde nicht mit euch über mein Intimleben reden. Es geht euch nichts an, okay? Weder unsere Beziehung, noch wie diese aussehen wird.“ William grinste verhalten und besah sich die Röte, die seinen Partner mehr und mehr ins Gesicht kroch.

„Sonst bist du doch so offen, was ist los? Wenn ich 160 Jahre zurückdenke …“

„Mum, jetzt ist gut. William, wir sollten fahren, sofort!“

Dieser grinste breiter. „Eigentlich würde ich schon gerne wissen, was vor 160 Jahren war!“

„Willst du nicht. Nun komm, du hast sicher gleich Dienst und sowieso.“ Mit diesen Worten sprang Sam auf und stürmte regelrecht zur Tür.

William dagegen stand gemächlicher auf, trank seinen letzten Schluck Kaffee und lächelte Sams Eltern entschuldigend an. „Danke für Ihre Gastfreundschaft.“

„Immer wieder gerne“, erwiderte Sophia und ließ es sich nicht nehmen, den Partner ihres Sohnes in eine Umarmung zu ziehen. „Pass gut auf ihn auf, ja? Sam ist ab und an etwas unaufmerksam, er braucht jemanden wie dich, der etwas umsichtiger ist.“

„Natürlich, ich brauch ihn ja auch noch etwas an meiner Seite.“

 

Zusammen gingen sie zur Tür, wo Sam schon am Auto stand und wippenden Fußes wartete. „Sagst du uns nicht mal mehr auf Wiedersehen?“

„Nein, heute nicht, jedes Gespräch mit euch ist unangenehm. William, ich fahre!“, streckte Sam die Zunge raus und fing den Schlüssel auf, den sein Partner ihm zuwarf. William schmunzelte, genoss diese Ausgelassenheit an Sam. Dann dieser Blick, der ihm durch Mark und Bein ging, obwohl sie sicherlich fünf Meter auseinander standen, sah Sam ihm tief in die Augen, dass Williams kompletter Körper darauf reagierte.

Plötzlich schlug alles in ihm Alarm, nervös sah er sich um und erkannte die Gefahr zu spät. Während Sam immer noch zu ihm sah, bemerkte dieser den nahenden Wagen nicht. William rannte los, doch er wusste, was in wenigen Sekunden passieren würde, noch bevor er Sam erreicht hätte. Das außer Kontrolle geratene Auto erwischte Sam seitlich, schleuderte ihn über das Dach hinweg auf den Asphalt.

 

Stille!

William vernahm nichts, außer seinem eigenen Atem und seinem Herz, das sich fast in seiner Brust überschlug. Schmerzhaft schlug er auf seinen Knien auf, als er bei Sam ankam, umfasste dessen Gesicht und flehte, dass dieser die Augen öffnete.

„Bring ihn rein, wir müssen einen Krankenwagen rufen, es ist ein Mensch im Auto!“, informierte Bernhard und legte eine Hand auf Williams Schulter.

 

Wie er es hasste, seit einer Stunde stand er vor Sams altem Kinderzimmer und wartete, dass der Arzt herauskam. Es war nicht wie bei den Menschen, einen Krankenwagen rufen und sofort ins Krankenhaus, auch Operationen waren nicht möglich. Der Körper der Vitae essentia heilten zwar nicht so schnell wie ein Vampir und doch war ein Eingriff fast unmöglich. Noch während der Operation würde der Heilungsprozess beginnen und die Versuche dahingehend hatten einige ihrer Art das Leben gekostet. Seither verzichtete man auf medizinische Eingriffe. Entweder der Körper heilte sie oder sie starben, das Gesetz der Natur. Im Normalfall hatte William nie ein Problem damit, doch gerade Sam? Er wollte nicht daran denken, dass dieser sterben könnte.

„Du läufst mir noch eine Fuge in den Boden, nun setz dich doch!”, seufzte Sophia und drückte William eine Tasse Kaffee in die Hand. „Sean hat eben angerufen. Stephan springt ein, soll ich dir ausrichten, was auch immer das heißen mag.“

„Sehr gut. Ein ehemaliger Krieger. Wenn euer Arzt dort nicht gleich rauskommt, gehe ich rein!“, es war ein Knurren, was dem Anführer der Krieger entkam und prompt wurde die Türe geöffnet.

„Sophia, ich weiß nicht, ob er es schafft. Rechtsseitig sind die Rippen gebrochen, richten sie sich nicht schnell genug, dann schädigen sie die Lunge …“ Der Arzt sah zu Boden, wollte Sams Mutter nicht in die Augen blicken.

William räusperte sich und zog so die Aufmerksamkeit des Arztes auf sich. „Was können wir tun?“

Doktor Sygn stieß die Luft aus und blickte ihm in die Augen. „Nun, Sie sind sein Partner, geben Sie ihm Energie. Versuchen Sie, damit die Wunden zu heilen. Mehr kann ich nicht tun, es tut mir leid.“

„Und wann kann ich ihn mitnehmen, ich muss zurück!“ Es würde Quinn nicht gefallen und doch müsste der Krieger den Außeneinsatz von William übernehmen, während er selbst die Überwachung fortführte, um weiter bei Sam sein zu können. Das Pflichtgefühl seiner Berufung gegenüber war stark, auch wenn er seine Verpflichtung gegenüber Sam ebenso primär empfand.

„Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Es kommt darauf an, ob er die nächsten zwei Tage überlebt. Sollte dies der Fall sein, spricht nichts dagegen.“

Sophia war inzwischen zu ihrem Sohn gegangen und wurde nun von William abgelöst. Der setzte sich auf einen Stuhl vor dem knapp einen Meter breiten Bett, in dem Sam auf dem Rücken lag und schüttelte seufzend mit dem Kopf. Sachte strich seine Hand über die verschwitzte Stirn, das vorher noch schmerzverzerrte Gesicht entspannte sich etwas. William schob die Decke hinab und legte seine Hand auf die verletzten Rippen. „Mal sehen, ob ich das auch kann und nicht nur du.“ Die Wärme durchfloss seinen Körper und unter seiner Hand merkte er schwache Bewegungen der Knochen. Nun hoffte er, dass es reichen würde.

 

Gerädert wachte William auf, die Sonne war schon untergegangen und unter seiner Hand arbeiteten immer noch die Knochen. Enttäuscht blickte er zu Sam, schüttelte den Kopf. Wieso hatte es Sam geschafft, sein blaues Auge so schnell verschwinden zu lassen und er schaffte es in Stunden nicht, die Rippen zu heilen?  William war geknickt, löste sich von Sam und verschwand ins Bad.

Müde blickte er in den Spiegel, sah den Schatten seines Bartes, die Ringe unter seinen Augen, die dazu noch gerötet waren. Der unbequeme Schlaf, auf dem Stuhl sitzend, war nicht erholsam gewesen. Was würde passieren, wenn Sam starb? Damit wäre auch sein Schicksal besiegelt und das ließ fast Erleichterung in seinem Inneren aufkommen. Zurück im Zimmer stand Bernhard am Bett und sah auf seinen Sohn hinab. William misslang ein Lächeln. „Hallo, alles in Ordnung?“

„In Ordnung wäre es, wenn Sam aufwacht“, sah Bernhard ihn müde an. „Hat es was gebracht, also deine Nähe?“

„Ich habe gemerkt, dass sich die Knochen langsam richten, aber mehr nicht. Entschuldige!“ Scham überfiel ihn, noch nie in seinem Leben kam er sich so unnütz vor.

„Hey, dafür kannst du gewiss nichts.“

„Aber es heilt nicht so, wie er es bei mir gemacht hat. Mein blaues Auge war binnen Minuten weg und ich bekomme in Stunden keine Rippen geheilt. Das ist doch beschissen.“

Bernhard runzelte die Stirn und nickte verstehend. Auch wenn eine so schnelle Heilung nicht möglich war, hatte auch er schon gemerkt, dass es viel länger als nötig dauerte. Keine der Rippen war wieder da, wo sie hingehörte.

„Als Sam dich geheilt hat, wie war das da?“

„Wie, was war da? Wir saßen im Auto und er berührte mein Auge, nichts weiter.“

Sophia trat ins Zimmer und stellte Williams Essen ab. „Wart ihr euch nahe? Und ich meine nicht nur körperlich! Eine Heilung hat was mit Gefühlen zutun. Herz und Körper müssen im Einklang sein, sich auf den Punkt konzentrieren. Die Wärme flutet Hülle und Geist und bewirkt diese Heilung. William, frag mal dein Herz, was es machen würde, meist kennt es den richtigen Weg.“ Mit diesen Worten ergriff Sophia den Arm ihres Mannes und zog ihn mit raus.

 

William stand da, sah hinab auf Sam, der sich seit dem Mittag keinen Millimeter bewegt hatte. Dann spürte er es –mehr Nähe- schien sein Innerstes zu verlangen und er war irritiert. Wie sollte das gehen? Gerade ein schmaler Bettstreifen links von Sam war frei, auf den sich William nun niederließ. Mehr Nähe, vielleicht war das wirklich die Lösung und wenn nicht, wollte er wenigstens bei ihm sein.

Vergessen war seine Berufung und sein Pflichtgefühl. Sein Herz entschied, schrie in seiner Brust und brachte ihn dazu, dem Gefühl nachzugeben. Nachdem er Hose und Pullover ausgezogen hatte, legte er sich seitlich zu Sam. Vorsichtig fuhr seine Hand über den Brustkorb seines Partners, hinauf über den Hals zu dessen Lippen.

Der Kuss lief vor seinem inneren Auge ab, so zart, eigentlich nur ein Hauch und doch so intensiv, dass er dachte, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Sams Geruch hatte ihn benebelt, dessen Berührung einen Stromstoß in ihm ausgelöst.

 

Erinnerungen überschwemmten seine Gedanken, die mehr verlangten und William bemerkte, wie er sich über seinen Partner beugte, um sanft seine Lippen zu belegen.

Es fühlte sich an wie ein Stromstoß, der ihn umzuwerfen drohte, sein Herz schlug, als wollte es ausbrechen und doch klammerte er sich an dieses Gefühl. Unbeschreiblich intensiv und verlangend fühlte es sich an, obwohl Sam nichts dazu tat.

Eine endlose Zeit schienen ihre Lippen aufeinander zu liegen, bis sich William löste und seinen Kopf an Sams Schulter lehnte. Die Wärme, die seinen Körper erfasst hatte, machte ihn schläfrig. Während seine Hand sich den Weg auf die gebrochenen Rippen suchte, fielen seine Augen schon zu.

 

Ein Traum war etwas Schönes, erholsam und schmerzend zugleich. William wollte die Augen nicht öffnen, wusste was ihn erwarten würde. Ein bewusstloser Sam, der ihm eben nicht durch die Haare strich und dessen Nase nicht zärtlich über sein Ohr glitt.

Doch leider holte ihn die Wirklichkeit schneller ein, als er wollte und sein Traum war geplatzt wie eine Seifenblase. Sachte ertastete er die Rippen seines Partners und atmete erleichtert durch. Sie waren wieder da, wo sie zu sein hatten, ohne fühlbaren Bruch. Doch wieso war Sam dann noch nicht wach?

Sanft ließ er seine Hand über das entspannte Gesicht gleiten und suchte nach einer Reaktion. Doch nichts geschah. Sam lag einfach da und rührte sich nicht. „Sam? Samuel?“ Leise flüsternd legte William seine Lippen an dessen Ohr. „Nur eine Reaktion, ein Zucken, ein Schlag. Meinetwegen schlag mich, aber mach die Augen auf.“ Seine Worte blieben ohne Erfolg und so hauchte er einen sanften Kuss auf das Ohr und stieg aus dem Bett.

In den Spiegel schauend blickte sich William in die Augen. Sein ganzes Gesicht schien entspannt, ja fast glücklich und er wusste nicht warum. Sollte er nicht eine sorgenverzerrte Miene haben, voller Gedanken und Wehmut? Und doch fühlte er sich entspannt und gut gelaunt.

 

Zwei Stunden später kam der Arzt aus Sams Zimmer und schüttelte immer wieder mit dem Kopf. „Er müsste wach sein, ich verstehe das nicht. Die Rippen heilen sehr gut, sind zumindest auf ihrem Platz. Der Rest wird eine Woche dauern, jedoch erklärt es seinen Schlaf nicht.“

„Sie sind nicht komplett geheilt?“ Das war ein Dämpfer für William, der wirklich gedacht hatte, es hätte funktioniert.

„Natürlich nicht, das wäre auch mehr als ein Wunder. Nicht einmal mit einem Partner werden Brüche je schneller heilen. Unter einer Woche ist da nichts zu machen.“

Erleichtert nahm William das zur Kenntnis. „Ich habe mit meinem Arzt gesprochen. Er hat Beziehungen und Zugang zu einem Magnetresonanztomografie-Gerät und würde Sam gerne dort hineinstecken.“

„Sehr gute Idee. Sie können ihn auch mitnehmen. Rein körperlich scheint ihm nichts zu fehlen und ich denke die Tomografie wird eher Aufschluss bringen, als ihn hier liegen zu lassen.“

Sophia und Bernhard war es zwar nicht ganz recht, ließen ihren Sohn trotzdem mitfahren. William sah die Angst in den Augen von Sams Eltern, wollte sie ihnen gerne nehmen und doch konnte er es nicht.

 

***

 

Er hörte und doch sah er nichts, fühlte und konnte sich nicht bewegen. Sam verstand nicht, was um ihn herum geschah. Doch er hatte seine Eltern, den Doktor und William an den Stimmen erkannt und entspannte sich innerlich.

„Ich werde ihm einen Katheter legen. Da es nicht vorauszusehen ist, wann er erwacht, wird es das Beste sein.“

Sam schrie, dass er das nicht wollte und doch hörte es keiner. Stattdessen hörte er das Schließen der Türe, spürte die recht kalten Hände des Arztes, der beruhigend mit ihm sprach. Doch das alles half nichts gegen die Prozedur, die man ihm antat. Sicherlich tat es nicht weh, doch es war ihm mehr als unangenehm. Als der Doktor dann auch noch William informierte, dass sie es im Auge behalten mussten und gegebenenfalls ausleeren, wäre er am liebsten sofort gestorben.

In dem Moment empfand er das zumindest als weniger schlimm, wie diese Demütigung. „Das bekommen wir schon hin, herzlichen Dank!“ Das war Williams Stimme, die ein Kribbeln in seinem Körper verursachte. Er nahm die Hände wahr, die ihm über die Wange strichen. „Gleich kommen der Doc und Sean, sie helfen mir, dich in unser Haus zu holen. Ich hoffe, das ist dir recht. Eine Reaktion, Sam, bitte nur eine kleine Reaktion!“ Der flehende Ton zerriss ihm das Herz, nichts lieber hätte er getan, als William in den Arm zu nehmen. Seine Gedanken stockten, wünschte er sich das wirklich? Hatte er die Stimme richtig interpretiert?

Sein Gehirn sandte ein klares Ja zu beiden Fragen. Innerlich lächelte Sam und spürte ein verräterisches Kribbeln in seinem Magen.

Abgelenkt wurde er von einem Druck an seinen Lippen, ein kleiner Stromschlag ließ seinen Körper erzittern. William küsste ihn, er spürte es ganz genau. Es fühlte sich vertraut an und doch so unendlich gut. Sam wollte eindeutig mehr, versuchte den Kuss zu erwidern, doch es wollte nicht funktionieren, sein Körper gehorchte nicht. William entfernte sich wieder, streichelte abermals seine Wange und dann hörte Sam nur noch die sich entfernenden Schritte.

Da lag er allein, in seinem eigenen Körper gefangen, konnte sich nicht äußern, noch irgendwie bemerkbar machen. Es war zum Schreien und nicht mal das brachte er fertig.

 

Das nächste Mal nahm Sam etwas wahr, als Seans Stimme neben ihm erklang. „Sam, du bist kein Leichtgewicht!“, raunte dieser und ächzte gespielt. In dem Moment merkte er einen Ruck durch seinen Körper gehen und wurde scheinbar hochgehoben.

„Macht langsam, ich bitte euch.“ Sam lachte innerlich, das war typisch seine Mutter, besorgt, als wäre er ein rohes Ei.

„Achtet auf den Katheter!“ Die Stimme von Fred, dem Arzt, der sein Tattoo getestet hatte. Den würde Sam wohl auch nicht so schnell vergessen und nun erst recht nicht. Ging es peinlicher? Vielleicht zogen sie ihm später auch noch Windeln an und legten ihm ein Lätzchen um. Allein der Gedanke ließ ihn geistig blass werden. Was wäre, wenn er als sabberndes Etwas aufwachte? Sein Geist komplett da und konnte sich nicht äußern? Der Gedanke drehte seinen Magen um. Sam würde dann nur noch leben, um William Energie zu liefern. Seine Kehle schnürte sich zu und Tränen sammelten sich in seinen Augen. Ob es wirklich zu sehen war, konnte er nicht sagen, doch für ihn fühlte es sich so an.

„Sind das …?“ Seans Stimme lenkte Sam ab.

„Ich weiß es nicht, kann auch einfach eine körperliche Reaktion sein. Hey Sam, wir sind alle da!“ Williams Atem legte sich auf sein Ohr und irgendwer wischte ihm die Feuchtigkeit von der Wange. So gut es sich anfühlte, er wollte nicht, dass es jeder mitbekam. Er weinte und das vor Sean und William, hatte Angst und fühlte sich auf eine Art einsam, die er nicht benennen konnte.

 

Lethargie, er gab auf, fühlte sich allein und verlassen. Eingesperrt in einer lebenden Hülle, die ihn nichts nach außen tragen ließ. Das Einzige, was ihn nicht aufgeben ließ, war William. Obwohl der ihn immer noch irritierte.

Jeder Tag verlief relativ gleich. William „weckte“ ihn mit zarten Berührungen, sprach zu Sam, bis er aus dem Raum ging. Dann kam eine fremde Person ihn waschen. Mittlerweile hatte er mitbekommen, dass es der Krankendienst war. Danach besuchte ihn Sarah, die ihm mit etwas Wasser die Lippen befeuchtete, worüber er jedes Mal dankbar war. Dazu flößte sie ihm eine nährreiche Suppe ein, Löffel für Löffel, vier Mal am Tag. Sarah sprach zu Sam, erzählte ihm das Neueste aus dem Haus und was sie sonst noch so erfuhr.

Bennet, Sean und Quinn wechselten sich ab, jeder kam einmal vorbei, erzählte mal mehr, mal weniger. Abends erschien William bei ihm, entschuldigte sich für seine Abwesenheit den Tag über. Sam hörte die Dusche rauschen und bald lag sein Partner neben ihm. Wie morgens bekam er Streicheleinheiten und nette Worte zugeflüstert und jeden Abend einen sanften Kuss auf seine glühenden Lippen. Was auch immer in seinem Bauch sein Unwesen trieb, es wurde von Tag zu Tag schlimmer. Wirbelte umher und sehnte sich nach dem Abend. Nach William, dessen Nähe und Aufmerksamkeit.

Doch wenn es neben ihm ruhig wurde, er nur noch William an sich spürte, der leise und regelmäßig atmete, hüllte ihn die Lethargie ein. Jeden Tag das Gleiche und keine Veränderungen. Von außen vielleicht, aber innerlich war er weiterhin eingesperrt.

 

„Du meinst, es wäre eine gute Idee, wenn er da rein kommt?“ Sam lauschte auf. William kam nie noch einmal ins Zimmer, wenn er aufgestanden war, doch nun war er da und schien jemanden mitgebracht zu haben.

„Es ist einen Versuch wert. Er liegt nun schon drei Wochen so da.“

„Okay, und wie läuft das jetzt ab?“

„Wir fahren in die Praxis meines Kollegen, er hat heute geschlossen für uns und so kann ich die benötigten Untersuchungen machen. Vielleicht finde ich durch die Tomografie raus, was seinen Zustand auslöst. Fakt ist, es ist nicht normal.“

Schritte waren um ihn herum, dann ein Atem an seinem Hals. „Wir bringen dich in eine Praxis, dort wird Fred Bilder deiner Knochen machen. Vielleicht findet er was.“

„Von deinem ganzen Körper, aber wir wollen mal nicht so kleinlich sein!“ Freds Lachen war für Sam zu hören.

Hielt William ihn wirklich für so dumm, dass er nicht verstand, was eine Tomografie war? Darüber würde er mit ihm sprechen müssen, wenn das je wieder ging.

 

Das Hämmern des Gerätes pochte immer noch in Sams Kopf, obwohl er schon länger wieder draußen war. Es kostete ihn alle Anstrengung, dem Selbstgespräch des Docs zu folgen. Was er verstand, war: „Nichts, gar nichts!“ Doch dann schnappte der Arzt nach Luft. „Da ist es, so ein kleines Biest!“

„Was?“, fragte William.

„Da ist ein Knochenfragment am Gehirn und davon wird eine Schwellung ausgelöst. Das könnte seinen Zustand erklären. Dieses Fragment und die Schwellung versetzen ihn in das Koma, es müsste raus.“

Stille!

Sam vermutete, dass sie sich fragend ansahen, doch sicher war er sich nicht. Er verstand die Bedeutung dessen, was der Arzt sagte, aber wirklich begreifen konnte er es nicht.

Ein Klingeln drang an sein Ohr, dann Schritte und Stimmen.

Jemand strich ihm übers Haar, hauchte Sam einen Kuss auf die Stirn. „Hallo, mein Junge!“ Mama, dachte er und seufzte innerlich. Dann wurde seine Schulter gedrückt, was er seinem Vater zuordnete, der sofort Fragen stellte. Diese waren eindeutig den Untersuchungsergebnissen zuzuordnen.

„Also keine Hoffnung!“, sprach Bernhard, was Sam wie einem Schlag gleichkam.

„Nun ja, so würde ich es nicht ausdrücken, Mister Callaghan. Man müsste lediglich das Knochenfragment entfernen, wenn dann die Schwellung weichen würde, dann könnte es sehr gut sein, dass ihr Sohn wieder wach wird“, sprach Fred in einem ärztlichen Tonfall.

„Eine Operation an unseresgleichen ist unmöglich! Ich brauche Ihnen doch wohl nicht zu erklären, wie der Heilungsprozess wirkt.“

„Das musst du ihm nicht erklären, Bernhard, und doch wird er es versuchen. Das ist kein Leben. Ich will nicht, dass Sam auf ewig so liegen muss, dafür währt unser Leben zu lang“, erklang Williams Stimme hart und unnachgiebig. Sam wollte schreien. Das konnte er nicht ernst meinen.

„William, du würdest sterben, wenn Sam es nicht schafft.“ Sam nickte eifrig zu der Aussage seiner Mutter, doch sah es keiner, denn sein Körper lag still.

„Es ist meine Entscheidung und ich möchte es so. Eine Diskussion darüber ist unsinnig, denn mein Wort allein zählt und das wisst ihr.“ Ein Schauer durchfuhr Sams Körper, die Ansage seines Partners ließ keine Widerrede zu.

„Ich werde mit dem König …“, erhob Bernhard seine Stimme, wurde jedoch rüde von William unterbrochen.

„Das kannst du gerne tun. Doch das Recht liegt bei mir. Er ist mein Partner und ich entscheide, welches Risiko ich eingehen möchte. Entweder steht ihr Sam und mir zur Seite, oder ihr lasst es. Meine Entscheidung steht und ich weiß, dass es Sam genauso wenig recht ist wie euch und doch werde ich ihm ein solches Leben nicht antun. Das hat er nicht verdient!“

Sams Herz schlug hart in seiner Brust und Tränen sammelten sich in seinen Augen. Seine Emotionen überschlugen sich geradezu in seinem Kopf. William wusste, wie er sich fühlte, würde sein Leben für ihn geben.

 

„Natürlich stehen wir euch bei“, seufzte Sophia. „Doktor Murray, wenn Sie eine Chance sehen, wie wollen Sie es bewältigen?“

Stühle rückten über den Boden, dann erklang die Stimme des Arztes. „Ich werde Sam und William trennen, für drei Tage. Umso weniger Energie er hat, umso mehr wird der Heilungsprozess unterbrochen oder verzögert. Das sollte mir die Möglichkeit geben, an das Fragment zu kommen, um es zu entfernen, eventuell sogar die Schwellung zu behandeln. Damit rechne ich zwar nicht, jedoch werde ich William in den Aufwachraum bringen und sie danach zusammenlegen. Dann heißt es abwarten.“

„Sie haben das schon mal gemacht?!“ Sam hörte die Frage seines Vaters und wusste, dass es einer Feststellung nahe kam. Genau wie er es sich dachte, es war eine zu ausgereifte Idee, um spontan zu sein.

„Das stimmt so nicht ganz, denn es waren kleinere Eingriffe. Eine Kugel im Arm, Fremdkörper, die in einzelnen Gliedmaßen nichts zu suchen hatten. Es hat bisher funktioniert. Allerdings ist das hier natürlich ein Extrem. Nicht zu vergleichen und die Chancen stehen 20 zu 80, das möchte ich klarstellen.“

William, sag es ab! Das ist zu gefährlich. Wie ein Mantra durchfuhr es seinen Kopf, während um ihn Stille herrschte.

„20 % sind viel. Wann kann es losgehen?“, durchbrach dann Williams Stimme die Stille, klang weiterhin sicher.

„Drei Tage. Ihr dürft euch drei Tage nicht sehen. Ich werde Sam gleich mitnehmen in mein Haus. Dort habe ich einen Raum umgebaut für solche Eingriffe.“

Sich nicht sehen, der Arzt war ja lustig. Sam rollte die Augen und fragte sich, ob Fred wirklich der Richtige war, um diese Operation durchzuführen. Ein Raum, auch das hörte sich für ihn nicht sonderlich beruhigend an. Einzig der Gedanke, dass es dann schneller vorbei war, ließ ihn innerlich ruhig bleiben.

 

Seine Sinne schwanden. Nicht mal die Kraft zum Denken hatte Sam und vermisste William so sehr. Die letzten drei Tage hatte er Zeit gehabt, über diesen Mann mit den braunen Augen, dem braunen Haar, eines Kriegers würdige Figur nachzudenken und ertappte sich dabei, ihn berühren zu wollen. Ein merkwürdiges Gefühl für Sam, sich nach einem Mann zu sehnen, dessen Körper in einem anderen Licht zu sehen. Sich zu wünschen, diesen berühren zu dürfen und noch mehr. Sich dieses Mehr vorzustellen, hatte er nicht mehr geschafft, sein Geist gab auf. Die Trennung zehrte an ihm und der dadurch resultierende Energieverlust tat sein Übriges.

„Hallo Sam, ich weiß, du bist schwach, aber ich bin mir sicher, dass du mich hören kannst. Wir gehen gleich zur Operation. Du schaffst das, ich glaub an dich, okay?“ Fred drückte seinen Arm. „Mir ist bewusst, dass wenn du es schaffst, mich hassen wirst. Ich kann dir keine Narkose geben, dafür bist du zu schwach. Lediglich eine örtliche Betäubung ist möglich.“

Das meinte dieser Arzt doch nicht ernst? Sadist, dachte Sam und ergab sich seinem Schicksal, was sollte er auch sonst machen?

 

Wie viele Leute um ihn rum waren, konnte Sam nicht sagen, seine Sinne waren nicht mehr ganz zu gebrauchen. Doch hatte er bemerkt, wie man ihm die Haare zum Teil rasierte. „Sam, ich schneide jetzt die Kopfhaut auf und dann werde ich bohren.“

Das will ich nicht wissen!, fluchte er und kämpfte dagegen an, nicht ohnmächtig zu werden, doch das hielt nicht lange an und sein letzter Gedanke galt William.

 

Ein helles, wenn auch recht kühles Licht traf Sam. Das war es also, von dem alle sprachen und keiner wusste, ob es das wirklich gab. Die Pforte zum Himmel oder dem Olymp, oder wie man es bezeichnen wollte. Sam lächelte, um kurz darauf die Tränen runterzuschlucken. Sein Tod bedeutete auch den von William.

 

„Doktor Murray, er hat die Augen auf!“ Woher diese Stimme kam, konnte Sam nicht sagen und was sie sagte, schien ihm unwirklich.

„Hey Sam, willkommen zurück“, erschien das Gesicht des Arztes vor seinen Augen und verbarg das Licht. „Streng dich jetzt nicht zu sehr an. Ich muss nur noch die Wunde versorgen und dann kommst du zu William, in Ordnung? Er wartet schon auf dich.“ Sam stand scheinbar ein Fragezeichen im Gesicht, denn Fred zwinkerte. „Du bist nicht tot und Will ist im Aufwachraum. Gedulde dich noch etwas.“

Damit verschwand der Arzt wieder aus seinem Blickfeld. Seine Lider wurden schwer und er ließ sich in einen traumlosen Schlaf ziehen.

 

***

 

William sah auf seine Hände, die zitternd um eine Tasse Kaffee lagen, welche er kaum noch halten konnte. Noch nie hatte er sich dermaßen schwach gefühlt. Sean hatte ihn ins Haus von Doktor Murray tragen müssen, was für ihn eine Schmach war. Neben ihm saß Sophia und sah ihn besorgt an, während Bernhard und Sean aus dem Fenster des Schlafzimmers blickten, welches als Aufwachraum umfunktioniert worden war.

Die Türe wurde aufgestoßen und Fred schob Sam in den Raum, lächelnd sah er in die Runde. „Er lebt, das Fragment ist entfernt und ich hatte wirklich die Zeit, ein Mittel gegen die Schwellung zu verteilen. Zweimal wollte sein Herz Ärger machen, doch auch das haben wir in den Griff bekommen. Vor ungefähr einer Stunde hat er die Augen geöffnet, wenn auch nicht für lange.“

Erleichterte Gesichter bei den Männern und bei Sams Mutter standen Tränen in den Augen. William nahm diese wahr, doch konnte und wollte er sich damit nicht befassen. Er wollte zu Sam, brauchte dessen Nähe. Sein Versuch aufzustehen, scheiterte kläglich und er war dankbar für Seans Hilfe.

 

Williams Blicke glitten über Sams Körper, über dessen Gesicht zu seinem Kopf. Die Haare waren sehr kurz geschoren und teilweise ganz abrasiert, doch er lebte. Mit zitternden Fingern griff er nach der Hand seines Partners, ließ sich auf den Rand des Bettes nieder und sah Sam einfach an. Energie durchströmte und kleine Blitze erschütterten seinen Körper, ebenso wie den seines Partners.

Flatternde Lider zeugten davon, dass Sam die Augen öffnen würde und ehe sich der Krieger versah, blickten ihm die hellgrünen Iriden entgegen. Ein Lächeln erschien auf den trockenen Lippen. „Hey du!“, lächelte William ihn an.

Der Versuch zu sprechen, scheiterte bei Sam kläglich, bis ihm seine Mutter etwas zu trinken gab und ihrem Sohn liebevoll über das Gesicht strich, um sich dann wieder zurückzuziehen.

„Hey!“, da war sie wieder. Die Stimme, die Williams Körper in Aufruhr brachte. Dann sah sich Sam um, sah einen nach dem anderen an. „Sean?“

„Einer musste ihn ja herbringen. Du machst Dinger, erschreck uns nicht mehr so, okay?“

„Okay!“

Verstohlen wischte sich Bernhard seine Tränen weg, was William kommentarlos übersah, und trat zu seinem Sohn. „Du lebst!“

„Ich glaube!“ Sam verzog sein Gesicht, seine Stimme war wieder rau und das Sprechen schien ihm wehzutun. Abermals stand Sophia bei ihrem Sohn und half ihm, zu trinken.

„Aber sicher lebst du und bist wach, mein Baby!“

William unterdrückte ein Lachen, ebenso wie Sean und Fred, während Sam das Gesicht verzog. „Mum!“, sprach er vorwurfsvoll.

„Entschuldige, aber eine Mutter wird sich doch freuen dürfen, dass ihr Sohn nicht tot ist.“ Sophia war eingeschnappt und machte daraus keinen Hehl.

„Darfst du. Aber nicht „Baby“ …“

„Du wirst immer mein Baby sein. So einfach ist das. Wir werden jetzt gehen und dir Ruhe gönnen, aber morgen sind wir wieder da!“ Mit diesen Worten küsste sie ihren Sohn auf die Stirn und verließ zusammen mit Bernhard das Zimmer.

Sean grinste: „Eltern sind schlimm, nicht wahr? So Kleiner, ich bin weg. Bennet kommt euch am Abend holen.“

Dankbar sah William seinem besten Freund entgegen, der es nur mit einem Nicken kommentierte. Fred schloss sich wortlos Sean an und so waren Sam und William allein.

 

Ganz vorsichtig, als wäre sein Gegenüber zerbrechlich, umschloss William dessen Gesicht. „Ich bin froh, dass es geklappt hat!“

„Ich auch, das hätte anders laufen können.“

William nickte und zuckte mit den Schultern. Dann runzelte er die Stirn. „Hat dir Fred schon alles erzählt? Ich dachte, du wärst weggetreten gewesen bei der Operation.“

„Teilweise, ja. Ich habe alles gehört und mitbekommen!“, hörbar wurde Sams Stimme leiser und er nahm dankend einen Schluck Wasser, den William ihm reichte.

„Alles? Seit dem Unfall?“

Sam nickte und sah müde zu ihm. „Ich bin müde.“

„Dann schlaf.“ Irritiert bemerkte er, wie Sam versuchte, auf die Seite zu rutschen, um neben sich Platz zu machen. Doch dessen Kraft schien noch begrenzt, die Muskulatur erschlafft. „Was hast du vor? Du kannst noch nicht aufstehen!“

„Bleib bei mir, hier!“ Dabei blickte Sam zur Seite.

Wortlos zog sich William aus, half Sam, sich mit dem Rücken zu ihm zu drehen und legte sich dann nahe an ihn heran. Versucht, ihm einen Kuss in den Nacken zu geben, schloss William die Augen.

Sam hatte alles mitbekommen, jede seiner Berührungen, Worte und Gesten. War das gut oder schlecht? Als William die Augen wieder öffnete, sah er direkt auf den Hinterkopf, die Naht war noch nicht verheilt, doch hatte der Prozess bereits begonnen. Vorsichtig legte er zwei seiner Finger auf die Wunde, was Sam zusammenzucken ließ. „Soll ich nicht?“

„Schon gut, ich hab mich erschreckt!“ Es war nur ein Flüstern und kurz darauf atmete Sam gleichmäßig. Auch William ließ sich in den Schlaf fallen, der ihm in den letzten Tagen gefehlt hatte.

 

Etwas rüttelte an seiner Schulter, ein Flüstern drang an Williams Ohr. „Aufstehen, ich muss nach Sam schauen!“ Frederik Murray zwinkerte ihm zu und ließ den verschlafenen Krieger aufstehen.

Äußerlich war die Wunde mittlerweile nicht mehr zu sehen, lediglich eine blasse Narbe erinnerte daran, welche mit der Zeit noch mehr verblassen würde.

„Sehr gut, wenn der Knochen sich in den nächsten zwei Wochen regeneriert hat, ist es überstanden.“

„Danke!“, erklang Sams leise Stimme, erst da bemerkte William, dass dieser schon wach war.

„Kein Problem, jetzt schmeiß ich William raus und wir beide entfernen mal alles Lästige an dir, oder?“

Damit war der Katheter gemeint und da wollte Will wirklich nicht dabei sein. Ohne etwas zu sagen, trat er aus dem Raum und ging in die Küche. Er war schon oft bei dem Arzt zu Besuch gewesen, kannte sich bestens aus und somit hatte er schon bald drei Kaffee zubereitet, mit denen er wieder ins Krankenzimmer kam.

Gerade deckte Fred den grimmig dreinschauenden Sam zu. „Du bist ein Sadist!“

„Das haben schon andere behauptet, also nichts Neues!“, lachte der Arzt, warf die Utensilien weg und wusch sich die Finger, bevor er dankend den Kaffee annahm. „Du wirst jetzt viel Geduld brauchen. Deine Muskulatur ist schwach, der Aufbau wird etwas dauern. Steve wird noch diese Woche zur Unterstützung kommen und dir auch bei deinen Übungen helfen.“

Sam nahm gierig einen Schluck des Kaffees. „Wer ist Steve?“

„Dein Pfleger der letzten Zeit. Ein netter Mann von achthundert Jahren.“

„Gut. Und ab jetzt kann ich wieder aufstehen und alles?“

„Du darfst es gerne versuchen, aber ich bezweifle, dass es funktionieren wird. Sam, du lagst gut drei Wochen im Koma, deine Muskulatur ist erschlafft.“

Es war wie ein Startschuss für Sam und William sah sprachlos zu, wie dieser versuchte, aus dem Bett aufzustehen. Doch dessen Arme schafften es nicht, ihn in eine aufrechte Position zu bringen, geschweige denn, dass seine Beine die Kraft hatten, sich zu bewegen. Sam war frustriert, seine Augen glitzerten vor Zorn und Frust. William verstand ihn gut, allein die Vorstellung, sich nicht selbst fortbewegen zu können, war grausam.

Seine Hand legte sich auf Sams Rücken und drückte leicht dagegen, damit dieser sich aufsetzen konnte. „Ein paar Tage lässt du dir noch helfen und dann klappt das sicher wieder!“, sah er ihn aufmunternd an.

„Hoffentlich. Hab ich Kleidung hier, ich will mich umziehen!“

Fred nickte, wies auf eine Tasche und legte seine Hand auf die Türklinke. „Das überlasse ich euch beiden Hübschen.“

Sam bedachte den Arzt mit einem tödlichen Blick, was William stirnrunzelnd sah. „Was ist? Ich werde dir schnell helfen und gut ist.“

„Aber ich habe nichts an. Bis auf einen Kittel, gar nichts!“

William stoppte in seiner Bewegung. Sam ist nackt unter dem Kittel! Gut, das hatte er verstanden. Komplett nackt! Das wiederum ließ ihn schwer schlucken. Er ist ein Mann, wie du auch, versuchte er sich selbst zu beruhigen und zog die Kleidung aus der Tasche. Er würde einfach nicht hinsehen, das würde schon kein Problem darstellen. Williams Plan schien für ihn perfekt, bis es soweit war. Die Decke glitt von Sams Körper, was seinen Blick lockte. Gerade ein Kittel verdeckte das Notdürftigste, das er jetzt komplett verpacken durfte.

Normalerweise … William verbat sich weiter zu denken, er sollte Sam anziehen und nicht unanständigen Gedanken frönen. Die Decke war von Sams Körper verschwunden, als er die Boxershorts in die Hände nahm. Ein Bein nach dem anderen fand den Durchschlupf durch den samtigen Stoff. Langsam schob er die Shorts über Sams Beine, folgte dem Stoff auf seinem Weg mit den Augen. Die Haut unter seinen Fingern war weich und reizte ihn, sie zu berühren.

Ein Räuspern unterbrach seine abtastenden Blicke und er sah Sam in die Augen. Dieser schwankte sichtlich zwischen Verlegenheit und Entrüstung über diese schamlose Begutachtung. Während William darauf wartete, was Sam ihm sagen wollte, er aber immer wieder den Mund öffnete und schloss, fuhren seine Hände mit dem Stoff weiter hinauf. Der Kittel bedeckte die Stelle, welche wohl am verfänglichsten gewesen wäre. Mit aller Kraft drückte Sam sein Gesäß hoch und half William dabei.

 

Auf eine Standpauke seines Partners wartend, zog er diesen weiter an. Immer noch sahen sie sich in die Augen. Shorts, Socken und eine Jogginghose verhüllten alsbald den Unterleib von Sam. William half ihm, sich wieder aufzusetzen, da er bei der Ankleidung seiner unteren Hälfte wieder zum Liegen gekommen war. Fast schon als zärtlich anzusehen, streifte er den Kittel von seines Partners Schultern, der unter seiner Berührung erschauderte. Kurz unterbrachen sie den Blickkontakt, als William Sam das T-Shirt über den Kopf zog.

Den Bund an den Händen, näherte sich der Krieger und zog das Shirt hinab. Sams Kehlkopf erzitterte unter einem harten Schlucken, seine Zunge benässte die trockenen Lippen, als auch er seinen Kopf Millimeter für Millimeter näher an den von William brachte. Sie zitterten vor Aufregung und Verlangen, den anderen zu schmecken, als die Tür aufgerissen wurde und William abrupt Distanz zwischen sie brachte.

Sein Herz pochte, dass er meinte, jeder müsste es hören, besonders Bennet, der gerade eingetreten war.

„Dornröschen ist also erwacht. Willkommen zurück!“, zwinkerte der kahlköpfige Krieger und verpasste Sam einen Hieb auf den Rücken.

Dieser japste nach Luft. „Danke, aber deshalb musst du mich jetzt nicht umbringen.“

„Entschuldige. Na, dann wollen wir mal nach Hause, oder? Kannst du laufen?“

Sam ließ seinen Kopf hängen und schüttelte diesen.

„Na, lass den Kopf mal nicht hängen, immer schön oben behalten, das kommt wieder. William rechts und ich links, dann wirkt es wenigstens so.“ Das Zwinkern seines Kriegers ließ William erleichtert lächeln.

 

Mit Blicken schien William Sam auffressen zu wollen, so zumindest hatte es gerade Bennet dem Anführer der Krieger ins Ohr geflüstert. Beschämt hatte der sofort seinen Blick von seinem Partner genommen und sich auf die Lippe gebissen. Dabei konnte er doch gar nichts dafür, dieser Drang, Sam anzusehen, war 100 % von der Trennung beeinflusst. Das zumindest redete er sich ein. Er brauchte dringend eine plausiblere Antwort für sein Verhalten. Vor allem wurde es Zeit, dass er sich in den Griff bekam. Wo war nur seine Selbstsicherheit und Beherrschung hin? Es war alles, wie es die alte Seherin vorhergesagt hatte. Das wurde William nur allzu bewusst.

Als er seinen Blick wieder zu Sam wandern ließ, fing dieser ihn sofort ein. Ein leichtes Lächeln lag um dessen Lippen, doch in den Augen sah William Schmerzen. „Möchtest du aufs Zimmer?“

„Gerne.“ Leicht verlegen sah er in die Runde. „Ich kann kaum sitzen, es tut mir weh und ich fühle mich, als hätte mich ein Auto angefahren!“, zwinkerte er lachend und ließ sich von William aufhelfen, der ihn für seinen Witz bewunderte.

 

„Ich würde mich gerne bettfertig machen.“ Sams Stimme war nur ein Flüstern, welches William Mühe kostete, es zu verstehen.

„Du möchtest ins Bad?“ Das Nicken bestätigte seine Vermutung und so griff er Sam unter die Arme und führte ihn in das gewünschte Zimmer. Hinter ihm stehend, lehnte William seinen Partner an sich, damit sich dieser alleine die Zähne putzen konnte. Dessen ganzer Körper zitterte vor Anstrengung und doch ließ Sam es sich nicht nehmen, alles alleine zu machen. Selbst der Toilettengang bewältigte er eigenständig und ließ sich nur beim Setzen und Hinstellen helfen.

„Du wirst schnell wieder fit, wie ich das so sehe“, lächelte William aufmunternd.

„Das sehe ich erst so, wenn ich alleine laufen kann. Ich komme mir echt blöd vor.“

Zusammen setzten sie sich aufs Bett, wo William Sam half, sich auszuziehen. „Musst du nicht, so schlimm ist es wirklich nicht. Wenn ich dir helfen kann, mache ich es gerne.“

 

***

 

Jede Berührung von William ließ Sam innerlich aufseufzen. Es fühlte sich verboten gut an, erschreckte ihn so sehr, wie er es genoss. Der Gedanke, mehr davon zu wollen, ließ sein Herz Massen an Blut durch seine Adern pumpen und ihn nervös werden. Sam hoffte inständig, dass William es nicht bemerkte und er selbst sich in den Griff bekam.

Wie am Mittag schien der Krieger es absichtlich hinauszuzögern. Zumindest kam es Sam so vor, dass dieser extrem lange brauchte, um ihm die Hose von den Beinen zu streifen, die Socken auszuziehen und sein T-Shirt hinaufzuschieben. Die rauen Hände fuhren über seinen Bauch und Brust und ließen seinen Atem immer mehr stocken. So sehr Sam zurückweichen wollte, lehnte er sich den Händen entgegen, die seine Kleidung entfernten. Er wollte berührt, erkundet werden. In seinen Gedanken spürte er die Lippen von William, die über seine herfielen und ihn aufforderten, an diesem intimen Austausch teilzunehmen.

„Bist du so fertig, dass du mir nicht mehr helfen kannst?“, besorgt blickten die braunen Augen Williams in seine.

„Ich, ja bin etwas fertig.“

„Gleich haben wir es ja, dann kannst du dich hinlegen und schlafen!“

Sam wollte alles, nur nicht schlafen. Mit dem Hinlegen war er absolut einverstanden, aber das Gefühl, dabei William mit sich ziehen zu müssen, keimte in ihm auf. Konnte er es wagen? Schließlich hatte der sich über zwei Wochen an ihn geschmiegt, ihn geküsst und erfühlt.

Doch ehe er seine Überlegung in die Tat umsetzen konnte, lag er schon auf dem Bett und William verschwand im Bad.

 

Eigentlich wollte sich Sam beleidigt zur Seite drehen, schaffte dies aber nicht allein und als William dann auch noch nur in Shorts raus kam, konnte er nur noch starren. Wohl definierte Bauchmuskeln, stramme Oberschenkel und ein entspannt wirkendes Gesicht erblickte Sam und er musste aufpassen, dass er nicht sabberte. Noch nie hatte er einen Mann so dermaßen anziehend empfunden wie diesen.

Jetzt oder nie!, schrien seine Gedanken. „William, könntest du mal …“

Ein Piepen drang bis zu ihnen ins Zimmer und Sam wusste, was das hieß.

 

Es dauerte keine fünf Minuten und William verschwand angezogen aus dem Raum. Alarm, irgendwo machte irgendwer Ärger.

Sam war frustriert und als er Schritte auf dem Flur hörte, schloss er eiligst die Augen. Sam wollte mit keinem reden und so stellte er sich schlafend.

Irgendwer kam rein und verschwand kurz darauf wieder. Erleichtert öffnete Sam die Augen und sah zur Decke. Ihm gingen die letzten Wochen durch den Kopf, die Nähe, die William ihm geschenkt hatte und nun diese Haltung. Woran es wohl lag, dass dieser ihm nun nicht die gleiche Aufmerksamkeit schenkte? Dabei hatte er sich nichts mehr gewünscht, als diese Liebkosungen zu erwidern. Sollte er die Initiative ergreifen? Über diese Gedanken schlief er ein.

 

Doch selbst seine Träume brachten keine Erkenntnisse und dass William dieses Mal nicht eng bei ihm lag, war wie eine kalte Dusche. Hatte der ihm die Nähe und Aufmerksamkeit nur geschenkt, weil er so krank gewesen war? Keine wahren Gefühle?

Schwer seufzend versuchte Sam sich aufzusetzen und es funktionierte, auch wenn es ihn anstrengte. Selbst in den Stand schaffte er es, doch schon nach zwei Schritten schlug sein Körper mit einem dumpfen Laut auf dem Boden auf.

Er vernahm das Geräusch von Williams raschem Aufstehen. „Was machst du?“

„Ich wollte mal sehen, wie der Boden beschaffen ist. Unter dem Schrank ist ganz schön viel Staub!“

Irritiert sah William Sam an, dann zu dem großen Kleiderschrank. „Soll ich dir einen Lappen bringen, wo du schon da unten bist?“

„Zu freundlich von dir, den kannst du dir aber auch …“

Das Klopfen an der Tür unterbrach Sam, der nun genervt aufsah, als ein Mann eintrat. Dieser sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an, dann fragend zu William. „Sam wollte nur kontrollieren, wie sauber es hier ist und hat Dreck unter dem Schrank gefunden.“

„Putzen kannst du später. Hey, ich bin Steve und für diese Woche noch dein persönlicher Antreiber. Es freut mich übrigens, dass es dir wieder so gut geht. Erlebe ich selten!“, dabei half der Krankenpfleger Sam auf.

„Danke, auch für die Pflege der letzten Wochen.“

„Du hast wirklich alles mitbekommen? Peinlich und ich habe mich nicht mal vorgestellt.“ Steve zwinkerte und drückte Sam zurück. „So, wir machen schnell ein paar Übungseinheiten, bis dahin sollte William fertig sein und dann gehen wir ins Bad.“ Dieser streckte daraufhin Sams sämtliche Gliedmaßen, motivierte ihn für leichte Druckübungen. „Du musst dich mehr bewegen. Einfachste Übungen werden dir helfen.“

Sam nickte und sah zum Bad, wo William herauskam. Lediglich ein Handtuch verhüllte seinen Intimbereich. „Fertig mit deiner Untersuchung vom Fußboden?“, sah dieser ihn an.

„Ich mache später weiter. Hast du ein Problem damit?“ Woher die Gereiztheit kam, konnte Sam nicht sagen, aber er wollte William am liebsten an die Kehle gehen. Dieser zuckte in dem Moment mit den Schultern und zog sich an. Dabei ließ er Sam einen Blick auf sein Gesäß werfen, das ihn zum Stocken brachte. Selbst als William ihn wieder verpackt hatte, starrte Sam weiter auf dessen Hinterteil, bis ihn Steve anstieß. „Sabber nicht!“, flüsterte dieser und half ihm auf, um ins Bad zu kommen. „Darf ich indiskret werden?“ Sam sah seinen Pfleger kritisch an, nickte aber. „Dein erster Blick eben sagte so viel wie: Ich bring dich um. Dein Zweiter: Leg mich flach. Was hast du nun wirklich gedacht?“

Er spürte, wie sein Gesicht rot anlief, sein Blick senkte sich beschämt auf die schwarzen Fliesen. „Kommt schon hin. Shit!“

„Wieso fluchst du? Ihr seid doch in einer Partnerschaft, oder habe ich das missverstanden?“

„Nein, also ja, ist schon richtig, sind wir. Aber …“

Steve verstand auch ohne, dass Sam es aussprechen musste und nickte verstehend. Kurz verschwand der Pfleger hinaus und kam dann mit einem Hocker zurück. „Der ist zum Duschen, wenn du nicht mehr stehen kannst, setzt du dich eben.“

 

Drei Stunden dauerte es, bis Sam Steve los war und langsam, aber sicher war er wirklich genervt. Diese Übungen hatten etwas von Kinderturnübungen und das ewig gute Zureden tat sein übriges. Dann nervte ihn auch noch Fred, der seinen Kopf untersuchen wollte und damit Kopfschmerzen auslöste. Der Tag hatte beschissen angefangen und es schien sich ebenso weiter entwickeln zu wollen. Ein Glück war der Arzt nach nur 15 Minuten vor Sam geflohen, denn der platzte fast vor innerlicher Aggression, für die er ein Ventil brauchte und hätte diese am liebsten an Fred ausgelassen.

Dass es ausgerechnet Bennet traf, war ein unglücklicher Zufall, denn dieser wollte Sam mit nach unten nehmen. Der benahm sich wie ein kleiner verzogener Bengel, wehrte sich gegen jede Hilfe, fauchte Bennet ununterbrochen an, bis dieser ihn ins Bad schleifte und mit dem Kopf kurz unter die kalte Dusche drückte. Entsetzt hatte Sam seine Augen geöffnet und Bennet vernichtend angesehen. „Was soll das, hast du einen an der Klatsche?“

„Reg du dich mal ab. Deine Eltern sind unten und ich dachte, dass du sicher keinen Bock hast, den ganzen Tag hier oben zu sein und du beschimpfst mich? Wenn du frustriert bist, lass es da aus, wo es hingehört und nicht an mir.“

„Dann lass mir verdammt noch mal meine Ruhe und meine Eltern ebenso. Habt ihr nichts anderes zu tun, als mir auf den Nerv zu gehen?“ Es war unfair, dessen war sich Sam durchaus bewusst und doch konnte er gerade nicht anders. In seinem Inneren war ein Aufruhr, den er nicht in den Griff bekam.

„Sexuelle Frustration steht dir nicht!“ Das saß. Geschockt, erbost, geknickt, eine Mischung aus allen möglichen Emotionen wanderte über Sams Gesicht. „Eins zu null für mich, was? Ich würde ja sagen, such dir eine Frau, aber das würde nicht gut gehen und somit rate ich dir …“ Bennet tippte ihm auf das mittlerweile nasse T-Shirt, was seine Brust verhüllte. „… mach deine Augen auf und gib endlich zu, dass du mehr von William willst. Vor allem sag es ihm, dann erleichtert ihr euch einiges!“ Sam schnappte nach Luft, doch Bennet ließ ihn nicht zu Wort kommen, zog ihn aus dem Bad und half ihm, sich umzuziehen. „William und du, ihr steht euch näher, als ihr wahr haben wollt, oder wollt ihr es und gebt es nicht zu? Wie auch immer, ihr solltet daran was tun, denn eure Launen gehen mir gehörig auf die Nerven und ich habe keine Lust, bald einem von euch das Gesicht zu polieren. Verstanden?“ Dessen dunkelbraune Augen sahen tief in Sams.

„Ja!“, brachte dieser nur raus und ließ sich die Treppen hinab helfen.

 

Sexuelle Frustration steht dir nicht! Dieser Satz von Bennet wollte nicht mehr aus Sams Gedanken verschwinden. Wie sollte er William sagen, dass er ihn anziehend fand und dass nicht nur auf freundschaftliche Art, sondern körperlich. Jeden Morgen versuchte er einen Blick auf dessen Körper zu erhaschen, ohne dass dieser es mitbekam. Sam beobachtete William beim An- und Ausziehen, wie dessen Hände über den eigenen Körper fuhren. Wasserperlen nach dem Duschen an Stellen waren, die er zu gerne berührt hätte. Doch irgendwas in Williams Blick hielt ihn ab, auch nur Andeutungen dahingehend zu machen. Dessen Augen hatten eine Barriere aufgebaut, die unüberwindbar schien.

Eine Woche war seit seiner Operation vergangen und langsam, aber sicher wurde Sam wieder selbstständig. Der Arzt hatte ihm zwar noch für zwei Wochen Ruhe verordnet, somit war Arbeiten nicht angebracht, aber Sam konnte laufen.

 

Fluchend stand er an der Haustür, durch die William soeben geflüchtet war. Wieso sie sich gegenseitig jedes Mal so reizten, wusste er nicht, aber dieses Mal schon. Er hatte William provoziert, mit kleinen Anmerkungen und Gesten.

Sie waren allein in der Küche gewesen und Sam hatte sich an William vorbeigedrückt. Er genoss dieses intensive Gefühl, was seinen Körper dabei vereinnahmte. Sie sahen sich in die Augen und Sam hatte bemerkt, dass die seines Partners verdunkelt waren. Wie immer, wenn William schlechte Laune hatte.

„Hat dich heute wieder jemand geärgert?“, der Tonfall, in dem Sam die Frage stellte, klang gelangweilt. Er wusste schon von Bennet, dass Williams Laune ein unbekanntes Tief erreicht hatte.

„Ja, DU, sonst noch Fragen?“ Mit dieser Antwort hatte Sam nicht gerechnet, doch in ihm brodelte es.

„Ich? Oh entschuldige, dass ich dich berührt habe. Wird nie wieder passieren.“

„Besser wäre es, denn auch meine Geduld ist mal am Ende, ob du es glaubst oder nicht!“

„Ich wusste ja nicht, dass ich dir so zuwider bin, aber keine Angst, wird nie wieder passieren. So versessen bin ich auch nicht drauf!“

Ein kurzer Dialog, der William nach draußen getrieben hatte und Sam zum Fluchen brachte.

 

„Alles klar?“ Bennet tauchte hinter ihm auf und legte eine Hand auf Sams Schulter.

„Nichts ist klar, gar nichts. Wäre ich ein Vampir, würde ich in die Sonne gehen und müsste das alles nicht mehr ertragen.“

„So schlimm also. Wie wäre es, wenn du mal mit Kevin oder Manuel redest?“ Irritierte Blicke trafen Bennet. „Sie hatten angerufen, nachdem ihr das erste Mal da wart. Ich soll euch bei Bedarf zu ihnen schicken. Soll ich dich fahren?“

Sam nickte einfach, wieso auch nicht? Er war nun mal kein Vampir und die Sonne tat ihm nichts an.

Eine halbe Stunde später ließ Bennet Sam vor dem Haus von Buckley und Stone raus. „Ruf an, wenn ich dich abholen soll.“ Mit diesen Worten fuhr der Krieger.

 

Nervös strich sich Sam über seine Haare, atmete tief durch und klingelte an der Tür.

Lächelnd öffnete Kevin die Tür, stockte dann und blickte verblüfft zu Sam. „Hallo, was machst du denn hier, allein?“ Dabei sah dieser sich draußen um.

„Ich dachte, also ihr sagtet zu Bennet … er hat mich hergebracht … weil …“

„Ach so, in Ordnung, aber Manuel ist nicht da und du bist auch allein gekommen. Ich weiß nicht, ob es unseren Partnern recht ist.“

Sam verstand die plötzliche Nervosität seines Gegenübers nicht, was sollte das für ein Problem sein? „Soll ich wieder gehen?“ Kevin überlegte, atmete einmal tief durch und bat ihn dann rein. „Wieso hast du jetzt gezögert?“, wollte Sam wissen.

„Versteh das nicht falsch, aber würdest du gerne sehen, wenn dein Partner allein mit einem Mann ist?“

„William ist immer wieder mit den anderen alleine.“

„Sicher und was wäre, wenn ich dir sage, dass er heute mit Zack laufen gegangen ist?“

Mit größer werdenden Augen sah Sam Kevin an. „Wer ist Zack?“

„Ein Freund!“ Die Art, wie sein Gegenüber das letzte Wort aussprach, ließ in Sams Magen einen Krampf entstehen.

„Was für ein Freund? In welcher Hinsicht und wieso weiß ich nichts von ihm, wenn er ein Freund ist?“

„Merk dir das Gefühl und du weißt, wieso unsere Partner es nicht gerne sehen, wenn wir uns ohne ihr Wissen alleine treffen. Ich weiß nicht, wo William ist und sicherlich trifft er sich mit niemandem. Einen Zack kenne ich nicht!“ Wissend grinste Kevin und sah, dass sein Gast es verstanden hatte. „Wo du aber da bist, wie geht es dir?“

„Wieder sehr gut, danke schön. Ich bin aber wegen was anderem hier.“

Zusammen setzten sie sich auf die Terrasse und Kevin wartete ab, was Sam ihm sagen wollte. Dieser brauchte eine Weile, um alles in Worte zu fassen, zu erklären, was momentan zwischen William und ihm war.

Fast eine halbe Stunde erzählte Sam, um dann Kevin fragend anzusehen.

„Verstörend, nicht wahr? Wir sind mit dem Wissen aufgewachsen, einer Frau zugeordnet zu werden und dann trifft es uns anders. Sam, du bist schlicht und ergreifend verliebt.“

„Aber …“

„Such nach Ausreden wie du möchtest, es wird dir nichts helfen. Ihr seid Partner, dass es soweit kommt, war zu erahnen. Vor allem, da euer Auftreten hier schon darauf hindeutete. Eure selbstverständliche Nähe ließ darauf schließen.“

Sam überlegte, ein Lächeln legte sich ungewollt auf seine Lippen, es war eine schöne Erinnerung an den ersten Besuch hier. „Gut, sagen wir, du hast recht …“

„Habe ich!“

„Okay, wie du meinst. Und jetzt? Er will ja nicht mal mehr, dass ich ihn berühre. Einseitig ist es ganz schön bescheiden, kann ich dir sagen. Als ich da lag und mich nicht bemerkbar machen konnte, war er immer bei mir. Hat mich umarmt, geküsst, war mir nahe und nun? Er flippt aus, weil ich ihn im Vorbeigehen berührt habe!“

Kevin grinste und holte erst einmal etwas zu trinken. „Hast du schon in Betracht gezogen, dass er ebensolche Gedanken hat wie du und diese ihn überfordern?“ So entgeistert, wie Sam seinen Gesprächspartner anstierte, schien dieser die Antwort zu kennen. „Wohl nicht. Pass auf, ich erzähle dir mal von Manuel und mir. Auch für uns war es nicht einfach, unsere Erziehung hat uns geprägt. Doch war uns recht schnell klar, dass wir zusammengehören und auch mehr voneinander wollten, als nur zusammenzuliegen. Doch beide hatten wir darin keine Erfahrung und scheuten uns auch. Irgendwann kam ich wohl auf die dümmste Idee der Welt und ging in ein Etablissement, welches nur für Männer gedacht war. Allerdings war dort sicherlich der falsche Ort, um sich in die Kunst der gleichgeschlechtlichen Zusammenkunft einführen zulassen. Ich mache es kurz, es hatte nur einen positiven Aspekt, danach sind Manuel und ich uns schnell näher gekommen. Er hat meine Wunden geheilt.“ Kevins Grinsen war breit und seine Augen glänzten.

„Deine Wunden waren … oh … oh. Ja. Okay!“ Die Röte in Sams Gesicht brachte sein Gegenüber zum Lachen.

„Tja, alles hat seine guten Seiten, aber ich empfehle dir diesen Weg nicht. Deine Gedanken zu eurem zukünftigen Intimleben sind ja schon ganz ausgeprägt und mit etwas Gefühl, Mut und Zärtlichkeit, steht dem nichts im Weg.“

„Und wie bekomme ich William dazu?“

„Sicherlich nicht, wenn du hier sitzt!“

Erschrocken drehten sich beide zur Terrassentür, wo Manuel im Türrahmen lehnte. Der drückte sich von diesem ab, ging gemächlich auf seinen Partner zu und drückte ihm provozierend einen Kuss auf die Lippen, um dann zu Sam zu sehen. „So in etwa bekommt man jemanden überzeugt. Ich wusste gar nicht, dass wir Besuch erwarten.“

Sam biss sich auf die Unterlippe. „War auch etwas kurzfristig. Bennet meinte …“

Prompt hellte sich Manuels Gesicht auf und er nickte. „Alles klar. Also willst du wissen, wie du William überzeugen kannst, mehr zu wollen als nur deine Energie, korrekt?“

„Ja richtig, aber …“ Sams verzweifeltes Gesicht ließ Kevin weiter reden.

„Er meint, dass William gar nicht so ein Interesse hat. Ich bin allerdings davon überzeugt. Wenn ich ehrlich bin, ich an deiner Stelle, Sam, würde ihn so lange reizen, bis er die Kontrolle verliert.“

Manuel nickte zustimmend. „All zu lange wird das auch nicht dauern, wie ich das einschätze. Er sitzt in seinem Wagen vor unserer Tür und wie ich die Nachbarn verstanden habe, bereits seit einer Stunde!“

 

***

 

Nervös tippte William auf das Lenkrad, während seine Atmung immer tiefer wurde. Es passte ihm nicht, dass Sam zu Kevin gefahren war und am liebsten hätte er Bennet dafür eine verpasst. Wie konnte dieser es wagen, seinen Partner allein zu einem Mann zu lassen, der nachweislich auf Männer stand? Das war für William inakzeptabel.

Selbst als Manuel nach Hause kam, machte es das nicht besser. Seine Finger umfassten das Lenkrad, bis die Knöchel hervorragten.

Als Sam aus der Tür trat, atmete William erleichtert aus, auch wenn seine Augen jede Bewegung verfolgte, um zu sehen, ob es seinem Partner gut ging.

Dieser sah so gut gelaunt aus, dass es William heiß und kalt wurde. Was hatte Sam mit den zwei Männern im Haus gemacht?

Grimmig dreinblickend sah er Sam zu, wie dieser die Straße entlang ging und war überzeugt, dass er ihn gesehen haben musste. Jetzt war eindeutig Schluss.

 

William hielt direkt neben Sam am Straßenrand, seine Zähne fest aufeinander gepresst, während er die Beifahrertüre aufstieß und „einsteigen!“ zischte. Es war ein Befehlston, den sonst nur seine Männer zu hören bekamen.

Erschrocken sahen William grüne Augen an, doch Sam tat, was von ihm gefordert wurde. Das eisige Schweigen im Auto untermauerte Williams Vermutung, dass Sam bei Kevin nicht nur Kaffee getrunken hatte. Wut wallte in ihm auf, er konnte es nicht fassen. Er riss sich seit Tagen zusammen, um nicht über Sam herzufallen und der vergnügte sich mit einem anderen.

 

Im Haus gingen dem Anführer alle aus dem Weg, ein Blick hatte gereicht, um jedem bewusst zu machen, dass man ihn besser in Ruhe ließ. Seine Hand war fest um Sams Oberarm gelegt, als er diesen die Treppen hinauf zog. William riss die Schlafzimmertür auf, stieß Sam hinein, der sich kurz darauf an der Wand wiederfand.

„Geht es noch? Das ist das dritte Mal …“ Sam unterließ es, weiter zu sprechen und dem Krieger war klar, wieso. Sein Blick war mörderisch, seine Ader am Hals pochte fühlbar und sehr wahrscheinlich sogar sichtbar.

„War er wenigstens gut? Hat er dich anständig durchgenommen, oder durftest du ran?“

„Bitte?“ Verwirrt sah ihn Sam an, bald nur noch ungläubig. Wütend stieß er William von sich. „Hast du sie noch alle? Ich war da, um mit Kevin zu reden und sicherlich nicht, um mit ihm …“

„Ja, klar. Und das verräterische breite Grinsen passt auch zu deiner Erklärung. Soll ich dir das wirklich glauben?"

„Du kannst glauben, was du willst, ich weiß schließlich, was war. Du bist so dumm!“

Abermals krachte Sam gegen die Wand und Williams Nasenflügel blähten sich gefährlich auf. „Ich bin dumm? Die ganze Woche gehe ich dir aus dem Weg …“

„Stimmt, kannst noch nicht mal ertragen, dass ich dich berühre. Halte lieber Abstand, bevor du dich übergibst!“

Williams Herz schien sich überschlagen zu wollen, sein Atem wurde hektischer, während sich sein Körper immer mehr an den seines Partners presste. „Ich habe nie gesagt, dass ich es nicht ertrage!“

„Ach nein? Ich suche deine Nähe und du haust ab. Seit einer Woche gehst du mir aus dem Weg. Ich fahre mit meiner Energie auf Sparflamme und nur, weil DU es nicht hinbekommst …“ Sam zitterte am ganzen Leib, seine Wut war ihm deutlich anzusehen, während er versuchte, Abstand zwischen sie beide zu bringen.

„Ich was nicht hinbekomme?“

„So zu mir zu sein, wie die letzten Wochen, wo du dachtest, ich bekomme es nicht mit. Es war schön und … Verdammt, ich war bei Kevin, um zu wissen, wie ich das angehen muss.“

William stockte, sah verwundert zu Sam. „Was angehen?“

„Na, das mit uns beiden. Weißt du überhaupt, wie scheiße es ist, wenn man sich nach Nähe sehnt, die der andere einem nicht geben will? Ich will mehr, als …“

Während Sam noch nach Worten suchte, wurde William klar, was dieser ihm sagen wollte.

Seine Hände umfassten das Gesicht seines Partners und ehe der sich versah, lagen ihre Lippen aufeinander.

Etwas unbeholfen stellte sich William an, das musste er sich eingestehen und doch hatte sich ein Kuss noch nie so gut angefühlt. Eine Steigerung des Gefühls hielt er für unmöglich, doch da wurde er eines Besseren belehrt.

Ganz langsam legten sich Sams Hände um seine Hüfte, zogen ihn noch näher, obwohl das kaum ging. Dessen Lippen öffneten sich leicht, was William nachahmte. Als dann auch noch Sams Zungenspitze um Erlaubnis bat, einzudringen, schien es fast zu viel zu werden. Die Blitze in seinem Körper ähnelten einem Jahrhundertgewitter. Seine Beine wollten dem Ganzen nicht mehr standhalten, dass er sich an Sam festhalten musste. Dieser lächelte in den Kuss hinein, was von William nicht unbemerkt blieb. „Was?“, nuschelte der mehr als er sagte und trennte sich etwas.

Doch statt zu antworten, vereinnahmte Sam von sich aus den Mund seines Gegenübers, drückte und schob sich mit ihm in Richtung Bett. Schon bald bemerkte William die Kante und ließ sich zögernd darauf nieder, jedoch ohne die Lippen von Sam zu trennen. Er zog ihn einfach mit sich, bis sein Partner auf ihm lag.

„Ich will dich!“

Wer genau das sagte, wussten beide nicht, wahrscheinlich war es eine synchrone Äußerung. Die Küsse wurden verlangender, während ihre Hände zur Erkundungstour aufbrachen. Ein Schauer nach dem anderen erfasste William, er genoss die Berührungen auf seiner Haut, die Wärme, die zu ihm drang und den Atem, der mittlerweile seinen Hals streifte. Er kam sich vor wie unter Drogen, leicht und benebelt im Kopf, ließ er Sam einfach machen und gab gerne zu, sein Partner schien zu wissen, was er tat.

Lächelnd blickten sie einander in die Augen, während Sam sich daran machte, William zu entkleiden. Das T-Shirt fand als Erstes den Weg zum Boden, dann durchzuckte den Krieger ein Schmerz, der so intensiv und elektrisierend war, dass er sich umwandelte in reine Erregung. Sam hatte ihn gebissen, in seine Brustwarzen, die sich ihm weiter entgegenstreckten und um Aufmerksamkeit bettelten. Williams ganzer Körper flehte um diese, wollte mehr von den Gefühlen und der Nähe.

Die Hände an seinem Gürtel ließen ihn allerdings kurz zusammenzucken und unsicher zu Sam sehen, der ihn beruhigend auf den Bauch küsste, sich über diesen zu seinem Mund hocharbeitete. „Es wird nichts passieren, was wir nicht beide wollen!“ Vereinnahmend war der Kuss seines Partners, der William jegliche Bedenken aus dem Kopf scheuchte.

Mit Sicherheit würde er heute die Kontrolle abgeben und es war dem Anführer der Krieger nur recht. Verantwortung hatte er immer, die komplette Kontrolle über jegliche Situation, doch nun gab es jemanden, dem er vertraute.

Eine nasse Spur auf seinem Oberschenkel ließ William aus seinen Gedanken auftauchen. Unbemerkt war er seiner Hose beraubt worden, der nun auch seine Unterwäsche folgte. Gebannt sah William in das Gesicht von Sam, der sich über seine Lippen leckte, raue Küsse auf die Oberschenkel verteilte, um höher zu kommen. Aufgeregt schluckte der Krieger und sah seinem Partner zu, wie dieser ganz langsam und genüsslich mit der Zunge seinen Schaft hinauffuhr. Kurz war er gewillt zu glauben, dass dieser es nicht zum ersten Mal machte, doch dann sah er die Unsicherheit in Sams Augen, die ihn beobachteten.

Mit zitternden Fingern strich er durch das blonde Haar seines Partners und zog scharf die Luft ein, als dieser sein Glied in den Mund nahm.

Ein göttliches Gefühl, wie William fand. Die Wärme um sein Gemächt, die Feuchtigkeit, die Enge und die ihn umschmeichelnde Zunge trieben ihn in den Wahnsinn. Fast enttäuscht spürte er, wie Sam ihn aus seinem Mund entließ, um jedoch weiter seine Zunge über den Schaft gleiten zu lassen. Ein Schauder überlief William, als Sam dessen Beine anwinkelte und seine Zunge dazwischen schob. Was für ein Gefühl ihn durchfuhr! Erregung hatte auch die letzte Nervenzelle seines Körpers erfasst und ließ William atemlos nach Luft schnappen. Ein leichtes Ziehen in seinem Unterleib veranlasste ihn aufzusehen. Sam küsste sich über seinen Bauch zu ihm hinauf und vereinnahmte seine Lippen, während das Ziehen nicht aufhörte, doch weniger unangenehm wurde.

„Was?“, hauchte William atemlos. Dann spürte er in sich Bewegung, es war ein Finger, der sein Innerstes erobert hatte. Sam lächelte und ließ seinen Finger scheinbar zielsicher auf einen Punkt im Inneren seines Partners treffen, der scharf die Luft einsog und ihn mit großen Augen ansah.

„Nicht schlecht, was?“ Es war ein verruchtes Grinsen, das William traf. „Mehr?“ Ehe er eine Antwort äußern konnte, spürte er eine Dehnung und wie sich ein zweiter Finger in ihn schob. Das war bald zu viel für den Krieger. Auch wenn er in seiner Ausbildung einiges erlebt hatte, darauf trainiert wurde, harte und schwere Situationen zu meistern, war er in diesem Moment überfordert. Zu viele Eindrücke, die brennende Leidenschaft, seine Erektion, die darum bettelte, Erlösung zu finden. Die Bilder der Videos.

Ganz heimlich hatte William sich diese im Internet angesehen. Pornos mit zwei Männern, wollte genau wissen, wie das ablief, was man beachten musste. Er gab gerne zu, dass diese ihn im Zusammenhang mit der Vorstellung von Sam erregten, jedoch fühlte sich dieser Moment ganz anders an, als er es sich vorgestellt hatte. Besser, intensiver, nach mehr verlangend. Der kurze Gedankenblitz, dass er Hemmungen haben müsste, verdrängte William mit Erfolg und gab sich dem hin, was ihm geboten wurde.

 

Sein Glied pochte und rieb sich an Sams Bauch, während dessen Finger weiter in ihm versanken. Immer wieder trafen sie zielsicher den einen Punkt, der seine Eingeweide zum Explodieren bringen wollte. Flehend sah er Sam an, dass dieser ihm doch Erlösung bringen sollte. Schnappte nach dessen Lippen und umfasste das Gesicht. „Bitte!“, flehte er dann mit Worten.

 

Jemand wird in Euer Leben kommen, der Euch in die Knie zwingt, wegen dem Ihr Eure Maske verliert, Ihr werdet unbeherrscht sein und Euer Herz wird die steinerne Hülle sprengen., hörte William die Stimme der alten Seherin und nickte innerlich. Alles, was sie ihm vorausgesagt hatte, war eingetroffen.

Sam sah ihm tief in die Augen, verankerte ihre Blicke miteinander und schon spürte William ihn langsam in sich eindringen. Ein schmerzhaftes Ziehen kroch seine Wirbelsäule hinauf, ließ ihn die Augen zusammenkneifen. Abgelenkt wurde William von den Lippen und Händen seines Partners, der ihn gekonnt wieder auf das Level seiner Erregung brachte, wo er bettelte, dass es endlich intensiver wurde.

Gemächlich waren die Bewegungen von Sam, als hätte er alle Zeit der Welt. Immer wieder traf er Williams Prostata, ließ ihn nach mehr verlangen und wimmern.

 

***

 

Sam kam ins Taumeln, sein Verstand wollte sich verabschieden. Der Anblick von William, der verlangend unter ihm lag, ließ ihm keine Kraft mehr, um sich zurückzuhalten. Immer tiefer wurden seine Stöße, während sein Herz sich fast überschlug. Diese braunen Augen hatten sich mit seinen verbunden, eine Verbundenheit, die sie bis in den Tod führen würde.

„Sam …“ Williams gesamter Körper spannte sich an, jeder Muskel schien zerreißen zu wollen. Sam nahm die Enge um sein Glied wahr und ließ sich fallen.

 

Küssend kamen sie wieder in die Gegenwart, sahen einander weiter in die Augen und Sam erkannte es. Was er die ganze Zeit für Abweisung gehalten hatte, war Zuneigung, eine tiefe und innige Zuneigung wie zwischen …

„Ich liebe dich!“

Sam sah irritiert zu William, dessen Blick sich gesenkt hatte. Die Worte schienen ihm zu schnell über die Lippen gekommen zu sein, als dass er Sam nun weiter in die Augen schauen konnte.

„Bist du dir sicher?“, fragte er, während seine Hand unter Williams Kinn dessen Blick wieder zu sich führte. Die Antwort konnte er lesen und hauchte einen Kuss auf die Lippen seines Partners. „Ich liebe dich auch.“

Williams Augen weiteten sich, sahen ihn ungläubig an, bis er sich mit Sam im Arm umdrehte und ihn wieder küsste. Verwundert nahm dieser die Erregung Williams wahr, der sich fest an ihn presste und irgendwas sagte ihm, dass er nun das bekam, was er eben gegeben hatte.

 

Einmal von der „verbotenen“ Frucht gekostet, konnten sie einander nicht mehr widerstehen. William kniete vor Sam, während das Wasser über sie lief. Eigentlich sollte es eine unverfängliche Dusche werden, doch der Krieger sah das sichtlich anders.

„Ich kann bald nicht mehr!“, stöhnte Sam und stieß zwischen die Lippen des vor ihm Knienden.

„Ich versorg dich dann mit Energie“, schmunzelte William und richtete sich auf, um Sam dann mit dem Gesicht zur Wand zu drehen. Sam erschauderte unter der Vorstellung einer weiteren Eroberung. Der Krieger war hart und zärtlich zugleich und schaffte es in kürzester Zeit, ihn in den Kosmos zu katapultieren.

 

Trotz aufgefüllter Energiereserven standen sie sich bald erschöpft gegenüber, raubten einander noch einige Küsse, bevor sie nach unten gingen. Verschämt hatte William bemerkt, dass er seit zwei Stunden Dienst hatte.

Sam dagegen hatte einfach Hunger und hoffte inständig, dass Sarah gekocht hatte und für ihn was übrig war. Das Glück war auf seiner Seite, mit einem wissenden Grinsen wies Sarah auf die Mikrowelle.

„Du bist spitze!“

„Und du siehst fertig aus, aber ziemlich glücklich!“

Lediglich mit einem Augenzwinkern kommentierte Sam das und setzte sich samt Essen auf den Stuhl. Direkt neben ihm nahm kurz danach William Platz und bekam von Sarah ebenso Nahrung vorgesetzt. „Heißt es nicht immer, einer kann nicht sitzen?“

Ehe einer der beiden Antworten konnte, schlang Sean die Arme um seine Frau. „Dafür regeneriert sich der Körper zu schnell. Bei den Menschen stimmt das wohl. Aber interessiert hätte es mich jetzt auch!“

William biss gerade in ein Stück vom Gulasch, kaute genüsslich und sah zu seinem besten Freund. „Wie war das damals bei dir und Quinn?“

Überrascht sah Sam zu Sean. „Du und Quinn? Nicht euer Ernst.“

„Wieso nicht? Wir waren beide ungebunden und es waren nicht immer Frauen da.“

„Es ging fast 20 Jahre“, mischte sich William ein und nahm dann eine Gabel Nudeln zu sich.

„Du weißt, wie lange das zwischen uns ging?“ Sean war sichtlich erstaunt.

„Natürlich. Ich weiß immer, was ihr macht. Also gibst du mir eine Antwort?“ Das Kopfschütteln seines Stellvertreters ließ ihn lachen. „Ich dir auch nicht.“

Sam schmunzelte in sich hinein, irgendwie passte das Bild von Sean und Quinn nicht mit seinem Eindruck von den beiden überein. Vor allem, da Sean mehr als glücklich mit Sarah war.

 

Der weißhaarige Krieger stürmte in die Küche. „Es gibt Probleme bei Bryce im Süden. Die Anklage lautet auf Mord gegenüber zwei Werwölfen. Der König bittet dich, dorthin zu fliegen. In einer Stunde!“

William nickte und erhob sich. „Mach du dich auch fertig, Quinn, einer muss mit. Bennet, Sean und Stephan werden das hier alleine hinbekommen.“

„Geht klar!“ Schon war Quinn verschwunden und Sam sah zu seinem Partner.

„Du fliegst auch mit, es kann dauern, bis wir wieder hier sind.“

Irgendwas sagte Sam, dass dieser Ausflug nicht allzu viel Zweisamkeit hergeben würde, wie er es sich innerlich erhoffte.

 

Doch im Moment konnten nicht mal diese Aussichten ihr Glück dämpfen. Verliebt verbanden sich ihre Blicke, während sie sich näherten und sich gegenseitig einen Kuss stahlen.

 

Im Zeichen der Muräne

Stürmisch vereinnahmte der schwarzhaarige Krieger den Mund des anderen, drängte sich immer dichter an ihn. Quinn gab sich dem hin. Nie im Leben hatte er sich mehr danach gesehnt, als in diesem Moment. Er wollte erobert werden, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach. Sean hatte es eiliger, zerrte an den Schnüren der ledernen Hose seines Gegenübers und riss ihm diese von der Haut. Ehe sich Quinn versah, stand er mit dem Gesicht an einem Baum, leicht vorgebeugt und Seans Zunge verschaffte sich Zugang zu seinem Inneren. Feucht drang der Krieger in den Weißhaarigen ein, dessen braune Augen sich schlossen. Mit zittrigen Beinen versuchte Quinn stehen zu bleiben, als Sean die Zunge aus ihm raus zog. „Heute hart?“, raunte Sean in dessen Ohr und ehe er eine Antwort erhielt, versenkte er sich mit einem einzigen Stoß.

 

Um Atem ringend nahm Quinn die harten Stöße an, die seinen Unterleib erzittern ließen und seine Männlichkeit schmerzen. Er lechzte nach Aufmerksamkeit, doch Sean schien ihn leiden lassen zu wollen. Immer wieder traf er zielsicher die Prostata, und erst als dieser bettelte, erlöste er ihn von seiner schmerzenden Erregung.

Ein schnelles Abenteuer während der Wache, das sie sich ab und an gönnten. Mit der Gewissheit, gleich entdeckt werden zu können. Eine ihrer größten Befürchtungen, selbst wenn ihre Kameraden recht offen waren, eine gleichgeschlechtliche Beziehung zwischen zwei Kriegern stellte eine andere Sachlage dar.

Quinn fühlte sich verlassen, ihm war kalt und die Befriedigung brachte nicht das gewünschte Gefühl. Während er noch am Baum stand, war Sean bereits angezogen und verschwand auf den rechten Pfad. Einer rechts und einer links ums Lager herum, das war ihr Auftrag.

Seufzend und mit klopfendem, schon fast schmerzendem Herzen sah Quinn seinem Kameraden hinterher.

Es war das letzte Mal in der zwanzig Jahre dauernden Beziehung, dass sie ein Abenteuer suchten, denn bereits am nächsten Tag, trat Sarah in Seans Leben.

Seine Partnerin, Verbündete, sein Lebenselixier. Und Quinn blieb zurück.

 

Es dauerte Sekunden bis Quinn hochschreckte und eine Kampfstellung einnahm. Seine Sitznachbarn William und Sam lachten leise. „Setz dich, sonst erregst du noch die Aufmerksamkeit der Menschen!“, flüsterte der Anführer schmunzelnd und lehnte sich an Sam.

Quinn sah es nur ungern, auch wenn er William seine Partnerschaft gönnte, war er selbst neidisch. Schließlich hatte der Anführer nie Interesse am gleichen Geschlecht gehegt. Das Schicksal war merkwürdig, wie er fand.

 

Er ertappte sich jeden Abend dabei, wie er flehte, von einer Frau verschont zu bleiben. Der Gedanke an weibliche Rundungen ließ ihn erschaudern und das war nicht positiv zu sehen. Er wollte auch einen Mann an seiner Seite, sich an diesen lehnen und Liebe verspüren. Kitschige Wünsche stellte er fest und schob es auf die Höhe, in der sie sich befanden. Es war das erste Mal, dass der Krieger in einem Flugzeug saß. Gerade einmal 129 Jahre wandelte er auf diesem Planeten, was im Gegensatz zu William gute 71 Jahre weniger waren.

 

Drei Stunden dauerte der Flug. Der folgende Auftrag war kein Zuckerschlecken, dessen war sich Quinn bewusst. Bei den Vitae essentia gab es klare Regeln und die Rechtsprechung wurde vom König oder von William gesprochen. Im Normalfall wären sie dafür allerdings nie zum Ort des Geschehens geflogen, doch stand einer ihresgleichen vor Gericht. Bryce wurde angeklagt, zwei friedliebende Werwölfe umgebracht zu haben. Obwohl Quinn es eine Abschlachtung nannte, als er die Bilder sah. Sämtliche Gliedmaßen der Wesen lagen auf einer Parkanlage verteilt, Gedärme hingegen in Sträuchern und Bäumen und mittendrin befand sich Bryce mit seinen 2,10 Metern und hatte ein Messer in der Hand. Eindeutiger ging es nicht und dennoch konnte es sich Quinn nicht vorstellen, denn Bryce war ein ruhiger Krieger, hatte viel mit William gemeinsam. Beherrschte alte Kampfsportarten, obwohl er seit der Erfindung der Pumpgun nur noch mit ihr auf Streife ging. Ein gebildeter Kämpfer, der immer wieder bei den Menschen studierte und dessen extrem hellblaue Augen nur kurzweilig eiskalt erscheinen. Dieser Vitae essentia hatte ein großes Herz und war alles andere als ein Schlächter.

 

Diese Meinung vertrat auch William, der deshalb ohne zu zögern ins Flugzeug gestiegen war und sich der Sache annahm. Quinn wusste, wie wichtig dem Anführer der Krieger jeder Einzelne von ihnen war und er selten etwas auf sie kommen ließ. Doch konnte er ebenso anders, herzlos und eiskalt führte er Befehle aus, selbst eine Hinrichtung.

Quinn war erst einmal dabei gewesen und diesen Anblick würde er sein Leben lang nicht mehr vergessen. Die Augen des Anführers zu einem dunklen Braun gewandelt, dass die schwarze Pupille unkenntlich machte, während die Miene versteinerte und die Handlungen etwas Mechanisches hatten. Es dauerte keine Sekunde, als das Genick des anderen ihrer Art brach und dieser in sich zusammensackte. Die Vorstellung hinterließ einen eiskalten Schauer auf Quinns Körper.

 

Im Haupthaus der Krieger des Südens angekommen, sah Quinn schon die Veränderung an seinem Anführer. Auch dessen Partner schien es zu bemerken und sah fragend zu Quinn. Als sich William zur Tür begab, beugte Quinn sich zu Sam. „Egal was die nächsten Tage passiert, es kann sein, dass du Will nicht mehr wiedererkennst. Hier ist er nicht unser William, Freund, Partner oder dergleichen, hier ist er der Anführer und erfüllt seine Pflicht.“ Er nahm die Hand des Blonden. „Du trägst sein Zeichen, du bist der Einzige, der ihn in den nächsten Tagen ohne Erlaubnis ansprechen darf. Laut Gesetz stehst du direkt hinter William auf der Befehlsebene. Also tu mir einen Gefallen, sollte er sich vergessen, halte ihn auf.“

 

Es war ein schmaler Grat, auf dem Quinn wandelte, doch er brauchte diese Absicherung. Jetzt wo William jemanden an der Seite hatte, der ihn aufhalten konnte, würde er einen Teufel tun, das nicht zu nutzen.

„Meinst du denn, dass das nötig sein wird?“

„Wenn es Bryce war, auf jeden Fall. Er kann ihn leiden lassen oder erlösen. Und glaub mir, selbst eine schnelle Erlösung ist nicht schön mit anzusehen.“

Sam nickte verstehend, schluckte hart und sie folgten dem Anführer ins Haus. In diesem war die Anspannung förmlich zu spüren. Ein recht jung wirkender Mann kniete vor William nieder. „Herr, Bryce wartet in der Zentrale auf Euer Erscheinen.“

 

Quinn konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, seit Jahren hatte keiner den Anführer mehr Herr genannt. Altertümliche Bezeichnungen waren bei vielen ihrer Art noch recht modern, jedoch konnte William diesen nie etwas abgewinnen. Lediglich heute schien es ihm recht zu sein, ohne weiter auf den Jüngling zu achten, schlug er den Weg zur Zentrale ein.

Mit Mühe konnten Sam und Quinn ihm folgen und traten kurz nach William in den mit Computern vollgestellten Raum. Da saß Bryce mit gesenktem Kopf, dass man lediglich sein dunkelbraunes Haar sah.

William drehte den gegenüberliegenden Stuhl um, sodass die Rückenlehne gegen den Tisch schlug, und sah seinen Vertreter an. „Erzähl!“

Kurz sah der auf und seufzte tief. „Was soll ich dir erzählen? Ich bin Streife durch den Park gelaufen und habe ein Messer auf dem Boden gefunden. Das Blut darauf hat mich stutzig gemacht. Ich bin den Weg weiter und da habe ich die Werwölfe gesehen!“

„Du willst mir sagen, dass du damit nichts zu tun hast?“

„Korrekt. Ich bin bereit vor den König zu treten, um ihn die Wahrheit sehen zu lassen.“

Nickend sog William die Luft ein, um sie kurz darauf auszustoßen. „Mich hat das Messer gewundert, es hat nicht dazu gepasst. Wofür hast du dein „Baby“ sonst, wenn nicht um jemanden damit zu erschießen.“ Dabei ging der Blick des Anführers an die Wand, wo die Pumpgun hing. „Nun gut, wer machte diese Fotos?" Quinn beobachtete die anderen Krieger im Raum, die ebenso ratlos wie ihr Vorgesetzter waren. Nickend erhob sich William und begab sich zur Tür. „Du wirst vorläufig das Haus nicht verlassen. Ich werde mir das Tatgeschehen ebenso von den Werwölfen erläutern lassen, die es auch gemeldet haben. Mal sehen, was ich dort rausfinden kann.“

Wortlos folgten Sam und Quinn dem Anführer.

 

Ein eiskalter Schauer erfasste Quinn, als sie das Anwesen der Wölfe erreichten. Seine Erfahrungen mit diesen Wesen waren eher negativ. Eine lange Narbe an seinem Oberschenkel erinnerte an einen schmerzvollen Kampf mit einem Rudel dieser Geschöpfe, wobei er fast sein linkes Bein verloren hatte. Eilig verdrängte er die Gedanken, folgte William und Sam aus dem Auto zu der Villa, in der der Rudelführer wohnte. Die Spannung zwischen den Wölfen war greifbar und Quinn bemerkte, wie sich seine komplette Muskulatur anspannte. Jederzeit bereit, wie es sich für einen Kämpfer gehörte, dabei war er kein Vorzeigekandidat. Gerade 1,75 Meter maß sein Körper, der zwar muskulös, aber doch recht schmächtig war. Seine braunen Augen waren nichtssagend. Mit ihnen konnte er weder Angst verbreiten, noch sich Respekt verschaffen. Ein einfaches Braun, wie es Millionen Kreaturen auf der Welt ihr Eigen nennen. Sein Blick fiel auf sein Handgelenk, welches in der Innenseite sein Tattoo trug. „Eine Muräne“ hatte ihm die Seherin gesagt. Diese zeigte wie er war, gerne in seiner Höhle oder der Zentrale, zurückgezogen und beobachtend. Das Tier hatte einiges mit ihm gemein und deshalb hatte man es ihm auf den Unterarm tätowiert.

 

„Man erwartet Sie im Saal!“

Quinn erschrak und riss sich zusammen. Seine klare Anweisung war, auf die Reaktionen der Wölfe zu achten. Als Erstes fiel ihm ein grauhaariger Werwolf auf, dessen eisblaue Augen Frost verbreiten wollten. So wie ihn alle ansahen, musste das der Rudelführer sein.

„William MacDermont, es freut mich Euch begrüßen zu dürfen!“, sprach dieser und Quinn erkannte sofort die Falschheit der Worte. Die Wölfe hatten seit jeher etwas gegen die Krieger. Neid über das lange Leben und die Heilfähigkeiten sah man als Grund, welcher durchaus nachvollziehbar erschien. Werwölfe lebten zwischen 100 und 200 Jahre, ihre enorme Geschwindigkeit, in ihrer wandelbaren Form und Kraft, zeichneten sie aus, doch das schien ihnen nicht genug.

Quinn blendete die Unterhaltung zwischen den zwei Anführern aus und sah sich weiter um. Zehn Wölfe in menschlicher Gestalt zählte er, als sein Blick an einem Mann hängen blieb. Dieser war eindeutig kein Werwolf, das erkannte Quinn auf den ersten Blick. Doch ehe er ihn zuordnen konnte, verschwand der hinter einem Hünen.

„Rex, Ihr meint also, dass es mein Stellvertreter war, der Eure Artgenossen hingerichtet hat?“ Williams Stimme erregte die Aufmerksamkeit von Quinn, der zu Sam trat, der direkt bei seinem Partner stand. Sein Anführer saß mit Rex Liner an einem Tisch, der grauhaarige Werwolf nickte zur Bestätigung.

„Wie sollte es anders sein? Schon immer versucht Eure Rasse, unsere zu eliminieren.“

„Ich bitte Euch, das ist nicht wahr. Wir schützen die Menschen, wie es unsere Aufgabe ist. Wir führen keinen persönlichen Krieg gegen irgendwen. Jedoch sind die Anschuldigungen schwerwiegend und Bryce ist bereit, sich dem König zu stellen. Dieser sieht die Wahrheit in der Vergangenheit, sobald er den Betreffenden vor sich stehen hat.“

Diese Worte ließen selbst den Rudelführer stocken, man sah diesem an der gerunzelten Stirn an, wie sein Verstand anfing, das Gehörte zu verarbeiten. „Euer König könnte sehen, sollte er lügen?“

„Korrekt und die Strafe würde wesentlich härter ausfallen, als wenn er es vor mir zugibt. Ich biete einen schnellen, relativ schmerzfreien Tod. Der König dagegen lässt jeden Vitae essentia qualvoll im Gefängnis dahinvegetieren. Deshalb tut sich das keiner unserer Rasse freiwillig an. Nun abermals meine Frage: Seid Ihr Euch sicher, dass es so war?“

Das war dieser nicht, was wohl jeder erkennen konnte. Rex winkte einen anderen Werwolf zu sich und gab ihm die Anweisung, einen gewissen Heinz samt Frau holen zu lassen.

 

Quinns Aufmerksamkeit wurde auf den Mann gelenkt, der ihm zuvor aufgefallen war. Dieser sah zwischen zwei Hünen hervor und schluckte sichtlich. Ein Stoß an seinen Anführer ließ auch Williams Blick folgen, bevor dieser fragend zu ihm sah. „Das ist keiner!“, teilte Quinn seine Beobachtung mit. Noch intensiver sah William auf den jungen Mann, der vom Aussehen her höchstens auf Anfang zwanzig geschätzt werden konnte, doch das war bei den meisten Vitae essentia so.

 

„Das ist keiner Eurer Rasse!“ Nun trafen sich die Blicke der Anführer, bevor Rex der ausgestreckten Hand seines Gastes mit einem Blick folgte. Der Mann hatte keine Chance mehr und das schien ihm durchaus klar zu sein. Schuldbewusst sah er zum Rudelführer und neigte seinen Kopf.

„Jannis, der Sohn von Heinz und Margaret Delon. Es ist richtig, er ist nicht unserer Rasse zuzuordnen, man hat ihn vor 50 Jahren im Wald gefunden, ein kleiner Junge, der gerade das Laufen erlernt hatte. Da er immer noch so jung aussieht, hegen wir seit ein paar Jahrzehnten den Verdacht, dass er eurer Rasse zugehörig ist.“

William stand auf und ging zu dem Mann, blickte in dessen dunkelblaue Augen. „Das ist einer von uns. Wieso lebt er bei euch? Wir haben ein Abkommen, was Findlinge angeht!“ Sein Unmut war in der Stimme wahrnehmbar und der Blick gefährlich.

„Das kann ich Euch nicht sagen. Fragt die Eltern des Knaben. Bei uns ist man nicht meldepflichtig. Wer etwas tut, tut es!“, entgegnete Rex, doch irgendetwas an dessen Ausdrucksweise irritierte Quinn. Jannis zuckte vor William zurück, zitterte am ganzen Leib, als hätte der ihm mit Sanktionen gedroht. Etwas stimmte nicht, sein Instinkt hatte Quinn diesbezüglich selten getäuscht. Als William sich wegdrehte und er mitbekam, wie die zwei Hünen den Mann an den Armen hinter sich zogen, wurde er dessen bestätigt.

 

Ein ergrautes Werwolfpaar betrat den Saal, ihre Blicke huschten unter ihresgleichen umher, bis sie scheinbar das gefunden hatten, was sie suchten. Quinn erahnte, was das war, hielt sich jedoch im Hintergrund. Er wollte wissen, was dahinter steckte, ohne zu offensichtlich zu agieren.

Rex sprach mit dem Paar und danach ließ sich William die Lage schildern. „Wir waren im Park spazieren, wollten Nachtaufnahmen machen und sahen wie dieses Ungetüm … wie er unseresgleichen abschlachtete. Stocksteif waren wir, bis ich das Foto geschossen habe, um beweisen zu können, wer dahinter steckt!“, erklärte der Mann.

„Sie sahen also genau, wie Bryce, der Vitae essentia, Ihre Artgenossen umgebracht hat?“

„Bis ins Detail!“, sprach die Frau und presste ihre Lippen aufeinander.

Quinn sah die Lüge, die in ihrem Gesicht prangte. Sein Blick wanderte zurück zu dem Sohn des Paares. Der stand weiterhin hinter den zwei Werwölfen und versuchte etwas zu sehen. Ein unwohles Gefühl machte sich plötzlich in Quinns Magen breit, der Mann brachte Unheil, irgendetwas stimmte nicht mit ihm.

 

„Ihr lügt!“, hallte Williams Stimme durch den Saal, was alle Anwesenden zusammenzucken ließ. „Niemals würde Bryce ohne seine Pumpgun vor die Tür gehen!“, abermals donnerte die Stimme des Anführers der Krieger durch den Raum. Quinn bemerkte, dass er dem Gespräch nicht gefolgt war, schlussfolgerte allerdings, dass die Delons Unwahrheiten erzählten.

 

***

 

Jannis erschrak enorm über die imposante und tiefe Stimme von William MacDermont. Dieser Mann machte ihm Angst, dessen Augen sagten den Tod voraus, wie es ihm seine Finder berichteten. Niemals hätte Jannis das für möglich gehalten. Ihm schienen all die Schauermärchen über die Krieger der Vitae essentia wahr und das machte ihm Angst. Vor allem aber irritierte ihn dieser Mann, der ihn die ganze Zeit beobachtete. Selbst hinter der Leibgarde des Rudelführers spürte er die Blicke. Dieser Mann war unheimlich. Er riss seinen Blick von ihm los und sah zu seinen Findern, die in sich zusammensackten. Irgendetwas stimmte nicht, da war er sich sicher. Wenn MacDermont die Wahrheit sagte, konnte der Krieger Jannis‘ Freunde nicht umgebracht haben … aber wenn nicht?

 

Wehmütig dachte er an die einzigen zwei Werwölfe, die ihm beigestanden hatten. Die er Freunde nennen durfte, während der Rest des Rudels ihn lediglich duldete. Jannis wollte Rache für den Tod von Greg und Alec. Seine Hand wanderte zum Bund seiner Jeans, in der ein Messer steckte. Irgendwie musste er es schaffen, an den mörderischen Kämpfer zu kommen, ohne vorher zu sterben. Ein finsterer Blick traf den jungen Vitae essentia von den Hünen neben ihm. „Du verhältst dich still, man hat dich schon gesehen. Nichtsnutz!“

Eilig senkte Jannis seinen Blick und schluckte hart. Er hätte nicht hier sein dürfen, nicht mehr. Lediglich die Abgabe seines morgendlichen Rituals war ihm gestattet, doch dann kamen die Vitae essentia.

„Ich beschuldige Sie, Heinz und Margaret Delon, der Lüge!“, erklang die Stimme von William MacDermont, die selbst die Gedanken eines jeden Anwesenden zum Schweigen brachte. Jannis Blick ging hilfesuchend zu dem Rudelführer.

Rex richtete sich leichthin auf und zog die Augenbrauen hoch. „Euer Gesetz gilt hier nicht! Was soll eure Beschuldigung also bringen?“

„Ihr wollt Bryce hinrichten, wenn er es war. Wir nehmen uns das gleiche Recht raus. Händigt uns dieses Paar aus, wir wollen die Wahrheit!“ Mit diesen Worten öffnete sich die Saaltür und vier Krieger kamen rein. Jannis trat zurück, bemerkte die Anspannung in jedem Werwolf um sich.

 

„Ist das eine Drohung, MacDermont?“ Rex sah misstrauisch zu den Kriegern, die sich im Raum verteilten. Ihre Waffen waren nicht zu übersehen, und wie gut diese damit umgehen konnten, war jedem hier klar. Jannis hatte viel darüber gehört, hielt sich aber fern von öffentlichen Plätzen, durfte auch selten irgendwohin. Selbst mit Greg und Alec hatte man ihn nie gehen lassen. Seine zwei Freunde sorgten gerne für Aufruhr, verhielten sich zu menschlich für ihre Art und brachten nur Ärger, so sagte es seine Finderin immer. Und doch waren sie seine Freunde gewesen, die ihm zur Seite standen und beschützten. An dem Abend ihres Todes hatten sie sich in diesem Park verabredet, Jannis war die heimliche Flucht nicht gelungen. Alec wollte ihm unbedingt etwas sagen, was dieser nun mit ins Grab genommen hatte.

 

„Und der Junge geht ebenso mit uns. Er gehört zu unserer Rasse, nicht zu eurer! Das Abkommen sagt klar, wie es zu laufen hat!“

Die zwei Hünen gaben die Sicht auf Jannis frei, der zusammenzuckte, den Kopf sinken ließ und zum Rudelführer trat. „Ich möchte nicht mit, bitte!“, flüsterte Jannis und wagte es nicht aufzusehen.

„Ihr hört es MacDermont. Jannis Delon möchte nicht mit Euch und ich werde seinem Wunsch nicht im Wege stehen.“

„Mich interessiert sein Wunsch nicht, er gehört zu uns!“ Mit den Worten des Anführers der Vitae essentia, stand der ihm unheimliche Mann bei Jannis und wollte dessen Arm umschließen, als dieser nach seinem Messer griff und es ihm in die Hand stach. Geschockt sah Jannis auf seine Tat, dann zu den anderen Vitae essentia, die herbeieilten und ihn in Gewahrsam nahmen. Noch nie hatte er jemanden verletzt und nun steckte das Messer tief in der Hand des Mannes, der ihn vernichtend betrachtete. Sicherlich wäre dieser am liebsten auf ihn losgegangen, wurde jedoch vom Anführer zurückgehalten.

 

Zitternd saß Jannis in der Zentrale der Krieger, wie sie diesen Raum benannt hatten, und sah zu, wie man den Verletzten verarztete. Kaum hatte der einen Verband um die Wunde, stand er auf und kam auf Jannis zu. „Wärst du vielleicht so freundlich mir zu verraten, was das sollte? Ich glaube, dir hat jemand ins Gehirn …“

William MacDermont unterbrach seinen Untergebenen, bevor er beleidigend werden konnte. „Quinn, reiß dich zusammen!“ Doch er wurde nicht wirklich wahrgenommen.

„Ich … ich will nicht sterben.“ Jannis Stimme zitterte. Obwohl sein Gegenüber kleiner war, hatte er Angst vor diesem. Dessen braune Augen funkelten und schienen allein damit dafür sorgen zu können, dass jemand sein Leben aufgab.

„Da sind wir uns ja einig, ich auch nicht. Aber du hast mich angegriffen, nenn mir verdammt noch mal einen Grund, wieso ich dir nicht den Hals umdrehen sollte!“

Jannis drückte sich zurück und versuchte so Abstand zu Quinn zu gewinnen, doch hatte er keine Chance. Der Stuhl zeigte ihm Grenzen und der Mann kesselte ihn mit seinen Armen ein. „Ich wollte doch nur nicht hier her.“

„Wieso nicht?“

Wut wallte in Jannis hoch, diese Frage brachte seine Angst zum Flüchten, er stieß Quinn von sich und stand auf. „Wieso nicht? Ihr seid Schlächter. Keiner darf neben euch existieren. Euresgleichen hat meine besten Freunde umgebracht. Da wagst du dich zu fragen, wieso ich nicht hier sein will?“ Quinn war zurückgewichen, stand nun direkt am Tisch. Doch er kam nicht zu Wort, denn Jannis war noch nicht fertig. „Ihr bestimmt und alle anderen haben zu folgen, das kann nicht euer Ernst sein. Was meint ihr, wer ihr seid? Jedes Wesen hat ein Recht zu leben und ihr seid nicht Gott!“ Mit diesen Worten stieß Jannis ihn, dass dieser auf dem Tisch zum Sitzen kam. Aug in Aug, Nase an Nase standen beziehungsweise saßen sie voreinander.

 

Ein schmerzhafter Stich durchfuhr Jannis, der zurücktaumelte, verwirrt zu Quinn sah und in den Flur verschwand. Sein Körper schien in Flammen zu stehen, während sein Herz raste und der Verstand blockierte.

Ehe er sich versah, fand er sich an einer eisernen Brust wieder.

„Alles in Ordnung?“, erkundigte sich ein recht jung wirkender Krieger.

„Ja, ich muss … wo befinden sich die Toiletten?“

„Die Treppe hoch und die erste Türe rechts!“

Nickend nahm Jannis den Hinweis zur Kenntnis und ging die Treppe nach oben. Dass er sich frei bewegen durfte, wunderte ihn erst, als er die Türe hinter sich schloss und gegen das Türblatt lehnte. Doch war es auch angenehm, ein paar einsame Minuten für sich zu haben, um seinem Inneren Zeit zu geben, das Gleichgewicht zu finden. Irritiert bemerkte er das Ziehen in seinen Lenden und sah auf seine Uhr, es war Zeit! Seufzend löste er sich von der Tür und sah sich um, doch nirgends sah er einen vorgesehenen Behälter. Verwundert öffnete er die Schränke des Bades, doch selbst da wollte sich nichts zeigen. Grummelnd trat er zur Tür, die sofort aufsprang und schon stand ein grimmig dreinschauender Mann vor ihm, der erschrocken zurücktrat.

„Entschuldige, ich hab nicht mitbekommen, dass jemand drin ist.“

„Kein Problem, ich suche die Behälter, wo habt ihr sie?“

Irritiert sahen ihn hellblaue Augen an, die Jannis bekannt vorkamen. „Was für Behälter?“

„Wo ich es reinmachen soll.“ Dieser Krieger schien dem Vitae essentia etwas neben der Spur zu laufen.

„Was reinmachen?“

Ehe Jannis es erklären konnte, stand William bei ihm und dem Mann, welchen er erst einmal in dessen Zimmer verwies. „Bryce, sei so nett und geh!“ Alles zog sich in Jannis zusammen, er hatte vor dem Mann gestanden, der seinen Freunden das Leben nahm. „Er ist stärker als du und kann einige Kampfsportarten. Ehe du auch nur einen Schritt auf ihn zu gemacht hast, wirst du tot am Boden liegen“, nahm William ihm die Illusion einer Rache. „Wofür benötigst du einen Behälter?“

„Für meine Spermien!“ Jannis sah weiter den Gang entlang, zu der Tür, hinter der sein Feind verschwunden war. Erst als er sich losreißen konnte, bemerkte er den Blick Williams‘. Verwirrt und fragend sah dieser ihn an. „Was?“

„Spermien? Du brauchst einen Behälter für deine Spermien? Warum?“

„Soll ich es etwa in der Hand abgeben? Es ist bereits sechs Uhr, die normale Zeit dafür, sein Ejakulat abzugeben, oder habt ihr andere Zeiten dafür?“ Jannis sah William MacDermont fragend an, der wiederum scheinbar die Sprache verloren hatte.

„Moment … ich bin leicht irritiert. Du hast jeden Tag um diese Zeit dein Sperma abgegeben, an die Wölfe?“

„Morgens auch, so gehört es sich schließlich … was ist?“ Der Gesichtsausdruck seines Gegenübers verfinsterte sich und ehe Jannis verstand was passierte, war William mit einem Fluch auf dem Weg nach unten. Nun stand Jannis da, hatte immer noch keinen Behälter und das Ziehen in seiner Leiste nahm schmerzhaft zu. Sein Blick wanderte zu der Tür von Bryce Zimmer, die aufging.

„Hier, wenn dir das hilft. Ist auch frisch!“, reichte dieser ihm einen Einwegbecher und verschwand wieder hinter der Tür.

Erst wollte Jannis den Becher wegschmeißen, kam dieser von dem Mörder seiner Freunde, doch dann besann er sich. Er schloss die Badezimmertür, ließ seine Hose hinab gleiten. Mit der Hand umschloss er das Glied und bewegte diese im schnellen Rhythmus, bis das Ziehen in seinen Lenden verschwand und sein Körper sich entspannt an die Wand lehnte.

Überlegend stand Jannis kaum fünf Minuten später im Flur, als Quinn zu ihm trat und mit gerunzelter Stirn auf den Becher in seiner Hand sah. „Wo gebe ich das ab?“

„Was ist das?“

„Mein Sperma. Ihr seid alle nicht normal, oder? Also wo soll ich es hinbringen?“

Angewidert entwendete der ihm den Behälter und schüttete den Inhalt in die Toilette, während der Becher im Müll landete. „Das ist ja widerlich!“

„Bist du bescheuert? Sie brauchen das doch! Vollpfosten!“

Nun war es an Quinn Jannis zurückzustoßen, dass dieser gegen die Tür fiel. „Mein Name ist Quinn und nicht Vollpfosten, merk ihn dir, wenn dir dein Leben lieb ist. Quinn Buckley!“, spie er ihm ins Gesicht. „Und was dein Sperma anbelangt, so was gehört sicherlich nicht in einen Becher. Was sollen wir damit?“

Jannis sah zu Boden und wusste nicht, was er sagen sollte. „Meine Finder sagten, man muss es immer abgeben. Zweimal am Tag“, selten kam er sich so dämlich vor, eine Tatsache zu erklären, vor allem da diese den Kriegern nicht bekannt schien. „Was macht ihr denn damit?“

Quinn räusperte sich, während er versuchte ein Lachen zu unterdrücken. „Die Frage meinst du nicht ernst, oder?“

„Flachpfeife!“, grollte Jannis und drückte ihn von sich, um das Bad zu verlassen. Seine Gedanken fuhren Achterbahn und kamen gleichzeitig zum Erliegen. Er war verwirrt und wollte Antworten. Seine Finder würden ihm sicher erklären können, was er nicht verstand, doch zu ihnen durfte er nicht. Sie mussten sich einem Verhör stellen, soweit er das mitbekommen hatte. Müde ließ er sich im Flur an der Wand hinunter sinken und legte seine Stirn an die Knie. Am Mittag war sein Leben noch normal und nun verstand er die Welt nicht mehr. Die Krieger schienen ihm noch sonderbarer als man ihm erzählt hatte und die Sitten, die man ihm beigebracht hatte, waren nicht die der Vitae essentia.

 

Heute Abend schleichst du dich aus dem Haus und kommst in den Park. Wir müssen dir was erzählen. Bitte Jannis, hör auf mich!, hörte er die Stimme von Alec und sah seine goldfarbenen und besorgten Augen vor sich.

 

Als er wieder aufsah, stand Bryce vor ihm. Seinem Instinkt folgend stürzte sich Jannis auf den Krieger und schlug auf ihn ein. Bryce blieb liegen, empfing jeden Schlag, als würde er ihn verdienen, bis sein Angreifer von Quinn weggezogen wurde.

„Was wird das hier?“, fragte dieser sogleich, hatte seine Arme um den jungen Vitae essentia gelegt und hielt ihn wie ein Schraubstock gefangen.

Jannis sah zu Bryce, der sich das Blut von einer Wunde in seinem Gesicht abwischte. „Ich habe es verdient!“, antwortete er und stand auf.

„Richtig. Du bist ein Mörder, ein Schlächter, du hast mir meine besten Freunde genommen!“, schrie Jannis und war den Tränen nah.

„Hat er nicht. Erzähl es ihm!“, forderte Quinn, ohne den Mann in seinen Armen loszulassen.

„Alec und Greg waren Freunde von mir. Sie hatten sich mit mir im Park verabredet, wollten mir etwas erzählen. Ich kam zu spät, wurde in der Zentrale aufgehalten. Als ich zum Treffpunkt kam, waren sie tot.“ Bryce schluckte hart und Jannis konnte nicht glauben was er sah. Denselben Schmerz, den er in sich fühlte, trug der nach außen.

„Sie waren mit mir verabredet, wollten mir etwas sagen“, wandte Jannis ein.

„Ich weiß. Sie erzählten mir von einem Vitae essentia, der unter ihnen lebt. Er sei noch recht jung und würde missbraucht!“

Geschockt weiteten sich Jannis Augen, immer noch in der Umarmung von Quinn gefangen, fühlte er sich jedoch seltsam ruhig. „Missbraucht? Nein, mich hat nie einer angerührt, auf keine Weise.“

„Und das eben im Bad?“, raunte Quinn.

 

Verwirrung, Schmerz und eine innere Zerrissenheit zwischen Glauben und Unglauben, machten sich in Jannis breit. Seine Beine gaben nach, doch schlug er nicht auf dem Boden auf. Quinn hielt ihn immer noch in der schraubstockähnlichen Umarmung, presste ihn an sich und hielt Jannis auf den Beinen.

Was er sein Leben lang als normal angesehen hatte, schien nicht so zu sein. Seine besten Freunde waren ebenso mit dem Krieger befreundet, der sie ermordet haben sollte, wie mit ihm.

Bryce zog scharf die Luft ein, was Jannis aufsehen ließ, doch schon war der Gesichtsausdruck einer Maske ähnlich. Fragend blickte er zu Quinn, der wie ausgewechselt schien. Freundlich, hilfsbereit, fast nett. So ließ sich Jannis in ein Zimmer bringen und sah, wie beide gingen. Erschöpft schloss er die Augen und betete, dass die letzten Tage nur ein Alptraum waren.

 

***

 

„Seit wann weißt du es?“

„Als er aus der Zentrale gestürmt ist. Ich hab es bei Sean mitbekommen, ebenso bei William, blöd bin ich nicht!“

Bryce nickte und schüttelte den Kopf. „Solltest du dann nicht netter zu ihm sein? Und was ist, wenn er es entdeckt?“

Quinn setzte sich auf einen Stuhl in der verwaisten Küche und streckte die Beine aus. „Da Werwölfe von unseren Gepflogenheiten nichts wissen, denke ich nicht, dass ihn irgendwer aufklärte. Das mit dem „netter“ klappt nicht. Ich weiß auch nicht warum, aber sobald ich ihn sehe, würde ich ihn am liebsten in die Arme ziehen und dann gegen die Wand schlagen.“

„Das scheint echt so eine Macke der Krieger zu sein. William hat mich drei Mal gegen die Wand geschlagen, bis es endlich mit uns klappte!“ Mit diesen Worten gesellte sich Sam zu ihnen und setzte sich Quinn gegenüber. „Jannis und du?“

„Scheint so, ich müsste mich täuschen und das Tattoo, was sich gerade auf seinem Handgelenk bildet, verschwinden!“ Müde rieb er sich durchs Gesicht. Noch vor ein paar Stunden hatte er sich nach einem Partner gesehnt und jetzt war es soweit. Doch irgendwie schien es ihm nicht recht, in Quinn wehrte sich alles gegen diese Verbindung.

„Dann, herzlichen Glückwunsch. Verrätst du mir, wieso du wie ein geprügelter Hund guckst?“

„Sobald ich das genauer definieren kann, werde ich es dir mitteilen.“ Mit diesen Worten erhob er sich und ging zu William. Dieser schritt durch die Zentrale und sah aus wie ein gefährliches Tier, kurz bevor es seine Beute erlegte. „Alles klar?“

„Sie haben versucht, ihresgleichen mit Jannis Sperma zu schwängern. Diese, diese … Sie haben ihm eingetrichtert, dass es normal sei. Haben ihn von jedem intimen Kontakt zu anderen abgehalten. Er sollte rein bleiben, noch dazu hat man es gewagt, ihm zu erzählen, wir seien Monster, und wenn er sich mit uns abgibt, sterbe er oder wird ebenso zu einem!“ William war eindeutig zu ruhig für Quinns Geschmack. Die Gefahr eines Ausbruchs lag in der Luft und ließ sich förmlich greifen.

„Und was ist mit Bryce, wurde er entlastet?“

„Nein bisher nicht. Ich habe den König kontaktiert und er wird herkommen. Ebenso möchte er Jannis sehen.“

„Gut. Wäre es in Ordnung, wenn ich mich hinlege, ich bin etwas fertig!“

Kritisch betrachtete William Quinn. „Erzähl!“, forderte er auf.

„Du siehst auch alles, bist schlimmer als Bennet.“ Der Anführer grinste und wackelte mit den Augenbrauen. „Erstens: Bryce kannte die Opfer. Sie waren Freunde von ihm und hatten sich im Park mit Jannis und ihm verabredet. Scheinbar wollten Alec und Greg, dass Jannis weg kommt. Sie sahen es als Missbrauch an, was ihm geschieht.“

„Okay, das hätte mir Bryce gleich sagen können.“

„Zweitens: Jannis und ich, also, er ist mein Partner. Gerade entwickelt sich bei ihm mein Tattoo!“

Überrascht sah William auf. „Oh Mann, das hast du dir aber auch einfacher gewünscht, oder?“

„Du dir vor ein paar Tagen auch noch, oder nicht? Ist ja echt nicht so, dass ich keinen Partner will, aber … ich weiß auch nicht. Er beschimpft mich und ich …“

„Du möchtest ihn die ganze Zeit schlagen, ja kenn ich. Ich habe langsam das Gefühl, dass es in einer solchen Konstellation so ist. Dann leg dich hin und überleg dir mal, wie du Jannis das beibringst. Ich denke nicht, dass er weiß, was es bedeutet.“

 

Als hätte Quinn das nicht gewusst. Grummelnd verschwand er aus der Zentrale und ging in sein Zimmer. Die Nacht war kaum an Schlaf zu denken, sobald er die Augen schloss, sah er die dunkelblauen Augen vor sich, das kantige Gesicht mit dem leichten Bartschatten. Fluchend stand er in den frühen Morgenstunden auf und wollte ins Bad, als er stockte und Sam erblickte, der in der Tür zum Badezimmer stand.

„Alles in Ordnung, Jannis?“, fragte dieser ins Bad hinein.

„Wenn es zu nichts nutzt, wieso habe ich das Gefühl, es trotzdem machen zu müssen?“, erklang die Stimme des Vitae essentia.

„Oh glaub mir, das Problem haben viele morgens. Komm aus der Dusche raus, du zitterst am ganzen Leib.“

„Aber … was soll ich denn machen? Ich kann doch nicht den ganzen Tag so rumlaufen.“

Sam nickte verstehend. „Musst du auch nicht, aber ich an deiner Stelle, würde mich ins Bett legen und mir nette Gedanken machen. Ist bequemer.“

„Du hast das Problem nicht, wie kommt das?“

Quinn unterdrückte ein Grinsen, diese Unterhaltung hatte was, auch wenn der Gedanke, dass Jannis nackt in der Dusche stand, ihm dasselbe „Problem“ bescherte.

„Ich habe einen Partner, bin gebunden. William MacDermont und ich sind ein Paar. So will es das Schicksal und glaub mir, seither muss ich mich nicht mit solchen Problemen beschäftigen, das tut er.“

„Wie er? Du hast eine Beziehung zu einem Mann?“

„Es gibt einiges, was wir dir noch sagen sollten, aber nicht jetzt. Zieh die nassen Sachen aus und komm Herrgott noch mal aus der Dusche.“

„Kannst du mir vielleicht auch sagen, was das ist?“

Quinn hörte, wie Jannis aus der Dusche stieg, was quietschende Geräusche machte.

„Ein Tattoo, auch das erklären wir dir später, ich denke, das wäre jetzt alles etwas viel. Ich gehe dir etwas Neues zum Anziehen holen, okay?!“ Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte sich Sam ab und bemerkte dann Quinn. Lächelnd huschte der Größere in sein Zimmer, kam mit Sachen für Jannis raus und drückte sie ihm in die Hand. „Mach du das!“

 

Zögernd trat Quinn zum Bad, noch zögerlicher blickte er hinein und direkt auf das nackte Hinterteil von Jannis. „Deine Kleidung!“ Flehend hoffte er, dass seine Stimme nicht so zitterte.

Eilig schlang sich Jannis ein Handtuch um die Hüfte, nickte verlegen und nahm die Kleidung entgegen. „Das sieht aus, wie das auf meinem Handgelenk!“, wies dieser auf Quinns Tattoo.

„Sam sagte schon, wir erklären dir das später.“

„Warum nicht jetzt? Oder ist es dir so zuwider, mit mir zu sprechen? Dass du scheinbar was gegen mich hast, habe ich gestern schon gemerkt.“

Diese Feststellung traf Quinn, auch wenn er wusste, dass es der Wahrheit entsprach. „So darfst du das nicht sehen, aber du bist bei den Werwölfen aufgewachsen und doch einer von uns. Ich weiß nicht, inwieweit sie dich manipuliert haben.“

„Was soll denn das heißen?“

„Zieh dich an und dann komm in mein Zimmer, ich erkläre es dir.“ Mit diesen Worten wandte sich Quinn ab. Wartend saß er auf seinem Bett und fragte sich, ob es wirklich so gut war, wenn er Jannis alles erzählte. Würde dieser ihm glauben?

Der trat ins Zimmer, mit einer Jogginghose und T-Shirt bekleidet setzte er sich im Schneidersitz auf das Bett und sah Quinn interessiert an. Dieser atmete schwer aus. „Ich würde sagen, du fragst, ich antworte.“

„Was macht ihr mit dem Sperma?“

In die Vollen, dachte Quinn. „Nun ja, zumindest nicht das, was ihr scheinbar damit macht. Beim Geschlechtsverkehr landet es entweder im Partner oder im Kondom. Beim Masturbieren meist in einem Tuch.“

Ein geschockter Blick traf ihn. „Ihr werft es einfach weg. Und was ist mit Nachwuchs?“

„Das geht bekanntlich nur zwischen zwei verschiedenen Geschlechtern. Somit brauchen sich Sam und William da keine Gedanken zu machen.“

Jannis nickte, auch wenn er den Anschein machte, es nicht wirklich zu verstehen. „Okay. Sam sagte eben, er sei gebunden, was bedeutet das?“

„Bei uns ist das mit der Partnerwahl vorhergesehen. Das Tattoo überträgt sich auf die Person, die für uns bestimmt ist!“

Mit gerunzelter Stirn wechselte Jannis‘ Blick zwischen seinem Handgelenk und dem von Quinn. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich, was sein Gegenüber wahrnahm, doch nicht zuordnen konnte. Es waren Minuten, in denen der junge Vitae essentia einfach nur die Tattoos betrachtete, wobei sein eigenes noch nicht vollständig war. „Wir beide?“ Quinn nickte schlicht. „Und wieso kannst du mich dann nicht leiden? Müsstest du mir nicht eher um den Hals fallen?“

„Ich wüsste von keinem unserer Art, die sich direkt um den Hals gefallen sind. Erst recht nicht zwischen zwei männlichen Partnern. Meine Bedenken habe ich dir eben mitgeteilt und daran ändert sich momentan auch nichts.“ Eiskalt und hart klang die Stimme von Quinn.

 

Jannis sah auf seine Hände, schien nachzudenken, bis er seinen Blick hob und Tränen in seinen Augen zu sehen waren. „Es ist überall das Gleiche. Bei den Wölfen wurde ich nur geduldet, weil ich ein Vitae essentia bin und hier werde ich ebenso nur geduldet. Wo gehöre ich denn hin?“

„Du gehörst zu mir, das ist Fakt und wir werden nicht mehr umeinander herum herumkommen. Doch weiß ich nicht, was sie dir weiß gemacht haben, was wir sind. Du hast uns als Schlächter bezeichnet.“

„Weil ich dachte, Bryce hätte meine Freunde umgebracht. So wurde es mir gesagt!“

Quinn nickte und verstand Jannis durchaus und doch sträubte sich in ihm alles, dem Mann zu vertrauen, der ihm so nahe war.

„Wohl wahr. Darf ich dir Fragen stellen?“ Den abwartenden Blick von Jannis nahm er als Zustimmung. „Hat man dich wirklich nie angefasst?“

„Niemals. Man hat mir nur immer gesagt, dass sie es brauchen und dass es normal sei, sein Sperma abzugeben.“

„Beruhigend! Und eine Beziehung hattest du nie?“

„Nein, es war mir untersagt. Sobald ich mich der körperlichen Vereinigung hingebe, würde ich zu einem von euch werden. Einer Bestie!“ Jannis schämte sich sichtlich, sein Blick war gesenkt und seine Finger ineinander verschränkt.

Quinn zuckte, wollte ihn trösten, doch er brachte es nicht fertig. Angst der Zurückweisung keimte in ihm auf. Sean hatte ihn verlassen, nach 20 Jahren, und sein Gefühl sagte ihm auch in der Hinsicht auf das Bündnis mit Jannis nichts anderes. Was wenn es ihm nicht gefiel, er sich gegen eine Beziehung entschied und ihn lediglich neben sich duldete? Dieser Gedanke brachte seinen Magen dazu, sich zu verkrampfen.

 

„Wie läuft das jetzt zwischen uns beiden?“, Jannis‘ Stimme ließ Quinn zu ihm sehen.

„Ich weiß es nicht. Sicher ist, wir werden uns nicht allzu lang voneinander entfernen können.“

„Und weshalb nicht? Wir waren doch unser Leben lang nicht zusammen.“

„Sobald der Bund sich zu festigen beginnt, was im Zeichen des Tattoos erkennbar ist, zehren wir von dem anderen. Unsere Nähe lässt Energie entstehen, die wir zum Leben benötigen. Ohne diese werden wir sterben, beide!“ Diese Aussage ließ selbst bei Quinn Gewissheit aufkommen. Er konnte es nicht mehr verdrängen. Vor ihm saß der Mann, der sein Leben lang bei ihm sein würde. Ob freundschaftlich, oder in einer Beziehung, war nun die Frage. „Warst du schon mal verliebt?“ Die Frage hatte Quinn schneller ausgesprochen als gedacht.

„Ich glaube nicht. Obwohl ich Alec gerne mochte, doch der war mit Greg befreundet! Sie waren immer zusammen, nie zu trennen. Manches Mal fragte ich mich, wieso ich dabei sein durfte.“ Schwer seufzend ließ sich Jannis nach hinten fallen und sah zur Decke. „Sie lebten als Paar, nicht nur wie Freunde. Ich hab sie mal gesehen, als sie sich küssten.“ In seiner Stimme klang Sehnsucht mit.

„Du hast Alec geliebt?“

„Nein, keine Schmetterlinge im Bauch oder so was. Er sah aber gut aus, war unheimlich nett und mein Freund. Hattest du schon mal einen Freund, also einen festen?“

Quinn ließ sich neben ihn fallen und atmete durch. „Nun ja, ich hatte eine Beziehung mit Sean, wenn man es so sehen will. Bis Sarah kam. Die beiden sind glücklich, sie ist eine tolle Frau.“

„Aber du mochtest ihn mehr, als er dich.“ Mit dieser Feststellung beugte sich Jannis über Quinn und sah ihm in die Augen. „Wo sind meine wahren Eltern?“

„Ich kann es dir nicht sagen, doch der König wird kommen und er wird es wissen!“ Irritiert von dem plötzlichen Themenwechsel und dass Jannis in seinem Blickfeld erschienen war, starrte er ihn an. Versank in den dunkelblauen Augen, während seine Finger automatisch nach oben gingen und die widerspenstigen schwarzen Locken aus dem Gesicht des Mannes streiften, der sein Tattoo trug. Bald würde es komplett sein und sie ausweisen. Untrennbar einen Bund entstehen lassen, der ihr Leben bestimmte. Es war eine beängstigende und doch wohltuende Gewissheit.

Langsam kam Jannis näher, dass es Quinn erst nicht bemerkte. „Ich würde dich gerne küssen!“, wisperte der ihm gegen die Lippen.

 

Ein lautes Poltern und Krachen schreckte Quinn auf, der Jannis wegstieß und in den Flur stolperte. Die Treppe hinunter trafen alle acht Krieger sowie Sam und Jannis in der Vorhalle ein, wo König Leonard grinsend stand. „Wie ich sehe, seid ihr allzeit bereit, das ist gut. Aber ankleiden solltet ihr euch das nächste Mal schon!“ Dabei blickte Leonard direkt zu Quinn. Dieser sah an sich hinunter, gerade Boxershorts und ein T-Shirt kleideten ihn, ebenso Sam, während William lediglich die Shorts anhatte. Jannis stand schmunzelnd da und blickte Quinn an, der ihm in dem Moment am liebsten den Hals umgedreht hätte. Immer noch kribbelten seine Lippen, wollten das Versprochene einfordern.

„Entschuldigt die Störung, doch ich fand den Gedanken äußerst amüsant.“ Obwohl der König weit älter als die meisten Anwesenden war, schien er das Kind in sich behalten zu haben. Dessen Blick ging zu Jannis, das Grinsen verschwand aus Leonards Gesicht. „Jannis Frier“, sprach er laut, was alle Umstehenden zusammenzucken ließ.

 

Familie Frier, es waren so viele Jahre vergangen, als diese verschwanden. Sergei, ein angesehener Krieger und dessen Frau Maria. Quinn sah zu William, dessen Blick sich gesenkt hatte. Sergei war ein Freund von allen gewesen, bis er nicht mehr auftauchte. Es gab zur damaligen Zeit viele, die dem Kriegersein den Rücken kehrten und so hatte es jeder auch von Sergei Frier gedacht. Leonard ging auf Jannis zu, schüttelte immer den Kopf und schloss die Augen.

„Willst du wissen, was ich sehe?“, fragte er, als er ihn ansah.

Jannis sah unsicher zu Quinn, der nickte und hinter ihn trat. „Das geht so einfach?“, interessierte er sich.

„Ich kann es. Aber sei gewarnt, es ist nichts Schönes, was ich dir zeigen werde.“ Mit diesen Worten legte der König seine Hände an die Schläfen von Jannis, schloss seine Augen und zeigte ihm, was er gesehen hatte.

Quinn sah das Zusammenzucken von Jannis‘ Körper, hörte ihn mehrere Male hart schlucken. Als Leonard sich entferne, sah er die Tränen in den dunkelblauen Augen seines Partners. Ehe er seinem inneren Drang nachgeben konnte, Jannis in die Arme zu ziehen, rannte dieser los. Irritiert sahen ihm alle nach, bis William nach Luft schnappte und ebenso loslief. Erst da wurde Quinn klar, wohin Jannis gelaufen war. „Was habt Ihr gesehen, Herr?“

„Wie seine Eltern mit der ungeborenen Schwester den Freitod wählten, um sein Leben zu retten.“

 

Als sie zu den Zellen kamen, stand eine Türe weit offen, man hörte Jannis brüllen. „Ich habe mich ihm nicht hingegeben!“

„Dann hättest du nicht sein Zeichen, du widerst mich an!“

 

„ICH widere dich an? ICH?“ Jannis wandte sich um und trat auf seine Finderin zu, die sich in einer Ecke versteckt hielt. „Ihr habt meine Eltern umgebracht, sie genötigt in den Abgrund zu springen, damit ich leben kann. Ihr habt meine Schwester damit umgebracht! IHR widert mich an“, spuckte er Margaret vor die Füße. „DU hast meiner Mutter die Wahl gelassen. Mir ein Messer an den Hals gehalten und gefragt, wer weiter leben soll. Doch DU wirst diese Wahl nicht haben!“ Mit diesen Worten umschloss seine Hand die Kehle der Frau, die ihn großgezogen hatte.

„Deine Eltern wollten es so. Der ach so große Krieger war so klein!“, gestand Heinz nicht einen Zentimeter der wahren Größe von Sergei zu und riss Jannis herum. „Du bist wie er. Ein Nichts im Gegensatz zu uns. Du bist nur zu einem gut, uns dein reines Sperma zu geben!“

 

Quinn wollte eingreifen, wurde jedoch von William und Leonard gepackt. So sah er zu, wie Jannis seinen Finder an die Wand schlug, dessen Frau abermals an der Kehle packte und mit der anderen Hand eine schnelle Bewegung vollführte, die ihr das Genick brach. Die Frau sackte in sich zusammen, während sich Jannis umdrehte und auf seinen Finder zuging.

„Ich schaue meinen Opfern in die Augen und stehe dazu, was ich mache!“, griff er nach Heinz und zog ihn auf die Beine. „Du wirst leiden, für alles.“

„Stopp!“ Leonards Stimme durchbrach Jannis Mauer. „Lass mich erst sehen, was ich wissen muss, dann darfst du tun, was immer du möchtest. Es ist dein Recht!“

Abermals schlug der schwarzhaarige Vitae essentia seinen Finder gegen die Wand und ließ ihn los. „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben!“

 

Quinn befreite sich aus Williams Griff und stand Sekunden später vor Jannis. Dessen Augen waren derart dunkel, dass es selbst diesem nicht geheuer war und doch legte er ihm eine Hand auf den Arm. Wortlos tauschten sie einen Blick, bevor Quinn ihn in die Arme zog. Mochte Jannis ihn auch um fast zehn Zentimeter überragen, suchte er den Schutz und Halt bei seinem Partner, dessen Tattoo sich immer mehr auf seinem Handgelenk zeigte.

Hitze durchfuhr Quinns Körper, reine Energie, die ihn auflud und zur Ruhe kommen ließ. Eine merkwürdige Mischung, die er jedoch nicht missen wollte. So lagen sie sich in den Armen und füllten ihre Reserven, während Leonard sich um den Werwolf kümmerte.

 

„Ich hab sie umgebracht!“, flüsterte Jannis.

„Mit Recht. Mach dir keine Gedanken.“

„Ich will ihn nicht …“

Quinn nickte, es brauchte keine weiteren Worte, nicht einmal zu seinem Anführer, der neben ihnen stand. Kaum hatte sich Leonard von Heinz Delon zurückgezogen, trat William auf diesen zu. Er benötigte lediglich Sekunden, bis ein Knacken die Stille durchbrach, der Körper des Werwolfs auf dem Boden aufschlug und Quinn Jannis aus dem Raum führte.

 

Endlich schlief der Lockenkopf und das in Quinns Armen. Dieser konnte sich nicht daran erinnern, je neben Sean geschlafen zu haben. Es war immer nur eine Nummer, zwischen den Kontrollen, auf Streife oder wenn sie alleine waren. Niemals hatten sie eine längere Zeit zusammen verbracht.

Nun lag er hier, mit einem Mann in seinen Armen, der sein Herz dazu brachte, das Blut schneller durch seinen Körper zu pumpen. Mit der Sehnsucht in sich, den Moment vom Morgen zurück zu holen und die Lippen kosten zu dürfen. Die besitzergreifende Art von Jannis sagte ihm zudem mehr als zu. Dieser hatte Quinn mit dem rechten Arm fest an der Hüfte gepackt und den Kopf auf der Schulter liegen, dass der nicht weg kam. Es war ein wohlig warmes Gefühl, was Quinn erfasste und genussvoll die Augen schließen ließ. Er wollte die Wärme festhalten und Jannis nie wieder loslassen, oder losgelassen werden.

 

Ein zartes Klopfen unterbrach seinen Versuch, ebenso zur Ruhe zu kommen. Langsam ging die Tür auf und William kam herein. Ein Grinsen erschien flüchtig auf seinen Lippen, dann kniete er sich ans Bett und beugte sich zu Quinn. „Leonard hat gesehen, wer für den Tod der zwei Werwölfe verantwortlich ist. Wir wollen ihn stellen, brauchen aber alle Krieger. In einer Stunde unten, okay?“

„Wer war es?“, interessierte sich Quinn und versuchte ruhig zu bleiben.

„Ein gewisser Jakob Cook. Einer der Hünen, die gestern um Jannis waren“, antwortete William und verließ genauso leise das Zimmer, wie er es betreten hatte.

Quinn schloss die Augen und atmete tief durch. Stellen hieß nicht mehr, als dass sie angriffen. Natürlich war es eine weise Entscheidung es heute zu tun, es war kein Mond am Himmel zu sehen und somit eine Wandlung der Werwölfe nicht möglich.

 

Die Regung neben sich hatte er nicht erwartet, die zarten Lippen auf seinen ebenso wenig. „Verzeih mir!“, sprach Jannis, plötzlich wurde es Schwarz um Quinn.

 

***

 

Es schmerzte ihn, Quinn so da liegen zu sehen und doch musste er es tun. Jakob war fällig, das stand für den Vitae essentia außer Frage. Der Mann, der ihm seit Jahren zur Seite gestellt war, hatte ihm alles genommen. Jannis hatte nie ein gutes Verhältnis zu dem Hünen gehabt, aber das hätte er nicht erwartet. Die Wut des Morgens war zurück und er hätte gerne seinen Finder vor sich gehabt.

 

Erinnerungen nahmen seinen Geist ein. Wie er als kleiner Junge Mama und Papa sagte und man ihm erklärte, dass sie lediglich seine Finder seien. Eine abweisende Haltung, die ihn geprägt hatte. Nähe war kein Thema bei seinen Findern, nie wurde er in den Arm genommen, hatte Lob erhalten oder gar Zuwendung. Heute wusste Jannis, dass er lediglich Samenspender war und auch als solcher behandelt wurde. Eine lebende Ware, zu nichts anderem gut, als sein Ejakulat abzugeben. Als Kind hatte er sich immer gefragt, was er falsch machte.

 

Sein Kopf füllte sich mit Rachegedanken, während sich Jannis automatisch anzog. Er fand ein Messer in Quinns Hose, wog es in seiner Hand aus und schien zufrieden mit dem Ergebnis. Vielleicht hatten seine Finder recht, kaum war er bei seinesgleichen, wurde er zu einer Bestie. Seine Glieder knackten, als er sich streckte und dann den Raum verließ.

Jannis zwang sich, nicht noch einmal zurückzusehen, hatte die Befürchtung, sich nicht von Quinn lösen zu können. Gerade als er sich aus dem Haus geschlichen und ein Auto mit Schlüssel gefunden hatte, legte sich eine Hand auf seine Schulter. Erschrocken drehte er sich um und sah in Sams grüne Augen. „Was hast du vor?“, fragte dieser sogleich. „Und wo ist Quinn?“

„Der wird in ungefähr einer Stunde mit leichten Verspannungen aufwachen. Ich werde mir Jakob schnappen. Er hat mir meine Freunde genommen und ich werde ihm sein Leben nehmen.“

„Allein? Jannis, es ist gefährlich, was du da vor hast und noch dazu setzt du nicht nur dein Leben aufs Spiel!“ Daran hatte Jannis nicht gedacht. Sie waren voneinander abhängig, brauchten einander und würden ohne den anderen nicht leben können. Er ließ den Kopf hängen. „Nun gut, ich fahre und du wirst zusehen, dass wir beide heil nachhause kommen, kannst du das?“

„Nicht versprechen, aber ich gebe mein Bestes. Waffen wären dazu nicht schlecht.“ Sam nickte verstehend, ging zum Kofferraum und machte diesen auf. Ein beachtliches Arsenal an Handfeuerwaffen, Messern und Wurfsternen lag darin, was Jannis zum Lächeln brachte. Er ergriff die gezackten, rundlichen Waffen und nickte. „Sehr gut, damit kann ich etwas anfangen.“

„Du kannst mit Wurfsternen umgehen? Wie das?“

Beide stiegen in den Wagen ein und Jannis wies Sam den Weg. „Auch die Werwölfe haben Schulen, inklusive Kampftraining. Das konnte ich am besten. Messer und Wurfsterne sind mein Spezialgebiet.“

„Du siehst aus wie ein Krieger, verhältst dich wie einer … die Gene deines Vaters scheinen stark.“

Jannis nickte und lehnte sich zurück. Die Erinnerungen an die Bilder, die ihm der König gesendet hatte. Sein Vater war ebenso groß wie er jetzt, hatte grüne Augen und die schwarzen Locken wie Jannis. Ein Kämpfer mit Leib und Seele.

 

Gerade hatte die Kriegerfamilie an einem Abgrund mit einer Decke ein kleines Lager aufgeschlagen und sah der Morgensonne zu, die sich über den Berg arbeitete, als eine Stimme die Stille durchbrach. „Ihr seid im falschen Revier. Was willst du hier Krieger?“ Ein Werwolf trat aus dem angrenzenden Wald. Es war Heinz Delon, der samt Frau auf die kleine Familie zutrat. Margaret ging auf Maria zu, lächelte sie gutmütig an. „Was wird es?“, begutachtete sie den Bauch der braunhaarigen Frau, die skeptisch zu ihrem Partner sah.

 

Ein Mädchen!“, antwortete Maria, als sie die Bewegung wahrnahm. Ehe sie oder ihr Mann reagieren konnten, hatte sich Margaret Jannis geschnappt, der sich hinter seiner Mutter versteckt hatte, und hielt ihm ein Messer an den Hals. „Was ist euch mehr wert? Euer Leben oder das eures Sohnes?“, lachte die Frau gehässig auf. Sergei haderte mit sich, wollte eingreifen, doch ihm war die Gefahr bewusst.

Unser Sohn, bitte lassen Sie Jannis am Leben!“, flehte derweil Maria und streckte die Hand nach ihrem schreienden Sohn aus.

Springt in den Abgrund und wir schwören euch, euer Sohn wird leben!“, sprach Heinz, trat hinter seine Frau und drückte die Hand, in der das Messer war, näher an den Hals des Jungen.

Wollt ihr nicht auch das Baby? Ich stehe kurz vor der Geburt!“, wimmerte Maria und wusste um ihr Angebot. Doch man tat ihr diesen Gefallen nicht und Jannis sah mit an, wie seine Eltern ihm sagten, dass sie ihn liebten und in den Tod sprangen.

 

Schwer nach Luft schnappend tauchte Jannis aus der Erinnerung auf. Ihm war übel und Tränen sammelten sich in seinen Augen. „Ich bring sie alle um!“

Sam sah kurz zu ihm und zuckte zusammen. „Verdammt, ich dachte deine Augen seien blau! Mach keinen Mist Jannis, bitte!“

Dieser sah den Mann neben sich an. Groß wie ein Schrank und ebenso breit, doch verriet sein Auftreten, dass er kein Krieger war und sicherlich nie werden würde. Er sah dessen Tattoo, einen beeindruckenden Drachen. „Der Drache ist von William? Oder hat er ihn von dir?“

„Von William, er ist der Anführer der Krieger und ich, als sein Partner stehe neben ihm, habe die gleiche Verfügungsgewalt, aber muss sie nicht ausüben.“

„Also, kann uns keiner bestrafen für das, was wir hier machen?“

„Theoretisch nicht, aber praktisch reißen uns William und Quinn die Ärsche auf.“

Die letzte Kurve und es kam der Sitz der Werwölfe zum Vorschein. „Vertrau mir!“, raunte Jannis, als der Wagen zum Stehen kam und sie ausstiegen. Gerade wollte Sam nachfragen, als die Hünen auftauchten, die gestern noch Jannis bewacht hatten.

„Ich muss zu Rex, man hat die Delons umgebracht!“, sprach Jannis und ging ins Haus.

Ihm war bewusst, dass sich Joseph und Jakob Sam schnappen würden, aber da musste dieser durch. Wenn er Rache wollte, ging es nicht ohne einen Verrat an den Kriegern und Jannis war jedes Mittel recht, um zu dem zu kommen, was er wollte.

 

Rex Liner saß an seinem Schreibtisch und stand ruckartig auf, als Jannis ins Büro stürmte. Die Flügeltüren krachten an die Wand und der Vitae essentia baute sich vor dem Rudelführer auf. „Jannis Delon, was soll dieser Auftritt?“

„Man hat meine Finder umgebracht!“

Rex sah überrascht zu ihm und ließ sich auf seinen Stuhl sinken. „Das bedeutet Krieg.“

„Eben, auch sie planen einen Hinterhalt gegen euch. Ich wollte euch warnen!“

Man hörte Sam scharf die Luft einziehen und als sich Jannis umdrehte, sah er auch das erschrockene Gesicht von ihm. „Du verdammter Verräter! Wie kannst du es wagen, das wird auch dein Tod sein!“

 

Rex ordnete an, Sam wegbringen zu lassen, was Jannis nur recht war. Denn so wusste er diesen in Sicherheit und musste sich um den Partner des Anführers keine Gedanken machen. Nun war es daran seinen Plan umzusetzen, mit Jakob allein zu sein und dann würde er sich Rex schnappen. Denn alles was ein Werwolf tat, war vom Rudelführer abgesegnet und wenn nicht, lebte man nicht lange.

„Wann wollen sie angreifen?“, durchbrach Rex seine Gedanken.

„In einer Stunde. Ich würde gerne die Leute in der Umgebung warnen!“ Der Rudelführer nickte und wies Jakob an, ihn zu begleiten.

 

Ziel erreicht, grinste Jannis in sich hinein. Jakob ging neben ihm her nach draußen und direkt auf den Wald zu, in dem die meisten Werwölfe ihre Häuser hatten. „Bist ja doch nicht so ein Arsch, wie ich immer dachte“, entkam es Jakob.

„Nein, bin ich nicht?“ Mit diesen Worten stach Jannis das Messer direkt ins Rückgrat des Werwolfs, der geschockt die Luft anhielt, und versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. „Du Hurensohn hast meine Freunde umgebracht, hinterrücks und ohne mit der Wimper zu zucken.“

„Auf Befehl, ich konnte doch nicht anders!“, japste der Hüne. Doch sein Argument ließ Jannis nicht gelten, niemand musste etwas tun, was er nicht wollte. „Sollte es so sein, wirst du überleben, wenn nicht, hoffe ich, dass du dahinvegetierst, bis dir jemand den Tod schenkt!“ Nach diesen Worten zog er den Werwolf abseits in ein paar Hecken.

Nummer eins war aus dem Weg, auch wenn dieser noch lebte, doch irgendwas hatte Jannis abgehalten, den letzten Schritt zu gehen.

 

Eine Warnung an die umliegenden Werwölfe sah er nicht als nötig an. Die Krieger würden präzise vorgehen und keine Unschuldigen töten. Zurück am Haus entdeckte er die ersten Krieger. Unter ihnen Bryce, der ihn schneller als erwartet erreichte und an die Hauswand schlug. „Du verdammter Mistkerl, was soll das hier werden? Selbstmordkommando? Wo ist Sam und was hast du mit Quinn gemacht?“

Der Krieger sprach zu viel und so griff Jannis zu und ließ ihn in sich zusammensacken. „Du bekommst noch mit was passiert, Quinn dagegen durfte ohnmächtig sein. Es bleiben keine Schäden zurück, doch stell dich mir nie wieder in den Weg!“ Jannis sah sich um und entdeckte William, dessen Augen schienen ihn ermorden zu wollen. Er lächelte, zwinkerte und wies auf Bryce, bevor er im Haus verschwand.

Natürlich war ihm klar, dass es Konsequenzen hatte, was er hier machte und doch, seinem inneren Drang zu widersprechen, kam nicht infrage. Er erkannte sich selbst kaum wieder, sein Denken beschränkte sich darauf, seinen Plan zu erfüllen, während seine Gefühle wie abgeschaltet waren.

 

„Sie sind da!“, brüllte Jannis im Haus und schon stürmten die Werwölfe nach draußen, bis auf Rex, der sich wie immer in seinem Büro versteckte. Als dieser den Vitae essentia erblickte, atmete er erleichtert aus.

„Du wirst mich beschützen bis Jakob wieder kommt, wo ist er?“, stellte sich der Rudelführer hin.

„Draußen und er wird sicher nicht so schnell reinkommen. Die Wandlung funktioniert nicht, es gibt keinen Mond, der euch unterstützt!“

„Als würde uns das was ausmachen, wir sind auch so stark genug!“, lachte Rex auf.

Jannis nickte, zog blitzschnell die Wurfsterne aus seiner Hosentasche und warf sie auf den Anführer. Ehe dieser reagieren konnte, hing er auch schon an der Wand. Jede Hand und jedes Ohr wurde von einem Stern getroffen, welcher sich mit seinen Zacken im Gemäuer verankerte. Langsam schritt Jannis auf Rex zu, grinste hämisch, als der ihn geschockt ansah.

„Was wird das?“

„Meine persönliche kleine Rache. Du hast angeordnet, meine Eltern ermorden zu lassen, ebenso Greg und Alec, meine einzigen Freunde. Hast mir weismachen lassen, dass es normal sei Sperma abzugeben. Mein Leben, geprägt von Verlust und Einsamkeit, habe ich dir zu verdanken!“ Mit diesen Worten schlug Jannis‘ Hand neben Rex‘ Kopf an die Wand.

„Wir haben dir nie weh getan, oder hat es dir wirklich je an was gefehlt? Stell dich mal nicht so an und mach mich los. Dann will ich den Vorfall vergessen!“

„Ich werde es nie vergessen. Nicht wie meine Eltern in den Abgrund sprangen, weil man sie vor die Wahl stellte, mich sonst tot zu sehen. Noch wie man mich hier wie einen Aussätzigen behandelte. Ewig diese Wachhunde um mich rum, als wäre ich ein Gefangener! Was bin ich wirklich für euch?“

Rex spuckte Jannis auf die Füße. „Du willst wissen was? Nichts! Ein Samenspender, der eine miserable Ware abgegeben hat. Nicht eine Werwölfin hast du geschwängert. Dein Samen ist zu nichts zu gebrauchen. Dann wollten dich auch noch diese zwei Bastarde retten, als sie hörten, wir wollen dich beseitigen …“ In Jannis krampfte alles. Er hatte es geahnt und doch gehofft, es sei nicht so gewesen. Alec und Greg waren für ihn gestorben. „Uns ihrer zu entledigen, sollte zwei Probleme lösen. Bryce, der langsam aber sicher zu viel von uns wusste und diese Abtrünnigen verschwinden lassen.“ Wut durchfraß Jannis Körper, wie Lava schien sie alles unter sich zu begraben. Fest umschloss er das Messer, welches zuvor Jakobs Rücken durchbohrt hatte. Langsam, sodass Rex jede Bewegung wahrnahm, erhob der Vitae essentia das Messer.

 

***

 

Fluchend stand Quinn auf. Das durfte alles nicht wahr sein. William hatte ihn mit Mühe und Not wach bekommen und ausgefragt, wo Jannis sei. Dann mitgeteilt, dass Sam verschwunden war. Sein Herz hämmerte im Brustkorb, während seine Zähne aufeinander rieben. Knirschend zog er sich an, ignorierte die Schmerzen in seinen Schultern und folgte William in die Zentrale.

 

„Die Kameras zeigen, wie sie vor einer Stunde aufgebrochen sind. Sam hat Jannis unsere Waffen im Wagen gezeigt und wenn ich richtig sehe, hat dieser sich mit Messern und Wurfsternen eingedeckt!“, berichtete Acey, ein Krieger, der unter Bryce diente und Quinn noch recht unbekannt war. Acey, ein Riese im Gegensatz zu ihm, was allerdings keine Kunst darstellte. Bekannt war der Krieger durch seine recht arrogante Art gegenüber jedem.

„Wurfsterne? Ich glaub, der Kleine weiß nicht einmal, was man damit anstellt!“, schüttelte Bryce den Kopf.

Quinn wollte erst dem Krieger Einhalt gebieten, ließ es aber bleiben. Seine Gedanken galten Sam und vor allem Jannis. Sie waren allein zu den Wölfen gefahren und irgendetwas sagte ihm, dass es nicht gut ausgehen konnte.

 

Es schien alles an ihm vorbei zu gehen, wortlos schloss er sich den anderen an, die ihre Sachen packten und sich auf die Autos aufteilten. William gab Anweisung, dicht bei ihm zu bleiben. Quinn sah Bryce, der etwas abseits stand und auf einen geeigneten Moment wartete, ans Haus zu kommen und er erblickte Jannis.

Sein Herz blieb stehen und William hielt ihn vorsorglich fest. „Du bleibst hier!“ Natürlich hatte dieser recht, er war noch nicht auf dem Damm und doch wollte er zu seinem Partner. Als Quinn Bryce rennen und Jannis gegen die Wand schlagen sah, hatte William alle Hände voll zu tun, ihn festzuhalten. Plötzlich sackte der bullige Krieger in sich zusammen und Jannis grinste unverschämt. „Dieser kleine Drecksack! Er ist wie sein Vater!“, fluchte William und rannte los. Im Laufen griff er nach seinem Handy und Sekunden später verlangte er nach Bennet. Quinn verstand nichts und ehe er nachfragen konnte, stürmten die Werwölfe aus dem Haus.

 

Acey stellte sich vor die Drei und wehrte die Angreifer ab, während William ins Handy schrie. „Bennet, frag nicht so dumm, wie kann ich Sergeis lähmenden Griff lösen? … Nein er ist nicht hier, ich erkläre es dir später. … Verdammt, sein Sohn, sag mir wie, die Werwölfe greifen an!“

Quinn schluckte, er konnte sich vorstellen, wie Bennet reagiert hatte. Sergei und er waren zusammen aufgewachsen, hatten gemeinsam die Akademie abgeschlossen und teilten sich ein Zimmer, bis Maria kam. Bennet war Jannis‘ Patenonkel, erinnerte sich der weißhaarige Krieger und sah zu, wie William Bryce von der Lähmung befreite.

Dieser fluchte wie ein Seemann und ließ sich aufhelfen, doch es war keine Zeit, um sich zu regenerieren, denn die fünf Werwölfe, die sich auf Acey stürzten, hatten den Tod schon in den Augen. Quinn war der Erste, der dem arroganten Krieger zur Hilfe eilte. „Ich schaff das!“, kommentierte der die Aktion.

„Halt den Mund Acey und kämpf!“, fauchte Quinn kopfschüttelnd. Auch wenn der Krieger ein paar Jahre älter war als er selbst, ging ihm dieses kindische Verhalten gehörig auf den Nerv. Kaum hatten sie die menschlichen Hunde gefesselt, packte Quinn Acey am Kragen. „Du brichst dir dein Genick mit deiner Art. Merk dir eins, keiner von uns packt fünf dieser Viecher, auch nicht du.“

Der Größere sah zu ihm hinab, wollte zu einer Erwiderung ansetzen, als William neben Quinn trat und ebenso wütend zu ihm sah. „Quinn hat recht und eins sag ich dir, soviel wie ich in den letzten Tagen von dir mitbekommen habe, wirst du nach diesem Einsatz nicht länger hier bleiben!“

Acey schnappte nach Luft. „Aber …“

„Ich diskutiere nicht über meine Entscheidungen. Du wirst mit zu uns kommen, unter mir dienen und ich werde dir deine arrogante Art aus dem Hirn prügeln, sollte es nötig sein!“ William war auf 180, die Schlagader an seinem Hals trat hervor, dass selbst Acey erkannte, besser den Mund zu halten. „Jetzt will ich den Verräter finden und Sam!“ Mit diesen Worten stürmte William ins Haus, gefolgt von Quinn, Acey und Bryce.

 

Durch die offene Bürotür sahen sie Jannis, der mit dem Messer in der Hand vor Rex stand, der wiederum an die Wand geheftet war. Quinn traute seinen Augen nicht und auch Bryce schaute ungläubig. „Wurfsterne, ich fass es nicht!“

„Sein Vater war gut mit ihnen. Er scheint viel von ihm zu haben!“, nickte Quinn und bemerkte Acey hinter sich. Irritiert drehte er den Kopf, als er den Griff des Kriegers spürte und auch Bryce zupackte. Ein Blick nach vorne verriet ihm weshalb.

William war zu Jannis getreten, zog diesen von Rex weg und schlug ihn an die Wand. Der Aufprall des Körpers hallte durch das Büro und Quinn glaubte, den Schmerz spüren zu müssen, den sein Partner erlitt. Drei gezielte Faustschläge trafen diesen im Gesicht, bevor William ihn losließ und Jannis zu Boden sackte. „Wo ist Sam?“, grollte der Anführer.

Bryce und Acey ließen von Quinn ab, der sofort zu seinem Partner stürzte. „Vielleicht hättest du ihn zuerst fragen sollen, bevor du ihn bewusstlos schlägst!“, fauchte er William an.

Dieser knurrte lediglich, zog Jannis am Kragen auf die Beine und schlug ihn abermals gegen die Wand. Benommen blickten dessen dunkelblaue Augen auf und ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen. „Er sitzt unten in Gewahrsam, wo keiner an ihn ran und ihm nichts passieren konnte!“, zwinkerte er frech und ließ sich von Quinn stützen.

William weitete überrascht die Augen, schlug Jannis anerkennend auf die Schulter. „Bist ein feiner Kerl, ehrlich!“

„Danke. Er wollte ja mit, aber ich konnte nicht verantworten, dass ihm was passiert! Unten im Keller, gleich rechts sind die Zellen.“

„Danke, ehrlich! Quinn leg deine Hände auf seine Wunden, dann heilt es schneller!“ Mit diesem Rat verschwand der Anführer, während der Angesprochene handelte.

 

Seit fünf Minuten standen sie schweigend voreinander, während Quinn immer noch seine Hände auf die Wunden in Jannis‘ Gesicht gelegt hatte. Rex Liner tobte neben ihnen, schrie, fluchte und flehte, dass man ihn endlich von dem Wurfwerkzeug befreien sollte. Er wurde rigoros von den zwei Männern ignoriert, die sich weiter in die Augen sahen. Immer näher kamen sich Quinn und Jannis, schienen sich in den Augen des anderen zu verlieren. „Wagt euch das ja nicht, das will ich nicht sehen!“, giftete Rex und versuchte nach beiden zu treten. Jannis trennte sich von seinem Partner, trat vor Rex und mit einem gezielten Schlag, war der Werwolf k. o.

„Er redet eindeutig zu viel!“

Quinn nickte lachend, erst dann sah er Acey, der sie scheinbar die komplette Zeit beobachtet hatte. Hitze arbeitete sich in seine Wangen, während er sich unter dem Blick des anderen zu winden begann.

„Darf ich was fragen?“, trat Acey an sie heran und als beide nickten, biss er sich erst auf die Unterlippe, bevor er seine Frage aussprach. „Seid ihr beide schon immer an Männern interessiert?“ Während Quinn nickte, zuckte Jannis die Schultern. „Und doch scheint ihr euch zueinander hingezogen zu fühlen. Ich finde es merkwürdig, wenn ich ehrlich bin. Nicht dass ich was dagegen habe, aber ich weiß, dass William nie Interesse an einem Mann hatte und nun diese Blicke, wie bei euch!“

Quinns Wangen verfärbten sich noch mehr, was Jannis dazu veranlasste, ihn von hinten zu umarmen. „Es ist einfach so, wie es ist. Gegen Gefühle kann man nichts machen, und wenn ich ehrlich bin, mir ist es egal, was Quinn ist. Ich mag ihn einfach gerne!“, sprach Jannis und legte das Kinn auf die Schulter seines Partners.

„Ist bei uns nicht anders. Acey, irgendwann kommt eine Frau, oder ein Mann, der dein Tattoo tragen wird, dann wirst du sehen, wie es ist“, sprach William und schob Sam ins Büro.

 

Keiner hatte damit gerechnet, am wenigsten Jannis, der von Quinn abgelassen hatte und über den Schreibtisch flog. Rex Liner fletschte die Zähne und ein undefinierbares Knurren entkam seiner Kehle, als er sich auf den jungen Vitae essentia stürzte und seine Fänge in die Haut schlug.

 

Jannis Schrei erfüllte das Büro und Quinn sah rot. Er sprang auf den Bürostuhl, über den Tisch und schnappte sich Rex. Dieser sah ihn überrascht an, als der sonst so stille Krieger ihn an der Kehle packte und zudrückte. „Keiner fasst meinen Partner an!“, knurrte er, seine Finger gruben sich ins Fleisch des Werwolfs. Dieser grinste hämisch. „Willst du mir etwa was tun, du kleiner Wicht? Es haben größere eurer Rasse nicht geschafft mir was anzuhaben und du erst recht nicht. Sei froh, dass es deinem Süßen …“, Rex spie die Bezeichnung aus, „gut geht. Andere waren nicht so gut dran. Fristeten Jahre im Keller. Ihr seid lediglich dazu gut, an euch zu testen!“ Fast hätte der Rudelführer sich befreien können, doch da bewies Quinn, wieso er als Krieger gezeichnet worden war. Seine Hand schoss nach oben und entzog Rex so den Halt unter den Füßen. Immer fester arbeiteten sich Quinns Finger ins Fleisch des Werwolfes, der wild um sich schlagend versuchte, sich zu befreien. Doch es gab keine Chance. Der recht schmale und vergleichsweise kleine Mann tat das, was seine Instinkte ihm sagten. Quinn spürte, wie die Luftröhre des Rudelführers nachgab und langsam in sich zusammenfiel, wie er die Versuche seiner Gegenwehr aufgab und kaum zwei Minuten später tot in sich zusammensackte.

 

Acey sah Quinn entrüstet an. „Du hast ihn umgebracht!“

„Gibt es ein Problem deshalb?“, wandte der sich um und seine braunen Augen waren dunkel wie nasse Erde. Er beugte sich hinab zu Jannis, der sich eine Hand auf die Wunde an seinem Arm hielt. „Du musst zu einem Arzt!“ Mit diesen Worten half er seinem Partner auf und brachte ihn nach draußen.

Der König stand dort und ein Blick reichte diesem, um zu wissen, was geschehen war. Es lag kein Vorwurf in seinen Augen, eher Mitgefühl. Quinn sah auf, senkte rasch seinen Kopf und brachte Jannis zum Wagen, bevor er sich seinem König zuwandte. „Können wir eine Sanktion auf später verschieben, erst sollte Jannis geholfen werden!“

„Natürlich, ich komme zu euch!“

Nickend nahm er die Worte wahr, stieg ins Auto und fuhr zurück zum Haus der Krieger. Einige hatten Verletzungen erlitten und somit befand sich bereits ein Arzt vor Ort, welcher sich gleich um Jannis kümmerte. „Partnerschaft?“, fragte der Doktor nach der Behandlung und Quinn trat näher.

„Ja, ich bin sein Partner.“

Die kurze Irritation überspielte der Arzt perfekt. „Sehr gut, Körperkontakt und viel Nähe, dann müsste es in ein paar Tagen verheilt sein. Antibiotika werde ich ihm noch verabreichen, reine Vorsicht!“

 

Jannis sah müde aus, hatte sich unter Schmerzen ins Bett gelegt, als der König ins Schlafzimmer trat. „Wie geht es dir?“, sah dieser ihn an.

„Es geht, ich bin fertig.“

„Das denke ich mir und doch wirst du das hier noch über dich ergehen lassen. Ich möchte dir deine Erinnerung wieder nehmen, du sollst damit nicht dein Leben verbringen!“

„Aber ich habe sonst keine an meine Eltern!“

Quinn sah den hilfesuchenden Blick seines Partners, doch konnte nicht eingreifen. Er hatte sich schon zu viel herausgenommen.

„Ich schenke dir eine andere, angenehmere. Damit du weißt, was auf dich zukommt. Du wirst mit William, Sam und Quinn zurückfliegen. Dort wartet jemand auf dich und du kannst dein Leben neu beginnen!“ Mit diesen Worten und einem Lächeln legte Leonard seine Hände auf die Schläfen des Mannes und schloss die Augen.

 

Zehn Minuten verharrten sie so, dass es Quinn schwerfiel, weiter ruhig zu bleiben. Er sah, wie seinem Partner Tränen aus den Augenwinkeln traten, wie ein Lächeln seine Lippen erreichte und wie sich Leonard von ihm trennte. „Sie waren wundervolle Eltern und sie liebten dich. Sei dir dessen immer bewusst.“

„Und Ben?“

Irritiert sah Quinn seinen Partner an, erst dann kamen seine eigenen Erinnerungen zurück. „Bennet! Du bist der Einzige, der ihn Ben nannte.“

„Du auch der Einzige, der mich als schreienden Hosenscheißer betitelte!“ Jannis‘ Blick war strafend und belustigt zugleich.

Beschämt verdrehte Quinn die Augen. „Du warst zwei, hast geschrien und die Hosen vollgemacht.“

Leonard stand lächelnd auf. „Frag Quinn, er kannte deine Eltern, wenn auch nicht so gut wie Bennet und William. Quinn, was deine Sanktionen angeht, es wird keine geben. Ich denke, er ist eine kleine Strafe für dich, vor allem da William ihn als Krieger einsetzen wird.“

Entsetzt blieb dieser zurück und sah in das grinsende Gesicht von Jannis, der sichtlich zufrieden mit der Nachricht war. „Ist dir bewusst, was es heißt, als Krieger zu agieren?“

„Ich kann es mir vorstellen.“

„Nein, kannst du nicht. Wirst du es nochmal können? Das Töten? Bist du bereit selbst gegen einen von uns derart die Hand zu heben, wenn es nötig ist? DU weißt nicht, was es heißt, ein Krieger zu sein, sei dir dessen sicher. Alleingänge sind tabu, wir bringen uns nicht in Gefahr. Du hättest heute drauf gehen können und damit mein Leben beendet!“

„Ich weiß. Doch es war nötig und das weißt du genauso gut wie ich!“ Jannis‘ Überzeugung lag frei lesbar in dessen Augen. Der Blick eines Kriegers, jederzeit bereit das Leben seines Partners und das eigene aufzugeben, sollte es nötig sein.

„Schlaf, ich werde später zu dir kommen, damit du die Energie bekommst, die du brauchst. Erst muss ich zur Versammlung!“ Währenddessen stürmte Quinn geradezu aus dem Zimmer.

 

Zorn wallte in seinem Inneren, den William zu spüren bekam. Denn dieser krachte gegen die Wand in der Zentrale, kaum dass Quinn bei ihm eintraf. „Das hättest du mit mir absprechen müssen, das kannst du nicht einfach entscheiden!“

William schnappte nach Luft und sah in die Augen seines Kriegers, die sich verdunkelten. „Du vergisst, wer ich bin! Quinn Buckley, entferne dich von mir!“ Es war das erste Mal, dass ein Krieger seine Befehle missachtete.

„Du arrogantes Arschloch willst mir Befehle erteilen? Dein Partner darf weiter kellnern, während du meinen auf die Straße schickst! Wenn ich dir so lästig bin, dass du mich loswerden möchtest, sag es und lass kein Kind in den Krieg ziehen!“, knurrte Quinn, zog seinen Anführer von der Wand, um ihn danach abermals mit voller Wucht dagegen zu schlagen.

 

„Ein Kind? Das bin ich für dich? Ich werde dir zeigen, was dieses Kind kann!“ Das war Jannis, der im Rahmen der Tür stand und trotz Verletzung auf seinen Partner losging. „Wag es ja nicht, ich werde dich übers Knie legen und dir die erste Tracht Prügel deines Lebens verpassen!“, warnte Quinn, was seinen Partner dazu brachte anzuhalten. „Du gehörst ins Bett und glaub mir, ich diskutiere nicht mit dir. Meint hier jeder stärker zu sein, nur weil ihr größer seid? Habe ich kein Mitspracherecht mehr? Wenn ja, macht eure Scheiße alleine. Es ist ein neuer Krieger da, der mich ersetzen kann!“ Mit diesen Worten verließ Quinn das Haus. Er wollte fort, einfach an die frische Luft und der Flüssigkeit in seinen Augen Einhalt gebieten.

 

„Quinn …“ Sam ging ihm nach und legte eine Hand auf seine Schulter. „Es hält sich keiner für besser. Nicht nach heute, was du mit Rex gemacht hast!“

„Ach nein? Lass es gut sein, Sam!“

„Was hast du vor?“

„Meinen Dienst quittieren. Wenn mich keiner mehr ernst nimmt, brauche ich auch nicht länger als Krieger zu fungieren!“ Mit diesem Entschluss ging er ins Haus, hinauf in sein Zimmer und legte sich zu Jannis, der wach lag und zur Decke sah.

 

***

 

Kein Ton kam über die Lippen seines Partners. Er hatte sich ausgezogen und neben ihn gelegt, während dessen rechte Hand auf seiner Schulter Platz fand. Jannis seufzte innerlich. Der Drang Quinn in die Arme zu nehmen und sich zu entschuldigen, vereinnahmte ihn und doch wollte und konnte er dem nicht nachgeben.

 

Drei schweigsame Tage später befand sich Jannis im Flugzeug, ebenso William, Sam, Acey, Bryce und Quinn. Der Letzte schwieg immer noch, hatte ein Buch in der Hand und las. Jeden Versuch von William mit ihm zu reden, hatte Quinn mit dem Satz: „Ich bin kein Krieger mehr und dir nicht verpflichtet!“, abgeblockt.

Selbst Jannis wurde auf Abstand gehalten, nur nachts duldete sein Partner ihn neben sich. Berührungen oder intensiven Blicken schien er aus dem Weg zu gehen, fast davor zu flüchten. Jannis ahnte, wieso das der Fall war, bald kamen sie bei ihnen im Haus an und dort war Sean. Was wäre, wenn die beiden doch noch ein Verhältnis hatten, wovon keiner wusste? Allein dieser Gedanke brachte seinen Magen zum Rebellieren. Jannis erinnerte sich an Sarah und Sean, die damals schon zusammen waren, zumindest in den Erinnerungen, welche ihm Leonard geschickt hatte. Er hasste diese Bilder in seinem Kopf, die ihm sagten, dass Sean ein sympathischer Mann sei, den er mochte. Dabei wollte er den Krieger nicht mögen und dessen Frau auch nicht, das nahm er sich fest vor.

 

Doch es war ein Vorhaben, welches er nicht umsetzen konnte, denn dafür waren die alten Gefühle zu schnell wieder da. Jannis fühlte sich, als sei er nachhause gekommen, endlich da, wo er hingehörte. Alles schien ihm so bekannt, dass er sich fasziniert umsah und die Veränderungen bemerkte, die in seiner Abwesenheit das Haus ereilt hatten. Verwundert nahm er wahr, dass keiner sie begrüßte, niemand wartete auf die Krieger, bis ein gehetzter Sean in die Halle stürmte.

„Gut, dass ihr da seid. Quinn, das System ist zusammengebrochen!“

Dieser sah desinteressiert zu seinem ehemaligen Bettgefährten. „Dafür bin ich nicht mehr zuständig“, kam knapp zur Antwort und schon verschwand der ehemalige Krieger die Treppen zu den Zimmern hinauf.

Verdutzt stand Sean da, sah erst Quinn hinterher und dann fragend zu William. „Er ist aus dem Kriegerstand ausgetreten! Versuch jemanden zu organisieren, der es uns einrichtet.“

„Und wen? Will, ich kann schlecht einen Techniker kommen lassen, dafür ist Quinn da. Was ist passiert?“

Schweigend trat William an seinem besten Freund vorbei und verschwand ebenso in sein Zimmer. Irritiert sah Sean zu den anderen Anwesenden, die seufzend zu Boden blickten, bis auf Jannis. Dieser sah den Krieger offen an. „Es gab einen Disput und Quinn lässt nicht mit sich reden!“

„Gar nicht seine Art. Herzlich willkommen zurück, Jannis Frier.“

Als hätte es Bennet gehört, stürzte der kahlköpfige Mann in den Eingangsbereich, doch statt wie zu erwarten und zu seinem Patenkind zu gehen, fragte er direkt, wo der Computerspezialist blieb. Die Information, dass der seinen Kriegerstatus aufgegeben hatte, ließ den anderen ungläubig dreinblicken, bevor auch er die Treppen hinauf verschwand. Das war ein Wiedersehen, mit dem Jannis nicht gerechnet hatte. Seufzend begab er sich die Treppen hoch und ließ sich von Sam den Weg zu Quinns Zimmer weisen.

 

„Was soll der Quatsch? Und wage es jetzt zu sagen, dass du mir keine Rechenschaft schuldig bist. Beweg deinen Arsch in die Zentrale und richte den Computer!“ Bennets Stimme klang gefährlich, ließ die Luft erzittern und Jannis am Türrahmen stocken.

„Du hast mir nichts zu befehlen! Meint ihr eigentlich alle, dass ihr mich rumschupsen könnt, wie es euch beliebt?“

„Oh, hat der Herr Komplexe? Bist du mal wieder zu klein? Beachtet dich keiner? Verdammt Quinn, du weißt, was das für ein Schwachsinn ist und nun komm!“

„Aber ...“

„Nichts aber, ich kann dich auch runter tragen, wenn ...“ Bennet stockte und sah direkt in Jannis‘ Augen. „Was willst du hier?“

„Meine Sachen abstellen, wenn es recht ist? Danach würde ich mich gerne zum Dienst melden.“

„Dienst?“ Irritiert sah Bennet zu Quinn.

„Genau das ist es. William will ihn auf Streife schicken. Er hat es nicht für nötig gehalten, mit mir darüber zu reden. Jannis ist 50 Jahre, in dem Alter hatten wir schon 30 Jahre Kampfsport, doch er? Aber nein, der große Anführer hat gesprochen, scheiß auf mein Leben, schmeißen wir es weg! Soll er doch den Computer zum Laufen bringen, er kann alles, unser allwissender William MacDermont!“ Mit diesen Worten drängte sich Quinn erst an Bennet und dann an Jannis vorbei und stürmte aus dem Haus.

 

„Wie, deine Sachen abstellen?“

Jannis sah seinen Patenonkel lächelnd an. „Es hat dir keiner gesagt, oder?“ Der irritierte Gesichtsausdruck sagte alles und so zog sich der neue Krieger den Ärmel seines Pullovers hoch, der das Tattoo verbarg.

Bennet schnappte nach Luft, starrte auf das Tattoo, dann in die dunkelblauen Augen seines Patenkindes. Er wollte nicht glauben, was er da zu sehen bekam. „Du und Quinn?“

„Soweit ich darüber informiert wurde, ist es so.“

„Und William hat einfach so entschieden, dass du ein Krieger wirst?“

„So hat es mir Leonard mitgeteilt, wieso?“

Bennet rümpfte nur die Nase und verließ das Zimmer. Alles lief anders, wie es sich Jannis vorgestellt hatte.

 

„Du bist bei den Werwölfen groß geworden, und wie diese ihre Krieger großziehen, wissen wir alle. Sie sind darauf aus, ihre Opfer zu töten, oder selbst zu sterben.“

Seufzend folgte Jannis seit einer halben Stunde den Ausführungen von Quinn, der im Zimmer auf und ab lief. Langsam wurde es ihm zu bunt, es mochte ja sein, dass sein Partner recht hatte und doch würde Jannis sich das nicht länger anhören. Nur wie er das anstellen sollte, war ihm nicht klar, denn den Mann zu unterbrechen, der sich gerade in Rage geredet hatte, war fast unmöglich.

Plötzlich glitt ein Lächeln über seine Lippen und er erhob sich. Ehe sich Quinn versah, oder gar reagieren konnte, lag er auf dem Bett und über ihm sein Partner. Jannis‘ Augen funkelten, als er sein Gesicht immer näher an das von Quinn brachte.

Eine unbekannte Hitze hatte seinen Körper erfasst, er bemerkte die Enge in seiner Hose und wie sein Herz einen Marathon hinlegte. Auch die Reaktion seines Partners blieb ihm nicht verborgen, der sich instinktiv an ihm rieb. Ihre Erektionen pressten sich aneinander und doch wieder nicht. Statt den anderen unverfälscht zu spüren, war es lediglich Stoff, der intensiv ihre hitzige Haut berührte. Jannis senkte den Kopf, streifte mit seinem Atem die Lippen seines Partners.

„Darf ich dich küssen?“, fragte er unsicher und zog sich etwas zurück. Ehe er noch weiter zurückweichen konnte, zog Quinn ihn zu sich.

„Wenn wir uns jetzt küssen, lasse ich dich nie wieder gehen! Du gehörst mir, für immer!“, hauchte er fast atemlos, während sich seine braunen Augen verdunkelten.

Jannis schüttelte mit dem Kopf. „Ich denke nicht, dass ich dir gehören werde, eher du mir. Wenn ich eins von den Wölfen habe, dann ist es besitzergreifend zu sein. Somit sei gewarnt, lässt du mich dich küssen, wirst du auf ewig an meiner Seite sein!“ Bevor Quinn ja oder nein sagen konnte, hatte Jannis die letzte Distanz zwischen ihnen überwunden und eroberte die Lippen des Mannes, nach dem er sich sehnte.

Mehr!, war das Einzige, was dem jungen Vitae essentia durch den Kopf schoss. Er zerrte an Quinns Kleidung, wollte dessen Körper befreien, um ihn zu fühlen. Verlangen durchströmte ihn, Jannis sehnte sich nach Erfüllung seiner heimlichen Träume. Einmal verbunden mit einem Wesen, so intensiv, dass sich keiner zwischen sie drängen könnte.


Quinn wehrte sich nicht, ließ seinen Partner walten, was der ihm zu danken wusste. Es schien fast so, als wäre sich Jannis bewusst, was sein Gegenüber sich wünschte, ohne Scheu erforschte er während der Entkleidung den Körper des unter ihm liegenden. Stöhnend drängte sich Quinn den Berührungen entgegen, bis Jannis dessen Hose abstreifte und ohne zu zögern seine Lippen auf die noch in Shorts verhüllte Erektion presste. Tief sog er den Geruch seines Partners ein, ließ sich davon berauschen.

 

Mit aller Macht versuchte Jannis sich unter Kontrolle zu halten, während seine Lenden schon voller Erregung zuckten. Mit zitternden Fingern entfernte er die letzte Hülle von Quinn und sah ihn dann in voller Pracht. Begehrenswert war der Krieger schon, wenn er angezogen war, doch nun schien Jannis ihm komplett zu verfallen. Langsam, fast würdevoll schob er sich auf den bebenden Körper und schnappte sich Quinns Lippen.

„Zieh dich aus!“, verlangte dieser zwischen zwei Küssen.

Jannis richtete sich auf, ließ eine Hülle nach der anderen fallen, zögerte jedes Mal nur kurz. Die Blicke auf seinen nackten Körperpartien ließen ihn erschaudern und nach mehr verlangen. „Willst du mich?“, raunte er heiser, während seine Shorts den Boden erreichten und er herausstieg. Quinn nickte, tastete weiter Jannis‘ Körper mit den Augen ab.

„Ja!“, hauchte der und winkelte gleichzeitig seine Beine an. Ein Anblick, der Jannis‘ Kopf mit Bildern flutete und seine Erektion zum Zucken brachte. Die Vorstellung sich darin versenken zu dürfen, Quinns Körper zu erobern, ließ ihn fast an die Grenzen seiner Beherrschung geraten. Er sank auf die Knie und sah auf das Tor zum Inneren seines Partners. Ehe er sich Zeit zum Denken gab, fanden sich seine Lippen an Quinns Hintern wieder. Zärtlich biss er hinein, ließ seine Zunge die malträtierte Haut liebkosen. Seine Finger arbeiteten sich über das zarte Fleisch der Backen, bis hin zum Zentrum seiner Begierde. Heiß und trocken empfing ihn der zuckende Muskel, verkrampfte sich bei jeder noch so sanften Berührung, um sich kurz darauf wieder zu entspannen.

 

Überlegend sah Jannis auf seine Finger, ließ diese zwischen seine Lippen verschwinden und führte sie dann abermals zum Eingang. Spielerisch ließ er die Kuppen über das Fleisch fahren, hinterließ dort seinen Speichel, welcher das Gleiten leichter machte. Es schien ihm nicht genug, beugte sich nach vorne und ließ seine Zunge den Speichel direkt aufbringen.

Hörbar schnappte Quinn nach Luft, versuchte das Zittern seines Körpers in den Griff zu bekommen, welches Jannis lächeln ließ. Selbstvergessen auf die Reaktion seines Partners bedacht, merkte er erst, was er tat, als er den Muskelring mit seiner Zunge durchbrochen hatte. Erschrocken wollte Jannis zurückweichen, doch bemerkte dann das veränderte Stöhnen von Quinn. Leise wispernd verlangte dieser nach mehr, bog sich ihm entgegen und schien sein Tun als angenehm zu empfinden. Erneut versenkte Jannis seine Zunge im Inneren seines Partners und nahm dessen Laute wahr. Feucht glänzte das Ziel seiner Begierde, als er sich zurückzog und einen Finger mit sanftem Druck darin verschwinden ließ.

„Du machst mich verrückt!“, erklang Quinns Stimme, strafend und ergeben zugleich. „Ich komm gleich, wenn du nicht bald ...“ Mitten im Satz brach er ab, als Jannis einen Punkt im Inneren fand, der dessen Körper zum Beben brachte. Der Anblick des Mannes, in der Ekstase versunken, nach mehr fordernd, ließ Jannis alles vergessen, er spürte das Ziehen seiner Lenden und die Erleichterung, als sein Samen hinausschoss.

 

Beschämt sah er auf, direkt in Quinns braune Augen, die ihn liebevoll ansahen. Der zog ihn zu sich rauf, ließ ihre Lippen miteinander verschmelzen. Jannis‘ Hand wanderte zwischen ihnen hinab, umschloss das Glied seines Partners und bescherte diesem die Erlösung, nach der sich dessen Körper sichtlich sehnte.

 

Immer regelmäßiger wurde Quinns Atem und Jannis löste sich. Wie peinlich ihm das alles war, er hatte bei seinem ersten Mal versagt. In diesem Moment hörte er Alec lachen, wie vor Monaten, als sie über den ersten Sex sprachen. „Glaub mir Kleiner, kein erstes Mal verläuft so, wie man es sich wünscht.“ Dabei hatte dieser zu Greg gesehen, der rot anlief und mit seinen Fingern spielte. „Entweder erregt dich der Anblick deines Partners so sehr, oder du fühlst dich, als würdest du ausgepresst. Aber das findest du noch früh genug ‘raus!“

„Früh genug? Ich bin 50, wie alt soll ich werden? Die meisten Werwölfe in meinem Alter sind schon Eltern, nur ich durfte nie an jemandem meine Lust verlieren.“ Er hatte geschmollt, kam sich unterdrückt vor.

Greg hob Jannis‘ Kinn an. „Hey, ihr habt eine andere Zeiteinteilung als wir. Du lebst zehn Mal so lang, also mach dich nicht verrückt. Ich glaube gehört zu haben, dass eure Rasse speziell ist, was Partnerschaften angeht.“

Greg hatte recht, was diesen sicher grinsen ließ, wo auch immer er war.

 

Leise zog sich Jannis an und verließ das Zimmer, um die Küche zu suchen. Sein Magen knurrte und er wollte mit William reden. Wenn es seinem Partner so missfiel, dass er ohne anständige Ausbildung Krieger werden sollte, dann würde er es nicht tun. Dass sich der Anführer ebenfalls in der Küche aufhielt, schien ein glücklicher Zufall zu sein, ebenso dass Seans Frau gekocht hatte.

William bot ihm einen Stuhl an, während Sarah ihm schon einen Teller voller Essen vor die Nase stellte. „Na, hat sich unser Krieger abreagiert?“, grinste sie und zwinkerte.

Augenblicklich schoss Jannis die Röte ins Gesicht, verschämt sah er auf seinen Teller. „Ihr habt uns nicht wirklich gehört?“, fragte er so leise, dass es fast keiner verstehen konnte.

„Wir sind nicht taub, entschuldige. Ist er denn jetzt besser gelaunt, sodass ich es wagen kann ihn anzusprechen?“, schmunzelte William.

Jannis grummelte, die amüsierten Gesichter um ihn gefielen ihm gar nicht und trotzdem wollte er dem Anführer keine Antwort schuldig bleiben. „Zuerst was anderes. Ich bitte dich, mich vom Dienstplan zu streichen und erst in eure Schule zu schicken. Ich habe eine andere Lehre im Kampf genossen. Wir wurden darauf getrimmt, entweder zu töten, oder zu sterben. Das ist nicht eure Einstellung und so möchte ich auch nicht auf Streife gehen!“

Verstehend nickte sein Gegenüber. „Ich melde dich morgen an. Bennet unterrichtet auch ab und an und kann dich direkt mitnehmen. Ist das in Ordnung?“ Ein Nicken war William Antwort genug. „Und? Meinst du, ich kann zu Quinn gehen, um auf Knien um Verzeihung zu betteln?“

„Wirst du das denn tun? Oder schlägst du ihn eher, bis er weich wird?“, fragte Bennet und setzte sich hin. Er warf Jannis ein Lächeln zu, dass dieser aus der Erinnerung noch kannte.

„Ich versuche mich ernsthaft zu entschuldigen, sollte er aber stur bleiben, könnte ich es mir anders überlegen“, grinste der Anführer und verschwand aus der Küche.

 

„Wie geht es dir Jan?“

„Ganz gut und dir?“ Nervös biss sich Jannis auf die Unterlippe. Es war merkwürdig, dem Mann gegenüber zu sitzen, der in seiner Erinnerung so einen großen Platz einnahm. Natürlich war ihm bewusst, dass es die von Leonard, oder irgendwem waren und doch genoss er sie.

„Gut, gerade weil du da bist. Ich hätte nicht erwartet, dich je wieder zu sehen.“

„Unverwüstlich! Mein zweiter Vorname.“

„Mein Glück und wie läuft es mit Quinn, hat er sich abgeregt?“

„Ich denke, eben sah er zumindest nicht angespannt aus. Ihr habt uns alle gehört, also brauchst du gar nicht so zu fragen!“

Bennet lachte. „Entschuldigung, sollte höflich sein und wir haben nicht euch gehört, sondern nur ihn, was mich doch irritierte.“

„Dazu werde ich dir keine Erklärung geben!“ Abermals schoss die Röte in Jannis‘ Wangen und er stach in die Kartoffeln auf seinem Teller. Sein Magen wollte gefüllt werden und er schämte sich immer noch für sein zu frühes Kommen. Was würde Quinn wohl sagen, wenn er zu ihnen kam? Jannis war überzeugt, diesen enttäuscht zu haben und der sich jemand Erfahreneren suchte. Er ließ den Kopf hängen und seufzte tief, sein Hunger war mit einem Schlag vergangen. Die Erinnerung an die letzte Stunde verursachte, dass sich Puls und Herzschlag immens steigerten und ein mulmiges Gefühl sein Innerstes erfüllte. Quinn würde ihn verlassen, oder wie das auch immer ging in einer solchen Partnerschaft. Allein der Gedanke, dass sich sein Partner einem anderen Mann ... Jannis wurde schlecht. Abrupt schmiss er den Stuhl um und rannte nach oben ins Bad. Würgend fand er sich über der Toilette wieder, doch sein Magen wollte nichts hergeben. Trotzdem krampfte dieser weiterhin, dass er sich dankend gegen die kühlen Fliesen sinken ließ.

 

Plötzlich erklang ein lautes Fluchen, man vernahm Schläge und ächzende Töne zweier Männer. William und Quinn!, schoss es ihm durch den Kopf. Mühsam versuchte Jannis auf die Beine zu kommen, doch die wollten ihn nicht tragen. Es krachte, etwas ging zu Bruch und es hörte sich an, als zersplittere Holz. Jannis’ nächster Versuch glückte, er fand sich auf seinen Beinen wieder und setzte einen Schritt vor den anderen.

Eine groteske und irritierende Situation fand er im Flur vor. Denn nicht Quinn und William prügelten sich, diese standen an der Schlafzimmertür. Sie sahen auf dem Gang, wie Acey auf Bennet einschlug. Anders konnte man es nicht nennen, denn der ältere Krieger wehrte sich nicht.

Bryce sah zu Jannis, zeigte mit seiner Hand auf die Schulter von Acey und nickte heftig. Er verstand und bewegte sich auf ungewöhnlich sicheren Beinen auf den Krieger zu, der weiter auf seinen Patenonkel einschlug. Ein Griff und Acey lag auf dem Boden und Jannis ließ sich grinsend auf dessen Knie nieder. „K. o. in der ersten Runde! Du wirst jetzt eine Stunde Ruhe haben und dir Gedanken machen können, wieso ich dich in diese Situation bringen musste. Solltest du mich oder einen der anderen danach dumm anmachen, wiederholen wir das hier!“, zwinkerte er und stand umständlich auf. Sein Magen hatte sich zwar beruhigt, aber das flaue Gefühl war immer noch da. Als Jannis Quinn direkt in die Augen blickte, schien die Übelkeit zurückkommen zu wollen. Eilig unterbrach er den Blickkontakt.

 

***

 

Quinn versuchte nicht einmal, sich ein Grinsen über die Situation zu verkneifen. Da lag der zwei Meter Mann auf dem Boden, die Augen weit aufgerissen und konnte sich nicht rühren. Seine Brust schwellte vor Stolz an, dass sein Partner das geschafft hatte. Alles was er immer sein wollte, war Jannis. Es schien wie ein Ausgleich und dazu die Erinnerung von vorhin, ließ Quinn zu seinem Partner blicken. Doch dieser sah weg.

Irritiert beobachtete er Jannis, der bleich wurde und sich abwandte. Das bisher herrschende Glücksgefühl verflüchtigte sich und Quinn begab sich in die Zentrale, um nach dem Computer zu sehen, während Bryce und William sich um Bennet kümmerten, der sich das Blut von seiner aufgeplatzten Lippe wischte.

Was auch immer Acey sich dabei gedacht hatte, er würde die Sanktionen ausstehen müssen und die konnten beim Anführer durchaus arg werden.

 

Über eine Stunde saß Quinn nun am Computer und versuchte die Festplatte zu defragmentieren. Wer das verursacht hatte, musste leiden, das stand für ihn fest.

„Sarah hat dir was zu essen fertiggemacht!“, kam Sean in den Raum und stellte ihm das Essen auf den Tisch. „Wie schlimm werde ich leiden?“

„Du warst das?“ Sauer wandte sich Quinn um und erdolchte ihn mit Blicken.

Hilflos zuckte Sean mit den Schultern. „Ich wollte doch nur ein neues Programm runterziehen, so ein Spiel und dann ...“

„Alles klar, das bekomme ich wieder hin.“

„Gut! Sag mal, zwischen dir und Jannis alles in Ordnung? Er beißt sich auf die Unterlippe, als hätte er ein Problem, will aber nicht reden.“ Quinn grummelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart und tippte auf die Tasten vor sich. „Hey, was ist los?“

„Ich weiß es doch auch nicht. Vorhin dachte ich noch, alles sei super und nun? Er hat eben weggesehen, als ich zu ihm sah, und wurde ganz bleich. Sean, als wir beide zum ersten Mal intim wurden, hast du dich danach geekelt, oder so?“

Lächelnd setzte sich dieser neben ihn und schüttelte mit dem Kopf. „Niemals, du bist ein toller Mann und ein guter Gefährte und das in jeglicher Hinsicht.“

Verlegen schnappte sich Quinn ein Sandwich, das Sarah ihm zubereitet hatte, und biss hinein. „Danke!“, nuschelte er und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.

 

Plötzlich ging die Tür auf und Jannis trat ein. Sein Blick schwankte zwischen Sean und seinem Partner, doch ehe er sich abwenden konnte, stand der Erste auf und ließ sie wortlos allein.

„Ich wollte euch nicht stören!“ Es war mehr als eindeutig, dass Jannis wegen irgendwas nicht die beste Laune hatte. Quinn drehte sich vom Bildschirm weg und wandte sich ihm zu. „Hast du nicht, er hat mir was zu essen gebracht. Alles Okay mit dir?“

„Nein, wenn ich ehrlich bin!“ Jannis sah auf seine Finger und machte den Anschein eines getretenen Hundes. „Das heute Mittag ... zwischen uns, also, das war nicht gut und es tut mir leid!“

Quinn rutschte das Herz sprichwörtlich in die Hose. Es setzte aus, sein Blut verweilte scheinbar auf der Stelle und alles um ihn herum, war in eine Zeitlupe geraten. Jannis bereute es, das stand für ihn jetzt fest. Ein eiserner Käfig legte sich um seine Lungen, dass er am liebsten die komplette Technikanlage zusammengeschlagen hätte. „Wenn du das so siehst, muss ich das akzeptieren, ich wollte dich zu nichts drängen!“ Hatte er auch nicht, davon war er überzeugt.

Jannis runzelte die Stirn, schien verwirrt. „Wieso ich, du siehst das doch so.“

Quinn war verwirrt, versuchte zu verstehen, was genau gerade Gesprächsthema war, denn er war sich sicher, dass sie aneinander vorbei sprachen. „Was sehe ich wie? Ich habe unsere gemeinsame, intensive Zeit sehr genossen.“

„Aber ich bin zu früh gekommen!“, wandte Jannis verzweifelt ein und Quinn meinte, etwas in dessen Augenwinkeln glitzern zu sehen.

„Ja und? Ich habe auch nicht viel länger gebraucht. Was ist jetzt dein Problem?“ Instinktiv stand Quinn auf und kniete vor seinem Partner nieder. Sachte legten sich seine Hände auf die Knie vor ihm und streichelten den Stoff von Jannis‘ Jeans. Dieser zuckte unter den Berührungen zusammen, schloss voller Genuss die Augen, als Quinns Hände höher glitten. „Hat es dir denn gefallen?“ Es war nur ein Hauch seiner normalen Stimme, die Quinn entkam.

„Sehr sogar. Würdest du mich noch mal küssen?“ Schüchtern und kaum fähig seinen Partner anzusehen, blickte Jannis nach unten auf dessen Finger, die langsam über seinen Oberschenkel glitten. Quinn stand auf und nahm auf Jannis‘ Schoß Platz.

„Du willst wirklich, dass ich dich noch einmal küsse?“ Immer näher kam er seinem Partner und hatte ihm diese Worte an die Lippen gehaucht.

„Nicht so ganz, wenn es nach mir ginge, immer wieder!“, raunte er heiser. Verlangen spiegelte sich in ihren Augen wider, dass sie es beide erkennen konnten. Innere Blockaden schienen sich zu lösen und sie gaben sich dem Wunsch hin. Genüsslich ertasteten sich ihre Lippen, erforschten die Mundhöhle des anderen. Ihre Hände gingen auf Wanderschaft, ertasteten alles, was in ihrer Reichweite war. Sie stöhnten einander hingebungsvoll an die Lippen, rieben die erhitzten Körper aneinander. Schon bald war die Luft um sie herum von sexueller Spannung geschwängert und ihre Atmung glich nur noch einem Hecheln und Stöhnen.

 

„Sucht euch ein Zimmer!“, ertönte es zeitgleich mit dem Aufprall der Tür an der Wand. Acey stürmte in die Zentrale, funkelte Jannis böse an und trat auf ihn zu. Quinn war aufgesprungen, stellte sich nun mit breiten Schultern zwischen seinen Partner und dem wütenden Krieger.

„Fass ihn an und ich werde dir die Abreibung deines Lebens verpassen!“ Er war gefährlich ruhig, doch Acey schien sich sicher, es mit dem kleineren Krieger aufnehmen zu können. Ehe er jedoch einen Schritt auf Quinn zumachen konnte, hatte dieser ihn an der Kehle gepackt. „Erinnere dich, was ich mit Rex gemacht habe und ich bin bereit es selbst bei meinesgleichen zu tun.“

Acey japste und umfasste das Handgelenk von Quinn. „Gut!“, brachte er mit Mühe raus, als der andere Krieger losließ und er zu Boden sackte.

„Bist du wirklich so auf Streit aus?“, fragte Jannis, der inzwischen zu ihnen gekommen war. Acey schüttelte den Kopf und sah auf seine Füße. „Was ist es dann? Irgendwas ist doch mit dir.“

„Nichts!“, grollte er und verschwand mit der gleichen Geräuschkulisse, wie er gekommen war.

 

Vier Stunden und dreiundzwanzig Minuten, hatte Quinn gebraucht, bis der Computer fehlerfrei lief. Obwohl er seine Bildschirme liebte, wollte er sie heute nicht mehr sehen. Mit schmerzenden Augen ließ er Bennet Platz nehmen und verschwand in die Küche. Ein Stoßgebet an Sarah später aß er von der lauwarmen Lasagne und streckte sich genüsslich auf dem Stuhl aus.

 

Kauend grinste Quinn, während seine Gedanken zu Jannis wanderten. Nachdem Acey gegangen war, hatte der ihm noch etwas Gesellschaft geleistet, bevor sie einsehen mussten, dass er sich so nicht konzentrieren konnte. Sein Partner war eindeutig zu anziehend, als dass Quinn ihn ignorieren konnte.

 

„Du siehst aus wie diese Katze in so einem Kinderfilm!“, kommentierte William beim Eintreten in die Küche, dessen Grinsen.

„So fühle ich mich auch fast. Sobald ich satt bin, schnurre ich und schleiche um deine Beine, damit du mich kraulst!“

Lachend schüttelte der Anführer den Kopf. „Steht dir gut, dein Glück. Hast du noch ein paar Minuten? Ich würde gern mit dir reden.“ Quinn nickte und aß weiter, während William sich den Stuhl mit der Lehne zum Tisch stellte. „Acey macht mir Gedanken, mehr als es eigentlich nötig ist. Bryce hatte mich vorgewarnt, dass er schwierig sei, aber sein Verhalten gegenüber Bennet kann selbst er sich nicht erklären.“

„Hast du Bennet gefragt, was los war? Er hätte diesem eitlen Sack schnell die Grenzen zeigen können!“

„Mit Sicherheit, aber er hat es nicht getan, ebenso wenig mit mir darüber geredet. Irgendwas stimmt hier nicht und nun muss ich mit Sam wieder in den Süden. Die Hausdurchsuchungen sind durch und man hat mehrere Vertreter unserer Rasse gefunden, ebenso Vampire und sogar Feen. Ich muss sehen, was da los ist, denn das soll nicht alles sein.“

„Das heißt?“

„Mischlinge, doch so missraten, dass wir sie hinrichten müssen, sollte man den Kriegern Vorort Glauben schenken.“ William ließ den Kopf hängen. Man sah ihm sein Missfallen an.

„Kinder!“, stellte Quinn fest und brauchte keine Reaktion seines Anführers, um zu wissen, dass er recht hatte. „Nimm Bennet mit, er wird dir zur Seite stehen können.“

„Dachte ich mir auch schon. Und was ist mit Acey?“

„Den habe ich im Griff, keine Angst!“, zwinkerte Quinn überzeugt, was William abermals lachen ließ.

„Hätte ich den Kleinen nicht schon gern, wäre es jetzt soweit. Egal was er mit dir macht, er soll bloß nicht damit aufhören. Dein neues Selbstbewusstsein steht dir verdammt gut. So, ich ruf mal Stephan an, irgendwann bekomme ich noch Schläge, weil ich seinen besten Kellner von der Arbeit fernhalte.“

Quinn nickte verstehend und aß zu Ende, bevor er sich auf die Suche nach Jannis machte. Dieser saß im Wohnzimmer und zockte mit Bryce eine Runde an der Spielkonsole.

„Dein Krieger lebt gefährlich, wenn er so weiter macht!“, blickte Jannis seinen Mitspieler an.

„Ich weiß, aber wie ich das verhindern soll, ist mir nicht klar. Natürlich, er hatte schon immer eine große Klappe, ist arrogant, aber er hat sich noch nie so verhalten.“

Quinn trat an die Couch, beugte sich über die Lehne und hauchte seinem Partner einen Kuss in den Nacken, dann sah er zu Bryce. „Vielleicht bekommen wir was raus, während du mit Sam und William im Süden bist.“

„Ich fliege zurück? ... Was ist passiert?“ Bryce hatte den Joystick fallen lassen und Quinn angesehen.

 

Eine Stunde später saß Quinn auf dem Bett und beobachtete seinen Partner beim Entkleiden. Er konnte sich nicht sattsehen. Die straffen Oberschenkel, feste, stramme Waden, definierte Bauchmuskeln, leichte Behaarung auf der Brust. Dieser Mann war eine Verführung auf zwei Beinen. Dass er nicht sabberte, schien ihm selbst wie ein Wunder, denn in dem Moment wünschte er sich wirklich, einem Tier auf vier Beinen gleich zu sein, das sich schamlos hechelnd an sein Herrchen schmiegen durfte.

„Willst du mich auffressen, oder anspringen?“, grinste Jannis und zwinkerte frech, als er auf Quinn zuging.

„Ehrlich gesagt, beides. Wäre das in Ordnung?“ Er umfasste die Hand seines Partners und zog ihn zu sich.

„Wenn du mich so fragst, gerne!“, verschloss dieser ihm den Mund. Es war ein sanftes Erkunden des anderen. Zärtlich erforschten sie die nackten Oberkörper mit den Fingern, suchten die erogenen Zonen.

Dieses Mal übernahm Quinn die Initiative, drückte Jannis in die Matratze und ließ seine Lippen über dessen Oberkörper fahren, während seine Hände an den Seiten hinabglitten. Er wollte seinem Geliebten zeigen, wie schön es am Mittag war und er sicherlich alles war, nur nicht enttäuscht. Langsam arbeiteten sich seine Lippen hinab zur Unterwäsche, die Jannis noch bedeckte. Mit den Zähnen packte Quinn den Bund und zog die Shorts mit hinab, als er weiter hinunterrutschte. Die Härchen stellten sich auf Jannis‘ Körper auf und ein wohliges Stöhnen entkam dessen Lippen. Genussvoll hatte er seine Augen geschlossen und ließ alles auf sich zukommen.

 

Der Schauer, der über Quinns Rücken raste, wurde vom Anblick Jannis‘ steifen Glieds ausgelöst, das bereits glänzende Spuren aufwies. Allein der Gedanke, dass noch nie jemand von dem Mann unter sich gekostet hatte, erregte Quinn ungemein. Fast andächtig fuhr er mit der Zunge über die ersten Tropfen und kostete Jannis. Leicht salzig und doch unbeschreiblich süß, wie cremig wurden seine Geschmacksknospen umspielt. Er wollte eindeutig mehr und so umschlossen Quinns Lippen die Eichel und fingen an zu saugen.

 

***

 

Jannis vergrub seine Hände im Bettlaken und kämpfte mit einem Orgasmus. Es war mehr als eindeutig, dass Quinn wusste, was er tat und sicher nicht zum ersten Mal. Doch dem Gedanken wollte Jannis nun keinen Platz einräumen, lieber genießen und sich dem hingeben, was sein Freund ihm bot.

Freund, hallte es in seinem Kopf. Abrupt richtete er sich auf und sah zu Quinn, der irritiert von ihm abgelassen hatte. „Sind wir jetzt zusammen? Also so richtig?“

Überrascht weiteten sich die Augen seines Gegenübers, der tief ausatmete, was fast genervt klang, bevor ein Lächeln seine Lippen zierte. „Ich sagte dir schon einmal, dass wir unwiderruflich zusammengehören, aber wenn du wissen willst, was ich fühle ...“ Quinn setzte sich auf Jannis‘ Schoß. „In meinem Bauch fliegen unaufhörlich Kampfjets und machen die ungewöhnlichsten Kunststücke. Ich denke nur noch an dich und will dich auffressen, damit du immer bei mir bist. Oder kurz Jannis, ich habe mich in dich verliebt!“

Diese Erklärung ließ Jannis verlegen lächeln, bevor er zurückfiel und Quinn mit sich zog. „Schlaf mit mir!“, raunte er erregt an dessen Lippen und fing sie ein. Dass sein Geliebter den Arm ausstreckte und die Schublade öffnete, bekam er zwar mit, aber war zu abgelenkt von dem Kuss.

Quinn streifte sich seine Shorts ab und präsentierte sich ihm nackt, was Jannis schwer schlucken ließ. Nervosität machte sich in ihm breit, fiel ihm jetzt erst ein, dass er nicht genau wusste, wie sie miteinander schlafen würden. Schließlich lag er gerade, und wenn er es richtig verstanden hatte, dann ...

Jeder Gedanke verflüchtigte sich, als Quinn abermals seine Lippen über sein Glied stülpte und die Erregung von Neuem anfachte. Jannis vergaß alles um sich herum, gab sich dem hin, was er bekam.

Plötzlich entließ Quinn sein Glied und schob sich höher, das Nächste, was Jannis nach einem weiteren atemberaubenden Kuss wahrnahm, war etwas Kühles an seiner Erregung, bevor sich sein Freund auf ihm niederließ.

 

Am liebsten hätte er geflucht, so eng wurde es plötzlich um ihn herum. Sein Glied fühlte sich an, als würde es zerquetscht und doch wollte er mehr davon. Japsend nahm er jedes Hinabgleiten von Quinn wahr und atmete erst tief durch, als dieser ihn komplett erfasst hatte. „Alles in Ordnung, Jannis?“

Mit verhangenen Augen sah er auf. „Ja, es fühlt sich ... oh Gott!“, entkam es ihm, als Quinn anfing sich zu erheben und dann wieder sinken ließ. Er meinte, jeden Moment explodieren zu müssen. Beobachtete Quinn, der den Kopf in den Nacken gelegt und den Mund leicht geöffnet hatte. Dieser schien fast atemlos und seine Bewegungen wurden schneller.

Kleine Blitze durchfuhren Jannis. Energie schwappte in ihm über, dass er sich das erste Mal in seinem Leben regelrecht überfüllt fühlte. Seine Hände umschlossen Quinns Hüfte und dirigierten dessen Bewegungen. Immer höher wurde die Welle der Erregung, bis sie über beide zusammenbrach. Ein weiterer Energieblitz erfasste sie und ließ ihre Körper aufbäumen, bevor Quinn auf Jannis zusammenbrach.

 

Tiefe Gefühle, versinkende Blicke in den Augen des anderen, ließen beide zufrieden lächeln. Es war die erste Verbindung in ihrer kurzen Beziehung, die sie kaum eine Stunde später in einer anderen Stellung wiederholten.

 

Jannis saß neben Quinn an den Computern, statt in der Kampfschule das Nötigste zu lernen. Es schien alles Drunter und Drüber zu gehen, seit William, Sam und Bennet abgereist waren. Vampire hatten sich in der Stadt eingefunden und führten nichts Gutes im Schilde. Sodass Sean, Acey, Stephan, Bryce und Quinn mehr als genug zu tun hatten. Egal was Jannis sagte, man hatte ihn dazu verdonnert, vor den Bildschirmen nach dem Rechten zu sehen. Drei Tage ging das nun so und ausgerechnet heute war Acey von einem Vampir angegriffen worden und zusammengebrochen.

Oder war es umgekehrt gewesen? Da waren sie sich alle nicht wirklich einig geworden. Während einer behauptete, dass Acey erst zusammenbrach und dann angegriffen wurde, sagten die anderen es andersherum.

Sie waren abermals hinausgerufen worden. Acht Vampire griffen wahllos jegliche Lebensformen an, um an Blut zu kommen. Sie schienen schier ausgehungert und wild, dass sie nicht wiederzuerkennen waren. Nicht, dass sich die Nachtwesen sonst liebenswert verhielten, jedoch immerzu unauffällig und im Verborgenen. Quinn stand gerade bei Bryce und wehrte drei der blutrünstigen Bestien ab, als er im Augenwinkel Acey sah, der zusammenbrach. Direkt auf ihm ein Vampir, der sich in sein Fleisch verbissen hatte, um an das Blut zu kommen. Eilig versuchten sie, sich den Weg zu ihrem Kameraden frei zu machen, doch das war nicht so leicht. Eine halbe Stunde brauchten sie, um alle Nachtwesen zu vertreiben und sich um ihren Kollegen zu kümmern.

Doktor Murray war sofort zur Stelle, als sie ins Haus zurückkehrten, kümmerte sich um die Wunden und versuchte herauszufinden, wieso es dem Krieger so schlecht ging. Einzig eine frische Blutprobe konnte Aufschluss geben, doch das war bei den Vitae Essentia nicht so leicht.

 

Quinn hatte schon lange niemanden mehr so verzweifelt gesehen, vor allem keinen Krieger. Eine Blutabnahme war nichts Schönes, gerade nicht in ihren Kreisen, denn statt wie bei Menschen eine Kanüle zu setzen, musste bei ihnen ein Schnitt getätigt werden. Seine Erinnerungen gingen zu den letzten Stunden zurück.

Während Frederik Murray einen Schnitt am Tattoo setzte, hatte sich Acey mit Leibeskräften gewehrt, als sich anfangs Bryce und Sean darüber lustig machten, mussten sie bald einsehen, dass diese Reaktion nicht der reinen Panik gegenüber des Arztes geschuldet war. Der große Krieger war plötzlich klein und flehte sie regelrecht an, ihn in Ruhe zu lassen. Dass er bald wieder fit werden würde und eine Untersuchung unnötig sei. Doch Frederik interessierte das relativ wenig. Ein gezielter Schnitt am Handgelenk, direkt auf dem Tattoo ließ die rote Flüssigkeit hervorquellen, während sie mit drei Mann den Krieger festhielten. Abermals fluchte Acey, versuchte sich aus den Griffen zu befreien und musste sich niedergeschlagen hingeben.

Doch dann passierte etwas, dass sie alle irritiert zurückließ. Wunden auf dem Tattoo verheilten generell ohne Narben, doch was bei Acey passierte, hatte noch keiner gesehen. Statt dass die Wunde heilte, blieb sie weiter offen und musste vom Doktor geschlossen werden. Das Tattoo schien zu verblassen und doch auch intensiver zu werden. Was auch immer da geschah, es war nicht normal.

Nach zwei Stunden gab es einen Verdacht. Doktor Murray hatte eher schlechte Nachrichten und diese galt es nun, William mitzuteilen.

 

Man sah Quinn seine Nervosität an. Wer überbrachte schon gerne schlechte Nachrichten? Er zumindest nicht und das machte er Jannis mit einem Fluch bewusst.

 

Williams Bild erschien auf dem großen Bildschirm, er saß ebenfalls in der Zentrale, mitsamt einem Krieger, der Quinn unbekannt war.

„Hey, was gibt es? Und macht hin, ich habe hier einige Probleme!“

„Dann wird es noch schlimmer. Acey ist zusammengebrochen. Wurde von einem Vampir gebissen und selbst Murray weiß keinen Rat!“

Das geschockte Gesicht des Anführers war auf dem Bildschirm zu sehen. „Das darf nicht wahr sein. Bennet liegt hier auch halb tot. Was ist denn los?“ Vor Wut und Verzweiflung schlug William auf den Tisch, wodurch das Bild erzitterte.

„Murray meint, es könnte ein Virus sein, vielleicht solltet ihr Bennet zurückbringen!“, wagte Jannis zu sagen.

„Alles klar, schaut, dass Acey uns nicht wegstirbt, ich regle hier alles und dann sind wir morgen wieder da!“

„Okay und sonst? Verstärkung eingetroffen?“, erkundigte sich Quinn und sah auf den hellblonden Mann neben William.

„Ja, das ist Rikku aus Finnland. Wir haben ihn ordern lassen. Er hat lange Jahre Erfahrung als Vertretung des dortigen Befehlshabenden. Ich denke, er wird diese Basis übernehmen.“

„Es freut mich, euch kennenzulernen!“, kam in gebrochener Sprache.

„Genug Floskeln, wir müssen weiter machen. Ich habe noch drei Probleme zu bewältigen. Morgen Abend tauchen wir wieder bei euch auf.“ Damit unterbrach William die Verbindung.

 

„Er ist sauer!“, stellte Quinn fest und lehnte seinen Kopf an die Schulter seines Freundes.

„Verständlich, aber wird schon wieder. Acey stammt aus einer Kriegerfamilie, der wird schon was aushalten!“ Jannis‘ gewinnendes Lächeln hinterließ auch bei seinem Partner eins. Gierig suchten sich ihre Lippen und sie vergaßen für einige Minuten den Stress, der im Haus herrschte.

Im Zeichen der Eule


Mit gesenktem Kopf verharrte er, bis die Seherin fertig wurde. Immer wieder brannte sich die Nadel in seine Haut. Wie ein Mantra sagte sich Bennet, dass er es aushalten musste. Nichts hatte er sich sehnlicher gewünscht, als endlich sein Tattoo zu erhalten und einen Ausblick auf sein zukünftiges Leben.

Still, bedacht, wissend, vorausschauend und intelligent. Ihr habt eine faszinierende Mischung zu bieten!“ Bennet sah auf, direkt in die Augen der alten Seherin. „Euch steht viel bevor, einiges wird Euch schmerzen und zurückwerfen, anderes Euer Herz ergreifen und Euch vorwärts führen. So sehr Euch der Anführer ins Gesicht geschrieben ist, seid Ihr lediglich sein Fels in der Brandung, der Ausgleich zu seinem ungestümen Gemüt, was er an den Tag legt, sobald er ein Bündnis eingeht. Im gleichen Jahr werdet auch Ihr Euren Partner finden. Habt Nerven und Stärke, gebt nicht auf.“ Mit diesen Worten legte sie die Nadel zur Seite und gab einen Blick auf das Tattoo frei, welches sein Leben als Krieger der Vitae essentia besiegelte. Eine Eule.

Lasst Euch nicht täuschen vom Schein, schaut tiefer und Ihr werdet die Wahrheit erblicken!“, sprach sie und schüttete ihm ihren besten Whisky über das Handgelenk, was den Schmerz linderte.

Bennet trat aus der steinernen Höhle, wo die Seherin ihr Heim hatte, und atmete tief durch. Nach ihm würde nur noch William kommen und er war sich sicher, dass dieser der Mann war, unter dem er dienen würde. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, wenn er daran dachte, dass William einmal ungestüm werden sollte.



Bennet war bewusst, dass man sich nur Gedanken um ihn machte und doch wünschte er sich, dass sie ihn einfach in Ruhe ließen. Die Vergangenheit hatte ihn eingeholt und Vergessenes wieder ins Gedächtnis gerufen. Somit war ihm klar, dass er sich nicht getäuscht hatte und sich gerade in Lebensgefahr brachte. Dass sie allerdings so lange hier brauchten, um die Mischlinge zu beseitigen, hatte er nicht erwartet und seine Unterstützung für William war auch schwerer als erwartet. Kinder, kleine Monster hatten ihnen in die Augen geblickt.

Den Werwölfen war eine Mischung gelungen, doch lediglich zwischen Vampiren und ihresgleichen und den Blutsaugern mit den Vitae essentia. Als sie diese zwei Mischlinge, die schon sehr blutrünstig und unansehnlich erschienen, paarten, kamen Monster zum Vorschein, ohne Verstand und mit einem reinen Mordinstinkt. Blut, Fleisch, danach sehnten sie sich und griffen alles an, was sich ihnen in den Weg stellte. Blutunterlaufene Augen, eine Mischung aus Vampir- und Werwolfsfängen, behaart und teilweise mit Hinterläufen. Die Wandlung zur menschlichen Gestalt schienen sie nicht zu beherrschen.

William hatte Bennet angesehen und es brauchte nur ein Nicken, um zu verstehen, dass er ebenso dem Leid dieser Wesen ein Ende setzen wollte.

Während Rikku, ein neuer Krieger aus Finnland, die Bestien festhielt, war es an Bennet, ihnen das Genick zu brechen und die Körper dann im Feuer zu verbrennen. Den Geruch würde er wohl so schnell nicht vergessen und die Schreie der kleinen Kreaturen auch nicht. In ihnen steckte Leben und in den Augen konnte man die Rasse ausmachen, aber auch das unbändige Verlangen nach Blut und Tod.

Es waren Kinder und doch durften sie nicht auf die Welt losgelassen werden, könnten nie unter den normalen Bewohnern leben. Der Gedanke schmerzte ihn, sowie es ihn beruhigte, dass es nie dazu kommen würde. 30 kleine Wesen mussten eliminiert werden und sie hatten erst 16 geschafft, dann war ihre Kraft, seelisch wie körperlich, einfach aufgebraucht. Dass er selbst dann auch noch zusammengebrochen war, hatte ihm das letzte bisschen Hoffnung genommen, sich getäuscht zu haben.



Doch nun stand es fest. Acey war sein Partner und es galt herauszufinden, wie das möglich war. Denn dessen Tattoo hatte er schon gesehen. Ein Fisch, recht einfach gehalten und Bennets Information nach, ein Zeichen für einen niederen Krieger. Allerdings gab es das nicht, niemals war es ihm untergekommen, dass beide tätowiert wurden, wenn sie einander zugedacht waren. Was stimmte nicht?



„Wie geht es dir?“ Abermals ging die Zimmertür auf und der Nächste streckte den Kopf ins Zimmer. Langsam begann Bennet zu glauben, dass er beschissen aussah. Doch das war kein Wunder, nachdem was er tun musste. „Hey, es ist das Beste und das weißt du!“, setzte sich Sam neben ihn aufs Bett.

„Ich weiß und doch, diese Augen!“ Er würde sie sein Leben lang nicht mehr vergessen.

Grüngraue Augen sahen ihn an, eindeutig die von einem Vitae essentia und doch, versuchte das Mädchen ihn zu beißen. Ihre Fänge waren überdimensional groß und verfehlten ihn nur haarscharf. Ihr ganzer Körper war angespannt, die Haut transparent, als würde sie gleich auseinanderreißen. Und doch zeigten ihre Augen ihr wahres Ich. Bennet schloss seine bei dem Gedanken.

Rikku hatte sie gepackt und sah ihn auffordernd an, während das höchstens sechsjährige Wesen nach diesem trat, biss und schlug. Eine Furie wie aus einem Roman, mit den Augen eines lieblichen Wesens. Bennets Hände legten sich an Kehle und Hinterkopf, er sah die kleinen glitzernden Tränen aus ihren Augen kullern, als eine Bewegung das Genick zum Brechen brachte.

„William hat sich gleich eine ganze Flasche Whisky geschnappt, er versucht die Blicke so verschwinden zu lassen.“

„Als würde das was nützen. Sie war so jung und unschuldig!“ Bennet bemerkte das Brennen in seinen Augen, als er die Bilder von ihrem Leib im Feuer sah. Nichts wollte verschwinden, kein einziger Augenblick des Tages.

„Es sind noch 14, wirst du das schaffen in deinem Zustand?“

„Natürlich! Lasst mich schlafen und morgen sieht die Welt schon anders aus.“ Mit diesen Worten drehte sich Bennet zur Seite und ließ die Nässe aus seinen Augen entkommen. Auch wenn er wusste, dass es nötig war, zerriss es ihm das Herz. Niemals hatte er daran gedacht, einem Kind das Leben zu nehmen und nun hatte er es an einem Tag bei gleich acht getan.

Müde schloss er die Augen und versuchte ein wenig Ruhe in seinen Verstand zu bringen. Irgendwann war er wohl eingeschlafen und der Stoff des Kissens war gefüllt mit salzigen Tränen für die Unschuldigen, die sterben mussten.



Am Morgen schien der Tag noch kraftloser zu beginnen, wie er gestern endete. Doch William sah nicht besser aus, auch ihm war der Schmerz anzusehen, die Scham der Tat, auch wenn sie alle wussten, dass es nötig war.

Wortlos reichte Sam beiden eine Sonnenbrille, sah sie aufmunternd an, als es wieder ins Haupthaus der Werwölfe ging. Von diesen hundeähnlichen Wesen fehlte jede Spur, bereits einen Tag nach dem Tod von Rex Liner, dem Rudelführer, waren alle verschwunden. Zuerst schien wohl auch alles normal, wie man William mitgeteilt hatte; bis man in mehreren Häusern unterirdische Gänge entdeckte und Kerker, in denen Kinder lebten, wenn man sie so bezeichnen wollte.

Mit versteinerten Mienen traten sie in den Raum, den sie für die Hinrichtungen nutzten. Vor William lag ein Baby, während Bennet einen ungefähr zehnjährigen Jungen vor sich hatte. Zitternd griff der Anführer nach dem Wesen, das zeitgleich seine Lefzen hob und seine Klauen in Williams Arm schlug. Dieser zog scharf die Luft ein, packte nach der Kehle des kleinen Geschöpfs, doch ließ dann ab. Sein Blick suchte den von Bennet, der gerade das Genick des Jungen brach. Das Wesen sackte zusammen und wurde von Rikku aufgehoben und nach draußen gebracht. Welche glückliche Fügung es war, dass die Werwölfe abseits lebten und weit fort von den Menschen.



Bennet sah zu William, dann auf das Baby. Eine Gänsehaut erfasste ihn und er kniff die Augen zusammen. Unschuldiger ging es in seinen Augen nicht. Ein Wesen, wenige Tage auf dieser Erde und doch mussten sie es tun. Die Wunde an Williams Arm zeigte, wie brutal selbst dieses an sich unschuldige Geschöpf schon war. Somit wollte keiner daran denken, wie schlimm es sein würde, wenn sie erwachsen wurden.

Bennet sah zu Rikku, der ihm das nächste Wesen brachte, dann zu William. „Lass es uns zum Schluss töten, bitte!“ Der Anführer nickte verstehend.

Doch nicht ein Kind, Monster, Wesen, sie wussten sie nicht zu bezeichnen, war leicht umzubringen. Sahen sie in ihre Augen, sahen sie sich selbst.

Gegen Nachmittag war nur noch das Baby übrig. Der Gestank der verbrannten Körper hatte die ganze Gegend eingenommen, sie zitterten alle und konnten einander nicht mehr in die Augen blicken. Rikku kämpfte mit dem kleinen Wesen, was sich in seinen Armen wandte und scheinbar wusste, was auf es zukam.

Plötzlich fing der Finne an zu summen, seine beruhigende Stimme ließ das Geschöpf innehalten und ihn mit großen Augen ansehen.

„Es muss ein!“, flüsterte William, nahm dem großen Blonden das Bündel ab und trat auf Bennet zu. Das würden sie zusammen durchstehen, das versicherten sie einander mit einem Blick. „Und wenn es doch … mit etwas Liebe?“, wandte Sam ein, der im Türrahmen stand und sich zum ersten Mal blicken ließ.

Doch in dem Moment biss das Wesen in Bennets Hand, welche er ans Köpfchen gelegt hatte, und saugte kräftig. Dies schien bei dem kahlköpfigen Krieger einen Schalter umzulegen. „Es bleibt ein Monster, egal was wir tun!“ Mit diesen Worten entriss er sein Handgelenk den Fängen der kleinen Bestie und eine Handbewegung später lag es leblos in Williams Armen.

Friedlich sah es aus, wie eins ihrer Rasse, die Augen geschlossen, blasse bis leicht rosige Wangen. Die Fänge im Mund verborgen und die Hände auf dem kleinen Körper ruhend. Es blieb still im Kellerraum, fast meinte man, sie atmeten nicht einmal mehr. Rikku war der Erste, der sich rührte, das Bündel aus Williams Armen nahm und mit ihm nach draußen ging.



Bennet sah zu William und doch durch ihn hindurch. Alles verschwamm vor seinen Augen, haltsuchend griff er um sich, doch stürzte zu Boden. Auch wenn er nur noch schwarz sah, hörte er dennoch seine Kollegen, die nach ihm riefen und an ihm rüttelten. Wie gerne hätte er nun zugegeben, dass er zu Acey musste und es nichts mit dem harmlosen Biss des kleinen Monsters zu tun hatte, doch er konnte sich nicht äußern.



***



Acey fluchte innerlich, noch nie in seinem Leben kam er sich so schwach vor und wusste nicht wieso. Seit drei Tagen meinte er, dass sich seine Energie nicht mehr auflud. Doch einen Grund für diesen Zustand fand er nicht. Zudem war gerade auch nicht der richtige Zeitpunkt zum Nachdenken, die Vampire griffen an.

Nicht, dass Acey je viel von ihnen gehalten hatte, doch so aggressiv und blutdürstig kannte er sie nicht. Immer wieder versuchten die Blutsauger nach ihnen zu beißen und ließen sich nicht vertreiben. Selbst Feuer wurde von ihnen nicht beachtet, was eigentlich ein Mittel für alle Fälle war. Immer wieder, wenn Sean, Quinn, Bryce, Stephan oder er selbst ein Feuer entfachten, sah man bei sämtlichen Untoten in der Nähe Blasen entstehen, die ihre Haut zum Platzen brachten. Fetzenweise hing diese von den einzelnen Körperteilen, die von der Hitze und dem Schein der Flammen getroffen wurden.

Diese Biester heilten jedoch schneller, als ihnen die Verletzungen wirklich was anhaben konnten.

Wut wallte in Acey auf, während er einen Pflock erhob und diesen einem der Vampire ins Herz rammte, bevor er mit dem Messer einen Schnitt am Hals tätigte, welcher bis zum Genick ging. Die einzige Möglichkeit sie wirklich niederzustrecken, jedoch auch eine aufwendige Art. Schon hatte sich der Nächste an ihn gehangen, wortwörtlich. Dessen Fänge versuchten sich in Aceys Schulter zu schlagen, doch durch die Ausrüstung war es fast unmöglich. Der Krieger sah sich kurz um, entdeckte einen dicken Baumstamm und rannte darauf zu. Ächzend landete der Vampir mit dem Rücken am Stamm, was Acey die Chance gab zu handeln. Er löste sich von diesem und ließ sein Messer durch die Kehle gleiten, während seine linke Hand einen Pflock ins Herz des Blutsaugers rammte.



Ein Nebel schlich sich vor seine Augen, der sich nicht vertreiben ließ. Er nahm Quinn in seiner Nähe wahr, ebenso die anderen Krieger, doch die konnte er nicht ausmachen und ehe sich Acey versah, kam er ins Schwanken. Während seinem freien Fall, stürzte sich ein Vampir auf ihn. Er sah die bluthungrigen Augen, die ausgefahrenen Fänge und spürte diese in sein Fleisch eindringen. Dann wurde alles schwarz.



Das Nächste was Acey wahrnahm, waren Quinn und Sean, die ihn zum Auto trugen. Man hörte ihre Nervosität, oder war es gar Sorge? Dieser Gedanke erschreckte ihn. Niemals hatte sich jemand Sorgen um ihn gemacht.

Aceys Familie bestand aus Kriegern und Kämpfern, es gab kein Mitleid, keine Sorge und doch war es eine liebevolle Familie. Zumindest bis er sechzehn geworden war. „Ruft Murray, er muss nach ihm sehen!“, durchdrang Seans Stimme seine Gedanken. „Verflucht, der Biss heilt doch schon und so viel Blut hat er auch nicht verloren.“

Eindeutig, das war Sorge. Der Schreck in Acey wurde durch ein warmes Gefühl beiseitegeschoben. Die Vertretung von MacDermont schien ihm in Ordnung, doch nicht für lange.

Nachdem der Arzt ihn untersucht und seine Wunde sogar genäht hatte, weil sie doch nicht so gut verheilte, wachte Acey aus seinem Dämmerzustand auf, wohin er sich alsbald zurück wünschte.

„Ich kann es nicht verstehen, es scheint alles in Ordnung, doch eine Blutprobe wird Klarheit schaffen!“, führte Murray aus.

Panisch schüttelte Acey mit dem Kopf, das durften sie nicht tun, niemals. Er schrie und tobte, hörte das Gelächter von Sean und Bryce, aber ignorierte es. Doch so sehr er sich wehrte, egal wie viel er flehte, der Arzt kannte kein Mitleid.
Drei Krieger hielten ihn fest, während Frederik Murray auf Aceys Tattoo einen Schnitt machte. Die beste Stelle um Blut zu entnehmen und keine Spuren, oder Narben zu hinterlassen.

Allerdings lag genau da das Problem, denn sein Tattoo war kein echtes. Oder eher gesagt, nicht sein zugedachtes. Acey hatte es sich illegal stechen lassen, nachdem er von der Seherin erfuhr, dass ausgerechnet ihm keins zugedacht war. Es wäre für seine Familie einer Schande gleichgekommen, wenn ihr Sohn kein Kriegersymbol bekommen hätte. Tattoos, die nicht zugedacht waren, vernarbten und ließen jeden darauf schließen, dass es kein echtes sein konnte. Es wurde still im Zimmer, alle starrten ihn beziehungsweise sein Handgelenk an. Wie erwartet heilte die Wunde zwar und doch verblasste das Tattoo, um dann intensiver zu werden.

Überrascht sah Acey darauf, aber verstand es nicht, was passierte gerade? Um ihn herum hörte er leises Murmeln, doch schien sich niemand weiter Gedanken darum zu machen.



„Quinn, ruf William an, sobald Murray sich meldet und informiere dich, was da los ist. Stephan ist kurz heim, wird aber zur Streife wieder bei uns sein. Bryce, wir beide gehen was essen und dann wieder auf die Straße! Acey, ruh dich aus und werde wieder gesund!“

Alle nickten und in solchen Momenten verstand Acey auch wieso Sean Williams Stellvertreter war. Die Ausstrahlung, der kühle Kopf und sein Auftreten waren dem Anführer gleich. Zu Beginn, als sie hier angekommen waren, hätte er auf Bennet getippt. Der kühne Krieger, der nicht mal mit einer Schlägerei aus der Fassung zu bringen war. Dafür schämte sich Acey immer noch. Wieso er sich plötzlich bei dem Mann vergaß, der ihn lediglich etwas gefragt hatte, konnte er nicht sagen. Es war ein starkes Verlangen gewesen, das ihn dazu verleitet hatte, dem anderen die Faust ins Gesicht zu schlagen und das immer und immer wieder.

Langsam schwand immer mehr Energie und Acey konnte die Augen nicht mehr offenhalten. Er spürte die Kraft schwinden und ahnte seinen baldigen Tod. Das Letzte, an das er bewusst dachte, waren Bennets braune, verständnisvolle und bis in die Seele schauende Augen und wie sehr er sich wünschte, diese noch einmal zu sehen.



Die Sonne kitzelte Aceys Nase und ließ ihn sich murrend zur Seite drehen. Mit geschlossenen Augen atmete er tief durch und stockte. Er fühlte sich ausgeschlafen, voller Energie und mit einem Elan und Tatendrang, wie er ihn selten erlebt hatte. Dazu umwehte ein fremder Geruch seine Nase, was ihn die Augen öffnen ließ. Acey sah erschrocken in die braunen Augen, die das Letzte waren, an was er vor dem Einschlafen gedacht hatte.

Bennet lag neben ihm und sah ihn intensiv an. „Verdammt, was machst du hier?“, sprang Acey aus dem Bett.

„Als ich aufwachte, war ich hier. Bin im Süden zusammengeklappt. Keine Energie mehr. Sagt dir das was?“

Die Galle stieg Acey hoch, er wusste auf was der Krieger in seinem Bett hinaus wollte, doch das konnte einfach nicht sein. Wie vor ein paar Tagen, verabschiedete sich sein Verstand, als er sich auf Bennet wiederfand und auf diesen einschlug.

Drei Schläge hatte er gerade zielgenau auf das Gesicht des Mannes unter ihm ausgeführt, als dieser ihn von sich warf, am Kragen packte und über sein Knie legte.

Acey stockte, was hatte Bennet vor? Doch dann erfuhr er es schon, als dieser ihm wortwörtlich den Hintern versohlte. Ein Schlag folgte dem nächsten. Der Schreck von jedem Treffer der Handfläche auf seinem Gesäß durchfuhr seinen Körper, doch er konnte sich nicht wehren.



Als Bennet von ihm abließ und warnend anblickte, sagte Aceys Verstand, dass er ruhig bleiben sollte, aber sein Körper war in Gefechtsposition gegangen. Abermals holte er mit der Faust aus, um Bennets Gesicht zu treffen, der diese aber vorher abfing.

„Ich lasse mich nicht schlagen!“, grollte Bennet, beförderte ihn gegen den Schrank und schlug zu.

Acey spürte jeden Schlag, jeden einzelnen, der seine Rippen, seinen Bauch, sein Gesicht traf. Bemerkte den intensiven Schmerz, der sein Bewusstsein alarmierte, um Gnade zu flehen und doch blieb sein Mund geschlossen bis Bennet aufhörte.

Jede Region von Aceys Körper schrie vor Schmerzen, wollte seine Arbeit einstellen und doch blieb er stehen und wartete ab.

„Du und ich, wir beide haben einen Bund, der nicht sein kann und du erklärst es mir!“ Dabei nahm Bennet Aceys Handgelenk und presste es an die Schranktür. „Du trägst wie ich ein Tattoo und es ist bekannt, dass wir nicht miteinander verbunden wären, wenn wir beide ein eigenes besitzen. Wie kann es also sein?“

Er schwieg auf die Frage, wollte sie nicht beantworten und die Konsequenzen tragen. Niemals würde Acey seinen Kriegerstatus aufgeben, für kein Geld der Welt und erst recht nicht für einen Mann. Unvorbereitet traf ihn Bennets Faust an der Hand, er spürte seine Knochen, die nachgaben und ebenso das Holz der Tür, das unter diesem Schlag knackste. Fassungslos atmete er aus und versuchte auf seinen Beinen zu bleiben, die nachgeben wollten.

„Rede!“, forderte Bennet, doch er schwieg weiter und sah abermals zu, wie die Faust des kahlköpfigen Kriegers auf seine Hand zusteuerte.

Wimmernd gab Acey seinen Beinen die Zustimmung nachzugeben und sackte in sich zusammen, während er seine Hand überstreckte, weil Bennet nicht losließ.

„Sprich, oder ich breche dir jeden Knochen deiner Hand!“ Den Ernst der Lage konnte man in den braunen Augen lesen und doch konnte Acey nicht nachgeben. Die Konsequenzen waren zu fatal.

Bennet nahm die Hand in seine und drückte zu. Der Schmerzwall, der durch Aceys Körper raste, war unerträglich und ließ ihn schlussendlich doch flehen.



Die Tür schlug auf und William stürmte ins Zimmer. Verstört sah er die Situation und Acey bat mit einem Blick um Hilfe.

„Bennet, was wird das?“, riss der Anführer diesen herum, der sofort die Hand losgelassen hatte.

„Das Tattoo ist nicht echt!“

Es kam Acey vor, als hätte Bennet es geschrien, so laut, dass es jeder auf dieser Erde hätte hören müssen, dabei war dessen Stimme wohl leiser und gefährlicher als je zuvor gewesen.



Ungläubig sah William von einem zum anderen, ließ von Bennet ab und kniete sich zu Acey. „Ist das wahr?“, dabei nahm er das tätowierte Handgelenk. Er würde nicht antworten, niemals und das wurde auch dem Anführer klar, der kurz die Augen schloss und sich dann aufrichtete.

„Fred?“, erkundigte sich Bennet und würdigte seinen vermeintlichen Partner keines Blickes.

„Nein, der König. Mach einen Termin!“

Erschrocken sah Acey auf, wollte widersprechen, doch da war er auch schon allein. Er würde vor den König treten müssen und das war schlimmer, als alles was Bennet ihm hätte antun können.



Noch vor dem Mittagessen trafen Sam, William, Bennet und Acey im Haus des Königs ein. Der perfekte Tag, wie Leonard meinte, denn heute waren drei solcher Richtungen wegen falscher Tattoos. Ein Blick reichte ihm und er ordnete an, Acey ebenso neben den anderen Dreien einzureihen.

„Ihr habt euch illegal ein Tattoo stechen lassen, habt gegen die Regeln verstoßen und nun müsst ihr die Strafe tragen. Ein Schandmal, bis euch euer zugedachtes Tattoo von einer Seherin gestochen, oder von eurem Partner übertragen wird.“

Das hieß nicht weniger, als dass ihre Arme eine Narbe zeigen würde, die für jeden erkennbar machte, was sie getan hatten. Es war ihnen untersagt, dieses Mal zu verdecken und sollten sie es doch tun, würde eine Gefängnisstrafe dazu kommen.



Acey sah zu Bennet, dessen Lippen sich zu einer schmalen, blassen Linie zusammenpressten. Er wusste von der Strafe, die ihm bevorstand, doch das kommende Angebot konnte und wollte er nicht annehmen.

„Ihr habt die Wahl, soll ich die Strafe vollführen, oder Euer vermeintlicher Partner?“, sprach der König und Acey senkte nur seinen Kopf. Dass er sich fürs Erste entschieden hatte, war damit jedem klar.

Leonard grinste schief, wandte sich dem ersten Mann in der Reihe zu, dessen Hand auf einer steinernen Säule befestigt war. Dem Herrscher wurde ein Messer gereicht, welches durch seine frisch polierte Klinge die Sonne spiegelte. Vier Schnitte machte Leonard direkt um das illegale Tattoo herum. Die Klinge wurde unter einen Schnitt geführt und mit einem Ruck zog der König die Haut ab. Der Schrei des Mannes ließ Acey zusammenzucken und kurz überlegen, ob er nicht doch besser Bennet gewählt hätte. Doch war er sich bei diesem nicht sicher, ob der ihm nicht noch mehr Schmerz zufügen würde.

Das Stück Haut noch in der Hand, kippte der König ein kleines Fläschchen mit Säure über die Wunde. Markerschütternd fiel der Schrei des Mannes aus, der in sich zusammensackte. Blasen bildeten sich auf dem kompletten Handgelenk. Leonard nahm es mit der Dosierung und Präzision nicht ganz so genau. Er legte das Stück Haut mit dem Tattoo auf ein Tablett und wandte sich dem Nächsten zu.



Die Prozedur wiederholte sich noch zwei Mal, dann stand der König vor Acey, dem es langsam schlecht wurde. Allein die Vorstellung ließ seinen Körper erzittern.



***



Bennet sah Aceys Zittern und kam nicht umhin, seinem schlechten Gewissen einen Platz einzuräumen. Der Gedanke, was Leonard mit den Hautfetzen machte, ließ ihn innerlich grollen. Er wollte nicht, dass seines Partners falsches Tattoo auf ewig konserviert wurde. Eine Eigenart des Herrschers, welches diesem schon so manchen schiefen Blick eingehandelt hatte. Seit Jahrhunderten sammelte er die Fälschungen und stellte sie aus.

Alles sträubte sich in Bennet, das konnte er nicht zulassen. So trat er vor, hörte das tiefe Einatmen von William, dem das sichtlich nicht gefiel.

„Mein König, ich bitte Euch, es selbst machen zu dürfen“, kniete er nieder und senkte den Kopf.

„Gegen seinen Willen? Wieso sollte ich das befürworten?“

„Er ist mein Partner und das Gesetz sagt aus, dass ich das Recht habe …“

„Das ist mir durchaus bewusst und was ist, wenn Ihr Euch irrt? Was bietet Ihr mir, Bennet Cain.“

„Mich!“ Eine Aussage, die schneller ausgesprochen als bedacht war. Denn wenn er sich, entgegen seiner eigenen Überzeugung, täuschte, dann würde sein Leben in den Händen des Königs liegen. Dieses Angebot kam einem Sklavendasein gleich.

„So sei es!“, bestimmte Leonard und überreichte Bennet die Flasche mit der Säure, welche er im Gegensatz zum Messer annahm. Er ließ sich einen Schwamm bringen, träufelte dort die ätzende Flüssigkeit drauf und presste es auf Aceys Arm, während er ihm tief in dessen grüne Augen sah. Ehe ein Schrei aus der Kehle des schwarzhaarigen Kriegers dringen konnte, hatte Bennet seine Hand auf dessen Wunde gelegt.



Pure Energie und Wärme machten sich in seinem Körper breit, durchfuhr ihn wie ein Stromschlag. Ebenso schien es Acey zu gehen, der die Augen schloss und dessen schmerzverzerrtes Gesicht sich langsam entspannte.

„Ich würde dir nie mehr Schmerz zufügen, als nötig ist, doch provoziere mich nie wieder!“, flüsterte Bennet und zog seine Hand weg.

Langsam senkte sein Gegenüber den Blick auf das eigene Gelenk. Das illegale Tattoo war gewichen und machte dem von Bennet Platz, was sich immer intensiver von den Verätzungen abhob. Noch schimmerte es Rot, doch das würde sich bald ändern und wenn Acey es zuließ, sogar noch heute.

Sein Partner würde ihn heilen und wenn er ihn Stunden berühren musste, das sah selbst der arrogante Krieger ein, der vor Scham sein Gesicht senkte.

„Es ist wie Ihr gesagt habt, Bennet, er ist Euer Partner, jedoch ist eine Strafe unumgänglich!“ Wissend nickte der Angesprochene und stand auf. „Zehn Peitschenhiebe, die Ihr gerne ausführen dürft, sonst wird es William übernehmen.“

Ungläubig sahen sich die zwei Männer an. Bennet und William wollten nicht gehört haben, was ihnen zur Wahl stand. Einer von ihnen musste Acey auspeitschen, daran führte kein Weg vorbei, sonst würden sie sich dazustellen können. Überlegend sah Bennet seinen Anführer an und dachte darüber nach, was besser war.

William war geübt mit der Peitsche, auch wenn er sie nicht gerne benutzte, besaß einen harten präzisen Schlag. Er selbst hingegen hatte sich eher wenig damit beschäftigt. Sicher, er könnte es tun, aber hätte nicht die Kontrolle über die Wucht der Schläge und die Zielgenauigkeit.

„Du hast im Süden übernommen, lass mir diese Aufgabe. Ich weiß mich unter Kontrolle zu halten und werde es so schnell wie möglich über die Bühne bringen!“ Die Stimme Williams war leise und doch klar, dass Bennet nur nicken konnte. Es war die beste Entscheidung.

Abermals kniete er sich nieder und machte Acey los. „Hast du nicht den Mumm, es selbst zu tun?“, fragte dieser abwertend.

„Ich kann es gerne tun, doch du würdest es bereuen, ich kann damit nicht umgehen. Will dagegen hat Übung und eine Technik, für die du ihm noch dankbar sein wirst.“ Die eindringliche Stimme seines Partners schien Acey Warnung genug, sodass er schwieg und einfach nickte.



William grummelte, als er sah, dass Acey mitten im Raum an den Armen aufgehängt wurde. Das war eine unberechenbare Methode, da der Körper automatisch in Bewegung kam, wenn er zuschlug. Bennet erkannte diese Tatsache auch und sah zu ihrem König. Ein Blick reichte aus, um zu wissen, dass dieser sie durchschaut hatte und so für Ausgleich sorgen wollte.

Leonard trat mit Sam zu Bennet, der fest fixiert auf Acey sah. Sein Herz schlug hämmernd in der Brust und er wünschte sich, der Tag sei vorbei.

„Du kannst gerne den Raum verlassen!“, informierte ihn der König und legte eine Hand auf Bennets Schulter.

„Mit Sicherheit nicht. Ich kann ihm schneller Linderung verschaffen, wenn ich hier bin.“

Leonard nickte und trat dann zu William.

Sam dagegen atmete tief durch. „Ist das hier normal?“

„Nein, eigentlich fallen die Strafen härter aus.“

„Noch härter? Ach du … Herrgott nochmal, das ist hart!“ Da fehlte es Williams Partner an den richtigen Worten. Bennet unterließ es darauf einzugehen und beobachtete stattdessen William, der anfing sich vorzubereiten. Leichte Dehnübungen lieferten ihm die benötigte Beweglichkeit, bis man ihm die Peitsche brachte.

„Bullwhip!“, raunte Bennet und seufzte schwer. Diese Art von Peitsche war gefährlich, wenn man sich nicht damit auskannte. Insgeheim wünschte er sich Bryce herbei, der diese Gerätschaften zu meistern wusste. Doch auch William beherrschte es, aber es war lange her, dass dieser sie benutzt hatte. Dann entdeckte er den Faden am Ende der Peitsche und hielt die Luft an, selbst dem souveränen Anführer trieb diese Entdeckung die Schweißperlen auf die Stirn. Das Teil würde Acey bis aufs Fleisch verletzen. Schwere Verletzungen, die er sicher nicht so einfach wegsteckte, selbst mit Bennet an seiner Seite nicht.



William ließ die Peitsche durch die Luft sausen und hätte sich fast selbst daran verletzt, als er sie zurückzog. „Höllenteil!“, hörte man ihn unbeherrscht fluchen. Viermal jagte er die Bullwhip in die Luft, bis er sie einigermaßen halten konnte.

Was keiner außer Bennet sah, war Acey, der den Anführer beobachtet hatte. Er schluckte hart und schloss ergeben die Augen. Selbst ihm war sicher bewusst, welchen Schaden diese Peitsche verursachte.

Abermals streckte sich William und ging in Position, als ein Diener an ihn herantrat und die Bullwhip wortlos austauschte. Erleichterung machte sich in ihnen breit, was von Acey unbemerkt blieb. Statt einem feinen Lederfaden, hatte diese Peitsche ein Art Lederstreifen am Ende. Immer noch schmerzhaft, doch die Verletzungen mit diesem würden viel geringer ausfallen.

„Zwei Schläge kurz hintereinander, dann eine Minute Pause!“, ertönte die Stimme Leonards. „Ab jetzt!“

William nickte ergeben, ließ seine Schultern noch einmal kreisen, bevor er die Bullwhip mit Schwung führte. Der erste Schlag durchschlug die Luft, ein zischendes Geräusch, das Acey dazu brachte sich anzuspannen und den Schmerz zu erwarten. Das Lederband schlug auf das rechte Schulterblatt auf.

Ehe der Geschlagene dazu kam, darauf zu reagieren, sauste der Lederriemen ein zweites Mal auf ihn hernieder, bevor er zu Boden sank.

Bennet verzog das Gesicht, durch Aceys Schwingung vom ersten Schlag, hatte William die gleiche Stelle ein zweites Mal getroffen. Wie gebannt sahen beide Krieger auf das Schulterblatt was bald schon kleine rote Perlen preisgab, welche sich aus der entstandenen Wunde arbeiteten. „Shit!“, fluchte William, doch da war auch schon die Minute um und der König gab die Anweisung für die nächsten zwei Schläge.



Acey hing in seiner Fesselung, sein Körper zitterte und sein Gesicht zeugte von den Schmerzen, die er hatte. Kleine Rinnsale von Blut bahnten sich ihren Weg von den Schulterblättern den Rücken hinab, dass es Bennet weh tat. Er hatte es selbst schon erlebt, als junger Kriegeranwärter wurde er ein einziges Mal ausgepeitscht. 5 Schläge hatten ihn damals in die Knie gezwungen.

Dagegen stand Acey noch auf seinen eigenen Beinen, auch wenn er sich nach vorne gelehnt hatte und in den Fesseln Halt suchte. Noch zwei Schläge standen aus.

Leonard trat zu William, nahm ihm wortlos die Bullwhip ab und wies ihn zur Seite. „Stell dich gerade und empfange deine Strafe wie ein Krieger, Acey Romba!“

Dieser begradigte sich sofort, auch wenn seine Glieder zitterten und diese Stellung nicht mehr halten wollten.

Der König holte aus und ließ die letzten zwei Schläge auf das Gesäß des Schuldigen treffen. Acey schnappte nach Luft und William konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Die zwei Peitschenschläge waren einer Tracht Prügel gleichzusetzen und würden den Krieger sicher einige Zeit nicht sitzen lassen können.



Bennet hingegen wartete einfach ab, warf einen finsteren Blick zu William und trat dann auf Acey zu. Gerade wollte er ihn aus der Fesselung befreien.

„Fass mich nicht an!“

„Lass mich dir helfen!“

„Ich will keine Hilfe von DIR!“, spie er aus und ließ einen Diener die Fesseln lösen, um auf die Knie zu sinken.

Bennet atmete tief durch, ging in die Hocke und sah Acey mit einem schief gelegten Kopf an. „Du bist ein verdammt sturer Krieger, arrogant und selbstgefällig, das bringt dir noch den Tod!“

„Und das kann DIR egal sein!“ Mit diesen Worten und wackeligen Beinen stand Acey auf.

„Ist es nicht, denn mein Leben hängt auch von deinem ab, somit ist es mir alles andere als egal.“ Mit funkelnden Augen ließ sich Acey von Bennet berühren, der seine Hände auf die Wunden am Rücken legte. „Wenn du mich lässt, wirst du morgen nur noch die Erinnerung spüren, aber keinen Schmerz mehr.“

„Und du meinst, das macht es besser?“ Es war ein ergebenes Flüstern, doch mit so viel Schmerz unterlegt, dass es Bennet nachdenklich machte.

„Nein, aber eine Last weniger, nun komm!“

„Eine Last, die einen alte Erinnerungen für kurze Zeit vergessen lässt. Lass mir meinen Schmerz und ich dir deinen!“ Damit rückte Acey ab und ging zitternd aus dem Saal.



Leonard hielt Bennet an der Schulter auf. „Euch beide verbindet so viel, dass es traurig ist. Schmerz, Erinnerungen, Taten. Ich hoffe, ihr könnt euch gegenseitig helfen!“

Unkommentiert verließ Bennet den Saal und folgte seinem Partner. Mit einem verkniffenen Gesichtsausdruck saß dieser kurze Zeit später im Auto.

„Soll ich dir nicht doch helfen?“

Acey brauchte nur einen Blick, um Bennet zum Schweigen zu bringen. Er wollte weder Hilfe, noch von ihm angefasst werden. So war es Sam, der neben Acey Platz nahm. Die Zeit war schneller vergangen, als sie dachten, es dämmerte bereits und der Abend kündigte sich an. Dass sie wirklich so lange bei Leonard waren, hatte keiner erwartet.



Kaum im Haus der Krieger angekommen, tönte der Alarm durch das ganze Haus und Quinn sowie Jannis standen in voller Montur bereit, während Bryce, Stephan und Sean von oben herab stürmten.

„Vampire, eine ganze Horde!“, informierte Sean. „Sarah ist in der Zentrale, wir brauchen alle!“ Es kam nur ein Nicken der drei Krieger, während Sam zu Seans Frau ging. Er war kein Kämpfer und würde nie einer werden, was Bennet gut verstand. Doch seine Verwunderung galt Jannis, was er auch mit einem fragenden Seitenblick zu Quinn zum Ausdruck brachte.

„Wir brauchen jeden Mann“, zuckte dieser die Schultern und zog seinen Partner mit nach draußen.

Eilig suchten Acey, William und Bennet ihre Sachen zusammen und sprangen in die bereitstehenden Autos.



Bennet bekam Bryce mit, der Acey musternd betrachtete. „Wie schlimm ist es?

„Ich werde es überleben!”

„Wie schlimm?“

Acey wand sich unter dem Blick seines ehemaligen Anführers. „Zehn Peitschenhiebe, davon zwei auf mein Gesäß, noch Fragen?“

„Ja, warum? Was hast du getan?“, Bryce ergriff das Handgelenk, welches Acey versuchte zu verdecken. Zischend zog er die Luft ein und blickte dann zu Bennet, der vor ihm saß. „Aber du hattest ein Tattoo, wie kann das sein?“
„Ich habe es mir illegal stechen lassen, du kennst meinen Vater und … Es tut mir leid Bryce, wirklich!“ Die Scham stand ihm ins Gesicht geschrieben, doch dafür war keine Zeit. William und Sean stoppten im ersten Wagen, worauf auch Stephan ihren anhielt.

Augenblicklich waren die acht Krieger ausgestiegen, machten ihre Funkgeräte an, mit denen sie kommunizierten. „Bryce, Jannis, Bennet und Sean ihr geht links rum. Quinn, Acey und Stephan ihr folgt mir“, bestimmte William und schon verteilten sich die Krieger.

Bryce sah zu Bennet und sein Blick war mehr als fragend.
„Später. Ich kann dir nichts weiter dazu sagen, das ist Aceys Sache.“

Ehe eine Erwiderung kommen konnte, sahen sie die Horde Vampire, die aus fünfzehn Wesen bestand. Eine ungewöhnliche Situation, denn normalerweise waren die Blutsauger nie vor völliger Dunkelheit im Freien anzutreffen und vor allem galten sie von jeher als Einzelgänger.
Zudem schienen sie extrem gereizt und kaum sahen sie die Krieger, stürzten sie auch schon auf sie los.

Schreie, Staub, Ächzen und schmerzvolles Stöhnen drang an Bennets Ohren, dessen Gedanken bei Acey waren. Dieser war immer noch verletzt und wer wusste schon, wie sehr ihn die Wunden einschränkten? Die Sicht war miserabel, die Geräuschkulisse störend und doch versuchte er, sich zu orientieren. Erst als er von einem der Blutsauger angegriffen wurde, konnte er reagieren. Doch es ging zu schnell, denn nicht nur der eine hatte es auf ihn abgesehen, ein zweiter und dritter stürzte sich auf ihn, sodass er zu Boden ging und wehrlos die Bisse und Messestiche über sich ergehen lassen musste. Beine und Arme waren fest auf die Erde gepresst, während sie sich an seinem Körper vergingen.



***



Aceys Alarmglocken schrillten, irgendetwas stimmte nicht und er wusste instinktiv, dass es um Bennet ging. Er wehrte zwei Vampire ab, die sich ihm in den Weg stellten und rammte ihnen stattdessen jeweils ein Messer in den Hals. Das würde sie nur lähmen, doch im Moment war es ihm egal. Besorgt suchte Acey nach seinem Partner, sah durch den Staub allerdings kaum etwas, bis er stolperte und stürzte. Sein Kopf drehte sich automatisch zur Seite und dann erblickte Acey Bennet. Sah diesem direkt in dessen braune Augen, die seinen Schmerz zeigten. Wut wallte durch seinen Körper, als er sich mit Schwung auf die Beine stellte und angriff.

Das erste der Wesen zog er von Bennet herunter und schnitt ihm die Kehle durch. Der Nächste war der auf den Beinen seines Partners, dem Acey das Genick brach und den Dritten hielt er auf, als dieser flüchten wollte. Das Messer bohrte sich in das Herz des Vampirs, als seine Hände sich um das Genick legten, dieses brach und dann mit dem Messer, das er aus der Brust zog, den Kopf abtrennte.

Ein Röcheln holte ihn aus seinem wütenden Zustand zurück. Schnell ließ sich Acey auf die Knie fallen, presste seine Hand auf Bennets Wunde am Hals. „Mach keinen Scheiß, ja? Das wird wieder!“ Das erste Mal in seinem Leben fühlte er sich machtlos und hatte Sorge um einen anderen. Bisher war sein Leben von Egoismus beherrscht. Er wollte gut sein, der Beste, seinen Vater stolz machen, doch in diesem Moment, auf Knien vor Bennet, war ihm das alles egal.

Mit zittrigen Fingern verschloss er die Wunde am Hals mit seiner Hand und sah sich hilfesuchend um. „William, ich brauche Hilfe!“, schrie er in die fliegende Asche der toten Vampire hinein.

Aus dem Nichts tauchte der Anführer auf, durchschaute die Situation und seufzte. „Küss ihn und ich halte dir den Rücken frei!“

Irritiert sah Acey auf. „Bitte?“

„Es heilt ihn schneller, vertrau mir!“

Vertrauen war etwas, das Acey seit langer Zeit nicht mehr kannte und doch fühlte es sich richtig an. Nicht dass er William wirklich vertraute, aber dessen Worte ließen in seinem Inneren ein freudiges Gefühl entstehen. Küssen, niemals hatte er außer seiner Familie jemanden geküsst.

Er erinnerte sich an die Filme, in denen sich so manche Schauspieler einem Kuss hingaben und versuchte es denen nachzumachen. Langsam glitt seine freie Hand um das Gesicht von Bennet und ihre Blicke verankerten sich ineinander.

„Du musst das nicht tun!“, wisperte Bennet an Aceys Lippen.

„Ich weiß, doch es ist notwendig und ich will es auch!“ Sein Atem stockte, in seinem Körper breitete sich ein Kribbeln aus, das bis in seine Lenden reichte. Die letzten Millimeter überwand

Acey, legte seine Lippen auf die von Bennet.

Die Zeit schien still zu stehen. Weder hörte er etwas, noch nahm er wahr was um ihn herum geschah. Einzig Bennet zählte und ihr Kuss. Acey bemerkte die sich ihm nähernde Hand seines Partners, wie sie sich in seinen Nacken legte und dichter zog. Der Kuss, zu Beginn noch eher einem Hauch gleich, wurde intensiver, dass Acey meinte einem Herzstillstand nahe zu kommen, so sehr pumpte das Organ in seiner Brust das Blut durch seinen Körper. Er bezweifelte stark, dass das gesund war und doch wollte er weiter das Gefühl des Kusses genießen. Ein Schauer jagte den nächsten über seinen Körper und ließ ihn erzittern. Acey wollte mehr, doch wie dieses aussehen sollte, war ihm nicht so ganz klar. Aber scheinbar wusste es Bennet, denn er zog ihn noch dichter und öffnete seine Lippen. Vorsichtig, als hätten sie alle Zeit der Welt, ließ Bennet seine Zunge an Aceys Mund fahren, reizte ihn, forderte heraus. Das Kribbeln machte einem Schwarm Ungeziefer Platz, welches sich in Acey ausbreitete und ihn nervös werden ließ. Langsam öffnete er die Lippen und hielt überrascht die Luft an, als Bennet seinen Mund eroberte. Im ersten Moment wollte sich Acey zurückziehen, doch dann drängte er sich ihm entgegen. Die Flut der Wärme, die seinen Körper vereinnahmte, ließ seine Sinne vernebeln und sich dem hingeben, wonach er sich sehnte.

Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte sich Acey wirklich begehrt so wie er war, mit allen Fehlern, Ecken und Kanten.



„Auf jetzt!“, schrie William und wehrte einen Vampir ab. Erst da bekam Acey mit, was um sie geschah. Alle sechs Krieger standen um sie herum, beschützten Bennet und ihn vor einer erneuten Attacke. Ein Blick zu Bennet zeigte ihm ein wissendes Lächeln.

„Danke!“, hauchte dieser ihm einen Kuss auf die Lippen und dann standen sie auf.

„Einer muss am Leben bleiben. Ich will wissen was hier los ist!“, verkündete William und trennte einem Vampir vor ihm gerade den Kopf ab. Sein Blick wanderte zu Jannis. „Du sorgst dafür!“

Überrascht blickten alle zwischen dem Anführer und dem neuen Krieger umher. Gerade Jannis, der bei den Werwölfen das Morden gelernt hatte, sollte nun einen am Leben lassen. Acey war bewusst, dass es sich um einen Test handelte und nahm sich vor, den jungen Vitae essentia zu unterstützen. Selbst überrascht über solch einen Gedanken, tat er was er für richtig hielt.



Die Dunkelheit war über die Welt gekommen, pechschwarz. Erschöpft stiegen die Krieger aus den Autos, während Acey und Jannis den überlebenden Vampir in den Keller brachten, wo sich Zellen befanden.

Ihn würden sie später befragen, erst einmal galt es etwas zu essen und Kraft zu tanken. Stephan war inzwischen heimgefahren, als die beiden aus dem Keller herauf kamen und sich zu den anderen an den Tisch setzten. Sarah hatte eine Suppe bereitet, die nun alle stillschweigend aßen.

„Gute Arbeit, Jannis, du lernst dazu. Kannst stolz auf dich sein!“, zwinkerte William und lehnte sich satt zurück.

„Danke, aber ohne Acey wäre es wohl nichts geworden“, erwiderte dieser beschämt.

„Richtig und das habt ihr beide gut gemacht. Bei uns geht es um Vertrauen, Zusammenhalt und die Pflichterfüllung. Wie du das hinbekommst, ist mir egal. Ob mit oder ohne Hilfe. Doch ist es manchmal ratsam sich helfen zu lassen, bevor man versagt.“ Williams Blick wechselte zu Acey. „Du kannst also auch anders. Das freut mich wirklich, doch wieso versteckst du dich hinter dieser Maske des arroganten, selbstgefälligen Kriegers, wenn du das Gegenteil zu sein scheinst?“

Acey sah stur auf seinen Teller und bemerkte erst jetzt, dass die Schmerzen fast verschwunden waren. Verwundert ertastete er die Wunden an seinem Rücken.

„Sie sind fast verheilt, solltest du dich überwinden können, bei Bennet zu schlafen, wirst du morgen nichts mehr davon merken“, erfasste William die Situation richtig. „Wenn du ihn dir helfen lassen hättest, hätten wir uns alle diesen Ärger eben ersparen können. Auch wenn Bennet es nicht wahr haben möchte. Dass er so unkonzentriert war, weil seine Gedanken dir galten, hat ihn in diese Situation gebracht. Finde dich damit ab, dass ihr zwei füreinander bestimmt seid. Dadurch darfst du deinen Status als Krieger behalten und weiter als ein solcher agieren. Du bist ein guter Mann, doch mein Versprechen im Süden gilt auch hier noch, ich prügle dir notfalls deine gespielte Arroganz aus dem Leib, sollte es nötig sein! Hast du mich verstanden?“ Acey nickte und schluckte hart. Das war eine Ansage, die sicherlich nicht zu missverstehen war. „Gut. Sam übernimmt für die nächsten sechs Stunden die Zentrale. Legt euch hin. Bennet, wir beide werden morgen früh das Verhör vornehmen, sei also fit.“



Zögernd entkleidete sich Acey. Normal hatte er kein Problem, sich mit einem Mann das Zimmer zu teilen, doch bei Bennet kroch Verlegenheit in ihm hoch. Immer wieder warf er dem anderen einen Blick zu, beobachtete diesen beim Ausziehen und tastete dessen Körper mit Blicken ab. Ein wahrer Krieger, stellte er fest. Noch nie hatte er sich einen Mann so angesehen, doch bei Bennet fiel es ihm schwer, das nicht zu tun. Acey rief sich zur Ordnung und schlüpfte unter die Decke.

Vor seinem inneren Auge erschien der Kuss, der seine Lippen kribbeln ließ und seinen Körper in Aufruhr brachte. Wie konnte es sich so anfühlen und wieso verlangte es ihn nach mehr? Acey verstand sein Verlangen nicht und doch war es schwer, dem Verlangen nicht nachzugeben. Seine Lippen sehnten sich nach einer Berührung, welche der ersten zwischen ihnen in nichts nachstehen sollte. Allerdings konnte er das wohl schlecht verlangen, erbitten, wie auch immer, sein Geist sträubte sich dagegen. Stattdessen gab er Worte seines Vaters frei, die dieser vor gut hundert Jahren ausgesprochen hatte. Warnungen, was seine Begierde zu Männern anbelangte und die darauffolgende Züchtigung waren ihm unvergessen. Dabei hatte er nur einem Kriegeranwärter nachgesehen, was sein Vater mitbekam.



„Alles in Ordnung? Du bist so blass, soll ich Fred rufen?“, durchbrach Bennets Stimme seine Gedanken. Schnell schüttelte Acey den Kopf. „Mir geht es gut, alte Erinnerungen, die ich lieber vergessen würde.“ Die Worte waren ihm schneller entwischt, als er gewollt hatte.

„Du hast so was schon beim König angedeutet, was ist dir passiert?“

„Nichts was ich dir jetzt erzählen mag. Ich bin müde und fertig. Können wir schlafen?“

Bennet nickte verstehend, legte sich seitlich zu ihm und nahm seine Hand. „Unsere Wunden sollten dann morgen verschwunden sein!“, erklärte er sich.

Acey nickte, obwohl ihm die Erklärung egal war, er genoss heimlich das Gefühl der Nähe und wollte diese nicht missen.



Blinzelnd öffnete Acey seine Augen und schrak innerlich zurück. Die Wärme von Bennets Körper drang zu ihm und am liebsten wäre er vor ihm zurückgewichen, doch wie, ohne dass dieser aufwachte? Irgendwann in den Stunden als sie schliefen, hatte sich Aceys Körper wohl entschlossen, mehr Wärme zu wollen und nun lag er halb auf seinem Partner. Er spürte etwas an seinem Bein und wusste ohne hinzusehen was das war. Eigentlich hätte ihn das noch mehr zurückschrecken lassen sollen, doch das Gegenteil traf ein. Diese Situation ließ auch seine untere Hälfte erwachen. Nun wollte er sich doch entfernen, allerdings rieb er sich bei dem Versuch am Bein von Bennet, dass er sich ein leises Seufzen nicht verkneifen konnte.



Mit flatternden Augen sah Bennet ihn an, runzelte erst die Stirn, dann stockte er und blickte überrascht zu Acey. „Guten Morgen!“

„Dir auch!“ Wenn sich Aceys Stimme so verlegen anhörte, wie er sich fühlte, wollte er im Erdboden versinken. Gerade versuchte er sich zu erheben, als Bennets Hand sich in seinen Nacken legte und ihn zu sich zog. „Willst du mich küssen?“, fragte er grinsend und Acey las in seinen Augen, dass er es wusste. „Sag es und ich gebe dir was du möchtest!“

„Einen Kuss, bitte!“ Aceys Stimme zitterte wie sein ganzer Körper, so sehr sehnte er sich nach einem weiteren Gefühl der Nähe und Begehrlichkeit.

Bennet drehte sich mit ihm um, streifte sanft dessen Wangen, bevor er seine Lippen vereinnahmte. Dieses Mal forscher, intensiver und betörender als das erste Mal. Acey meinte den Verstand zu verlieren, gab sich den Empfindungen hin. Ihre Körper rieben aneinander, verlangten nach mehr als nur diesem Kuss. Wollten einander spüren, den jeweils anderen verführen und sich gleichzeitig dem hingeben, was der ihm bot.



„Acey Romba!“, schrie eine Stimme durchs Haus der Krieger, dass Bennet und Acey auseinander fuhren und sich erschrocken ansahen.

„Mein Vater!“, schluckte Acey und sprang aus dem Bett. Eilig zog er sich an, rannte aus dem Zimmer und die Treppen hinab.

Da stand er, sein Ebenbild, außer dass Alan wesentlich älter als sein Sohn aussah.

„Vater …“, setzte Acey an, wurde jedoch rüde unterbrochen.

„In Ungnade bist du gefallen, dass man dich wegholte; und nun muss ich erfahren, dass du ein Betrüger, Lügner und kein Krieger bist. Eine Schande für die Familie Romba!“ Alan packte seinen Sohn an der Kehle und presste ihn gegen das nächste Mauerwerk. „Ich wusste immer, dass du zu nichts zu gebrauchen bist, aber dass du mir solch eine Schande antust, wird dich teuer zu stehen kommen!“ Immer fester wurde der Griff um Aceys Hals, dass dieser um jeden Atemzug kämpfte, während sein Vater ihm einen kräftigen Schlag in den Magen verpasste.



***



Bennet stand sprachlos oberhalb der Treppen und versuchte zu verstehen was gerade passierte, als Williams Stimme den Eingangsbereich erfüllte.

„Alan Romba, wärt Ihr so freundlich, Euren Sohn los zu lassen und mir zu erläutern was Ihr hier macht!“ Das war keineswegs eine Frage, es war als Befehl zu sehen, dem der 600 Jahre alte Krieger fluchend nachkam.

„Er ist mein Sohn und ich habe das Recht, ihn zur Ordnung zu rufen.“

William nickte und schüttelte dann den Kopf. „Bis gestern Morgen wäre es Euer Recht gewesen, doch seitdem nicht mehr. Entfernt Euch von ihm!“

Doch Alan dachte nicht daran, wie Bennet sah. Ohne weiter nachzudenken, sprang er über das Geländer und landete in der Hocke auf dem Boden. Ehe Alan reagieren konnte, befreite Bennet Acey aus dem Griff seines Vaters und William packte sich den älteren Krieger.

Alan landete mit dem Rücken an der Wand, wo William nun die Hand um dessen Hals legte. „Ihr habt mir zu gehorchen. Ob Euch das passt oder nicht.“

„Aber nicht wenn es um meinen Sohn geht, der nicht unter Euch steht. Er ist kein Krieger“, wehrte sich Alan, kam aber nicht gegen den Anführer an.

„Acey ist mein Krieger und daran hat sich bis heute nichts geändert. Doch sollte ich überdenken, ob Eure Berufung nicht zurückgezogen werden sollte! Eine Strafe werdet Ihr auf jeden Fall erhalten, damit wir uns richtig verstehen.“ William ließ von Alan ab und sah zu Bennet, der sie beobachtet hatte und bei Acey kniete. „Wie geht es ihm?“

„Das wird!“, antwortete er und nahm seine Hände von den Würgemalen am Hals, die fast nicht mehr zu sehen waren.

Erbost spuckte Alan in deren Richtung. „Gebunden mit einem Mann, was ist aus den ehrenwerten Kriegern nur geworden? Das ist ungesetzlich und vor allem widerlich!“

Williams Faust landete zielgenau auf der Nase von Aceys Vater. „Wenn Ihr es noch einmal wagt, in meinem Haus Derartiges zu sagen, werden die Sanktionen tödlich ausfallen! Ihr wisst genau so gut wie ich, dass wir nichts für den Bund können, er ist vorhergesehen und unabänderlich. Und nun folgt mir und nehmt Eure Sanktionen an wie ein wahrer Krieger!“

„Ich soll was? MacDermont Ihr seid das Letzte! Wie man Euch zum Anführer machen konnte, bleibt mir bis heute unbegreiflich! Ihr schwul …“ Plötzlich brach Alan zusammen und ein grinsender Jannis blickte die anderen an, die ihn nicht gesehen hatten.

„Entschuldigt, aber ich finde es unter aller Würde, mir so etwas anzuhören. Wer ist das?“

Acey senkte seinen Blick, beschämt versuchte er sich von Bennet zu entfernen. „Das ist mein Vater“, presste er dann heraus, als ihn alle ansahen.

Jannis zog scharf die Luft ein. „Tut mir leid für dich und dass ich …“

„Schon okay. Entschuldigt mich.“



Bennet atmete tief durch und half William, seinen Schwiegervater in spe in den Keller zu bringen. Wenn der Anführer eine Strafe aussprach, führte er sie auch aus. „Was hast du vor?“

„Strom, ist nachhaltig und selbst seine Frau wird ihm so schnell nicht helfen können!“, erläuterte William und setzte Alan auf den dafür vorgesehenen Stuhl. Bennet befestigte dessen Arme und Beine mit Lederarmbändern.

„Acey sah gebrochen aus, hast du das auch bemerkt?“

„Ist mir nicht entgangen und ich werde rausbekommen, was Alan ihm angetan hat, dass aus ihm so ein Mann wurde. Möchtest du dabei bleiben?“ Ein Blick reichte, um das Ja zu erkennen, was Bennet auf den Lippen lag. „Du übernimmst die Regler und ich den Rest. Danach haben wir auch noch den Vampir vor uns.“

„In Ordnung, dann los!“ Bennet griff zu und löste den Zustand, in den Jannis Alan versetzt hatte.



Als Aceys Vater wieder komplett bei sich war, setzte er da wieder an, wo er unterbrochen worden war. Die Beleidigungen gegenüber William ließ sich dieser noch gefallen, doch dann fiel etwas, womit keiner der beiden gerechnet hatte.

„Das war eben Sergeis Griff. Wo ist dieser kleine Bastard, er sollte tot am Grund einer Schlucht liegen, inklusive seiner Familie!“ Alan stockte der Atem, sichtlich hatte er sich nicht verraten wollen und doch war es geschehen. William trat zurück, schluckte hart, während bei Bennet die Wut hochkochte. Konnte es sein, dass einer ihresgleichen einen Verrat begangen hatte?



Unweigerlich dachte Bennet an Jannis und zügelte sich, denn ihn hatte man auch falsch eingeschätzt, wie er erfahren hatte. Er wollte nicht den gleichen Fehler begehen.

William schien jedoch zu ahnen, dass es nicht weit her war mit seiner Selbstbeherrschung und griff seinen Arm. „Ich ruf den König an, das ist zu persönlich!“

Bennet nickte widerstrebend und folgte seinem Anführer. „Darf ich wenigstens hier rein? Ich hol dir jede Information!“

„Ja, aber Bennet, bring ihn nicht um!“

Grummelnd nickte er und verschwand zum Vampir. Dieser kauerte in einer Ecke und versuchte, den Sonnenstrahlen zu entkommen. Bennet grinste und schlenderte auffällig gelassen auf ihn zu.



„Wieso schließen sich plötzlich Vampire zusammen und greifen so aggressiv an?“ Es war das sechste Mal, dass er das fragte. Mittlerweile hatte der Vampir immer weniger Gliedmaßen. Für jede Antwort, die er verweigerte, hielt Bennet einen Finger oder Zeh in den Sonnenstrahl, der sofort zu Staub zerfiel.

„Wegen euch!“, ächzte der Blutsauger und verzog gequält das Gesicht.

„Wegen uns? Welchen Grund habt ihr?“

„Ihr habt unsere Art ermordet, Kinder wie Erwachsene, das ist selbst für uns ein Tabu!“

Zuerst war Bennet verwirrt, doch dann schien es ihm aufzugehen. „Ihr redet vom Süden? Das waren genmanipulierte Wesen. Aus eurer und unserer Rasse. Sie waren zu gefährlich, als dass wir sie hätten leben lassen können!“

„Und der Rest, wo sind unsere Leute?“, giftete der Vampir und versuchte Bennet zu beißen.

„Drei Leute haben wir laufen lassen, mehr lebten da nicht. Wir haben Staub gefunden, unserer und eurer Leute, doch nicht mehr.“

Der Blutsauger hielt inne und sah ihn kritisch an. Es verwunderte Bennet, dass diese Wesen scheinbar so etwas wie Ehrgefühl besaßen. Bisher hatte er sie anders kennengelernt. „Uns wurde etwas anderes mitgeteilt. Ihr habt wahllos alle abgeschlachtet. Jeden, der Euch nicht passte! Wir wollen Vergeltung!“

„Wir haben nichts Unrechtes getan, da könnt ihr Vergeltung verlangen, wie ihr wollt. Man hat auch unsere Rasse dahinvegetieren lassen.“

Bennet ließ von dem Vampir ab und drehte sich um. Zu unvorsichtig, wie er eine Sekunde später feststellte, denn trotz der Sonne, die genau auf ihn traf, wurde er angegriffen. Doch ehe der Blutsauger zubeißen konnte, zerfiel sein Körper zu Staub.

Die Tür wurde geöffnet und William trat mit Leonard herein. „Ich sagte, du sollst ihn leben lassen!“, fluchte der Anführer, wurde aber vom König unterbrochen.

„Der Vampir hat den Freitod gewählt. Mach Bennet keine Vorwürfe. Aber sie machen uns welche, die Vampire, irgendjemand hat ihnen etwas Falsches erzählt.“ Irritiert sahen sie Leonard an, der tief durchatmete und aus einer Trance zu erwachen schien. „Auch kurz nach dem Tod einer Person kann ich noch etwas wahrnehmen, leider nicht lange und er wusste nicht genug. Ich werde Kontakt zu Gregor aufnehmen müssen, er ist der einzige Verbündete der Wesen.“ Damit schien es für Leonard geklärt zu sein, was die zwei Krieger ratlos zurückließ. Es ging sie eben nicht alles etwas an und Fragen schienen den König nicht zu interessieren, denn er war bereits in die Nachbarzelle gegangen.



„Ihr seid ein Verräter, habt Eure Kinder seelisch wie körperlich misshandelt. Ihr habt den Kriegerstand missbraucht, verraten und mit Füßen getreten. Seid der Anstiftung zum Mord an Sergei Frier und Familie ebenso schuldig. Alan Romba, ich verurteile Euch …“ Leonard stockte und drehte sich um, genau wie Bennet.

Hinter diesem war eine Schnappatmung zu vernehmen gewesen und nun sah er direkt in die grünen Augen von Acey. „Bitte Herr, Ihr würdet auch meine Mutter zum Tode verurteilen. Ich flehe Euch mit jeglicher Konsequenz an, davon Abstand zu nehmen.“ Ergeben senkte er den Kopf.

Bennet griff nach seiner Hand, was Acey zu verhindern wusste und einen Schritt Abstand nahm. Ein unwohles Gefühl machte sich in Bennet breit, da war eine Barriere, die Acey zwischen ihnen zog, die ihm nicht gefiel.

„Du bist bereit für ihn zu leiden, nachdem was er dir angetan hat? Jeden Schlag mit der Peitsche, die dir die Haut bis aufs Fleisch zerriss? Jede Verbrennung mit Zigaretten und der Kohle? Jedes Wort, wie missraten du bist? All das verzeihst du deinem Vater und würdest für ihn leiden?“ Leonards Blick war intensiv und ließ Acey schwanken. Unsicherheit machte sich in dessen Gesicht breit.



Doch es war sein Vater, der das Wort ergriff. „Ich brauche keine Unterstützung von dir. Du bist eine Schande, ein Nichts. Du hast den Namen Romba beschmutzt“, dabei spuckte er auf den Boden. Acey wandte sich ab und ging.



Bennet konnte Aceys Herz brechen hören und folgte seinem Partner. So sehr er seine eigene Familie vermisste, die schon länger nicht mehr lebte, war er in solchen Momenten froh darüber. Niemals würde man ihm Vorhaltungen machen, weil er einen Mann als Partner hatte, noch durfte er sich dementsprechend etwas anhören. Seine Familie waren die Krieger des Hauses und nun Acey.

Wie von selbst brachten ihn seine Beine nach oben, direkt in sein Schlafzimmer zu Acey, der mit dem Gesicht in den Kissen lag. Unsicher setzte er sich auf den Rand des Bettes und streifte sachte über den bebenden Rücken. „Hey, …“

Abrupt drehte sich Acey um, umschloss Bennets Gesicht und küsste ihn. Hart und unnachgiebig. Schon fast brutal war der Kuss, der Bennet den Atem raubte, bis sich sein Partner von ihm löste. Aceys Augen glitzerten auffällig.

„Mehr kann und darf es nie zwischen uns geben. Leb‘ dein Leben und komm abends wieder hierher. Tank Energie auf und gehe. Ich will keine Schande sein!“

Es kam einem Faustschlag gleich. So sehr traf es Bennet und er stand schwankend auf. Er musste raus, weg von Acey, von diesem Haus und Druck ablassen. In diesem Moment hatte er das Gefühl, gleich explodieren zu müssen.

***



Acey ließ den Tränen freien Lauf. Nie in seinem Leben hatte er es gewagt, doch nun war es vorbei. Sie liefen seine Wangen hinab, tropften auf sein Shirt, bevor sie im Stoff verschwanden. Lautlos saß er auf dem Bett, wünschte sich den Morgen zurück, als alles noch schön war. Gerade zwei Stunden war es her, vielleicht auch drei, wer wusste das schon so genau. Da lag er mit Bennet in diesem Bett und wünschte sich nichts sehnlicher, als von diesem berührt zu werden, mehr Nähe und Zuneigung hatte er noch nie erfahren. Sex war lediglich zum Druckabbau, er hatte es nie mit Emotionen verbunden. Doch jetzt, seitdem er Bennet kannte, war alles anders. Er wollte seine Nähe, seine Zuneigung, das Gefühl geborgen zu sein und geliebt zu werden. Ja, er gestand es sich ein. Acey spürte das Band zwischen ihnen und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sein Partner zurückkam und ihn in die Arme schloss.

Doch er hatte ihn weggeschickt, unmissverständlich klargemacht, dass es nie etwas zwischen ihnen geben würde. Sein Herz wurde schwer, pochte einen schwermütigen Takt in seiner Brust und er meinte, daran ersticken zu müssen.



Stunde über Stunde blieb er auf dem Bett sitzen und litt vor sich hin. Angst vor dem Alleinsein, vor der Einsamkeit, vor dem Verlust von Bennet machte sich in ihm breit.

„Hey, ich wollte dir Bescheid sagen, dass dein Vater leben wird“, trat William ins Zimmer. Das Erstaunen in dessen Gesicht war nicht zu übersehen, als er die verweinten Augen von Acey bemerkte. „Was ist los?“

„Mein Leben ist beschissen, total für den Arsch und ich bin selbst schuld!“, schniefte Acey und wischte sich die letzten Spuren der Tränen weg.

„So kannst du das nicht sagen. Das Schicksal bestimmt und dafür kannst du …“

„Doch nicht deshalb. Ich habe Bennet vor den Kopf gestoßen und gesagt, er soll gehen. William, ich bin ein Idiot!“

„Stimmt, und wenn du schlau genug bist, wirst du ihn suchen gehen. Das erklärt natürlich, wieso er seit heute Mittag nicht mehr im Haus ist!“ William ging auf Acey zu, zog ihn auf seine Beine und dirigierte ihn ins Bad. „Mach dich frisch und sieh zu, dass du ihn wieder herbringst.“ Der Anführer zwinkerte und verschwand.



Unentschlossen stand Acey an der Haustür. Frisch geduscht, rasiert und einigermaßen gekleidet, wie er selbst fand, wusste er nun nicht weiter. Wo sollte er anfangen zu suchen? An sich kannte er Bennet nicht und wusste auch ebenso wenig, was dieser für Lokale oder Plätze bevorzugte.

Seufzend trat er vor die Tür und sah direkt auf Jannis, der auf den Eingangsstufen saß.

„Was machst du denn hier?“, erkundigte sich Acey und setzte sich neben ihn.

„Nachdenken und überlegen, wie ich mich bei dir entschuldige. Nun schau nicht so irritiert. Ich bin schuld, dass dein Vater nicht mehr aus dem Gefängnis kommt. Doch mit mir ist alles durchgegangen, als ich hörte wieso meine Familie sterben musste.“

„Wieso? Was hat er getan?“

„Sich mit Rex verbündet. Er wollte sich rächen, an meiner Mutter. Stell dir einmal vor, an meiner Mutter! Sie hatten eine kurze Affäre und er wollte, dass sie verschwindet, hat ihr das Leben zur Hölle gemacht. Mein Vater hat versucht mit deinem zu reden, es funktionierte nicht. Und doch fühlte Dad sich sicher, er war bei William, im Haus des Anführers. Es vergingen fast 50 Jahre, bis es dazu kam, was passiert ist. Ein Pakt mit den Wölfen. Die dafür im Norden, in einem abgegrenzten Bereich, Narrenfreiheit bekamen.“ Während Jannis die Tränen hinab liefen und er ungeniert schniefte, jagte ein Schauer durch Aceys Körper.

Sein Vater hatte aus verletztem Stolz eine Familie töten lassen. Es war kaum zu glauben. „Ohne dass du das jetzt falsch verstehst, aber wieso hat man dich bei den Werwölfen ausgebildet, und nicht wie andere im Gefängnis leben lassen? Weißt du das?“

„Ja. Mittlerweile schon. Der König hat mich aufgeklärt. Mein Vater war wohl ein guter Krieger?“ Jannis versicherte sich bei Acey, der sofort nickte. „Rex dachte, es sei eine Schmach für euch, wenn der Sohn eines Kriegers euch umbringt. Ich war ein Schläfer, ausgebildet um zu töten und das ausschließlich meinesgleichen! Damit ich den Werwölfen vertraue, haben sie mich normal aufwachsen lassen wie ihresgleichen, oder annähernd normal. Die Befürchtung, dass ich ihnen mit wachsendem Alter und Verstand den Rücken kehre oder aufgeklärt werde, war ihnen zu hoch.“

Acey schluckte, denn das hatte er so nicht erwartet. „Und jetzt? Bist du noch … Also …“

„Nein, ich denke nicht. Leonard versicherte mir, dass er die Frequenz gelöscht hat und ich wohl nie eine Gefahr war, sonst würde Quinn nicht mehr leben. Doch dein Vater …“

„Scheiß auf ihn, er ist mir egal. Es geht mir um meine Mutter. Ich will nicht, dass sie stirbt. Aber wenn mein Vater geht, dann sie auch. Das Schicksal ist in dieser Hinsicht grausam!“

Jannis nickte verstehend. „Dein Vater wird es seelisch wohl nicht überleben, aber körperlich, hat man mir versichert. Leonard fragte mich. Ich sollte entscheiden, ob er leben oder sterben soll. Und dazu haben sie mir auch gesagt, was dein Vater dir angetan hat.“

Acey blickte kurz in Jannis Augen, doch dieser zeigte kein Mitleid, worüber er dankbar war. „Ja, ich war und bin für ihn eine Schande. Wäre ich ein Mensch, ich wäre tot. So hinterließen die Peitschenhiebe nur blasse Schimmer von Narben auf meiner Haut. Seine Worte waren da einprägender. Sie haben wehgetan und verfolgen mich bis heute.“

„Verstehe. Es ist sicherlich schlimm und tut mir leid für dich. Du bist nicht so arrogant und selbstgefällig, wie du tust. Das habe ich schon bemerkt, als du mir zur Seite gestanden hast.“ Jannis stieß Acey in die Seite und grinste ihn an.

„Ich mag dich, weiß auch nicht warum. Zuerst dachte ich, du bist ein Verräter. Denn irgendwie hast du alles dafür gegeben, deine Familie zu rächen und doch war dir die Sicherheit von Sam wichtig und du hast sein Leben beschützt.“

Verlegen machte Jannis eine wegwerfende Handbewegung. „Sag mal, wieso kann Leonard in die Vergangenheit eines jeden sehen?“

„Er ist der Sohn eines Kriegers und einer Seherin. Er hat ihre Gabe bekommen, doch sieht lediglich die Vergangenheit, nie die Zukunft wie seine Mutter es tat. Es zeichnet ihn aus, er ist ein guter König und bleibt uns hoffentlich noch lange erhalten.“

Verstehend nickte Jannis und runzelte dann die Stirn. „Wolltest du irgendwohin? Du siehst aus, als wolltest du einen drauf machen.“

„Ich suche Bennet. Denn ihm gegenüber bin ich immer noch ein Arschloch wie es im Buche steht. Dabei will ich gar nicht, dass er nur zu mir kommt, um Energie zu tanken.“

Jannis lächelte sanft. „Deines Vaters Worte sind dir näher gegangen, als du selbst für möglich gehalten hast, richtig? Warst du denn je an Männern interessiert? Ich meine, ich weiß von Quinn, dass es früher gar nicht so unüblich war.“

„Nein, an sich nicht, aber auch nicht an Frauen. Ich weiß nicht … klar, zur Triebbefriedigung hat man sich eine genommen, sie wurde fürstlich bezahlt und gut war, aber sonst? Bennet hat mir meinen ersten Kuss gegeben, es war atemberaubend.“ Acey bemerkte selbst sein verklärtes Grinsen, doch konnte nicht anders, bekam es nicht weg.

„Ich sehe es dir im Gesicht an und was ist schief gelaufen?“

„Ich habe ihm gesagt, dass aus uns nie was werden kann, oder es mehr geben wird. Jetzt muss ich Bennet finden. Jannis, ich will ihn. Mit allem Drum und Dran! Aber ich weiß nicht, wo ich suchen soll.“

„Versuch es bei Stephan im Club, da sind die Krieger öfters. Sam ist auf jeden Fall dort, hat Dienst.“

Nickend erhob sich Acey. „Danke, und Jannis, mach dir keine Gedanken wegen mir oder meinem Vater, alles ist gut.“

„Okay. Bennet und du, ihr beide schafft das schon. Ihr gehört zusammen, und wenn was sein sollte, du weißt wo ich bin!“



Ein Angebot, welches Acey zu würdigen wusste und er ahnte, dass das lediglich eins von vielen Gesprächen war, was er mit dem jungen Vitae essentia führen würde. Jannis war sicherlich ein guter Freund und er wusste, dass man von diesen nie genug haben konnte. „Weißt du hoffentlich auch. Egal was ist, ich bin gerne für dich da!“ Er sah nicht mehr zurück, sondern ging einfach. Mit den Gedanken an Bennet trieb es ihn zu Stephans Club. Ein Glück stand ihm dazu ein Auto zur Verfügung, gegebenenfalls auch Motorräder, hier fand sich alles. William war ein guter Anführer und sorgte für seine Krieger, das hatte Acey von Beginn an bemerkt.



Der Club war brechend voll, sodass er sich erst einmal durch die Massen an Wesen kämpfen musste. An der Bar stand bereits Sam, lächelte die Gäste an und bereitete ihnen Drinks zu. „Hey!“, schrie Acey und versuchte Sams Aufmerksamkeit zu erhalten.

Sam sah zu ihm, nickte lächelnd und kam sofort zu Acey, nachdem er den Gast vor sich bedient hatte. „Hallo, kommst du einen trinken, oder suchst du nach Bennet?“

„Eher das Zweite!“

Wissend nickte Sam und seufzte dann. „Er ist nicht hier, aber müsste bald kommen.“ Bei dieser Information verkniff sich Williams Partner nur schwer einen verräterischen Blick, den Acey nachforschen ließ.

„Wo ist er?“

„Im Shadow, dort treffen sich Leute, um sich sexuell zu vergnügen. Bennet besucht den Laden alle zwei Wochen, wie mir William berichtet hat. Danach kommt er her, warte einfach auf ihn!“ Sams Blick war bittend, doch das interessierte Acey nicht. Er wollte sich mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Bennet so etwas nicht tat, oder eben doch.


Sein Herz hämmerte gegen seinen Brustkorb, als er das Shadow betrat. Ein stilvoller Laden, das musste er zugeben und doch wurde ihm alsbald klar, dass Sam nichts Falsches erzählt hatte. Überall waren umkleideähnliche Kabinen, wie in Kaufhäusern und der Geruch von Sex schwängerte die Luft. Sein Blick durchforstete den Club, doch Bennet erkannte er nirgends.

Plötzlich grinste er, jeder hier wusste wahrscheinlich, wer Bennet war und wenn auch die Krieger erfahren hatten, wo sich dieser aufhielt, war es möglich …

Schnurstracks ging er auf die Bar zu und beugte sich zu dem Barmann. „Hey, ich suche Bennet Cain, MacDermont schickt mich!“

„Hinterste Kabine wie immer. Das hätte er dir auch gleich sagen können!“, schüttelte der Barmann seine rothaarige Mähne und wandte sich ab.



Aceys Hände zitterten immer mehr, umso näher er an die besagte Kabine kam. Lustvolle Geräusche drangen aus allen Richtungen an sein Ohr. Dann stand er vor dem Vorhang, der Bennet verbarg. Vorsichtig zog er an dem leichten Stoff und blickte sogleich auf seinen Partner, der sich hart und unerbittlich in einer Frau versenkte, die sich in gebückter Position an der Wand abstützte. Sie stöhnte ihre Lust heraus, während Bennet eher verkniffen die Augen geschlossen hatte und den Mund zusammenpresste.

Bis er sich umdrehte und direkt in Aceys grüne Augen sah. Diesem wurde schlecht. Eine Frau durfte sich von seinem Partner beglücken lassen, ausgerechnet eine Frau. Mit der aufsteigenden Galle verschwand Acey aus dem Club in die Nacht, bis er ein Gebüsch fand, welches seinen geringen Mageninhalt, der nach außen drang, zu verstecken wusste.

Der Schmerz in seiner Brust zerriss ihn fast und er rannte los. Vergaß das Auto, vergaß alles um sich herum. Rannte einfach und hoffte, dass der Schmerz bald verschwinden würde.



***



Abrupt trennte sich Bennet von der Frau, die gleich darauf murrte, weil seine Stöße aufgehört hatten. „Halt den Mund!“, herrschte er sie an. Eilig schloss er seine Hose und stürmte nach draußen. Aceys Blick hatte sich in ihm festgebrannt und schmerzte. Sein Partner hatte ihn gesehen, beim Sex, und irgendetwas sagte ihm, dass er gerade den größten Fehler seines Lebens gemacht hatte. Dabei wollte er nur den Druck loswerden, der sich seit dem Morgen in ihm befand. Und nachdem Acey ihn derart verletzt hatte. „Bennet Cain, du bist ein Idiot!“, fluchte er in die Nacht hinaus und betete, nicht alles zerstört zu haben.



Doch dieses Gebet schien nirgends Anklang gefunden zu haben, denn als er zuhause ankam, sah er, dass sich Acey in sein zugewiesenes Zimmer zurückgezogen hatte. Trotz sich leerender Energiereserven unterließ es Bennet, zu ihm zu gehen und legte sich nach einer Dusche in sein Bett. So sehr sein Körper Ruhe forderte, schaffte es sein Geist nicht, ihm diese zu geben.

Die schreckensweiten Augen von Acey, dessen weißes Gesicht und der Abgang waren allgegenwärtig. Dabei hatte sich der Druckabbau nicht mal gelohnt und somit der ganze Ärger ebenso wenig.

Die Frau war nicht nach seinem Geschmack gewesen, ihr Hintern zu wuchtig, ihre Brüste zu groß, ihre Statur einfach nicht drahtig genug. Ihr fehlte einfach … sie war nicht Acey! Genau das war es und Bennet machte sich da auch nichts vor. Er sehnte sich nach dem Krieger, der seit ihrer Prügelei im Flur sein Herz für sich gewonnen hatte, der auch noch sein Partner war und so unbeschreiblich anziehend auf ihn wirkte.

Bennet war verloren und das war ihm mehr als bewusst. Doch noch mehr erahnte er, dass er sich gerade einiges verbaut hatte, durch diese dumme Idee mit dem Club.



Mittlerweile war es fast drei Uhr in der Nacht und Bennet wälzte sich immer noch im Bett herum. An Schlaf war einfach nicht zu denken. Plötzlich ertönte der Alarm und er war selten so dankbar dafür gewesen. Ablenkung war keine Lösung, aber ein beliebtes Mittel, um alles zu vergessen. Als er in die Zentrale trat, war auch schon Acey neben ihm. Wieso war Bennet sofort bewusst, denn genau wie ihm, fehlte auch seinem Partner Energie.

„Müsst ihr zusammenbleiben?“, sah Sean zu den beiden und das Nicken zur Bestätigung kam synchron. „Gut, also Acey und Bennet, William und Jannis, Bryce und ich. Quinn bleibt in der Zentrale und Stephan wird zu irgendeinem von uns dazu stoßen. Im Stadtpark sind abermals Vampire eingefallen. Zwei Zivilisten sind bereits verletzt. Es gilt, sie rauszuholen!“ Damit war alles gesagt und sie verteilten sich auf die Autos.

Seit einer Stunde schlichen Acey und Bennet bereits durch das Dickicht des Waldes, doch bisher waren ihnen noch keine Vampire begegnet. Auch von den anderen hatten sie per Funk vernommen, dass es bei ihnen still war.

„Acey es tut …“

Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Ich will nichts hören, hab dir ja gesagt, es wird nie mehr zwischen uns geben. Es ist dein gutes Recht!“ Damit schien für ihn alles gesagt zu sein.

Bennet dagegen fühlte sich, als würde jemand sein Herz zusammenquetschen. Ihm war durchaus klar, dass Acey ihn sicherlich nicht gesucht hatte, um seine Worte zu unterstreichen, noch dass dieser zufällig im Club auf ihn gestoßen war. Irgendetwas hatte er von ihm gewollt, doch dann nicht ausgesprochen.

Acey ging voraus, somit konnte Bennet weiter seinen Gedanken nachgehen. Er wollte eine Lösung, wie er alles zwischen ihnen wieder auf den Stand vom frühen Morgen bringen konnte, doch ihm fiel einfach nichts ein.

Dass Acey unerwartet stehen blieb und dann auch noch einen Schritt zurück machte, realisierte Bennet erst, als sie sich zusammen auf dem Boden wiederfanden. Irritiert sah er ihn an, wobei Acey auf seinem Schoß saß. „Entschuldige“, murmelte dieser und stand sofort auf. „Vampire, vor uns. Einer rechts und einer links?“

Bennet nickte und genoss noch eine Sekunde die Wärme an seinem Körper, die sein Partner ausstrahlte, bevor diese komplett verschwand.

Seufzend richtete er sich auf, tauschte noch einen Blick mit Acey und dann gingen sie wie besprochen los, um die Blutsauger einzukesseln. Es waren sechs, was Bennet dazu veranlasste, zum Funk zu greifen und den anderen leise eine Mitteilung zu machen.



Beim Näherkommen erkannte Bennet zwei Werwölfe inmitten der Vampire, es war eine Diskussion im Gange. Per Handzeichen einigten sich Acey und er, dass sie sich im Hintergrund hielten, bis der Anführer eintraf. Kaum zehn Minuten später stand William neben Bennet und sah auf die Szene.

„Sie diskutieren schon, seitdem wir hier sind.“

„Das sind Olek und Nils, die zwei Vampire aus dem Verlies.“ Mit gerunzelter Stirn trat William auf den Platz, wo die Diskussion langsam handgreiflich wurde.

Plötzlich rannte Jannis wie aus dem Nichts auf die Gruppe zu und warf einen der Wölfe um, der ächzend auf dem Boden des Rasens landete. „Du hast echt überlebt?“ Unglauben und Wut spiegelten sich im Gesicht des jungen Kriegers wider. Seine Faust schlug auf das Gesicht des Werwolfs ein, der sich nicht einmal wehrte.

Es war Acey, der Jannis abhielt weiter auf den Werwolf einzuschlagen und ihn stattdessen herunterzog. Nun traten alle auf die kleine Lichtung. Die Vampire erstarrten, die zwei Werwölfe dagegen ließen die Köpfe hängen.

„Jakob hätte tot sein sollen!“, wimmerte Jannis an Aceys Schulter. „Er hat Alan und Greg umgebracht, er hat es nicht verdient zu leben!“

„Ich weiß und doch tut er es. Komm!“, damit lenkte Acey ihn ab und zog ihn von der Runde weg.



William sah fragend zu den Wesen auf der Lichtung. „Olek, Nils, Jakob was verschlägt euch in unser Gebiet? Ihr lebt hier gefährlich, das sollte euch bewusst sein!“

„Sie haben uns gefangen gehalten und erniedrigt, wir wollen Rache!“, verkündete Olek und griff den unbekannten Werwolf an. Bennet ging dazwischen und trennte die Kontrahenten.

„Das soll euch zustehen, aber nicht in unserem Revier. Hier leben Menschen und ihr wisst, dass es oberstes Gebot ist, diese zu schützen. Zumindest bei uns.“

Nils grinste. „Die Zwei, die uns gesehen haben, sind beseitigt, also darum braucht ihr euch keine Gedanken zu machen.“

William fluchte Unverständliches. „Wir haben euch nicht freigelassen, damit ihr mordet. Ihr wisst, was das heißt.“

Sie wussten es genau, wie die sechs Vampire, die plötzlich die Krieger umkreist hatten. Insgesamt gerade einmal vier Vitae essentia gegen zwölf Vampire und zwei Werwölfe, Bennet sah sie untergehen. Schüsse, Geschrei, niederfallende Vampire und geduckte Werwölfe. Überfordert schmiss sich Bennet zu Boden, sah zu William, der es ihm gleichtat. „Was ist hier los?“

„Ich habe keine Ahnung.“

So blieben sie liegen, vielleicht das erste Mal in ihrer gesamten Laufbahn als Krieger, verbrachten sie ein Gefecht auf dem Boden und hielten den Atem an. Bennet kam sich nutzlos vor, doch die Staubwolken ließen keinen Blick zu und aufzustehen war eindeutig zu gefährlich, lebensmüde war er nicht. Acey, in seinem Kopf lief plötzlich alles auf Hochtouren, als er an seinen Partner dachte. Was wenn … er wollte nicht so weit denken und doch konnte er es nicht verhindern. Bis seine Gedanken von einem Schmerzwall unterbrochen wurden. Irgendetwas oder irgendwer war auf ihm gelandet. Sein Körper protestierte und doch wandte er sich um. Blickte direkt in grüne Augen, die ihn besorgt ansahen. „Geht es dir gut?“, fragte Acey außer Atem und tastete Bennets Gesicht ab.

„Bis eben ja. Ich glaube, du hast mir gerade eine Rippe gebrochen!“, antwortete Bennet gepresst.

„Oh mein Gott, entschuldige.“ Schnell rutschte er zur Seite und verzog dabei sein Gesicht, als sich Bennet mit wohl ablesbaren Schmerzen umdrehte.

„Schon okay. Was ist da los, konntest du was sehen?“

„Stephan ist mit ein paar komischen Kerlen angerückt und macht gerade sauber, wie er es nennt. Ich konnte ihn nicht aufhalten, irgendetwas ist wohl im Club vorgefallen.“

William ruckte herum, stützte sich auf Bennets Brust ab. „Was ist da passiert? Ist was mit Sam?“

„Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass er so sauer ist, dass es ihm egal ist, was passiert!“

„Seine Frau …“, kam wie aus einem Mund von William und Bennet. Es gab nur einen Grund für ein Selbstmordkommando wie dieses, wenn man sein Leben gelebt hatte. Wenn der Partner tot war, nur dann würde ein Krieger seine Bestimmung vergessen und auf Rache pochen.



So blieben sie liegen, bis die Geräuschkulisse verstummte und die Asche sich legte. Langsam richteten sich die Krieger auf, vor ihnen breitete sich ein Schlachtfeld aus. Abgetrennte Gliedmaßen von allen drei Arten der beteiligten Wesen. Während sich Vampire in Asche auflösten, blieb der Rest noch eine Weile so. Vitae essentia lösten sich erst nach Stunden auf und Werwölfe gar nicht. Sie würden reinigen müssen, doch das schien William im Moment egal. Er sah sich um und fand Stephan kniend auf dem blutgetränkten Gras, wo er den sich auflösenden Kopf eines Vampirs hielt.

„Stephan? Hey was ist los? “

Dieser sah auf und Tränen rannen aus seinen rotunterlaufenen Augen. „Sie haben sie einfach getötet. So viele und meine Süße unter ihnen. Ich werde sterben William und nicht mal ein Tod im Kampf ist mir vergönnt.“



Krieger weinen nicht und doch war es einer dieser Tage, wo es egal war, wer sie waren. Es war allen egal, denn sie wussten eins gemeinsam, sie verlieren einen von ihresgleichen und das in weniger als fünf Tagen. Stephans Körper würde schwächer werden, bis er sich in Staub auflöste. Einfach so, friedlich und doch nicht im Sinne eines Kriegers. Ohne seinen Partner an der Seite, doch mit Familie, das wusste er sicherlich. Bennet rang um seine Fassung, auch ihm stiegen die Tränen in die Augen.

Sie hatten lange Seite an Seite gekämpft, so viel miteinander durchgemacht. Er hatte Stephan nachgetrauert, als dieser sich entschloss, aus dem Kriegerstand auszutreten und war einer der Glücklichsten, als er wieder kam.

Nun ging er für immer, fünf Tage und er würde einen seiner besten Freunde, Weggefährten und Kameraden verlieren. Das Leben war nicht fair.



„Fahr mit Bennet heim ins Haus, ja? Du bleibst bei uns.“ Die zittrige Stimme von William ließ jeden um die Fassung kämpfen. Stephan nickte einfach, ließ sich auf die Beine helfen und zog Bennet in seine Arme.

„Wir kennen uns so lange, wir haben viel durchgemacht, nicht wahr?“ Ein Nicken bekam er zur Antwort. „Du hast Sergei verloren ...“

„Wir!“, unterbrach Bennet und wusste, wie sehr auch Stephan unter dessen Verlust gelitten hatte.

„Wir haben Sergei verloren und nun gehe ich. Aber du schaffst das, ganz lange, okay?“

„Klar, sicher doch.“ Dass selbst der sonst so ausgeglichene Bennet mit den Tränen zu kämpfen hatte, sah jeder, doch niemand sagte etwas. Wieso auch, sie kämpften alle.

„Stephan?“ William sah ihn fragend an.

„Ihm geht es gut, müsste schon daheim sein. Er war gerade im Keller und hat sich im Kühlhaus verbarrikadiert“, antwortete dieser milde lächelnd und wohl erkennend, was der Anführer wissen wollte.

„Danke!“

Damit verschwanden Bennet und sein Freund zum Auto. Die anderen würden schon nachhause kommen, inklusiv seinem Partner. Bennet blickte zurück und sah direkt in die grünen Augen von Acey, der ihm ein Lächeln schenkte und dann mit William an die Beseitigung der Leichen ging.



„Wer waren die anderen?“, fragte Bennet, als er mit Stephan das Haus betrat.

„Sie alle haben ihren Partner verloren, sie wären alle gestorben. Wir haben meine Waffenkammer geplündert und ich hoffte, dass ihr so schlau seid, in Deckung zu gehen.“

„Ich habe gar nicht nach den anderen gesehen.“

„Alle heil, soweit ich das beobachten konnte. Nur dich, William und Acey hatten wir nicht im Blick, doch ihr seid erfahren, ihr wisst, dass in Deckung gehen manchmal besser ist, als Angriff.“ Verstehend nickte Bennet und sog tief die Luft ein, um sie dann vor Schmerz schnell zu entlassen. „Haben wir dich doch erwischt?“

„Nein. Acey. Er hat sich auf mich geschmissen und mir wohl eine Rippe gebrochen, wenn ich es richtig einschätze.“

„Dein Partner hat es mit Schmerzen, was? Ich hätte gerne miterlebt, wie das mit euch endet.“

„Ich wünschte, du könntest es.“

Beide schwiegen und hingen ihren eigenen Gedanken nach, bis Quinn, Sam und Sarah zu ihnen kamen.

„Was ist passiert? Ich habe keinen Sichtkontakt mehr gehabt und euer Funk scheint ausgefallen zu sein“, sprach Quinn und sah beide Krieger fragend an.

„Die anderen machen sauber, kommen aber bald“, beantwortete Bennet die Frage.

Sarah ging zu Stephan, zog ihn wortlos in ihre Arme und presste ihn an sich. Eine Geste, die dem Krieger scheinbar willkommen war, denn er ließ sie erst zehn Minuten später wieder los. „Danke“, hauchte er ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Bleibst du bei uns? Ich würde mich freuen.“

„Ich mich auch, wenn ihr mir die Ehre gebt. Ich mag nicht allein sein.“

„Du bist immer willkommen, warst du schon immer“, nickte Quinn und sie gingen in die Küche.

Warmer Kakao für die Nerven, wie Sarah meinte, stand kurz darauf vor jedem. Sam stand am Fenster, hatte die Tasse umschlossen und sah raus. „Alles klar?“, erkundigte sich Bennet.

„Ja sicher, es war nur erschreckend. Wie lange brauchen sie zum Aufräumen?“



Eine Stunde später waren alle wieder vollzählig im Haus, fanden sich mit einer Tasse Kakao in der Küche wieder und sahen sich an. Acey war neben Bennet getreten, holte sich Energie, die ihm sichtlich fehlte.

„Ich bitte euch um etwas“, durchbrach Stephan das eingetretene Schweigen. „Lasst uns so tun, als sei nichts. Einfach eine schöne Zeit haben. Ich möchte, solange wie es geht, mit auf Streife gehen.“ Alle nickten, schluckten den Kloß in ihren Kehlen hinab und gaben ihr stilles Versprechen, dass es so sein sollte. „William, wie wäre es mit neuen Kriegern? Du brauchst Ersatz.“

Der Angesprochene zuckte zusammen, als sei er geschlagen worden, nickte allerdings dann. „Stimmt, darum kümmern wir uns morgen. Oder Quinn, kannst du Nachrichten rausschicken?“

„Ich werde alles in die Wege leiten.“

„Gut, dann werden wir uns mal hinlegen. Bryce hat um 12 Uhr Dienst, schaffst du das?“ Abermals nickte Quinn nur und alle verschwanden auf ihre Zimmer.



Bennet lag allein da, seine Rippen schmerzten und sein Herz blutete. Fünf Tage waren keine lange Zeit, um sich würdig zu verabschieden, um alles zu sagen, was gesagt werden musste. Er wollte seinen Freund nicht verlieren und vor allem nicht zusehen, wie der sich einfach in Asche auflöste. Das hatte Stephan nicht verdient und in seinem Inneren hoffte er wirklich, dass ihm ein Tod im Kampf vergönnt war.



***



Wie lange sich Acey im Bett gequält hatte, konnte er nicht sagen, doch irgendwann war er doch eingeschlafen. Es war ein Uhr mittags und irgendwer klingelte gerade Sturm im Haus. Müde erhob er sich und zog sich eine Hose über, bevor er die Treppen hinabging. „Schlaft ruhig, ich mach schon auf“, grummelte er in seinen nicht vorhandenen Bart und öffnete die Tür.

Diese hätte er am liebsten wieder zugeschlagen, bei dem Anblick, welcher sich ihm bot. Ein Bär von einem Mann nahm den ganzen Türrahmen ein, überragte Acey mit gut zehn Zentimetern und sah gefährlich aus. Eine Narbe zog sich über seine linke Wange und seine schwarzen Haare waren ein Kontrast zu seinen Augen, die jedes eine andere Farbe ihr Eigen nannten. Eins grün und eins Blau, sahen sie grimmig auf ihn hinab. Als sich der Koloss in Bewegung setzte, spannte sich in Acey jeglicher Muskel an.

„Was wollen Sie?“

„Durch“, brummte der Hüne und drückte den durchtrainierten Krieger einfach zur Seite.

Acey wäre nicht er selbst, wenn er sich solch ein Verhalten bieten lassen hätte. Von hinten stürzte er sich auf den Mann, legte einen Arm um dessen Hals und drückte zu.

„Hier kann man nicht einfach reinkommen!“, grollte er und presste seinen Arm noch mehr gegen den Hals des Eindringlings.

Der hatte nicht vor, sich das bieten zu lassen, das musste Acey schmerzhaft erfahren. Ein Ruck ging durch seinen Körper, als er seinen Aufprall auf den Boden bemerkte und ihm die Luft aus den Lungen gepresst wurde. Kurz sah Acey Sterne und meinte geradewegs den Erstickungstod erleiden zu müssen, als er Bennet vernahm.

„Lass ihn leben, ich brauch ihn noch!“, hörbar klang die Stimme amüsiert, was Acey grummeln ließ.

„Stephan?“

„Er schläft noch, es war eine anstrengende Nacht. Kaffee?“

„Ja! Und er?“ Der Blick des Mannes war abwertend, was Acey fast die Galle hochkommen ließ, aber da war schon Bennet bei ihm und dessen Anwesenheit beruhigte enorm.

„Das ist Dante, Stephans Cousin. Mit ihm redet man nur, wenn es sein muss“, flüsterte Bennet und half seinem Partner auf.

Der sah ihn schief an. „Und das sollte ich woher wissen? Er geht hier einfach ins Haus und versucht mich umzubringen!“

„Du hast mich angegriffen, nun steh auf!“ Dante hielt ihm eine Hand hin, die Acey annahm und sich auf die Beine ziehen ließ. Der Hüne war nicht nur riesig, sondern auch grob, was bei Acey das Gefühl hinterließ, dass ihm der Arm fast ausgerissen wurde. Bennet legte einen Arm um ihn, was den Schmerz sofort stillte. Ein schlechtes Gewissen machte sich in Acey breit, als er an die gebrochene Rippe dachte. Automatisch wanderte seine Hand zu der verletzten Seite, um die Heilung zu beschleunigen. Dabei versank er förmlich in den braunen Augen seines Gegenübers und sehnte sich nach mehr.

„Dein Arsch?“, ertönte die tiefe Stimme von Dante und schlug dabei auf Aceys Hintern und sah zu Bennet.

Der Geschlagene ächzte und der Angesprochene grinste. „Er ist mein Partner und ich bitte dich, die Finger von ihm zu lassen. Du weißt, dass das mit uns beiden nur schief geht.“

Dante senkte den Blick und nickte, was Acey interessiert schauen ließ. „Guter Kämpfer!“, kommentierte Dante jedoch nur und setzte sich in die Küche.

„Du hast ihn aufs Kreuz gelegt?“

„Mehr als einmal. Dante ist stark, aber er ist kein Krieger, das bemerkt man dann schon. Doch unterschätze ihn nicht, seine Stärke hat schon manchen in die Knie gezwungen.“

„Er redet nicht viel?!“

„Nein, noch nie und er wird auch nicht gerne dazu animiert, somit lass ihn einfach. Wenn er was will, wird Dante es mitteilen. Es gibt eine Sache, die uns verbindet und das ist Stephan, weshalb er hier ist. Sie sind Cousins, aber wie Brüder aufgewachsen.“



Stephan, der Name ließ selbst Acey schwer Luft holen. Der Gedanke, dass bereits ein halber Tag vergangen war und somit nur noch weniger als vier übrig blieben, war kaum zu ertragen. Dabei kannte er ihn nicht einmal gut, doch William hatte ihm gestern über die enge Freundschaft zu Bennet berichtet, ebenso zu Sergei. Die Drei waren wohl eins der gefürchteten Gespanne des letzten Jahrhunderts gewesen.

Beste Freunde, Kameraden und Weggefährten, bis Stephan aus dem Kriegerstand ausstieg und Sergei ging. Starb, wie man es sehen wollte. Die tiefe Freundschaft bestand weiterhin, doch jeder lebte sein Leben.

Acey wurde in diesem Moment von etwas Ähnlichem wie Eifersucht überfallen. Er wollte auch so ein enges Verhältnis zu Bennet und wusste, es lag nur an ihm, warum das nicht der Fall war. Doch der Gedanke an die letzte Nacht, an die Frau, in die sich Bennet gestoßen hatte, ließ eine Mauer in ihm entstehen, die nicht so leicht zu überwinden war.



Gerade tranken sie ihren zweiten Kaffee, als Stephan in die Küche trat. Alle verstummten. Mittlerweile hatte sich das komplette Haus versammelt und nur er hatte gefehlt.

„Guten Tag“, grinste Stephan zwinkernd, bis er seinen Cousin sah.

Interessiert beobachtete Acey, was geschah. Schon fast besorgt sah er zu, wie Dante aufstand und seinen Cousin in die Arme schloss. Stephan ächzte und schlug ihm auf die Schulter. „Verdammt, irgendwann brichst du jemandem die Rippen, du Grobmotoriker.“ Damit entkam er der Umarmung und sah Dante in die Augen. „Wer hat dich hergeholt?“

„Will! Ist wahr, oder?“

„Ja, ich werde gehen und du willst bei mir sein?“

„Nein, kann ich nicht und du weißt das.“

„Allerdings. Aber schön, dass du dich sehen lässt. Hättest sonst Post bekommen. Sobald ich weg bin, gehört dir mein Club, mit einer Bedingung. Sam wird Geschäftsführer. Er kennt die Leute und den Laden am besten!“

Dante nickte und zog Stephan abermals in eine Umarmung, gegen die sich der andere nicht wehrte. „Ich bau es wieder auf, so wie du es gemacht hättest. Halt‘ es in Ehren!“

„Ich weiß. Sam?“ Der Angesprochene sah auf und schüttelte mit Tränen in den Augen den Kopf. „Du stehst ihm doch zur Seite, oder? Ich bitte dich.“

Er konnte nur nicken, während sein Gesicht an Williams Schulter verschwand. Acey seufzte, das war echt etwas viel, wenn jeder Tränen in den Augen hatte. Er musste hier raus, bevor er sich vollends anstecken ließ. Dass er Streife laufen musste, war ihm nur recht, doch im Inneren hätte er sich einen anderen Partner gewünscht.

Stephan grinste ihn an und nickte zur Tür, während er sich noch einen Kaffee in eine Thermotasse schüttete.



Dienst mit Stephan, ob das wirklich so eine gute Idee war, wusste er nicht. Zusammen ging es in die Stadt, wo sie an der Grenze zum Park Ausschau hielten. Es war erst Nachmittag und wie immer eher still, als dass es wirklich Ärger gab.

„Acey, bist ein guter Kerl, etwas kampflustig, ungestüm, teils arrogant, aber echt nicht verkehrt. Doch jetzt, wo wir unter uns sind und ich noch sprechen kann, muss ich dir was sagen.“

„Musst du?“ Acey sah Stephan abwertend an und das wusste er zu genau.

„Ja, muss ich und dagegen kannst du dich noch so sträuben. Bennet ist mein Freund, wenn nicht mehr. Wir sind Brüder im Geiste und ich will, dass es ihm gut geht. Das geht aber nur, wenn du deinen Hintern endlich bewegst und es zulässt. Ich will wissen, was dich daran hindert.“ Der Blick von Stephan war eindringlich, dass sich Acey unter diesem wand.

„Ich hab ihn gestern gesehen, mit dieser Frau im Shadow.“

„Oha, ich verstehe. Mich hat es auch gewundert, dass er dort hingegangen ist, ich meine … ihr seid ein Paar.“

„Nein, sind wir nicht und werden es wohl auch nie!“

Stephan runzelte die Stirn, aber schwieg. So gingen sie einfach nebeneinanderher und kontrollieren den angrenzenden Stadtpark. Es war sicherlich schon eine halbe Stunde vergangen, bis er das Wort an Acey richtete. „Dabei siehst du nicht so aus, als würde er dir egal sein. Im Gegenteil. Er hat dich verletzt und sicherlich ist seine Art, Druck abzulassen nicht gerade die feine, jedoch, was erwartest du? Du entziehst dich ihm, sagst ihm ins Gesicht, dass aus euch nie etwas werden wird und er soll trotzdem auf dich warten?“

„Ja, das sollte er, statt sich in irgendeiner dahergelaufenen Schlampe zu versenken. Wieso auch nicht? Heißt es nicht, man soll kämpfen, wenn einem etwas wichtig ist?“

„Sollte man tun, aber was man liebt, lässt man los, wenn es nicht festgehalten werden will. Dein Vater ist ein Arsch! Er hat dir falsche Werte eingeprügelt, an denen du nun arbeiten musst. Liebe, Verbundenheit und Zuneigung findet man nicht so oft im Leben und glaub mir, das Leben geht zu schnell vorbei. Lass ihn dir nicht madig machen, nur weil dein Vater nicht weiß, was es wert ist, geliebt zu werden.“

Acey nickte verstehend und dachte über die Worte nach, als er bemerkte, wie sich Stephan anspannte und plötzlich ein ohrenbetäubender Knall die Stille des Parks sprengte.



Kurz fühlte sich Acey wie am Mittag, als Dante ihn zu Boden geworfen hatte. Um Atem ringend lag er dort und öffnete benommen die Augen. Was Acey sah, ließ ihn das Blut in den Adern gefrieren. Stephan in einem Zweikampf mit einem Werwolf. In Wolfsgestalt hatte kein Krieger den Wesen viel entgegenzusetzen, doch Stephan hielt diesen gut in Schach. Er warf einen Blick über seine Schulter und sah Acey direkt in dessen grüne Augen. „Verschwinde!“

Doch er konnte sich nicht rühren, sah weiter auf die absurde Szene. Es war Nachmittag und doch hätte das Wesen sich nicht wandeln dürfen, erst zum Abend, wenn der Mond schien. Acey sah nach oben und entdeckte ihn, den verräterischen Helfer der Werwölfe, er strahlte am blauen Horizont.

Zwei Schreie ließen ihn zurücksehen und erzittern. Der Wolf hatte sich in Stephans Schulter verbissen, während dieser dem Wesen ein Messer in den Leib rammte. Das Vieh ließ von ihm ab und sackte in sich zusammen, während sein Körper wieder menschlich wurde. Stephan stand da, das Blut rann seinen Arm in einem wahren Strom hinab, als er sich umdrehte und auf Acey zuschwankte.

„Pass auf Bennet auf, auch auf die anderen, ja? Sag ihnen, dass ich sie nie vergessen werde!“ Mit diesen Worten brach er zusammen, sein Brustkorb hob und senkte sich ein letztes Mal und dann war es still.



Diese Stille hielt auch noch an, als Acey Stephan hochhob und ihn zum Auto brachte. Alles wie in Trance, da er den Toten sogar anschnallte und versprach, ihn zu den anderen zu bringen.

Der Wagen hielt vor dem Haus der Krieger, wo gerade Jannis und Bennet standen und die Ausrüstung in den Autos kontrollierten. Acey stieg aus, brachte keinen Ton über seine Lippen und ging ums Auto herum. Vorsichtig, als könnte er seinem Kameraden noch Schmerzen zufügen, schnallte er diesen ab und hob ihn hoch.

Jannis bemerkte ihn als Erstes und rannte sofort auf beide zu. „Was ist passiert?“

„Er hat mir das Leben gerettet, hat sein Leben für meins gegeben! Einfach so.“ Er sah nicht auf, nur auf Stephan. „Das hättest du nicht tun müssen. Nicht für mich!“

„Wie?“, fragte Bennet und wollte seinem Partner Stephan abnehmen, doch dieser ließ es nicht zu.

„Ein Werwolf. Der Mond scheint, er hatte keine Chance. Nur wegen mir.“ Mit diesen Worten trug er den Krieger ins Haus, an William vorbei, der sprachlos im Flur stand, an den verstummenden Bryce, Sam, Sean und Dante vorbei, denen die Farbe aus den Gesichtern gewichen war. „Das wollte ich nicht, ich konnte mich nur nicht rühren. Ich wäre schon noch verschwunden. Du hättest das nicht tun müssen!“, sprach er immer wieder auf den leblosen Körper in seinen Armen ein.

Er brachte ihn raus in den Garten, ein kleines Stückchen Grün, welches von den Kriegern gerne zum Grillen genutzt wurde, oder um Kampfübungen zu machen. Gerade befanden sich drei Acey unbekannte Männer dort. „Verschwindet!“, fuhr er diese an, die sofort ins Haus eilten. Langsam und vorsichtig legte er Stephan auf der Wiese ab. „Es tut mir leid, ich hoffe, du weißt das.“

„Er weiß es sicherlich. Sein größter Wunsch ist noch in Erfüllung gegangen, er durfte im Kampf sterben!“ Es war Jannis, der zu ihm trat und eine Hand auf Aceys Schulter niederließ.

„Ja, aber er ist für mich gestorben, nur weil ich nicht wachsam war.“

„Ein Fehler, den du nie wieder tun wirst. Lass ihn hier, der Wind wird ihn zu seiner Partnerin tragen!“, damit half Jannis ihm auf.

„Ich will hier bleiben, bitte.“

Nickend verstand der Jüngste des Hauses und ging kurz rein, um mit einer Flasche Whisky wieder herauszukommen. Ebenso traten Bennet, William und Dante dazu, die Stephan die letzte Ehre erwiesen und mit Jannis und Acey auf dessen Auflösung warteten.



Es dauerte Stunden, bis sich der Körper auflöste und mit der Luft emporstieg. Sie sahen Stephans Überresten nach, prosteten ihm zu und blieben weiter sitzen. Besahen sich die sternenklare Nacht und genossen das tröstende Gefühl der Wärme, welche der Whisky in ihnen auslöste.

„Mal sehen, ob die Anwärter noch da sind“, erhob sich William und sah zu Acey. „Danke, dass du das für Stephan getan hast!“

„Ich soll euch sagen, dass er euch niemals vergessen wird. Seine letzten Worte!“

„Wir ihn auch nicht“, lächelte der Anführer gezwungen, atmete tief durch und ging hinein.



Dante war ohne ein Wort gegangen, während Bennet rechts neben seinem Partner saß und Jannis links. „Anwärter?“, fragte Acey und sah zu Jannis.

„Ja, drei Stück, sie haben sich heute Mittag gemeldet. Quinn hat die Nacht noch Rundrufe gemacht. William findet schon den Richtigen, der euch zur Seite stehen kann.“

„Uns, Jannis, du gehörst jetzt auch dazu, Krieger!“ Es war ein zweifelhafter Versuch eines Lächelns, was Jannis jedoch reichte, um nickend zu verschwinden.

So blieb Acey nur noch sein Partner, mit dem er aber nicht sprechen mochte und doch seine Nähe brauchte. Zögerlich lehnte er sich gegen Bennet, atmete dessen Geruch ein und schloss die Augen. Er wollte nur ein wenig entspannen, keine Gedanken mehr wälzen, und vergessen.



***



Immer gleichmäßiger wurde Aceys Atem, was Bennet lächeln ließ. Sein Partner war eingeschlafen und es schien ihm das Beste, es dabei zu belassen. Ein Blick reichte, um Dante auf sich aufmerksam zu machen, der ihm half Acey nach oben zu bringen, ohne dass dieser erwachte.

„Ist kein Arsch, was?“

„Nicht wirklich. Lass ihm Zeit, auch er ändert sich noch.“

„Hm, kann sein. Ich verschwinde hier, brauch ein Bett und …“

Sarah trat auf beide zu, die gerade aus Stephans Zimmer kam. „Es ist gereinigt, frisch bezogen und alle Sachen sind raus. Wenn es dir genügt, würden wir uns freuen, wenn du hier bleibst!“

Dante nickte und begab sich sofort in das Zimmer. Bennet hingegen ging in die Zentrale, wo William mit den Anwärtern war. Sean saß bereits beim Anführer, wo er sich nun auch niederließ. „Geht’s ihm gut?“, erkundigte sich William leise, was Bennet lediglich mit einem Nicken beantwortete.

So konzentrierten sie sich auf die Anwärter für den Kriegerposten, der durch Stephans Weggang frei geworden war.



Immer wieder stellte einer Fragen, danach ging es zum Kampftraining und zum Schluss saßen nur noch zwei Anwärter vor ihnen. Einer war ausgeschieden, hatte sich die letzten Jahre lediglich auf die Zentrale konzentriert und beherrschte nun das Kämpfen nicht mehr.

„Martin und Philip, habt ihr uns noch was zu sagen, bevor wir unsere Entscheidung treffen?“

Philip nickte, der blonde Krieger mit den hellbraunen Augen atmete durch und saß zum ersten Mal still, seit er hier war. „Ich möchte nicht, dass es mir nachher falsch ausgelegt wird, weil ich es verschwiegen habe. Ich bin 349 Jahre alt und habe keinen Bund geschlossen. Das heißt, in einem Jahr ist mein Leben vorbei.“

Sean, Bennet und William sahen sich überrascht an, bisher war Philip ihr Favorit gewesen, doch diese Auskunft war hart und ließ die Entscheidung wanken. Bis Sam die Zentrale betrat, um ihnen neue Getränke zu bringen und einen Blick mit William zu tauschen. In diesem lag ein Versprechen für die Nacht, was jeder lesen konnte.
Martin verzog angewidert das Gesicht und drehte sich ab, was Bennet nicht verborgen blieb und ihn musterte. „Martin, du weißt, dass in diesem Haus mehr als ein Paar lebt, das aus Männern besteht?“ Der Angesprochene schluckte hart und schüttelte mit dem Kopf. „Hast du ein Problem damit? Wenn ja, gebe ich dir die Möglichkeit jetzt aufzustehen und zu gehen!“ Das tat Martin, ohne ein weiteres Wort verschwand er aus der Zentrale und dem Haus. Bennets Blick wanderte in dieser Zeit zu Philip und musterte ihn prüfend. „Was ist mit dir?“

„Ich sagte eben nicht unbeabsichtigt Partner. Ich habe mich immer von Frauen ferngehalten, ich kann mit dem weiblichen Geschlecht nichts anfangen!“ Philip grinste frech und lehnte sich zurück. „Ein Jahr ist wenig und doch würde ich mich freuen, dieses bei euch verbringen zu können.“
William sah zu Bennet, dann zu Sean, um anschließend zu nicken. „Wir uns auch. Du bist ein guter Krieger und wer weiß, was das Schicksal für dich auf Lager hat. Wann kannst du kommen?“

„Ich habe alles dabei!“

„Na dann, willkommen in unserem Haus. Fühl dich wohl!“
Philip sprang auf und hatte in diesem Moment etwas von einem Flummi, zumindest erinnerte Bennet dieses Verhalten an einen solchen. Obwohl Philip älter als sie alle war, sah er wesentlich jünger aus, hatte etwas von einem Surfer und einem Schuljungen, mit viel Unsinn im Kopf. Irgendetwas sagte ihm, dass sie mit diesem noch viel Spaß haben würden. Müde ließ er seine Schultern kreisen, die ein knackendes Geräusch von sich gaben.

„Auf in die Betten, ab morgen gilt der neue Plan!“, bestimmte William.



Alles war dunkel um ihn herum, das Einzige was er noch sah, war das Kleinkind vor sich, dessen Fänge regelrecht leuchteten. Er musste es tun, das wusste Bennet, ein weiteres Mal musste er ein Leben beenden, was gerade erst begonnen hatte. Langsam legten sich seine Hände um den Kopf und mit einem Ruck knackste es. Die Augen geschlossen bei der Tat, öffnete er sie wieder und sah in Aceys lebloses Gesicht.



„Wach auf, verdammt Bennet, was ist los? Bitte wach auf!“ Die Stimme klang so weit entfernt, er nahm sie nur durch Watte wahr. Bis Bennet einen Schlag auf seine rechte Wange spürte und hochschreckte. „Endlich, was ist denn los?“ Besorgt sah Acey ihn an und strich sanft über seinen Arm.

„Ich weiß nicht, ein Traum! Entschuldige … wieso bist du hier?“

Statt einer Antwort ging Acey zur Tür. „Alles okay, legt euch hin!“, sprach er nach draußen und schloss sie wieder. „Du hast das ganze Haus zusammen geschrien. Ein einfacher Alptraum war das nicht!“, bekam Bennet dann seine Antwort.

Überrascht sah dieser seinen Partner an und versuchte den Nebel in seinem Kopf zu lichten. „Das Baby, du, ich … es war ein blöder Traum!“

Nickend nahm Acey neben ihm Platz. „Sam hat mich vorgewarnt. Will träumt die letzte Zeit auch immer wieder davon.“

„Tut er? Es ist einfach ... es war nicht leicht.“ Irritiert nahm Bennet wahr, wie Acey aufstand und unter die Bettdecke kroch. Dann zog er ihn an sich.

„Es ist nie leicht und bei Kindern erst recht nicht. Doch es war das Beste.“

Bennet nickte nur, was hätte er auch sagen sollen? Er wollte nur genießen, diese Zuneigung, die ihm Acey zuteilwerden ließ. Von sich aus, ohne dass er ihn gebeten hatte. Ein atemberaubendes Gefühl, wie Bennet fand. Obwohl sie bereits ein Bett geteilt hatten, fühlte es sich anders an. Intensiver und genau richtig.



Er schloss die Augen und sog Aceys Duft ein. Die Energie strömte durch ihre Körper und kam einem Stromstoß gleich. Entspannend wie erregend empfand er es und ahnte, dass es Acey nicht anders ging, denn dieser rutschte nervös im Bett hin und her.

Plötzlich beugte er sich über Bennet und sah ihn mit seinen grünen Augen an. „Du wirst nie wieder in diesen Club gehen, um mit einer Frau Sex zu haben, ich finde das nicht gut!“

Überrascht sah Bennet ihn an. „Also nur noch mit Männern?“ Die Frage war schneller gestellt, als er nachgedacht hatte, doch die Antwort hätte er nicht erwartet.

„Auch nicht, wenn, dann nur mit mir!“ Acey schloss die Augen und lehnte seine Stirn an die von Bennet, der ihn weiter ansah.

„Mit dir? Aber du sagtest …“

„Und es tut mir leid, ehrlich. Ich … Bennet, ich muss mich damit erst zurechtfinden.“

„Du hast alle Zeit der Welt, keiner bestimmt irgendwas außer uns beiden. Mir reicht es auch, wenn du in meiner Nähe bist!“

„Mir aber nicht!“ Aceys Augen waren vor Entsetzen über die Worte seines Partners geweitet. „Ich will dich küssen, dich berühren, einfach das machen, wonach mir ist.“ Nervös rutschte er über Bennet, der scharf die Luft einzog. Das war nicht gut, gar nicht gut. Lust breitete sich in ihm aus, Sehnsucht und das Verlangen nach mehr dieser Berührungen. Wie ein sanfter Hauch spürte er Aceys Lippen auf seiner Haut, die ihn zusätzlich zum Glühen brachten. Willenlos lag er unter seinem Partner und genoss dessen Behandlung. Sanft fuhren die Hände über seine nackte Brust und hinterließen eine Hitze, die sofort in Bennets Unterleib schoss.

„Acey, das ist nicht gut, ich …“ Dieser hatte scheinbar nicht vor, ihn sprechen zu lassen, denn seine Lippen verschlossen die von Bennet. Ergeben erwiderte er den Kuss.

Die Zeit schien still zu stehen, einzig ihre Zuneigung und Berührungen nahmen sie noch wahr. Heißer Atem auf verschwitzter Haut. Sie rieben sich aneinander, heizten ihre Lust und ihre Begierde aneinander auf. „Acey, …“ Bennets Stimme klang atemlos, voll Verlangen nach Erlösung, was sein Partner scheinbar verstand. Acey stützte sich ab und fuhr mit der Hand zwischen sie beide. Fest umschloss er ihre Erektionen und sah Bennet tief in die Augen. Dieser versank in dem Grün seines Partners und gab sich dem nahenden Orgasmus hin.



Es kam einem Traum nahe, neben Acey aufzuwachen. Bennet lächelte unwillkürlich und verfluchte den Dienstplan, der ihn nun in die Zentrale rief. Doch selbst sein Dienst konnte ihm die Laune nicht verderben und das merkten seine Freunde direkt. William saß mit Bryce in der Küche, als er pfeifend eintrat.

Grinsend sahen sich die zwei Krieger am Tisch an und dann Bennet. „Gute Nacht gehabt?“

„Schlecht ist was anderes!“, zwinkerte er, füllte sich Kaffee in eine Kanne und ging in die Zentrale. Es wurde Zeit seinen Dienst anzutreten, denn wenn Bryce bereits oben war, hatte jemand seinen Dienst wohl ersatzweise übernommen.


Quinn kroch unter dem Computertisch herum und fluchte nicht gerade pfleglich. „Was machst du da?“ Bennet bemerkte selbst, wie gut gelaunt er klang und das ließ ihn noch breiter grinsen.

„Bryce rief mich, irgendetwas stimmt mit den Bildschirmen nicht, sie gehen nicht an und ich kann mir nicht vorstellen, dass alle auf einmal kaputt gehen!“ Grummelnd kam er unter dem Tisch hervor. „Ich finde aber keinen Fehler … Oje, wen hat denn da die Liebe erwischt?“, schmunzelte er und sah wieder kopfschüttelnd auf die Bildschirme.

Bennet runzelte die Stirn, bückte sich kurz und griff hinter den Rechner. Wie durch Zauberhand gingen die Bildschirme an und gaben die Sicht auf den Park sowie die Stadt frei.

„Wie hast du denn das jetzt hinbekommen?“

„Es gibt eine Stromleiste für die Bildschirme, und nachdem du das zu Beginn installiert hattest, bin ich auch ein paarmal gegen den Schalter gekommen, der die Leiste deaktiviert.“

„Wie doof, da überseh ich die einfachsten Sachen. Ich geh noch mal ins Bett.“

„Grüße an Jannis.“

Augenblicklich lief Quinn rot an, streckte dann Bennet die Zunge raus und verschwand. Der lachte und setzte sich an den Computer. Es war ruhig in der Stadt und der Umgebung, sodass er sich an die eingegangenen Mails begab.

Ein Klingeln und das dazugehörige Blinken auf einem der Bildschirme sagten einen Anruf an. Lächelnd nahm er den Anruf entgegen und sah einen fremden, wenn auch augenscheinlich reichen Mann.

„Guten Tag, mein Name ist Matteo Ledoux, ich bin Geschäftsmann und habe ein paar Probleme, die ich gerne von William MacDermont geklärt haben möchte.“

„So, möchten Sie also? Wir sind nicht für private Probleme zuständig, dafür gibt es Sicherheitsunternehmen“, versuchte Bennet denn Geschäftsmann abzuwimmeln, über den er sich nebenbei schon informiert hatte.

„Ich denke, das sollte MacDermont selbst entscheiden und in gewisser Hinsicht ist es nicht privat zu sehen.“ Matteo Ledoux wandte sein Gesicht ab und atmete tief durch. „Es wäre freundlich, wenn sich MacDermont bei mir einfinden könnte, bitte richten sie ihm das aus. Ich berufe mich auf Acey Romba!“

„Auf Acey? Wie soll ich das verstehen?“ Bennets kompletter Körper spannte sich an, er spürte ein unwohles Gefühl seine Wirbelsäule hinauf wandern.

„Ich denke nicht, dass ich Ihnen einen Grund nennen muss. Acey wird mich erklären und mein Anliegen vertreten. Ich erwarte, dass Sie das so weiter geben!“ Mit diesen Worten unterbrach der Geschäftsmann das Gespräch und ließ Bennet mit diesem Gefühl zurück, das er nicht mochte. Am liebsten wäre er sofort zu seinem Partner gegangen, doch sein Pflichtgefühl war zu groß und so saß er seinen Dienst ab, ohne William von dem Anruf zu berichten.



***



Wohlig räkelte sich Acey im Bett und bemerkte so sofort, dass er alleine war. Seufzend richtete er sich auf, streckte sich ausgiebig und grinste. Die Reste der Nacht klebten noch an seinem Körper und ließen die Erinnerungen wiederkehren. Nie hatte er sich das vorstellen können und doch fühlte er sich gut bei dem Gedanken, was gestern Nacht passiert war. Niemals in seinem Leben war es so intensiv, mit einem anderen intim zu werden, doch das mit Bennet war unbeschreiblich gewesen. Grinsend zog er sich etwas über, um dann in sein Zimmer zu huschen und mit frischen Sachen ins Bad zu verschwinden.



Der Tag schien geradezu perfekt, das erste Mal hier im Haus, musste er auf keinen warten, als er duschen wollte. Das Wasser war warm, und als er in die Küche kam, hatte Sarah bereits das Frühstück bereitet. Einziger Wermutstropfen war, dass Bennet Dienst hatte.

„Du grinst wie er vorhin. Na, eure Nacht war sicher ein Erfolg!“

„Das geht euch gar nichts an.“ Gespielt pikiert streckte Acey die Nase in die Luft, was William lachen ließ.

„Natürlich nicht, entschuldige. Hatte er gestern einen Alptraum?“

„Ja, den gleichen wie du. Das mit dem Baby scheint ihm ziemlich nahe zu gehen.“ Acey biss in eine Brötchenhälfte und nahm einen Schluck Kaffee.

„Du scheinst ihn aber beruhigt zu haben, das ist gut. Du wirst heute mit Jannis hier bleiben, ihr seid auf Abruf, ist das in Ordnung?“

Acey zog die Augenbrauen zusammen. „Traust du mir nicht mehr zu, auf Streife zu gehen?“

„Natürlich traue ich dir das zu, doch denke ich, es ist das Beste, erst einmal etwas Zeit verstreichen zu lassen. Acey, uns allen ist so etwas oder Ähnliches schon passiert und glaub mir, jeder braucht Zeit, es zu verarbeiten.“

Eingeschnappt schnaufte Acey abfällig und verschwand in die Zentrale. Er wollte zu Bennet und sich anlehnen, denn William hatte durchaus recht, was ihm bewusst war.



Konzentriert und mit in Falten gelegter Stirn saß Bennet vor den Bildschirmen, als Acey zu ihm kam und einen Kuss in dessen Nacken hauchte. Ein Lächeln machte sich auf seinen Lippen breit. „Guten Morgen, Langschläfer!“

„Guten Morgen. Hättest mich ruhig wecken können.“

„Du hattest endlich mal etwas Zeit zum Schlafen, da werde ich dich mit Sicherheit nicht wecken. Aber sag mal, kennst du einen Matteo Ledoux?“

Acey entwischte die gute Laune von einer Sekunde auf die andere. „Wieso?“

„Also ja, wie kommt der Kerl dazu, sich auf dich zu berufen?“ Bennet verschränkte die Arme vor seiner Brust und lehnte sich zurück.



Du bist mein Eigentum!“ Aceys Vater schrie diese Worte nicht und doch war es einbläuend, wozu sicherlich auch die Peitsche beitrug, die bei jedem Wort auf den Rücken seines Sohnes traf. „Gerade stehen, nicht nachgeben, die Muskulatur anspannen, die Augen offen. Man nimmt eine Strafe an, wie ein wahrer Mann.“ Alan hatte keine Gnade, nicht einmal bei seinem Sohn.

Mit wackligen Beinen stand Acey da und erwartete den nächsten Schlag, doch bereits bei „wahrer“ hörten sie auf. Zögerlich drehte er sich um und traute seinen Augen nicht.

Da stand sein Freund Matteo, hatte die Peitsche um sein Handgelenk gewickelt und seine grauen Augen fixierten den Mann vor sich. „Was glaubst du, wer du bist?“, schrie Alan und versuchte sein Strafinstrument zu befreien.

Wissen Sie, Mister Romba, was Sie hier tun, ist nicht in Ordnung und wie wenig, das werde ich Ihnen zeigen!“

Hart schluckte Acey und betete, dass Matteo es nicht tat. Doch dieser löste die Peitsche von seinem Handgelenk, hatte blitzschnell den Griff in seiner Hand und schlug zu. Dank dem fotografischen Gedächtnis und der dazugehörigen Gabe, sein Wissen auch umzusetzen, schnellte das Ende der Peitsche auf Alan zu.

Acey kniff die Augen zusammen und wusste, dass Matteo nicht nur ihrer Freundschaft ein Ende gesetzt hatte. Eilig drängte er sich zwischen seinen Vater und Freund und so traf ihn der Schlag auf der Brust.

Geschockt starrte Matteo ihn an. „Ac, was soll das?“

Matt, verschwinde und lass dich nie wieder hier sehen!“ Es brach ihm das Herz, so mit seinem besten Freund zu reden, doch es ging nicht anders, vielleicht durfte Acey dann überleben.

Das kann nicht dein Ernst sein. Komm mit zu mir, meine Eltern werden dich gerne aufnehmen. Bitte Ac, tu dir das nicht länger an.“

Ein Zittern durchfuhr seinen Körper, als er langsam mit dem Kopf schüttelte und seinen Freund vor die Tür setzte.

Die danach folgenden Schläge hatten ihn fast das Leben gekostet. Alan vergaß sich und peitschte seinem Sohn den Rücken bis aufs Fleisch auf.

Niemals hatte Acey Matteo das verziehen, oder sich selbst. Sie waren die besten Freunde gewesen, hatten die Grundausbildung zum Krieger zusammen durchlaufen, bis klar wurde, dass Matteo keiner war. Trotzdem hielt ihre Freundschaft, bis zu diesem einen Tag.



Acey schüttelte die Gedanken ab und in diesem Augenblick wurde ihm erst bewusst, wie viel sein Vater ihm genommen hatte. Nicht nur eine normale Kindheit, sondern auch Freunde.

„Acey, alles in Ordnung? Was ist los, wer ist der Kerl?“ Bennet war aufgestanden und an ihn heran getreten. Sanft strich dessen Hand über die Wange seines Partners. Im ersten Augenblick wollte Acey diese wegstoßen, doch konnte sich beherrschen. Er wusste, wie gut es tat und wollte dieses Gefühl gerade jetzt verspüren.

„Matt war mein Freund, bis er sich gegen meinen Vater gestellt hat. Er wollte mich beschützen und ich habe ihm dafür die Freundschaft gekündigt!“ Die Erinnerungen kosteten ihn Kraft, dankend lehnte er sich an Bennet, um die Reserven zu füllen.

„Er hat sich gegen deinen Vater gestellt? Für dich? Und wieso wart ihr Freunde und seid nun keine mehr?“

„Weil ich dafür fast gestorben wäre. Er wollte mich retten und ich musste leiden. Doof, oder? Wenn ich heute so drüber nachdenke … ich hätte ihm dankbar sein müssen.“

„Es scheint, als bekommt ihr eine zweite Chance, ist doch was. Er hat heute Morgen angerufen. Ein paar Probleme, die er von uns gelöst wissen will, er beruft sich auf dich.“

Acey löste sich. „Dann ist es ernst. Matteo würde sich nur auf mich berufen, wenn er sonst keinen Ausweg mehr weiß. Was hat Will gesagt?“ Die Antwort konnte er in Bennets Augen lesen. „Du hast noch nichts gesagt! Sag mal, bist du etwas eifersüchtig gewesen?“ Die zuvor angespannte Miene hellte sich auf.

„Eventuell, soll vorkommen. Ich rufe William und dann setzen wir uns mit deinem Freund auseinander!“

„Gut, und Ben? Ich habe mich bisher NIE für Männer interessiert. Du bist der Erste und Einzige.“ Sanft hauchte er seinem Partner einen Kuss auf die Lippen.



Nervös knetete Acey seine Finger, während Bennet die Verbindung zu Matteo Ledoux herstellte. William saß neben ihnen und betrachtete Unterlagen über den Geschäftsmann. Dieser war wie Acey 207 Jahre alt. Hatte nach einer Grundausbildung zum Krieger, das Geschäft seines Vaters übernommen. Er war ein magischer Händler. William mochte solche Geschäftsmänner nicht, sie verkauften an alle Wesen Dinge, die in falschen Händen durchaus gefährlich sein konnten. Tränke, bis über Pulver und Gegenstände. Das teilte er Acey mit, der ihn trotzdem bat, seinem ehemaligen Freund eine Chance zu geben.



Matteo erschien auf dem Bildschirm und sah überrascht, dass auch Acey anwesend war. „Hey Ac.“

„Hallo Matt, du berufst dich auf mich?“ So sehr er wollte, konnte Acey nicht so tun, als sei nichts gewesen, oder einfach darüber hinwegsehen.

„Ich weiß, dass dir das sicherlich nicht recht ist und doch. Der alten Zeiten willen bitte ich dich, für mich geradezustehen.“

„Natürlich, das bin ich dir durchaus schuldig, doch dürfte ich wissen, um was es geht, bevor ich meinen Kopf hinhalte?“

Matteo Ledoux schluckte hart, senkte kurz den Blick und atmete tief durch. „Ich handle mit magischen Sachen. Dadurch komme ich viel herum und mache mir nicht nur Freunde. Feen haben bei mir ein Pulver bestellt, das von den Hexen für Magie benutzt wird. Ich lehnte ab, es ihnen zu verkaufen, denn es ist nicht für Feenhände gedacht, doch die wollen es nicht akzeptieren und drohen mir nun. Gestern gab es einen Anschlag auf mich, beziehungsweise mein Auto, was ich verliehen hatte. Einer meiner Sicherheitsleute ist dabei ums Leben gekommen. Ich weiß nicht, was ich tun soll und ihr seid die Krieger.“

William rückte ins Sichtfeld und sah zu Acey. „Traust du ihm?“

„Er hat nie Unrechtes getan, ich wüsste nicht, wieso ich ihm nicht trauen sollte.“

„Gut, wir werden vorbei kommen. Morgen früh um zehn, ist das in Ordnung? Ich müsste mich bis dahin mit ein paar Leuten kurzgeschlossen haben und weiß dann mehr!“, erklärte William und wartete lediglich auf eine Zusage.

„Ich danke Ihnen, MacDermont. Es würde mich wirklich freuen, Sie hier begrüßen zu dürfen.“

William wandte sich ab und verließ die Zentrale. Matteo Ledoux legte die Stirn in Falten.

„Er informiert sich erst. Matt, er traut dir nicht, beziehungsweise keinem Händler. Ich hoffe, deine Weste ist so sauber, wie ich sie in Erinnerung habe.“ Acey dankte Bennet, der sich näher an ihn heran schob und versteckt seine Hand ergriffen hatte. Matteo wieder in die Augen zu sehen, nach fast 150 Jahren der Stille zwischen ihnen, ging nicht spurlos an ihm vorbei.

„Ist sie. Ich habe nie gegen Gesetze verstoßen. Jeder kann bei mir kaufen, was für seine Rasse gedacht ist. Doch ich handle nicht falsch. Die Heilungstränke der Hexen sind das Einzige, was alle Wesen bei mir erhalten, aber das wurde vom König abgesegnet.“

Bennet war es, der nickte. „Hab ich eben gelesen, das ist eine gute Sache. Frederik war ja auch dafür. Also, William wird morgen mit Bryce und Philip bei Ihnen eintreffen.“

„Sehr gut, danke. Würdest du auch …“

„Ich habe keinen Dienst, und wenn wir uns wiedersehen, sollte es auch außerhalb des Dienstes sein.“ Sprach Acey dazwischen und wand sich unter dem Blick seines ehemaligen Freundes.

„Du hast recht. Ich würde mich freuen, wenn du dich für ein Treffen mal melden würdest. Ich muss jetzt leider.“ Damit war die Unterhaltung unterbrochen.



Acey seufzte und lehnte sich an Bennet. „Sollte ich wirklich mit ihm reden?“

„Es wäre sicher nicht verkehrt. Ich würde es begrüßen, da ich denke, dass es dir helfen kann, mit deiner Vergangenheit abzuschließen und einen guten Freund zurückzubekommen.“

Bennet hatte ihn durchschaut und es fühlte sich gut an. Ohne nachzudenken, setzte sich Acey auf dessen Schoß und küsste ihn stürmisch. „Du bist ein toller Mann!“

„Acey, was wird das hier?“ Wie am Vorabend rieb er sich an Bennet, dem somit jegliches rationales Denken genommen wurde. Sie wollten einander, zerrten an ihren T-Shirts und ertasteten ihre Haut.



„Ähm, entschuldigt, … Bennet?“ Erschrocken fuhren Acey und Bennet auseinander und sahen zur Tür, wo Philip verlegen stand. „Ich soll dich ablösen.“

„Ähm, ja. Danke dir.“

Grinsend betrachtete sich das Paar und verschwand eiligst aus der Zentrale. Nur noch ein Gedanke beherrschte sie, einander zu berühren, verführen und sich hinzugeben. Sie schlichen auf ihr Zimmer, verschlossen die Türe hinter sich und rissen sich die Kleider vom Körper. Es zählte nur noch eins, endlich einander zu spüren, noch mehr als in der Nacht.



Bennet schnappte nach Aceys Lippen und drängte ihn zum Bett. Etwas in Acey schien ihm plötzlich jeden Zweifel zu nehmen. Das, was hier passierte, war richtig und da war er sich mehr als sicher. Automatisch spreizte er seine Beine und ließ Bennet dazwischen gleiten, der ihn überrascht und doch auch lächelnd ansah. Acey gab sich dem hin, was sein Partner ihm bot und das war nicht wenig. Zärtlich und intensiv erforschte dieser seinen Körper, bedeckte ihn mit Küssen und sanften Bissen. Eine Gänsehaut jagte die nächste, während sein Glied um Aufmerksamkeit bettelte. Noch nie in seinem Leben hatte er körperlichen Kontakt derart innig empfunden, hatte sich dem so hingeben können.

Ein Klacken, das den Raum erfüllte, kam für Acey überraschend, doch noch mehr der kalte, feuchte Druck an seinem Anus. Bevor er sich verspannen konnte, spürte er schon etwas in sich, das leichte Brennen ignorierend, gab er sich dem Gefühl hin, welches Bennets Finger in ihm auslösten. Immer schneller und tiefer wurden die Bewegungen in Acey, was ihn fast um den Verstand brachte. Als sich dann noch Bennets Lippen um seine Eichel legten, meinte er verrückt werden zu müssen.

„Ich will dich!“ Wer diese Worte gesprochen hatte, wussten sie nicht, es waren lustvolle Worte, die eindeutig aussagten, was beide wollten. Langsam, mit aller Zeit der Welt, schob sich Bennet höher, biss sachte in Aceys linke Brustwarze und küsste sie anschließend. Sie sahen einander tief in die Augen, während Bennet ihm die Beine anwinkelte und seinen Unterleib näher brachte.

Ihre Lippen trafen sich, Energie strömte durch ihre Körper, als würde ein Vulkan seine Lava entlassen. Sie stöhnten gemeinsam auf und gaben sich der Vereinigung hin.

Viel zu schnell, zu intensiv, zu leidenschaftlich stieß Bennet in Acey, der schon bald seinen Rücken durchdrückte, den Kopf überstreckte und sich seiner Erlösung hingab.



Zärtlich streichelten sie einander über die verschwitzten Körper, lächelten sich an und blickten sich tief in die Augen.



Acey lag es auf den Lippen, er wollte es Bennet sagen, seine Zuneigung in Worte fassen. Doch ehe er dazu kam, stand plötzlich Philip im Zimmer.

„Ledoux ist gerade entführt worden und die Feen scheinen im Bürokomplex zu wüten!“ Mit diesen Worten verschwand der Krieger und ließ das verblüfft dreinschauende Paar zurück.

Eilig sprangen sie aus dem Bett, zogen sich rasch an und rannten nach unten.

„Bennet, du fährst mit mir, Philip und Quinn. Acey, ab zu Sean, Jannis und Bryce. Wir werden vorne herum gehen und schauen was sich tut, und ihr sichert uns von hinten ab.“

Ein Nicken von jedem zeigte dem Anführer, dass alle verstanden hatten, und so machte er sich auf den Weg zu den Fahrzeugen.

Acey biss sich auf die Unterlippe und blickte sich kurz um, bevor er sich zu seinem Partner beugte, diesem einen Kuss auf die Lippen hauchte. „Ich liebe dich!“, grinste er verlegen und rannte zum Auto.

Er sah, wie Bryce lachte und dem verdutzt dreinschauenden Bennet auf die Schulter schlug, bevor er zu Acey ins Auto stieg. „Ging ja schnell, mein Freund!“

Schulterzuckend und mit Hitze in den Wangen wandte sich Acey ab. Zwischen ihm und Bennet, das war ein Bund fürs Leben, und wenn er sich auch nicht sicher war, wie die Zukunft aussah, so wusste er, dass es eine gemeinsame sein würde.


Im Zeichen des Schmetterings

Du wirst gehen und deinen Weg finden, Rikku. Zeig ihnen, was wir Finnen können!“ Voller Stolz legte Eero die Hand auf die Schulter seines besten Kriegers.

Ich danke dir, mein Freund, auch wenn ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Was, wenn sie rausfinden, dass mein Tattoo ...“

Du wirst es keinem zeigen und dann wird dir kein Gespött entgegen gebracht. Geh und schau, wo dich dein Weg hinführt.“

Eine brüderliche Umarmung später wandte sich Eero ab und verließ ihn.


Rikku kam sich verlassen vor, unter den Kriegern, dessen Sprache er kaum beherrschte. Wehmütig dachte er an Eero, den Mann, der sein Herz erobert hatte, ohne es zu wissen, doch waren sie nicht füreinander bestimmt.

Nächtelang hatte er von dem drahtigen Mann geträumt, wie er ihn verführte und sich ihm hingab. Doch es würde nie in Erfüllung gehen. Eero hatte eine Partnerin.


Eigentlich war es dem hellblonden Finnen recht, abberufen zu werden, ein neuer Kontinent hieß auch ein neues Leben und andere Leute. Vielleicht würde er da den Vitae essentia treffen, dessen Partner er war.

Dass Rikku ausgerechnet zu einer schweren Zeit geordert worden war, machte das Paket komplett, denn so war nachdenken keine Option. Er musste handeln und das gerecht und weise.


Drei Monate waren vergangen, der Winter hielt Einzug und der erste Schnee fiel vom Himmel. Rikku stand draußen im Wald eines Parks und genoss die Kristalle, die auf seiner Haut schmolzen. Das kühle Nass erinnerte ihn an Zuhause und das konnte er gut gebrauchen. Weihnachten stand bevor, lediglich noch drei Wochen zeigte der Kalender bis zu dem Fest, welches er am liebsten mochte. Der Wintermarkt hatte eröffnet und lockte mit Punsch und weihnachtlichen Gerüchen. Doch erst musste der Finne seinen Dienst absolvieren. Grummelnd machte er sich wieder auf den Weg den Wald zu durchkämmen, ob sich nicht doch einige Wesen unerlaubt darin aufhielten.

Es war ruhig geworden im Süden, seit die Werwölfe das Gebiet verlassen hatten und somit war es nicht verwunderlich, dass es wieder mal nichts zu tun gab.

Auch wenn das jeden erfreute, schienen alle Krieger nicht zufrieden gestellt, denn sie waren zum Warten verdammt.

Rikku grinste vor sich hin, während er über den nahegelegten Wintermarkt streifte. Überall roch es nach Zimt, allerlei Gewürzen und Tees, dass es ihm schwerfiel, nicht an jedem Stand zu halten. Mit einer Tüte Maronen in der Hand schlenderte er an den Verkaufshütten vorbei, die festlich geschmückt von weihnachtlicher Musik umgarnt wurden und dadurch anziehend wirkten. Für ein paar Stunden wollte Rikku alles vergessen. Das tote Baby, was er mit schwerem Herzen zu den anderen Wesen ins Feuer geschmissen hatte. Die westlichen Krieger, bei denen er lieber gewesen wäre. Das Haus des Anführers schien geradezu ein Magnet für eine Partnerschaft unter Männern zu sein, wie er erfahren hatte. Allein der Gedanke, dass er einer Frau zugeteilt wurde, ließ ihn erschaudern und doch, vielleicht war es auch das Beste. Er würde endgültig Eero vergessen und sich dem hingeben, was die meisten als Verbundenheitsliebe bezeichneten. Doch er hatte anderes gesehen, die Blicke zwischen Samuel und William waren eindeutig nicht der Verbundenheit allein zuzuordnen, denn da war mehr. Wahre Liebe, dafür hätte er seine Hand ins Feuer gelegt.


Langsam kroch die Kälte durch seine Knochen und Rikku begab sich zu einem der Stände, die warmen Punsch anboten.


***


Samu hatte eben noch gelangweilt hinter dem Stand seines Vaters auf Kundschaft gewartet und sich die Fingernägel gefeilt, als dieser Traum von einem Mann auf ihn zukam. Vor Schreck war ihm glatt die Nagelfeile aus der Hand gefallen, die er nun umständlich aufhob. Das musste er sein, der, von dem alle sprachen. Der neue Krieger aus Finnland. Samu versuchte nicht allzu sehr auf den über zwei Meter großen Mann zu starren und beschäftigte sich stattdessen mit dem Umfüllen des Punsches, der nun heiß genug für den Verkauf war. Einen prüfenden Blick im Topf später ärgerte er sich über seine viel zu rote Nase, als der blonde Hüne vor ihm stand.

„Einen Punsch mit Schuss bitte!“, ertönte die bassgeschwängerte Stimme.

Eilig nickte Samu, stellte schnell seine Handtasche zur Seite, die ihm im Weg stand und die er plötzlich als durchaus unmännlich empfand mit ihrer knallroten Farbe.

Gerade als er eine Glastasse gefüllt hatte und zu dem Krieger reichen wollte, bemerkte er seitlich etwas flimmern.

„Oh nein!“ Mit diesen Worten ließ er die heiße Tasse mit Punsch los und wedelte verzweifelt mit den Armen. „Hilfe, meine Tasche ... Hilfe mein Täschchen brennt!“, erklang seine schrille Stimme.

Wie ein aufgescheuchter Vogel ruderte er mit seinen Gliedmaßen herum und sah sich hilfesuchend um, während seine Handtasche langsam in der Hitze der Flammen schmolz.

Der Hüne sah an sich hinunter, hatte scheinbar den kompletten Punsch über bekommen, griff dann aber beherzt über die Theke des Standes und ließ die brennende Tasche in den Topf mit den Überresten des noch nicht umgefüllten Punsches fallen. Dann nahm er sich ein Tuch und wischte sich die rote Flüssigkeit von der Kleidung.

„Samu, das ist jetzt bitte nicht geschehen!“, seufzte sein Vater und sah ihn kopfschüttelnd an, bevor sein Blick zu dem Krieger wechselte. Dieser sah eisern in Samus Richtung, sodass er sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte.

„Es tut mir leid, war wirklich keine Absicht.“ Nervös nahm er sich ein Tuch und wischte auf der Theke herum, auf der sich ebenfalls noch Reste des Punsches befanden, auch wenn wohl mehr auf des Kriegers Hose gelandet war.

„Das will ich auch hoffen. Entschuldigen Sie, darf ich Ihnen einen neuen Punsch auf unsere Kosten anbieten?“

„Sehr gerne. Ich bin Rikku, der neue Befehlshaber!“

Samus Vater begradigte seinen Rücken und nahm die ausgestreckte Hand von Rikku an. „Es freut mich, Sie kennenzulernen. Entschuldigen Sie meinen Sohn, er ist ... wie er ist und das ist gewiss auch gut so, doch manchmal vergisst er zu denken!“

Schmollend drehte sich Samu weg, strich sich durch sein hellbraunes Haar und fluchte vor sich hin. Das war mehr als peinlich für den Vitae essentia.

„Schön, wenn er zu sich steht, tut nicht jeder. Und ein Missgeschick kann wohl jedem passieren.“

Verwundert drehte Samu sich um und blickte Rikku in dessen blaue Augen. Der Finne hatte doch nicht gerade unterschwellig durchscheinen lassen, dass er ... Doch hatte er, da war sich Samu sicher. Der Krieger war ebenso an Männern interessiert wie er selbst. Lächelnd zwinkerte er ihm zu und ging durch den Hinterausgang aus der Hütte, um den Punsch auszukippen. Seine Tasche war hin, eindeutig. Zu einem Klumpen verschmolzen und von dem roten Wärmespender durchnässt. Ebenso der Inhalt, wie Samu wehleidig feststellte. Wie sollte er den Tag ohne Lippenbalsam und einer Bürste überstehen?


„Ein wenig eitel, was?“

Erschrocken fuhr Samu herum und stand dicht vor Rikku, der ihn lächelnd ansah. Seine Augen verrieten ihn eindeutig, der Krieger war auf kein Gespräch aus, sondern auf ein Stelldichein. Kurz wägte Samu ab, doch öffnete ohne weiter nachzudenken den silbernen Gürtel seiner schwarzen Hose und drehte Rikku den Rücken zu. Die Hände an dem hüttenverkleideten Stand angelehnt, präsentierte er dem Krieger seine Kehrseite.

Ein wohliges Brummen erklang hinter ihm, als Samu auch schon beide Hände seines Hintermannes am Gesäß spürte, die ihn zart kneteten. Eine Gänsehaut überzog Samus Körper, ließen ihn leise aufseufzen.

Hatte er einen schnellen, lieblosen Akt erwartet, wurde er nun eines Besseren belehrt. Der Mann hinter ihm bereitete ihn gewissenhaft vor, knabberte und küsste zärtlich seinen Nacken, während sich dessen Finger in Samu bewegten. Ein Stöhnen zu unterdrücken, empfand er noch nie so schwer, ebenso darauf zu warten, bis sein Sexualpartner sich in ihm versenkte. Das Reißen der Kondompackung hallte in seinen Ohren, während Samu bemerkte, wie sich Rikku kurze Zeit später positionierte.

Sachte legten sich die großen Hände des Mannes hinter ihm auf seine Hüfte, hielten ihn und er drang langsam in ihn ein. Wie ein Stromschlag durchzuckte es Samu, der ruckartig zurückzuckte und sich somit selbst aufspießte. Sie stöhnten beide auf und ihre Körper erzitterten. Rikku schien ab dem Moment keine Zurückhaltung mehr zu kennen und versenkte sich Länge für Länge in den schmalen Körper vor ihm.

Samu wurde in einen Strudel aus Verlangen und Hingabe gesogen, der in einem Orgasmus endete, der ihm gänzlich neu war. Wohlige Wärme, ein Ziehen in der Brust, ließ ihn um Standhaftigkeit kämpfen. Rikku ergriff seine Hüfte und zog ihn mit dem Rücken an sich. Sein Atem fuhr über Samus Hals, dass es diesen erschaudern ließ und wohlig seufzen.

Es war zu schön, um wahr zu sein. Erst hatte sich Rikku auf ihn eingelassen, zärtlich genommen und nun hielt er ihn auch noch nach dem Sex? Das konnte einfach nur ein Traum sein, davon war er überzeugt. Auch wenn Samu jede Sekunde dieses Traumes genießen wollte.


Versonnen lächelnd ließ Samu den Pflegestift über seine Lippen gleiten. Bald würde Rikku kommen, wie jeden der letzten zwanzig Tage. Wieso der Krieger regelmäßig zu ihm kam, hatte nur einen Grund, davon war Samu überzeugt. Sie hatten Sex, wild, hemmungslos, zärtlich und erfüllend. In ihm war ein Zwiespalt der Gefühle. Rikku erreichte sein Herz, obwohl Samu das nicht wollte, denn er hatte ein Problem. Ein Geheimnis, was er an diesem Tag Rikku sagen musste. Es brach ihm fast das Herz, so sehr schmerzte der Gedanke, den Krieger bald nicht mehr in seiner Nähe zu haben. Dieser kam gerade über den Weihnachtsmarkt geschlendert, mit gebrannten Mandeln in der Hand sah er sich um. Samu genoss den Anblick des durchtrainierten Mannes, der seine Aufmerksamkeit alsbald auf ihn richtete.

Lächelnd fanden sich ihre Blicke, als Rikku sich plötzlich einem Schmuckstand zuwandte. Irritiert sah Samu ihm nach, versuchte zu sehen, was Rikku vorhatte, doch konnte nichts erkennen. Dann lenkte ihn ein Kunde ab, und als er das nächste Mal in die Richtung des Standes sah, stand Rikku auch schon bei ihm. Lächelnd hielt dieser ihm einen kleinen Kristall vor die Nase, der an einem Faden hing. „Für mich?“

„Ja, der leuchtet wie deine Augen, wenn wir ...“ Anstandshalber ließ er es unausgesprochen und zwinkerte.

Samu drehte sich um, als er seinen Vater recht dicht hinter sich stehend erblickte. Dieser nickte wortlos, was für ihn das Zeichen war, seine Pause nehmen zu können, die er seit zwanzig Tagen zusammen mit Rikku hinter der Hütte verbrachte. Doch heute würde Schluss sein, er musste ihn einweihen. Auf dem Weg nach hinten überlegte er sich noch, ob ein Abschluss Techtelmechtel in Ordnung wäre, doch sein Gewissen und Herz rieten ihm ab. Dass sich mit der Zeit selbst sein Herz eingeschaltet hatte, musste er akzeptieren, denn Rikku war alles, nur keine billige Affäre. Das erste Mal in seinem Leben fühlte sich Samu nicht als Bückstück, dem man nach dem Geschlechtsakt rüde auf den Hintern schlug und sich abwandte, weil Typen wie er nicht mehr wert waren. Die meisten Männer sahen ihn nach einem Mal nicht mehr an oder beachteten ihn einfach nicht mehr. Immer wieder hatte Samu diese Reaktionen tief getroffen, doch mit der Zeit lernte er, es außen vor zu lassen. Er bekam, was er wollte, Sex! Jedoch nie mehr, wenn auch nicht weniger, bis ... Ja bis Rikku in sein Leben trat. Der große, blonde Finne mit den strahlend blauen Augen, die tief in Samus Seele schauen konnten. So fühlte es sich für ihn zumindest an. Der Mann, der ihn sah, als das was er war, einer ihrer Rasse. Der nicht nur für einen schnellen Sexualakt gut war.


***


Rikku huschte hinter die Hütte und wartete auf Samu, der im Inneren den Weg nach hinten suchte. Nervös wippte Rikku von einem auf das andere Bein, sah empor zum Himmel, wo kleine weiße Kristalle nach unten fielen. Morgen war Weihnachten und er wollte Samu fragen, ob dieser eventuell Interesse hatte, diesen Tag mit ihm zu verbringen. Es war ein gewagtes Vorhaben für ihn und doch hoffte Rikku, dass Samu der Idee positiv gegenüberstehen würde. Einen ganzen Tag mit dem braunhaarigen Engel, dessen grüne Augen ihn so faszinierten. 20 Tage, er hatte jeden davon genossen, auch wenn sie nur Sex miteinander hatten. Doch wenn das die Möglichkeit war, dem jungen Vitae essentia gegenüberzustehen, so wollte er es nutzen. Hatte er noch bei Eero gedacht, er hätte tiefe Gefühle zu diesem, musste er das nun widerrufen. Samu hatte sein Herz in dem Moment erobert, als er ihm den Punsch übergeschüttet hatte. Rikku lachte bei der Erinnerung.

Eigentlich hätte er den recht femininen Mann nicht einmal beachtet, weil diese Art von Männern gar nicht in sein Beuteschema passten, doch Samu hatte es geschafft, ihn von sich zu überzeugen. Der Mann stand zu sich, seiner Neigung und seinem recht außergewöhnlichen Kleidungsstil. Enge Hosen, in Farben, die Rikku nicht mal zu benennen wusste. Oberteile, die diese Bezeichnung manchmal nicht verdienten, so körperbetont und kurz, wie sie waren. Dann die Handtasche, immer aus einem Lack überzogenen Lederimitat und passend zu den Schuhen. Und doch war Samu ein Mann, ein echter und natürlicher noch dazu, auch wenn das sicher einige anders sahen, doch das war Rikku egal. Er hatte sich verliebt! Eindeutig, unwiderruflich, es war Fakt, da war er sich mehr als sicher.


Lächelnd trat Samu aus der Hütte, hatte in jeder Hand einen Punsch, wovon er einen direkt an Rikku reichte.

„Danke!“, lächelte dieser und lehnte sich weiter gegen einen Stapel von Kisten, die dort gelagert wurden.

„Gerne. Rikku, ich muss mit dir reden!“ Samus Gesichtsausdruck ließ sein Gegenüber ahnen, dass es ernst wurde. „Ich, also ... Ich weiß nicht wann, oder wie, geschweige denn wo, aber ich habe ein Tattoo übertragen bekommen. Es muss jemand hier vom Markt sein und ich muss ihn oder sie finden. Somit denke ich, dass es besser ist, wenn wir unsere Treffen hiermit beenden.“ Es fiel Samu schwer. Um das zu wissen, brauchte Rikku lediglich dessen Stimme zu hören, die immer wieder leiser und dann lauter wurde. Unsicherheit und Missfallen klangen in ihr mit.

„Verstehe, also müssen wir deinen Partner finden, das wird sich machen lassen!“

Überrascht sah Samu auf und Rikku setzte ein Lächeln auf. Nur nichts anmerken lassen, war sein Motto. Verliebt hin oder her, nun hieß es, für Samu da zu sein und das würde er tun. Innerlich zerriss es ihm sein Herz, dabei wollte er sich heute den ersten Kuss abholen. Bis zu dem Tag hatten sich ihre Lippen noch nie berührt, lediglich andere Hautpartien aber nie einander. Wie sehr sehnte sich Rikku danach, doch es schien nie Wirklichkeit zu werden.

Ungläubig sah Samu ihn an, trat einen Schritt näher an Rikku, der ihn dann an sich zog. Er legte seinen Kopf an die breite Brust des Finnen und seufzte. „Du willst mir wirklich helfen?“

„Natürlich, vielleicht habe ich ja Glück und es ist eine Frau!“ Der Gedanke ließ Rikku schmunzeln, genau wie den Mann in seinen Armen.

„Dann darf ich zu dir flüchten?“

„Jederzeit, egal was ist, ich werde immer für dich da sein!“ Zärtlich umfingen die großen Hände das schmale Gesicht von Samu und lenkten dieses höher, damit sie sich in die Augen sehen konnten. Ein Blick reichte, um Samu bewusst zu machen, dass es Rikku ehrlich meinte. „Was für ein Tattoo hast du denn?“

„Nicht deins.“ So gleichgültig wie es klingen sollte, hörte es sich nicht an. Rikku runzelte die Stirn und fragte sich, ob er richtig verstanden hatte. Eilig verdrängte er jeden Gedanken daran, schob stattdessen Samu leicht von sich.

„Dann lass uns deinen Partner suchen.“

Samu nickte, sein Kehlkopf zwang sich, einer Schluckbewegung nachzukommen, was Rikku allein beim Anblick schmerzte. Es schien dem Mann vor ihm genau so wenig wie ihm selbst zu gefallen. Doch es gab keine Möglichkeit, auch wenn er gerne gesagt hätte, sie mussten diese Person nicht finden, wusste er genau, dass es nicht die Wahrheit war. Ohne seinen Partner wäre Samu zum Tode verurteilt und das wollte Rikku auf keinen Fall. Tief durchatmend ging Rikku wieder nach vorne, während Samu in der Hütte verschwand.

Eins schwor sich Rikku, er würde Samus Partner durchleuchten und sehen, ob dieser in Ordnung war. Wenn nicht, würde er ihn oder sie ins Gefängnis werfen. Es war eine Trotzreaktion, das war ihm durchaus bewusst und doch kam er nicht dagegen an. Was gönnte ihm sein Schicksal eigentlich? Nichts. Weder Eero noch Samu.

Deprimiert trat er einen Stein weg, der im Weg lag, und atmete tief durch, als er auch schon an der Theke ankam, wo Samu bereits stand.


Sein Lächeln erblickte Rikku sofort und hätte am liebsten kehrt gemacht und den Stein gesucht. Das Lächeln sollte nur ihm gelten, doch bald würde Samu seinen Partner kennenlernen und irgendetwas sagte ihm, dass seine Zeit dann abgelaufen war.

„Du schaust wie sieben Tage Regenwetter!“ Gläser polierend trat Samus Vater zu ihm.

„Ich denke nach. Ihr Sohn hat mir gerade gesagt, dass er ein Tattoo empfangen hat.“

„Ist mir bekannt und?“

Rikku seufzte. „Ich habe versprochen ihm zu helfen, seinen Partner zu finden.“

„Ich heiße Steve“, reichte Samus Vater ihm die Hand, die Rikku sogleich ergriff. „Sag mal, du bist der einzige Krieger, der sein Tattoo nicht bekannt gegeben hat, woran liegt das?“

Überrascht weiteten sich seine Augen. „Man muss ja nicht alles zeigen, oder?“

„Wusstest du eigentlich, dass eine Bindung mit einem Partner, dem man nicht regelmäßig nahe ist, einen schwächer macht? Es muss schon eine recht intensive Nähe sein, damit man gute 24 Stunden, ohne einander kann!“

„Ist mir durchaus bewusst.“ Das wusste wohl jeder Vitae essentia, wurde ihnen das doch schon in jungen Jahren beigebracht.

„Es ist schon schwer, eine solche Nähe an einer Theke aufzubauen, meinst du nicht?“

„Sicherlich, wieso?“

„Wollte ich nur mal gesagt haben!“ Mit diesen Worten wandte sich Steve ab und bediente einen Kunden.

Irritiert schüttelte Rikku den Kopf und wandte sich ab. So nett, wie er Samus Vater fand, war dieser ab und an etwas merkwürdig. Sein Blick wanderte über die Kundschaft und versuchte jemanden zu erkennen, der eventuell mit Absicht an diesen Stand kam und einen Blick auf Samu geworfen hatte.

Dieser kam nach einer Stunde zu ihm und schüttelte mit dem Kopf. „Also ich habe heute keinen gesehen, der schon mal hier war. Und wenn es wahr ist, dass ein enger Kontakt zur Übertragung stattfinden muss, wüsste ich auch niemanden, der es sein könnte.“ Seufzend verschränkte er seine Hände auf der Theke und legte den Kopf darauf.

Rikku stockte, sah zu Steve, der still vor sich hin lachte und ihm zunickte. Das konnte nicht sein, das musste er einfach sehen. Das schien auch Samus Vater bewusst zu werden, denn dieser rief seinem Sohn etwas zu, der zwar den Kopf erhob, aber weiterhin seine Hände auf der Theke liegen ließ. Doch Samus Arme waren von dessen Jacke verdeckt. Grummelnd zog er plötzlich seine Jacke aus, hängte sie an einen Haken an der Wand und schob die Ärmel seines Pullovers nach oben.

Rikku stockte der Atem, denn jetzt sah er es. Kräftig, wie bei sich selbst, zeigte sich das schwarze Tattoo auf Samus Innenseite des Handgelenks. Ein tanzender Schmetterling! Erschrocken taumelte Rikku zurück, sein Herz versuchte die Rippen zu durchbrechen, seine Lungen verweigerten die Aufnahme von Sauerstoff. Er hatte seinen Partner gefunden und war dazu auch noch in ihn verliebt.


Flink nahm er seinen Geldbeutel, zog einen Schein heraus, warf diesen auf die Theke und wandte sich ab.

In seinem Kopf drehte sich alles, dass Rikku dringend Zeit zum Nachdenken brauchte, bevor er Samu einweihte. Ein Lächeln glitt über seine Lippen und er wäre am liebsten vor Freude laut schreiend herumgelaufen. Doch das war ihm dann doch zu viel des Guten.

Im Haus der Krieger sah er sich um und überlegte ernsthaft, was er nun machen sollte. Er war schwul, das wussten hier alle und zeigten sich nicht beeindruckt, interessiert oder gar abgeschreckt. Für sie machte es keinen Unterschied, auch wenn sonst keiner seine Neigung teilte. Doch er hatte keinen Gesprächspartner im Haus, der Einzige, mit dem er sich verstanden hatte, war Hunderte von Kilometern weit weg: Samuel, Williams Partner. Zielstrebig steuerte Rikku die Zentrale an.


Zwei Stunden später atmete er tief durch. Zwar hatte ihm Samuel nicht helfen können, doch stattdessen hatte sich Jannis eingemischt. Ein Vitae essentia, der bei den Wölfen groß geworden war. Ganz genau hatte es Rikku nicht verstanden, es war ihm im Moment auch egal.

Doch dessen Idee eines romantischen Outings hatte etwas. Allerdings kam ihm ein gebrochener Fuß dazwischen, den sich ein Krieger zugezogen hatte. Somit musste die Umsetzung warten und er mit auf Streife gehen.


***


Es war, als hätte jemand Samu ein Brett vor den Augen entfernt. Gerade war Rikku aus seinem Sichtfeld verschwunden, da drehte er sich zu seinem Vater und sah diesen mit großen Augen an.

„Na endlich, also ihr beide seid nicht gerade die Blitzmerker!“

„Aber ...“

Steve seufzte laut, trat auf seinen Sohn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Seit fast drei Wochen kennt ihr euch, seid intim und ebenso lange ist dir aufgefallen, dass du ein Tattoo hast. Von wem sollte es denn sonst sein? So nah, wie ihr euch gekommen seid ... Mehr geht nicht.“

Samu nickte verstehend und kurz erschien ein Lächeln auf seinen Lippen, doch dann ließ er den Kopf hängen. „Er will mich nicht!“, platzte es aus ihm heraus und eine Träne lief seine Wange hinab.

„Wie kommst du jetzt darauf?“

„Wieso sonst ist er einfach weggegangen?“

Abermals seufzte Steve. „Samu, vielleicht weil er damit nicht gerechnet hat? Geh zu ihm hin und redet, danach seht ihr weiter. Ihr gehört zusammen und das bekommt ihr auch irgendwie hin!“

„Ich bin ihm bestimmt zu unmännlich.“ Samu schien seinem Vater nicht einmal zuzuhören, stattdessen versank er in Selbstmitleid.


Eine Stunde später hatte er sich in Rage geredet, zog sauer seine Schürze aus und warf diese seinem Vater vor die Brust. „Ich gehe jetzt zu ihm. Das kann ja so nicht sein Ernst sein; erst mich flachlegen und dann den Schwanz einziehen, wo kommen wir denn da hin?“ Den pikierten Blick einer älteren Dame ignorierend, nahm er sich seine Handtasche und ging mit schwingenden Hüften los.


Doch am Haus angekommen, war Rikku nicht da. Wie man ihm sagte, war dieser auf Streife und ehe Samu etwas erwidern konnte, hatte ihm der fremde Krieger die Tür vor der Nase zugeschlagen. Da stand er nun vor der hölzernen Tür und überlegte, was er tun sollte. Warten?

Das tat Samu, seine Jacke eng um seinen Körper geschlungen lehnte er sich an die Hausmauer und wartete. Irgendwann ließ er sich an dieser herunterrutschen. Die Kälte vertrieb jegliche Wärme in Samus Körper, der alsbald zu zittern anfing. Kleine Kristalle landeten auf seinem Gesicht, als es zu schneien begann. Eilig zog er sich die Kapuze über, versteckte sein Gesicht an den Knien und harrte aus.


„Die Vampire sind aggressiv geworden, oder meine ich das nur?“, vernahm Samu gedämpft eine Stimme.

„William warnte mich schon, bei denen muss es noch schlimmer gewesen sein.“ Rikku klang frustriert. „Ich brauch eine Dusche und was Warmes zu trinken, ich hab das Gefühl erfrieren zu müssen.“

„So sieht der da auch aus. Hey du?“

So sehr es Samu wollte, er konnte sich nicht rühren, fühlte sich wie erstarrt, eingefroren und fürchtete sich vor jeder Bewegung, die sicherlich Schmerzen nach sich ziehen würde.

„Samu?“ Es war Rikku, der plötzlich vor ihm kniete und Samus Kinn nach oben bewegte. Wie erwartet schmerzte es und er keuchte auf. „Was machst du hier?“

„Zu ... dir ...“ Samus Stimme versagte und sein Körper wurde von einem heftigen Zittern erfasst.

„John, mach die Tür auf, ich muss ihn reinbringen!“

Samu spürte, wie ihn Rikku hochzog und auf den Arm nahm. Die beißende Wärme im Haus ließ ihn schmerzvoll stöhnen. Wie lange er gewartet hatte, konnte er nicht sagen.


Rikku machte sich an Samus Kleidung zu schaffen, um ihn dann unter die Dusche zu stellen. „Zu ... heiß!“, fluchte Samu.

„Nein, es ist angenehm, bleib stehen!“ Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging aus dem Bad.

Samu lehnte gegen die Fliesen und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er hatte Rikku anschreien wollen, ihm seine Meinung geigen, doch nun stand er da und ließ sich von dem Mann seiner feuchten Träume umsorgen. Ein letztes Mal, schwor er sich, dann würde er ihn links liegen lassen. Lieber tot, als einen Mann an seiner Seite, der ihn scheinbar nicht wollte.

Langsam taute sein Körper wieder auf und schmerzte auch nicht mehr so arg. Da kam auch schon Rikku ins Bad und blickte am Vorhang vorbei, der Samu verbarg. „Wie geht es dir?“

„Besser!“

„Sehr gut, wenn du fertig bist, hier liegt Kleidung. Ein Glück haben wir auch schmale Krieger hier.“ Das Lächeln auf Rikkus Gesicht ließ Samus Herz flattern und er verfluchte den Krieger, der sich heimlich in dieses geschlichen hatte. „Erste Tür links ist mein Zimmer, ich warte auf dich und möchte gerne wissen, was das für eine Aktion war.“

Allein blieb Samu im Bad zurück. Das warme Wasser ergoss sich über seinen Körper, während er überlegte, was er Rikku sagen sollte.


Dieser saß auf seinem Bett, als er hereinkam, blickte lächelnd auf.

„Ich ... du bist so schnell weg und da dachte ich ... und dann wollte ich ... weil du doch nicht willst ... und weil ich dachte ... weil ich weiß ...“

Rikku blickte ihn verwirrt an. „Könntest du eventuell in vollen Sätzen sprechen? Ich verstehe nicht, was du meinst.“

„Als du bemerkt hast, dass ich und du, da bist du einfach abgehauen. Ich dachte eben, du willst mich nicht und das ist echt mies. Ich meine, wir hatten drei Wochen lang Sex und dann lässt du mich einfach fallen, wie eine heiße Kartoffel, das habe ich nicht verdient, ehrlich nicht. Vielleicht bin ich nicht der männlichste Mann der Welt, aber sicherlich auch kein billiges Bückstück.“ Bei seiner Erklärung war Samu nervös auf und ab stolziert und bekam so den erst überraschten und dann lächelnden Ausdruck von Rikku nicht mit.

Dieser griff nach seiner Hand und zog ihn auf seinen Schoß, um Samu den Mund mit seinem zu verschließen. Hart drängten sich die Lippen aufeinander. Sie klammerten sich aneinander wie zwei Ertrinkende, "tranken" des anderen Atem, um den Kuss nicht unterbrechen zu müssen. Heißes Verlangen erfasste ihre Körper, die sich aneinander rieben und jeden Stoff als lästig empfanden. Eilig entledigten sie sich dieser Störfaktoren, als Rikku Samu in die Matratze drückte, küsste ihn sanft und blickte ihm tief in die Augen.

„Ich bin gegangen, weil ich es nicht glauben wollte. So viel Glück zu haben, hatte ich nicht erhofft. Seit drei Wochen gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Mein Herz überschlägt sich fast, wenn ich dich sehe und ich will dich immerzu berühren.“

Samu sah Rikku ungläubig an, langsam verarbeitete sein Verstand das Gehörte und er schnappte nach Luft. „Du bist nicht gegangen, weil du mich nicht willst?“

„Nein!“ Langsam schob sich Rikku über ihn und sank zwischen die sich öffnenden Schenkel. „Ich will dich! Am Tag vor drei Wochen, wie jeden Tag in den drei Wochen, heute und auch morgen und unser restliches gemeinsames Leben.“

Samu bemerkte den Druck gegen seinen Schließmuskel, der sich willig dehnen ließ. Langsam und vorsichtig glitt Rikku in ihn. „Das ist kein dummer Witz, um mich noch mal rum zu kriegen, oder weil wir eben verbunden sind?“ Die Frage kam mehr gestöhnt, als gesprochen, denn der Krieger bewegte sich schon in ihm und traf zielsicher die Prostata, die Samus Verstand Einhalt gebot.

„Kein Witz, kein Spiel, wahre Gefühle für einen bezaubernden Mann!“


Es war eine Vereinigung von Körper und Seele. Zärtlich erforschten sie einander und Rikku nahm sich einen weiteren Kuss, der Samus Körper auflodern ließ. Nie hatten sie einander geküsst, doch einmal voneinander gekostet, wollten sie nicht mehr aufhören.

Die überschüssige Energie ließ die Luft knistern, während sie sich immer wieder einander hingaben und sich der Liebe versicherten, die sie füreinander empfanden.

 

Im Zeichen der Schlange

Genießt Euer Leben, es kann so kurz sein, wie es lang ist!“ Mit diesen Worten rückte die junge Seherin von Philip ab und gab den Blick auf sein Tattoo frei. Eine Schlange hatte sich auf seinem Handgelenk niedergelassen und sah ihm drohend entgegen, während ihre Zunge die Luft durchschnitt.

Dass er ein Krieger sein würde, war ihm lange bewusst gewesen, ebenso dass sein Rang nicht dem höchsten nahekam. Doch die Schlange verwunderte ihn dennoch. Sollte ein Tattoo die Eigenschaften des Besitzers widerspiegeln.

Ihr seid gerissen, wisst Euch zu verstecken. Seid lautlos und gefährlich. Man unterschätzt Euch, weil man Euch nicht sieht, jedoch wenn Ihr zubeißt, ist es tödlich!“ Die blonde Frau zwinkerte ihm zu und schüttete eine bräunliche Flüssigkeit über sein Handgelenk.

Der Schmerz ging in Philips Gedanken unter. War er so, wie das Tattoo ihn auswies?


300 Jahre später zweifelte er an allem und wusste doch, dass die Weissagung richtig lag. Er lebte noch immer, trotz unzähliger Schlachten, Verletzungen und Niederlagen. Doch nun war sein letztes Jahr gekommen, denn ein Partner war nicht in Sicht. Eine Schmach, wie er fand, denn zu seinem Glück durfte er nicht im Kampf sterben, sondern würde mit dem Wind hinfort getragen.


Das durfte einfach nicht wahr sein, langsam zweifelte Philip an seinem Verstand. Zum zweiten Mal hatte er nun Bennet und seinen Partner Acey erwischt. Für einen alleinstehenden Mann nicht gerade leicht zu verkraften. Auch wenn er jedem sein Glück gönnte, wünschte sich Philip nichts mehr, als ebenso jemanden an seiner Seite zu haben, der ihm Halt gab. Doch für ein Jahr ... wen sollte er damit belasten? Es gab keinen Mann, der sich darauf einließ. Seine Gedanken schweiften ab, während er ins Auto stieg. Ein Geschäftsmann wurde von Feen angegriffen.

So lustig sich das anhörte, diese kleinen lieblich aussehenden Geschöpfe waren genauso gefährlich wie Vampire und Werwölfe. Ihre Foltermethoden waren legendär und tödlich zugleich. Selten war ein Gefangener lebend davongekommen und wenn doch, dann nicht als der, der er mal gewesen war.

„Wir sind gleich da.“ Durchbrach Quinn Philips Gedanken, der sofort wieder bei Sinnen war. Es war nicht die Zeit zum Nachdenken, er musste sich konzentrieren und hellwach sein.


Hunderte von den feingliedrigen Geschöpfen flogen um das Bürogebäude, attackierten dies mit brennenden Geschossen. So klein diese waren, umso größer war der Schaden, der durch sie entstand. Wie abgesprochen gingen Bennet, Quinn und Philip hinter den Gebäudekomplex und sicherten alles ab.

Immer wieder wurden sie von den Feen angegriffen, die mit stecknadelgroßen Messern auf sie einstachen. Mit Mühe konnten die Krieger ihre Gesichter schützen, versuchten die kleinen Geschöpfe zu vertreiben.

Philips Gedanken fuhren auf Hochtouren, vor einhundert Jahren war er schon einmal mit den Feen konfrontiert worden. Damals hatten sie diese mit Fackeln in die Flucht geschlagen, oder mit Netzen gefangen, doch dergleichen war heute nicht mehr in der Ausrüstung, jedoch gab es anderes, er tastete seine Kleidung ab.

„Was denkst du Phil?“, ertönte die Stimme von Bennet, der zielsicher eine Fee zu Boden schlug.

„Feuer, Netze, wir brauchen etwas von früher!“ Suchend tastete er weiter, als plötzlich ein Schrei an ihre Ohren drang.


Es sah zu absurd aus, wie Hunderte von Feen an einem Mann zerrten und ihn somit in die Luft hoben. „Das ist Matteo!“, rief Bennet und rannte los. Quinn gab per Funk Bescheid, dass sie sich vom Gebäude entfernten, während Philip ebenso auf den sich wehrenden Mann zurannte, der mittlerweile zwei Meter über dem Boden schwebte. Sie fassten ihn an dessen Fußgelenken und zogen ihn hinunter. Büschelweise rissen die Feen Matteo dessen Locken aus, was er mit einem Schrei nach dem anderen kommentierte.

Philip unterdrückte ein Lachen, es war mehr als unangebracht und trotzdem konnte er ein Zucken seiner Mundwinkel nicht verhindern. Der Geschäftsmann im feinen Anzug, sicherlich maßgeschneidert, zappelte und schrie wie ein Kleinkind, was seinen Willen nicht bekam.

Eventuell auch ein unpassender Gedanke und doch konnte er nicht anders. Zwei Handgriffe später hatte er das Gesuchte. Eine schmale Spraydose, welches sein Deo beherbergte und ein Feuerzeug. Der Seitenblick von Bennet entging ihm nicht, was er allerdings nur mit einem Schulterzucken beantwortete. Es war eben eine kleine Macke, dass Philip immer sein Deo bei sich trug, doch nun war es hilfreich. Bei jedem Sprühen entzündete er das Feuerzeug. Die Feen ließen von Matteo ab, flatterten wild durcheinander. Während Bennet den Geschäftsmann außer Reichweite brachte, machte Philip das, was er schon in früheren Zeiten gern getan hatte. Abflammen, gnadenlos und mit einem Lächeln im Gesicht. Es erinnerte ihn an die gute alte Zeit, in der er sich noch keine Gedanken um einen Partner und den Tod machen musste.

Langsam rieselten die ehemaligen Feen in Form von Asche zu Boden.

Asche, wie es ihm bald ergehen würde. Langsam sanken Philips Arme und er ließ Hunderte von Feen die Chance zu verschwinden. Seine Augen folgten der Asche, die teils zu Boden fiel und der Rest mit dem Wind davon getragen wurde. Nicht mehr lange und es würde ihm genau so ergehen. Wehmut packte Philip. Jetzt gab es nur noch einen Ort, wo er hinwollte.


Philip ging an William und den anderen mit hängendem Kopf vorbei, ohne sie weiter zu beachten. Warf seine Kampfausrüstung in den Wagen und verschwand zu Fuß die Straße entlang. Die besorgten Blicke bekam er nicht mehr mit, wollte nur noch weg. Wie lange er wirklich unterwegs war, konnte er nicht sagen, doch es dämmerte bereits, als er bei Dante im Club ankam. Ungefragt half er den Möbelpackern, die neuen Stühle ins Innere zu bringen. Dass Sam mit William auftauchte, bemerkte er nicht, räumte stur den Lieferwagen aus, bis dieser leer geschlossen wurde und Philip tief durchatmend im Club stand.

„Einen Drink?“ Die Frage kam von Dante, der ihm ungefragt ein Glas mit brauner Flüssigkeit in die Hand drückte. „Du hast noch Zeit, es ist noch nicht so weit.“

„Sechs Monate, das sind lediglich 182 Tage oder 4368 Stunden.“

„Und doch werde ich mein Bestes geben, damit du deinen Partner findest und wenn ich hier jeden Tag eine Dating-Party mache, versprochen!“

Grüne Augen trafen ein grünes und ein blaues. Dante war, seit er hergekommen war, ein Gesprächspartner für Philip geworden, den er nicht missen wollte. Wenige Tage kannten sie sich und doch kam es beiden wie ein Leben vor. Sie hatten jeder die 300 Jahre bereits hinter sich gelassen, wenn auch der Schrank von einem Mann mit den zweifarbigen Augen 40 Jahre weniger auf dieser Welt wandelte. „Du könntest dich dann auch umsehen“, schmunzelte der blonde Krieger, der weit jünger aussah als seine Kameraden.

„Wäre eine Überlegung wert, doch erst musst du unter die Haube. Was ist passiert?“

Manches Mal war Philip überzeugt, dass sein neu gewonnener Freund Gedanken lesen konnte. „Ich habe die Feen abgefackelt, wie damals in der guten alten Zeit, doch dann sah ich den Staub im Wind und auf dem Boden. In wenigen Monaten bin ich auch nicht mehr als Staub im Wind.“


Eine Hand landete auf Philips Schulter und William sah ihn ernst an. „Gib die Hoffnung nicht auf.“ Dann wandte er sich Dante zu. „Du wirst gesprächiger, oder meine ich das nur?“ Der großgewachsene Mann zuckte lediglich mit den Schultern und verschwand hinter die Theke, was ihm einen irritierten Blick des Anführers bescherte.

„Wie meinst du das? Also, dass Dante gesprächiger wird? Er redet wie ein Wasserfall!“, zog Philip die Aufmerksamkeit auf sich.

„Wie ein Wasserfall, der trocken liegt, oder wie? Dante hat in den letzten Jahrhunderten nie einen längeren Satz gesprochen, der mehr als fünf Wörter hat.“ Obwohl William das durchaus ernst meinte, schien sein Krieger ihn nicht ernst zu nehmen, lachte lediglich und begab sich zu Dante, um zu helfen.

Trotzdem gingen ihm die Worte nicht aus dem Kopf und er erwischte sich mehr als einmal dabei, zu seinem Nebenmann zu sehen und sich zu fragen, ob William recht hatte.


***


Nicht reden, schweigen, sich nichts anmerken lassen und doch die Blicke auf sich zu spüren. Sein Körper kribbelte und die Nervosität beherrschte ihn. Die zweite Flasche Wodka fiel zu Boden und zersprang in tausende kleine Teilchen, während der Inhalt sich über die Fliesen verteilte. Ohne ein Wort, lediglich mit einem Lächeln auf den Lippen, half ihm Philip, alles sauber zu machen. Dante kam sich selten dämlicher vor als in diesem Moment. Während sein Mund nicht stillhalten konnte und in dessen Gegenwart jeden Gedanken aussprach, war seine sonst so sichere Art verschwunden. Er mutierte zum Tollpatsch, konnte nichts mehr richtig machen und so war schon mehr als ein Glas und eine Flasche zu Bruch gegangen.

„Mach dir nicht so viele Gedanken. Noch bin ich da und lass dich nicht so schnell allein!“ Philip zwinkerte ihm zu und lag das erste Mal daneben mit seiner Vermutung. Trotzdem nickte Dante lediglich und nahm die größeren Scherben auf. „Heute müssen noch die Spiegel angebracht, zudem die Sofas ausgepackt und alles dekoriert werden, danach muss ich unbedingt den Putztrupp anfordern und eventuell ...“ Zu schnell, Dante sprach einfach viel zu schnell, holte nur wenig Luft zwischen den Worten und war sich dessen nur allzu bewusst. Jedoch in Philips Gegenwart ... wie sehr wünschte er sich, das Tattoo des Kriegers tragen zu dürfen, die sanfte Haut zu spüren und ihn zu berühren. Sehnsucht durchdrang seinen Körper, die er so noch nie empfunden hatte. Stephan hatte ihn mal als asexuell betitelt, da er sich weder für Frauen noch für Männer interessierte. Natürlich stimmte das so nicht, Dante hatte seine Erfahrungen mit beiden Geschlechtern gemacht, doch hatte es ihm nicht viel gegeben. Keine Gefühle oder jegliche Emotionen, lediglich Druckabbau, für etwas anderes war es nie gut gewesen. Wie konnte es dann passieren, dass ein einziger Mann Gefühle in ihm auslöste, die Dante bis zu diesem Zeitpunkt unbekannt waren?

„Ich bleibe so lange, wie du mich brauchst. Mir wird der Abstand gut tun. Dieser Matteo ist nicht wirklich mein Fall und wird wohl die nächsten Tage im Haus verbringen, zu seiner Sicherheit.“

„So schlimm?“ Es war eher eine rhetorische Frage von Dante, denn man sah die Antwort in Philips Gesicht.

„Schlimmer. Er ist ein eingebildetes Mädchen in Männergestalt. Anders kann man diesen Mann nicht bezeichnen.“

„Vielleicht täuschst du dich, man sollte keinen vorverurteilen. Mir sagt man nach, ich sei wortkarg, würde mit dem Kopf durch die Wand gehen und mir wären andere Geschöpfe egal.“ Dante zwinkerte und verschwand mit den Scherben in der clubeigenen Küche. Er brauchte dringend Abstand zu dem jungaussehenden Mann, der sein Wesen zu verändern schien.

Sein Blick ging in den Spiegel, verharrte kurz auf der Narbe, die seine Wange überzog, und dann in seine Augen. Ein attraktiver Mann war er beileibe nicht, wenn man ihn fragte. Dante war gezeichnet vom dreihundertjährigen Leben. Viele Kämpfe und Erlebnisse hatten Narben hinterlassen, die jede von einer schweren Verletzung erzählten. Drei Mal war er dem Tod von der Schippe gesprungen, hatte sich nicht holen lassen, um sein Leben gekämpft. Sanft strich er über die Narbe in seinem Gesicht, erinnerte sich zu gut an die Werwölfe, die versucht hatten, ihn zu töten. Das war bereits zweihundert Jahre her, während einer Hungersnot, da war sich jeder selbst der Nächste gewesen.


„Stört sie dich?“

Erschrocken bemerkte Dante Sam, der ihn schief ansah und auf seine Narbe deutete.

„Nein, sie gehört zu mir!“

„Und passt zu dir. Lässt den sanften Riesen verwegen erscheinen.“ Grinste Sam und zwickte ihm lachend in die Seite.

„Jungspund!“, spie Dante und schüttelte genervt den Kopf.

„Ich weiß, du kannst immer noch nicht verstehen, wie dir Stephan das antun konnte. Aber genauso weiß ich, dass du meine Arbeit schätzt und froh bist, mich um dich zu haben.“ Die Überzeugung seiner Aussage sah man Sam in den Augen an, dann verließ er auch schon die Küche mit einem gepfiffenen Lied auf den Lippen.


Gestraft, Dante fühlte sich gestraft, wofür auch immer, aber sicherlich war Sam keine Belohnung für sein Lebenswerk, was auch immer das gewesen war.

Ein Grinsen erschien in seinem Gesicht. Er mochte den jungen Mann, auch wenn dieser ihn ab und an wirklich nervte mit seiner besserwisserischen Art. Sam war intelligent und wusste, was er tat, das musste man ihm lassen, auch wenn er alles um sich herum vergaß, sobald William in der Nähe war.

Dante dachte an die Blicke, die das Paar tauschte, diese Nähe, die sie bei dem anderen suchten. Ob er je auch so ein Glück erleben durfte? Würde ihn irgendwann jemand so ansehen, voller Zuneigung und ... Liebe? Allein der Gedanke an dieses Wort ließ Röte in seine Wangen schießen.

Verlegen schloss er seine Augen, doch statt dem normalen Schwarz sah er Philips Gesicht. Eilig die Lider wieder öffnend stürmte er aus der Küche. Seine Gedanken spielten verrückt, zeigten ihm Bilder im Kopf, die er eilig verschwinden lassen wollte. Allerdings machte es die Sache nicht einfacher, denn Philip stand mitten im Club und half die Sofas auszupacken, wozu er sich just in dem Moment bückte. Mit dem freien Blick auf das in Leder gehüllte Hinterteil blieb er mit offenem Mund stehen. Die Hüfte schwang nach rechts, dann nach links, um dann wieder zur ursprünglichen Position zu wechseln. Das war zu viel für ihn, doch so sehr er seinen Blick abwenden wollte, es ging nicht. Zu anziehend war Philip, zu selten ihre Begegnungen und noch seltener ein solcher Anblick.


„Attraktiv, du hast Geschmack. Aber pass auf, dass du nicht sabberst.“ Bei diesen Worten drückte Sam Dante ein Tuch in die Hand.

Während Dante die Hitze in den Kopf stieg, schlug er mit dem Tuch nach Sam. „Du bist ein Idiot!“

„Und habe recht, ich weiß!“, fing dieser das Tuch ab, welches ihn beinahe getroffen hatte. „Phil, schau mal unten am Stempel.“ Dort war das Plastik der Verpackung noch nicht entfernt. Der Angesprochene nickte lächelnd und bückte sich tiefer, sodass Dante hart schluckte und seinen Blick nach oben zwingen musste. „Das ist grandios!“ Schelmisch grinsend ging Sam wieder an die Arbeit.


Dante war geliefert, das war ihm nur allzu bewusst. Sam würde es sich nicht mehr entgehen lassen, ihn mit seinem neugewonnenen Wissen aufzuziehen. Wieso er den jüngeren und vor allem kleineren Kellner nicht einfach eine wischte, war ihm selbst nicht klar. Sicher, er war der Partner von William MacDermont und somit unantastbar, aber das allein war es nicht. Eventuell musste Dante einsehen, dass Sam einfach ehrlich war, so ungern er es auch zugab, genau das machte diesen zu einem Freund.

Davon konnte man bekanntlich nie genug haben und so ließ Dante alles über sich ergehen, was dieser auf seinem Rücken austrug. Stephan hatte Sam nicht ohne Grund als Geschäftsführer eingesetzt.


Die Ablenkung tat Dantes Gedanken gut, die sich langsam wieder abkühlten und nicht andauernd Bilder von Philip sandten. Dass diese jedoch noch harmlos waren, zudem was bald folgen sollte, war ihm zu der Zeit noch nicht bewusst.


***


Zusammen mit Sam kam Philip um drei Uhr nachts wieder ins Haus. Die Dunkelheit hatte sich auch im Inneren ausgebreitet. Beide genossen die Stille, nachdem im Club der Geräuschpegel durch das Bohren und Hämmern recht laut gewesen war. Sie schlichen sich in ihre Zimmer, wünschten einander lediglich mit Lippenbewegungen eine gute Nacht und schlossen hinter sich die Türe.

Gerade noch todmüde lag Philip kaum zehn Minuten später hellwach in seinem Bett. Der Tag war in jeder Hinsicht irritierend. Es war ihm durchaus bewusst gewesen, dass sein nahender Tod immer mehr Normalität aus seinem Kopf verdrängen würde, doch derart, wie bei der Begegnung mit den Feen, war recht ungewöhnlich. Dazu irritierte ihn weiterhin das Verhalten von Dante und Sam war gleichermaßen an seinem Zustand schuld. Immer wieder hatte der Jüngere gelacht, Dante einen Schubs gegeben und irgendwas getuschelt. Es war Philip fast vorgekommen, als hätte er es mit Mädchen im Teenageralter zu tun.

Langsam schloss er die Augen und sah den Abend in Bildern vor sich. Mehr als einmal war Dante rot angelaufen, wieso hatte Philip nicht erfahren. Den Mann, so groß und breit wie ein Schrank, rot anlaufen zu sehen, war ungewohnt wie anziehend zugleich. Mehr als einmal hatte es sich Philip nicht nehmen lassen, ihn heimlich zu beobachten, dessen Proportionen zu analysieren und sich auszumalen, wie gut dessen Körper an seinen passen würde. Dante war einer dieser Männer, die der Redensart „wie ein Fels in der Brandung“ Bedeutung schenkten. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie er in dessen Armen lag und sich keine Gedanken machen musste, da Dante ihn beschützte. Wieso durfte er nicht derart Glück haben, einen solchen Mann als Partner erwählt zu bekommen? Allein der Gedanke und die Vorstellung ließen ihn tief seufzen, sich umdrehen und sein Gesicht im Kissen vergraben. Er wollte schreien, doch war sich nur allzu sicher, dass es nicht ungehört bleiben würde.

Die Wände waren nicht die dicksten und das konnte er gerade wieder vernehmen. Scheinbar hatte Sam William geweckt und die beiden hielten von Zurückhaltung rein gar nichts. Rücksichtnahme schien allgemein in diesem Haus nicht unbedingt großgeschrieben zu werden. Nicht anders war es zu erklären, dass er immer wieder damit konfrontiert wurde, wie sich die Paare vergnügten.

Langsam kehrte die Müdigkeit zurück und mit dem Gedanken an Dante dämmerte Philip schon bald ins Land der Träume.


Gnadenlos und unbarmherzig wurde er am Morgen vom Wecker aus dem Bett geschmissen. Sein Dienst in der Zentrale begann bereits um acht. Weniger als fünf Stunden Schlaf forderten ihren Tribut in Form von Augenringen und einer Frisur, als hätte er in die Steckdose gegriffen.

Quinn sah ihn dementsprechend fragend an, als er reinkam und wortlos neben ihm Platz nahm. „Schlecht geschlafen? Oder warst du trinken und hast mich nicht gefragt, ob ich mitgehen will?“

„Ich kam erst die Nacht um drei heim, haben so lang im Club gearbeitet, und dann stimmt auch noch deine erste Vermutung!“

„Jetzt bin ich erleichtert, dass du nicht ohne mich trinken warst“, grinste Quinn und erhob sich, während er den Bericht der Nacht zu Philip schob. „Sarah bringt dir sicher gleich Kaffee. Es war ruhig, keine Auffälligkeiten und von den Feen keine Spur.“

„Ganz typisch, sie wissen, dass wir da sind und solange das der Fall ist, halten sie sich zurück. Sie warten Jahre, wenn es sein muss, um ihre Rache zu bekommen.“

Quinn setzte sich wieder und runzelte die Stirn. „Du hast Erfahrungen mit ihnen gemacht?“

„Mehr als eine und glaub mir, ich möchte nicht daran erinnert werden. Diese Biester sind brutal und gnadenlos wie kaum ein anderes Wesen auf dieser Welt!“

„Das ist doch ein Witz.“ Die Worte kamen fast spöttisch, doch vor allem ungläubig.

Langsam drehte sich Philip zu ihm um, in seinen Augen war der Ernst der Lage zu sehen. „Ein Witz? Stell dir vor, wie es ist, wenn eins der Wesen in dir verschwindet, dich dort foltert, deine Gedärme zersticht und du den Tod spürst, der dich langsam in seinen Fängen zerquetscht. Nur um dann einen Rückzug zu machen, da man dich heilt. Du atmest auf, denkst du hättest es überstanden, doch dann spürst du eine innere Hitze, langsam, als hättest du Fieber, erhitzt sich dein Inneres, bis du in Flammen aufgehst, bei lebendigem Leibe. Haben sie Gnade, dann darfst du sterben, doch gibst du ihnen nicht das, was sie von dir wollen, beginnt das Spiel von vorne.“ Bei jedem Wort war er näher gekommen, sodass sich Quinn immer weiter nach hinten lehnte.

„Das hört sich grausam an.“ Schluckte er hart.

„Es ist schlimmer als du dir vorstellen kannst. Doch solltest du das durchgemacht haben und lachen, dann ist es sicher ein Witz“, zuckte Philip die Schultern und setzte sich wieder hin.


Drei Monate vergingen ruhig und ohne Vorkommnisse. In Schichten beschützten sie Matteo, den es mittlerweile nervte, immer Beschützer um sich zu haben. Besonders Philip war mehr als genervt. Die letzten 90 Tage waren angebrochen und er saß im Penthouse des Geschäftsmanns, der nichts anderes zu tun hatte, als seit drei Stunden abwechselnd E-Mails zu schreiben und zu telefonieren. Dabei wartete Dante und der Rest der Krieger auf sie, denn heute war die Einweihungsfeier des Clubs inklusive einer Singleparty. Auch wenn Philip darauf gar keine Lust hatte, die Überredungskunst seiner Mitbewohner war zu überzeugend gewesen. Freunde, korrigierte er sich selbst, denn so hatten sie sich bezeichnet. Es war lange her, dass Philip so etwas zu hören bekommen hatte. Dass ihm jemand beistand, ihn so akzeptierte, wie er war. Ein Gefühl, was ihn innerlich wärmte.

Eine weitere Stunde später platzte ihm der Kragen. Er nahm Matteo das Handy ab, zog den Stecker des Computers und sah den eingebildeten Mann wütend an. „Wenn Sie sich nicht gleich fertigmachen, werde ich Sie persönlich bei den Feen abliefern!“

„Ist ja gut, bleib mal ruhig, mein Freund!“ Kopfschüttelnd erhob sich Matteo, doch landete gleich wieder im Stuhl, auf dem er zuvor gesessen hatte.

„Ich bin nicht Ihr Freund und das wird sich auch so schnell nicht ändern. Wenn Acey nicht wäre, gingen Sie mir am Arsch vorbei, doch der Kerl hängt wirklich an Ihnen, auch wenn er sich weigert, ein Wort mit Ihnen zu wechseln.“

Allein bei dem Namen von Matteos bestem Freund veränderte sich dessen Gesichtsausdruck. Statt arrogant und unnahbar, sah er sein Gegenüber hoffnungsvoll an. „Acey mag mich noch?“ Unsicherheit schwang in der Stimme mit.

„Und ob! Ich weiß auch nicht warum, aber scheinbar verbindet Sie beide mehr, als ich verstehen kann. Wären Sie also so freundlich, endlich mitzukommen, denn die Eröffnung ist schon geschehen, ich will wenigstens den Rest des Abends bei den anderen sein.“

Matteo nickte und zum ersten Mal sah Philip ein ehrliches Lächeln. Scheinbar hatte er unbeabsichtigt dem Geschäftsmann eine Freude gemacht und irgendetwas sagte ihm, dass er sich in ihm getäuscht hatte.


Doch dieses Gefühl hielt nicht lange an. Denn kaum waren sie im Club angekommen und Matteo hatte das Motto des Tages entdeckt, fiel dieser wieder in sein altes Muster zurück. Sein Lächeln verschwand und machte einer arroganten Miene Platz. „Oh Gott, wer hat denn so etwas nötig? Singleparty, wie albern. Wer nicht fähig ist, seinen Partner regulär zu finden, der sollte sich glücklich schätzen, das Zeitliche segnen zu dürfen.“

Es krachte und Matteo flog gegen die Holzpaneele im Eingangsbereich des Clubs. „Glücklich schätzen? Ich habe mir für so Idioten wie dich den Arsch aufgerissen und du sagst mir, ich sollte mich glücklich schätzen? Du bist das Allerletzte, Matteo Ledoux!“ Philip erhob die Faust, holte aus und schlug gegen die Wand. Bevor der nächste Schlag dessen Gesicht treffen konnte, griff William ein.

„Dante wartet auf dich“, sprach er zu ihm und schob Philip von Matteo weg. „Wag es nie wieder, einen meiner Krieger, meiner Freunde, derartig anzumachen, sonst werden wir ein Problem bekommen. Philip ist 349 Jahre alt, wird in drei Monaten sterben, sofern ihm sein Partner bis dahin nicht begegnet. Er hat alles gegeben im Kampf für eine bessere Welt, sein Leben mehr als einmal aufs Spiel gesetzt. Selbst heute noch kämpft er für jemanden wie dich! Überleg dir nächstes Mal deine Worte, bevor sie dein Genick brechen könnten.“

“Schon gut“, hielt Matteo beide Hände zur Kapitulation in die Luft.

Philip lächelte innerlich und dankte William. Diese Ansprache tat seiner Seele gut, die sich langsam von seinem Inneren löste. Es waren keine drei Monate mehr, er spürte es genau, auch wenn er es sich nicht erklären konnte. Genau in drei Monaten hatte er doch erst Geburtstag, wieso spürte er dann jetzt schon den Verfall seines Inneren? Eventuell sollte er Frederik Murray aufsuchen. Der Arzt der Krieger war für solche Fälle sicherlich der bessere Ansprechpartner, als sich den Kopf zu zerbrechen.


Doch zuerst musste er sich Dante stellen, der sich in den Kopf gesetzt hatte, sein Leben zu verlängern.


***


Ein unwohles Gefühl machte sich in Dante breit. Der Blick von Philip hatte traurig gewirkt, auch wenn er ihm zugelächelt hatte. Ohne noch mal dagegen zu sprechen, hatte er sich ins Getümmel gestürzt. Natürlich freute er sich über dessen Nachgiebigkeit, aber diese war für Philip eindeutig zu ungewöhnlich.

Doch statt sich noch weiter darüber Gedanken zu machen, mischte sich Dante ebenso unter die Leute, in der Hoffnung, dass auch SEIN Partner oder Partnerin unter ihnen sein würde.

Jeglicher Versuch, sich auf die Vitae essentia vor ihm zu konzentrieren, war vergebens. Seine Gedanken waren bei Philip und sein baldiges Ableben, sollte nicht bald jemand auftauchen, der dessen Tattoo tragen sollte. Sein Blick wanderte zu seinem eigenen Handgelenk, das bisher unbefleckt war. Kein Tattoo, keine Bestimmung, ihm war nie etwas zugedacht worden.


Die Eröffnung war ein voller Erfolg, wenn man es als Geschäftsinhaber sah. Die Umsätze sprengten jede Erwartung und es gab keine Zwischenfälle, was sehr wahrscheinlich an der Anwesenheit der Krieger lag. Doch sonst war es ein Reinfall, weder Philip noch Dante hatten einen Partner gefunden.

Langsam zerrten die Gedanken an Philip an seiner Konsistenz, er war unausgeschlafen, gereizt und vor allem fix und fertig. Das blieb auch Sam nicht verborgen, der ihn prompt drei Tage später zu Frederik Murray zerrte. Er hatte bereits Sam helfen können, als dieser wohl ziemlich krank gewesen war. So genau wusste es Dante nicht und im Moment hatte er dafür auch keine Gedanken übrig.

Irritiert öffnete der Arzt die Tür zu seinem Haus und sah erstaunt zu den zwei Männern. „Heute ist ja was los. Kommt rein, aber ihr müsst etwas warten, ich hab noch einen Patienten.“

Das kam eher selten vor, wenn man Sam glauben durfte, der sich verwundert auf einen der Stühle in der Küche setzte, während Frederik ihnen Kaffee hinstellte und im Behandlungsraum verschwand.

Stille beherrschte den Raum, während sie darauf warteten, dass der Arzt für sie Zeit hatte.

„Es ist nicht normal, da haben Sie durchaus recht. Nach Ihrer Geburtsauskunft sind sie genau 349 Jahre, 9 Monate und zwei Tage alt, das hieße durchaus, dass sie noch drei Monate haben.“

„Aber der Verfall beginnt, das sehen Sie auch so?“

„Absolut. Ich habe mittlerweile einige unserer Art in diesem Stadium gesehen, denen nicht mehr als zwei Wochen geblieben sind.“

„Das heißt also, ich sterbe früher als gedacht. Zwei Wochen ...“

Sicherlich war es dem Arzt nicht bewusst, dass die Tür das Gespräch nicht abschirmte.

Sam und Dante sahen sich entsetzt an, denn wem diese Stimme gehörte, war ihnen sofort klar. Philip saß bei Frederik im Behandlungsraum und erfuhr gerade, dass er nicht mehr als vierzehn Tage zu leben hatte.


Der Schock saß und das konnten Arzt und Patient bald selbst sehen. Sprachlos saßen die zwei Wartenden da und starrten auf die Tür des Behandlungsraums.

Philip verdrehte die Augen und atmete tief durch. „Ihr habt es mitbekommen?“ Ein Nicken kam als Antwort. „Ich werde es William selbst mitteilen und würde es schätzen, wenn ihr es als ungehört behandelt.“

„Aber Philip ...“, setzte Dante an, doch wurde mit einer Handbewegung zum Schweigen gebracht. Dann verließ der Angesprochene das Haus des Arztes.


Dante sah ihm noch nach, obwohl Philip bereits seit Minuten verschwunden war, ganz so, als könnte er ihn zurückholen, ohne sich zu bewegen oder etwas zu sagen.

„Er sieht fertig aus. Zu wenig Schlaf, zu viele Gedanken?“ Doktor Murray hatte ihn sofort durchschaut.

Sam nickte, statt Dante und bestätigte die Annahme. „Seit ein paar Tagen. Er ist nicht ganz bei der Sache, isst nicht mehr richtig und sein Kreislauf verabschiedet sich ab und an.“

„Dann werde ich einige Tests machen. Es kann etwas dauern, Warten wird sich nicht lohnen.“

Das war Sams Stichwort, er verabschiedete sich von beiden und verschwand ebenso wie Philip vorher, ohne sich noch einmal umzudrehen.


Frederik nahm gegenüber von Dante Platz und wartete auf dessen Aufmerksamkeit. Der Arzt hatte Geduld und Ausdauer, welche er bei dem Mann auch benötigte. Eine geschlagene halbe Stunde schwieg Dante, bis er sich dem Mediziner zuwandte.

„Was bedrückt Sie?“, fragte dieser sogleich und nippte an seinem Kaffee. „Irgendetwas scheint Sie sehr zu beschäftigen, das Ihren Geist und Körper aus dem Einklang bringt. Mein Gespür sagt mir, dass es was mit Philip Lorson zu tun hat.“

„Er ist ein guter Freund.“

„Der bald sterben wird und das beschäftigt Sie? Nur das?“

„Nein.“

Frederik sah Dante forschend an, wartete auf eine Erläuterung, die nicht kam. „Dürfte ich wissen, was Sie noch bedrückt?“

„Weiß nicht wie.“

„Sind Sie immer so kurz angebunden?“

„Eigentlich, nur bei Philip nicht.“

Ein Lächeln legte sich auf die Lippen des Arztes. „Erzählen Sie mir von ihm?“

Dantes Gesicht entspannte sich, wurde sanfter und mitteilsamer. „Er ist ein guter Freund. Seit ein paar Monaten treffen wir uns regelmäßig. Er hat mir geholfen mit dem Club, den ich von Stephan geerbt habe. Philip ist einfach immer da und ...“, Röte zierte seine Wangen, „... seit ein paar Wochen ist da noch etwas anderes. Ich sehe ihn gerne an. In mir ist alles in Aufruhr, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll.“

„Ein Ziehen, Drücken im Bauch, eventuell ein unwohles Gefühl, als ob man krank wird? Appetitlosigkeit?“

„Ja, schlimm?“

Frederik räusperte sich, trank einen Schluck seines Kaffees und verschränkte dann die Arme. „Wissen Sie, ich habe für allerlei Dinge Heilmittel, und wenn ich sie nicht besitze, kann ich bei den Hexen anfragen. Doch leider gibt es eine Sache, dagegen ist bis heute kein Kraut gewachsen. Liebe, Verliebtsein ist nicht heilbar, da kann ich leider nichts tun.“

Es war wie im Film, gerade als Dante den Kaffee in seinen Mund fließen lassen hatte, nahm er wahr, was Murray zu ihm sagte. Im hohen Bogen spie er den Kaffee wieder heraus und traf den Arzt. Dieser sprang augenblicklich auf und sah seinen neuen Patienten entsetzt an.

„Ich bin doch nicht verliebt!“ Dante erhob sich vom Stuhl und baute sich vor Frederik auf. „Wie kommen Sie auf so etwas?“

„Ihre Anzeichen sind eindeutig, zudem auch Ihr Verhalten!“, grummelte Frederik und zog sich seinen Pullover aus, der den Kaffee eingesogen hatte.

„Aber wir sind nicht füreinander bestimmt“, sprach Dante dagegen, ohne überhaupt den Schaden zu beachten, den er verursacht hatte.

„Das Eine hat nichts mit dem Anderen zu tun. Es gibt viele Bindungen, die sich lediglich zu Freundschaft entwickeln. Liebe kann durchaus auch zwischen nicht gebundenen geschehen, was sollte dagegen sprechen? Oder haben Sie etwas gegen eine gleichgeschlechtliche Verbindung?“

„William und Sam verbindet mehr, auch die anderen im Haus ...“

„Das mag sein, doch sei Ihnen versichert, dass es im seltensten Fall von Beginn an ist. Gerade William und Acey haben es sich nicht leicht gemacht mit ihren Partnern.“

„Und jetzt meinen Sie, ich hege Gefühle für Philip, obwohl ich weiß, dass ich nicht für ihn bestimmt bin und selbst in 40 Jahren zu Staub zerfalle? Ist das nicht etwas unlogisch?“

Frederik konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Sie kommen mir jetzt nicht wirklich mit Logik, wenn es um Gefühle geht, oder? Dante, ich bitte Sie inständig, das nicht ernst zu meinen. Also, wenn ich Sie richtig verstanden habe, sind Sie und Philip sich nie nähergekommen, sodass sich das Tattoo hätte übertragen können, dann sind es wirklich reine Gefühle.“

Dante stand da und sah den Arzt irritiert an. Seine Gedanken schienen explodieren zu wollen, was ihm fürchterliche Kopfschmerzen bescherte. Krümmend brach er zusammen und nahm dankbar die Schwärze an, die sich um ihn legte und seine Schmerzen lähmte.


***


Diese Ohnmacht wünschte sich Philip und versuchte, ihr unter die Arme zu greifen, in dem er sich in einem Supermarkt mit allerlei hochprozentigem Alkohol eindeckte. Mit seinem Einkauf zog er sich in den nahegelegenen Park zurück, der durch seinen dichten Baumwuchs einigen Unterschlupf bot. Der erste Whisky schluckte sich recht schwer, doch jede weitere Flasche schien einfach in ihn hineinzufließen, wie in einen Abfluss. Vitae essentia und Alkohol hatten so einige Tücken, ihr Körper verarbeitete es zu schnell, als dass es Schaden anrichten konnte. Zudem wurde auch der Blutwert in wenigen Minuten wieder normalisiert, so fühlte sich Philip dazu gezwungen, immer weiter zu trinken, bis das dumpfe Gefühl in seinem Inneren betäubt war. Er würde sterben, in nicht mal zwei Wochen, dabei hatte er noch so viel zu erledigen.

Ein letztes Mal seine Familie sehen, auch wenn diese ihn abgewiesen hatte, als er sich outete. Langsam schlossen sich seine Augen, während Philip versuchte, die Liste zu erweitern, doch das Einzige, was er sah, war Dante.

Der Mann, der seit Kurzem sein Leben bereicherte und immer ein offenes Ohr für ihn hatte. Weise und geduldig, witzig und fröhlich, jeden Tag, eine Mischung, die ihn faszinierte. Dieser Mann rückte augenblicklich an die erste Stelle. Noch vor Philips Eltern und Geschwistern. Lächelnd dämmerte er ein, ließ die Flasche in seiner Hand sinken, die ihren Inhalt in die Erde ergoss.


„Dafür, dass er so schmal aussieht, ist er ganz schön schwer!“

„Nun quatsch nicht, er muss in sein Zimmer und aus den stinkenden Klamotten raus. Ich würde gerne mal wissen, was ihn zu der Aktion veranlasst hat.“

Das war eindeutig Williams Stimme, die einen rauen Unterton hatte, der von schlechter Laune zeugte.

„Ich glaube, das kann ich euch sagen!“, ertönte Sam und ließ Philip innerlich seufzen. Klar konnte der Partner des Anführers die Klappe nicht halten. Hatte er sich nicht klar genug ausgedrückt? „Auch wenn er es selbst machen will. Phil war heute bei Fred. Sein Zerfall beginnt und wie es aussieht, wird er bereits in zwei Wochen sterben.“

Philip landete unsanft auf dem Bett, was ihn stöhnen ließ.

„Er weilt wieder unter uns!“ Es war Acey, der ihn dort so unsanft abgelegt hatte. „Zwei Wochen? Aber ich dachte ...“

„Macht kein Drama draus, ob zwei Wochen oder Monate, ihr wärt mich eh bald los gewesen!“ Mühsam öffnete Philip die Augen und richtete sich unter einem Ächzen auf. „William, ich entschuldige mich für diese Wendung und hoffe sehr, dass es dir nicht zu große Umstände macht.“

Der Anführer der Krieger schlug gegen das hölzerne Bett. „Das kann doch nicht sein, ich dachte, du wirst erst in drei Monaten 350, wie konnte man sich in deinem Alter derart täuschen?“

„Keine Täuschung, doch schlägt mir das Schicksal in die Kniekehle und möchte mich wohl nicht länger hier sehen. Es ist nicht zu ändern.“ Tränen stiegen Philip in die Augen, was ihn dazu veranlasste, sich abzuwenden. Er ergab sich seinen Gefühlen, zog sich ein Kissen näher und versenkte sein Gesicht darin. Tränen, die er seit der Kindheit nicht geweint hatte, versickerten in dem feinen Stoff.


Drei Stunden später saßen alle am Tisch, während Sarah Sandwiches und Kaffee zubereitete. Betroffen sahen sie einander oder ihre Finger an. Die Erinnerung an Stephan war noch frisch in ihren Gedanken und auch der Schmerz des Verlusts. Bald würde es sich wiederholen und diese Aussicht ließ sie schwer atmen.

„Du solltest in den Club kommen, vielleicht begegnet dein Partner dir ja dort.“ Sam sah mitleidig zu Philip, der diesen Blick gar nicht mochte.

„Und du meinst, gerade da steht dann der Mann, der mein Leben verlängert? Wieso nicht im Park, im Einkaufszentrum oder auf dem Mond?“ Er wusste, dass es unfair war, so mit Sam zu reden, doch konnte er nicht anders. Für ihn kam es einer selten erlebten Naivität gleich, solchen Gedanken nachzugehen.

„Besser als hier rumzusitzen ist es allemal. Oder meinst du, dein Partner kommt durch diese Tür?“ Sam war in Rage, wies auf die Eingangstür der Küche, die just in dem Moment aufging.


Gestützt von Frederik, taumelte Dante zum Tisch. Sein Blick abwesend und sein Körper schlaff. Es war Bennet, der sofort zur Unterstützung eilte. „Was ist passiert?“

„Ein Schwächeanfall. Nun schau nicht so, kommt bei der stärksten Rasse vor. Zu wenig Essen und Schlaf fordert bei jedem irgendwann seinen Tribut. Er sollte jetzt nicht alleine sein und da dachte ich mir, ich bringe ihn zu euch.“

Bennet nickte bestätigend, sah zu seinem Partner, der sofort verstand und ihm half, Dante nach oben zu bringen.

Philip dagegen saß versteinert da und sah den drei Männern nach, bis sein Blick auf den von Frederik traf. „Wie geht es Ihnen?“

„Geht schon. Ist wirklich alles in Ordnung mit Dante?“

„Ich kann nichts Gegenteiliges sagen. Zwar steht die Blutuntersuchung noch aus, aber ich wüsste nicht, was dagegensprechen sollte, dass er lediglich erschöpft ist.“


Während der Arzt sich hinsetzte und von Sarah mit Kaffee versorgt wurde, war William aufgestanden und lief durch die Küche. „Fred, was können wir wegen Philip tun? Wir brauchen Zeit, den Partner zu finden, aber die scheint uns abzulaufen.“

„Ich weiß, deshalb habe ich auch gleich mit dem König einen Termin. Sollte er es mir erlauben, werde ich zu den Hexen gehen und um Hilfe bitten.“

„Und das soll was bringen?“, mischte sich Philip ein.

„Meine Hoffnung ist, dass sie etwas brauen können, was hilft. Wir werden sehen, ich muss auch langsam los.“ Schon hatte der Arzt den letzten Schluck seines Kaffees genossen und verschwand.

Philips Kopf fiel auf die Tischplatte und er versuchte, sein Innerstes davon zu überzeugen, keine Hoffnung zu schöpfen, die sich nach Murrays Worten breitmachen wollten. Ein grausames Gefühl, wie er fand, denn auch wenn die Hoffnung zuletzt sterben mochte, war auch diese Zeit begrenzt.


Da momentan keine Lösung zu finden war, ging jeder an seine Arbeit und Philip nach oben zu Dante. Dieser lag mit geschlossenen Augen auf dem Gästebett und atmete schwer.

„Alles in Ordnung?“, ließ sich Philip auf der Bettkante nieder.

„Ja, der Doc übertreibt etwas, wenn du mich fragst. Ich hatte lediglich etwas Kopfschmerzen.“

„Etwas? Wenn dein Kreislauf zusammengebrochen ist, müssen die schon arg gewesen sein.“

Schulterzuckend nickte Dante. „Kann schon sein. Ich muss gleich in den Club, er öffnet sich nicht von alleine.“

„Frederik ist unten, er hat das Okay von Leonard und möchte, dass du gleich mitkommst“, kam William ins Zimmer und sah Philip auffordernd an. Dieser erhob sich sofort, wenn auch nur ungern. Wieder schlich sich die Hoffnung in ihn, die er nicht verspüren wollte. Ein schiefes Grinsen warf er zu Dante, dann lief er nach unten.


Über zwei Stunden waren sie bereits unterwegs, bis der Arzt an einer kleinen Hütte hielt. Wenn jetzt noch eine Frau mit roten Haaren, Warzen und einer schwarzen Katze rauskommt, glaub ich an Märchen, schoss es Philip durch den Kopf. Doch stattdessen kam eine junge Frau mit einem Lächeln auf den Lippen aus der Hütte. Ihre langen blonden Haare lagen offen über ihren Schultern, während ihre braunen Augen strahlten. „Frederik Murray, ich freu mich, Sie kennenzulernen. Ebenso Sie, Philip Lorson. Kommt herein, ich habe euch erwartet. Mein Name ist Amanda.“ Mit diesen Worten machte sie auch schon wieder kehrt und verschwand im Inneren. Als alle auf einfachen Holzstühlen saßen, sah Amanda Philip eingehend an. „Ihre Zeit ist bald abgelaufen, außer Sie binden sich.“

„Genau da liegt leider das Problem, er findet seinen Partner nicht. Wir bitten um Ihre Hilfe, Miss Amanda.“

„Was wollt Ihr genau?“ Stirnrunzelnd stand sie auf und begab sich an einen Herd, über dem allerlei Kräuter hingen.

„Ein Mittel, um seine Zeit zu verlängern und einen Bindungszauber, der Philip mit seinem Partner zusammenbringt.“

Philip saß dort und lauschte dem Gespräch. Fast als würde es sich nicht um ihn drehen, fühlte sich sein Innerstes leer an. Der Zerfall, erinnerte er sich selbst.

„Es gibt kein Mittel, um das Leben zu verlängern, sonst würden wir Hexen wohl ewig leben. Eurer zweiten Bitte kann ich ebenso wenig nachkommen, denn ich kann ihm nichts zeigen, was er schon sieht. Sein Partner ist bei ihm, doch scheinen sie einander noch nicht zu erkennen.“

Irritiert sahen sich die Männer an, dann ungläubig zu Amanda, die sich ein Lachen nicht verkneifen konnte. „Ihr Partner, Philip, ist ganz nah, ich sehe sie zusammen. Ob ihr euch allerdings so nahe steht, wie es mir gewiesen wird, kann ich nicht beurteilen. Zumindest wird eure Beziehung intensiv sein.“

„Ein Mann oder eine Frau?“ Philip kniff bei der Frage die Augen zusammen und wollte die Antwort an sich nur hören, wenn sie seiner Hoffnung entsprach.

„Nun, da ich Partner sagte, würde ich auf einen Mann tippen. Sie können also durchatmen.“


Amanda hatte Philip noch einen Trunk mitgegeben, der sein inneres Auge öffnen sollte. Was auch immer das hieß, er würde es nicht nehmen. Das Mittel war dunkelviolett und sicherlich nicht zum Trinken geeignet. Vielleicht hatte die Hexe auch einfach nur Mitleid und wollte seinem Leid ein Ende setzen. Die Wahrscheinlichkeit lag für Philip näher, als die, dass der Trunk ihm wirklich half, seinen Partner zu finden.

Es war bereits Abend, als er im Club ankam, wo ihn William und Bennet erwarteten. Rasch berichtete Philip, was die Hexe gesagt hatte, um sich kurz darauf an die Bar zu stellen und dem Genuss des Alkohols zu erliegen.

Natürlich half es nicht gegen das dumpfe Gefühl in ihm und doch konnte er nicht anders. Sein Blick glitt zu Dante, der sich gerade mit einem Mann ihrer Rasse unterhielt. Philip rutschte vom Barhocker und ging auf die beiden zu, die ihn nicht mal bemerkten.

Mund an Ohr unterhielten sie sich, lachten miteinander und wirkten recht vertraut, dass es Philip unwohl wurde. Seinen Freund derart zu sehen, war ungewohnt und gefiel ihm nicht. Schließlich würde er bald sterben und dann hätte dieser noch Zeit genug. Es war ein egoistischer Gedanke, der ihm selbst peinlich war, weshalb er mitten in der Bewegung innehielt. Seine Hand, die sich gerade auf Dantes Schulter legen wollte, sank unverrichteter Dinge. Die beiden Männer schienen glücklich miteinander und wer war er schon, eine Zweisamkeit zu stören, aus reinem Egoismus. Eventuell war der Fremde auch Dantes Partner und da durfte sich Philip erst recht nicht einmischen. Wehmütig sah er ein letztes Mal zu seinem Freund und verschwand aus dem Club.


Es war eine Mischung aus Wut und Verzweiflung, die Philip packte und zu einer unbedachten Tat verleitete.

Vor dem Club standen Unmengen an Wesen, die ins Innere wollten und einem schien es nicht schnell genug zu gehen, sodass er sich an Philip vorbeidrängen wollte, ihn dadurch schubste und diesen somit reizte. Ohne weiter nachzudenken, holte der Krieger aus und schlug auf den Mann ein. Der erste Schlag traf die Nase, der zweite das linke Auge, doch damit nicht genug. Philip schien von allen guten Geistern verlassen und prügelte auf den mittlerweile unter ihm liegenden Mann ein.


***


„Draußen ist eine Prügelei!“ Diese Nachricht hallte in Dantes Ohren. Sam war an ihm vorbeigerannt und hatte es mitgeteilt. Eilig trennte er sich von seinem Bekannten und begab sich nach draußen. Eine Traube von Wesen hatte sich um das Geschehen versammelt und trotzdem war es totenstill. Gerade hatte sich William durch die Menge gearbeitet, wie Dante sah. Selbst der Anführer der Krieger stand mit offenem Mund da und rührte sich nicht mehr.

Jetzt war es an Dante, dazwischen zu gehen. Eilig zwängte er sich durch die Masse und wollte schon stocken, als er den Ernst der Lage begriff. „William!“, schrie er diesen an, der aus seiner Starre erwachte und sich seinen Krieger griff.

Dante dagegen kümmerte sich um das halb leblose Wesen, welches keinen Ton mehr von sich gab. Ein Vampir, wie er kurze Zeit später feststellte, denn der Heilungsprozess setzte nach Beendigung der Schläge sofort ein.

Mit ausgefahrenen Fängen sprang dieser auf und stürmte auf Philip zu, der sich gerade aus Williams Griff gewunden hatte. Diesmal war es der Vampir, der angriff und bald Philip unter sich hatte, der ihn mit höhnischen Worten zu der Tat auch noch anstachelte.

„Mach es wenigstens anständig, wenn du überhaupt weißt, wie man tötet. Komm zeig es mir, oder ich poliere dir noch einmal die Fresse!“ Immer wieder wiederholte er derartige Aufforderungen, was den Vampir dazu veranlasste, härter zuzuschlagen und sogar seine Zähne einzusetzen.

Erst Bennet und Acey konnten mit Hilfe von William Schlimmeres verhindern. Übersät von Bissspuren und Hämatomen halfen sie Philip auf, der taumelnd grinste und es nicht unterließ, sein vorlautes Mundwerk zu halten. „Kannst es also nicht, lässt dich lieber von ein paar Kriegern überwältigen. Und so was schimpft sich ein Vampir! Eure Rasse ist erbärmlich!“

Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Gleich zehn Geschöpfe der Nacht stürzten sich auf den Krieger, der sie lachend empfing.


Dante traute seinen Augen nicht, war irritiert wie geschockt vom Verhalten seines Freundes. Der sonst so besonnene, ruhige, immer fröhliche Mann, schien die Nerven zu verlieren. Mittlerweile waren Quinn, Jannis, Sean und Bryce dazugekommen und bekamen dank der anderen drei, die da waren, die Lage schnell in den Griff. Jedoch war es an Philip nicht spurlos vorbei gegangen. Ohnmächtig lag er auf dem Boden und blutete aus etlichen tiefen Wunden, die sich nicht schließen mochten. Per Handy alarmierte Sam Frederik und dann ging alles relativ schnell.

Kaum eine halbe Stunde später stand Dante allein da und verstand die Welt nicht mehr. Unbewusst half er seinen Angestellten, alles ins Reine zu bringen und ging wieder rein.

„Na, alles wieder in Ordnung?“, erklang plötzlich nah an seinem Ohr eine tiefe Bassstimme. Irritiert wandte er sich um und sah in braune Augen, die eindeutig zu dicht bei ihm waren. Er trat einen Schritt zurück und sah seinen Gesprächspartner von vorher an. Silvan war freundlich und nett, doch im Moment hatte Dante keine Nerven für den Mann übrig, der ihm Philip aus dem Gedächtnis löschen sollte. Wieso er sich ausgerechnet den Mann ausgesucht hatte, war für ihn eindeutig, er hatte nichts mit Phil gemeinsam. Doch jetzt verspürte Dante nur noch den Drang, zu seinem Freund zu kommen und das am liebsten früher als später.


Nach einer gefühlten Ewigkeit schaffte er es zum Haus der Krieger, wo eben Frederik herauskam und nicht gerade begeistert dreinschaute.

„Wie geht es Philip?“

„Nicht gut. Er wird es nicht überleben, ihm fehlt die Energie. Ich habe schon einen Termin mit Amanda gemacht. Die Hexen haben ein Heilmittel, ich hoffe, dass ich es rechtzeitig bringen kann. Wenn er seinen Partner hätte ...“ Die letzten Worte ließ der Arzt unausgesprochen und verschwand stattdessen mit seinem Wagen.

Mit einem mulmigen Gefühl betrat Dante das Haus. Es war ungewöhnlich still im Inneren. Sarah stand in der Küche an der Spüle, allein. Wo die anderen Bewohner des Hauses waren, konnte sie Dante nicht beantworten und so ging er mit gerunzelter Stirn die Treppen zu Philips Zimmer hinauf. William trat gerade aus diesem und dessen Gesichtsausdruck zeigte reine Wut.

„So ein störrischer Esel. Man stelle sich mal vor, trotz drohender Strafe, trotz dass er bald sterben wird, lacht er mir ins Gesicht und fragte, ob er sich gleich hinstellen soll, damit ich ihn auspeitschen kann. Wie bescheuert kann man eigentlich sein? Der ist 100% keine 349 Jahre, sondern höchstens 20! Kann doch nicht sein Ernst sein!“

Dante war sich nicht sicher, ob William wirklich mit ihm sprach, oder mit sich selbst, zumindest stürmte er die Treppen hinab und zeterte weiter vor sich hin. Kopfschüttelnd ging Dante ins Zimmer und traute seinen Augen nicht.

Philip lag wirklich auf dem Bett und grinste dümmlich vor sich hin. „Hey Phil“, zog Dante die Aufmerksamkeit auf sich.

„Was willst du hier?“ Der Ton war von Missfallen geschwängert.

„Nach dir sehen?! Alles in Ordnung?“

„Nein, um ehrlich zu sein. Was willst du hier? Musst du mir auch noch die letzten Tage meines Lebens versauen?“

„Bitte?“ Erschrocken wankte Dante zurück und sah zu, wie sich Philip aus dem Bett hievte, während einige Bisswunden an seinem Hals wieder bluteten.

„Du sollst verschwinden, ich will dich nicht sehen. Geh zu deinem dahergelaufenen Typ, vielleicht vögelt er dich ja mal richtig, oder ihr bindet euch gleich. Der Käfer steht dir sicher gut, auch wenn er etwas arg unmännlich ist.“

„Sag mal, was soll das?“ Dante verstand nichts mehr, sah seinen Freund verwirrt an.

Davon ließ sich Philip jedoch nicht beeindrucken, im Gegenteil, es schien ihn geradezu herauszufordern. „Du sollst zu deinem neuen Stecher gehen und mir meinen Frieden lassen. Ich habe nicht mehr lange und sicherlich keine Lust, die Zeit mit irgendwem zu verschwenden!“

Das saß, in Dantes Kehle bildete sich ein Kloß, welcher ihn am Sprechen hinderte. Mit gesenktem Blick drehte er ab und verschwand aus dem Haus der Krieger. Noch nie in seinem Leben war er so verletzt worden, vor allem aber nicht von einem Mann, bei dem sein Herz den Takt vergaß.


Deprimiert kam er in seine kleine Wohnung, oder eher die von seinem verstorbenen Cousin. Alles darin erinnerte ihn noch an Stephan und dessen verstorbene Frau. Er hatte es nicht über sich gebracht, die Sachen auszusortieren und seine stattdessen einzuräumen. Stephan war der einzige der Familie gewesen, der ihn so akzeptiert hatte, wie er war. Schweigsam und etwas eigenbrötlerisch. Bereits als Kind hatte man kaum ein Wort aus ihm heraus bekommen, was viele seiner Freunde störte, doch dann kam Stephan zur Welt. Der hatte ihn immer so genommen, wie er war, nie verurteilt, oder abweisend behandelt. Ein wahrer Freund, den er sich in diesem Moment zurückwünschte. Dante brauchte jemanden zum Reden, der ihm Ratschläge gab, einfach mit ihm zusammensaß. Alles, was er dachte in Philip gefunden zu haben, und sich nun in Luft aufgelöst hatte. Er war wieder allein.


***


Mit verschleiertem Blick sah Philip zur Decke und zählte die Hinterlassenschaften der Mücken. Immer wieder ermahnte er sich dazu, tief durchzuatmen. Seine Lungen füllten sich nur mäßig mit Luft und sein Herz polterte in seiner Brust. Der verletzte Blick von Dante hatte ihn in ein tiefes Loch gestürzt und er betete dafür, dass er bald von dem dumpfen Gefühl in sich erlöst würde. Wie sehr sehnte er sich nach der Peitsche, die William zur Strafe gewählt hatte. Fünf Mal in seinem Leben durfte Philip sie schon spüren, jedes einzelne Mal hatte er gebetet, es nie wieder über sich ergehen lassen zu müssen, doch in diesem Moment wünschte er sie herbei. Sein Verstand durfte dann aussetzen und die Wunden, die zurückblieben, würden sein Leben beenden. Noch immer spürte er die Bisse der Vampire, die nicht heilen wollten. Kombiniert mit den Peitschenschlägen und dadurch resultierenden Wunden wäre sein Tod besiegelt. Er würde Erlösung erhalten, sich keine Gedanken mehr machen müssen, denn seine Seele wäre frei, ohne Schmerzen und Sorgen.


„Heilen deine Wunden?“, erkundigte sich Sam und steckte seinen Kopf durch den Türspalt.

„Sie haben aufgehört zu bluten!“

„Mist!“, seufzte Sam und stieß die Tür ganz auf. „Dann mach dich bitte fertig. König Leonard erwartet dich.“

Ein Ruck ging durch Philip, den Namen des Königs zu hören, war ein Schock. Er hatte nicht damit gerechnet, vor diesen treten zu müssen. „Wieso zum König?“

„Wenn es um die im Haus lebenden Krieger geht, möchte der König selbst die Strafen ausführen, oder zumindest dabei sein, so auch heute. Philip, schaffst du das?“

„Ich hoffe nicht. Ich bete, dass ich heute noch sterben darf.“

Scharf zog Sam die Luft ein. „Das ist doch nicht dein Ernst!“

Grüne Augen trafen einander. Die zwei Männer standen sich gegenüber, beide blond mit grünen Augen, unterschieden sie sich nur durch ihre Körpergröße. „Doch ist es, Sam. Ich kann nicht mehr. Scheinbar habe ich mein Leben gelebt, und wenn das so ist, möchte ich den Tag meines Ablebens selbst wählen dürfen.“

„Tu das keinem der anderen an. Wer auch immer die Strafe ausführen muss, wird sich das nie verzeihen!“

Philip senkte seinen Blick und antwortete nichts mehr. Es war ihm selbst bewusst, dass es nicht fair war, aber wenigstens über eine Sache in seinem Leben wollte er die Kontrolle behalten und wenn es den Tod betraf.


Voller Ehrfurcht trat Philip vor den König, der mitten in einem Saal stand, in dem schon alles für eine Bestrafung hergerichtet war. Von der Decke hingen Fesseln, auf einem kleinen Tisch lagen Peitschen. Kurz schloss er die Augen, atmete tief durch und ging in die Knie.

„Philip Lorson, Ihr werdet beschuldigt, einen Vampir ohne ersichtlichen Grund angegriffen und provoziert zu haben. Wie bekennt Ihr euch zu diesem Vorwurf?“

„Schuldig im Sinne der Anklage!“, brachte er brüchig heraus. Angst und Furcht machten sich in seinem Inneren breit.

„Somit werdet Ihr die Strafe von fünf Peitschenhieben annehmen?“ Philip konnte nur nicken und wurde sogleich von zwei Wachen zu den Fesseln gebracht. Man half sein Hemd abzulegen und befestigte seine Hände an den Ketten über ihm. „Wer wird die Strafe ausüben?“ Philip bemerkte, wie des Königs Blick zu Bennet tendierte, als Bryce nach vorne trat. Überrascht weiteten sich nicht nur Leonards Augen, auch Philip selbst war recht irritiert über dessen Offensive.

„Herr, ich bitte Euch diese Aufgabe übernehmen zu dürfen!“, kniete Bryce nieder.

„Ihr seid geübt darin, die Peitsche zu schwingen, treffsicher. Ich denke, dass Ihr die richtige Wahl seid“, nickte Leonard bestätigend.


Furcht, Angst, Panik und Verzweiflung packten Philip, als er aufgefordert wurde, seinen Kopf nach vorne zu drehen. Er hatte nicht mal mehr die Zeit, sich seelisch darauf vorzubereiten, als ihn der erste Schlag traf. Seine Haut brannte und es fühlte sich an, als würde sich etwas in ihn hinein fressen. Bilder liefen vor seinem inneren Auge ab. Doch das Einzige, was ihm wirklich nachhaltig in Erinnerung blieb und auch durch den nächsten Schlag nicht ausgelöscht wurde, war Dantes Bild. Ihre gemeinsame Zeit und dessen Blicke, doch vor allem seinen letzten. Verletzt und zweifelnd, das sollte nicht das Letzte gewesen sein, an was er sich erinnerte, nicht bei seinem Freund.

Voller Wut auf sich selbst und Verzweiflung liefen dem sonst so standhaften Krieger die Tränen über die Wangen. „Ich will nicht sterben!“, entkam es seinen Lippen. Was er meinte, geflüstert zu haben, war einem Schrei gleichgekommen.


Drei Schläge hatten ihn erst getroffen, als kein weiterer mehr folgte. Philips Körper zitterte wie Espenlaub, als er seinen Kopf nach hinten wandte. Fast alle sahen ihn mit schockgeweiteten Augen an, bis auf Leonard, der erleichtert schien und nickte. Ehe Bryce zur Besinnung kam, nahm er ihm die Peitsche ab und ging auf Philip zu. „Schön, dass du dich umentschieden hast. Macht ihn los und versorgt schnell seine Wunden.“

Sofort wurde dem Befehl Folge geleistet. Besorgnis spiegelte sich in Williams Augen wider, als er sich zu Philip kniete und in dessen Blickfeld erschien.

„Wir bekommen dich wieder hin und dann suchen wir deinen Partner, okay?“ Ein Nicken bekam er zur Antwort, denn Philip kämpfte weiter mit den Tränen und der Ohnmacht. Seine Schmerzen und der Blutverlust waren größer als er erwartet hatte, oder genau so? Er war hergekommen, um zu sterben, doch nun gab es nur eins, was er sich wünschte. Hilfe!

Diese bekam er kaum fünf Minuten später in Form eines grünen Tranks, den Frederik brachte. „Ihr habt ihn ausgepeitscht?“ Der Arzt verlor seine Kontenance und sah seinen König vorwurfsvoll an. „Er hat so kaum eine Chance zu überleben und da musstet Ihr ihn auch noch bestrafen?“ Sein Blick war abwertend.

Philip schluckte, sah zwischen Leonard und Frederik umher, beide Männer maßen sich mit Blicken und es schien nicht, als wollte einer nachgeben. „Frederik, Ihr spielt mit dem Feuer!“, mahnte der König.

„Mag sein, das tue ich seit wir uns kennen, nicht wahr? Sagt mir, welch einen Grund das Ganze hier hatte!“

„Er musste zur Vernunft kommen“, kam kurz und knapp zur Antwort.

Frederiks Blick wechselte zu Philip, der vorsorglich die Augen zukniff. „Du wolltest dein Leben beenden? Wieso?“ Bei der Frage öffnete er eine Ampulle mit einer grünen Flüssigkeit und flößte sie ihm ein.

Kaum war der Trunk seine Kehle hinab geflossen, schoss Philip nach oben und hustete los. Seine Kehle brannte, als würde flüssige Lava über sie laufen. Ein schmerzhaftes Ziehen durchfuhr seinen Körper, ließ ihn krampfen und nach Luft schnappen, dann verlor er sein Bewusstsein.


Hämmernde Kopfschmerzen ließen Philip aufwachen. Wer auch immer dort gegen seinen Kopf trat, würde sich warm anziehen müssen, das stand für ihn fest. Langsam öffnete Phil seine Augen und kämpfte gegen den Drang an, sie sofort wieder zu schließen, dabei war es nicht mal hell, wo auch immer er gerade war. Unvorbereitet erblickte er Frederik, der ihn grimmig ansah.

„Ich möchte eine Antwort!“

„Kann das alles nicht mehr, nichts läuft wie es soll!“ Philips Stimme war ein Krächzen.

Ein Nicken kam von dem Arzt, der seinen Blick senkte. „Du hast den Trunk nicht genommen“, verwies er auf die kleine Flasche auf dem Nachttisch.

„Gift!“

„Mitnichten, das sei dir versichert. Amanda hat dich gerettet, du solltest ihr dankbar sein. Trink es, wenn du bereit bist, deinen Partner zu finden.“

Philip versprach es wortlos, ein Blick reichte Frederik aus, um sich zu erheben. „Deine Wunden sind soweit verheilt. Du kannst also aufstehen, jedoch solltest du etwas auf dich achten.“ Mit diesen Worten verließ er das Zimmer.


Nicht eine Narbe war zurückgeblieben, was Philip in Erstaunen versetzte. Seine Glieder waren entspannt und sein Körper scheinbar einsatzbereit wie eh und je.

Trotzdem hatte William ihn nur zur Kontrolle in den Club geschickt. Auch wenn es dort keine Vorkommnisse gab, wollte der Anführer immer einen seiner Männer vor Ort haben.

Dante strafte Philip mit Nichtbeachtung und ging ihm aus dem Weg. Seufzend saß er deshalb in einer Ecke im hinteren Clubbereich und beobachtete das Geschehen.

Seit geschlagenen drei Stunden starrte Philip so vor sich hin und versuchte, die Augen offen zu halten.

„Du bist doch technisch geschickt, nicht wahr?“

Erschrocken fuhr Philip herum und sah Dante mit aufgerissenen Augen an, der neben ihm stand. „Ja schon!“

„Dahinten stimmt etwas mit der Steckdose nicht, wodurch das Licht flackert. Wärst du bereit zu helfen?“ Nickend stand Philip auf und folgte seinem ehemaligen Freund.

Mühsam drängten sie sich durch die Menge der tanzenden Wesen und blieben nahe des DJ-Pults stehen. Sogleich fiel Philip eine Lampe ins Auge und er begab sich auf die Knie, während Dante ihm einen Schraubenzieher reichte.

Den Stecker gezogen, wollte er die Steckdose abschrauben, als er abrutschte und die Spitze des Schraubers in die Kontakte eindrang.

Augenblicklich versteifte sich sein Körper und er nahm wahr, wie ihn Dante wegriss.

***


So ein verdammter Mist, fluchte Dante innerlich. Es war eine bescheuerte Idee gewesen. Seit dem Arztbesuch war ihm bewusst geworden, dass sie sich noch nie berührt hatten und die Hoffnung füreinander bestimmt zu sein, hatte sich in ihm breitgemacht. Doch nun war Philip abgerutscht, hatte einen Stromschlag erhalten, der durch die Berührung bis zu Dante geflossen war. Keuchend saßen sie auf dem Boden und Phil blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Danke!“

Irritation machte sich in Dante breit, wieso bedankte sein Freund sich für etwas, was er verursacht hatte? Doch in dem Moment war es ihm egal, denn Enttäuschung machte sich in Dante breit. Sein Blick war zu seinem Handgelenk gegangen, das nichts zeigte, kein Tattoo, keine Anzeichen für ein solches, dabei hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, erhofft, danach gesehnt.

Er stand auf, half Philip auf die Füße zu kommen und begab sich an die Bar. Dantes Innerstes sehnte sich nach einer Betäubung, die er tief auf dem Flaschenboden der vollen Whiskyflasche wusste.


Wirklich verwundert war Dante nicht, als er seine Augen das nächste Mal bewusst öffnete und in Frederiks sah. „Hab ich mich so abgeschossen?“ Dass die Frage an sich überflüssig war, interessierte ihn nicht, denn die Antwort kannte er genau.

„Scheinbar, dazu hast du dich wohl mit zwei Werwölfen angelegt. Da sie jedoch genau so viel getrunken hatten wie du, passierte nicht viel.“

„Oh man, habe ich Sanktionen zu erwarten?“

„Ich weiß es nicht, aber das werden dir gleich die Krieger verraten. William wartet bereits darauf, dass du aufwachst.“ Dante schloss die Augen und atmete tief durch, er war Geschichte. Auch wenn der Anführer ihm wohlgesonnen war, durfte er nicht auf Schonung hoffen. „Also hatte ich mit meiner Vermutung recht. Es war dir anzusehen, wie dir bewusst wurde, dass ihr euch noch nie berührt habt.“ Irritiert sah Dante den Arzt an, der zwinkerte, auf sein Handgelenk sah und sich abwandte. Langsam, man hätte fast von Zeitlupe reden können, senkte er seinen Blick und erkannte eine Schlange, die sich in seine Haut gebrannt hatte. Zumindest sah es im Moment noch wie ein Brandmal aus, was sein Herz kurz zum Stillstand brachte.

Vorsichtig, als könnte er die Entstehung verhindern, fuhr er die Konturen des baldigen Tattoos nach. Jede Unebenheit konnte er erfühlen, was für seine Seele Balsam gleichkam, kühlend, heilend und beruhigend. Lächelnd seufzte er in sich hinein und bemerkte so nicht, wie William zu ihm kam.

Dieser hatte schon alles von Frederik erfahren und lehnte sich nun mit verschränkten Armen gegen die Wand und wartete ab, bis Dante zu sich kam.


Peinlich berührt folgte der schrankgroße Mann dem Anführer der Krieger in dessen Haus. Eine Sanktion hatte Dante nicht zu erwarten. Weder die Werwölfe noch er selbst hatten wirklich Schaden genommen, zumindest nicht von dem Konflikt. Dante hatte Bekanntschaft mit den Wänden des Clubs gemacht, wie ihm mitgeteilt wurde. Die Schuld lag eindeutig beim Whisky.

„Ich bin gespannt, was Philip sagt.“ William sah zu Dante und hielt den Wagen an.

„Nichts, wir können es ihm nicht sagen. Das geht nicht!“ Heftiges Kopfschütteln begleitete seine Einwände. Dante wollte sich nicht ausmalen, wie sein ehemaliger Freund darauf reagieren würde.

Doch die Gedanken waren rasch verscheucht, als sie ins Haus traten. Sam und Jannis liefen nervös in der Küche umher, während Bryce das Telefon am Ohr hatte. „… so schnell, wie es geht!“, vernahmen sie noch, dann legte dieser den Hörer auf.

„Was ist hier los?“ William sah von einem zum anderen.

„Der Zerfall hat begonnen. Philip ist vor einer Stunde zusammengebrochen.“ Kam die Erklärung von Bennet, der in den Raum trat und direkt die Kaffeemaschine ansteuerte. „Wir waren auf Streife, er stolperte und verlor das Bewusstsein.“

„Hat er sich verletzt?“, erkundigte sich William irritiert und sah zu Dante, den diese Mitteilung ebenso verwirrte.

„Nicht wirklich. Ein paar Schrammen, aber mehr nicht. Diese sind auch schon wieder fast verheilt. Will, wir wussten, dass es bald soweit ist.“

„Aber es ist unmöglich, es kann nicht der Zerfall sein.“ Alle Blicke richteten sich auf den Anführer, der sich Dantes Arm griff und das Tattoo zeigte. Es wurde schlagartig still und selbst die Kaffeemaschine gab keinen Ton mehr von sich.


Alle starrten auf die Schlange, die sich auf dem Handgelenk niedergelassen hatte.

Plötzlich durchbrach ein Lachen die Stille. Es war Sam, der prustend gegen den Esstisch gelehnt stand. „Dante und Phil? Ihr beide? Das darf nicht wahr sein. Ihr seid seit Wochen nicht zu trennen und erst jetzt fällt euch auf, dass ihr zwei zusammengehört? Ich glaub’s einfach nicht!“ Das Lachen erfüllte die Küche und steckte an. Selbst Dante konnte nicht lange entsetzt sein, denn es war wirklich lächerlich. Er hätte es ja selbst nicht geglaubt, wenn der Beweis sich nicht gerade mehr und mehr sichtbar machen würde. Langsam sah das Tattoo genauso aus, wie es auch Philips Handgelenk zierte: schwarz.

Dante konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, es wurde immer klarer, kein Irrtum, keine falsche Annahme, Philip und er gehörten zusammen. Sein Körper wurde von einer Wärme durchflutet, die ihm bisher unbekannt war. Seine Gedanken schweiften ab, zu einem Traum, den er schon Wochen vor Augen hatte, Philip und er eng umschlungen, ihre Lippen, die sich vereinen würden ...

Leider wurden diese Gedanken von seinem Handy unterbrochen. Es gab Probleme im Club und er wurde gebraucht. Zudem brauchte er noch ein wenig Zeit um sich an die Tatsache zu gewöhnen. Ohne ein Wort zu den Anwesenden zu sagen, wandte er sich ab und verließ das Haus. William hatte den Grund sicher mitbekommen, so, wie der Anführer alles mitbekam, was um ihn geschah. Dante fragte sich an manchen Tagen, ob William MacDermont nicht für eine höhere Position gedacht war. Instinkt hin oder her, der oft raue Mann wusste zu viel, als dass es einer solchen Intuition zuzuordnen war. Vielleicht bildete er sich auch nur was ein und doch sagte das Gefühl in ihm etwas anderes.


Zwei Stunden später waren alle Gedanken an Philip und William beiseitegeschoben worden, denn Dante musste sich um den Club kümmern. Die Lieferung war gekommen, doch fehlerhaft, eine Band, die zum Wochenende auftreten sollte, hatte abgesagt und drei seiner Kellner fielen ebenfalls aus. Somit musste er alles umdisponieren und auch Sam sollte dringend in den Club kommen, um ihm zu helfen.

Mit einem hochroten Kopf trat der Partner von William in den Club. Mit Zornesfalten auf der Stirn setzte Sam an, etwas zu sagen, als Dante die Hand hob. „Später, es fehlt uns echt die Zeit. Kannst dich mit der Lieferung abreagieren, die muss dringend in den Keller gebracht werden. Gerade die Lebensmittel!“ Abermals setzte Sam an, doch da war Dante auch schon verschwunden.

Dieser hatte zu viel zu erledigen, als dass er sich anhören wollte, was den Geschäftsführer aus der Fassung gebracht hatte. Sicherlich war William der Grund, vielleicht auch Acey oder Jannis, die immer wieder für Unruhe sorgten. Besonders der junge Krieger, der bei den Wölfen aufgewachsen war, verhielt sich ab und an wie ein pubertierender Teenager. Sicher, er war erst 50 Jahre alt und doch vergaß man es gerade bei ihm gerne. Konnte Jannis in manchen Momenten auch so erwachsen rüber kommen, dass sich die älteren Krieger kindlich vorkamen.

Doch für solche Gedanken fehlte nun wirklich die Zeit, wenn sie zum Abend hin den Laden wieder auf Vordermann gebracht haben wollten.


***


Philip schnallte sich seinen Waffengürtel um, streckte seine Glieder ein letztes Mal und ging mit gestrafftem Rücken ins Foyer. Ausschließlich im Überwachungsraum befand sich noch jemand, sonst waren alle ausgeflogen. Eine Peinlichkeit hatte sich in den letzten Stunden zugetragen, die William den Kopf kosten konnte.

Matteo war entführt worden, in einem unbemerkten Moment, als sich Frederik bei ihm befand und keiner auf den Geschäftsmann geachtet hatte. Dieser war unbedacht in den Garten getreten, wo die Feen schon warteten.

Für Philip nicht wirklich verwunderlich, hatte er damit schon gerechnet, allerdings schien ihm die Reaktion von Sam bis zu diesem Zeitpunkt recht suspekt.

Als der Alarm losging, war Philip gerade mit der Untersuchung fertig gewesen und sofort aufgesprungen. Er wollte die Krieger begleiten. Was für ihn einer Selbstverständlichkeit gleichkam, schien für den Partner von William unverständlich. Sam hatte Philip aufgehalten, ihn einen Spinner genannt, weil er mit auf die Suche wollte. Doch jedes noch so rüde Wort hatte ihn nicht interessiert. Eins stand fest, er war ein Krieger, würde immer einer sein und wollte als ein solcher auch sterben. Im Kampf, während er seinen Gegnern das Leben aushauchte.

Da konnte man ihn einen Idioten nennen, einen Deppen, selbst die anale Öffnung war gefallen, und dass er keine Ahnung hatte, sich doch erklären lassen sollte ... Dann hatte Philip sich abgewandt. Meinte der Jüngling wirklich, dass er nicht wüsste, was er tat? Schließlich lebte er schon 349 Jahre und durfte selbst entscheiden, wann ihn sein Ende erwartete. Heute war sein Todestag!

Mit dieser Überzeugung trat Philip nach draußen, zog scharf die Luft ein und schritt in die Dunkelheit.


Philip war erfahren genug, um zu wissen, wo sich die Feen am ehesten mit ihren Opfern versteckten. Während die anderen Krieger Spuren suchten, verließ er sich auf sein Gespür. Noch nie in seiner langen Kampfzeit hatten diese Biester ihre Beute weiter als zweihundert Meter fortgebracht. Ihnen fehlte es an Kraft und Ausdauer für längere Flüge mit Zusatzgewicht. Wie eine Schlange glitt er geradezu durch den Wald, lautlos und furchterregend. Selbst die Tiere des Waldes verstummten bei seinem Anblick, erstarrten und warteten darauf, dass er weiterzog. Philip war ein Raubtier auf Jagd und das verriet seine ganze Körperhaltung.


Leises, kaum hörbares Flirren von Hunderten Feenflügeln drang an seine Ohren, ließ auf seinen Lippen ein Lächeln erscheinen. Philip hatte sie gefunden und legte sich auf die Lauer. Der Anblick war ernüchternd und für ihn stand gleich fest, er war in dieser Nacht nicht der Einzige, der sterben würde.

Matteo hing in der eisernen Fesselung, sein Gesicht bleich, seine Augen geschlossen, schien er nur wenig Sauerstoff zu bekommen. Der Tod hielt ihn bereits in einer unnachgiebigen Umarmung, aus welcher nicht mal die Feen Matteo noch retten konnten, geschweige denn, dass sie es wollten.


Philip griff nach seinem Handy und schrieb eine Nachricht an William. Unterstützung war nicht verkehrt, auch wenn er wusste, dass sein Leben heute ein Ende finden würde. Wenn nicht durch die Hand der Feen, dann durch seine eigene. Er würde nicht warten, bis er dahinvegetierte.

Es dauerte nicht einmal fünf Minuten und doch waren diese schon fast zu lang, um auszuharren, als die Unterstützung eintraf. Acey sank neben Philip nieder und sah ihn kopfschüttelnd an. „Was machst du hier?“

„Zumindest keine dummen Fragen stellen! Ich hoffe, es ist nichts unausgesprochen zwischen dir und Matteo, denn das überlebt er nicht!“ Augenblicklich war Aceys Aufmerksamkeit bei dem Gefangenen der Feen. Natürlich war Philip bewusst, dass es nicht sehr subtil gewesen war und doch wollte er sich jetzt nicht ablenken lassen. Sein Blick ging zu William, der ebenso unverständlich zu ihm sah und keine Anstalten machte, etwas zu unternehmen. „Jannis und Bennet rechts rum. Acey, kümmer dich um Matteo. William, Sean und Bryce ihr links, ich werde frontal angreifen, und wenn es geht, dann sofort!“ Mit diesen Worten war er auf den Beinen und lief los, tief in sich die Hoffnung, seinem Tod zu begegnen, während er den Feinden das Leben aushauchte.


Der Kampf gestaltete sich schwerer als erwartet. Es mussten mehrere Hundert Feen sein, die auf die Krieger hinabstürzten, sie mit Speeren attackierten und kleine leuchtende Kugeln nach ihnen warfen. Erst noch verwundert über diese, sah Philip bald, was sie bewirkten. Denn kaum trafen die Leuchtkugeln auf etwas, schien sich ein Feuerwall zu entwickeln und fraß sich durch das Hindernis. Wie gerade durch einen Baumstamm. Vergessen hing Matteo in seinen Fesseln und wurde sogleich von seinem ehemals besten Freund befreit, der ihn jedoch nur noch in seinen Armen halten konnte und dessen Bewegungen der Lippen folgte. Philip hatte recht gehabt, die letzten Minuten von Matteo waren angebrochen und so versuchte er, Acey den Rücken frei zu halten, damit sich dieser verabschieden konnte.

Doch dieses Unterfangen gestaltete sich schwerer als erwartet. Immer mehr Feen schienen aufzutauchen und mit ihnen die Leuchtbälle. Mehr als einmal war Philip diesen nur knapp entgangen, bis er in einen Hinterhalt geriet. Wie viele Feen plötzlich auf ihn zukamen, konnte er nicht sagen. Jeder Versuch, ihnen zu entkommen, schien zwecklos und erst recht, als Philip mit dem Rücken gegen einen Baum stieß und man ihn daran hinderte, fortzukommen. Ungefähr zehn Feen ließen ihre kleinen feingliedrigen Finger durch die Luft wandern und inmitten bildete sich jeweils ein kleiner Feuerball. Sie führten diese zusammen, bis Philip einen vor sich sah, der die Größe seiner Faust aufwies. Er ahnte, was kommen sollte und musste seinem Schicksal ins Auge sehen.

Dann passierte alles blitzschnell, der Feuerball wurde auf ihn zugeworfen, als William seine Sicht versperrte und sich als Schutzschild vor ihn stellte. Völlig verwirrt sah Philip ihn an, als William zu verstehen gab, dass er nicht sterben dürfte, es würde jemand auf ihn warten. Kaum hatte Philip die Worte wahrgenommen, verschwand Will auch schon wieder, wurde zur Seite gestoßen und statt Philip traf der Feuerball den König.


Es schien, als sei die Zeit angehalten worden. Er sah, dass Leonard den Ball von seinem Bauch entfernte, zusammenbrach und wie William ihn auffing. Gleichzeitig vernahm Philip einen Schrei, der seine Aufmerksamkeit auf Acey lenkte. Matteo hatte scheinbar ein letztes Mal die Augen geschlossen, dessen Brust rührte sich nicht mehr und so hing er leblos in den Armen seines Freundes.

Bennet und Jannis flammten derweil die Feen ab, auch wenn Philip nicht verstand, woher die Apparate dazu kamen, war er mehr als dankbar, dass die Attacken ein Ende hatten.

Ein kurzer und doch schmerzhafter Kampf ging zu Ende, der mehr Verlust mit sich führte, als er gutmachte.

Stille!

Es war unsagbar still im Wald. Der Geruch von verbranntem Fleisch schwängerte die Luft und legte sich nur langsam nieder. Philip wandte sich zu William, der den König auf eine mit Moos bedeckte Stelle legte. „Leonard ...“, wisperte er.

Augenblicklich sah dieser zu ihm. „Es ist so gekommen wie vorhergesehen. Alles hat einen Sinn, auch wenn das Schicksal hart und ungerecht scheint.“ Der König hustete, sein Atem wurde flacher.

„Ihr habt es vorhergesehen?“ William schien verblüfft.

„Ja. Meine erste Zukunftsvision, die meinen Tod zeigte. Lebt wohl!“

Geradeso konnte William sich vor den Flammen retten, die plötzlich aus Leonard herausschlugen und alles um ihn einhüllten.


„Wir hatten es gerade geklärt, das ist nicht fair!“, ertönte Aceys Stimme, während ihn sein Partner in die Arme zog. „Ben, das ist nicht fair!“

„Ist es nicht, du hast recht“, bestätigte sein Partner und zog ihn noch dichter an sich.

Da stand Philip, blickte auf die verkohlten Reste von Leonard, wo immer noch vereinzelt Flammen herauszüngelten. Sah Acey, der die Fassung verlor und wohl das rausließ, was seit Jahren in ihm verborgen war. Erschlagen von den Geschehnissen und Williams Andeutung, wandte sich Philip ab und machte sich auf den Rückweg.


***


Nervös lief Dante hinter Sam her, der gerade die Botschaft vom König entgegen genommen hatte. Immer noch kämpfte Williams Partner damit, ob er den Brief lesen sollte oder nicht. „Mach ihn endlich auf!“ Dante wollte es wissen, wollte die Andeutungen von Leonard richtig verstehen.

Dieser hatte den Brief überreicht, seinen Blick gesenkt und ihm dann tief in die Augen geblickt. „Ich beschütze sie mit meinem Leben, auch wenn es mir schwerfällt, weiß ich, dass es richtig ist. Lebt wohl!“ Das waren die letzten Worte des Königs, bevor er im angrenzenden Wald verschwand.

Sam blieb stehen und nickte, während er tief durchatmete.


Mein lieber William,

lass mich heute als Freund zu Dir sprechen. Ich weiß, was ich getan habe scheint Dir unverständlich und doch hat es einen Sinn. Dein Leben muss weitergehen, während meins ein Ende haben wird.

Ich habe es gesehen, eine Vision, meine erste in die Zukunft und somit auch die letzte. Es gibt so viel, was ich Dir noch erzählen würde, wäre es nicht an der Zeit, mich bereit zu machen. Dein Leben zu retten, welches Du für Philip geben würdest. Ich habe den höchsten Respekt vor Dir, doch das solltest Du wissen. Deine Ernennung als Führer hat nicht nur den Kriegern einen Freund geschenkt, sondern auch mir und dafür bin ich dankbar.

Ich kann Dir nicht sagen, wo Du den nächsten König findest, doch ich weiß, er wird nicht weit sein und sich selbst als solcher erkennen.

Leb wohl, mein Freund, wir werden uns wiedersehen, irgendwann.

Leonard


Dante zuckte zusammen, als hätte man ihn geschlagen und genau so erging es auch Sam.


Es dauerte fast drei Stunden, bis die Krieger wieder im Haus ankamen. Alle mit Wunden, die mal mehr, mal weniger verheilt waren. Selbst Quinn tauchte endlich aus der Zentrale auf und vernachlässigte seine Computer, um nach seinem Partner zu sehen. Sam tastete derweil Williams Gesicht ab. „Ist dir was passiert?“

„Nicht wirklich, nicht mehr als allen anderen. Leonard und Matteo sind tot.“ Immer noch fassungslos über die Tatsache schüttelte William den Kopf. Er wollte und konnte es einfach nicht glauben.

„Ich bin Leonard dankbar dafür.“ Den verwunderten Blick verscheuchte Sam, indem er William den Brief reichte. „Er hat es für uns getan und das ist mehr als eine Pflicht gewesen.“


Dante hatte die Worte nur halb wahrgenommen, wartete immer noch darauf, dass Philip eintrat, doch nichts geschah. Bryce schien der Letzte zu sein, der ins Haus kam und die Tür schloss. Er sah auf und blickte Dante direkt in die Augen. „Er brauchte scheinbar eine Auszeit, ist vor uns aus dem Wald gegangen. Lass ihm Zeit, er wird kommen.“

„Vielleicht will er mich auch nicht.“ Diese Variante schien Dante einleuchtender, als dass sein Partner eine Auszeit benötigte. Zudem spürte er, dass ihm die Energie schwand und ebenso müsste es Philip ergehen.

„Er weiß nicht, wer sein Partner ist, nur dass jemand auf ihn wartet. Ich hatte leider nicht die Zeit, ein ausführliches Gespräch mit ihm zu führen“, merkte William an und ließ zu, dass Sam seine Hände auf die Wunden legte. „Warte ab, er wird kommen. Seine Wunden sind ebenso ausgeprägt wie unsere und er weiß, dass er Hilfe zur Heilung braucht!“

Alle Blicke gingen schlagartig zu Bryce, der mit einem verzogenen Lächeln an der Wand im Foyer lehnte. „Ja, ich bräuchte auch Hilfe, aber da ich nachgewiesenerweise keinen Partner habe, wäre es nett, wenn einer Frederik benachrichtigen würde. Vielleicht kann er was für mich tun.“ Es war kaum ausgesprochen, schon eilte Quinn zum nächsten Telefon.

Dante half Bryce in dessen Zimmer und betrachtete den ehemaligen Anführer der südlichen Krieger. Der Einzige im Haus, der noch keinen Partner hatte. Bis auf Sean waren alle mit einem Mann verbunden, wie würde es ihm wohl ergehen?

„Es ist mir egal, wer für mich bestimmt ist. Meine Affären waren nie geschlechtsbezogen. Das Wesen interessierte mich da schon mehr und wer gerade greifbar war, wenn ich ehrlich bin. Schau nicht so, deine Gedanken kann man dir im Gesicht ablesen.“

„Ganz egal?“

„Wenn ich jetzt ja sagen würde, wäre es gelogen, aber das Schicksal denkt sich schon etwas bei der Partnerwahl. Doch sollte nicht ich dich jetzt interessieren, sondern Phil. Ich an deiner Stelle würde am Waldrand warten. Er ist zu Fuß unterwegs und somit wird er irgendwann dort herauskommen müssen.“

Nickend entfernte sich Dante und begab sich nach draußen. Irgendwann würde ein entkräfteter Philip aus dem Wald taumeln und er würde da sein. Auf dem Rasen vor dem Haus stand ein Felsbrocken, auf dem sich Dante niederließ. Sein Blick schweifte am Waldrand entlang, um nicht zu verpassen, wenn sein Partner heraustrat. Nervös fuhr er sich durch die Haare und versuchte, die aufkommende Müdigkeit unter Kontrolle zu bekommen. Den ganzen Tag beherrschte die Anspannung seinen Körper und Geist, doch jetzt wollten beide eine Auszeit. Sehnten sich nach Entspannung, wogegen Dante vergeblich versuchte anzukämpfen.


„Scheint ja tief zu schlafen, wenn er uns nicht mal bemerkt.“

„Ben, halt die Klappe und geh, er ist verdammt schwer!“

„So schwer nun auch wieder nicht, bist etwas aus dem Training, was? Wie wäre es, wenn du mal wieder mit mir Kraftsport machst?“

Dante hätte so gerne die Augen geöffnet, doch er konnte nicht. Seine Glieder waren zu schwer und sein Kopf schien mit Zement gefüllt zu sein. Allerdings bekam er durchaus mit, dass William und Bennet ihn ins Haus brachten, dabei wollte er auf Philip warten.

„Vielleicht nicht die schlechteste Idee, aber momentan habe ich genug zu tun. Hätte ich vorher gewusst, dass ich als Vertretung von Leonard echt alles machen muss, wenn er fort ist, hätte ich den Job nie angenommen.“ William war hörbar genervt.

„Ach ja? Das glaubst du doch selbst nicht. Es ist nun mal deine Bestimmung und die steht dir gut.“ Bennets Schmunzeln konnte man hören.

„Schleimer. Ach schau mal an, wer da kommt. Schön, dass du den Weg zurückgefunden hast, nach geschlagenen sechs Stunden!“, ertönte Williams Stimme rau und strafend.

Doch selbst jetzt, wo Dante wusste, dass Philip endlich zurück war, konnte er sich kaum rühren, ihm fehlte es an Kraft dazu.

„Es tut mir leid, ich brauchte Zeit und dann war ich in der Stadt, ich weiß auch nicht, ich ... Was du da vorhin sagtest, wie meintest du das, William?“

„Genau, wie ich es sagte. Phil, du hast einen Partner, ihr seid sogar schon gebunden.“

„Gebunden? Oh Gott ... sag mal, ist mit Dante alles in Ordnung? Er ist so blass.“ Es schien Philip erst jetzt bewusst zu werden, wie William und Bennet dastanden.

„War ein anstrengender Tag für ihn, er ist auf der Wiese eingeschlafen.“

„Er überarbeitet sich noch. In den letzten Wochen hat er schon nicht auf sich geachtet.“

„Nun ja ...“, setzte Bennet an, doch wurde sogleich von William unterbrochen.

„Wir sollten ihn nun wirklich reinbringen. Philip, wärst du so nett und packst mit an, dann könnte ich mich um meine Verpflichtungen kümmern, das Telefon läuft seit drei Stunden heiß. Leonards Tod ...“

„Ich verstehe, dann tritt mal zur Seite!“

Dante spannte sich unbewusst an, er wusste, was nun kommen würde und was William mit dem Wechsel bezweckte. Kaum hatte Philip eine Hand an ihn gelegt, durchströmte pure Energie ihre Körper und ließ beide zusammenzucken. Trotzdem war es genug, damit Dante die Augen öffnen und den Sturz seiner Beine gen Boden selbst steuern konnte und so direkt stand. Bennet ließ von ihm ab, zog seine Augenbrauen kurz hoch und grinste in sich hinein, während William ihn mit ins Haus zog.


Es kam Dante vor, als hätte er sich an etwas verschluckt, was seine Atmung blockierte. Dem Blick von Philips blauen Augen konnte er nicht lange standhalten und sah zu Boden. Nervös knetete er seine Hände. Es war so viel zwischen Philip und ihm unausgesprochen und nun kam auch noch diese Bindungsgeschichte dazu. Natürlich war Philip davon nicht begeistert und würde ihm das sicher sagen, davon war Dante mehr als überzeugt. Immer fester umfassten sich seine Finger, dass die Knöchel weiß hervortraten, während sich die Fingernägel schmerzhaft ins Fleisch gruben.

„Du wirst dir wehtun.“ Es war nur ein Hauch seiner Stimme, die Dante so wohlbekannt war. Langsam sah er auf und direkt in die himmelblauen Augen, die sein Herz schneller schlagen ließen. „Ich kann die Wunden selbstverständlich schneller heilen lassen, doch habe ich mit meinen eigenen momentan genug zu tun.“

Erst jetzt sah er die verbrannte Kleidung von Philip und die getrockneten Blutreste auf dieser. „Ist es schlimm?“ Unbedacht streckte Dante seine Hand aus, doch stoppte kurz bevor er ihn berühren konnte. Philip antwortete ihm nicht, trat stattdessen näher und ließ so zu, dass Dante mit seinen Fingern die anvisierte Wunde berühren konnte. Augenblicklich durchströmte beide eine warme Flut von Energie und die Verletzungen an Philips Körper begannen zu heilen. Verbunden durch den Körperkontakt und durch ihre Blicke standen sie da und genossen dieses Gefühl. Mutig geworden legte Dante auch die zweite Hand auf eine Verletzung, während Philip zeitgleich mit beiden Händen Dantes Wangen berührte.

„Wie lange weißt du es schon?“

„Seit heute früh. Wir hatten uns bis gestern nie berührt. Ich musste es versuchen.“

„Der Stromschlag!“ Philips Augen weiteten sich überrascht und doch auch erfreut. „Wir haben uns wirklich nie berührt? Das war mir nicht bewusst, sonst hätte ich ...“ Nun war es an Philip, verlegen zu werden und dem Blick seines Gegenübers auszuweichen.

„Du hättest?“, forderte Dante auf es auszusprechen.

Philip trat noch näher, was Dante dazu veranlasste, seine Hand auf die Hüfte wandern zu lassen. Leicht auf den Zehnspitzen wisperte Phil an dessen Lippen. „Dich berührt. Mit allem was mir zur Verfügung steht!“ Dabei legten sich ihre Münder aufeinander und Dante hatte das Gefühl, vor Schwäche zusammenbrechen zu müssen und gleichzeitig voller Energie zu sein. Es war wohl der harmloseste Kuss, den er je mit einem Nichtfamilienmitglied getauscht hatte und doch gleichzeitig der intensivste.


„Dante, es brennt im Club!“ Sam hetzte an beiden vorbei und schien nicht mal wahrzunehmen, wobei er gerade störte. Doch reichte seine Aussage, damit sich Dante sofort von seinem Partner trennte.

„Wie, es brennt?“ Die Frage wurde nicht mit Worten beantwortet, sondern mit einem ernsten Blick, während Sam bereits im Begriff war, ins Auto einzusteigen. Um Entschuldigung bittend sah Dante zu Phil.

„Geh. Ich bin hier und warte auf Frederik.“

***


„Geh duschen, ich werde gleich zu dir kommen und versorge deine Wunden.“ Frederiks Befehl kam Philip nur zu gern nach.

Am Bauch, dem rechten Bein und am Rücken hatte er Verbrennungen, die bereits verheilten. Sicherlich war Dante dafür verantwortlich und dieser Gedanke ließ ihn dümmlich lächeln, wie er im Spiegel des Badezimmers sah.

Ich werde leben und das mit Dante an meiner Seite! Dieser Gedanke war berauschend. Seit langem fühlte er sich endlich wieder lebendig und sein Innerstes schien von Lebensfreude nur so überflutet zu werden.

Mit einem schmerzverzerrten Gesicht streifte er sich seine Kleidung vom Körper und stieg unter die Dusche. Der Tag war kräftezehrender, als er erwartet hatte. Der Tod von Leonard saß ihm noch in den Knochen, doch auch seine barsche Art gegenüber Acey, bei dem er sich noch entschuldigen musste. Allerdings überwog gerade das Gefühl in seinem Bauch, welches wohl Schmetterlingen gleichkam, sollte man Hunderten von Liedern auf dieser Erde glauben. Philips Herz pochte hart in seiner Brust und er spürte noch immer das Gefühl von Dantes Lippen auf seinen. Woher er den Mut gefunden hatte, sich einen Kuss zu stehlen, wusste er nicht, doch er bereute es mit Sicherheit nicht.

Allein die Vorstellung von dem intensiven Kuss ließ seinen Körper in Aufruhr versetzen. Wie es wohl war, sich an Dante zu schmiegen, von ihm berührt zu werden, oder gar begehrt?

Gedankenverloren stieg Philip aus der Dusche, band sich ein Handtuch um die Hüfte und ging über den Flur. Doch statt der zweiten Tür links, drückte er versehentlich die Klinke der ersten herunter und befand sich somit im Zimmer von Quinn und Jannis. An sich wäre das nicht der Rede wert gewesen und Philip hätte einfach das Zimmer verlassen, doch sein Blick blieb gebannt auf den beiden Männern hängen. Quinn kniete vor seinem Partner und seine Lippen lagen eng um dessen Glied, während Jannis den Kopf in den Nacken gelegt hatte und genoss. Dessen Fähigkeiten schienen außerordentlich zu sein, denn schon bald versteifte sich sein Partner.

Eilig verließ Philip das Zimmer, hart schluckte er und atmete tief durch. Doch das half nicht gegen seine aufkommende Erektion. Schnell ging er in sein Zimmer, versuchte alles, um seine Erregung zu unterdrücken. Bald würde Dante wiederkommen, doch so konnte er ihm wohl nicht gegenübertreten. Er biss sich auf die Unterlippe und ließ sich auf dem Bett nieder. Öffnete das Handtuch um seine Hüfte und umfasste sein Glied, welches hart und schwer in seiner Hand lag. Gemächlich, fast träge begann er, sich selbst zu stimulieren und dachte dabei an Dante. Wie es sich wohl anfühlen würde, wenn sie einander derart berührten? Umso mehr er seine Fantasie anstachelte, umso schneller wurden seine Bewegungen. Gerade als er sich in seinem Orgasmus verlor, öffneten sich seine Augen und er sah direkt in Dantes. Doch es war keine Zeit für Scham, denn sein Ejakulat schoss aus ihm heraus und Philip verlor sich in dem erlösenden Gefühl der Befriedigung.


Dafür war der Fall in die Realität hart und mehr als beschämend. Eilig bedeckte sich Philip mit seinem Handtuch, setzte sich auf und sah auf das Bett. Dass Dante plötzlich im Schnellschritt das Zimmer verließ, war für ihn nur einleuchtend. Was musste sein Partner nun von ihm denken? Dass er sexgeil war? Oder seine Hormone nicht unter Kontrolle hatte? „Verdammte ...“

„Wer wird denn hier fluchen? Alles in Ordnung Philip? Ich wollte deine Wunden versorgen kommen.“ Frederik hatte er auch vergessen, Philip ließ den Kopf hängen und grummelte in seinen nicht vorhandenen Bart. „Was ist passiert? Dante ist mit einem hochroten Kopf an mir vorbei und du siehst aus, als würdest du dich in Grund und Boden schämen.“

„Tue ich auch, es ist so peinlich.“

Während sich Frederik an seinen Wunden zu schaffen machte, suchte Philip eine Lösung aus dieser Misere. „Wusstest du eigentlich, dass Dante recht unerfahren ist, was das gleiche Geschlecht angeht?“

„Oh ...“

„Er hat dich bei was erwischt und ist geflüchtet?“ Das Nicken bestätigte Frederiks Annahme. „Ich denke, er ist überfordert, weil ihm erst jetzt bewusst geworden ist, was es heißt, mit einem Mann gebunden zu sein. Lass ihm Zeit.“

„Wenn er mir noch eine Chance gibt.“

„Mit Sicherheit. Er braucht deine Energie und weiß, dass du auf seine angewiesen bist. Warte ab und in der Zwischenzeit beseitige die Spuren und zieh dir was über.“ Ein aufziehendes Grinsen begleitete den Satz und schon verschwand der Arzt wieder.

Selten war sich Philip derart dumm vorgekommen.


Über eine Stunde lag er nun im Bett, züchtig mit T-Shirt und einer Trainingshose bekleidet und wartete. Ganz langsam und leise kam Dante nach zwei Stunden ins Zimmer geschlichen, welches inzwischen in Dunkelheit getaucht war. Philip lag wach im Bett, doch rührte sich nicht, wartete einfach ab, was geschehen würde.

Er vernahm das Rascheln der Kleidung, die Dante ablegte, spürte wie seine Decke angehoben wurde und sich das Bett senkte. Schon bald drang die Wärme seines Partners zu Philip, der sich zwingen musste, nicht näher zu rücken. Es war zu verführerisch, so beieinanderzuliegen und sich doch nicht zu berühren. Doch er schwor sich, die Bremse angezogen zu halten, bevor er jegliche Chance bei Dante verspielte.


Philip war heiß, obwohl er bereits seine Decke zur Seite geschoben hatte, fühlte es sich für ihn so an, als ob ein Zentner heißes Gestein auf ihm lag. Ergeben schwang er seine Beine aus dem Bett, um die Fenster zu öffnen, doch er kam nicht hoch. Sein Rücken schien am Bett zu kleben. „Verflucht, was ist los?“ Abermals versuchte er, seinen Oberkörper aufzurichten, allerdings änderte es nichts, er konnte sich nicht aufrichten. Nochmals erfasste ihn eine Hitzewelle, die er jedoch anders wahrnahm. Pure Energie schien seinen Körper zu durchfluten.

„Was ist?“, erklang ein Brummen neben ihm.

Ruckartig drehte Philip seinen Kopf und sah in Dantes entspanntes Gesicht. Dante! Die Erinnerungen des letzten Tages überschwemmten ihn und unwillkürlich verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Dante hatte sich an ihn geschmiegt, ein Arm lag über Philips Brust. „Mir ist heiß, ich wollte die Fenster öffnen, wenn es dir nichts ausmacht.“

„Und du meinst, das nützt was? Dann dürfte dir gar nicht heiß sein, die habe ich schon vor einer Stunde geöffnet.“ Mit diesen Worten öffnete Dante die Lider.

Sein Blick versank in Philips Augen, sie hatten das Gefühl, einander in die Seele zu sehen und spürten mehr denn je, wie sehr sie einander begehrten. Niemals hätte Philip das erwartet, er konnte genau erkennen, wie erregt Dante war und bemerkte zeitgleich, wie dessen Gesicht sich seinem näherte. Ein Hauch von einem Kuss traf seine Lippen, ließ sie brennen und das Verlangen nach mehr zurück. Wie sollte Philip so sein sich selbst gegebenes Versprechen halten?

Sanft legte sich eine Hand auf seine Wange, streifte darüber, so zart, als würde er unter ihr zerbrechen können. „Dante ...“ Mit einem Finger auf den Lippen, wurde er am Sprechen gehindert. Abermals näherte Dante sein Gesicht und vereinnahmte Philips Mund.


„Ich habe gleich Dienst“, nuschelte Philip an Dantes wundgeküsste Lippen. Die ganze Nacht hatten sie kein Auge mehr zu gemacht und soeben ertönte der Wecker.

„Da solltest du hingehen.“

„Allerdings. Bryce wird wohl noch ein paar Tage ausfallen, sofern das Mittel der Hexen wirkt ...“

„Das wird es. Frederik weiß, was er tut.“ Ein letztes Mal verbanden sich ihre Lippen zu einem zarten Kuss.

Philip kam sich vor, als würde er auf Wolken gehen. Vergessen waren die letzten Wochen voll der Schmach, seine Kollegen bei ihren sexuellen Aktivitäten beobachten zu müssen. Dante war viel besser als jedes Sex-Abenteuer, das er je gehabt hatte. So nahm er sich frische Kleidung aus seinem Schrank und begab sich ins Bad, welches allerdings bereits belegt war, wie er beim Eintreten bemerkte.

Überrascht sah Philip zu Sarah, die ihr rotes Haar mühsam zur Seite hielt, während ihr Mageninhalt in der Toilettenschüssel verschwand. Er ließ seine Kleidung fallen und eilte zu ihr. Sanft strich seine Hand über ihren Rücken, umklammerte dann an ihrer Stelle das gewellte Haar. „Alles in Ordnung? Soll ich Sean rufen?“

„Nein ... alles ... okay!“ Immer wieder würgte sie und Tränen liefen über ihre Wangen.

„Okay? So siehst du wirklich nicht aus. Hast du was Falsches gegessen?“

„Nein ...“, wiederholte sie sich und ließ sich nach hinten sinken.

„Ich hole Sean, das ist mir nicht geheuer.“ Gerade als sich Philip zum Gehen abwandte, ertönte flüsternd Sarahs Stimme.

„Bitte nicht. Ich bin schwanger und er weiß es noch nicht!“

„Schwanger? Du? Von Sean?“ Er war zu perplex, um wirklich zu verstehen, was die Frau ihm gerade mitgeteilt hatte.

„Von wem denn sonst? Bitte Phil, sag nichts, ich möchte es selbst tun. Doch erst will ich ein Bild des Kindes in den Händen halten und wissen, dass alles in Ordnung ist.“ Mühsam stand Sarah auf und blickte ihm tief in die Augen.

Das schien ein Schalter umzulegen, denn plötzlich grinste er und zog sie in seine Arme. „Herzlichen Glückwunsch!“

„Danke. Ich hab noch mit keinem darüber geredet ... die letzten Tage waren so stressig. Umso schöner ist es, dass ich es jemandem sagen darf. Sean und ich bekommen ein Baby!“ Sarah strahlte und Tränen der Freude liefen über ihre Wangen.

Philip fiel es nicht schwer, sich mit ihr zu freuen. Kinder waren etwas Wundervolles, und auch wenn er selbst nie welche haben würde, ein Kind im Haus war sicher nicht das Schlechteste. „Ich fühle mich geehrt, der Erste sein zu dürfen und freue mich sehr für euch beide. Dann kommt hier ja richtig Leben ins Haus“, hauchte er ihr einen Kuss auf die Haare.


Der Tag schien perfekt anzufangen, etwas holprig außerhalb seines Zimmers zu starten und dann doch wunderbar weiterzugehen. So empfand es Philip und trat umso lieber seinen Dienst an. Auch in der Stadt schien Ruhe einzukehren, wie Quinn mitteilte, der die Nachtschicht übernommen hatte und sich müde ins Bett schleifte. Doppelschichten waren für niemanden einfach, doch manchmal einfach nicht zu verhindern. Gerade weil die restlichen Krieger allesamt verletzt waren und dringend Erholung benötigt hatten. Sarah brachte Philip frisch gekochten Kaffee und einige belegte Brote, so konnte der Morgen weitergehen.


***


Dante war selten so gern aus dem Bett aufgestanden. Er fühlte sich wie neu geboren, trotz des Schlafmangels voller Energie und Tatendrang. Doch die ungewohnte Umgebung hatte seine Tücken, so stieß er sich auf dem Weg aus dem Zimmer am Pfosten des Bettes, was ihn lauthals fluchen ließ. Humpelnd und vor sich hingrummelnd ging er Richtung Bad, wo er gleich auf Sean traf. Dessen Laune schien weit unterhalb des Kellers angesiedelt zu sein. Denn nicht anders konnte es sich Dante erklären, dass dieser ihn plötzlich anvisierte und mit dem Zeigefinger in die Brust stach. „Sag ihm, er soll die Finger bei sich behalten. Sarah hat einen Mann und braucht ihn mit Sicherheit nicht. Sollte er sich nicht daran halten, werde ich jeden einzelnen brechen.“ Damit war Williams Stellvertreter auch schon die Treppen hinab verschwunden. Irritiert sah sich Dante um und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen, doch verstand beim besten Willen nicht, was geschehen sein sollte.

Grübelnd stieg er unter die Dusche und begab sich dann in die Küche. Auch hier tigerte Sean mit einem missmutigen Gesichtsausdruck umher und raunte jeden an, der hereinkam. Man solle ihm aus dem Weg gehen, dass Kaffee gar nicht gesund war, oder es nicht nötig sei, Sarah zu stören. Das Letzte bekam ausgerechnet William zu hören, der überrascht seinen besten Freund ansah. „Sonst geht es dir gut? Setz dich gefälligst hin und lauf keine Schneise in den Boden.“

„Wo ich stehe und gehe ist meine Angelegenheit. Hier, dein Brot und Kaffee. Jetzt kannst du ja gehen.“

Bennet trat mit Acey in die Küche und unterdrückte ein Lachen, als er Seans Aussage hörte. Ebenso Sam und Jannis, die bereits am Tisch saßen und nun gespannt die zwei Krieger beobachteten, die sich mit Blicken zu messen begannen.

„Hört auf!“, mischte sich Sarah ein und schüttelte den Kopf.

„Soll er dich vielleicht auch noch umarmen und dich zärtlich küssen?“ Seans Stimme vergriff sich eindeutig im Ton gegenüber seiner Partnerin, die erschrocken zurücktrat und gegen die Arbeitsplatte stieß. Sarah stützte sich nach hinten ab und griff so direkt in ein Messer, mit dem sie zuvor Obst geschnitten hatte. Das Blut lief ihre Hand hinunter, während sie eilig ein Tuch drauf drückte.

„Sean, hilf ihr und dann klärt, was auch immer ihr klären müsst.“

„Helfen? Ich? Wer weiß, ob sie das noch möchte, wo sie sich doch lieber von jemand anderem in den Arm nehmen lässt.“ Bockig wie ein kleiner Schuljunge wandte er sich ab und wollte die Küche verlassen, als Bennet auf Williams wortlose Anweisung ihm den Weg versperrte. „Geh mir aus dem Weg, Cain!“

„Kommst du mir im Ernst mit meinen Nachnamen, Brien? Du sollst deiner Frau helfen, also stell dich nicht an wie ein zickiges Mädchen. Was ist denn passiert, dass du dich hier so aufführst?“

„Frag doch ihn!“

Alle Blicke gingen zu Dante, der genüsslich in ein Brot biss und scheinbar ignorierte, was gerade um ihn passierte. „Dante, was ist passiert?“, ergriff William das Wort und verband dabei Sarah die Hand.

„Frag mich was Leichteres.“

„Entweder sagt mir jemand, was hier los ist, oder ich werde mich gleich vergessen!“ Die Adern an Williams Hals traten hervor, seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Seit gestern habe ich mehr Papierkram in der Zentrale liegen als normal in einem ganzen Jahr. Das Telefon klingelt ununterbrochen, wenn ich es nicht ausschalte. Da habe ich beileibe keine Lust, meine geringe Zeit der Ruhe mit einem eifersüchtigen Sturkopf zu verbringen!“ Mit diesen Worten stieß er Sean unsanft an die nächste Wand.

Dieser schnappte nach Luft, die ihm mit dem Aufprall aus der Lunge gepresst wurde. „Philip hat meine Frau in den Armen gehalten und geküsst!“, kam er dann auf den Punkt. Das Brot in Dantes Hand schien an Anziehung zu verlieren, denn dieser sah abrupt auf, schüttelte dann aber lediglich mit dem Kopf und biss abermals in sein Frühstück. „Ist das alles, was du zu sagen hast?“

„Ja!“ Er wischte sich den Mund ab, stellte seinen Teller in die Spülmaschine und nahm den letzten Schluck Kaffee aus seiner Tasse. „Es gibt sicher einen Grund!“

„Ach, einen Grund? Den würde ich gerne wissen. Keiner hat das Recht, meiner Frau so nah zu kommen!“ Damit befreite sich Sean aus Williams Griff und stürmte in die Zentrale.

„Wenn er ...“, setzte Dante an, wurde jedoch von Bennet unterbrochen.

„Dann darfst du, versprochen. Aber jetzt wäre ich dafür hinterherzugehen.“


Dante konnte nicht anders als zu lachen. Mit Sicherheit hatte er erwartet, seinen Partner an der Wand wiederzufinden, inklusive Seans Hand um dessen Hals, doch das zeigte sich hier nicht. Sean lag halb auf dem Besprechungstisch, das Gesicht presste sich auf die Platte und seine Arme waren verdreht auf dem Rücken. Philip hatte ihn durchaus im Griff und machte nicht ansatzweise den Anschein, in einer Notsituation gewesen zu sein.

Selbst William war von dem Anblick überrascht, maß Philip doch gute zwanzig Zentimeter weniger als Sean. „Du hast scheinbar alles im Griff. Vielleicht könntest du mir dann noch sagen, was zwischen dir und Sarah vorgefallen ist, dass er so reagiert?“ Dante stand neben ihr, sah sie als Einziger fragend an, doch ehe sie was sagen konnte, erklang Phils Stimme.

„Ich denke nicht, dass ich was erklären müsste. Sarah ging es nicht gut und ich war zufällig da, daran ist nichts verkehrt.“

„Warst wohl nur freundlich, was? Du hast sie geküsst und im Arm gehalten“, spie Sean, bekam eine Hand frei und versuchte sofort, an Philip ranzukommen.

„Du solltest es ihm sagen.“ Sarah war sichtlich irritiert von Dantes Äußerung. „Du hältst dir deinen Bauch!“

„Aber ich wollte warten ...“

„Tu es, er flippt aus!“

Das tat Sean tatsächlich. Er bäumte sich unter Philip auf und schaffte es immer mehr, sich zu befreien.

„Sean, beruhig dich, bitte. Ich bin schwanger. Phil hat mich heute Morgen im Bad erwischt, als mich die Morgenübelkeit überkommen hat.“

Es war still, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Es passierte nichts. Bis Dante sich in Bewegung setzte und Philip zu sich zog. „Ich sagte doch, er hat einen Grund!“

Sean lag weiterhin auf dem Tisch und sah seine Frau irritiert an, die ihre Hände auf den Bauch gelegt hatte. Plötzlich sprang er auf, stürmte auf Sarah zu und küsste sie stürmisch. „Wir bekommen ein Baby?“

„Ja. Ich wollte es dir sagen, sobald ich bei der Untersuchung gewesen wäre.“

„Wir bekommen ein Baby!“ Freudestrahlend drehte er sich mit ihr.


„Der Tag heute ist genial!“, schmunzelte Philip und lehnte sich an Dante.

„Meinst du?“

„Ja, ich finde schon. Alles scheint einfach zu laufen, ohne Stress, ohne Aufruhr, ohne einen Verlust, im Gegenteil. Das Haus bekommt Zuwachs, ist doch was, oder nicht?“

Ein Nicken bestätigte seine Annahme und weiche Lippen auf seinem Nacken ließen ihn auf einen noch besseren Tag hoffen. „Was wird das?“

„Mal sehen, aber erst einmal hast du Dienst und ich muss im Club vorbeisehen.“

„Der Brand, du hast mir gar nicht erzählt, was passiert ist.“

„Kabelbrand, nichts Dramatisches.“


Seufzend stand Dante vor der Steckdose, die versengt aus der Wand hing. Dramatisch war es nicht, doch ärgerlich und der Schaden musste beseitigt werden. Dabei hatte er dafür überhaupt keinen Kopf, einzig Philip beherrschte seine Gedanken, und die Nacht mit ihm. Niemals hätte er sich vorstellen können, dass es so schön sein konnte, mit einem Mann zusammen zu sein. Es war atemberaubend wie intensiv harmlose Küsse sein konnten. Mehr als einmal hatte sich Dante danach gesehnt, seinem Partner näherzukommen, wesentlich näher als in der Nacht und am Morgen. So anregend wie der Gedanke daran war, so intensiv jedoch auch die Hemmung, es umzusetzen. Wie sollte er das Philip auch klarmachen? Gedankenverloren schrubbte er den Ruß von der Wand.


Frederiks Aussage am Abend zuvor fiel ihm wieder ein. Wie kam der Arzt nur auf die irrsinnige Idee, dass er keine Erfahrungen habe? Sicherlich, er war nie der Hengst gewesen, der jede Frau ins Bett zog, wenn er denn überhaupt mit seinen Eroberungen so weit kam. Jedoch waren Dantes Erfahrungen recht vielseitig. Bis auf die mit Männern und der Kleinigkeit, dass er nie die Initiative ergriff. Daran würde das Ganze wohl auch scheitern, denn irgendwas sagte ihm, dass Philip nicht der Typ war, sich einfach zu nehmen, nachdem es ihn verlangte. Dass Dante gestern Abend aus dem Zimmer geflüchtet war, lag nicht an Philips Handlung an sich selbst. Oder doch, genau daran. Dante hatte sich gefühlt, als würde sein Körper in Flammen stehen. Jedes Detail seines Partners in dessen Ekstase saugte er auf und wünschte sich, nicht nur zuzusehen. Als Philip ihm dann in die Augen sah, wäre er am liebsten vor Scham im Erdboden versunken. Völlig kopflos war er abgehauen, aus Angst Phil könnte ihn auslachen. Weit war er nicht gekommen und die Sehnsucht viel zu groß.


„Fehlt nur noch, dass du Herzchen an die Wand malst, damit alle wissen, wie verliebt du bist.“ Es war Sam, der spottend hinter Dante stand und ihn angrinste.

Irritiert sah dieser zum Geschäftsführer und dann auf die Wand. Er hatte doch wirklich die letzte halbe Stunde nur eine Stelle geschrubbt. „Mist!“, murmelte Dante in seinen nicht vorhandenen Bart und begab sich an den restlichen Ruß.

„Alles klar?“ Sam kniete sich neben ihn und nahm sich ebenfalls einen Schwamm, um die Wand zu bearbeiten.

„Nicht wirklich.“

„Okay, und was stimmt nicht?“

Verlegen senkte Dante seinen Blick und zuckte mit den Schultern. „Eigentlich nichts.“

„Eigentlich? Ist was mit Phil?“

„Na ja, glaub schon, aber auch wieder nicht.“ Dante setzte sich auf den Boden und ließ den Schwamm sinken. „Ist doch so schon alles kompliziert.“

Sam nahm vor ihm Platz. „War es mit Will auch. Glaub es oder nicht, er ist auch nicht gerade der geborene Casanova.“ Beide grinsten sich an. „Aber glaub mir, es wird. Selbst Bennet und Acey haben es irgendwie hinbekommen, auch wenn ich die Konstellation mutig finde. Nicht jeder kommt mit Bennet klar und Acey ist nun wirklich kein leichter Zeitgenosse. Falsche Erziehung, falsche Moralvermittlung und einen noch falscheren Vater. Glaub mir, was er durchgemacht hat, geht auf kein Kuhfell. Jannis ist ebenso verquer, wenn wir ehrlich sind. Eltern ermordet, dann bei den Wölfen groß geworden, als Samenspender missbraucht und zur Selbstmordmission gegen seine eigene Rasse trainiert. Quinn hatte seine helle Freude mit ihm.“

„Sarah und Sean?“

„Da war ich noch nicht aktuell, aber glaubt man unseren Tratschweibern ...“ Sam grinste verschmitzt und zwinkerte. „Dann muss das eine tolle Geschichte gewesen sein. Quinn und Sean hatten ein Verhältnis, doch dann kam Sarah. Die besondere Beziehung zwischen den zwei Kriegern spürt man immer noch. Sie stehen sich so nah, wie die Freundschaft von Sean und William tief ist. Ich weiß nicht, wie Sarah das aushält, aber sie ist nicht eifersüchtig, noch hinterfragt sie etwas. Wie oft die beiden schon gemeinsam Überstunden machten auf Streife, kann ich nicht mehr zählen. Ich glaube nicht, dass sie noch etwas miteinander haben, aber sie holen sich ihre Zweisamkeit, egal wie.“

„Bryce?“

„Wenn ich ehrlich bin, kann ich zu ihm nicht viel sagen, außer dass ich ihn immer suchen muss. Sobald er nicht auf dem Dienstplan steht, ist er weg, wohin weiß keiner.“

Dante atmete tief durch und versuchte sein Problem mit Philip in Worte zu fassen. „Sprich es einfach aus. Egal, wie du es dir zurechtlegst, es kommt doch auf das Gleiche raus.“

„Ich hatte nie einen Freund, an sich nie Interesse an Männern und nun überrennen mich Gefühle und Wünsche“, brachte Dante es somit auf den Punkt.

Sam nickte verstehend, ließ kurz seinen Blick sinken, bevor er Luft holte. „Reden hilft, aber mir ist bewusst, dass es nicht einfach ist. Du solltest dir sicher sein, was du willst. Sex zwischen zwei Männern ist anders als zwischen Mann und Frau.“

„Das war selbst mir klar.“

„Natürlich, ich sag es ja nur noch mal. William redet nicht gerne, er zeigt mir, was er will, und das manches Mal recht rau und doch auch liebevoll. Wie genau ihr das zwischen euch am besten klärt, kann dir keiner sagen, das solltest du spüren. Philip ist noch nicht lang genug bei uns, als dass einer dir mehr über ihn sagen kann. Du kennst ihn von allen am besten.“

„Das nützt mir aber nichts. Über sowas haben wir nie gesprochen.“

Nachdenklich beschäftigten sie sich wieder mit der Wand. Es war ein ruhiger Tag, was nicht nur daran lag, dass der Club geschlossen hatte. Selbst im Kriegerhaus, wo die beiden nach ihrer Reinigungsaktion ankamen, war es geradezu einschläfernd ruhig.


Sean saß in der Zentrale und beobachtete die Monitore, während William mit den Seherinnen telefonierte. Er wollte scheinbar ein Treffen organisieren, um den neuen König ausfindig zu machen.

Ein Blick auf den Dienstplan verriet, dass Philip, Quinn, Bryce und Acey auf Streife waren.

„Komm, wir gehen was essen, es scheint mir, hier will keiner was mit uns zu tun haben“, schmollte Sam, der von William abgewiegelt worden war, als dieser ihn begrüßen wollte. Dante nickte schon, als ihm Will auffiel, der die Augen verdrehte und sich seinen Partner schnappte, um ihn schnell und rau zu küssen.

Schmunzelnd verschwand Dante aus der Zentrale, eindeutig, der Anführer und sein Partner waren ein Vorzeigepaar. Ihr Miteinander empfand er als einzigartig, obwohl es sicher bei jedem der Paare im Haus vorkam, sah man es nur bei diesen beiden öffentlich. Acey hatte bis zu diesem Zeitpunkt immer noch ein Problem damit, seine Liebe zu Bennet offen zu zeigen, ob das nun schlimm war? Dante empfand es zumindest nicht so, denn nicht jeden ging es etwas an.

Genau wie bei Philip und ihm selbst. Jedoch beherrschte ihn das Verlangen, es sich selbst zu zeigen, sich mit seinem Partner zu verbinden, eins zu werden. Doch wie sollte er es anstellen?

Sams Ratschläge waren gut gemeint, jedoch für ihn nicht wirklich nützlich und somit musste eine andere Herangehensweise her. Vielleicht war es doch keine schlechte Idee, ihn sich zu packen, über die Schulter und dann einfach aufs Bett zu werfen? Und dann ... die Klamotten vom Körper reißen und ihn erobern? Würde Philip sich das gefallen lassen, oder ihn schlagen? Irgendwie ahnte Dante, dass er bei ihm nicht so ein leichtes Spiel haben würde, wenn der es nicht wollte. Trotzdem gefiel ihm der Gedanke und ließ ein Schmunzeln auf seinem Gesicht erscheinen.

„Manchmal ist Will echt doof“, atmete Sam neben ihm tief aus.

„Er liebt dich!“

„Dass auch, aber doof ist er ebenso, glaub mir. Komm, wir wollten was essen. Vielleicht haben wir Glück und Sarah macht uns ihre super Sandwiches.“


Sie hatten Glück und so saßen sie kaum eine halbe Stunde später am Tisch und hatten einen Teller voll belegter Brote vor sich. Sarah setzte sich ihnen gegenüber und sah einen nach dem anderen fragend an. „Alles klar, Sam?“

„Ja sicher ... aber ich hasse es, wenn William den Anführer raushängen lässt. Er hat dann nie Zeit für mich.“

„Er ist es nun mal und die Verantwortung ist groß. Solange du nicht auch einen Teil übernimmst, wird es so bleiben.“

„ICH? Und wie soll ich das anstellen?“

„Übernimm doch einfach etwas Büroarbeit, oder seine Anrufe, mach seine Termine so, dass er auch ein wenig Zeit für sich und dich hat. Sam, du kannst das, sonst hätte dich das Schicksal nicht dazu berufen.“ Sam nickte ergeben und biss in sein Sandwich. Dann sah Sarah zu Dante und grinste. „Tu es, egal was dir im Kopf rumgeistert, es ist das Richtige, glaub mir. Philip wird dir schon sagen, was ihm zusagt und was nicht. Ihr seid ein tolles Paar und das werdet ihr ganz sicher auch bleiben.“

„Spricht da die zukünftige Mama?“ Dante lachte verhalten und zog die Augenbrauen hoch.

„Eher die dritte Tochter einer Seherin. Ich habe nicht viele Fähigkeiten, außer das Gespür für Menschen.“

Sam horchte auf. „Heißt das, du kannst fühlen, wie es um jemanden steht?“

„Ja, ich wusste von Beginn an, dass zwischen Sean und Quinn mehr ist als reine Freundschaft. Sie verbindet eine Liebe, die ganz anders ist, tiefer geht und doch nie für Jannis und mich gefährlich wird. Sie werden ihr Leben lang diese Gefühle teilen, mit Blicken und Gesten bestätigen, jedoch nicht mehr. Es mag sich für Außenstehende merkwürdig anhören, doch ich genieße es, diese Gefühle zu spüren. Sie entspannen mich und lassen mich teilhaben, an dem was ich so nie mit Sean haben werde. Er liebt im herkömmlichen Sinn nur mich, daran zweifle ich nicht, und deshalb kann ich es genießen, was die beiden miteinander verbindet. Jannis sieht es ebenso wie ich, was zu Beginn Eifersucht war, ist mittlerweile zu einem Genuss geworden.“

Dante kannte Sean und Quinn schon lange, wusste über ihre gemeinsame Zeit, doch dass sie so tiefgehend war, schien ihn sichtlich zu überraschen. „Wie ein Bündnis!“, sprach er seine Gedanken aus.

„Ja, so könnte man es wohl sehen. Es ist selten, somit gibt es kaum Aufzeichnungen dazu, jedoch habe ich von meiner Großmutter dergleichen Geschichten gehört. Es gibt ein Bündnis ohne Bund. Innige Gefühle, die einen auf ewig verbinden. Bei den Menschen heißt es Seelenpartner, doch ich glaube das, was Sean und Quinn verbindet, ist mehr als nur das. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll. Manchmal würde ich es andere gerne fühlen lassen, doch das kann ich leider nicht.“ Diese Tatsache schien Sarah geradewegs zu deprimieren.


***


Philip sah zu Quinn, dessen Wangen sich gerötet hatten bei Sarahs Worten. „Wie kommt ihr auf dieses Thema?“, unterbrach er auch gleich das Gespräch der drei in der Küche.

„Ich habe ihnen meine kleine Gabe beschrieben. Dir muss das nicht unangenehm sein, es ist nichts Peinliches, es ist was Schönes.“

Quinn verdrehte die Augen und setzte sich an den Tisch. „Wenn du das sagst. Ich finde es beunruhigend, dass du immer weißt, was Sean und ich fühlen, manchmal sogar merkwürdig, dass du es so akzeptierst.“

„Auch nur, weil ich weiß, dass ihr mir nie wehtun würdet. Selbst du magst mich, obwohl ich ihn dir weggenommen habe. Ich gebe zu, seit Jannis da ist, ist es auch für mich angenehmer und noch genussvoller.“ Sarah wackelte mit den Augenbrauen, was Quinn schwer seufzen ließ.

„Du bist eine merkwürdige Frau, Sarah, sehr merkwürdig. Aber ja, ich mag dich, vom ersten Augenblick an und ja, auch für mich ist es seit Jannis einfacher geworden.“


Philip ließ sich von Acey informieren, was genau das Thema war und schien erstaunt über das Gehörte. Jedoch wusste er selbst nur zu gut, dass es mehr gab als einen Lebensbund. In den 350 Jahren hatte er so einiges gesehen, gehört, erlebt, als nur an Sonne, den Mond und die Sterne zu glauben. Sein Blick wanderte zu Dante, der immer noch gebannt zu Sarah sah.

„Mag sein, Quinn, aber du bist der Letzte hier, der sich als „normal“ bezeichnen darf“, lachte sie und begab sich daran, weitere Sandwiches zu machen. „Dante, jetzt wäre der passende Zeitpunkt!“, wandte sie sich mit einem intensiven Blick zu diesem.

Stirnrunzelnd sah Philip zu Sarah und bemerkte so nicht, wie sich sein Partner erhob und zu ihm kam. Erst als er in die Luft gehoben wurde und sich bäuchlings über Dantes Schulter wiederfand, realisierte er, was gerade geschah, doch was es werden sollte, begriff er nicht.

Philip registrierte noch die überraschten Gesichter seiner Kollegen, Sams und Sarahs Schmunzeln, dann wurde er auch schon die Treppen hochgetragen. „Dante, was wird das?“ Sein Partner schwieg, ging stattdessen ins Schlafzimmer, verschloss die Tür hinter ihnen und stellte Philip auf die Füße. Dieser wand sich regelrecht unter den intensiven Blicken, die ihm zuteilwurden. Plötzlich spürte er dessen Hände auf seiner Kleidung und er erstarrte. Stück für Stück verlor er sie, bevor Dante sich selbst ebenfalls auszog.

Philip durchfuhr eine Gänsehaut der Erregung, seinen Partner derart zu sehen. Dante war groß, sicherlich nicht makellos und doch einzigartig. Er wollte ihn berühren, jeden Zentimeter dessen Körper erfühlen, schmecken und liebkosen. Doch schien das nicht Dantes Plan zu sein, denn dieser zog ihn plötzlich an sich und drängte ihn zurück zum Bett, dass Philip bald gegen das Gestell stieß und sich zurückfallen lassen musste.

„Ich will dich!“, vernahm er schon bald nahe an seinem Ohr. Dantes Stimme war geschwängert von Erregung.

„Dann nimm mich!“ Philip hatte keine Ahnung, ob er die Worte wirklich ausgesprochen hatte, oder lediglich gedacht, doch in diesem Moment war es auch egal. Er spreizte willig die Beine und lud seinen Partner ein, das zu tun, was diesem scheinbar durch den Kopf ging.

Zarte Bisse am Hals, an der Schulter ... Hände, die seinen Körper bis aufs Äußerste reizten. Philip wusste nicht, was er intensiver wahrnahm, auf was er achten sollte, oder wie reagieren. Er fühlte sich ausgeliefert wie noch nie in seinem Leben und zum ersten Mal wollte er die Situation nicht ändern.

Stattdessen ließ er sich fallen und wusste, dass er aufgefangen wurde.


Immer intensiver wurden die Berührungen, ließen ihn wie ein willenloses Stück Fleisch auf dem Grill der Hitze erliegen. Der Geruch von Sex lag in der Luft, obwohl noch nichts passiert war. Dante arbeitete sich zum gefühlten tausendsten Mal über seinen Körper und ließ seinen Intimbereich aus, was ihn fast zur Verzweiflung brachte. „Bitte, Dante ...“, flehte er mit zittriger Stimme.

Schmunzelnd erschien dessen Gesicht über ihm, hauchte einen Kuss auf die glühenden Lippen. „Was willst du? Sag es mir und ich erfülle dir jeden Wunsch.“

Das war fast zu viel für Philips angespannte Nerven und vor allem für seine Libido. „Verdammt, Dante.“ Noch während des Fluchs spürte er, wie sich etwas Kühles, Glitschiges an seinen Anus herantastete und ehe er abermals was sagen konnte, versenkte sich ohne Umschweife ein Finger in ihm. Philip schnappte nach Luft, sein Körper wurde von Energie geflutet. Es war atemberaubend und doch nicht genug. Er sehnte sich nach mehr.

Dante dagegen schien Zeit zu haben, eroberte ihn mit einem weiteren Finger. Ergeben schloss er die Augen und genoss die Lippen auf seiner Haut, die Berührungen in seinem Inneren. Als Philip seine Lider öffnete, sah er Dante über sich. Die Haut von einem Schweißfilm bedeckt, ging dessen Atem nur noch stoßweise. Die Iriden waren lustverhangen und voller Gefühle. Stürmisch eroberte Dante Philips Lippen und schob währenddessen seinen Unterleib zwischen die gespreizten Beine seines Partners. Es war an Philip, die Führung zu übernehmen, der die Finger von Dante aus sich zog und stattdessen seine Hüfte näher an sich heran.

Ein Stoß, der beiden ein erlösendes Seufzen entlockte, verband ihre Körper und Seelen. Der Energiefluss wurde immens, sodass beide nach Luft schnappten und wussten, dass dieser unbedingt umgesetzt werden musste. Doch Dante schien zu zögern, schaffte es nicht, einen Stoß zu vollführen, vereinnahmte weiterhin die Lippen seines Partners.

Philip grinste in den Kuss hinein und tat das, was er bisher nur in einem Kampf getan hatte. Er sammelte seine Kraft und drehte sich mit Dante um, ohne dass sie sich voneinander trennten. Weiter verbunden, saß er nun auf ihm und tat das, was sein Körper verlangte. Der Energie freien Lauf lassen und zum ersten Mal verstand er auch, wieso es die Partner im Haus nicht interessierte, dass sie von allen gehört wurden. Denn dieser Moment war einmalig und Philip ahnte, dass es ab jetzt jedes Mal so sein würde. Unter ihm keuchte Dante, griff ihm hart in die Hüfte und unterstützte so die Bewegungen.


Grüne Augen trafen ein grünes und ein blaues. Sie hielten einander fest, während sich ihre Muskulatur versteifte. Das Versprechen zueinander blieb unausgesprochen und doch war es zu hören, drang tief in sie ein und schürte ihr Vertrauen.

Sanft umfasste Dante Philips Gesicht, als dieser sich erschöpft auf ihn fallen ließ. „Alles in Ordnung?“ Die Besorgnis erkannte Philip sofort.

„Bestens, obwohl ich das nicht von dir erwartet habe!“ Leicht verlegen schloss Dante die Augen, was Philip amüsierte. „Ich dachte, du wärst eher der schüchterne Typ und ich müsste ewig auf dich warten.“

„Das hätte ich nicht ausgehalten, nicht wenn du dauernd vor einem herumspringst, wie ein Flummi. Mit diesem Lächeln im Gesicht, das so unschuldig wie verrucht ist.“

Nun war es an Philip, verlegen zu werden. „Es ist nicht leicht, dich zu sehen und nicht unanständige Gedanken zu haben. Du bist groß, verwegen, gefährlich und doch weiß ich, dass du mir nie etwas antun würdest. Ich glaube, du bist der erste Mann, dem ich bedingungslos vertraue.“

Dante drehte sich mit ihm um und begrub seinen Partner unter sich. „Ich werde dich nie enttäuschen, versprochen.“ Mit einem Kuss gaben sie sich das Versprechen, welches intensiver und inniger nicht sein konnte.


Es dämmerte bereits, als sie das Schlafzimmer verließen und sich in die Küche begaben.

William saß über seinem Terminkalender und schlug gerade mit der Stirn auf die Tischplatte. „Ich mag nicht mehr, das ist doch ätzend, wieso hat mir Leonard das angetan?“

„Weil er wusste, dass du es kannst. Es ist dir zu viel, dann bitte jemanden um Hilfe.“ Sarah hatte William nicht mal angesehen, rührte weiter in einem großen Topf, der eindeutig einen Eintopf beherbergte, so wie es roch.

„Bitten? Okay. WER HAT LUST, MEINE SEKRETÄRIN ZU SPIELEN?“

„Wenn du uns erzählst, wie genau das aussehen soll, immer.“

Die Blicke ruckten zur Tür und selbst Philip war erstaunt, dass das Angebot ausgerechnet von Dante kam.

„Ja, also ... Anrufe entgegennehmen, Termine eintragen und die Wichtigkeit abwägen.“

„Das dürfte kein Problem darstellen, solange ich nicht im Club bin, sonst wird dir Sam aushelfen. Wir müssen unsere Anwesenheit im Betrieb sowieso überdenken, damit jeder Freizeit hat.“

„Der Boss hat gesprochen“, lachte Sam, der gerade in die Küche trat und direkt bei William auf dem Schoß Platz nahm. „Hab ich dich eben um Hilfe bitten gehört?“

Grummelnd nickte dieser und vergrub sein Gesicht an dessen Hals. „Ich schaff das einfach nicht. Ist alles viel zu viel. In zwei Tagen kommen die Seherinnen und ich hoffe, dass wir bis dahin den neuen König gefunden haben. Wenn er wirklich nicht so weit weg ist, müsste er sich ja melden, oder?“ William sah zu Sarah, die jedoch weiterhin in den Topf blickte.

„Er meldet sich nicht, er wird geoutet und damit nicht rechnen. Jedoch ist die Entscheidung weise und Leonards Opfer verständlich.“

„Du weißt, wer es ist?“, fragte Philip und stellte sich neben sie an die Arbeitsplatte, um ebenso in den Eintopf zu sehen, vielleicht zeigte sich auch ihm, was allen verborgen blieb.

„Wissen ist ein zu großes Wort, sagen wir, ich habe bei Leonard was erfühlt und ahne es. Doch das Wissen kommt erst mit den Seherinnen.“ Sie tauschten einen Blick, der Philip bis ins Mark ging. Sie wusste es und davon war er mehr als überzeugt. Sarah kannte den neuen König und wusste scheinbar noch mehr, doch blieb verschwiegen.

Stattdessen gab es bald den Eintopf, den sie in ungewohnter Stille genossen. In Philip kam ein unwohles Gefühl auf, diese Stille des Tages und die Ruhe der letzten Tage waren ungewohnt. Erst recht für einen Krieger wie ihn, der nur zu gut wusste, dass es bei Windstille bald einen Sturm gab, und sei der Himmel noch so blau.


Philip sollte recht behalten, denn noch in der Nacht, während er sich mit Dante einer Wiederholung des Tages hingab, schrillten die Alarmglocken des Hauses los und ließen bald alle Krieger vor der Tür stehen. Irgendjemand befand sich auf ihrem Grundstück. Gerade als William Anweisungen geben wollte, war es Bryce, dessen Augen starr den Anführer ansahen und ihm befahlen, hineinzugehen, während sich bei allen anderen die Nackenhaare aufstellten.

 

Im Zeichen des Panthers

Eisblaue Augen sahen in nachtgraue. Die Blicke waren gefährlich, während sie einander maßen und sich immer näher kamen. Reiner Hass war in den Iriden zu erkennen, als Bryce seine Hand vorschnellen ließ, den Hals seines Gegenübers umfasste und ihn somit an einen Baumstamm presste. „Verschwinde oder ich bring dich um. Du hast hier nichts zu suchen George.“

Ich werde mein Recht einfordern, ich bin der einzig wahre Anführer der Vitae essentia und auch du wirst mir dieses Recht nicht verweigern können!“

Das denkst auch nur du. Ich bin der Anführer der südlichen Krieger, habe William meine Treue geschworen. Ich werde ihn verteidigen und sollte ich dabei mein Leben lassen.“ Das Eisblau wurde dunkel wie das Meer in seiner Tiefe, während er ein letztes Mal die Luftröhre von George zusammenpresste und ihn dann zur Seite schleuderte.

Lachend stand dieser auf, schlug sich den Staub von seiner Kleidung und sah Bryce abwertend an. „Ich werde William MacDermont töten und du wirst dabei zusehen, bevor auch du das Zeitliche segnen darfst.“ Mit diesen Worten verschwand George in die Nacht und ließ Bryce mit einem unwohlen Gefühl zurück, welches hundert Jahre später noch in ihm weilte.


Entspannt lehnte sich Bryce zurück, das Haus war ruhig, keine störenden oder von Vereinigung zeugenden Geräusche. Eine Seltenheit und mehr als erholsam, auch wenn er wusste, dass es nicht lange anhalten würde.

Die Anzeichen der letzten Monate waren klar, der Traum der letzten Nacht hatte seine Befürchtung untermauert. George würde kommen und seine Drohung wahr machen wollen. Eine Gänsehaut erfasste seinen Körper, als er an die grauen Augen seines ehemaligen Kameraden dachte.

George Hacker war ein guter Krieger gewesen, doch als ihr Jahrgang die Tattoos erhielten, William zum Anführer ernannt wurde und Bryce zum südlichen Vertreter, drehte er durch. Er schwor, der wahre Anführer zu sein, dass es ein fataler Irrtum war und doch waren die Tattoos eindeutig. George hatte lediglich einen Falken bekommen und das war kein Zeichen für einen höheren Krieger. Jedoch wollte er es nie akzeptieren, wodurch es zum Rausschmiss bei den südlichen Kriegern kam und einer Aberkennung seines Amtes. So etwas kam selten vor, doch die Drohung ließ keinen anderen Weg zu. Bevor George allerdings sein Tattoo verlieren konnte, war er untergetaucht - bis heute.

Gerade als Bryce grinsend die ersten Geräusche im Haus vernahm, die eindeutig von den Kriegern und ihren Partnern stammten, erklang der Alarm.


Bryce richtete sich auf, seine Halswirbel knackten und er trat in voller Montur nach draußen. Es war an der Zeit, da war er sich sicher, in dieser Nacht würde er nach hundert Jahren George gegenüberstehen. Am Waldrand wartete er auf das Auftauchen seines ehemaligen Kriegers, als er die Krieger des Hauses hinter sich vernahm. Seine Augen verengten sich und ehe William Anweisungen geben konnte, grollte er den Anführer an. „Verschwinde ins Haus, verschließ die Türe und verbarrikadiere dich in der Zentrale, bis einer von uns dich rausholt. SOFORT!“ Geschockt weiteten sich Williams Augen, doch für eine Erklärung hatte Bryce keine Zeit. Seine Nackenhaare stellten sich auf, als fünfzehn vermummte Gestalten aus dem Wald traten. „William, verschwinde!“ Der Befehl war so schneidend, dass Bryce sich selbst wunderte, was in ihn gefahren war. Beruhigt nahm er wahr, wie William rückwärts die Stufen hinaufging und im Haus verschwand.


„Du meinst also, dass es was nützt ihn fortzuschicken? Ich werde ihn töten! Angriff!“ Mit vierzehn Angreifer gegen sieben Verteidiger war der Kampf nicht gerade ausgeglichen. Bryce sah, wie George an ihm vorbei sprintete, während er selbst von zwei Männern attackiert wurde.

„Er darf nicht reinkommen!“, schrie Bryce Richtung Jannis. „Vergiss, was Ben dir beigebracht hat, vergiss alles und besinn dich auf deine Ausbildung!“

Bennet riss schockiert die Augen auf, wurde so von seinem Gegenüber überwältigt. Jannis dagegen nickte, schloss für den Bruchteil einer Sekunde die Augen, als sie sich noch mehr verdunkelten und das Blau kaum noch zu sehen war. Es waren zwei Handbewegungen, als dessen Angreifer in sich zusammensackte und er losrannte. Bryce kämpfte währenddessen mit seinen Gegnern, die mehr als geübt waren und seine Vorgehensweisen scheinbar vorhersahen.

Eindeutig waren sie sehr gut geschult worden und wer das getan hatte, war Bryce sofort klar. Ein Blick zu Acey und dieser wusste, was zu tun war. Nicht umsonst hatten sie lange Zeit Seite an Seite gekämpft und waren aus so manch verzwickter Situation herausgekommen. Es war ein Wechsel in einer Schnelligkeit, die ihre Gegner verwirrte und schon standen sie alle vor einem anderen Feind und waren so dem Kommenden nicht gewappnet.

Trotzdem dauerte es eine gefühlte Ewigkeit, bis Acey die zwei Männer außer Gefecht gesetzt hatte und auch Bryce zu Atem kam. Sie hatten es eindeutig nicht mit Anfängern zu tun. Im Gegenteil, diese Männer wussten, mit wem sie sich anlegten und was auf dem Spiel stand.


Ebenso Bryce, der alles daran setzte, ins Haus zu kommen, während das Geräusch von zersplitterndem Glas an sein Ohr drang. George verschaffte sich Zugang und er hoffte inständig, dass William auf ihn gehört hatte. Mit einem Blick erfasste er die Situation und sah, dass Jannis schon weit gekommen war, doch nun an der Treppe auf einen Kämpfer stieß, der ihm die Stirn bot, doch Bryce glaubte an den jungen, ungestümen Krieger und wandte sich ab. Sean brauchte dringend Hilfe, hatte gleich drei Gegner in Schach zu halten, die ihm abwechselnd jedoch Verletzungen zufügten.


***


Silas konnte es nicht fassen, wer war der Typ da vor ihm? Das konnte nicht der gleiche Krieger sein, den er bei den Werwölfen gesehen hatte. Dieser hier kämpfte wie ein ... da ging ihm ein Licht auf - das war er, der verschollene Kriegersohn, der angeblich gegen ihresgleichen trainiert wurde. Jannis war sein Name und hätte laut George gar nicht mehr leben dürfen. Diesen Fehler würde er jetzt beheben. Er zog zwei Messer aus seiner Hose und stürmte auf den Krieger zu. Gekonnt duckte sich dieser, fasste sein Handgelenk und warf ihn zu Boden. „Du musst früher aufstehen, um mich zu erwischen!“ Dabei riss Jannis ihm die schwarze Kapuze vom Gesicht. „Ein Grünschnabel, sollte mich jetzt nicht verwundern und doch tut es das.“

„Grünschnabel? Ich habe mindestens 100 Jahre mehr Erfahrung als du Kleinkind!“ Mit diesen Worten warf Silas ihn auf den Rücken und drückte ihm ein Messer an die Kehle. Das silberne Metall lag plan auf der zarten Haut des Halses. Als Jannis sich aufbäumte, schnitt die Klinge in seinen Hals.

„Du vergisst, wo ich ausgebildet wurde.“ Damit schleuderte er Silas von sich.

Dieser riss die Augen auf und konnte nicht glauben, was er da zu sehen bekam. Dem jungen Krieger floss das Blut aus der gut zehn Zentimeter langen Wunde, die jedoch nicht all zu tief schien. Schwer traf die Faust von Jannis in Silas‘ Gesicht. „Du fühlst keine Schmerzen, wenn du deinen Gegner besiegen willst.“ Der nächste Schlag traf den Magen. „Vergiss dich selbst, du bist lediglich ein Diener, dein Leben ist nichts wert!“ Der dritte Treffer warf Silas bäuchlings auf den Boden. „Überwältige deinen Gegner, danach darfst du sterben!“

Entsetzt starrte er den jungen Krieger an und konnte nicht fassen, was passierte. Silas hatte ebenso eine harte Ausbildung hinter sich und sicherlich erwartete George, dass er sein Leben geben würde, doch dazu war er nicht bereit. Er würde sich nicht unnötig in Gefahr bringen, doch es schien, als hätte er es getan.

Jannis legte eine Hand an Silas‘ Kinn und eine an den Hinterkopf, mit einem Ruck würde Silas‘ Genick brechen, damit kannte er sich aus.


„Wir töten nur, wenn es nötig ist, ich will Antworten!“, ertönte die Stimme des Mannes, der scheinbar beim Verschwinden von William MacDermont die Führung übernommen hatte. „Ben wird dich sonst übers Knie legen und du weißt, das würde Quinn nicht gefallen.“

Seufzend ließ Jannis von Silas ab. „Er hätte es verdient, schließlich wollte er mich auch umbringen.“

„Korrekt und vielleicht darfst du es später nachholen, aber erst brauchen wir Antworten. Halt ihn in Schach.“

Silas fluchte, als man ihn mit den Händen auf dem Rücken auf die Beine zog, und sah befriedigt, dass drei seiner Kollegen scheinbar mehr Glück hatten. Diese bearbeiteten gerade einen Krieger, der ebenso jung aussah wie er selbst. Grinsend entspannte er sich und sah sich das Schauspiel an, während Jannis zur Unterstützung eilte.

Plötzlich krachte es, Holz schlug an die Wände des Hauses, als ein Kollos aus dem Inneren trat. Wut verzerrte dessen Gesicht zu einer erschreckenden Fratze. Ein Schrank von einem Mann, der sich in Bewegung setzte, zwei der Krieger zur Seite stieß und dann bei dem eintraf, der eine Abreibung kassierte.

Silas war sprachlos, als er sah, wie der Kollos die Angreifer einfach weg pflückte. Anders konnte er es nicht beschreiben, denn es sah so aus. Am Genick gepackt warf er einen nach dem anderen zur Seite, bis nur noch der jung aussehende Krieger da stand.

„Alles gut bei dir?“

Schnell räusperte sich Silas, sonst hätte er losgelacht. Die Stimme dieses Mannes war sanft und erinnerte ihn an seine Mutter früher, besorgt und mit diesem gewissen Unterton.

„Oh man, ja.“ Verlegen verdrehte der Krieger die Augen und senkte den Blick. „Was hast du dir dabei gedacht?“ Dabei wies er auf die stöhnenden Angreifer, die sich über den Boden rollten.

„Die haben dich angegriffen, da kann ich ja wohl schlecht zugucken. Entschuldige.“ Die Röte stieg dem Riesen ins Gesicht, als er auch schon von dem blonden Krieger lächelnd herangezogen wurde und sie in einem Kuss versanken.


Silas beobachtete überrascht die Szene, wandte dann seinen Blick ab und sah zu den anderen. Zwei Krieger berührten sich an Wunden, die sich daraufhin zu schließen begannen, einer lag auf dem Boden und krümmte sich sichtlich vor Schmerzen, doch sonst schien der Angriff keinen Erfolg verbuchen zu können.

Seufzend nahm Silas das wahr und verstand es nicht. Sie hatten sich 100 Jahre auf diesen Tag vorbereitet und waren so kläglich gescheitert? Wie konnte das nur passieren? Alle Hoffnung lag nun auf George.

Als dieser jedoch fluchend und mit einer Platzwunde am Kopf von William MacDermont hinausgeführt wurde, schien alles vorbei zu sein. Besonders da der Anführer Tränen lachte, was war nur passiert? Das fragte sich nicht nur Silas, auch die Krieger sahen William fragend an, während die Frau, die mit heraustrat, direkt zu dem Mann am Boden zuging.

„Ihr glaubt das nicht. Leute, ihr könnt Kampferfahrung haben soviel ihr wollt, aber einer Frau mit Pfanne entkommt keiner“, prustete William und hatte Mühe, sich gerade zu halten.

Ungläubige Blicke trafen den Anführer und George. Der Letztere grummelte unmissverständlich vor sich hin und ließ Klagelaute vernehmen.

Es war also vorbei, sie hatten verloren, waren untergegangen wie ein Schiff im Sturm auf hoher See. Hundert Jahre für nichts, kein Opfer, kein Erfolg, nicht einmal einen größeren Schaden hatten sie anrichten können. Es war deprimierend.

Jeden Tag hatte George sie zum Training zitiert, acht Stunden, wenn nicht mehr. Etliche Wunden mussten versorgt werden, Silas konnte nicht sagen, wie oft er Knochenbrüche davongetragen hatte, doch bis zu diesem Zeitpunkt war ihm jedes Opfer wert gewesen.

Der Griff an seinen Handgelenken wurde lockerer und er sah seine Chance. Silas riss sich los und verschwand im Wald, gefolgt von Georges Anfeuerungsrufen. Jannis dagegen fluchte lauthals und nahm die Verfolgung auf. Um das zu wissen, brauchte er sich nicht umzusehen, er hörte die Schritte und spürte die Vibrationen unter seinen Füßen.

Lächelnd griff er in seine Hosentasche, nahm einen kleinen Beutel heraus und blieb stehen. Fast wäre Jannis in ihn hineingerannt, hatte mit der Reaktion nicht gerechnet, als Silas den Beutel über seinen Kopf hielt und feiner Staub herauskam, der ihn augenblicklich einhüllte. Er dachte an den Ort, wo er sein wollte und einen Wimpernschlag später war Silas nicht mehr im Wald vor Jannis stehend, sondern in einem verlassenen Dorf.

Er sog die trockene Luft ein und ließ es zu, dass sich seine Augen mit Tränen füllten. Hundert Jahre war er nicht mehr hier gewesen, seit dieser Nacht, die sein Leben veränderte und seine Seele tötete.


Langsamen Schrittes ging er auf eine Ruine zu, die einst ein prachtvolles Haus war. Vier Schlafzimmer, ein riesiges Wohn-Esszimmer, er wusste noch genau, wie es ausgesehen hatte. Bis heute erinnerte er sich an seine zwei Schwestern, die ihm das Leben zur Hölle machen wollten, zumindest hatte er es 50 Jahre angenommen.

Bis zu diesem einen Tag, an dem Werwölfe, Feen und Vampire ihr Dorf gestürmt hatten. Es war eine grausame Erinnerung, der Silas sich nur hingeben konnte, indem er zu Boden sank.


Es war Mitternacht oder schon später. Sie lagen in den Betten, schliefen tief und fest, als es krachte, Schreie ertönten und dann wurde es ruhig. Immer und immer wieder in der gleichen Reihenfolge. Er hatte sich nicht getraut, irgendein Geräusch zu machen, blieb stattdessen in seinem Bett liegen. Bis die Schreie seiner Schwestern zu ihm drangen, da war er aus dem Bett gesprungen und in den Flur gerannt, kam jedoch zu spät. Zwei Vampire hingen über seinen Schwestern und sogen ihnen jegliches Leben aus dem Körper. Wut hatte sich in ihm ausgebreitet, wie Lava eines ausgebrochenen Vulkans.

Ab diesem Moment war sein Kopf ausgeschaltet und er kämpfte um das Leben seiner Schwestern, was er schon verloren hatte.

Irgendwann, als er unzählige Bisswunden am Körper trug und einen Vampir getötet hatte, war George aufgetaucht und hatte ihn gerettet. Zu Beginn konnte Silas nicht einmal Dankbarkeit zeigen, wollte im Gegenteil sogar sterben, doch dann hatte George ihm von seinen Beweggründen und Plänen erzählt.


Seither war Rache sein Leben und diese war heute nicht in Erfüllung gegangen. Er hatte keinen Halt und kein Ziel mehr, wusste nicht, an wen er sich jetzt wenden sollte. George hatte ihm das gegeben, was er sich wünschte. Halt und auch ein Licht im dunklen Tunnel, doch dieser würde ihm jetzt nicht mehr helfen können. Es schien Silas gerade so, als würde ein Kartenhaus über ihm zusammenfallen. Hätte er sich doch fangen lassen sollen? Der Tod wäre seine Strafe gewesen, sicherlich besser als jetzt hier zu sitzen und alte Erinnerungen heraufzubeschwören.

Silas sah zu dem kleinen Beutel in seiner Hand, ein wenig des Transportstaubs der Feen war noch da. George hatte es beschafft, während er die teuflischen Geschöpfe auf ihre Seite gezogen hatte. Denn statt diese zu bekämpfen, wollte er, dass sie sich auf ihre Seite stellten. Wieso hatte Silas erst nicht verstanden, doch eins wusste er da schon: das Augenmerk lag darauf, den Kriegern so viel Schaden wie möglich zuzufügen, und dabei waren ihnen Werwölfe, Vampire und auch Feen sehr hilfreich gewesen. Auch wenn er selbst sie lieber getötet hätte, als sich mit ihnen zu verbünden.

Allerdings hatte George schon recht, die Krieger waren ihr Ziel, sie sollten qualvoll sterben, denn sie waren nicht gekommen, hatten ihresgleichen einfach im Stich gelassen, statt ihnen zur Seite zu stehen.

Zweihundert Vitae essentia waren gestorben, doch es hatte keinen interessiert. Nicht einmal William hatte nachgesehen, wie es dazu kommen konnte. Silas konnte es bis heute nicht fassen. Der Anführer der Krieger war seinem Ruf nicht gerecht geworden. Angeblich sollte dieser gewissenhaft, zuverlässig und immer da sein, doch das war er nicht gewesen.

Dabei befand sich das Dorf gerade mal dreihundert Kilometer vom Kriegerhaus entfernt und war durch die Wälder unbeobachtet zu erreichen. Aber selbst das war ihnen zu viel gewesen, stattdessen hatte er selbst seiner Familie eine Grabstätte errichten müssen.


Silas‘ Tränen trockneten, sein Gesicht wurde zu einer steinernen Maske, als er den Beutel über sich komplett entleerte und sich kaum einen Wimpernschlag später wieder im Wald vorfand, von wo er vorher geflohen war.


***


Bryce grollte innerlich und gab trotzdem die Anweisungen, vor dem Haus alles in Ordnung zu bringen, bevor er William ins Haus folgte. Die Gefangenen hatten sie in den Keller gebracht und einzeln in die dafür vorgesehenen Räumen weggesperrt.

Mit verschränkten Armen erwartete William ihn in der Zentrale. „Was war das eben, seit wann gibst du Befehle? Nur um hier mal die Rangordnung klarzustellen, ICH bin der Anführer, Sean mein Vertreter und du nur noch ein Krieger, der UNSEREN Befehlen zu folgen hat. Es mag für dich befremdlich wirken, doch so ist es.“

„In der Rangordnung der Vorsehung stehe ich über Sean, das weißt du genauso gut wie ich.“ Die Worte waren so schnell aus ihm herausgebrochen, das Bryce seine eigene Irritation darüber nicht verbergen konnte. Was war nur mit ihm los? Das war so gar nicht seine Art.

„Ja, ich weiß, aber ... was ist los mit dir?“ Falten bildeten sich auf Williams Stirn, sein Blick wurde durchdringender, während sich seine Augenbrauen zusammenzogen.

„Ich weiß es wirklich nicht. Bitte entschuldige, ich scheine mich nicht unter Kontrolle zu haben. Mir ist klar, dass ich eine Strafe zu erwarten habe und werde jede annehmen.“

„Red keinen Quatsch, wir sind unter uns, keiner hat was mitbekommen. Du hattest die letzten Monate kein Problem damit, dich unterzuordnen, wieso dann ausgerechnet jetzt? Was ist anders?“

Bryce setzte sich auf einen Stuhl und atmete tief durch. Er konnte es sich nicht erklären, noch war ihm einleuchtend, wieso er plötzlich wieder eine Führungsrolle übernehmen wollte. Schließlich war es klar gewesen, das Rikku seinen Platz übernommen hatte und aus diesem Amt auch nicht mehr enthoben wurde. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Es kam Bryce so vor, als würde er neben sich stehen, als sein Rücken sich geradebog, sein Kopf nach oben ruckte und er William starr in die Augen sah, sodass dieser zurückzuckte. „Jeder hat seinen Platz und meiner ist vorherbestimmt.“

„Machst du mir gerade meinen Posten streitig?“

„Ich muss dir nichts streitig machen, was dir nicht mehr gehört!“ Eilig schlug sich Bryce die Hand vor den Mund und sprang auf. „Es tut mir leid, William.“


„Man sollte nichts entschuldigen, wofür man nichts kann!“

Ruckartig sahen die Männer zur Tür der Zentrale, wo sich fünf Frauen versammelt hatten. „Bitte?“ William war irritiert und versuchte seine Gedanken zu ordnen, die jedoch einfach lahmgelegt schienen.

„Ihr werdet Euch zurückhalten, bleibt einfach sitzen“, sah eine der Frauen tief in Bryce’ Augen, der daraufhin nur nickte. Dann gingen sie zu William, drückten ihn nieder auf einen Stuhl und legten sein Handgelenk auf den Tisch. Das Tattoo zeigte sich in seiner vollen Pracht und zog Bryce’ Aufmerksamkeit auf sich. „William, Ihr werdet Euch ruhig verhalten, wehrt Euch nicht gegen etwas, das Euch bestimmt ist.“

Bestätigend nickte dieser und die Seherinnen schlugen eine Tasche auf, in der allerlei Utensilien zum Tätowieren waren.

Mit dem ersten Nadelstich zuckte William zusammen und schien aus einer Trance erwacht. „Was macht Ihr da?“

„Haltet ruhig, es passiert das, was passieren muss!“

Ehe sich der Anführer ein weiteres Mal wehren konnte, flößten sie ihm einen Trank ein, der ihn willenlos machte.

Alles in Bryce schrie danach, William zu helfen, doch er blieb starr sitzen, bewegte sich keinen Millimeter und abermals fühlte er sich, als würde er neben sich stehen. Was war nur mit ihm los? Ein Virus? Vielleicht wurde er irre? Sicherlich, er verlor den Verstand, eindeutig, das war es.


„Erinnert Euch, was Eure Seherin einst sagte“, flüsterte eine Seherin Bryce ins Ohr.

*Anführer und doch keiner, lediglich Ersatz, werdet Ihr irgendwann eine Rolle einnehmen, unscheinbar und doch so viel mehr. Ihr sprecht wie er und seit es nicht, doch was folgt, erklärt, was in Euch vorgeht.*

Er hörte die Seherin, als hätte sie es eben erst gesprochen und verstand so viel wie beim ersten Mal. Verwirrt sah er in die gräulichen Augen der Frau neben sich, die ihm lächelnd über die Haare strich. „So verwirrend? Dabei ist die Antwort so klar und deutlich zu erkennen, seht nur hin!“

Wie auf Befehl sah er zu William, der fassungslos auf sein Handgelenk starrte. Automatisch stand Bryce auf und kniete nieder.

„Steh auf, sofort Bryce, bitte.“ Die Stimme des einstigen Anführers zitterte, die Gesichtsfarbe war gewichen.

„Der Drache ist erwacht und somit an der Macht. Das ist Euer Erbe von Leonard, der sein Leben für Euch geben musste, damit das Schicksal sich erfüllt. Ein schweres Erbe und doch werdet Ihr das Amt mit Würden tragen.“ Gerade hatte die älteste Seherin noch zu William gesprochen und reinigte ihre Nadel, als sie sich zu Bryce wandte. „Ihr solltet nun Platz nehmen, beißt die Zähne zusammen und lasst mich arbeiten.“

Bryce verstand die Welt nicht mehr, was wollte sie an seinem Tattoo ändern? Nahmen sie ihm jetzt seine Position? Durfte er vielleicht kein Krieger mehr sein, weil sein Verstand verrückt spielte? Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in Bryce aus und doch tat er das, was man ihm sagte.

Im Gegensatz zu William, dessen Tattoo erweitert worden war, sodass der Drache nun Feuer spie, erhielt seins lediglich strengere Gesichtszüge, was den Panther nach Aussagen der Seherin majestätischer machte.


„Ihr seid der neue Anführer, nach dem Verlust Eures Postens, nach Eurer Unterordnung, ist das der Lohn. Entscheidet weise und gerecht, wie Euer Vorgänger es tat.“

Die Neuigkeit saß und schlug in Bryce ein wie eine Bombe. Es schien in ihm eine Explosion zu geben und ehe er sich davon erholen konnte, wurde die Tür zur Zentrale aufgestoßen und ein junger Mann stürmte mit einem Messer in der Hand direkt auf William zu. Doch bevor die Schneide des Messers auf den neuen König treffen konnte, trat die älteste Seherin dazwischen und fing die Klinge mit ihrer Hand ab, die dadurch durchbohrt wurde.

„Ihr habt nicht das Recht, so etwas zu tun. Nicht mal einen Grund, seid Ihr auch noch so davon überzeugt.“ Es war keine Wut in den Augen der Frau zu sehen, nur Mitgefühl und Verständnis. Sie zog ihre Hand zurück, wodurch die Klinge frei gegeben wurde und entwendete es dem jungen Kämpfer, den Bryce als einer von Georges Männern identifizierte. „Ihr solltet nicht, Bryce ...“ Die Warnung der Seherin kam zu spät, denn in diesem Moment berührte er den Angreifer und ein Stromschlag durchfuhr beide und lähmte sie für einen Moment. Entsetzt sahen sie einander an, waren sich nur allzu bewusst, was es zu bedeuten hatte, und doch wollten sie es nicht glauben.

„Nein!“ Bryce ließ von seinem Gegenüber ab und taumelte einige Schritte zurück.

„So früh solltet ihr einander nicht finden, es ist die falsche Zeit. Silas ist nicht bereit, sein Herz und seine Augen zu öffnen, um die Wahrheit zu sehen.“

Silas hieß er also, Bryce sah den jungen Mann genauer an, der voller Hass zu ihm blickte. Dessen Absichten standen ihm ins Gesicht geschrieben, er wollte Vergeltung, Rache, Blut fließen sehen. Endlich kamen auch die Krieger des Hauses in die Zentrale, hatten scheinbar nicht einmal mitbekommen, was darin vor sich gegangen war.

Sofort nahmen sie Silas in Gewahrsam und sahen zwischen Bryce, William und den Seherinnen hin und her.

„Was ist hier los?“, wandte sich Sean an seinen besten Freund. William zeigte lediglich sein Handgelenk vor, was Antwort genug war, dass sich alle auf die Knie begaben, inklusive Silas, der von Philip und Acey mitgezogen wurde. „Ach du Schande.“ Der Blick schwankte zwischen Entsetzen und Unglauben. „Ist es das, was ich denke, das es ist?“

„Scheinbar, und weißt du, was das heißt, für dich und mich?“

Nun wurde Sean blass, er hatte es vergessen, es war zu normal geworden, um daran zu denken, doch seine Bestimmung war es, immer an Williams Seite zu stehen als seine rechte Hand. Das hieß also nicht weniger, als dass er mit dem neuen König aus dem Kriegerhaus ausziehen würde.

„Und wer ist der neue Anführer?“ Sean sah William irritiert an.

„Bryce wird das Amt übernehmen und ich bin überzeugt, dass er die beste Wahl dafür ist. Nun steht auf“, verdrehte William die Augen, während seine Krieger der Bitte folgten. „Bennet, du hast mir immer zur Seite gestanden und ich bin überzeugt, dass du auch Bryce ein loyaler, guter Freund sein wirst. Deine Besonnenheit wird ihn zügeln. Als seine rechte Hand wirst du ab jetzt Seans Arbeit hier im Haus übernehmen und diesen Platz mit Sicherheit mehr als gebührend ausfüllen.“

Bennet nickte, was Bryce ein erleichtertes Lächeln entlockte. Er mochte den kahlköpfigen Krieger, der immer den Überblick behielt, außer wenn es um seinen Partner ging. Aber so war das nun Mal bei ihresgleichen, Yin und Yang, jeder Teil eines Bündnisses erfüllte seinen Part.

Automatisch ging Bryce’ Blick zu Silas, der mit gesenktem Kopf auf den Boden starrte. Wieso er ausgerechnet mit so einem Jüngling verbunden worden war, wollte sich ihm allerdings noch nicht erschließen. „Acey und Phil, bringt ihr bitte Silas auf mein Zimmer? Kettet ihn an die Heizung.“

Verwundert sahen sie ihn an, doch fragten nicht weiter, sondern kamen dem Befehl nach. Die Seherinnen verneigten sich derweil vor William. „Herr, wenn Ihr gestattet, würden wir jetzt gerne die Heimreise antreten. Jede von uns hat einen gefüllten Terminplan.“

„Natürlich, ich danke Euch und freue mich jederzeit, Euch wiederzusehen!“

Man nickte sich anerkennend zu und schon waren die Frauen aus der Zentrale verschwunden. Es schien, als hätten William und Bryce nur auf diesen Moment gewartet, denn zeitgleich ließen sie sich jeweils auf einem Stuhl nieder und atmeten durch. Lachend sahen sie einander an und bissen sich synchron auf die Unterlippe, das Geschehene musste sichtlich erst mal sacken.

„Was hast du mit dem Kleinen vor?“ William sah Bryce interessiert an.

„Da ich keine Lust habe, immer in den Keller zu gehen, nur um Energie zu tanken, ist es einfacher, ihn oben gefangen zu halten. Zudem würde ich gerne wissen, was die Seherin eben meinte, dass er kein Recht dazu hat, dich anzugreifen und vor allem keinen Grund, auch wenn er noch so davon überzeugt ist.“

„Würde mich auch interessieren, wenn ich ehrlich bin. Dann viel Erfolg dabei und informiere mich.“

„Kein Problem. Wann wirst du ausziehen?“

William zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, irgendwie ist der Gedanke befremdlich. Ich will hier gar nicht weg. So ehrenvoll es ist, König zu sein, war ich bisher sehr zufrieden mit meinem Posten.“

„Kann ich verstehen, aber der gehört jetzt mir und weißt du was? Ich bin mit ihm auch sehr zufrieden!“

Sprachlos sah William den neuen Anführer an und dann rannten sie los. Bryce flüchtete lachend, während ihn Will mit höchsten Strafen drohend verfolgte.

„Kindergarten“, hörten sie Bennet seufzen, doch das interessierte beide gerade wenig. Das musste jetzt sein, sie brauchten diese Auszeit, das Ungezwungene, das Miteinander.


Sie rannten bis in den Wald, wo Will Bryce endlich zu fassen bekam und zu Boden warf. Dass es genau in diesem Moment begann zu regnen, machte beiden nichts aus, sie genossen es bald, nebeneinander auf dem Moos zu liegen und den Regentropfen beim Fallen zuzusehen. Die Sonne war vor einer Stunde aufgegangen und sie bemerkten langsam den fehlenden Schlaf der Nacht.

„Du hast mich echt schockiert, als du mir Anweisungen gegeben hast.“

„Nicht nur dich, sei dir dessen sicher. Ich war selbst fassungslos und habe erwartet, dass du mir den Kopf abschlägst.“

„Hätte ich auch am liebsten“, gab William zu. „Jedoch kam es mir recht merkwürdig vor. Deine Reaktion war ungewöhnlich und du hattest nie Probleme, dich unterzuordnen. Aber das sagte ich dir vorhin schon.“

Bryce ließ einige Tropfen des morgendlichen Regens auf seine Zunge fallen, genoss das Gefühl, wie sie sich den Weg seine Kehle hinab suchten. „Meinst du, es ist die richtige Entscheidung? Ich als Anführer?“

„Wieso denn nicht? Du bist ein hervorragender Krieger, hast das Haus im Süden bis zu deiner Amtsenthebung sehr gut geführt, was sollte dagegen sprechen? Bryce, sei nicht so unsicher, was dich selbst anbelangt. Vor allem nicht, wo du von Bennet, Sean und mir so eine bedeutende Meinung hast.“

Ruckartig drehte sich Bryce zu William. „Du weißt, was ich denke! Oh man, das ist doch nicht wahr. Wie soll man denn jemals was vor dir geheim halten?“

„Gar nicht? Wäre doch eine Idee. Was würdest du denn vor mir geheim halten wollen?“ William drehte sich auf die Seite und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Alle dreckigen Geheimnisse, die dich nichts angehen“, streckte Bryce ihm die Zunge raus, bevor er seufzte und ihm klar wurde, dass er sich verraten hatte.

„Du hattest was mit einem der Wölfe damals? Die, die ermordet wurden?“ Williams Augen waren geweitet und zeugten von Überraschung.

„Ja, mit Alec, aber es ging nicht lange.“

Bryce’ Erinnerung versank in der Vergangenheit.


Zärtlich umfasste Alec Bryce’ Gesicht, sah ihm tief in die Augen und hauchte einen Kuss auf dessen Lippen. „Unsere Liebe ist nicht für die Ewigkeit, das weißt du, oder?“

Ja, sonst würdest du schon mein Tattoo tragen und doch hoffe ich, dass wir uns nie vergessen.“

Niemals. Du bist nicht nur ein guter Liebhaber, auch ein sehr guter Freund, den ich immer an meiner Seite wissen möchte.“ Abermals trafen sich ihre Lippen und gaben sich dem hin, wonach sich beide sehnten. Irgendwie hatten sie es beide geahnt, dass es das letzte Mal war. Denn kaum war Bryce wieder im Haus der Krieger angekommen, war er so beschäftigt, dass ihm die Zeit fehlte, sich mit Alec zu treffen. Und in dessen Leben war Greg aufgetaucht. Mit diesem hatte ihn mehr verbunden, als mit Bryce, das musste er schnell einsehen und doch hatte es geschmerzt und dazu geführt, dass sich Bryce für Jahre zurückgezogen hatte. Zwar war der Kontakt zu Alec nie abgebrochen, doch bei weitem nicht mehr so intensiv wie einst. Dass Bryce allerdings seinen ehemaligen Liebhaber derart zugerichtet finden musste, war für ihn ein Schock gewesen. Hatte sein Herz zerrissen und sogar einige Tränen gekostet.


„Es war eine schöne Zeit und ich würde sie gegen nichts eintauschen wollen. Das Ende allerdings sofort.“ Bryce schloss die Augen, geistig wie körperlich fühlte er sich extrem müde und alles in ihm schrie nach Schlaf.

„Kann es sein, dass dir Energie fehlt? Bryce? Oh Mann!“ Auch wenn Bryce William hörte, konnte er nicht mehr reagieren, bemerkte allerdings, wie er hochgehoben wurde. „Du bist nicht gerade leicht, mein Guter. Lach du nur!“ Das tat er, wenn auch nur innerlich.


***


Fluchend zerrte Silas an den Fesseln. Man hatte ihn wie einen räudigen Hund an die Heizung eines Schlafzimmers gekettet. Scheinbar hatte es den Kriegern Spaß gemacht, nicht seine Hände oder Füße zu fesseln, sondern die Kette um seinen Hals zu legen, sodass er sich strangulieren würde, sollte er ernsthaft vorhaben, sich zu befreien. Seine Rachegedanken hatten noch mehr Nahrung bekommen und er wünschte sich, dass einer dieser Typen ihm die Chance gab, sie umzubringen. Dass ausgerechnet sein Gegner hereinkam, den er am Morgen nicht besiegen konnte, schmälerte seine Hoffnung auf eine Erfüllung seines Wunsches. Der blonde Kerl setzte sich ihm gegenüber auf den Boden und schob einen Plastikbecher mit Wasser in seine Richtung.

„Acey hat seine makabre Seite rausgelassen, wie ich sehe. Bennet tut ihm nicht gut, eindeutig nicht!“

„Er war noch nie anders, zumindest wenn er gute Laune hatte.“ Silas schluckte hart und biss sich auf die Zunge, das wollte er nicht gesagt haben.

Doch es war zu spät, die Worte ausgesprochen und Jannis hatte sie eindeutig gehört. „Woher willst du das wissen? ... Ihr habt uns beobachtet!“

Es wäre besser zu schweigen und doch konnte Silas es nicht, wollte loswerden, was in seinem Kopf herumschwirrte. „Ja, haben wir, was denkst du eigentlich, wieso plötzlich die ganzen Tumulte passiert sind, wirklich nur wegen Aceys Vater? Er war nur Mittel zum Zweck, mehr nicht. Wir haben alle Fäden gezogen, damit ihr endlich das bekommt, was ihr verdient habt.“

„Verdient, wofür?“ Jannis war sichtlich schockiert von der Neuigkeit und versuchte seine Fassung zu bewahren.

„Solltest du das nicht wissen? Keiner hat nach deinen Eltern gesucht, sie haben wirklich gedacht, dass dein Vater einfach seinen Dienst quittiert hat. Selbst dein toller Patenonkel hat es ihm zugetraut und das als bester Freund.“

„Du hast nicht das Recht, so etwas zu sagen, vor allem, da du die Fakten nicht kennst. Wolltest du dich für mich rächen, oder hast du eigene Gründe?“ Jannis war aufgesprungen, hatte sich die Kette genommen und zerrte an ihr, dass es Silas schwerfiel zu atmen.

„Sie haben mein Dorf im Stich gelassen. Man hat alle abgeschlachtet und keiner kam zu Hilfe, keiner hat reagiert. Nicht einmal zum Aufräumen kam man uns zu Hilfe. Ihr habt es nicht anders verdient, als elendig dahin zu vegetieren.“

„Du lügst!“

Ehe Silas was erwidern konnte, spürte er, wie sich die Kette um seinen Hals noch mehr verengte, bis er anfing, kleine Blitze vor seinen Augen zu sehen und sein Kopf in Watte gepackt schien.

Seine Rettung nahte jedoch in Form des neuen Königs, doch ob er dankbar sein sollte, wusste er nicht. So hätte sein Leben endlich ein Ende gefunden und er müsste sich nicht weiter mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen.

„Lass ihn los, Jannis, und entferne dich, bevor ich meine erste Amtshandlung an dir verüben werde! Geh zu Quinn und lass dir von ihm den Kopf waschen.“ Grummelnd verschwand der ungestüme Krieger und der König schien irgendwas abzulegen.


Mühsam brachte sich Silas dazu, seine Augen zu öffnen, als William schon bei ihm stand und die Kette kopfschüttelnd löste. „Nur Unsinn im Kopf, ich muss da mehr durchgreifen“, murrte dieser in seinen nicht vorhandenen Bart.

Gerade erhoffte sich Silas eine Chance, um Rache nehmen zu können, da man ihm die Ketten abgenommen hatte, als er Handschellen an seinen Handgelenken spürte und kurz darauf ein Klicken die Stille durchdrang. „Auch wenn dir gerade die Energie fehlt, um dich bemerkbar zu machen, vernehme ich doch deine Gedanken und für so dumm kannst du mich nicht halten, das wäre mehr als töricht von dir. Der einzige Grund, wieso ich dich vor Jannis gerettet habe, ist, dass du Bryce’ Partner bist, ob dir das gefällt oder nicht. Deine vermeintlichen Gründe für deine Rache sind lächerlich, doch das werden wir am Abend klären, wenn ihr beide wieder Energie habt. Ich verlange einen ausführlichen Bericht von dir, während ich meinen hervorhole und wir werden sie abgleichen und sehen, was verkehrt gelaufen ist.“ Mit diesen Worten verließ der ehemalige Anführer das Zimmer und Silas brodelte innerlich. Wieso tat man ihm das hier an? Er musste neben diesem Krieger liegen und konnte sich nicht einmal wehren, das war nicht fair.

Zudem hatte dieser Mistkerl es auch noch gewagt, ihn zu markieren. Ganz deutlich sah Silas die Unebenheit an seinem Handgelenk, die die Form des Panthers annahm. Gebrandmarkt, verschandelt, zum Tode verurteilt, denn eins war so sicher wie der Sonnenuntergang am Abend - er würde den neuen Anführer töten, um jeden Preis.


Es entfuhr ihm ein Grollen, als sich Bryce zu ihm drehte und es auch noch wagte ihn zu berühren, indem er einen Arm um seine Hüfte legte. Wie gerne hätte Silas diesem ein Messer in die Hand gerammt, doch die Bewegungsfreiheit war sehr eingeschränkt. Seufzend schloss er die Augen und wünschte sich einen Herzinfarkt herbei, oder eine Möglichkeit sich zu befreien.

„Wie alt bist du?“

Erschrocken riss Silas die Augen auf und sah zu Bryce, der weiterhin die Augen geschlossen hatte.

„148 Jahre, wieso?“

„Ich bin 57 Jahre älter, habe mehr Erfahrung, bin jahrelang als Krieger ausgebildet worden und du meinst ernsthaft, du könntest mich überwältigen?“

Das saß, irritiert sah er zu Bryce, der nun tief in seine braunen Augen blickte. „Denkst du, ich bin nicht anständig ausgebildet worden?“

„Vergleichen wir doch einfach. Ich bin mit 18 Jahren in die Schule der Krieger eingetreten. Kenne mich bestens mit jeglichen Waffen aus, vom Mittelalter bis heute. Was bietest du?“

Silas schloss die Augen und bevorzugte es zu schweigen, denn er konnte nicht dagegen halten. Gerade seit 100 Jahren lernte er das Kämpfen und musste heute einsehen, dass es so gut wie nichts war. Jannis hatte es ihm bewiesen und der war viel jünger. Wieso bestrafte ihn das Leben so? Was hatte Silas getan, um derart gequält zu werden? Tränen stiegen in seine Augen, als er seine Mutter vor sich sah. Er spürte ihre Umarmung, die Lippen, die sich auf seine Stirn drückten, um ihm Kraft zu geben. Nichts ist so schlimm, wie es scheint, das hatte sie immer gesagt, doch würde es nie wieder tun. Ihr blutüberströmter Körper schob sich in sein Gedächtnis, ihre letzten Atemzüge und ihr schmerzverzerrter Blick, als sie mit den Lippen formte: „Rette dich!“ Das hatte er nicht getan, stattdessen seine Familie gerächt und war von George abgefangen worden. 100 Jahre Hoffnung, so zu seiner Rache zu kommen, hatte sich in nicht mal einer Stunde zerstört. Welch ungerechte Welt und die Schmach, nun mit seinem Feind im Bett liegen zu müssen, war unbeschreiblich demütigend.

Mach das Beste aus jeder Situation, sieht sie noch so aussichtslos aus!“, würde Selma in einer solchen Situation sagen, so gut kannte Silas seine Mutter. Doch was sollte das Beste sein? Abwarten und darauf hoffen, dass sein Gegner einen Fehler machte? Irgendwas sagte ihm, dass es dazu nicht kommen würde, doch Wunder sollte es bekanntlich immer wieder geben.


Irgendwann war Silas eingeschlafen und wurde dann unsanft von Bryce geweckt. „Steh auf, mach dich frisch, William wartet!“, stieß dieser ihn an.

„Sehr witzig, was hältst du davon, mich loszumachen, oder erwartest du, dass ich das Bett mit ins Bad nehme?“

Immer noch waren seine Hände über dem Kopf am Gestell gefesselt. Seine Schultern protestierten nach dieser Zeit und schickten einen Schmerzimpuls nach dem anderen durch seinen Körper.

„Natürlich, ich werde dir sogar behilflich sein.“ Das Grinsen des Kriegers veranlasste Silas dazu aufzuhorchen, irgendwas stimmte nicht. Was fand er auch alsbald heraus, denn Bryce fesselte seine Hände auf den Rücken, zerschnitt Silas‘ Kleidung, und als würde es nicht reichen, stellte er sich auch noch mit ihm unter die Dusche.

Das ging eindeutig zu weit. Doch jeder Versuch, sich aus dem Griff von Bryce zu winden, scheiterte, stattdessen hielt dieser ihn von hinten im Arm und machte das Wasser an.

Es war eine Erholung, das musste Silas zugeben, wenn er es auch niemals laut ausgesprochen hätte. Die Berührung des Männerkörpers hinter ihm fühlte sich viel zu gut an, als dass er es nicht genießen konnte. Auch wenn er diese Tatsache gerne verdrängte und sich stattdessen Gedanken machte, wie er Bryce das Leben auslöschen konnte. Doch weit und breit war nichts, was ihm eine Hilfe gewesen wäre. So gab er sich der Behandlung von Bryce hin, der ihn einseifte und somit jede Region seines Körpers berührte. Verräter, schimpfte Silas sein Fleisch, denn es war willig, während sein Geist versuchte, standhaft zu bleiben.

Leider blieb es Bryce nicht verborgen, der ihm grinsend die Lippen auf den Nacken drückte. Unbeirrt ließ er dabei seine Hand zu Silas‘ Mitte gleiten und umfasste ohne Umschweife dessen Glied. Der Rhythmus war träge und doch genau richtig, um Silas‘ Puls in die Höhe schießen zu lassen. Automatisch lehnte er sich an die trainierte Brust hinter ihm und genoss, was ihm widerfuhr. „Ich bring dich um, sobald ich die Chance dazu habe!“

„Das würde auch dein Tod bedeuten, auf immer vereint, du kennst doch hoffentlich unsere Geschichte?“

„Ja“, antwortete Silas stöhnend, während Bryce den Druck erhöhte und den Rhythmus steigerte.

„Gut, dann bring mich um, aber glaub nicht, dass du mir deshalb entkommst!“ Bryce biss ihm in den Hals, wodurch Silas über die Klippe sprang und in der Welle seines Orgasmus‘ tauchte. „Du gehörst zu mir, lebend oder tot.“


Innerlich fluchte Silas wie ein Rohrspatz, verfluchte Bryce und versuchte dessen Berührungen beim Abtrocknen zu entkommen, auch wenn es nichts brachte. Im Zimmer wartete auch noch ausgerechnet Jannis, der ohne ein Wort zu verlieren auf Silas zukam und dessen Schulter packte. Silas kannte dieses Vorgehen und grollte tonlos, während die zwei Männer ihn ankleideten.


***


„Wieso tust du das?“ Jannis sah Bryce verwirrt an. Der hatte jedoch nicht vor, eine Antwort zu geben, hob stattdessen Silas‘ Arm hoch, wo mittlerweile sein Tattoo immer deutlicher sichtbar wurde. „Ach du Scheiße. Mein Beileid, Bryce. Ich würde ihn an deiner Stelle in den Keller hängen, damit er sich nichts tun kann und du deine Energie abholen kannst.“

Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er nun doch zu dem jungen Krieger. „Du hast Ideen. Ich denke, die Entscheidung treffe ich allein. Sei so nett und löse den Griff, wir müssen zu William.“

„Zum König ... ich finde es immer noch merkwürdig. Du bist der neue Anführer, er nun König ... wer hätte das gedacht?“ Jannis löste die Lähmung bei Silas.

Bryce hatte die Handschellen gerade wieder angelegt, als der sich auch schon rührte. „Ich habe nicht damit gerechnet und doch bin ich davon überzeugt, dass er seine Rolle mehr als gut ausfüllen wird.“

„Nicht nur er, mit Sicherheit. Dann lass uns runter gehen.“ Bryce ging voran, während Jannis den Gefesselten vor sich herschob. Irgendwas irritierte Bryce an Silas‘ Blick und schon eine Minute später wusste er, was sein Fehler gewesen war.


Wieso er ihm die Hände nicht wieder auf den Rücken gefesselt hatte, war eher gut gemeint gewesen, doch schon bereute er sein Tun. Denn Silas ergriff die Chance. Blitzschnell legte er seine Arme um den Hals und zog zu. Bryce riss erschrocken die Augen auf, griff mit seinen Händen nach den Fesseln, welche sich mit dem Metall in sein Fleisch schnitten. Die Luftzufuhr wurde abgedrückt, sodass Bryce um jeden Atemzug kämpfte.

„Depp!“, raunte Jannis und befreite Bryce aus der misslichen Lage. „Wenn du einen umbringen willst, dann schau, dass keiner in deiner Nähe ist. Wer hat dich ausgebildet?“

Hätte er nicht erst einmal Luft holen müssen, Bryce wäre ein Lachen entkommen. Nun gab Jannis schon Tipps, wo sollte das nur hinführen? Eins stand fest, er würde ihn in der Kriegerschule unterbringen, es konnte nicht schaden, dass er zukünftige Kämpfer schulte, auch wenn er hoffte, dass der nicht all zu viele Tipps zum Töten geben würde.

Kurz erholt wallte Wut in Bryce auf, er schnappte sich Silas an der Kehle und drückte zu. „Du hast Glück, mein Partner zu sein, zudem, dass ich der Anführer bin, sonst würde ich dich persönlich hinrichten!“

„Tu es doch, dann habe ich alles, was ich wollte!“

„Eher sperr‘ ich dich in den Keller und häng‘ dich an die Decke, bis ich dich brauche.“

Silas‘ Augen waren geweitet und man sah ihm seine Gedanken an. Er traute es Bryce durchaus zu und hoffte doch, dass es so weit nicht kommen würde.


William saß mit Bennet in der Zentrale und ging einige Unterlagen durch, während Quinn an den Computern saß und die Tastatur quälte.

„Hallo“, machte Bryce auf sich aufmerksam, bekam jedoch zuerst einmal nur ein kurzes Nicken als Zeichen, dass sie ihn wahrgenommen hatten. „Alles in Ordnung?“ Er drückte Silas auf einen Stuhl und fesselte die Hände an diesen.

„Silas Doyle, 148 Jahre alt, jüngstes Kind von Selma und Fynn Doyle. Du kommst aus einem kleinen Dorf, was nach unserer Information verlassen ist. Wieso finden wir nichts über deine Schwestern und deine Eltern? Wo sind sie?“ William sah mit gerunzelter Stirn zu Silas.

Der lachte freudlos auf. „Du interessierst dich echt einen Dreck für deinesgleichen. George hat schon recht, ihr seid das Allerletzte.“

„So, sind wir das? Weil wir nicht wissen, wo sich einzelne unserer Art aufhalten? Ich hätte viel zu tun, wenn ich das wissen wollte, zumal einige mittlerweile zwischen den Menschen leben. Wieso bist du nicht so freundlich und klärst uns auf?“

Angespannt presste Silas die Kiefer aufeinander, während sein Körper zu zittern begann. Bryce hatte das Bedürfnis ihn zu trösten, doch blieb er einfach ruhig sitzen.

„Sie wurden alle ausgelöscht, das ganze Dorf, bis auf ein paar Mann, und das nur dank George. Vampire, Werwölfe, Feen stürmten jedes Haus, sie haben alle abgeschlachtet. Kleine Kinder, hilflose Babys und ihr seid nicht gekommen. Weder als es passiert ist, noch danach. Ihr seid miese Schweine!“


Die Bestürzung über das Gehörte stand jedem ins Gesicht geschrieben. William sah zu Quinn, der nickte und kopfschüttelnd auf den Bildschirm sah, auf dem sich ein Dorf in Trümmern zeigte.

„Die Geschichte ist wahr? Wann war das?“ William war sprachlos, wollte seinen Augen nicht trauen.

„Vor 100 Jahren, wenn ich den Akten glauben darf. Ich verstehe nur nicht, wieso wir nicht informiert wurden. Vor allem, seit wann greifen Vampire, Feen und Werwölfe zusammen an?“ Ratlosigkeit machte sich breit.

Bryce wurde bewusst, was passiert war. In ihm brodelte es, als er auch schon aufsprang und in den Keller rannte. Ohne ein Wort riss er die Türe zu Georges Zelle auf, zerrte diesen an dessen Fesseln aus dem Raum und brachte ihn in die Zentrale. Das Schweigen hielt dort weiter an, als George bäuchlings auf dem Tisch landete. „Wie hast du es geschafft? Wie hast du es hinbekommen, dass sich die Rassen vereinen und das Dorf angegriffen haben?“, verlangte Bryce zu wissen.

Allerdings lachte der Unterlegene lediglich und gab sonst kein Wort preis, Silas dagegen schon.

„Er hat nichts gemacht, er hat uns gerettet. Der Einzige, der uns Überlebenden beigestanden hat, während ihr eure Ärsche platt gesessen habt.“

„Während wir was? Wo ist dein Verstand geblieben? Welche Armee hatte er zur Unterstützung, um gegen die Angreifer anzukommen? Wer hat uns alarmiert?“

Trotz Fesselung am Stuhl sprang Silas auf. „Er hat uns geholfen, nur das zählt!“ Trotzdem er überzeugend klingen wollte, brach seine Stimme ein. Unsicher sah er zu George, suchte nach einer Antwort.

„Lass sie reden, sie versuchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Doch das werden wir ihnen nicht durchgehen lassen, du darfst nur nicht aufgeben!“

Bryce riss der letzte Geduldsfaden, seine Hand zog an Georges Haar, um dann den Kopf auf die Platte zu schlagen. „Erzähl ihm nicht so einen Mist. Du manipulativer Drecksack. Silas, wusstest du, dass er der Anführer sein wollte und deshalb dem König sowie William gedroht hat? Dass er den Posten immer noch möchte und bereit ist, dafür alles zu tun? Er war ein Krieger wie wir es sind, doch ist er seinem Versprechen, für unsereins einzustehen, nie nachgekommen und so sehr du es dir auch einredest, er hat die Opfer zu verantworten.“

„Er ist kein Krieger mehr, das hat er uns gesagt. Stimmt doch, George? Du sagtest, dass die Krieger nicht das sind, was du je wolltest, doch in die Rolle gedrängt wurdest. Dass du sie verlassen hast, weil sie nicht das tun, was ihre Aufgabe ist.“ Die Bitte um Bestätigung klang flehend. „Er hat doch nicht mal mehr sein Tattoo!“

Überrascht weiteten sich Bryce’ Augen. „Nein? Hast du es dir überstechen lassen? Wie willst du dann Anführer sein, ohne ein Tattoo wird dich keiner als ein solcher ansehen.“ Das Flackern in Georges Augen verriet ihn. Bryce ergriff das Handgelenk, welches sich wirklich ohne Tattoo zeigte, nicht mal eine Narbe war zu sehen, was ihn sehr verwunderte. Langsam glitten seine Finger über die Stelle, wo einst das Tattoo sichtbar war. Grinsend schabte er an der Stelle und schon bald hielt er eine gummiähnliche Kopie der Haut in der Hand. „So so, kein Tattoo mehr und was ist das?“, verdrehte er das Handgelenk, damit Silas es sehen konnte.


„Lass dich davon nicht beeindrucken. Silas, Junge, hör mir zu, er will dich nur manipulieren. Das Tattoo ließ sich nicht wegmachen, aber das hat nichts mit meiner Überzeugung zu tun. Ich stehe für jeden Einzelnen ein, der uns braucht, wie wir es damals auch getan haben. Für jedes Dorf, was diese Bestien dem Erdboden gleichgemacht haben. Denk daran, wie viele wir aufgefangen haben, wie viele uns dankbar sind.“

„Aber du hast uns belogen, du trägst dein Tattoo!“

„Ja, aber doch nur, weil es nicht anders geht.“

Unsicherheit machte sich in Silas breit, er wandte sich ab, wobei er den Blick auf das Tattoo freigab, welches sich immer mehr zeigte. „Du bist SEIN Partner?“, blickte er ungläubig in Bryce’ Richtung. Der Schock saß tief, wenn man Georges Blick richtig deutete. „Das ist genial, tu das, was wir abgesprochen haben, jetzt ist er verwundbar!“

Silas schloss kurz die Augen und nickte dann ergeben. Das Nächste, was er tat, ging zu schnell zum Einschreiten. Silas zerschlug den Stuhl an der Steinwand und entwendete Quinn ein Messer, was er an seinem Gürtel trug, um es sich dann an den Hals zu halten.


Bryce atmete tief durch, das Schicksal hatte es auf ihn abgesehen und verlangte all seine Nerven, die zwischenzeitlich an einem seidenen Faden hingen. „Dann bring es hinter dich, ich habe trotzdem noch ein paar Tage und glaub mir, diese werde ich nutzen, um ihn zu foltern und zu quälen, bis er die Wahrheit sagt und du im Jenseits einsehen musst, an eine Lüge geglaubt zu haben.“

Das erste Mal machte William auf sich aufmerksam, sah kopfschüttelnd zu Silas. „Du willst das nicht und das weißt du genauso gut wie ich. Du zweifelst an Georges Worten und das mit Recht. Du hast es doch gesehen, so viele Vampire, Werwölfe und Feen und er kam gerade mit fünf Mann, um euch zu retten.“

Silas stand kopfschüttelnd da, als wollte er die Worte nicht aufnehmen, nicht verstehen. Die Wahrheit sollte keinen Platz in ihm haben. Bryce konnte auch ohne Fähigkeiten sehen, dass sein Partner im Zwiespalt war. Vor Verzweiflung drückte Silas das Messer stärker gegen seine Kehle und spürte zu spät, dass die Klinge in die zarte Haut schnitt. Nicht tief, jedoch genug, um erschrocken den Griff loszulassen.

Sofort ließ Bryce von George ab, den Bennet schnell übernahm, und ging auf Silas zu. Seine Hand legte er auf dessen verwundete Kehle und spürte sogleich, wie die Energie strömte. Die zerschnittene Haut unter seinen Fingern schloss sich rasch wieder.

„Quinn, bring ihn bitte hoch und fessle ihn.“ Dann ging Bryce’ Blick zu William, der kaum merklich nickte. Das Einverständnis des Königs war Voraussetzung für den nächsten Schritt. Kaum war die Tür zur Zentrale geschlossen und somit Quinn mit Silas draußen, reichte ein Blick zu Bennet, dass dieser George auf einen Stuhl setzte und dort festhielt.

„Was habt ihr vor?“ Nichts Gutes ahnend ruckten seine Augen umher.

„Dir dein Tattoo nehmen, wie wir es schon vor langer Zeit machen wollten.“ Mit diesen Worten ergriff William das Handgelenk. Bryce ging an einen Schrank und entnahm diesem eine Axt, die vor Jahrhunderten regelmäßig Verwendung fand, doch heute mehr der guten alten Zeiten wegen im Schrank aufbewahrt wurde. Sie war scharf wie am Tag ihrer Entstehung und somit einsatzbereit. William nahm sie entgegen, während Bryce die Hand festhielt und er selbst ausholte und mit der Axt die Hand ab der Mitte des Unterarms abtrennte.


Immer noch hörte Bryce den Schrei von George und wünschte sich, dass es aufhörte. Sein Trommelfeld hatte gewiss einen Schaden bekommen, da war er sich sicher. „Du musst den Dienstplan bearbeiten, da Sean und ich ab übermorgen nicht mehr im Haus sind. Zudem solltest du dich um Ersatz bemühen, dir fehlen zwei Leute und ich hätte dich gerne bei einem Treffen dabei.“ Es war William, der hinter ihm stand und dessen Worte von einem störenden Piepen in Bryce’ Gehörgang gestört wurde.

„Treffen? Mit wem?“

„Dem Vampiroberhaupt und dem neuen Rudelführer der Werwölfe. Ich habe mit ihnen ein Treffen vereinbart und hoffe, dass es zu einer Aussprache kommt, sowie einer Klärung. Vielleicht wissen sie, wie es George geschafft hat, alle zusammen gegen uns aufzubringen.“

„Das nenne ich einen Plan, bin dabei. Vor allem, wenn ich Silas überzeugt bekomme, mich dann nicht mehr umbringen zu wollen.“

William konnte ein Lachen nicht verhindern, drückte kurz Bryce’ Schulter und ging in die Küche. Das erinnerte Bryce daran, dass er seinem Partner wohl etwas zu essen bringen sollte, wenn er dessen Tod nicht verantworten wollte. Als hätte Sarah seine Gedanken gelesen, stellte sie ihm wortlos zwei Schalen mit Suppe, einige Sandwichs und eine Kanne Kaffee auf ein Tablett. Mit einem Nicken dankte er ihr und ging die Treppen zu seinem Schlafzimmer hinauf.


Früher und seit er in diesem Haus war, hatte er sich die Begegnung mit seinem Partner anders vorgestellt. Friedlicher vor allem, nicht derartig nervenaufreibend. Er ahnte, dass es noch ein langer Weg werden würde, Silas davon zu überzeugen, sich auf ihn einzulassen. Doch aufgeben kam nicht in Frage. Tief durchatmend öffnete er die Tür und sah direkt auf Silas, der auf dem Bett saß und dessen Arme auf seinem Rücken gefesselt waren.


„Wirst du mich angreifen, wenn ich dich losmache?“

„Ja!“

„Dann werde ich dich füttern.“

Silas verdrehte die Augen. „Ich greife dich nicht an, okay?“

„Vergiss es, deine Antwort eben war ehrlich und das ist auch in Ordnung, doch ich mach dich dann nicht los. Denn auch wenn dir dein Leben egal ist, ich hänge an meinem.“ Mit diesen Worten setzte er sich aufs Bett und hielt Silas ein belegtes Brot vor den Mund. Doch er weigerte sich, davon abzubeißen. „Wenn du keinen Hunger hast, dein Problem.“ In aller Seelenruhe aß er eine Suppe und zwei Brote, während Silas neben ihm seinen Magen nicht mehr unter Kontrolle hatte, der den Aufruhr probte. Lächelnd blickte Bryce zu ihm.

„Mach mich los, ich ess auch wirklich nur und gehe auf die Toilette, etwas Privatsphäre steht jedem Gefangenen zu.“

Nickend bestätigte er die Aussage, schwang seine Beine aus dem Bett und stellte das Tablett auf den Boden. „Du hast natürlich recht. Selbst bei uns haben Gefangene etwas Ruhe und Privatsphäre verdient.“ Bryce ging ums Bett herum und machte die Handschellen kurz ab, um Silas auf die Beine zu ziehen und die Hände wieder auf den Rücken zu fesseln. Mit einer Hand packte er ihn am Nacken und mit der anderen das Tablett.

Silas war zu perplex, um sich zu wehren, ließ sich stattdessen einfach von Bryce in die Richtung drücken, wo er hingehen sollte.

Schon bald befanden sie sich im Keller des Hauses, wo die Zellen für die Gefangenen waren. Bryce drückte Silas in eine derselben, stellte das Tablett aufs Bett, welches an einer Wand stand und löste die Fesseln. „Ich wünsche dir eine gute Nacht!“ Mit diesen Worten und einem Lächeln im Gesicht verließ Bryce den Raum und ging die Treppen hinauf. Sein Blick wanderte durch das Untergeschoss und er lauschte, wo sich wer befand.


Langsam machte er sich auf den Weg ins Wohnzimmer, wo Dante und Philip saßen und einen Gruselfilm ansahen. „Heute kein Club?“, fragte er, während er sich über die Rückenlehne beugte und Dante ansah.

„Sam ist dort“, antwortete Dante, wortkarg wie immer.

„Es ist heute nicht viel los und somit dachten wir uns, wir verbringen mal etwas Zeit zusammen. Was ist mit dir?“, sah Philip zu ihm auf.

„Ich habe Silas in die Zelle gesperrt, nachdem er auf Privatsphäre gepocht hat.“

Philip schlug neben sich auf die Sitzfläche, woraufhin Bryce sich über die Lehne schwang. „Da hat man dir ja was angetan.“

„Oh ja, so ein Glück wie ihr zwei kann nicht jeder haben.“

Dante nickte bestätigend und zog Philip näher zu sich. „Hat auch lang genug gedauert!“

„Ja sicher und doch hat nicht einer von euch versucht, den anderen bei jeder Gelegenheit umzubringen.“

„Nur sich selbst!“ Dante sah seinen Partner strafend an.

„Das wird er mir jetzt die nächsten hundert Jahre vorhalten. Bryce, gib nicht auf, du schaffst das schon. Ewig wird sich Silas dem Bund nicht verwehren können, die Erfahrung haben wir doch schon gemacht. Du bist gutaussehend, charmant und nett, wenn du ihn nicht verführen kannst, wer dann?“

Abermals traf Philip ein strafender Blick, als Dante aufstand und ihn auch schon über seine Schulter warf. „So, ist er das alles?“

„Dante, lass mich runter, ich bin kein Mehlsack und auch kein Kleinkind, was man durch die Gegend trägt!“

„Wir diskutieren jetzt deine Meinung zu Bryce und das ohne Widerrede!“

„So war das doch gar nicht gemeint, also ... Dante!“ Entsetzt riss Philip die Augen auf, als die große Hand seines Partners klatschend auf seinem Hintern landete.


Schmunzelnd sah Bryce ihnen hinterher. So unterschiedlich die zwei Männer auch waren, sie passten perfekt zusammen. Sehnsucht machte sich in ihm breit, wie gerne hätte er auch so eine intakte Partnerschaft, stattdessen saß sein Auserwählter in der Zelle und genoss seine Privatsphäre. Selbst in seinen Gedanken hörte sich das letzte Wort abfällig an.

Voller Unmut schaltete er durch die Sender des Fernsehgeräts, doch nichts wollte ihm gefallen.


***


Sauer warf Silas das leere Tablett an die Wand. Das konnte Bryce ihm nicht wirklich antun, was fiel diesem Möchtegern-Anführer ein? Erst überfiel er ihn in der Dusche, fasste ihn an und nun ließ ihn Bryce einfach in dieser modrigen Umgebung allein. Das war nicht fair, wie sollte er sich da fühlen?

Abgelegt wie ein altes Kleidungsstück. Hauptsache einmal Spaß haben. Nun gut, Bryce hatte von der ganzen Sache nichts, lediglich Silas war wirklich zu seinem Vergnügen gekommen. Auch wenn er die Tatsache gerne verdrängt hätte.

Er sollte sich lieber Gedanken darum machen, wie er Bryce und auch William das Leben nehmen konnte, denn das war oberste Priorität, um das Ziel zu erreichen, was George sich gestellt hatte.

Der Gedanke an den Mann, der ihn nach dem Tod seiner Familie aufgefangen hatte, führte zu einem bitteren Nachgeschmack. Lebte dieser eigentlich noch? Silas wusste es nicht, er hatte ihn allerdings schreien gehört und das hatte nach einem Todesschrei geklungen.


Seine Gedanken schwirrten zwischen George, Bryce und William umher. Vom Tod, bis zu hemmungslosen Küssen und Berührungen ... das Leben war unfair, mies und mit Sicherheit nicht lebenswert. Wütend schlug Silas seine Stirn gegen das Gemäuer, woraufhin ihm der Kopf zu explodieren schien und das Blut über seinen Nasenrücken floss. Das durfte alles nicht wahr sein. Ergeben legte er sich auf das „Bett“ nieder, auch wenn diese Konstruktion den Namen nicht verdient hatte, und schloss die Augen.


Vergangene Zeiten nahmen den Platz in seinen Gedanken ein. Ob seine zwei älteren Schwestern oder seine Eltern, selbst sein ehemaliger bester Freund tauchte in seinen Träumen auf und alle sagten das Gleiche: „Bevor du Recht sprechen willst, solltest du das Unrechte erkennen.“ Was auch immer sein Unterbewusstsein ihm da sagen wollte, er verstand es nicht. Schließlich wusste er, was Unrecht war und wofür er Rache nehmen wollte.

Die Krieger hatten zugelassen, dass mehrere Dörfer zerstört und Vitae essentia getötet wurden. Sie waren nicht mal danach für ihresgleichen da. All das sprach dafür, dass sie alle den Tod verdient hatten, jeder der für ihre Werte geradestand, sollte ebenso sterben wie die Krieger.

Am liebsten so qualvoll, wie es im Mittelalter üblich war. Von einer eisernen Jungfrau bis zur Judaswiege, alles sollte dabei sein und er dürfte den Vollstrecker spielen. Der Gedanke entlockte ihm ein Lachen und dass er wie ein verrückter Professor klang, das musste er sich selbst eingestehen.


Seufzend richtete sich Silas auf. Wie lange er geschlafen hatte, konnte er nicht sagen, jedoch fühlte sich sein Kopf besser an und auch die Blutung hatte nachgelassen, da sich die Wunde bereits schloss. Ein Vorteil, dieser Rasse zugehörig zu sein. Obwohl Bryce dafür hätte sorgen können, dass die Wunde schon längst verschlossen gewesen wäre, jedoch hatte er sich das alles selbst zuzuschreiben. Schließlich wollte Silas Bryce nicht und dessen Energie konnte ihm auch gestohlen bleiben.


Es war nicht Silas‘ Tag oder gar Tage. Sauer auf sich selbst und seine Gedanken, die unerfüllt bleiben würden, schlug er abermals gegen das Gemäuer, wenn auch diesmal mit der Faust. Das Krachen seiner Knochen erfüllte den Raum und Silas konnte nur schwerlich einen Aufschrei verhindern. Mit Tränen in den Augen setzte er sich aufs Bett und versuchte die Finger zu strecken, doch es war unmöglich. Eindeutig, er brauchte Hilfe.

Genau in diesem Moment lief jemand an seiner Zelle vorbei. „Hey, ich bräuchte Hilfe, wenn es möglich ist.“ Die Schritte stockten und kamen dann wieder näher. Ein Fenster in der Tür wurde geöffnet und ein Krieger sah hinein, der ihn kritisch musterte.

„Was machst du hier unten?“

„Meine Privatsphäre genießen, jedoch habe ich ein kleines Problem!“ Silas zeigte seine Hand, die minütlich immer mehr anschwoll.

„Hat dir die Mauer nicht gefallen? Sekunde, ich hol dich raus.“ Man hörte den Schlüssel ins Schloss gleiten und wie aufgeschlossen wurde. „Ich warne dich, greifst du an, bist du tot.“

„Ich glaube, da hätte Bryce was dagegen.“ Silas erwiderte genauso arrogant, wie der Krieger zu ihm sprach. Das war Acey, wenn er sich nicht ganz täuschte. Ein eingebildeter Artgenosse, dem nichts heilig war.

„Oh man, das auch noch? Du bist doch nicht echt mit ihm gebunden, oder?“

„Glaub mir, ich könnte mir auch was Schöneres vorstellen, aber zu ändern ist es nicht mehr.“

„Er hat was Besseres verdient, nur fürs Protokoll. Gut, umbringen ist nicht drin, aber glaub mir, baust du Mist, wünschst du dir diesen Schmerz zurück, versprochen!“

Silas nickte ergeben, vor allem da ihm der Schmerz langsam die Sinne raubte und er nur noch Hilfe wollte.


Ruhig und mit zusammengebissenen Zähnen ging er Acey voran, der ihn zum Wohnzimmer führte, wo Bryce auf dem Sofa saß und sich durch die Sender schaltete.

„Bry, ich habe hier einen Verletzten.“

Langsam drehte der Angesprochene sich um und sprang dann regelrecht auf. „Was hast du gemacht?“

„Ihm war die Wand im Weg, schätze ich. Zumindest schweigt er, seit ich ihn rausgeholt habe und wird zusehends blasser. Vielleicht sollten wir Frederik rufen.“

„Mach das, er müsste eh noch mal nach George sehen.“ Bryce zog Silas mit in die Küche und setzte ihn an den Tisch. „Ich würde dich heilen, aber ich denke, das ist keine gute Idee, es sieht mir so aus, als seien deine Knochen verschoben.“

Das war selbst Silas einleuchtend und so nickte er einfach. Langsam wurde ihm schlecht und er kämpfte immer noch damit, nicht zu schreien.


Der Arzt war wie immer gleich zur Stelle, wenn man ihn rief und das war Silas nur recht.

„Seit ihr eure Partner habt, bekomme ich immer mehr zu tun. Was ist diesmal passiert?“

„Die Wand in der Zelle hat ihm scheinbar nicht zugesagt. Ich wollte ihn heilen, aber ich meine ...“

„Gut, dass du es nicht gemacht hast. Ruf mal zwei kräftige Kollegen, wir müssen es schnellstmöglich richten.“

Silas würgte, er wusste was das hieß und Panik brachte seinen Puls dazu, rasant zu steigen.

„Ganz ruhig, wir bekommen das hin, aber du wirst selbst wissen, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Willst du was zur Beruhigung?“

„Ja!“ Silas‘ Stimme war nicht mehr als ein Krächzen, zu sehr war er darauf bedacht, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten.

William trat in die Küche und stellte eine Flasche Whisky auf den Tisch. „Dann trink, sobald Bennet da ist, legen wir los!“

Es war ein Versprechen mit einer Drohung gepaart und dazu auch noch mit einem gehässigen Lächeln verziert. Das war nicht nett, eindeutig nicht und Silas wusste wieder, wieso er die Krieger nicht mochte. Drei tiefe Schlücke konnte er nehmen, ehe Bennet und Bryce auftauchten. Der Arzt reichte ihm ein Stück Holz, welches er sich zwischen die Zähne klemmte, dann stellte sich William hinter Silas, Bennet rechts und Bryce links. Sie pressten ihn in den Stuhl, während Frederik sich die Hand nahm und die Finger richtete.

Die Schreie wurden vom Holz gedämpft, nur gegen die Tränen konnte Silas nichts mehr ausrichten. Sie liefen seine Wangen hinunter und wollten nicht enden. Doch nur er wusste, dass sie nicht nur den Schmerzen der Hand galten, sondern auch von tief aufgestauten Gefühlen herrührten.


Die unfreiwillige Aufmerksamkeit war Silas peinlich, denn schon bald standen die Hausbewohner in der Küche und sahen sich das Spektakel an.

„Ich hätte auch geholfen, hättet ihr gefragt!“ Das Grinsen von Acey war schlicht und einfach als mies zu erachten.

„Wer nicht!“, gab auch noch Jannis seinen Senf dazu.

„Jetzt ist aber Schluss.“ Die Ermahnung kam von Quinn und Bennet gleichzeitig, was ihre Partner augenverdrehend seufzen ließ.

Einzig Bryce’ Aufmerksamkeit lag mitfühlend auf ihm, das konnte Silas fühlen und auch wenn er gerade auf dessen Mitleid verzichten wollte, konnte er es nicht. Es tat zu gut, diesen Blick zu sehen, dessen Hand auf seiner gerichteten zu spüren und zu wissen, dass da mehr war. Insgeheim wünschte er sich sogar, sich in Bryce’ Arme fallen lassen zu dürfen, sich trösten zu lassen und endlich sein Herz zu erleichtern. Doch das war unmöglich, denn das Einzige, was er dann tun musste, war ihn umzubringen, daran gab es nichts zu rütteln.


Unter normalen Umständen hätte aus ihnen ein Paar werden können und sicherlich sogar ein glückliches, schade drum, das musste sich Silas selbst eingestehen.

Bryce war ein attraktiver Mann. Groß, dunkle Haare und faszinierend hellblaue Augen, ein wenig wie der Himmel im Sommer, leider ohne kleine Wölkchen. Silas‘ Lippen belegte ein sanftes Lächeln, als er daran dachte, wie er einst mit seinen Schwestern auf der Wiese nahe dem Dorf lag. Sie hatten die Wolken gezählt, versucht herauszufinden, was sie darstellen könnten und waren sich nie einig geworden. Abermals rollte eine Träne über seine Wange.


„Bring ihn nach oben, ich komme gleich nach, wenn Frederik bei George fertig ist.“ Silas hatte Bryce’ Stimme erkannt und bekam auch mit, wie Bennet ihm aufhalf, doch stand er neben sich. Ohne Gegenwehr überließ er dem Krieger die Führung, für Rache war morgen auch noch genug Zeit.


***


Bryce sah Silas fragend hinterher, der eindeutig nicht bei sich war. Dann wanderte sein Blick zu Sarah, der die Tränen über das Gesicht liefen. „Alles in Ordnung, Sarah?“

Seine Frage veranlasste Sean, sich zu seiner Frau umzudrehen. „Die Verletzung von ihm?“

„Nein, er leidet und das immens. Es tut so weh und wenn ich bedenke, dass es bei mir nicht in der Intensität ankommt, wie er es spürt, wird mir schlecht.“

Bedrückt sah Bryce aus der Küche hinaus, ihm war entfallen, dass Sarah Gefühle spürte und ihre Worte hinterließen ein Stechen in seiner Brust.

„Was hat er, Will?“

Der Angesprochene sah Sarah an, die eine Antwort erwartete. „Seine Familie. Erinnerungen suchen ihn heim. Dann das Versprechen an George, uns umzubringen und Bryce. Er leidet und wünscht sich ein friedliches Leben, was er sich selbst verwehrt. Dabei können wir ihm allerdings nicht helfen, den ersten Schritt muss er tun und das ist, endlich die Augen zu öffnen und zu verstehen, dass wir nichts für sein Leid können.“


Mehr brauchte Bryce nicht zu hören, er sah auch keinen Sinn darin. Im Moment war er überzeugt, dass es nur zwei Möglichkeiten für Silas gab. Entweder er würde sich damit abfinden, sein Leben lang Bryce’ Gefangener zu sein oder sie beide töten.

Zusammen mit Frederik ging Bryce nun zu den Zellentüren, hinter einer befand sich George. Dieser lag auf dem Bett und hatte Schweißperlen auf der Stirn. Während Murray den Verband um den Armstumpf löste, stellte Bryce sicher, dass ihm keine Gefahr drohte.

„Es verheilt schlecht und er hat Fieber. Soll ich bei den Hexen anfragen oder lassen wir die Natur entscheiden?“

Das war eine gute Frage und auch wenn er wusste, dass er entscheiden musste, fiel es Bryce schwer. Am liebsten hätte er George eigenhändig umgebracht, doch das stand ihm nicht zu, nicht nachdem William sich dagegen entschieden hatte. „Er hat den Tod verdient und doch sollte es nicht durch unsere Hand passieren. Besorg das Mittel.“

Der Arzt nickte, verband den Stumpf wieder und verließ mit Bryce die Zelle. „Jannis könnte Silas helfen. Auch wenn sie sich nicht sonderlich zu mögen scheinen, haben sie etwas gemeinsam. Sie wurden manipuliert und haben Schlimmes erlebt. Vielleicht bekommst du sie dazu, sich darüber auszutauschen.“

„Und du meinst, das hilft?“

„Schaden kann es nicht. Zudem gibt er ihm das, nach was er sich sehnt, auch wenn er es sich nicht eingestehen will. Er braucht eine Schulter, einen Fels in der Brandung.“

„So? Woher weißt du das? Sei mir nicht böse Frederik, aber es scheint mehr hinter deiner Person zu stecken als nur ein sehr guter Arzt!“

Lächelnd nickte dieser. „Nun ja, jeder von uns hat seine Berufung, meine ist eben ein Arzt zu sein. Dazu gehört Fingerspitzengefühl, seelisch wie körperlich. Ich kann keine Gefühle wahrnehmen, auch lese ich keine Gedanken, aber meine Intuition täuscht mich selten. Mein Tattoo ist eine Katze, geschmeidig, flink, hat ein feines Gespür. So wurde es mir erläutert. Man legte mir nahe, Arzt zu werden und das tat ich. Ich habe es nie bereut und freue mich, wenn ich helfen kann.“

„Du bist ein guter Arzt und wir können uns glücklich schätzen, dich an unserer Seite zu wissen. Danke dafür.“

Frederik zwinkerte und schlug ihm sanft auf den Rücken. „Gerne doch. Ich muss leider wieder, hab noch ein paar Patienten, die auf mich warten. Nichts Arges, aber Kontrolle schadet nicht.“


Anstandshalber brachte Bryce den Arzt zur Tür, sah dem fortfahrenden Auto kurz hinterher und wollte sich schon wieder abwenden, als ihm Jannis auffiel, der seitlich an der Hauswand saß. Leise schloss er die Tür hinter sich und ging die drei Stufen hinunter und dann auf den jungen Krieger zu.

„Alles klar bei dir?“

„Ja, ich habe eben die Kontrolle am Waldrand gemacht und wollte noch etwas die Sterne bewundern. Wie geht es unseren Gästen?“

„Nun ja, George braucht ein Mittel von den Hexen. Ich kann es ihm nicht verweigern.“

Jannis verdrehte die Augen. „So eine Macke von euch Anführern oder? William war genauso. Hart, aber dann doch wieder weich und nachgiebig.“

„Gehört wohl dazu. Sag mal, würdest du mir einen Gefallen tun?“

Kritisch betrachtete ihn Jannis. „Ich soll versuchen, an Silas ranzukommen, richtig? Nun schau nicht so überrascht, Will hat mich auch schon gefragt. Ich versuche es gerne, doch erst müsst ihr Beweise liefern, dass ihr wirklich nichts von dem Angriff wusstet und George dahintersteckt, sonst sehe ich mich auf verlorenem Posten. Ich hätte euch auch nicht geglaubt, wenn die Beweise nicht da gewesen wären.“

„Doch du hast nicht versucht Quinn umzubringen!“ Langsam glitt Bryce neben Jannis nieder.

„Nein, habe ich nicht. Ich wusste wohl immer, dass etwas nicht stimmte und nachdem man Alec und Greg getötet hat ... Es hat mich wachgerüttelt und ihre Worte zu dir ließen in mir einen Funken Vertrauen keimen.“

„Sie haben sich wirklich Sorgen um dich gemacht und sie mochten dich sehr.“

„Ich weiß, ich sie auch. Zwischen dir und Alec war auch mehr als nur pure Freundschaft, wenn ich Gregs Eifersucht richtig gedeutet habe.“ Jannis zwinkerte. „Du musst nichts dazu sagen, aber vielleicht hilft es dir, zu wissen, dass er dich immer im Herzen getragen hat.“


Das tat es, auch wenn er das nie vor Jannis zugegeben hätte. Müde schleifte sich Bryce die Treppen hinauf und betete für eine ruhige Nacht.

Schnell ins Bad und schon schlüpfte er in sein Zimmer. Silas lag schlafend im Bett, lediglich eine Hand hatte Bennet am Gestell befestigt, was Bryce kurz zum Nachdenken brachte, doch dann verwarf er den Gedanken, weitere Fesseln zu holen. Er traute Silas nicht zu, die Nacht auf falsche Gedanken zu kommen, nicht nach dem Tag.


Weiche Lippen legten sich rau auf die seinen, gerade als sich Bryce diesen hingeben wollte, spürte er eine Hand an seiner Kehle, die unbarmherzig zudrückte. Nach Luft schnappend riss er seine Augen auf und sah in die braunen von Silas. „Es tut mir leid!“, wisperte dieser an seinen Lippen.

Mit einem Griff umfasste er das Handgelenk von Silas und presste es zusammen. Die gerade heilenden Knochen brachen, sodass er von Bryce ablassen musste.

Schneller als es Silas lieb war, lag er auch schon wieder auf dem Rücken und Bryce über ihm. „Das sollte dir mehr als leidtun.“ Er verlor die Nerven, nicht anders konnte er es sich im Nachhinein erklären, Silas bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt zu haben.

Schwer atmend legte sich Bryce auf seine Seite und starrte an die Decke. Seine Finger streiften sanft über seine Lippen, hatte er sich den Kuss eingebildet? War er eine Hinterlassenschaft seines Traumes gewesen oder wirklich geschehen? Eilig verscheuchte er die Gedanken und stand auf. Er würde sich dieser Gefahr nicht noch einmal aussetzen, vielleicht war er gutgläubig, doch nicht dumm.


Kaum hatte Bryce Silas in eine Zelle verfrachtet, gönnte er sich einen Tee. Das Haus erschien leer und ungewohnt leise. Bis auf sanfte Bässe, die aus der Zentrale drangen, war es still. Acey musste Dienst haben, denn dieser verzichtete bei einer Nachtschicht nie auf seine Musik.

Mit der Tasse in der Hand ging Bryce in den Garten. Es war abnehmender Mond und der Himmel wurde von so mancher Wolke bedeckt. Es war lauwarm, lediglich der Wind ließ ihn ab und an frösteln.


„Ein schöner Platz zum Nachdenken, nicht wahr?“ Dante nahm neben ihm Platz.

Überrascht blickte Bryce diesen an. „Ich glaube, du hast noch nie so viel zu mir gesagt.“

„Wenn es nicht sein muss.“

„Ziehst du es vor zu schweigen, ich verstehe. Solltest du nicht bei Phil im Bett sein?“

Ganz langsam schüttelte er seinen Kopf und strich durch sein schwarzes Haar. „Ich glaub, ich bin hier ganz richtig. Ihr habt uns geholfen, jetzt kann ich vielleicht was zurückgeben!“

„Nun ja, hab ich euch geholfen? Ich habe Philip ausgepeitscht.“

„Was ihn zur Vernunft gebracht hat. Du hast Silas runter gebracht deswegen?“ Dabei wies er auf Bryce’ Hals.

„Ja, er meinte zum zweiten Mal heute, mich umbringen zu müssen. Ganz ehrlich Dante, ich kann mit vielen Dingen umgehen, doch der Typ überfordert mich gänzlich. Ich weiß einfach nicht, was ich noch machen soll.“

„Lass ihn da, wo er ist, hol dir deine Energie, doch mehr auch nicht. Manchmal heilt nur die Zeit Wunden, oder lässt sie erträglicher werden.“


Dante hatte recht und das war Bryce nur allzu bewusst. Auch wenn er sich die Entscheidung nicht leicht machte, stand sie bald schon. Er würde Silas in der Zelle lassen und Abstand nehmen. Es war alles zu schnell gegangen und es stand einfach zu viel zwischen ihnen, als dass sie es hätten ignorieren können.


Die Gespräche mit den Vertretern der Vampire und Werwölfe verliefen sehr gut. Es hatte einiges ans Tageslicht gebracht. Georges Intrigen waren weitreichender als irgendeiner geahnt hatte und es würde Zeit und viel Geduld kosten, hundert Jahre aufzuarbeiten und das Vertrauen der Wesen untereinander wiederherzustellen.

Diese Zeit wollten sich alle nehmen und seit Jahrhunderten sah man das erste Mal, wie verschiedene Rassen miteinander auf Frieden anstießen, ohne etwas schriftlich festzuhalten. Der erste Schritt, wie es William nannte und hatte somit den Respekt seiner Amtskollegen erhalten.

Auch wurde die Rechtslage festgelegt, sollten sich einzelne einer Art falsch verhalten. Je nachdem wo und was passierte, würden entweder die Befehlshabenden alleine eine Strafe festlegen oder sich einen Vertreter der anderen Wesen dazu holen.

Es war eine angenehme Einigung geworden, die lediglich niedergeschrieben wurde, damit man es an alle weitersenden konnte. Die Überraschung des Tages hatten dann die Feen zu verantworten, die sich unangemeldet dazu gesellten. Ihre Sicht der Dinge war sehr aufschlussreich. Sie hatten sogar schriftliche Beweise, die aufzeigten wie lange George gebraucht hatte, um sie zu überzeugen und welche Lügen er dafür verwendete.


Lügen über vermeintliche Angriffe, die er wohl selbst ausgeführt hatte, über Entführungen, geplante Vernichtungsaktionen. Diese Aussagen kannten auch die Werwölfe und Vampire. Natürlich war allen klar, dass es auch zu wahren Übergriffen gekommen war, doch die schienen gering, fast schon normal, wie es zwischen allen Wesen und Rassen vorkam.


Man verhängte allgemein ein vorläufiges Verbot zur Grenzüberschreitung, damit die Oberhäupter die Chance zur Klarstellung hatten. Es war einiges zu regeln, wie jede Rasse es für sich klärte, war ihnen überlassen. William hatte konkrete Vorstellungen, die er noch während des Gesprächs notiert hatte und an Sean weiterreichte.

Eine ganze Liste kam so zusammen, mit Verhaltensregeln und Strafen bei Missachtung.


***

 

Die neunzigste Kerbe ritzte Silas in die Wand, solange hatte Bryce ihn schon in die Zelle gesperrt. Natürlich wusste er, dass es seine eigene Schuld gewesen war, schließlich wollte er dem Gehörten keinen Glauben schenken, hatte drei weitere Male versucht, Bryce das Leben zu nehmen und einmal sich selbst. Diese Narbe war immer noch an seinem Hals zu sehen, da sich sein Partner geweigert hatte ihn zu heilen. Strafe müsste sein, war dessen Meinung. Es war auch eine bescheuerte Idee gewesen, sich mit einer Scherbe den Hals aufschlitzen zu wollen. Silas hatte gezögert, es mit der Angst zu tun bekommen und dadurch nicht tief genug geschnitten.

Dass es von Bryce jedoch so desinteressiert aufgenommen wurde, war für Silas einem Schlag ins Gesicht gleichgekommen. Doch Frederik hatte ihm den Zahn der Wut schnell gezogen. „Wenn du Hilfe willst, dann sag es und mach nicht so einen Unsinn. Du bist kein Kleinkind und Bryce hat keine Zeit, sich um ein solches zu kümmern.“ Daraufhin war er erst einmal eingeschnappt gewesen. Allerdings musste er bald einsehen, dass der Arzt wohl recht hatte.

Die letzten Monate waren mit Veränderungen aufgefallen. William, Sam, Sean und Sarah verließen das Haus, während zwei neue Krieger einzogen, die sich sogar bei Silas vorgestellt hatten. Robin und Ken waren so unterschiedlich, wie sie sich ähnelten. Ein Paar aus dem Norden, das dort nicht mehr gern gesehen war, hatte Bryce sofort willkommen geheißen. Verständlich, wie Silas fand, denn die zwei Krieger machten selbst bei ihm einen netten Eindruck, kompetent und pflichtbewusst.

Seufzend sah Silas auf die Wand und betrachtete seine Kerben, wie lange wollte er noch hier bleiben? Ein Wort von ihm würde sicher ausreichen und Bryce würde nachgeben und doch konnte er nicht über seinen Schatten springen. Jede Begegnung mit seinem Partner verursachte bei ihm einen Kurzschluss und er fiel in sein Verhaltensmuster zurück, den Zwang, Bryce zu töten. Dabei hatte sogar Silas‘ Verstand langsam eingesehen, wer für sein Leid verantwortlich war.

Vielleicht lag es genau daran, er würde nie seine Rache bekommen, denn George war an die Vampire, Werwölfe und Feen ausgeliefert worden. Ob er noch lebte? Silas rechnete nicht damit und somit musste er damit klarkommen, dass er niemals Gerechtigkeit erfahren durfte.


„Essen, ich hoffe, es schmeckt dir, ich habe heute gekocht.“ Robin sah verkniffen aus, was Silas ein Lachen entlockte.

„Schlimmer als das von Acey kann es nicht sein. Ich danke dir.“

„Sag das mal nicht. Bryce hat mich angesehen, als wolle er mich lynchen, als er probierte. Ich bin echt kein Spitzenkoch, was kann ich dafür? Krieger sein, das ist meins, das kann ich.“ Der letzte Satz war ihm grummelnd entkommen.

Silas probierte, ließ sich den Eintopf auf der Zunge zergehen und schmeckte die einzelnen Bestandsteile heraus. „Da fehlt eindeutig Majoran, Thymian und Lorbeerblätter, zwei Nelken rein und es schmeckt perfekt.“

„Du kannst kochen!“, stellte Robin erfreut fest. „Hilfst du mir?“

„Und wie? Willst du mir alle Gewürze hierher bringen und nebenbei auch noch den Herd?“

„Nein, ich hol dich mit hoch. Hey komm, du machst keinem was und ich glaube auch nicht, dass du das vorhast. Ich verstehe sowieso nicht, wieso dich Bryce nicht endlich rauslässt, nach seiner Ansprache.“

Nun war Silas‘ Interesse geweckt. „Okay, ich helf dir beim Kochen und du erzählst mir, was es für eine Ansprache gab.“

Robin nickte bestätigend und nahm das Tablett wieder auf, um dann voran den Weg aus dem Keller zu gehen.


Kaum standen sie in der Küche, begab sich Silas auch schon an das Verfeinern der Kartoffelsuppe, während Robin freimütig erzählte.

„Als wir hier ankamen und den Posten antreten wollten, hat sich Bryce vor uns aufgebaut. Er erklärte die momentane, wie er es nannte, verzwickte Situation. Zumindest klärte er uns auf, dass du sein Partner bist und wir dir keinesfalls etwas antun dürfen, egal was passiert. Wir hätten dich mit Respekt und Anstand zu behandeln, wie wir ihm selbst auch gegenübertreten.“

Das überraschte Silas dann doch, innerlich platzte er fast vor Stolz und dem warmen Gefühl, welches Bryce’ Worte in ihm verursachten. Lächelnd würzte er die Suppe, kochte sie ein weiteres Mal auf und probierte zum Abschluss. „Ich denke,  so dürfte sie schmecken. Frisches Brot dazu und die anderen werden dich nicht zerfleischen“, zwinkerte Silas und schmiss noch Würstchen in die Suppe.

„Ich danke dir, ehrlich.“

„Kein Problem, zu Hause bestand unsere Mutter drauf, dass all ihre Kinder kochen können und zwar nicht nur Nudeln oder Eier.“

„Gib mir die Nummer, ich bedank mich bei ihr mit einem riesigen Blumenstrauß.“

Das Lächeln auf Silas‘ Gesicht erlosch, er atmete durch und schluckte. „Du solltest mich in meine Zelle bringen, der Eintopf ist fertig.“

„Trink noch einen Kaffee mit uns, wenn du uns schon das Essen von ihm schmackhaft machst.“ Bennet trat in die Küche und ging direkt zum Topf, um seine Vermutung bestätigt zu wissen. „Wow, lecker.“


Eigentlich wollte Silas die Einladung abschlagen, doch konnte es nicht. Als auch Jannis, Quinn und Philip sich dazu gesellten, wurde es lustig. So viel hatte er das letzte Jahrhundert nicht gelacht. Er fühlte sich dazugehörig, ohne Erwartungen erfüllen zu müssen, ein Unterschied zu George und seinen Kämpfern, wo sich alles nur um Rache drehte. Da war kein Spielraum für Spaß.

Hier waren andere Themen der Mittelpunkt. Sei es Sarah, die Frau des Stellvertreters des neuen Königs, deren Bauch von Monat zu Monat dicker wurde, und somit alle gespannt warten ließ. Jannis, der letzte Woche, abgelenkt von Quinn, gegen einen Baum gerannt war, oder Ken, der sich mit Acey einen Machtkampf im arroganten Verhalten lieferte. Es waren Themen des Alltags, die amüsant und erholsam waren. Selbst kleinere Seitenhiebe auf Silas selbst ließ dieser lachend über sich ergehen.

Nachdem sie gegessen hatten und einer nach dem anderen seiner Arbeit nachging, wollte Silas Robin bitten, ihn wieder in seine Zelle zu bringen. Obwohl ihm der Gedanke nicht behagte. Es war so angenehm gewesen, zwischen den Kriegern zu sitzen, die weder arrogant noch herablassend ihm gegenüber aufgetreten waren.

Bevor Silas allerdings die Chance bekam, trat Acey in die Küche, gefolgt von Dante, Ken und Bryce. Kaum erblickte er Letzteren, schien irgendwas in ihm umzuschalten, die vorher herrschende Gelassenheit hatte ein jähes Ende gefunden. Bryce war wie ein rotes Tuch, ehe Silas nachdenken konnte, was er da tat, war sein Körper schon in Bewegung.

Bryce schien zu ahnen, was er vorhatte und ergriff das Handgelenk seines Partners, bevor er sein Gesicht treffen konnte. Doch Silas gab nicht auf, entwand sich dem Griff und trat Bryce die Beine weg, sodass der auf dem Boden landete. Sofort stürzte er sich auf ihn und schon landete seine Faust in dessen Gesicht.


Es waren Robin und Ken, die einen weiteren Schlag verhinderten und Silas fortzogen.

Bryce richtete sich auf, sein Gesicht wutverzerrt legte er seine Finger um Silas‘ Hals. „Ich würde dich umbringen, wenn nicht mein Leben an deinem hinge.“

„Das tut mir wahnsinnig leid für dich.“
„Was hast du für ein Problem mit mir? Behandle ich dich zu gut? Wer hat ihn überhaupt ohne meine Erlaubnis hier hochgeholt?“ Es war ein missfallender Laut, der Bryce’ Brustkorb entkam.

Dieses durchfuhr Silas und löste in ihm ein ungewohntes Gefühl aus. Es kam ihm vor, als würde eine Armee über den Boden laufen und die Vibration durch seinen Körper jagen.

„Das war ich, er hat mir beim Kochen geholfen. Bryce, er hat sich tadellos benommen, niemanden angegriffen.“ Robin suchte nach Erklärungen.

„Ja, ich merke es, mein Auge pocht wahrscheinlich vom Gucken. Du hast das mit mir abzusprechen und nun schafft ihn wieder runter!“ Dieser grollende Unterton hinterließ eindeutig zu viele verwirrende, intensive Gefühle in Silas, die er nicht zuordnen konnte. Sodass er froh war, als Robin ihn in den Keller hinab führte. Die Entschuldigung des Kriegers nahm er kaum wahr, versuchte stattdessen seine Gedanken zu ordnen.

Bryce mit seinem verzerrten Gesicht und dessen Grollen hinterließ in ihm scheinbar mehr, als er wahrhaben wollte, denn nicht anders war die plötzliche Enge zu erklären. Langsam glitt er aufs Bett, öffnete die ersten Knöpfe seiner Hose und versuchte, das Verlangen zu unterdrücken.

Doch es war zu intensiv, vor allem, wenn er seine Augen schloss und Bryce in seinen Gedanken auftauchte. Langsam glitt seine Hand über den Bauch hinab zum Bund seiner Hose und tauchte hinein. Es tat gut, sein Fleisch zu berühren, was sich so sehr nach Aufmerksamkeit sehnte.

Nun hatte es Silas doch eilig, riss sich die Hose von den Beinen und gab sich dem hin, wonach sich sein Körper sehnte. Mit einem festen Griff umfasste er sein Glied, winkelte seine Beine an und stieß in seine Hand mit schnellen Stößen.

Jedes Bild seines Partners war für ihn, als würde man Öl ins Feuer gießen, ließ Silas noch mehr um Erlösung flehen, doch wurde er nicht erhört. Es schien geradeso, als wollte sein Körper zeigen, wie ausdauernd er war. Doch gerade jetzt ersehnte er sich nichts mehr als Erlösung. Fast schon verzweifelt verengte er seine Faust und stieß noch schneller zu. Dass Silas‘ Stöhnen den ganzen Keller erfüllte, war ihm schlichtweg egal. Hauptsache, er würde endlich seinen Druck loswerden. Mit dem Namen seines Partners auf den Lippen kam die Erlösung kurze Zeit später und Silas fiel erschöpft zurück.

Langsam fielen ihm die Augen zu und er glitt seit Wochen in einen ruhigen Schlaf.


***


Sprachlos stand Bryce auf der Treppe zum Keller, wollte seinen Ohren nicht trauen. Hatte Silas gerade im Rausch der Selbstbefriedigung seinen Namen geschrien? Er spürte die Hitze in seine Wangen schießen, bevor er sich umdrehte und eiligst wieder nach oben ging. Bennet stand an der Tür zum Keller, wie immer, wenn Bryce seine Energiereserven aufstocken wollte. Schmunzelnd betrachtete er den Anführer.

„Keinen Ton!“ Bennet hielt sich die Hand vor den Mund und nickte. „Du bist ein Arsch! Hör auf, es zu denken!“

„Entschuldige mal, irgendwo sind Grenzen gesetzt. Beruhigt es dich nicht, zu wissen, dass du schon seine Libido erreichst?“

„Nein, tut es nicht und dich geht es nichts an.“ Bryce war sauer und doch wieder nicht. Natürlich war das ein Fortschritt und doch, dass es außer ihm noch jemand mitbekommen hatte, war ihm nicht recht. Zumal Bennet nicht danach aussah, dass er das schnell vergessen würde, ganz im Gegenteil.


Doch im Laufe des Abends musste er selbst mitlachen, wenn sein Stellvertreter mit wackelnden Augenbrauen an ihm vorbei ging.

Fast hätte er sogar vergessen, wieso er in den Keller gegangen war, als er sich zu später Stunde an der Wand abstützen musste, da ihm die Kraft fehlte, sich auf den Beinen zu halten. Acey lief gerade an ihm vorbei und blieb sofort stehen.

„Hast du was vergessen? Verdammt, bist du blass, soll ich dich runter bringen?“ Bryce schüttelte mit dem Kopf, während sich sein Magen meldete und er gerade noch in die Gästetoilette im Flur stolpern konnte. „Fuck!“, fluchte Acey unpfleglich und Bryce hörte ihn die Kellertreppen hinunter stolpern. Auch wenn er gerne protestiert hätte, wusste er genau, dass es keinen Sinn hatte.

„Ich warne dich, tu nichts Unüberlegtes!“

„Ob du es mir glaubst oder nicht, ich will noch nicht sterben und somit habe ich nicht vor, ihn umzubringen.“

„Sah eben noch anders aus!“ Acey war skeptisch, verständlich wie Bryce fand, denn er traute seinem Partner ebenso wenig.

„Ich habe keine Ahnung, wieso ich jedes Mal auf ihn losgehe, wirklich, aber es ist wie ... wie bei einem Stier, der rot sieht.“ Silas klang verzweifelt und hörbar suchte er nach Verständnis oder sogar einer Erklärung für sein Verhalten.

„Dann setz dir Scheuklappen auf oder so was, aber mach keinen Mist!“

Bryce hätte gelacht, wenn ihm die Kraft nicht abhandengekommen wäre. Es war peinlich und er war fast froh, dass keiner mitbekam, dass er sehr wohl noch alles mitbekam.

„Bringen wir ihn hoch? Wegen mir kannst du mich dann ans Bett fesseln, doch ich denke, dort liegt er bequemer.“

Scheinbar teilte Acey die Ansicht, denn schon bald spürte Bryce, wie er hochgehoben wurde und es die Treppen hinauf ging.

Sein Körper war angespannt, als er auf dem Bett abgelegt wurde und daraufhin neben sich die Matratzensenkung bemerkte. Die Gefühle in ihm waren zwiegespalten, zwischen der Befürchtung, gleich angegriffen zu werden, bis hin träumen zu dürfen und die Nähe seines Partners zu genießen.

Seine Bedenken wurden davon angefacht, dass er kein Klicken der Handschellen hörte, stattdessen vernahm, wie Acey das Zimmer verließ.

Jeden Moment würde sich Silas auf ihn stürzen, Bryce konnte dessen Hände schon an der Kehle spüren. Jeder Muskelstrang war angespannt und das, obwohl er merkte, dass es ihn zu viel Energie kostete. Schon bald waren die letzten Reserven aufgebraucht und Bryce glitt in eine schwarze, geräuschlose Tiefe.


Stromschläge jagten durch seinen Körper, was jeden Muskel dazu veranlasste, ihre Arbeit wieder aufzunehmen, doch vor allem der des Herzens schien Alarm zu schlagen. Bryce runzelte die Stirn. Es war so hauchzart und doch wieder intensiv, dass er es nicht zuordnen konnte.

Langsam regte sich sein Gehirn und nahm die Arbeit wieder auf, konnte den Beginn der Stromübertragung lokalisieren. Es war sein Bauch, über den irgendetwas streichelte und schwache Impulse sendete, die ihm durch Mark und Bein fuhren.

Immer wieder zog etwas Kreise über seinem T-Shirt. Bryce genoss dieses Gefühl, auch wenn er durchaus davon ausgehen konnte, dass es sich nur um einen Traum handelte. Dass er sich täuschte, bemerkte er als er eine Berührung an seiner Schulter wahrnahm. Kurz danach legte sich etwas darauf nieder und warmer Atem traf die Haut seines Halses.

Eindeutig kein Traum, denn Bryce war hellwach, auch wenn er die Augen geschlossen hielt. Der Eigengeruch von Silas trat in seine Nase, welchen er tief in sich einsog.


„Unangenehm ist es dir nicht, oder?“ Silas‘ Stimme war nur ein Flüstern.

„Nein.“
„Gut!“

Immer ausschweifender malte Silas auf Bryce’ Bauch, schob dabei sogar das T-Shirt etwas nach oben. Ob aus Versehen oder mit Absicht konnte Bryce nicht sagen, doch er wollte es genießen, solange es anhielt.


Die Energiereserven waren schon lange gefüllt, trotzdem lagen sie noch immer im Bett. Mittlerweile hatte es auch Bryce gewagt, seinen Finger ebenso auf die Haut seines Partners zu legen. In der Handfläche der ruhenden Hand streichelte er von einem Finger zum anderen, ohne den Kontakt zu unterbrechen. So zart und hauchfein diese Berührungen auch waren, überfluteten diese ihre Körper geradezu mit Energie und einem wohligen Gefühl.

Der Wecker ließ beide aufschrecken, als hätte man sie bei etwas Unerlaubtem erwischt. Die gerade noch herrschende Vertrautheit zwischen beiden war vorbei, das erkannte Bryce mit einem Blick in Silas‘ Augen. Ebenso sah er den Kampf, den sein Partner mit sich ausmachte und schlussendlich wohl verlor, denn dieser stürmte aus dem Zimmer, als sei der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her.

Seufzend nahm sich Bryce frische Klamotten und begab sich ins Bad, welches zum Glück frei war. Eine Dusche würde ihm sicher helfen, mit der Enttäuschung fertig zu werden, zumindest hoffte er es.

Doch erst einmal wollte er sich dem hingeben, was ihre gemeinsame Zeit verursacht hatte. Bryce schüttelte ungläubig über sich selbst den Kopf, er war kein Teenager mehr und doch kam er sich gerade wie einer vor. Denn selbst eine ausgiebige Beschäftigung mit seiner Männlichkeit brachte nur einen kurzweiligen Erfolg.

Potent zu sein war sicher nicht schlecht, aber diese Standhaftigkeit kannte er nicht. Ob das nun gut oder gar schlecht war, konnte Bryce so nicht beurteilen, doch hoffte er inständig, dass sein Freund unterhalb der Gürtellinie bald genug davon hatte, ihn zu quälen.

Mit Mühe schloss er die Lederhose, griff seinen Helm und ging die Treppen hinab, wo Philip bereits wartete, mit dem er heute Außendienst hatte.

Sie meldeten sich ab und gingen zur Garage, in der Bryce direkt auf seine Maschine zusteuerte. „Sag mal, tut das nicht weh?“, ertönte Philips Stimme, bevor er lachte.

„Halt den Mund, wenn du weißt, was gut für dich ist.“ Bryce grollte, das war nicht witzig, die Enge in seiner Hose wurde einfach nicht weniger.

„Schon hart in einer Partnerschaft, nicht wahr? Dauergeil durch die Gegend laufen ist nicht gerade angenehm. Nun schau nicht so, haben wir alle schon hinter uns, beziehungsweise machen es noch mit.“

„Immer noch?“

„Ja, zwar nicht mehr durchgehend, aber zwischendurch ist es kaum auszuhalten.“

Bryce verzog gequält sein Gesicht, setzte sich seinen Helm auf und stieg auf sein Motorrad. „Treffen wir uns im Park?“

Philip nickte und öffnete den Geländewagen, um einzusteigen.


Die Freiheit der Fahrt ließ für eine kurze Zeit seine Gedanken ruhen. Er genoss die Geschwindigkeit, den kleinen Rausch, der vom Adrenalin in seinem Körper verursacht wurde. Am liebsten wäre er noch Stunden im Schutze der Dunkelheit gefahren, jedoch war er sich seiner Verpflichtung durchaus bewusst und trat seine Streife mit Philip für die nächsten drei Stunden an.

Er musste zugeben, dass etwas Zeit mit dem ältesten Krieger im Haus auch Vorteile hatte. Denn Philip war ein guter Gesprächspartner, der mit so mancher Lebenserfahrung punkten konnte.

„Alles in Ordnung, Bryce?“ Philip leuchtete bei seiner Frage zwischen einigen Büschen hindurch.

„Es war so angenehm, bis wir uns in die Augen gesehen haben. Hast du davon schon mal gehört? Dass man aggressiv auf seinen Partner reagiert, sobald man ihm in die Augen sieht?“

Überrascht sah der Angesprochene zu ihm. „Nein, aber was du da schilderst, hört sich für mich eher nach einem Trauma an. Als würden deine Augen ihn an jemanden erinnern. Denn wenn er sonst deine Nähe ertragen kann und Bennets Andeutungen korrekt waren ... scheint es nicht wirklich an dir zu liegen.“

Bryce atmete tief durch, Ben war wirklich ein Tratschweib. „Er kann seinen Mund nicht halten, schlimm. Aber du hast recht, doch was soll das für ein Trauma sein? Von der Ermordung seiner Familie?“

„Durchaus möglich, vielleicht aber auch was anderes, ich würde ihn an deiner Stelle fragen. Ganz offen und ohne Vorwürfe.“


Das war eindeutig ein Plan und sicherlich besser, als sich weiter den Kopf zu zerbrechen. Obwohl es heute so ruhig im Park war, dass er alle Zeit der Welt dazu gehabt hätte. Auch im Club bei Dante war es ruhig, wo sich Philip und Bryce einen Drink genehmigten.

Es blieb nicht bei dem einen und das machte Bryce nichts aus, denn er nahm sich die Zeit, das neuste Paar des Hauses zu beobachten.

Fasziniert sah er die intensiven Blicke und hauchzarten Berührungen, die ihm wohl nicht aufgefallen wären, wenn er nicht über ihre Partnerschaft Bescheid wüsste. Es war schon beeindruckend, wie man derart verliebt sein konnte, ohne die ganze Welt daran teilhaben lassen zu müssen.

Kurz schweiften seine Gedanken in die Zukunft, doch dann mahnte er sich selbst zur Beherrschung, denn ob er dieses Glück je mit Silas genießen konnte, stand nun wirklich in den Sternen. Je nachdem welches Trauma sein Partner mit Bryce’ Augen in Verbindung brachte, gab es vielleicht nie ein normales gemeinsames Leben.


***


Das erste Mal flüchtete Silas vor seinem Partner, verbarrikadierte sich in seiner Zelle, sodass keiner mehr hineinkam. Er konnte nicht mal benennen, was mit ihm los war, doch fühlte es sich grausam an. Das Verlangen, Bryce an die Kehle zu springen, war übermächtig geworden, dazu hatte ein einziger Blick gereicht. Sobald er in die hellblauen Augen sah, grollte sein Innerstes und stellte sein Denken ein, sodass er nur noch handelte.

Silas verstand es einfach nicht, denn die Erinnerung an diese Augen hatte nicht den gleichen Effekt. Was war nur mit ihm los? Dabei hatte es sich noch nie besser angefühlt, sich an jemanden anzulehnen und dessen Haut zu spüren. Die Sehnsucht in seinem Inneren schien ihn umbringen zu wollen. Aber er konnte sich nicht darauf einlassen, es war zu gefährlich. Irgendwann würde Bryce entweder die Nerven verlieren und ihn umbringen, oder Silas würde es schaffen, seinem Partner das Leben auszuhauchen. Das einzig Positive daran wäre wohl, dass sie im Tode vereint sein würden.

Doch das war eindeutig nicht das, was er wollte. Irgendwas in seinem Kopf lief nicht richtig und Silas wollte wissen, was das war.


Silas wachte aus dem Tiefschlaf auf, als er aus dem Bett gerissen und mit Handschellen an die Wand gestellt wurde. Irritiert blinzelte er gegen das Licht an, welches ihn blendete. Seine Beine gaben nach und er rutschte an dem Gemäuer hinab. Dann wurden die Handschellen an einem Haken befestigt, sodass Silas diese nicht mehr aktiv benutzen konnte.

Endlich sah er etwas und was sein Blut in Wallungen brachte. Denn sein Blick endete in Bryce’ hellblauen Augen. Sein Partner saß ihm gegenüber auf dem Boden.

„Es tut mir leid, dass ich dich fesseln muss, aber wir beide wissen, was du sonst tun würdest.“

Silas schloss die Augen und atmete tief durch. „Ich weiß nicht wieso und glaub mir bitte, es tut mir leid, aber ich kann es nicht verhindern.“

„Das ist mir durchaus bewusst und ich würde gerne wissen, woran es liegt.“

„Keine Ahnung, ehrlich!“

„Aber nicht an mir? Bist du dir sicher?“ Bryce klang so verletzt, dass Silas die Augen aufriss.

„Nicht an dir! Ich bin mir da sehr sicher. Es sind lediglich deine Augen, aber ich kann dir nicht sagen wieso. Denn ich reagiere auch nur auf sie so, wenn du vor mir stehst, in meiner Erinnerung kann ich dich sehr gut anschauen.“

Bryce’ leises Lachen drang an sein Ohr und entlockte auch ihm eines. Irgendwie war es auch lächerlich und doch konnte er nichts dagegen tun.

„Du weißt es also wirklich nicht! Hm ... wie wäre es, wenn ich Frederik frage, ob er einen Rat hat. Denn es würde uns weiterhelfen, einen Lösungsweg zu finden.“

Silas nickte eifrig, ihm war es egal, wie man ihm half, Hauptsache man tat es. „Gut, ich werde ihn gegen Morgen informieren. Willst du hier unten bleiben?“

„Es wird das Beste sein.“

„Wir haben oben noch Gästezimmer, überleg es dir. Die Tür hier wird nicht mehr abgeschlossen, du kannst dich also frei bewegen und solltest du etwas brauchen, Ken hat Dienst in der Zentrale.“

Überrascht blickte Silas Bryce an, der sofort seinen Blick senkte, damit sie einander nicht in die Augen sahen, und ihm die Handschellen löste. „Hast du keine Bedenken, dass ich dir was tue?“

„Nicht wirklich und wenn doch, weiß ich mich zu wehren.“ Ein Schmunzeln war eindeutig zu hören und wieder steckte es Silas an. Es war nicht das erste Mal, dass er seinen Partner betrachtete, doch so unverhohlen hatte er es noch nicht gewagt. Unter der Musterung nahmen Bryce’ Wangen einen schönen Rotton an und er biss sich auf die Unterlippe.

Der Drang war zu groß, sodass Silas gar nicht erst versuchte, dagegen anzukämpfen. Stattdessen streckte er seine Hand aus und fuhr mit dem Daumen über die malträtierte Stelle an Bryce’ Unterlippe. Dass dieser sofort die Luft anhielt, blieb ihm nicht verborgen. Es faszinierte ihn zu sehen, welche Reaktion seine Berührungen auf seinen Partner hatte. Wie sich dessen Lippen auf seinen anfühlten, wusste er noch zu genau, auch wenn er sie lediglich Sekunden berührt hatte. Konnte man das als ersten Kuss bezeichnen, oder lediglich eine flüchtige Berührung zweier Hautpartien? Er hoffte nicht, denn ihren ersten Kuss wollte er anders erleben, nicht mit dem faden Beigeschmack, dass er ihn danach umzubringen versuchte.

Seine Finger berührten die Wange, die vom Bartschatten leicht rau sich ihm entgegen streckte. Bryce nicht in die Augen zu sehen war schwer und doch, er wollte den Moment nicht zerstören. Dass sich sein Gegenüber zu ihm beugte, entging Silas jedoch nicht. Nervös wartete er ab, was passieren sollte, sein Herz schien seine Rippen zu zerschmettern.


Hauchzart, fast unwirklich streiften ihn die Lippen von Bryce, was die Sehnsucht entfachte, die in ihm weilte. So war es auch Silas, der mehr forderte, indem er seinen Partner am Nacken packte und näher zog. Heiße Lava überflutete ihre Körper, als sie sich dem Kuss hingaben, der viel mehr war als eine Berührung zweier Hautpartien. Silas wollte den Moment nicht enden lassen, nicht einmal, als ihm die Luft ausging. Zu gut fühlte es sich an, die Lippen von Bryce auf seinen zu spüren, dessen Zunge, die sich in seinen Mund schob und dort mit seiner einen Kampf ausfocht, wo es keinen Sieger geben würde. Bryce’ Finger auf seiner Wange ließen bald das Fass der Emotion überlaufen, Silas‘ Körper erschauderte unter der Berührung und er schnappte hektisch nach Luft.

Wie oft er schon jemanden in den letzten hundert Jahren geküsst hatte, konnte Silas nicht mehr zählen, aber eins wusste er mit Sicherheit, solche Gefühle erfüllten ihn zum ersten Mal.

„Danke!“ Das Wort war von Bryce lediglich gehaucht und traf direkt auf Silas Lippen, bevor er vernahm, wie sein Partner aufstand und ging.


Es war besser, das stand außer Frage und doch sehnte er sich nach so viel mehr. Silas lehnte den Kopf ans kühle Gemäuer und öffnete die Augen. Bryce’ Bartstoppeln hatten eindeutig Spuren hinterlassen, die Silas jedoch nicht missen wollte.

Langsam stellte er sich auf seine wackeligen Beine und atmete tief durch. So fühlte es sich also an zu lieben, denn nichts anderes konnte es sein, was sein Herz derart aus dem Takt brachte.

Grinsend ging er aus dem Keller und betrat schon bald die Küche, sein Magen rumorte und seit Wochen hatte Silas das erste Mal wieder richtig Lust auf etwas Süßes.

Ungeniert sah er in den Kühlschrank, wo ihn eine Tafel Schokolade anlachte. Zusammen mit dieser setzte er sich nach draußen und genoss seit Monaten das erste Mal frische Luft und den Sternenhimmel. Während das erste Stück seinen Mund erreichte und auf seiner Zunge zu schmelzen begann, dachte Silas an seine Familie.

Wie gern hätte er nun beim Holzhacken mit seinem Vater über die Beziehung zu Bryce geredet und diese verzwickte Lage. Sicherlich hätte dieser einen Rat gewusst und ihm geholfen, so wie er es immer getan hatte.

Seufzend steckte er sich gleich zwei Stücke in den Mund und betrachtete eine Katze, die sich durch die Sträucher schlich. Ihr schwarzes Fell schimmerte sanft im Mondlicht, lediglich die Augen verrieten Silas, um was für ein Tier es sich handelte. Langsam stand er auf und holte etwas Wurst aus dem Kühlschrank, um sich dann wieder rauszusetzen und kleine Happen auf die Wiese zu werfen.

Silas brauchte Geduld, bis er das Kätzchen so weit angelockt hatte und es in den Lichtschein trat, welcher von der Küche aus nach draußen drang. Es war abgemagert, zitterte und stand nur schwach auf seinen Pfoten, dass es Silas weh tat, es so zu sehen. Langsam schlich er sich an das kleine Geschöpf heran, köderte es mit der Wurst, bis er neben ihm auf der Wiese saß. „Hallo“, begrüßte Silas das Kätzchen und streckte ihm seine Hand hin, damit es selbst entscheiden konnte, ob es eine Berührung zulassen wollte oder nicht.

Es dauerte abermals eine halbe Ewigkeit, bis es seine Finger beschnupperte und sich dann an ihn schmiegte.

Silas‘ Blick fiel auf das Tattoo, welches seit ein paar Monaten sein Handgelenk zierte. Ein Panther, schwarz und galant schien er auf der Jagd zu sein. Es war eine Katze im übertragenen Sinn und das brachte ihn zum Grinsen.

Mittlerweile hatte sich das Kätzchen dazu durchgerungen, auf seinem Schoß Platz zu nehmen und fischte mit der Pfote nach dem letzten Stückchen Wurst in Silas‘ Hand.

„Du kannst es wirklich gebrauchen. Ich glaube, ich hol dir gleich noch etwas Milch, was hältst du davon?“ Sanft streichelte er das samtige Fell und nahm das Schnurren als ein Ja.

Doch ehe er sich aufrichten konnte, stellte jemand ein Schälchen vor sie beide ab. Sein Blick nach oben zeigte ihm Bryce, der mit Sonnenbrille und einem Lächeln auf sie beide hinab sah. „Du hast Besuch?“

„Ein Findelkätzchen, würde ich sagen. Es schlich hier rum und ... es ist so mager, ich dachte ... ich hol es nicht mit rein, aber möchte es auch nicht fortjagen.“ Nervös biss sich Silas auf die Lippe und sah in seinen Schoß.

„Wegen mir darfst du es gerne mit reinbringen, wir sollten nur die anderen fragen, ob es für sie in Ordnung wäre.“ Bryce hörte sich entspannt an, setzte sich zu ihnen auf die Wiese und hielt der Katze das Schälchen vor die Nase. Diese schien nur darauf gewartet zu haben und tauchte die Zunge in die Milch.

„Danke. Die Brille ist eine gute Idee!“ Silas sah Bryce stirnrunzelnd, aber auch lächelnd an.

„Ist zwar etwas dunkel, aber in Ordnung. Ich denke, momentan ist es die einfachste Möglichkeit, damit du nicht auf mich losgehst, ohne es zu wollen. So ersparen wir uns beide einiges.“

Wärme überflutete Silas‘ Brust, Bryce’ Worte waren wie Balsam. Der Anführer der Krieger hatte Verständnis für ihn und nahm ihn vor allem ernst. Er wünschte sich nichts mehr, als sich in dessen Arme legen zu dürfen und einfach zu genießen, dass sie einander nah sein konnten. Jedoch wollte Silas das Kätzchen nicht einfach von seinem Schoß werfen. Während er noch darüber nachdachte, schien Bryce seine Gedanken gelesen zu haben, denn plötzlich saß dieser hinter ihm und zog ihn an sich.

Überrascht sah Silas über seine Schulter, spürte die Röte in seine Wangen steigen, doch auch das Glücksgefühl, welches sich in ihm ausbreitete. So saßen sie da und lehnten aneinander, während er den kleinen Fellknäuel kraulte.


Wie lange sie wirklich draußen gesessen hatten, konnte Silas nicht sagen, doch irgendwann zeigte sich die Sonne am Horizont. Bryce murmelte einen Fluch, entfernte sich von ihm und stand mit einem Stöhnen auf. Ihre Glieder waren steif geworden.

„Ich hab gleich Dienst, entschuldige!“ Silas grinste, als er über seine Schulter in das zerknautschte Gesicht seines Partners sah. „Nicht zu mitfühlend.“ Die Augenbrauen von Bryce erschienen über dem Brillenrand.

„Entschuldige, meinst du, ich kann die anderen gleich fragen, ob es ihnen recht ist, oder sollte ich warten, bis sie gegessen haben?“

„Hier im Haus entscheidet alles der Magen. Ein gutes Frühstück könnte alle gnädig stimmen.“

Den Wink mit dem Zaunpfahl verstand Silas. Nickend stand er mit der Katze auf dem Arm auf, streckte seine Glieder und folgte Bryce in die Küche.


Ihr kleiner Gast saß zu Silas‘ Füßen, während er Pfannkuchen und Rührei zubereitete. Extra knuspriger Speck sollte sein Trumpf werden, doch schon bald stellte sich heraus, dass es komplett unnötig gewesen wäre.
Denn ausgerechnet Acey, der als Erster in die Küche trat, sah das Kätzchen und bekam strahlende Augen. „Hey, wer ist denn unser neuer Mitbewohner?“

Im ersten Augenblick hatte sich Silas noch angesprochen gefühlt, bis er sah, dass sich Acey niedergekniet hatte und seine Hand ausstreckte.

„Er hat noch keinen Namen, aber schön, dass du schon mal nichts dagegen hättest, wenn er hier einzieht“, zog Silas die Aufmerksamkeit auf sich. Acey stand auf und ging auf ihn zu, griff sich einen Eierpfannkuchen, rollte eine Scheibe Speck hinein und biss ab.

„Wieso? Ich mag Tiere und so ein Fellknäuel ist was Schönes. Also wenn es nach mir geht, spricht nichts dagegen. Und was ist mit dir, hat dich Bryce endlich rausgelassen?“

„Endlich?“

„Ach komm. Klar, unser Start war nicht gerade perfekt, aber du scheinst mir nicht verkehrt, noch dazu hat dich das Schicksal dem Anführer an die Seite gestellt, somit musst du in Ordnung sein.“

Welche Überzeugung aus dem sonst so arrogant und kalt wirkenden Krieger sprach, war überraschend für Silas, doch auch erfreulich. „Danke für das Kompliment, hilfst du mir eventuell, die anderen auch davon zu überzeugen, dass das Kätzchen hier bleiben darf?“

Acey nickte, da sein Mund mit dem Pfannkuchen gefüllt war, und griff sich den zweiten.

Dass es jedoch auch bei den restlichen Bewohnern keine Überredungskunst brauchte, beruhigte Silas. Alle schlossen ihren neuen Mitbewohner fast sofort in ihr Herz und dieser hatte auch schnell den Dreh raus, wie er an eine Extraportion Wurst kam.

Amüsiert lehnte Silas gegen die Arbeitsplatte und sah zu, wie der kleine Kater von Bein zu Bein ging und sich schnurrend darum wickelte, bis man ihm etwas unter den Tisch warf. Schlaues Tier, schoss es ihm durch den Kopf und er begab sich an den Abwasch.


Als Frederik gegen Mittag ins Haus kam, saß Silas gerade am Esstisch und gönnte sich eine Tasse Kaffee, damit ihn die Müdigkeit nicht übermannte.

Der Arzt nahm sich ebenfalls eine und setzte sich direkt gegenüber auf einen Stuhl. „Ihr habt mich gerufen, wie kann ich helfen?“

„Ich glaube, das wollte Bryce erläutern.“

„Nun, ich sitze aber jetzt dir gegenüber und würde gerne von dir hören, was los ist.“

Es kostete Silas einige Mühe, das Problem in Worte zu fassen. Daraufhin sah Frederik ihn stirnrunzelnd an und überlegte sichtlich. „Und du weißt nicht, was diese Aggression in dir auslöst?“

„Nein, wirklich nicht. Ich sehe Bryce’ hellblaue Augen und in mir scheint ein Hebel umzuschalten. Er ist wie ein rotes Tuch, ich kann nicht anders, als auf ihn loszugehen.“ Es deprimierte ihn, sein ganzer Körper sackte in sich zusammen.

„In Ordnung, hast du schon mal über Hypnose nachgedacht? Das wäre das Erste, was mir jetzt einfällt, so könnten wir das Unterbewusstsein erreichen und eventuell herausbekommen, woran es liegt.“

„Gerne, probieren wir es. Mir ist egal wie, Hauptsache es hört auf.“

Der Arzt nickte verstehend und griff zu seinem Handy. „Ich kann es nicht selbst tun, aber Amanda, die Hexe kann es. Ist dir auch das recht?“

„Wenn du ihr vertraust, dann ja.“


***


Bryce empfand es als leichtfertig und da halfen ihm auch Dante und Philip nicht, die Amanda als recht sympathisch und nett betitelten. Die Frau war ihm selbst nicht geheuer und erst recht nicht, als sie sich vor Silas setzte und ihm tief in die Augen blickte. Unverständliche Worte murmelte Amanda, eventuell kam es Bryce auch nur so vor, da er sein Blut in den Ohren rauschen hörte.

Sein Partner ließ den Kopf hängen und die Hexe flüsterte ihm etwas dicht am Ohr zu. Dann setzte sie sich zurück.

„Vergiss nie, du bist in Sicherheit, dir kann nichts passieren!“ Amandas Stimme war sanft und einfühlsam, entlockte Silas ein entspanntes Nicken. „Erinnere dich an hellblaue Augen, die dich intensiv ansehen.“ Diese Forderung hatte lediglich ein Lächeln zur Folge. Sie seufzte und runzelte die Stirn. Ihr Blick wanderte zu Bryce, der sie kritisch betrachtete. „Komm her und setz dich hier hin.“ Es war ein Befehlston, dem er erst widersprechen wollte, doch durch Bennet nachgab, der ihn zum Stuhl schob.

„Mach deine Augen auf und sieh in diese Augen. Aber vergiss nicht, es kann dir nichts passieren, du bist nicht in Gefahr.“ Er tat, wie ihm befohlen wurde. Sofort verdunkelten sich die Augen, seine Mimik versteinerte und Bryce wusste, was normal folgen würde, doch es passierte nichts. Zwar war der Kiefer extrem angespannt, aber Silas blieb sitzen. „Wo bist du, Silas?“

„Im Schlafzimmer meiner Eltern.“

„Was siehst du?“

„Wie er sich über meinen Vater beugt, ihm das Genick bricht!“

Bryce schluckte, jemand mit seinen Augen hatte Silas‘ Vater auf dem Gewissen? Aber wie konnte das sein? Gerade an den Augen unterschieden sich die Wesen ... Er riss die Augen auf und schnappte nach Luft, das durfte nicht wahr sein.

„Wer war er?“

„Chris, die rechte Hand von George.“

Bennet flüsterte Amanda etwas ins Ohr, diese nickte und sprach dann zu Silas. „Wieso hast du dich George dann angeschlossen?“

„Eine Fee streute etwas über mich, alles war so verschwommen, ich dachte, ich hätte mich getäuscht.“

„Was ist mit Chris passiert? Lebt er noch?“

„Ja, er war nicht hier. Er ist in der Ruine, Georges Versteck und unterrichtet neue Verbündete.“

Diese Information schlug ein wie eine Bombe. Bryce schluckte hart und wollte schon aufstehen, als er Amandas Hand auf seiner spürte, die ihn mit einem Blick zum Warten aufforderte.

„Silas, möchtest du das Wissen behalten?“

„Ich weiß es wieder und werde es nicht vergessen!“ Die Aussage kam so unterkühlt, dass es Bryce fröstelte.


Zwanzig Minuten später war Silas aus der Trance erwacht und Amanda wurde von Frederik heimgefahren. Die Wahrheit hatte in Bryce’ Partner etwas bewegt, ob das so gut war, wusste keiner. Denn Silas schwieg mit versteinerter Miene und schien in Erinnerungen festzustecken.

Währenddessen hatte Bryce selbst William informiert. Der versprach, mit Sean in der nächsten Stunde aufzutauchen, diese Informationen mussten ausgewertet werden.

Doch erst einmal wollte Bryce wissen, ob Silas überhaupt in der Lage war, sie dorthin zu führen. Er kniete sich vor seinen Partner und streichelte die Katze, die auf dessen Schoß lag. „Weißt du, wo die Ruine ist?“

Silas sah auf, blickte ihm in die Augen und zum ersten Mal sah Bryce keinen Hass in ihnen, stattdessen Schmerz und Tränen. „Ja, ich werde sie euch zeigen, wenn ich dafür Chris bekomme!“

„Das willst du nicht wirklich, du bist kein Mörder.“

„Das denkst du. Bryce, du weißt nicht alles über mich, und wenn ich ehrlich bin, möchte ich es dir auch nicht erzählen, denn dann müsstest du mich auf ewig in den Keller sperren.“

„Sie haben dich manipuliert!“

„Das ist ein Grund, aber keine Entschuldigung.“ Silas schluckte. „Ich werde mich dem König stellen, doch erst will ich Chris, es steht mir zu. Ich trage dein Tattoo, und wenn ich dem Gehörten glauben darf, habe ich dieselben Rechte wie du.“

Bryce schloss die Augen und schluckte hart. Doch entsprach es der Wahrheit, würde nicht mal er mehr eingreifen können, die Strafen für Vergehen an der eigenen Rasse standen schwarz auf weiß geschrieben und auch der Partner eines Anführers würde sich dem nicht entziehen können. Im besten Falle müsste Silas nur den Rest ihres Lebens in der Zelle verbringen.

Der Gedanke schmerzte, das durfte alles nicht wahr sein, gerade wo sie eine Chance bekamen, zueinander zu finden.

Wut wallte in Bryce auf, unsinnige, jedoch wie kontrollierte man seine Gefühle, wenn man wusste, dass sein eigener Partner niemals bei ihm sein durfte?


Gute vierzig Minuten später tauchten Sam, Sean und William auf und informierten sich über den neuesten Stand.

Als Silas dazukam, betete Bryce, dass sein Partner still blieb, doch der spielte mit offenen Karten.

„Herr, ich bin ein Mörder und weiß, dass ich dementsprechend bestraft gehöre, doch ich bitte Euch, einem Tausch einzuwilligen. Ich zeige Euch das Versteck und Ihr gewährt mir, Christoph Herold dem Tode zuzuführen.“

William riss die Augen auf und sah fragend zu Bryce, der jedoch den Kopf senkte und sich wünschte, das alles nicht gehört zu haben. Natürlich war ihm klar, dass William nun alles wusste und das verschonte ihn vor Fragen.

Dass allerdings Sam das Wort ergriff, schien nicht nur den König zu irritieren. „Welche Wesen und wie viele?“, wollte dieser von Silas wissen.

„Ein Vitae essentia, zwei Werwölfe und einen Vampir, Feen kann ich nicht zählen.“

„In welcher Situation?“ William kam nicht mehr zu Wort und sah seinen Partner überrascht an, während der mit ernster Miene zu Silas sah.

„Einen Vampir, als er meine Schwester umbrachte, die Werwölfe jeweils bei einem Überfall auf ein Dorf, als sie sich an Kindern zu schaffen machten und den Vitae essentia ... er hatte eine große Wunde am Bauch, es gab keine Heilungschance.“ Dass er sich schämte, konnte jeder sehen.

Sam atmete tief durch und verschränkte die Arme. „Mein Deal an dich wäre, du zeigst uns wo die Ruine ist, wirst Christoph nicht töten und wir erlassen dir dafür eine lebenslange Gefängnisstrafe.“


Bryce verkniff sich einen Laut, denn das Angebot von Sam war unverschämt. Wenn die Sachlage wirklich so war, wie Silas sie geschildert hatte, drohte ihm keine Strafe.

„Und wenn ich den Deal nicht eingehe?“ Die Stimme seines Partners schnitt ihm geradezu ins Fleisch.

„Dann wirst du dich deiner Strafe stellen müssen“, ertönte nun Williams Stimme, dessen Mimik undurchdringlich schien.


Nach der Einsatzbesprechung machten sie sich auf den Weg. Selbst William und Sam begleiteten sie, was Bryce nervös machte. Besonders, da sich der König sogar mit Waffen eingedeckt hatte. Das fehlte ihm heute wirklich noch. Innerlich seufzend stieg er in den Wagen ein, der von Bennet gelenkt wurde.

Diesem war ebenso anzusehen, wie unwohl ihm die Situation war. „Ich passe auf die Zwei auf und du auf Silas, in Ordnung?“

Bryce nickte erleichtert, er war nicht allein mit seinen Gedanken und das beruhigte ihn doch.

Drei Stunden dauerte die Fahrt, bis sie einen Kilometer vor einem zerstörten Dorf ihre Fahrzeuge in einem Wald abstellten. Silas wartete, bis alle bei ihm waren, und sah dann zu Bryce. „Ich werde vorgehen, sie werden denken, dass ich doch entkommen bin.“ Mit seinen Worten zerzauste er sich die Haare, schmierte sich Dreck ins Gesicht und trat in einen Dornenbusch, der seine Kleidung einriss.

„Das kannst du nicht tun, wenn sie dir doch auf die Schliche kommen ...“ Bryce wurde von seinem Partner mit einem Finger unterbrochen, welcher er ihm auf die Lippen legte.

„Dann tut es mir leid für dich, das sollst du wissen. Doch für mich ist die Option, in der Zelle zu leben, auch nicht prickelnd, verzeih mir also.“ Mit diesen Worten sprintete Silas los und verschwand schon bald hinter den ersten Mauern der Ruine.


William seufzte, zog so die Aufmerksamkeit auf sich, doch seine lag auf Sam. „Du hättest ihn nicht in dem Glauben lassen sollen, dass er für seine Morde bestraft wird. Keiner dieser Morde ist zu bestrafen und das weißt du genau.“

„Selbst den an diesem Chris nicht, wenn du ehrlich bist, und doch soll er mit diesem Gedanken ins Gefecht gehen, er soll sich entscheiden. Entweder seine Rache oder sein Leben! Rache kann nicht alles sein“, antwortete Sam.

„Denkst du auch an ihn?“ William wies auf Bryce, der jedoch sofort die Hände abwehrend hochhielt.

„Nicht Sam soll an mich denken, mir reicht durchaus Silas. Nun lasst uns vorrücken und das Schlimmste verhindern.“ Mit diesen Worten schlich er sich an das erste Gemäuer.


***


Er mochte Chris von Beginn an nicht, aber wieso hatte er nie gewusst. Nun sah Silas es klar vor sich, wie dieser vor hundert Jahren seinem Vater das Genick brach. Er würde ihn dafür leiden lassen, jeden Finger einzeln brechen, dass Chris sich selbst das Leben nehmen würde. Mit gestrafften Schultern trat Silas aus dem Schatten hervor und somit in die Versammlungsstätte Georges ehemaliger Kämpfer.

Ein Raunen ging durch die Reihen, als man ihn erkannte und wie erwartet, trat Chris sofort vor und sah sich um. „Du bist hier? Die Nachricht von einer erfolgreichen Mission ist mir allerdings nicht zu Ohren gekommen.“

„Weil die Mission gescheitert ist. George ist tot, genau wie zwei der Mitstreiter, die anderen sitzen im Gefängnis des Königs“

„Und du konntest dich befreien?“ Argwohn klang in der Frage mit, ebenso wenig wie Silas viel von ihm hielt, schien auch Chris nicht sonderlich angetan von dessen Auftauchen.

„Nein, mich haben die Krieger hierher begleitet und geben mir nun die Chance, den Mörder meines Vaters umzubringen.“

Überrascht blicke sich Christoph um, doch konnte erwartungsgemäß niemanden sehen. „Guter Witz, auch wenn ich es dir zugetraut hätte. Den Mörder deines Vaters und wer soll das sein?“

„Du! Überrascht, dass ich mich erinnere?“

Abermals raunten die Kämpfer, die um sie herum standen oder saßen.

„Dir hat man eine Gehirnwäsche verpasst, was behauptest du als Nächstes, dass wir für die Angriffe auf unsere Dörfer verantwortlich sind?“

„Nicht WIR, du und George. Er hat alles zugegeben, ich habe es gesehen, gehört, sein Einbruch, seine Selbstaufgabe. Echt jämmerlich, wenn du mich fragst, dafür dass er hier immer den großen Kämpfer gemimt hat. Er habe sein Tattoo aufgegeben! Er kämpfe für eine bessere Welt! Aber soll ich euch was sagen?“ Silas sah zu seinen ehemaligen Kameraden, doch auch zu Männern, die ihm noch unbekannt waren. „George hatte sein Tattoo noch. Er wollte immer Anführer sein und seine Mission war lediglich eine Rache am Schicksal, weil er nicht dafür gedacht war. George war ein niederer Krieger und damit kam er nicht klar. Dafür sind unsere Familien gestorben, damit er uns weismachen konnte, dass die Krieger uns im Stich gelassen haben.“

„Du bist doch verrückt geworden, hast du Beweise für deine Behauptungen? Oder willst du nur Unruhe hier reinbringen, weil du versagt hast und nun Ausreden suchst, um dich zu rechtfertigen? George hat sich in dir getäuscht, du bist ein miserabler Kämpfer.“

„Nein, oder doch. Denn das sind wir alle. Nicht ein Krieger wurde getötet. Ihre Ausbildung ist um Klassen besser als unsere und sie geben alles für das Leben ihres neuen Königs. Ihr neuer Anführer ist der Mann, den George als unterbemittelten Vertreter abgetan hat.“

Sprachlosigkeit, absolute Stille herrschte in der Ruine, selbst die Tiere schwiegen.

Silas hatte sein Gegenüber genau im Blick, bemerkte wie sich dieser näherte und die Hand vorschnellte. Das Blitzen der Klinge und das Gefühl des kalten Metalls an seinem Hals, ließ ihn dennoch nur abfällig grinsen.


Silas dachte an die Situation mit Jannis, an das, was der ihm gesagt hatte und tat es ihm gleich. Sein Hals drückte sich gegen das Messer und er zitierte den jüngsten Krieger im Haus. „Es gibt keine Schmerzen, wenn du deinen Gegner besiegen willst. Vergiss dich selbst, du bist lediglich ein Diener, dein Leben ist nichts wert! Überwältige deinen Gegner, danach darfst du sterben!“ Mit diesen Worten trat er Chris die Beine weg, entwendete ihm das Messer und stach es minimal zwischen die Rippen, wo das Herz verborgen war. „Das sind die Worte des Wolfskriegers und genau so kämpft er auch! Jeder Einzelne von ihnen kämpft so, dagegen sind wir Grünschnäbel am Anfang der Ausbildung!“ Chris‘ Augen waren aufgerissen und er schluckte hart. Doch Silas war noch nicht fertig mit ihm. „Sie geben alles für ihre Rasse und ihr habt ihrem Ruf geschadet. Habt den Männern hier erzählt, sie seien verantwortlich für die Toten, die ihr durch eure Intrigen zu verantworten habt. Vampire, Werwölfe und Feen haben sich mit den Kriegern an einen Tisch gesetzt und du weißt, was euch nun blüht!“

Kreideweiß hielt Chris die Luft an und wollte seinen Oberkörper aufbäumen, doch da zog Silas das Messer weg. „So schnell entkommst du dem nicht, nicht durch meine Hand!“ Mit diesen Worten stand er auf, sah abermals in die Runde der ehemaligen Mitstreiter. „Ich lasse euch allen fünf Minuten, um eure Sachen zu packen und zu verschwinden, bevor ich die Krieger rufe. Fangt ein neues Leben an, vergesst die Jahre hier, werdet glücklich. Denn keine Rache bringt euch eure Liebsten zurück.“ Silas hatte es selbst eingesehen, schmerzhaft gespürt, dass es ihm nichts brachte, seinen Rachegelüsten freien Lauf zu lassen.

„Wer sagt uns, dass du die Wahrheit sprichst?“, trat ein Mann vor, den Silas als Gabrielle kannte. Er war kurz nach ihm dazu gekommen.


Plötzlich echote Georges Stimme durch die Ruine, doch eindeutig nur eine Aufnahme. Es war Quinn, der zu ihm trat und eine Projektion an eine der noch stehenden Wände warf, die zeigte, wie George alles zugab. Danach ging alles relativ schnell, die Männer griffen sich das, was sie fanden und verschwanden in die entgegengesetzte Richtung, aus der Quinn und Silas gekommen waren. Nur Chris lag noch am Boden, hatte die Augen geschlossen und atmete hektisch.

Silas kannte ihn lange genug, dass dieser noch etwas in der Hinterhand hatte oder plante. Kritisch betrachtete er weiter den ehemaligen Stellvertreter von George.

Ein Schlag auf seine Schulter zog die Aufmerksamkeit jedoch zu Sam, der ihn nickend angrinste. „Ich wusste, du entscheidest dich richtig.“

Ehe Silas was erwidern konnte, sah er im Augenwinkel, wie Chris aufsprang und auf Sam stürzte. Reflexartig stieß Silas diesen auf die Seite und hielt das Messer, was er immer noch in der Hand hatte, vor sich. In dieses lief Chris geradezu hinein und durch seinen Versuch, trotzdem noch an Sam heranzukommen, schlitzte er sich selbst den Bauchraum auf. Fassungslos sah Silas von seiner Hand mit dem Messer zu Chris, schüttelte immer wieder den Kopf und wünschte sich, dass es nicht passiert war. Doch blieb Chris auf dem Boden liegen und seine Atmung flachte ab. Silas warf sich auf die Knie und versuchte die Blutung zu stoppen, er wollte nicht wieder in die Zelle und erst recht nicht den Rest seines noch langen Lebens. Das Herz unter seinen Händen hörte trotz seiner Bemühungen auf zu schlagen, die Atmung stellte sich ein und der Körper blieb regungslos liegen.


Verzweifelt sah Silas zu Sam, der schockiert dastand und zitterte. „Danke!“, brachte dieser gerade so raus und war dankbar, als William ihn an sich zog.

„Danke? Ich habe ihn umgebracht. Das wollte ich doch gar nicht, ich will nicht in die Zelle.“

William lächelte milde. „Du wärst so oder so nicht dort hin zurückgekommen. Kein Mord, wie du sie betitelst, ist als solcher zu werten. Einzig für den Angriff des Hauses und die mehrfachen gegenüber Bryce wären verhandelbar gewesen, doch das hat sich aufgeklärt, du wurdest manipuliert. Silas, du hast keine Strafe zu erwarten.“

Nur langsam kamen die Worte des Königs bei ihm an, wurden von seinem Verstand verarbeitet und richtig zugeordnet.

Keine Strafe! Es waren keine Morde! Er war frei!

Silas sprang auf seine Füße, wischte sich notdürftig die blutverschmierten Hände an seiner Hose ab und stürmte auf Bryce zu.


Das Lachen der anderen Krieger ignorierend fiel er seinem Partner um den Hals und nahm dessen Lippen in Besitz. Zu hart und doch nicht hart genug. Es lag so viel mehr in diesem Kuss, als nur eine Bekundung der Gefühle. Zu viel Sehnsucht lag darin und das bekam Bryce recht schnell zu spüren. „Nicht, dass ich an sich was hier gegen habe, aber uns sehen alle zu.“

Verlegen löste Silas sich, stellte sich wieder normal hin und sah zu Boden.

Obwohl Bryce der Anführer war, kamen sie nicht umhin, sich die nächsten drei Stunden necken zu lassen. Doch es war ihnen egal, sie sahen einander an, tauschten kleine Berührungen und wussten, dass ihnen diese Nacht gehörte.


Eins stand jedoch schnell fest, sie würden nicht im Haus bleiben, aber eine Alternative hatte Silas nicht. Er kannte sich in der Umgebung nicht aus und er wollte auch niemanden fragen. Doch Silas musste sich darum nicht kümmern, denn Bryce kam mit einer kleinen Tasche in der Hand nach draußen und bedeutete ihm mitzukommen.

Mit dem Motorrad fuhren sie zwanzig Minuten über einen kleinen Waldweg, bis es scheinbar nicht mehr weiterging. „Komm, ich will dir was zeigen.“

„Hier sitzen geblieben wäre ich jetzt sowieso nicht“, lachte Silas und stieg ab. Zusammen gingen sie durch eine fast zugewachsene Schneise.

Gerade als Silas davon überzeugt war, dass sich Bryce verlaufen hatte, kamen sie an. Ein See erschien vor ihnen, der im sanften Mondschein golden glitzerte. Dicht bewachsen schien es schieres Glück zu sein, diesen Fleck zu finden.

„William hat mir den Tipp gegeben. Schönes Fleckchen Erde, oder?“

„Absolut, so ruhig und einladend. Hast du was dagegen, wenn ich gleich reinspringe?“

Kaum hatte Bryce verneint, riss sich Silas die Klamotten vom Leib und sprang in das kühle Nass. Es war berauschend, wenn auch kälter, als er erwartet hatte. Als er auftauchte und zum Ufer sah, bekam er einen exklusiven Anblick geboten.

Bryce kniete gerade auf der wohl mitgebrachten Decke und holte allerlei Dinge aus seiner Tasche, wozu er sich nach vorne beugte.

Tief durchatmen, mahnte sich Silas und betrachtete weiter seinen Partner, dessen Anblick eindeutig zu ansehnlich war, als dass die Kälte etwas dagegen ausrichten konnte. Allein die Vorstellung, warum sie hier waren ... genüsslich leckte sich Silas die Lippen.


***


Grinsend beugte sich Bryce noch ein bisschen mehr vor und verharrte einen Moment länger als nötig in dieser Position. Zwar kam er sich recht albern vor, so mit Silas zu spielen, doch seit Jahren fühlte er sich mal wieder ausgelassen und genoss es in vollen Zügen.

Doch langsam musste er aus seinen Klamotten raus, die ihn zu sehr einengten und wieso daraus nicht auch einen Hingucker machen? Wen störte es? Sie beide mit Sicherheit nicht und schließlich waren sie hier allein.

Langsam stand er auf und streifte sich sein Shirt vom Körper. Dann begann er seinen Gürtel zu lösen, öffnete die Knöpfe seiner Jeans und drehte sich um. Ein Keuchen entkam Silas, der sich mühsam über Wasser hielt. Die Schuhe von den Füßen tretend, ließ Bryce die Hose einfach seine Beine hinabgleiten.

„Komm rein!“

Bryce zog die Augenbrauen bei dem Befehl hoch, es schien, als könnte jemand es kaum noch erwarten.

Als auch der letzte Stoff seine Haut freigelegt hatte, ging er gemächlich ins Wasser. Silas blieb weiter auf der Stelle und starrte ihn einfach an. So musste sich eine Delikatesse kurz vor dem Verzehr fühlen. Ein Kribbeln erfasste seinen Körper, Vorfreude und Nervosität überfluteten ihn und er wünschte sich, dass Silas zu ihm kommen würde, doch der blieb weiter dort, wo er war.


Dankbar fühlte Bryce, wie das Wasser seine Hüften berührte und er genug Tiefe verspürte, um abzutauchen. Hinter Silas tauchte er wieder auf und umfasste dessen Hüfte, um ihn an sich zu ziehen. Sanft hauchte er seinem Partner einen Kuss in den Nacken. „Gehört es sich, so zu starren und fordernd zu sein?“

„Ich glaube nicht, aber was willst du machen? Du gehorchst ja!“ Silas‘ Augen blitzten regelrecht vor Schalk.

„Gewöhn dich nicht dran, sonst werde ich dich doch noch bestrafen müssen.“

„Meinst du also? Und wie sollte das aussehen?“, fragte Silas mit belegter Stimme, die vor Erregung zitterte, während er sich in Bryce’ Griff umdrehte und ihm in die Augen sah.

„Ich werde dich dort über den Stein legen und dir zeigen, wer von uns beiden das Sagen hat.“

„Versprochen?“

Bryce nickte und sah zu dem Stein, der aus dem See herausragte. Er war flach und sicherlich nicht all zu unbequem und eignete sich hervorragend für sein Vorhaben. Langsam zog er Silas mit sich und schwamm zu dem Anvisierten. Mit sanften Küssen lockte er ihn immer näher und war beruhigt, nah am Stein auch noch einen kleinen Vorsprung vorzufinden, um sich draufzustellen. Der Platz war mehr als passend, im Geiste dankte er William für diesen Tipp.


Als wollte Silas den Beginn der „Bestrafung“ einleiten, biss er Bryce in die Lippe und grinste ihn an. Mit einem Griff drehte Bryce Silas um und drückte ihn über den Stein. Der Meinung zu rau gewesen zu sein, wollte er schon ablassen, als er einen erregten Laut seines Partners vernahm. Der Mann war zu perfekt, um wahr zu sein, nahm ihn so, wie er sich gab und das verursachte, dass Bryce’ Herz fester gegen seine Rippen schlug. Sachte rieb er sich an dessen Hinterteil und unterdrückte jegliches Geräusch, um jedes von Silas wahrnehmen zu können. Der gab sich ihm vollkommen hin, hieß jede Berührung willkommen und drängte sich ihm entgegen.

Eng presste sich Bryce an ihn und beugte sich vor an dessen Ohr. Sanft biss er in Silas‘ Ohrläppchen. „Ich glaube, die „Bestrafung“ wird recht kurz ausfallen!“ Unter ihm spannte sich jeder Muskel an.

Trotz des Verlangens, sich gleich in ihm zu versenken, besann sich Bryce und gab sich erst dem Vorspiel hin. Nichts sollte ihre erste Vereinigung stören, vor allem kein Schmerz.

Als das erste lustvolle Stöhnen die Stille des Waldes durchbrach, verlor er sich in der Ekstase seines Partners, bis dieser um mehr bat. Langsam, um nicht gleich seinem Orgasmus zu erliegen, schob sich Bryce in das Innere von Silas und verband sich komplett mit ihm. Ihre Körper wurden überflutet von purer Energie, trieb sie in unbekannte Höhen der Leidenschaft. Immer schneller wurden ihre Bewegungen, immer tiefer ihre Verbundenheit und immer intensiver jeder Stoß. Schweiß rann über ihre Körper, sodass das eben noch etwas zu kühle Wasser wie eine tropische Oase erschien.

Haut klatschte auf Haut, ihr Stöhnen übertönte dieses Geräusch nur minimal, während sich ihre Lust immer mehr aufstaute. Sie wollten mehr voneinander, sich noch intensiver vereinigen und zusammen zur Erlösung gelangen.

Bryce glitt komplett aus Silas, zog ihn vom Stein und drehte ihn um. Nur um diesen dann wieder darauf zu setzen und ihm in die Augen zu sehen. Ihre Lippen verschlangen sich gegenseitig, die Zähne vergruben sich in das zarte Fleisch, bis ein metallener Geschmack ihre Zungen bedeckte.


Wenige Minuten später lagen sie abgetrocknet auf der Decke, schmiegten sich aneinander und genossen die sanfte Brise, die ihre Haut streichelte. Silas malte Kreise auf Bryce’ Bauch, der die Berührungen genoss.

„Sag mal, wenn ich die Gespräche der anderen richtig verstehe, habe ich das gleiche Amt wie du inne?“

Bryce brummte ein „Ja“ und fuhr mit den Fingerspitzen über Silas‘ Kopfhaut.

„Was ist, wenn ich kein Krieger sein möchte?“

„Du bist ein guter Kämpfer, was spricht dagegen?“

„Dass ich nicht mehr kämpfen will. Mich würde eher Quinns Arbeit interessieren.“

Stirnrunzelnd richtete Bryce sich auf und blickte auf seinen Partner hinab. „Quinn ist genau so ein Krieger wie ich.“

„Ja, aber er macht doch hauptsächlich die Arbeit in der Zentrale an den Computern. Ich kenne mich mit denen nur geringfügig aus, aber interessiert haben sie mich schon immer.“

Bryce zog seine Tasche an sich heran und entnahm ihr ein paar Dosen mit Essen. „Wenn du das gerne machen möchtest, werden wir Quinn bitten, dir alles beizubringen. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht, denn wir brauchen immer Leute für die Zentrale, die Arbeit ist nicht sonderlich beliebt.“

„Ehrlich? Das ist ... genial, danke.“ Überschwänglich zog Silas ihn auf seinen Schoss. „Du bist viel zu gut für mich.“

„Täusch dich nicht, glaub mir, ich habe enorme Macken, die dir bald gehörig auf den Nerv gehen werden.“

„Zum Beispiel?“

„Ich will immer die Kontrolle behalten, nenne meine Pumpgun „Baby“ und liebe mein Motorrad.“

Silas grinste, leckte sich über die Lippen und küsste Bryce’ Schlüsselbein. „Du wirst lernen die Kontrolle abzugeben, das verspreche ich dir. Besser deine Pumpgun als mich, ich lasse mich nicht Baby nennen und dein Motorrad ... solange ich auch mal fahren darf, spricht nichts dagegen.“

In diesem Moment wusste Bryce, dass er schon gleich mit dem Lernen beginnen sollte, denn hart presste sich Silas‘ Glied an seinen Hintern.

Vier Monate später


Erschöpft trat Bryce ins Haus und wurde sogleich von einem freudigen und einem ernsten Gesicht begrüßt. Wieso sich die meisten Männer des Hauses freuten, wusste er nur zu genau, denn er war hineingeraten in diese „Freude“. Sarah hatte vor knapp einer Stunde einen gesunden Jungen bekommen. Nämlich genau da, als sie die Verurteilten ihrer verhängten Strafen zuführen wollten, hatte man Sean aus dem Saal gerufen. William hatte die Gedanken des Bediensteten mitbekommen und wusste, worum es geht, weshalb er die Bestrafung aufschob. Bryce durfte Händchen halten, da es dem König plötzlich an Gelassenheit fehlte.

Drei Stunden hatte die Geburt gedauert und dann war er da, ein strammer Stammhalter mit dem Namen Aurelian Brien.


Bryce’ Aufmerksamkeit wanderte zu Ken, der als Einziger nicht so begeistert schaute und er ahnte, dass es dessen Partner ebenso ging, doch dieser hielt sich in der Zentrale auf.

So nickte er Ken zu und verwies ihn in die Zentrale, wo Bryce gleich zum Punkt kam. „Erzählt mir, was los ist. Ich will kein „Nichts“ hören, sondern die Wahrheit.“

Ken atmete tief durch. „Als wir hier vorsprachen für die Stellen, da sagte ich dir gleich, dass ich drei Mal im Jahr Urlaub benötige.“

„Korrekt, den habe ich dir bewilligt.“

„Ja, aber den Grund nannte ich dir nicht. Ich habe einen Sohn, er ist 16 Jahre alt und aus einer Beziehung vor Robin entstanden. Bea und ich sind nicht im Bösen auseinandergegangen, wir haben fast zeitgleich unsere Partner gefunden.“

„Das freut mich zu hören und wieso zieht ihr beide nun so ein Gesicht, gibt es Ärger?“

„Nein, ich darf Travor sehen, wann immer ich will, nehme mir Urlaub und unternehme dann viel mit ihm. Er mag Robin und Robin ihn, bisher lief also alles in geregelten Bahnen. Doch gestern ist Bea mit ihrem Partner tödlich verunglückt. Ich wurde von den Nachbarn informiert.“
„Das tut mir sehr leid, Ken.“ Bryce war ehrlich betroffen, nahm neben ihm Platz und legte ihm einen Arm um.

„Danke. Travor hat kein Zuhause mehr, er ist auf dem Weg zu mir. Somit möchte ich nun dazu kommen, was ich dich fragen will. Gibt es eine Möglichkeit, meinen Sohn mit ins Haus zu holen, oder muss ich meinen Dienst quittieren?“

„Natürlich kann er hier herkommen, wieso denn nicht? Wenn er zu dir gehört, gehört er auch zu uns. Ich denke nicht, dass einer hier im Haus etwas dagegen hat.“

Ken atmete erleichtert aus und blinzelte Tränen der Erleichterung weg. „Danke Bryce, echt Mann, ich danke dir.“

„Dafür nicht, ehrlich. Aber warne ihn vor, keiner der Männer im Haus wird sich von einem 16jährigen auf der Nase herumtanzen lassen. Das Alter ist schwierig, doch das Haus hier ist noch schwieriger!“

Robin konnte ein Lachen nicht unterdrücken, die Erleichterung war greifbar und Bryce freute sich innerlich.

Er selbst würde nie Kinder haben und etwas frisches Blut im Haus konnte nicht schaden.


So viel hatte sich in den letzten Monaten geändert, es wehte eine frische Brise im Haus. Gelassenheit war an der Tagesordnung. Bennet trainierte mit Robin die künftigen Krieger. Acey und Ken hatten eine Gemeinsamkeit entdeckt, das Zocken an der Spielkonsole. Philip und Dante betrieben zusammen den Club, doch zum Glück blieb Bryce sein ältester Krieger erhalten, auch wenn sich dieser etwas mehr Freizeit gönnte. Silas und er selbst führten eine Beziehung, die wohl nicht schöner sein konnte. Zwischen sich die Köpfe einschlagen und lieben war alles vertreten. Genau so mochte er selbst es, es würde kaum Langweile aufkommen und bald noch weniger. Ein Teenager im Haus war sicher ein Erlebnis und auch darauf freute sich Bryce. Vielleicht konnte dieser seinen Babysitterdienst übernehmen, auf welchen Sean ihn schon vorbereitet hatte? Teenager brauchten doch immer Geld und er würde ihn fürstlich bezahlen, das nahm er sich vor.


Doch das war die Zukunft, Bryce lebte lieber in der Gegenwart und die hieß, eine heiße Dusche und mit seinem Partner ins Bett zu gehen. Vorfreude machte sich in ihm breit, als er daran dachte, dass er heute wieder die Führung abgeben musste.

 

Im Zeichen des Hengstes

Müde stellte er seine Taschen ab und blickte sich um. Irgendwo sollte sein Vater warten und ihn abholen, doch weit und breit erblickte er ihn nicht. Travor schluckte und betete, dass ihm nichts passiert war.

Endlich tauchte dieser auf und er durfte das tun, was er sich seit drei Tagen sehnlichst wünschte, in den Armen seines Vaters zusammenzubrechen.

Die starken Arme fingen ihn auch sofort auf und er vergrub sein Gesicht in dessen T-Shirt. „Mein Junge!“ Mehr sagte Ken Merkur nicht, drückte seinen Sohn liebevoll an sich und hielt ihn ganz fest.

Das war der Anfang eines neuen Lebens, für Travor, dessen Vater und die Krieger der Vitae essentia, bei denen er nun leben würde. Ein Haus voller Männer schien für ihn nicht das Schlechteste, so würde sich zumindest keine Frau dazu berufen fühlen, ihm eine Mutter zu sein.

Niemand würde seine Mutter ersetzen können, sie war einmalig, warm, herzlich und die beste der Welt.

Abermals schossen dem 16 jährigen die Tränen in die Augen, die er in das T-Shirt seines Vaters einsickern ließ. „Darf ich bei dir bleiben? Für immer?“

Diese Antwort war ihm Ken schuldig geblieben und er erwartete sie nervös.

Ja, darfst du, wenn du es in einem Haus voller Chaoten aushältst. Ich soll dir von Bryce ausrichten, du sollst auf alles gefasst sein, denn keiner wird sich von einem Teenager auf der Nase herumtanzen lassen.“

Ich mir auch nicht.“ Es kostete Travor ein sanftes Lächeln, welches so unheimlich gut tat, dass er noch lange davon zehrte.


Dem jungen Vitae essentia war durchaus bewusst gewesen, dass der Tod seiner Mutter sein Leben veränderte, doch dass es Schicksal war, daran wollte er da noch nicht glauben.

Denn schon bald wurde er eines Besseren belehrt, als er einer Seherin über den Weg lief und diese viel mehr in ihm sah, als einen Halbwaisen, der Trost brauchte.


Gerade eine Woche war Travor im Haus der Krieger, als er sich auch schon die Haare raufte. Keiner nahm Rücksicht auf ihn und seine momentane Situation, bis auf Robin und Ken, aber das war auch was anderes. Irgendwie hatte er sich mehr ... nein, er wollte an sich kein Mitleid und doch ... die Männer im Haus waren wirklich verrückt. Tagsüber ging es noch zeitweise, doch nachts schienen alle nur an das eine, oder andere zu denken. Entweder sie spielten an der Spielekonsole oder an ihren Partnern. Das war für einen 16 jährigen Teenager nicht gerade förderlich, um nicht an das Eine zu denken. Die Geräusche, die Nacht für Nacht das Haus erfüllten, trieben ihm regelmäßig den Schweiß auf die Stirn und das Blut in die Lendengegend. Es war unverantwortlich und sicherlich irgendwie, irgendwo verboten. Unzucht vor Minderjährigen war sicherlich strafbar, zumindest moralisch verwerflich.

Nun gut, er musste zugeben, er sah nie eins der Paare beim Akt, noch wurde er wirklich damit konfrontiert. Aber sobald er sein Zimmer verließ, weil ihn der Hunger trieb, hörte er die Männer und das reichte für ihn vollkommen aus, um es eines Morgens am Esstisch anzusprechen.


„So geht das nicht mehr weiter, jede Nacht höre ich euer Stöhnen. Habt ihr eigentlich keine anderen Hobbys als Sex? Das ist verboten, das sollte euch mal klar sein. Unzucht vor Minderjährigen!“

Konsternierte Gesichter, dann verkniff sich einer nach dem anderen ein Lachen. Jannis räusperte sich, was eher dazu diente, nicht die Contenance zu verlieren. „Du meinst Unzucht MIT Minderjährigen, nicht vor.“

„Als ob das einen Unterschied macht!“

Ken sah seinen Sohn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Das macht einen großen Unterschied, mein Junge. Du hast extra das Zimmer bekommen, was nicht neben eins von unseren liegt, wie kannst du überhaupt jemanden hören?“

„Er geht nachts unseren Kühlschrank plündern“, beantwortete Jannis die Frage.

„Das erklärt, wieso ich diese Woche schon drei Mal einkaufen durfte“, seufzte Silas. „Der Junge braucht Ablenkung und eine Aufgabe, dann wandert er auch nicht mehr durch die Flure, wenn er eigentlich schlafen soll.“

Ken wollte widersprechen, als Bennet nickte. „Das dachte ich mir auch gerade. Travor, was hältst du davon, mit Robin und mir in die Kriegerschule zu kommen? Da sind Jungs in deinem Alter und du könntest mittrainieren.“

Ein Strahlen erschien auf Travors Gesicht und er nickte eifrig. In die Kriegerschule! Er wusste, dass es nicht leicht war, dort hineinzukommen und er wurde vom Leiter persönlich mitgenommen. Bennet stieg in diesem Moment in der Gunst des Teenagers.

„Papa, darf ich? Bitte.“

„Ich weiß nicht, fühlst du dich denn dementsprechend? Ist es nicht noch zu früh ...“

Robin stellte sich auf die Seite des Sohnes seines Partners. „Ken, lass ihn, schau ihn dir an, er strahlt und schlecht ist es sicher nicht. Sollte es ihm zu viel werden, bin ich auch noch da. Zur Schule muss er eh bald, wieso dann nicht bei uns? Dort lernt er alles, was andere in seinem Alter beigebracht bekommen und zusätzlich noch Kämpfen.“

Sein Vater gab schlussendlich nach und Travor durfte mit. Er hoffte inständig, dass er für ein paar Stunden alles vergaß, was seinen Kopf eingenommen hatte.


So klein die Kriegerschule von außen wirkte, umso mehr hatte sie in ihrem Inneren zu bieten. Während in den oberen zwei Stockwerken normale Klassenzimmer waren, befand sich unterirdisch ein Labyrinth aus Fluren, in denen etliche Türen zu unterschiedlichen Zimmern führten. Jeder Kampfsport, jede Waffe, jede Technik wurde hier gelehrt. Fasziniert ließ sich Travor von Bennet alles zeigen, während sich Robin bereits zu Beginn in eines der Schulungszimmer verabschiedet hatte.

„Schießt ihr auch?“

„Natürlich, dafür gibt es einen Schießstand. Jedes Jahr bekommen wir gut tausend Bewerbungen auf fünfzig Plätze, da müssen wir schon was bieten, meinst du nicht?“

„Ihr habt hier die einzige Schule für Krieger, kein Wunder, dass es so viele Bewerbungen sind.“

„Das weißt du? Woher?“ Verwundert sah Bennet den Jungen neben sich an und steuerte den Schießstand an.

„Ich wollte mich bewerben, aber Mum war nicht so begeistert von der Idee. Auch wenn Dad und sie sich weiterhin gut verstanden haben, ich glaube, sie mochte die Krieger an sich nicht!“

„Das geht vielen so. Wir bringen uns in Lebensgefahr, wirken rau und unnahbar. Uns wird Respekt entgegen gebracht, aber ein Traumjob ist es sicher nicht.“

Travor war nicht überzeugt von Bennets Worten, denn für ihn war es genau das. Er wollte gerne Krieger werden, auch wenn ihm durchaus bewusst war, dass er erst als einer berufen werden musste und das ging nur durch ein Tattoo.

Wehmütig sah der 16 jährige auf sein Handgelenk, das makelloser nicht sein konnte. Er war noch viel zu jung, um einen Termin bei einer Seherin bekommen zu können und doch wünschte er sich diesen.

„Ich hab meins erst mit über 50 Jahren bekommen.“

„So spät?“

„Das ist noch früh. Gedulde dich Travor, die Zeit kommt, versprochen. Und solange würde ich dir einen Platz in unserer Schule anbieten, wenn du Interesse hast.“ Bennets wissendes Grinsen zeigte deutlich, dass er die Antwort bereits kannte.


Abends lag Travor ruhelos in seinem Bett und da half auch nicht, dass ihn Bennet noch mal gemahnt hatte zu schlafen, damit er am nächsten Tag ausgeschlafen und mit genügend Energie zu seinem ersten Schultag antrat. Die türkisen Augen seiner Mutter schoben sich in sein Gedächtnis, sobald er seine schloss. Dabei war es schon schlimm genug für den Jungen, genau diese Augen jeden Morgen im Spiegel zu sehen, denn die hatte seine Mutter ihm vererbt. Dagegen hatte er die schwarzen Haare seines Vaters und auch die Statur schien einmal diesem angeglichen zu werden.

Schwer durchatmend öffnete Travor abermals seine Augen und schniefte leise. Was war er froh, dass keiner seine Tränen sehen konnte.

Ein sanftes Klopfen unterbrach seinen Versuch lautlos zu sein und er blickte irritiert zur Tür. „Ja?“

Ganz langsam ging diese auf und Jannis schlich hinein, warf Travor zwei Löffel auf das Bett und einige Waffeln. „Lust auf Eis?“

„Gern.“ Eilig versuchte der Teenager sich die Tränen aus seinen Augenwinkeln zu wischen, als er den Blick seines Gegenübers bemerkte.

„Schäm dich nicht dafür. Als ich erfuhr, was mit meinen wirklichen Eltern passierte, habe ich geschrien, es tat so weh.“

„Sind sie tot?“ Jannis nickte und öffnete die Eispackung. „Das tut mir leid, ich bin so froh, Dad noch zu haben, aber mir gehen die Gesichter von meiner Mutter und ihrem Mann nicht mehr aus dem Kopf.“

Verwundert sah der Krieger ihn an. „Wieso hast du ihre Gesichter gesehen?“

„Ich war im Auto, als der Unfall geschah. Ich hatte nicht einen Kratzer, während Mama und Henry zerquetscht wurden.

„Du warst was?“ Jannis verlor seine Gesichtsfarbe.

„Wir waren auf dem Weg zur Schule, ich hatte den Bus verpasst, da kam dieser Lastwagen. Henry hatte keine Chance und ich verdammtes Glück, das ich nicht angeschnallt war. Auch wenn es sich manchmal anfühlt, als wäre ich besser auch ...“ Travor schrie innerlich, verzweifelte, doch litt still. Er war noch nie ein Kind gewesen, welches laut wurde, seinen Schmerz nach außen trug und so auch jetzt nicht. Lediglich einmal hatte er es sich gegönnt, bei der Ankunft in den Armen seines Vaters. Doch damit sollte es auch genügen, denn seine Gefühle gingen niemanden etwas an. Lieber hielt Travor die Fassade aufrecht, als von sich aus den Schmerz zu zeigen.

Jannis rutschte auf dem Bett neben ihn und zog Travor an sich. Schweigend saßen sie so da und löffelten das Eis.

„Aceys Vater hat den Tod meiner Eltern zu verantworten. Nur weil er meine Mutter liebte, doch sie nicht für ihn bestimmt war.“

„Hast du ihn umgebracht?“

„Nein, was bringt es? Acey liebt seine Mutter und wieso sollte ich sie ihm nehmen? Er hat seinen Vater verloren, da muss ich ihm nicht die Mutter nehmen.“

Verstehend nickte Travor, legte den Löffel weg und zog die Knie an seinen Körper. „Weißt du was am Schlimmsten war? Sie zu verbrennen.“

„Wie meinst du das?“ Irritiert sah Jannis ihn an, doch dann schien er zu begreifen. „Es war unter Menschen?“

„Auf einer Landstraße. Der Lastwagen rammte das Auto und wir rutschten einen Abhang hinab. Frontal schlugen wir auf einen Baum. Mum war sofort tot, Henry hat mich angesehen, war eingeklemmt und sagte mir, was ich zu tun habe. Wie hätte ich auch jemandem erklären sollen, dass sie zu Asche zerfallen?“

„Es war richtig, aber für dich nicht. Wenn du doch mal Druck ablassen willst, deine Wut, deine Verzweiflung, sag Bescheid.“

Travor nickte und schenkte seinem Nebenmann ein zartes Lächeln. Es tat gut, jemanden bei sich zu haben. Gerade bei Jannis fühlte er sich verstanden und das nicht nur, weil sie beide schon geliebte Menschen verloren hatten, sondern weil er ihm vom Alter her am nächsten war. Denn auch wenn für die Menschen ein Altersunterschied von knappen 35 Jahren groß sein mochte, waren sie beide bei den Vitae essentia schon fast als eine Generation anzusehen.

„Meinst du, ich hab das Zeug zum Krieger? Ich war heute in der Schule, die sind alle so gut. Ich hab es nicht mal geschafft, die einzelnen Kampfstellungen, die ich zu sehen bekam, im Kopf nachzuahmen.“

Jannis schmunzelte, kaute erst noch einen Keks, bevor er antwortete. „Vieles was sie in der Schule lehren, kann ich auch nicht. Ich hab die Ausbildung bei den Werwölfen bekommen und sie legen auf anderes wert. Einmal die Woche muss ich trotzdem in die Schule, weil Bennet darauf besteht, mir die Werte der Krieger beizubringen und meine Kampfkünste zu verfeinern. Ob du das Zeug hast? Willst du es denn wirklich?“

„Schon lange, aber Mum war dagegen.“

„Soll ich mit dir trainieren? Wir können sicher einiges aufholen und ich verinnerliche vielleicht mal das, was Ben mir eintrichtern will.“


Das Angebot nahm Travor gerne an, denn nur so konnte er das aufholen, was andere Vitae essentia in der Schule bereits mit zwölf gelernt hatten. Während er von morgens bis mittags in der Schule war, verbrachte er die Abende mit Jannis im Wald, wo sie zusammen die einzelnen Schritte durchgingen und Travor zusätzlich noch lernte, was der andere bei den Wölfen beigebracht bekommen hatte.

Dass sie damit bereits das Schicksal für Travor besiegelten, bedachten sie dabei nicht. Denn auch wenn man davon ausging, dass das Schicksal bestimmt sei, war dies nicht der Fall. Einige Faktoren konnten es verändern und genau das hatten die zwei jungen Vitae essentia mit ihrem Handeln getan.


Diese Information blieb ihnen auch nicht lange verwehrt, denn als sie drei Monate später mittags in die Stadt fuhren, um Travor mit anständiger Kampfkleidung auszustatten, hielt sie plötzlich eine Frau auf. Ihre grünen Augen verschleierten sich bei Travors Anblick, während sie in seine sah und ihn berührte.

„Ihr seid zu Großem berufen, doch dauert das seine Zeit. Eure Ausbildung hat begonnen und verbindet so das eine mit dem anderen Leben. Ungewollt unzertrennlich sind eure Schicksale nun miteinander verknüpft.“

Irritiert sahen sich Travor und Jannis an, dann die Frau vor ihnen, die wohl eine Seherin war.

„Mit Verstand, Anmut und Kraft werdet Ihr die Zukunft führen, auch wenn Ihr Euch noch nicht berufen fühlt. Doch gebt acht, Euer Partner ist zu jung, haltet Euch noch fern, auch wenn ihr euch noch so nah seid.“ Mit dem letzten Wort verschwand der Schleier vor den Augen und sie ließ von Travor ab. „Am achtzehnten Februar in genau 30 Jahren dürft Ihr zum Tätowieren kommen.“ Dann verschwand die Seherin auch schon die Straße entlang.


Jannis sah ihr mit gerunzelter Stirn hinterher und schüttelte den Kopf.

„Was war denn das?“, fragte Travor und rieb sich die Hand, wo die Frau ihn recht rau gepackt hatte.

„Eine Seherin, die dir gerade einen Einblick in deine Zukunft gegeben hat. Ich würde das jetzt nur gerne übersetzt haben, ob ich Ben erreichen kann?“ Damit hatte Jannis auch schon sein Handy gezückt und rief seinen Patenonkel an.
Dieser hörte sich alles an und bat sie auf der Stelle ins Haus zurückzukehren.


Drei Stunden später war ein Streit entbrannt, der Travor schockierte.

Als Jannis und er wieder im Haus ankamen, hatte bereits William MacDermont gewartet, inklusiv seiner rechten Hand Sean und dessen Frau mit Kind. Lächelnd war er auf das kleine Bündel zugegangen, welcher ihn mit wachen Augen musterte. Ehe Travor jedoch weniger als zwei Meter dem Kind nahe kam, wurde er zurückgerissen.

„Komm ihm nicht zu nahe, hast du mich verstanden?“ Es war der Vater des Kindes, der ihn mit einem wutverzerrten Gesicht ansah.

„Aber ... ich wollte ihm doch nichts tun ... entschuldigen Sie.“ Der Schock stand Travor ins Gesicht geschrieben, als sein Vater eingriff und Seans Hand von seinem Sohn schlug.

„Fass meinen Sohn nie wieder derart unangemessen an. Er kann nichts dafür und das weißt du genauso gut wie ich.“

„Ach ja? Das hat mir meine Schwiegermutter aber anders mitgeteilt. Hätten Jannis und er nicht diesen Mist verbockt ...“

„Wäre dein Sohn nicht aus dem Schneider, also beruhige dich, verdammt noch mal, und wag es nicht, ihn mit derartigen Blicken zu belegen. Er ist MEIN Sohn und ich lasse nicht zu, dass du ihn so behandelst.“

„Und das ist mein Sohn, der gerade drei Monate auf dieser Erde ist.“

„RUHE!“ Mit einem Schlag auf den Tisch untermalte der König seine Forderung.

Travor sah ihn bewundernd an, trotz der erhobenen Stimme und der Wucht des Schlages, sah William aus, als sei er die entspannteste Person in diesem Raum. Er saß am Esstisch, vor sich eine Tasse Kaffee und atmete gleichmäßig, nichts deutete darauf hin, dass der König gerade die Fassung verloren hatte.

„Welch ein Kompliment, Travor, ich danke dir“, zwinkerte William ihm zu. „Ich kann deine Gedanken hören“, erklärte der sich auch gleich und wandte sich dann mit seinem Blick an Sean und Ken. „Er weiß nicht mal was ihr habt. Also hört auf, euch wie Platzhirsche zu verhalten. Hinsetzen, sofort und jeder der hier Vater ist, hat ab jetzt den Mund zu halten.“ Unverständliches Murmeln und verkniffene Gesichter bei den zwei Vätern ließen Travor schmunzeln. Doch dann sah er wieder zu William und fragte sich, was dieser meinte.

„Setz dich und ich werde es dir erklären. Du hast eine Seherin getroffen!“

„Ich glaube, ja. In der Stadt.“

„Das war Sarahs Mutter. Gehe ich richtig in der Annahme, dass du nicht verstanden hast, was sie dir über deine Zukunft mitgeteilt hat?“

„Ja richtig.“

William nickte verständnisvoll, der damals ebenso wenig seine Zukunft verstand, die ihm die Seherin mitgeteilt hatte.

„Ihr seid zu Großem berufen, doch dauert das seine Zeit. Eure Ausbildung hat begonnen und verbindet so das eine mit dem anderen Leben. Ungewollt unzertrennlich sind eure Schicksale nun miteinander verknüpft“, zitierte William. „Ich weiß nicht, wie groß deine Berufung ist, ob du lediglich mal Anführer der Krieger wirst, oder doch König, aber das hat sie dir vorausgesagt. Du bist kein einfacher Krieger, oder wirst keiner sein.“

„Cool!“, lachte Travor, der das Gesagte gar nicht ernstnahm und darauf wartete, dass alle lachten. Doch das geschah nicht, stattdessen sahen ihn alle ernst an.

„Mit Verstand, Anmut und Kraft, werdet Ihr die Zukunft führen, auch wenn Ihr Euch noch nicht berufen fühlt. Doch gebt acht, Euer Partner ist zu jung, haltet Euch noch fern, auch wenn ihr euch noch so nah seid“, kam William zum zweiten Teil, den die Seherin gesagt hatte. „Auch das weist daraufhin, dass du eines Tages entweder Bryce oder mein Amt übernimmst.“

„Und was soll das mit dem Partner?“

Williams Blick wanderte zu Sarah, woraufhin auch Travor dahin sah. Dann schien es ihm wie Schuppen von den Augen zu fallen, welche er aufriss und nach Luft schnappte. „Nein ... das ist nicht Euer ernst! Das ist ein Baby!“

„Korrekt, weshalb du vielleicht die Aufregung seines Vaters verstehst. Auch wenn er dich deshalb nicht hätte derart behandeln dürfen, denn dafür kannst du nichts. Jedoch bitte ich dich, Abstand zu Aurelian zu halten, damit es nicht jetzt schon zu einer Bindung kommt.“

„Klar ... kein Problem, habs eh nicht so mit so kleinen Lebewesen. Aber was heißt, dafür kann ich nichts? Für was kann ich denn etwas?“

William trank einen Schluck Kaffee und sah zu Jannis, der sich recht zurückgezogen an eine Wand gelehnt hatte. „Wie lange trainiert ihr schon heimlich?“

Nervös biss sich der Angesprochene auf die Unterlippe. „Drei Monate ungefähr. Wir haben uns nichts dabei gedacht. Er wollte auf den Stand seiner Mitschüler kommen und ich habe eine Chance gesehen, mit ihm eure Kampftechniken zu erlernen.“

„Sehr guter Gedanke, doch wieso bringst du ihm deine Kampfkünste bei?“

Jannis kniff die Augen zusammen. „Ich weiß nicht, ich dachte, es schadet nicht, wenn er es kann. Travor ist talentiert und lernt unheimlich schnell. Er ist stark und beweglich, dabei noch nicht mal ausgewachsen.“

„Kann er kämpfen? Jetzt? Traust du es ihm zu?“

„Ja!“ Die Antwort kam voller Überzeugung, dass ihn alle fassungslos ansahen. „Er kann es nicht gegen euch aufnehmen, wenn wir von einem regulären Kampf ausgehen, da mach ich mir nichts vor. Doch wenn er einen von euch überrascht, dann habt ihr keine Chance.“

Quinn schüttelte über die Worte seines Partners den Kopf. „Nun übertreib mal nicht, er ist 16 Jahre!“

Jannis und Travor tauschten einen Blick mit dem König, der nickte und so seine Zustimmung gab.

Ehe sich Quinn versah, lag er auf dem Boden, gelähmt und über ihm der Teenager, den er gerade noch als gefahrlos eingestuft hatte.

„Er hat es mir ganz genau beigebracht. Hinterrücks kann ich also auch einen Krieger lahmlegen, doch ich weiß, dass ich von Angesicht zu Angesicht nicht die geringste Chance haben würde.“ Damit löste Travor die Blockade und half Quinn auf die wackeligen Beine.

„Du hast ihm das beigebracht?“ Es war ein strafender Tonfall, der Jannis traf.

„Ja. Frag mich nicht warum, es war mir ein Verlangen, es fühlte sich richtig an.“

„Und genau das hat Travors Schicksal gelenkt. Ihr beide, Jannis und Travor, werdet nicht mehr umeinander herumkommen. Eure Schicksale sind miteinander verknüpft worden, wie ich verstanden habe. Etwas, das nie geplant war und doch geschehen ist. Sarahs Mutter hätte dir sogar ein Tattoo gegeben, wenn du nicht schon eins besitzen würdest. Ihr scheint beide die nächste Generation zu sein, die dann übernimmt, wenn wir unsere alten Knochen ausruhen wollen.“

Gelächter ging um und doch wusste jeder, dass es in spätestens 400 Jahren so kommen würde. Dann wären Bryce und auch William über 600 Jahre und hatten sich die Rente verdient.


Die Zeit verging wie im Flug. Während sich Travor in jeder Kampfsportart als Naturtalent herausstellte, lernte er auch bei Bryce, was ein Anführer zu tun hatte. Es war weise Voraussicht, den Jungen nicht irgendwann vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Zudem hatte dieser noch 30 Jahre bis zu seinem Tattoo, was für ihn viel Zeit und Freiheit bedeutete.

Eine Zeit, die Travor zu nutzen versuchte und immer darauf achtete, seinem Partner nicht zu nahe zu kommen.

Auch auf die Gefahr hin von diesem als unfreundlicher Artgenosse wahrgenommen zu werden, den er nicht mehr beachtete.


***


Aurelian sah erschöpft in den Spiegel und versuchte sein zerknautschtes Gesicht zu glätten. Seit Jahren studierte er nun bei den Menschen Medizin, wie es seine Tante ihm mit zwanzig nahe gelegt hatte. Bald war es geschafft und er konnte die Ausbildung abschließen, um dann bei Frederik Murray zu beginnen. Seherinnen in der Verwandtschaft zu haben, war schon ab und an ein Fluch, doch um den perfekten Beruf zu finden, eindeutig ein Segen.

Nach seiner Schicht im Krankenhaus war er von seinem Patenonkel zum Essen eingeladen worden. Keine Frage, Aurelian schätzte William, doch im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als zu schlafen. Doch wenn sein Patenonkel um ein Treffen bat, dann kam man dem nach und das nicht nur, weil er der König war.


Eine Stunde später erreichte Aurelian das Restaurant, wo sie verabredet waren. William saß bereits an einem Tisch in einer Nische und flirtete ungeniert mit Sam. Schmunzelnd beobachtete er sie, kleine Stiche von Neid bohrten sich in sein Herz, bevor er seufzend auf sie zu ging und ein Lächeln aufsetzte.

„Na ihr zwei Turteltauben, darf ich mich zu euch setzen, oder sucht ihr euch lieber ein Hotelzimmer?“

Sam schoss die Röte ins Gesicht, während er die Augen verdrehte und ihn in seine Arme schloss. „Du darfst dich setzen.“

„Zu großzügig, ich bin euch unheimlich dankbar. Also was gibt es, dass ihr mich nach einer Vierzehnstundenschicht hierher bestellt?“

„Dürfen wir nicht mit meinem Patensohn zu Abendessen?“ William grinste und schloss Aurelian ebenso in seine Arme.

„Natürlich dürft ihr, aber ich bin ehrlich fertig. Und das weißt du durchaus, also erzählt was los ist. Ist doch alles in Ordnung mit meinen Eltern? Oder den Kriegern?“

„Alles gut, keine Panik. Wir wollten dich nur endlich mal wieder sehen. Du hast kaum noch Zeit, und seit du ausgezogen bist ...“

„Es ist einfacher. Meine Freunde wollen mich besuchen und sie sind nun mal menschlich. Wie soll ich ihnen da erklären, wieso wir mit einem König im Haus leben, der dann auch noch einer anderen Rasse angehört?“

„Ja, wissen wir und doch vermissen wir dich. Auch Ben und die anderen erkundigen sich die ganze Zeit nach dir.“

„Alle, was?“ Aurelian entglitt sein Lächeln, stattdessen verzog er sein Gesicht. „Ich wette, gerade Travor hat sich herzlichst nach mir erkundigt und war ganz bestürzt, dass ich mich nicht gemeldet habe.“ In ihm stieg die Galle hoch, wie immer wenn er an den arroganten Kriegeranwärter dachte, der einmal Anführer, oder gar König werden sollte. Das hatte er einst von seiner Großmutter erfahren, als er sich bei ihr ausließ, weil Travor ihn mal wieder rüde abgewiegelt hatte. Sie hoffte wohl darauf, dass er Verständnis haben würde, doch das war nicht der Fall. Immer wenn Aurelian Travor etwas fragte, grummelte dieser etwas von „Keine Zeit“, oder ignorierte ihn gänzlich. Doch den Vogel hatte dieser abgeschossen, als Aurelian ihm einmal über die Schulter gesehen hatte. Den Schrei würde der zukünftige Arzt wohl nicht so schnell vergessen.


Spinnst du komplett? Bleib mir gefälligst von der Haut, noch nie was von Privatsphäre gehört?“

Aurelian taumelte rückwärts, das Travor die Chance gab aufzustehen.

Ich wollte dir nur Hallo sagen, entschuldige!“

Bleib einfach von mir weg, fass mich nicht an, komm mir nicht zu nah!“

Was hast du gegen mich?“ Aurelian hatte die Tränen unterdrücken müssen, die er sonst geweint hätte. Das war nun 10 Jahre her.

Die Antwort war ihm Travor jedoch bis heute schuldig geblieben.


„Was hast du gegen ihn? Lian, er ist nett und sehr engagiert, gerade was seine Bestimmung angeht.“

„Mag ja sein, aber glaub mir eins, wenn du nicht mein Pate wärst, hätte er mich schon um die Ecke gebracht. Er mag mich nicht und ich weiß nicht mal warum. Hab ich ihn als Baby angepinkelt oder so was?“

Sam konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Was für eine Vorstellung, aber so nah seid ihr euch nie gekommen.“

„Und was ist dann der Grund, dass er sich anstellt, als sei ich pures Gift?“ William und Sam tauschten unsichere Blicke, bissen sich sogar auf die Unterlippe, was Lian eindeutig auf ein Geheimnis schließen ließ. „Was ist los?“

„Pass auf, wir wollen dich nicht anlügen, aber haben auch kein Recht mit dir darüber zu reden. Doch Lian, eins möchte ich dir sagen. Trav ist nicht verkehrt und er hat nichts Persönliches gegen dich.“

„Und das soll ich dir glauben weil?“ Aurelian sah seinen Patenonkel abschätzend an. Dass er mit seiner rauen Tonlage einen Schritt zu weit gegangen war, sah er sofort, als Williams Blick zu dem des Königs wechselte.

„Weil ich der König bin und dir das auch in dieser Position sage. Ja, Travor hat dich verletzt, ich habe deine Gedanken diesbezüglich schon oft gehört, doch ist er ein guter Mann, der nur das Beste für dich will.“


Bereits eine Stunde später saß Aurelian allein in seiner Wohnung, nahe der Klinik, in der er sein praktisches Jahr machte. So müde er auch war, gingen ihm die Worte von William nicht mehr aus dem Kopf. Wieso sollte Travor das Beste für ihn wollen, wo er ihn doch nicht mal leiden konnte? Irgendwas verbarg sich hinter der Aussage, doch er ahnte nicht im Entferntesten, was es sein könnte.

Aber eins nahm er sich vor, er würde es herausfinden, egal auf welchem Weg. Und wenn er dazu seinen Paten imitieren musste, als dieser einst Sam an die Wand nagelte.

Dass er am nächsten Tag frei hatte, kam ihm da nur entgegen. Doch erst einmal genoss er eine Dusche und begab sich ins Bett.

Mit den türkisen Augen vor sich schloss er seine und begab sich in einen unruhigen Schlaf.


Am nächsten Morgen wachte Aurelian auf und war gleich auf 180. Schuld daran war für ihn Travor, der seine Nacht zu einem Spießroutenlauf gemacht hatte. Die Träume wechselten von einem lächelnden bis hin zu einem wütenden Travor, doch jedes Mal ging es gleich aus. Er warf sich dem zukünftigen Krieger an den Hals.

Allein diese Tatsache, dass er es sein sollte, der die Nähe suchte, ließ sein Herz hart in der Brust schlagen.


Es war recht früh, als Aurelian im Haus der Krieger aufschlug. Ein verwunderter Jannis öffnete ihm die Tür. „Guten Morgen, was machst du denn hier?“

Er drängte sich an ihm vorbei und ging geradewegs in die Küche, wo sich um sieben Uhr morgens eigentlich alle versammelten.

Wie immer stand Silas am Herd, Bryce lehnte an der Arbeitsplatte und trank Kaffee, die anderen saßen am Tisch und sahen ihn nun alle irritiert an.

„Wo ist Travor?“

„Dir auch einen guten Morgen!“ Bryce zog die Augenbrauen hoch. „Er ist nicht da, was willst DU von ihm?“

Mit was für einem Unterton er das DU betonte, erhärtete Aurelians Verdacht. „Darf ich nichts von ihm wollen? Ist es verboten, ihn zu besuchen? Zumindest für mich scheint ja nichts gern gesehen zu sein, wenn es um Travor geht, woran liegt das?“

Schweigen, hüpfende Adamsäpfel und verunsicherte Blicke war das Erste, was Aurelian sah und seine Vermutung untermauerte.

„Er ist nicht da. Travor hat einen Termin bei der Seherin und bekommt sein Tattoo“, informierte Jannis und setzte sich an den Tisch. „Wenn ihr allemal lockerer reagieren würdet, wäre er jetzt nicht so aufgebracht!“ Jannis sah keinen speziell an, sondern widmete sich seinem Kaffee.

„Was stimmt nicht mit Travor und mir? Seit ich denken kann, ist er so rabiat und abweisend zu mir. Das hat doch einen Grund, vor allem wenn ich Will glauben soll, dass Travor nur das Beste für mich will.“


Die Krieger schwiegen, da konnte Seans Sohn sie noch so anschreien, oder anschubsen, keiner machte den Mund auf, nicht einmal Ken. Dabei hatte sich Aurelian gerade von ihm eine Reaktion erhofft, doch plötzlich schienen alle stumm geworden zu sein.

Sauer und unverrichteter Dinge verließ er das Haus und schlug den Weg zu seinen Eltern ein. Doch auch da wurde er angeschwiegen, sodass er zum ersten Mal in seinem Leben ohne ein Abschiedswort das Haus verließ.


Deprimiert saß Aurelian hinter dem Steuer seines Autos und fragte sich, was er falsch machte, dass man etwas vor ihm verheimlichte, was ihn betraf.

Bevor sein Kopf zu weiteren Gedanken fähig war, brauchte er einen Kaffee und so führte sein nächster Weg in ein Café. Dort traf er ein paar Mitstudenten, mit denen er die nächsten Stunden verbrachte und sich ablenken ließ.

Grübeln hatte keinen Sinn, das war ihm durchaus bewusst, wenn keiner darüber reden wollte, konnte er sich genauso gut mit was anderem befassen.

Gute Freunde, und waren sie noch so menschlich, sollte man nicht unterschätzen. Sie lenkten Aurelian ab und brachten ihn mehr als einmal zum Lachen.

Die Annäherungsversuche von Christin ließ er ebenso schmunzelnd über sich ergehen, wie auch die Sprüche über sein eingestaubtes Sexualleben. Ein Thema, welches die Freunde immer wieder zu beschäftigen schien. Christin, Martin und Lars schienen darin ein Problem zu sehen und besonders die einzige Frau in der Runde versuchte immer wieder, ihn davon zu überzeugen, seinem, wie sie es nannte, Keuschheitsgelübde entgegenzuwirken. Wie hätte er ihnen auch erklären sollen, dass es eben keinen Sinn ergab, sich von einer, in die nächste Affäre zu stürzen, wenn das Schicksal ihm irgendwann den passenden Partner vor die Nase setzte.


Während Martin gerade über eine Frau herzog, die sich derart aufreizend gekleidet hatte, als würde sie professionelle Geschäfte mit ihrem Körper ausüben, beschäftigte sich Christin weiter mit Aurelian. Krabbelte diesem mit ihren etwas längeren Fingernägeln über den Handrücken, dann drehte sie den Arm und ließ ihre Finger über die Innenfläche gleiten. Aurelian interessierte es recht wenig, es war angenehm, aber sicher nicht aufreizend.

„Wow ist das cool, seit wann hast du denn ein Tattoo? Hab ich noch nie gesehen! Sieht aber noch recht unfertig aus, oder?“, ertönte Christins Stimme überrascht.

Aurelian sah zu ihr, dann auf sein Handgelenk und riss die Augen auf. Das konnte nicht sein, das durfte nicht wahr sein, wo kam das Tattoo in Form eines Hengstes her? Er sprang auf, stieß dabei den Stuhl um und entriss Christin sein Handgelenk, eilig kramte er in seiner Geldbörse, schmiss einen Schein auf den Tisch und flüchtete regelrecht aus dem Café. Die Rufe seiner Freunde hörte er zwar, aber ignorierte sie gänzlich.


Zitternd fuhr Aurelian wieder zum Haus von William. Er stürmte mitten in eine Besprechung mit dem Vampiroberhaupt, was ihm einen mahnenden Blick vom König einbrachte. Doch das war ihm egal, statt darauf einzugehen, zog er seinen Pullover hoch und zeigte William und seinem Vater das Tattoo.

Es waren ungläubige Blicke, irritiert und schockiert, vor allem da es sich vor ihren Augen auch noch veränderte.

Selbst der Vampir wirkte überrascht und war der Erste, der die Sprache wieder fand. „Das ist so ein Partnerschaftstattoo, oder? Ich hab davon gehört, doch wieso verändert es sich?“

Sean stieg die Zornesröte ins Gesicht. „Er konnte die Finger nicht von dir lassen, ich wusste es. Das wird er mir büßen.“ Mit diesen Worten sah Aurelian erstaunt, wie sein Vater aus dem Büro des Königs stürmte.

William besann sich nach einigen Sekunden, sprang auf und sah hektisch zu seinem Gast. „Edmund, ich bitte Sie mir zu verzeihen, doch ich muss meinen Stellvertreter vor einer Dummheit bewahren und hoffe auf Ihr Verständnis!“

„Natürlich, ich werde einen neuen Termin vereinbaren lassen.“

Dankbar nickte William diesem zu und riss Aurelian förmlich mit sich. „Beeil dich, ich trau Sean nicht, er wird Travor etwas antun!“

„Aber wieso?“

„Weil das sein Tattoo ist.“

Aurelian blieb der Atem weg, ließ zu, dass sein Patenonkel ihn ins Auto setzte und losfuhr. Doch sein Verstand war überfordert, versuchte das Gehörte einzuordnen.

Es blieb allerdings keine Zeit dazu, denn bereits zehn Minuten später hielten sie vor dem Haus der Krieger, wo Sean gerade die Tür mit seinen Fäusten bearbeitete. Noch bevor William bei ihm war, öffnete ausgerechnet Travor die Tür und wurde von Sean mit einem Schlag ins Gesicht begrüßt.

„Du verdammter Mistkerl, wir hatten eine Abmachung und du warst nicht fähig, dich daran zu halten!“ Abermals schlug Sean zu, bevor Travor zu Sinnen kam und den folgenden Schlag abfing. Zwei Sekunden später lag Aurelians Vater mit dem Gesicht auf dem Boden.

„Was ist dein Problem, Brien?“

„Du hast deine dreckigen Finger nicht von meinem Sohn lassen können!“

„Ich habe deinen Sohn nie berührt, nicht mal eine Haarspitze, wie es abgemacht war. Wie kommst du auf den Mist?“ Travor stand von Sean auf und atmete tief durch.

Mit einem weiteren Angriff rechnete er scheinbar nicht, doch schien Aurelians Vater ihm nicht zu glauben. Denn als Nächstes fiel Travor durch die offene Haustür die Treppen hinab und landete vor Williams und Aurelians Füßen.

„Papa hör auf, was soll das? Spinnst du komplett?“

„Wir hatten eine Abmachung, er hat eingewilligt und sich nicht dran gehalten, das ist nicht in Ordnung. Du bist viel zu jung, sollst noch leben und nicht jetzt schon deinen Partner haben!“


Es schien bei ihm endlich anzukommen. Aurelian setzte die einzelnen Informationen zusammen und riss die Augen auf. „Travor ist mein Partner? Ihr wusstet das scheinbar vor dem Tattoo. Die Vorhersehung! Ich bin so doof.“

Travor rappelte sich auf und seufzte. „Ich war 16 Jahre und du ein Baby, es war zu früh.“

„Und deshalb hast du mich all die Jahre wie den letzten Dreck behandelt?“ Fassungslosigkeit machte sich in ihm breit.

„Was hätte ich denn machen sollen? Du kamst immer wieder auf mich zu, umso älter du wurdest, umso öfter. Ich wusste mir nicht mehr zu helfen, es tut mir wirklich leid. Aber dein Vater hat recht, du sollst leben, frei sein, wir haben bis zu meinem 350. Lebensjahr Zeit uns zu binden.“

„Jetzt red hier nicht so ein Mist, du hast die Finger doch nicht von ihm lassen können, oder woher kommt das?“ Mit diesen Worten riss Sean seinem Sohn den Pullover hoch und zeigte Travor das Tattoo.

„Das kann nicht sein. Sean, ich habe meins erst vor einer halben Stunde fertiggestellt bekommen. Selbst wenn ich mit ihm in Kontakt gekommen wäre, ist es mir neu, dass er zeitgleich wie ich das Tattoo erhält, denn dann hätte es ja schon lange zu der Bindung gekommen sein müssen und das ist definitiv nicht der Fall, außerdem würde es ihm wohl an Energie fehlen, ebenso wie mir.“


Die Erklärung war einleuchtend, vor allem da Aurelian sich nicht an eine Berührung erinnern konnte. In seinem Inneren zog sich alles zusammen, ganz besonders sein Herz wollte stillstehen. Erst jetzt schien alles wirklich bei ihm anzukommen, er sah sich seinem Partner gegenüber. Dem Mann, der ihn seit Jahren wie Dreck behandelt hatte. Doch das Schlimmste für ihn war die Tatsache, dass es alle gewusst hatten, alle … außer ihm.

„Lian, bitte denk jetzt nicht so.“ William fasste ihm an die Schulter, doch der Angesprochene riss sich los.

Kopfschüttelnd rannte er zu Williams Auto, wo immer noch der Schlüssel steckte und fuhr los. Er wollte nur weg von hier, weit fort von allen und sich nicht so hintergangen fühlen.

Aurelian hatte sich immer gefragt, wie es sein würde, seinen Partner zu finden, sich mit diesem verbunden zu fühlen, oder mit ihr. Diesbezüglich war er schon immer offen gewesen und hatte sich von seinen Gefühlen leiten lassen. Doch das ausgerechnet Travor das sein sollte, war für ihn so undenkbar gewesen, dass er plötzlich ein Problem darin sah. Nicht weil dieser männlich war, sondern eben Travor. Der Mann, der ihn nie in seiner Nähe haben wollte.

Tränen verschleierten seinen Blick, ließen die Straße verschwimmen und er wusste, er musste anhalten, wenn er keinen Unfall bauen wollte. Der Gedanke war kaum zu Ende gedacht, da war es auch schon zu spät.


***


Travor schrie und glaubte nicht, was vor ihm passierte. Unbeobachtet von Aurelian war er ihm direkt gefolgt, hatte sich auf Bryce Maschine geschwungen und wollte mit seinem Partner reden. Doch nun sah er hilflos mit an, wie das Auto vor ihm von der Straße abkam und eine Böschung hinunter raste.

Bilder der Vergangenheit schossen ihm durch den Kopf, doch er verdrängte sie erfolgreich, hielt stattdessen die Maschine an und sprang ab, ohne darauf zu achten, dass diese auf die Straße stürzte.

Schlitternd ging es für Travor die Böschung hinab, bis er an der Fahrertür ankam und sie aufriss.

Mit offenen Augen sah er Aurelian da sitzen. Das Blut lief von seiner Stirn über seine Augen sein Kinn hinab.

„Bitte nicht, nicht schon wieder.“ Travor schluckte, unterdrückte jedes Gefühl, wie es Jannis ihm beigebracht hatte, und wollte Lians Puls fühlen.

„Mir geht es gut, behalte deine Finger bei dir.“ Aurelian sah zu ihm, seine Augen zeigten den Schmerz, den er in sich trug, doch seine Lippen blieben verschlossen. „Wir sind noch nicht gebunden, das wissen wir beide, somit muss es hierfür eine andere Erklärung geben.“ Nur kurz war der Blick zu ihren Tattoos gegangen.

„Kannst du allein hier raus kommen?“

„Nein, ich glaube meine Beine sind gebrochen.“

Travor nickte, griff nach seinem Handy und rief Bryce an. Weise Voraussicht, denn Sean wollte er mit Sicherheit nicht hier haben.

„Darf ich hier bleiben, bis die anderen kommen?“

„Besser nicht, ich weiß nicht, wie lange ich mich noch zusammenreißen kann.“

Gerade stand Travor auf, als ihm ein Geruch in die Nase kroch, der ihm nur allzu bekannt war. Benzin lief aus dem beschädigten Tank aus.

„Scheiße. Aurelian du musst aus dem Wagen raus. Der Tank ist defekt!“

„Ich kann aber nicht, und solange es kein Feuer gibt, brauchen wir uns keine Gedanken machen.“

Haareraufend kniete sich Travor wieder zu ihm. „Das ist doch nicht dein Ernst, oder? Weißt du, wie schnell es dazu kommen kann? Und die anderen werden locker noch zwanzig Minuten brauchen.“

Aurelian sah ihn an, immer noch schwamm unverkennbar der Schmerz in seinen grünen Iriden. „Geh an die Straße und zeig ihnen, wo ich bin.“

„Bryce wird es sehen, seine Maschine liegt mitten auf der Straße, dafür wird er mich noch köpfen lassen, und wenn du nicht überlebst, werde ich mich freiwillig dazu niederknien.“ Seufzend schnallte sich Aurelian ab, doch gab mit einem Blick Travor zu verstehen, dass er ihm nicht helfen sollte. „Das ist Irrsinn, du schaffst es nicht allein, lass mich dir helfen.“

„Wenn wir uns binden, dann nur, weil wir es beide wollen und nicht wegen dieser Situation, verstanden? Und nun geh zur Seite!“


Travors Brust wurde von Stolz erfüllt für diesen Mann, der es trotz enormer Schmerzen schaffte, sich aus dem Auto zu ziehen. Trotzdem seufzte er, denn diese Qual war unnötig.

„Ich weiß ja nicht, welch romantische Ideen dir in deinem Kopf herumschwirren und ehrlich gesagt, interessieren sie mich auch nicht sonderlich. Ich will dir jetzt helfen, du musst dich nicht so quälen. Eine Bindung passiert immer in irgendeiner Situation und ich glaube nicht, dass diese je bei Kerzenschein geschehen ist.“

„Doch, aber darum geht es nicht. Du willst bis zu deinem 350. Lebensjahr warten und das akzeptiere ich.“

Überrascht runzelte Travor die Stirn. „Das habe ich nie gesagt, wie kommst du darauf?“

Aurelian zog sich die Böschung Stück für Stück nach oben und kämpfte sichtlich darum, keinen Ton des Schmerzes über seine Lippen kommen zu lassen. „Willst du mir echt erzählen, dass du mir diese Freiheit geben willst? Nur ich soll mich austoben? Ich weiß ja nicht, mit wem du in den Betten rumspringst, aber gib wenigstens zu, dass du keinen Bock darauf hast, durch mich daran gehindert zu werden.“


Schmunzelnd kniete Travor abermals nieder. „Durch welche Betten ich springe? Du hast ja Gedanken, dafür fehlt mir eindeutig die Zeit. Auch wenn es dich nichts angeht, möchte ich es dir gerne sagen. Ich springe in keinen Betten herum, denn ich weiß seit 30 Jahren, wer mein Partner sein wird. Die Male, wo ich mit jemandem intim wurde, quälte ich mich Tage, teils Wochen mit einem schlechten Gewissen rum, weil ich das Gefühl hatte, dich zu hintergehen.“

Aurelian senkte verlegen seinen Blick, biss sich auf die Innenseite seiner Wange und atmete durch. „Ich wusste nichts von dir und kenne dieses Gefühl trotzdem. Allein das Wissen, das irgendwo jemand für mich bestimmt ist ...“

„Darf ich dir nun helfen?“

Gerade als Aurelian nicken wollte, quietschten an der Straße etliche Reifen und man hörte schwere Stiefel über den Asphalt rennen.

Die plötzlich herabrutschenden Erdbrocken zeigten beiden, dass die Krieger den Weg hergefunden hatten. Dafür mussten sie nicht mal ihre Blicke trennen. „Ich bring dich um, für dass, was du mit meiner Maschine gemacht hast“, raunte Bryce über Travors Schulter.

„Später, in Ordnung? Aurelian braucht Hilfe.“

„Wie schlimm ist es?“ Jannis und Bennet waren die nächsten bei ihnen, die gleichzeitig die Frage gestellt hatten, während sich Letzterer direkt zu den Beinen begab. „Gebrochen?“ Aurelian nickte und ließ seinen Kopf zurücksinken. „Beide! Mist. Okay wir brauchen eine Art Trage und dann muss er schnellstmöglich ins Haus. Frederik wird da sein.“

„Ich möchte nicht ins Haus, bringt mich zu Frederik. Er wird sie noch mal brechen müssen, die Knochen haben sich verschoben und dazu braucht er, aber auch ich, Ruhe!“


Travor blieb zurück und sah dem Auto nach, indem Bennet seinen Partner zum Arzt brachte.


„Kein großer Schaden, du hast Glück!“

Irritiert drehte er sich um und grinste dann. „Ich ersetz dir jeden Schaden. Ich weiß, es war respektlos, aber ich bin ehrlich, Aurelian war mir in dem Moment wichtiger.“

„Kann ich ja auch verstehen, aber deshalb musst du nicht mit meiner Maschine so umgehen. Dafür können Jannis und du, euch jetzt um die Beseitigung des Autos kümmern und ich informiere die Eltern und den Paten, der mir wahrscheinlich gleich den Kopf abreißt, weil wir ihm nicht Bescheid gegeben haben.“

„Schieb es auf mich, ich bade das dann aus.“ Travor zwang sich ein Lächeln ab und machte sich auf den Weg die Böschung hinab zum Auto.


Es hatte sie über zwei Stunden gekostet, das Wrack, was einst Williams Auto war, aus der Böschung zu ziehen und auf einem Schrottplatz ungesehen unterzubringen.

Bloß keine Spuren hinterlassen war das Motto und so kamen auch die jüngsten Krieger dazu, es zu lernen. Verschwitzt und erschöpft kamen sie daraufhin wieder im Haus an.

Travor hätte es ahnen müssen und doch gehofft, dass es nicht dazu kommen würde. Sean begrüßte ihn wie schon am Morgen mit einem Schlag ins Gesicht.

Das war eindeutig zu viel für ihn, worauf er den Vater seines künftigen Partners an der Kehle packte und gegen die Wand presste.

„Es reicht! Was auch immer du für ein Problem mit mir hast, schluck es runter. Ich habe bis heute deinen Sohn nicht angefasst, er ist nicht auf meine und ich nicht auf seine Energie angewiesen, was eindeutig darauf hinweist. Wenn du auf einen sauer sein willst, schau in den Spiegel!“

„Ich hab den Unfall nicht verursacht!“, röchelte Sean und versuchte sich aus dem eisernen Griff zu befreien.

„Nein, nicht nur du. Wir alle. Denn wir haben ihn angelogen, ihm etwas verheimlicht, was ihn betrifft. Und ehrlich, es ist mir langsam egal was du denkst, oder was du willst. Dein Sohn ist alt genug und wird seine Entscheidungen selbst treffen können. Was aus ihm und mir irgendwann wird, geht dich einen feuchten Dreck an.“ Mit diesen Worten ließ er vom Hals seines Gegenübers ab und verschwand die Treppen hinauf.

Er wollte seine Ruhe, nachdenken und bei Frederik anrufen.

Seine Sorge um Aurelian nahm ungewöhnliche Züge an, und obwohl er ruhig bleiben wollte, schaffte er es nicht. Der kühle, selbstbeherrschte, wenn auch junge Krieger bekam seine Gefühlswelt nicht mehr in den Griff.

Er legte sein Handy zur Seite und sich aufs Bett, so konnte er auf keinen Fall bei dem Arzt anrufen. Wie peinlich das werden würde, konnte er sich bildlich ausmalen und das gefiel ihm nicht.

Wann Travor die Augen zugefallen waren, konnte er nicht sagen, doch umso mehr genoss er den Traum.


Tief sahen sie einander in die Augen und suchten gegenseitige Nähe.

Wäre es nur immer so einfach!“, seufzte Aurelian und küsste Travor.

Ein wohliges Gefühl ereilte diesen. „Meinst du nicht, wir machen es uns unnötig kompliziert?“ Langsam fuhr Travor mit seinen Händen über den Körper seines Partners, ertastete die sanfte Haut unter seinen Fingern.

Ich weiß nicht, es geht halt nicht so einfach, das wissen wir beide!“ Ein unterdrücktes Stöhnen verließ Aurelians Kehle und er drückte sich den Fingern entgegen.

Wir wäre es, wenn wir die Diskussion beenden und unseren Traum genießen?“ Travor zwinkerte und vereinnahmte den verführerischen Mund, während seine Hände weiter wanderten und unaufhaltsam in der Hose seines Partners verschwanden. Er umfasste den Hintern und zog Aurelian auf sich drauf, um sich dann an ihm zu reiben.

Eine Antwort erhielt er nicht, stattdessen einen unvergesslichen Traum, in dem sich sein Partner ihm hingab. Es war nicht real und doch fühlte es sich so an. Travor vergaß, dass es ein Traum war und genoss es in vollen Zügen.


Schweißgebadet wachte Travor auf und schloss sofort wieder die Augen, das durfte alles nicht wahr sein. Das war ihm vor Jahrzehnten das letzte Mal passiert. Er hatte im Schlaf onaniert. Seine Hose klebte an seinem Unterleib und das Bad war quer über den Flur.

„Das Leben ist atemberaubend!“, raunte er und wünschte sich, dass es kein Traum gewesen wäre, sondern Realität, denn dann hätte er die Hose wenigstens nicht mehr angehabt.

Seufzend richtete sich Travor auf, entledigte sich seiner Kleidung, band sich ein Badetuch um und versuchte ungesehen ins Bad zu gelangen.

Doch in dem Haus war das ein Ding der Unmöglichkeit und so war es Ken, der seinen Sohn auf dem Flur aufhielt.

„Die Haare solltest du mit waschen. Ich dachte, du bist aus dem Alter raus, wo ich dir das sagen muss.“

„Ich bin auf dem Weg ins Bad, war noch nicht drin!“

„Ach so, soll ich die dreckige Wäsche mitnehmen? Wollte eh eine Maschine aufstellen.“

„Lass mal, ich kann das schon alleine, aber danke. Ich muss jetzt echt los, hab gleich Dienst!“

„In Ordnung und ich soll wirklich nicht ...“

Ein Blick reichte, damit Travors Vater verstand und schulterzuckend in seinem Zimmer verschwand.


Eine WG, als nichts anderes sah er das Zusammenleben mit seinem Vater, war schon etwas merkwürdig, wenn er ehrlich war. Manchmal wünschte er sich ein eigenes Zuhause, in welchem er keine Rücksicht nehmen musste. Wo keiner seine Sachen waschen wollte, auch wenn das eine nette Geste war, doch er hatte bald die 50 erreicht und war darauf nicht mehr angewiesen.


Kaum eine halbe Stunde später stand er in der Zentrale und löste Silas ab. Da es ruhig war, ließ er die Internetverbindung zum Arzt durchklingeln, wo auch sofort ran gegangen wurde. „Hallo Fred, ich wollte mal hören, wie es Aurelian geht.“

„Sehr gut, denke ich.“ Schmunzelnd sah Frederik hinter sich und stellte die Kamera so ein, dass diese auch den zukünftigen Arzt zeigte. Aurelians Wangen brannten regelrecht, so rot leuchteten sie.

„Wirklich alles in Ordnung? Er sieht aus, als hätte er Fieber. Vielleicht eine Infektion?“

„Nein, ausgeschlossen, er hatte lediglich einen ... nun etwas ...“

„Frederik, ich bitte dich!“, unterbrach da Aurelian mit aufgerissenen Augen.

„Was denn, er ist dein Partner, er wird es doch wissen dürfen, oder nicht? Ich meine, nicht jeder hat solche Träume, wo sogar der eigene Partner mitspielt.“ Von hinten traf den Arzt ein Kissen und sein Patient zog sich die Decke übers Gesicht. Travor grinste dagegen, irgendwie war es recht sympathisch, dass sie beide einen erotischen Traum voneinander hatten. „Sag mal Travor, solltest du nicht hier sein und die Heilung beschleunigen?“

„Da wir nicht gebunden sind und er es nicht möchte, sehe ich dazu keine Veranlassung.“

Frederik runzelte die Stirn. „Aber er trägt dein Tattoo!“

„Ich weiß, aber den Grund kann ich dir nicht nennen. Wir sind nicht aufeinander angewiesen, haben uns bis heute auch nicht berührt.“


„Auf mich möchte ja keiner hören, ich sagte dir, wie es kommt.“ Es war Amanda, die hinter Frederik auftauchte und ihre Arme um ihn legte. Travor lächelte der Partnerin des Arztes erfreut zu und fragte nach, was sie meinte. „Ihr beide kennt euch seit 30 Jahren, seid immer wieder aufeinandergetroffen. Ich schätze, dass eure Bindung etwas anders vonstattengeht, als eure Rasse es gewohnt ist.“

„Wie bei euch beiden?“

Es war schon ungewöhnlich, dass eine Hexe und ein Vitae essentia zusammengehörten. Sie hatten über zehn Jahre benötigt, um herauszubekommen, dass Amanda in ihrer Ahnenreihe einen ihrer Art hatte und sie dadurch wohl vom Schicksal an den Arzt gebunden worden war. Das Ungewöhnliche an dieser Bindung war, dass sie einander nicht brauchten, um zu leben, denn es fand keine Energieübertragung statt und trotzdem lebte der Arzt nun schon über 350 Jahre und es ging ihm gut.

„Nicht ganz. Ihr müsst etwas kontinuierlich teilen und ich schätze, es ist eine Welt, die keiner beeinflussen kann.“

Travor sah zu Aurelian, der die Augen verdrehte und heftig mit dem Kopf schüttelte. Dieser schien also nicht der gleichen Meinung zu sein, nun war Travor gespannt, was sich die Hexe dachte.

„Die Frage wird dir zu intim sein und trotzdem bitte ich dich um eine ehrliche Antwort. Hast du vor ungefähr einer halben Stunde von Aurelian einen erotischen Traum gehabt?“ Das war selbst dem taffen Krieger peinlich, die Röte kroch in seine Wangen, während er sich auf die Lippe biss. „Ich verstehe das als ein Ja. Gut und würdest du uns von diesem erzählen?“

„Mit Sicherheit nicht. Ich denke, das ginge nun wirklich zu weit. Aber verstehe ich dich richtig, dass du davon ausgehst, dass wir die Traumwelt teilen?“

„Ja, das denke ich und bin sogar recht überzeugt davon. Dort haben sich eure Seelen berührt, wodurch die Übertragung des Tattoos erklärt ist und doch seid ihr nicht wirklich gebunden, denn eure Körper haben den Impuls einer Bindung noch nicht bekommen.“


Travor atmete tief durch und beendete das Gespräch, nachdem er Amanda versprochen hatte, am Abend ins Haus des Arztes zu kommen. Seine Gedanken fuhren Achterbahn. Amandas Erklärung klang für ihn recht einleuchtend und doch wollte er sich nicht vorstellen, dass Aurelian immerzu das Gleiche geträumt hatte, wie er selbst. Das hieße nämlich nicht nur, dass sie erotische Träume geteilt hätten, sondern auch die, in denen sie einander an die Kehle gesprungen waren, wo Travor ihn immer wieder anschrie, sich von ihm fernzuhalten. Das schlechte Gewissen packte den jungen Krieger und er senkte beschämt den Blick.

Hoffentlich täuschte sich Amanda.


***


Aurelian wollte nicht mehr unter der Decke hervorkommen. Das war ihm alles so unheimlich peinlich. Allein der Gedanke, dass Amanda die Wahrheit sagte, ließ die Röte in seinem Gesicht intensiver werden. Bald würde auch noch Travor kommen, wie sollte er ihm in die Augen sehen, mit dem Wissen, dass dieser das gleiche erlebt hatte?

Obwohl, wenn er an den Traum vom Mittag dachte, würde es sicher sehr interessant. Würde Travor etwas dazu sagen? Ihn vielleicht danach fragen? Es blieb nun abzuwarten.

„Machst du dir Gedanken?“ Frederik trat ans Bett und zog die Decke zur Seite.

„Ein paar. Und, sind die Brüche nun in Ordnung so?“

„Ich hoffe, denn noch einmal möchte ich sie dir nicht brechen wollen. Ich habe noch nie jemanden hier liegen gehabt, der nicht einen Ton von sich gab. Doch so warst du schon immer.“

„Ich brauche meine Kraft für andere Sachen. Was denkst du, wie lange es dauern wird, bis ich wieder auf eigenen Beinen stehe?“

„Ohne Travor gute drei Wochen, mit ihm, weniger als fünf Tage.“

„Oh Gott 21 Tage ist lang, ich muss in der Klinik Bescheid geben.“

„Du hast schon gehört, was ich dir gesagt habe?“

„Durchaus, aber das ist keine Option, ich werde mich vorläufig nicht mit ihm binden, vor allem nicht, wenn lediglich zwei Beine der Grund dafür sein sollen. Außerdem war es wohl Glück, dass wir nicht gebunden waren, oder? Sonst wäre die Heilung schon weiter fortgeschritten gewesen.“ Mit diesen Worten wiegelte er den Arzt ab und sah zu, wie dieser mit hochgezogenen Augenbrauen die Brüche abermals abtastete.


Aurelian verkniff sich jeden Ton zu den Schmerzen, die durch das Abtasten verursacht wurden. Der Gedanke, noch drei Wochen so liegen zu müssen, war grausam, denn das hieße im Klartext, dass er zu seinen Eltern ziehen müsste. Wieder ins Haus des Königs, unter ständiger Beobachtung und Travor würde ihn sicher nicht besuchen dürfen. Zumindest nicht, wenn Sean nicht endlich einsah überzureagieren. Als dieser zur Mittagszeit kam und Aurelian bei ihm die Würgemale entdeckt hatte, war ihm alles klar gewesen. Er hatte seinem Vater klar die Meinung gesagt und dann hinaus schmeißen lassen. Das ging einfach alles zu weit. Man konnte über Travor einiges sagen, aber verkehrt war dieser mit Sicherheit nicht und wieso Sean was gegen Aurelians Partner hatte, war ihm absolut unverständlich. Es hätte ihn doch eindeutig schlechter treffen können und nun hatte er einen ehrenwerten Krieger, der einmal Bryce oder Williams Posten übernehmen würde. Was war daran nur verkehrt, dass sein Vater derart ausflippte?

Wenn er Amanda glauben durfte, war es wohl schlicht und einfach die Angst davor, seinen Sohn zu verlieren, ihn gehen lassen zu müssen.


Ganz in Gedanken versunken bekam Aurelian nicht mit, wie ihn Frederik wieder zudeckte und den Besucher herein ließ. Weiter an die Decke starrend erschrak er, als Travor in seinem Blickfeld auftauchte. „Hallo, ich hab dir etwas mitgebracht. Ben meinte, du isst die gerne!“ Dabei reichte Travor ihm eine Packung Kekse mit Schokoladenüberzug.

„Oh ja, mein zweiter Pate kennt mich eindeutig zu gut. Danke.“

„Gerne doch und wie geht es dir? Sind die Brüche gerichtet?“

„Ja, jetzt heißt es drei Wochen liegen, ist das zu fassen? Ich könnte schreien.“

Travors Gesicht näherte sich plötzlich, sodass Aurelian zurückzuckte. „Es kann auch in wenigen Tagen erledigt sein, sag nur ein Wort.“

Aurelians ganzer Körper fing an zu zittern, der Drang sich vorzubeugen und einen Kuss zuzulassen, war fast übermächtig, doch presste er sich in seine Kissen, schluckte heftig und sah seinem zukünftigen Partner tief in die türkisen Augen. „Ich werde drei Wochen schon überstehen.“

Travor nickte scheinbar verstehend und zog sich zurück. „Gut, wenn doch, sag Bescheid. Jetzt zu was anderem, das Gerede von unserer Traumwelt, meinst du wirklich da ist nichts dran?“

„Ich weiß es nicht. Aber wenn du vor kurzem geträumt hast, dass ich dir um den Hals gefallen bin und du mich angeschrien hast, dann ja.“ Das saß, Aurelian grinste, als er Travors Blick sah. Doch dann wurde ihm bewusst, dass der andere seine Aussage mit seinem Gesichtsausdruck bestätigte. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“

„Ich kenne diesen Traum, auch wenn ich ihn sehr seltsam fand. Oh Mann, und heute Mittag ...“ Sie sahen einander in die Augen und wussten, dass sie auch diesen Traum geteilt hatten. Travor zog die Brauen hoch, leckte sich über die Lippen und grinste. „Das war heiß.“

Aurelian lief schon wieder rot an und wäre am liebsten im Boden versunken. Wie konnte ihm Travor das antun? Wie konnte dieser so locker sein und das Ganze amüsiert abtun? „Auch wenn es das wirklich war, könntest du es unterlassen, derart zu grinsen?“

„Dazu sehe ich nicht wirklich einen Grund.“


Was hatte das Schicksal ihm nur angetan? Ergeben schloss er die Augen und atmete durch.

„Du machst es mir auch nicht leicht, nur zu deiner Information. Beweg dich jetzt keinen Millimeter!“

Aurelian blinzelte und sah direkt in Travors Augen. „Was wird das?“

„Ich stelle mir zumindest vor, wie es wäre, wenn du mich lassen würdest.“

Eine Gänsehaut erfasste Aurelian, als der Atem von seinem zukünftigen Partner über seine Wange strich. „Und das bringt dir was?“ Aurelians Atem ging nur noch stoßweise.

„Heiße Träume!“

Auch wenn er sich noch so oft sagte, dass Travor einen Scherz gemacht hatte, sagten ihm seine Augen etwas anderes. Der meinte das ernst und Aurelian wusste nicht so recht, ob er sich auf den Traum freuen sollte, oder lieber die Augen offen hielt und viel Kaffee trank.


Amanda kam kaum zehn Minuten später zu ihnen und unterbrach so Travors Annäherungen, wofür Aurelian mehr als dankbar war, denn langsam keimte in ihm der Wunsch auf, die Träume real zu erleben.

Doch die Hexe hatte nicht wirklich gute Nachrichten für sie. Nach einem Besuch beim König, wo sie Einsicht in alte Überlieferungen bekommen hatte, stellte sie fest, dass eine Bindung unumgänglich war. Diese würde sich sogar ohne eine Berührung irgendwann einstellen. Wie lange das dauern würde, konnte keiner sagen, dafür gab es solche Fälle zu selten. Meist bei Paaren, die seit frühster Kindheit beieinander waren, doch da war es früher oder später immer zu einer Berührung gekommen. Ihr Fall war da eher ein Einzelfall, oder nie dokumentiert worden. Ihrer Empfehlung nach, sollten sich Aurelian und Travor alsbald selbst dazu entschließen, die Bindung zu vollführen, bevor es zu einem rasanten Energieabfall kam, der sie das Leben kosten konnte.


Nach dieser Informationsflut ließ sie die zwei wieder allein. Schweigend saß Travor auf einem Stuhl neben dem Bett und Aurelian sah ihn fragend an.

„Ich denke ... Lass uns abwarten, aber immer in der Nähe des anderen bleiben. Sollten wir was merken, sind wir schnell beieinander und können handeln. Vielleicht auch nicht schlecht es auszureizen, so könnte man es dokumentieren und eventuell anderen helfen!“

„Okay.“ Aurelian wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Er fühlte sich überrannt. Irgendwann würde man ihnen die Entscheidung abnehmen, ob sie es nun wollten, oder auch nicht. Nichts mit über 300 Jahren Zeit.


Scheinbar bemerkte Travor, dass es Aurelian zu viel wurde und so verabschiedete er sich schon bald.

Dankbar rang sich Aurelian ein Lächeln ab und verabschiedete ihn damit. Er brauchte Zeit für sich und seine Gedanken, eventuell auch noch für etwas Schlaf, wobei er hoffte, dass Travor derweil seinen Verpflichtungen als Krieger nachkam. Doch diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung, denn kaum schlossen sich seine Augen, fand er sich auch schon vor Travor wieder.


Konntest du nicht auf Streife gehen?“

Da ich keinen Dienst habe, war dafür keine Notwenigkeit.“ Sanft streichelte Travor Aurelians Wange und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Außerdem genieße ich diese Zeit, wo ich dich berühren darf, ohne dass du mich abweist.“

Es ist ja nicht so, dass ich das nicht auch real genießen würde, doch ... ich weiß doch auch nicht, es ist so ein Gefühl in meinem Inneren, alles blockiert dann.“

Travor nickte verstehend, als sich plötzlich die Umgebung veränderte und sie sich an einem einsamen Strand wieder fanden. Er zog Aurelian mit sich auf den Sand und mit dem Rücken gegen seine Brust. „Wir sind noch jung, andere in unserem Alter machen sich über eine Bindung keine Gedanken und wir sind mittendrin. Deshalb mein Vorschlag es einfach laufen zu lassen.“ Diese Umgebung, das Rauschen des Meeres, die kühle Brise, die über ihre Körper strich, sorgte dafür, dass sich Aurelian entspannte.

Und was ist, wenn es uns das Leben kostet, weil wir doch nicht beieinander sind? Ich will nicht sterben.“

Das wirst du auch nicht, ich werde bei dir sein, immer. Also mach dir darum keine Gedanken und lass uns die Stunden hier genießen.“

Dachte Aurelian gerade noch, dass es Travor nur auf Sex abgesehen hatte, bekam er schon bald ein schlechtes Gewissen. Denn dieser hielt ihn einfach nur in seinen Armen und sprach mit ihm über ihr Leben. Belanglose Themen und doch fühlte es sich derart intensiv an, dass es Aurelian als einer seiner schönsten Begegnungen mit Travor verbuchte.


Am Morgen tauchte auch schon bald sein Vater auf, um ihn mit nachhause zu holen. „Dad, nur damit wir uns verstehen, ich komme nur mit zu euch, wenn du zulässt, das Travor kommt. Du kannst die Bindung nicht verhindern!“

„Ich weiß, deine Mutter hat mich gestern schon derart rund gemacht, dass ich eigentlich durch die Gegend rollen müsste. Du bist mein einziges Kind, dich loszulassen ist extrem schwer. Als würde es nicht reichen, dass du ausgezogen bist, muss ich mich seit 30 Jahren damit anfreunden, dass du der Partner eines Kriegers wirst. Der Gedanke ist schmerzlich, ich weiß auch nicht warum, doch irgendwie fühlt es sich so an, als würde ich dich jetzt endgültig verlieren.“

„Du bist verdammt gefühlsduselig, das ist peinlich.“

„Nun übertreib aber bitte nicht. Ich bin schließlich dein Vater und da darf ich auch mal etwas Herz zeigen“, nuschelte Sean verlegen. „Seit wann trefft ihr euch in der Traumebene?“

„Keine Ahnung, ich hatte immer mal wieder Träume mit Travor, aber ich wusste ja nicht, dass es was zu bedeuten hat. Ich dachte, es wäre eher, weil er so unfreundlich zu mir ist.“

Sean half seinem Sohn sich anzuziehen und hob ihn dann in den Rollstuhl, den Frederik rein brachte.

„Du hast aber jetzt nicht vor, doch Krieger zu werden?“

Aurelian sah seinen Vater überrascht an, diesen Berufswunsch hatte er mit sechs gehabt, aber sich dann schnell wieder für was anderes entschieden, wie es bei Kindern nun mal so war. „Nein, ich denke, Arzt gefällt mir sehr gut.“

„Das höre ich gerne. Dann lass uns heimfahren, deine Mutter wartet mit Pancakes, Kakao und viel mütterlicher Fürsorge auf dich.“

Aurelian verdrehte die Augen, na das konnte was werden. Mit neun hatte er einmal eine Erkältung, was Sarah wohl als eine der schwerwiegendsten Krankheiten sah, die es gab.

Wie sollte das erst jetzt werden, wo er wirklich was Ernsteres hatte? Und es ihn drei Wochen dazu verdonnerte, auf Hilfe angewiesen zu sein?

„Ich werde sie dir ab und an vom Hals halten können, keine Panik, und wenn Travor kommt, wird sie sich nicht dazwischen drängen.“

Da ahnte Aurelian etwas anderes, jedoch ließ er sich gerne überraschen und der Gedanke an Sarahs Pancakes trieb ihm das Wasser im Mund zusammen.


Kakao mit Marshmallows, Pancakes mit Sirup und Schokolade. Aurelian war im Himmel und genoss sein Frühstück in vollen Zügen. Auch die Aufmerksamkeit von William, Sean und Sarah war für ihn alles andere als unangenehm. Es war ein wenig wie früher, als er noch im Haus wohnte.

Sicherlich, es war eine schöne Zeit gewesen und er würde auch die nächsten Tage genießen, jedoch freute er sich auch auf seine eigenen vier Wände, wo er schalten und walten konnte, wie es ihm gefiel.


***


Travor haderte mit sich und zog zum dritten Mal seine Hand zurück, die auf dem Weg zur Klingel war. Wie oft er schon im Haus des Königs ein- und ausgegangen war, konnte er so nicht sagen, doch diesmal war er nicht wegen jenem da. „Reiß dich zusammen!“, mahnte er sich selbst und klingelte.

Ausgerechnet Sean riss die Tür auf und sah Travor mit einer versteinerten Miene an. „Hallo Trav!“

„Hey Sean.“ Eilig biss er sich auf die Zunge, um sein Gegenüber nicht zu fragen, ob dieser ihm noch mal eine reinhauen wollte.

„Lian wartet auf dich. Komm rein.“ Als Sean die Tür weiter aufzog und den Arm hob, zuckte Travor automatisch zusammen. „Ich werde dich nicht mehr schlagen und auch keine Vorhaltungen mehr machen, versprochen.“

„Ist das ein Friedensangebot?“

„Ja, so vom zukünftigen Schwiegervater zum zukünftigen Schwiegersohn!“ Sean lachte, während Travor die Augen verdrehte und verlegen wurde.

„Ist das jetzt die nette Art mich fertigzumachen?“

„Ja. Außer ich finde heraus, dass du meinen Sohn schlecht behandelst, dann werde ich wieder rückfällig. Sollte sich jedoch herausstellen, dass du uns als seine Familie akzeptierst, dann könnte ich ernsthaft nett werden.“

„Okay, damit kann ich leben. Zeigst du mir nun, wo ich Aurelian finde?“

Sean nickte und ging voraus. Seit drei Tagen hatten sie sich nicht gesehen, zumindest nicht real. Allein der Gedanke an die Träume ließ seinen Körper erschaudern. Aurelian hatte gestern Nacht die Führung übernommen und bewies somit, dass er alles war, nur sicher kein unerfahrener Jüngling.

„Ich lenk derweil meine Frau ab.“ Sean zwinkerte und verschwand, was Travor irritiert aus der Wäsche gucken ließ. Irgendwas hatte er sichtlich verpasst. Kopfschüttelnd drehte er sich zur Tür, wo Sean ihn allein gelassen hatte, und ging hinein. Aurelian saß vor dem Fenster und war in ein Buch versunken, was ihn schmunzeln ließ.

„Hallo?“

„Travor. Schön, dass du da bist.“ Eilig legte Aurelian das Buch zur Seite und ihm wurde ein strahlendes Lächeln geschenkt.

Wie gerne wäre er jetzt zu ihm gegangen und hätte sich einen Kuss gestohlen, so wie Aurelian es die Nacht mehrfach getan hatte. Doch so musste er sich mit einem Lächeln zufriedengeben und setzte sich ihm gegenüber. „Wie geht es dir?“

„Besser, die Knochen heilen, ich kann es spüren und die Schmerzen haben nachgelassen.“

„Das höre ich gerne.“ Ihre Blicke verankerten sich ineinander und sie spürten, wie sich das Verlangen nacheinander in ihnen ausbreitete.


„Frisch gepresste Limonade!“

Erschrocken pressten sich beide in ihren Stuhl zurück und sahen irritiert zu Sarah, die sie anstrahlte.

Das war eindeutig eine billige Szene eines Hollywoodstreifens, davon war Travor überzeugt.

„Mama, was wird das?“

„Ich wollte euch was zur Erfrischung bringen. Wie geht es dir, Trav?“

„Danke, sehr gut, Sarah, und dir?“

Diese schien die Frage als Aufforderung zu sehen, sich zu den zwei Männern zu setzen. Unbemerkt von ihr tauschten Aurelian und Travor einen Blick, der ihnen versicherte, lieber mit dem anderen allein sein zu wollen.

„An sich sehr gut. Aber es ist doch belastend, wenn der einzige Sohn derart verletzt ist. Er lässt sich ja auch so ungern helfen.“

„Er ist halt, wie er ist. Macht ihn aus. Wenn er dir zu anstrengend wird, kann ich ihn auch gerne mitnehmen. Die anderen wären sicher erfreut ihn zu sehen, allen voran Bennet!“

So unfreundlich es an sich war, konnte Travor Sarah nicht ansehen, versank lieber in den grünen Augen ihres Sohnes.

„So meinte ich das natürlich nicht. Wollt ihr Limonade?“
Dass sie nicht mit ihrer Hand zwischen ihnen herumwinkte, empfanden beide als Wunder.

„Danke Mum, aber im Moment habe ich keinen Durst. Travor?“
Auch dieser schüttelte lediglich mit dem Kopf, fuhr sich stattdessen mit der Zunge über die Lippen. Aurelian stockte der Atem, was ihn sichtlich amüsierte.

„Seid ihr euch sicher, ich habe jede einzelne Zitrone selbst ausgepresst. Probiert sie wenigstens mal, außerdem ist Flüssigkeit sehr wichtig, um gesund zu werden, Lian!“

„Mum, ich habe keine Erkältung oder dergleichen. Ich habe die Beine gebrochen! Ich danke dir wirklich für deine Mühe, aber wir sind wunschlos.“

„Versuchst du mich gerade galant rauszuwerfen?“ Sarah sah ihren Sohn entsetzt an.

„Um ehrlich zu sein, ja Mum. Oder gibt es einen Grund, wieso du nicht zu Dad kannst?“ Aurelian trennte seinen Blick von Travor und sah zu seiner Mutter.

„Natürlich nicht, ich dachte nur, ihr zwei seid froh, wenn ihr etwas Unterhaltung habt.“ Scheinbar wurde sie sich selbst bewusst, wie fadenscheinig ihre Erklärung war. „Nun gut, ich wollte sichergehen, dass ihr euch nicht gerade jetzt bindet, wo du noch so krank bist.“

Aurelian verkniff sich ungeschickt ein Lachen. „Dir ist schon bewusst, was du da gerade sagst, oder? Mir würde es augenblicklich besser gehen und in wenigen Tagen wüsste man nicht mal mehr, dass ich was gehabt habe. Aber zu deiner Beruhigung, wir haben es nicht vor.“

„Gut, ja also, ich muss noch mal in die Küche.“ Mitsamt dem Tablett und somit mit der Limonade verschwand Sarah aus dem Zimmer ihres Sohnes.

Prustend sahen sich Travor und Aurelian an und amüsierten sich noch eine weitere Stunde über den Auftritt von Sarah.


Travor sah auf die Uhr und seufzte zum gefühlten hundertsten Mal. Noch eine Stunde, dann würde er zum Haus des Königs fahren und Aurelian abholen, der nach der Untersuchung von Frederik, endlich wieder als geheilt galt. Er hatte ihn gebeten, ihn nachhause zu fahren, damit er endlich wieder seine Ruhe und Privatsphäre genießen konnte. Leichte Nervosität hatte Travor erfasst, denn sie wären das erste Mal wirklich alleine.

„Sollte ich mir Gedanken machen, was du mit meinem Patenkind vorhast?“

Grinsend sah Travor zu Bennet und streckte ihm die Zunge raus. „Mit Jannis habe ich schon trainiert und weitere Pläne stehen heute nicht an.“

„Sehr witzig und was ist mit dem anderen?“

„Das geht dich wiederum nichts an.“

„So, so. Und wie kommst du zu dem Irrglauben? Ich glaub, ich sollte mal William informieren, dass du solche merkwürdigen Ansichten vertrittst.“

Das war nicht fair und das wusste Bennet, denn diese Drohung hinterließ immer einen faden Beigeschmack. „Ich frag euch doch auch nicht, was ihr mit eurem Partner macht.“

„Richtig, aber du bist auch nicht sein Patenonkel. Also?“

Travor knickte ein, ließ grummelnd den Kopf hängen und seufzte schwer. „Ich bring ihn lediglich nachhause, mehr nicht. Wir haben nicht vor uns zu binden, in Ordnung?“

„Na dann könnte ich doch mitfahren.“

„Nein, erstens hast du Dienst und zweitens hat er mich gebeten ihn abzuholen und nicht dich.“

Bennet lachte und lehnte sich gelassen gegen die Wand. „Du hörst dich an wie ein bockiges Kleinkind.“

„Na und? Du dich wie ein überbesorgter Patenonkel. Aurelian ist 30 Jahre alt, ich bitte dich.“


Bennet hatte es geschafft, dass er sich beruhigt hatte und nicht mitbekam, wie die Stunde verging. Irgendwann würde er ihm noch seine Dankbarkeit zeigen, doch jetzt wollte Travor nur zu Aurelian.


Dieser wartete bereits an der Tür, neben sich seine Tasche und nickte gezwungen lächelnd zu seiner Mutter, die auf ihn einredete. Als er Travor entdeckte, griff er sich seine Sachen, drückte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange und sprang die Treppen hinab.

„Wärst du jetzt gestürzt, hätte ich dich berührt!“

„Glaub mir, ich wäre dir freiwillig um den Hals gefallen, um dem hier zu entkommen. Danke, dass du mich abholst.“ Aurelian beugte sich vor, was Travor dazu veranlasste zurück zu weichen. „Entschuldige, irgendwie ...“

„Gewohnheit, ich verstehe schon. Na dann sag mir, wo ich hin muss.“


So stellte sich Travor die perfekte Wohnung vor. Zwei Zimmer, eine geräumige Küche, ein gemütliches Badezimmer und als i-Tüpfelchen ein Balkon. „Ich zieh hier ein!“ Mit diesen Worten ließ sich Travor auf das Sofa fallen und verschränkte die Arme.

„Tust du das? Und was ist mit mir?“

„Hm, du darfst bleiben, scheinbar bist du gut im Haushalt.“ Schnell duckte sich Travor und entkam so dem Kissen, das Aurelian nach ihm warf.

„Ich werde sicher nicht deine Putzfrau spielen, aber einziehen darfst du gerne.“ Die Worte waren zu schnell ausgesprochen, als das Aurelian sie hätte zurückhalten können.

„Das Angebot behalte ich im Hinterkopf. Danke.“

Travor riss den Blick los, umso länger er in die grünen Augen sah, umso mehr verlangte es ihn danach, Aurelian zu berühren.

Es war eine Qual, sich so nahe zu sein, die Nächte gemeinsam zu verbringen und dann wach, sich nicht zu berühren. So schön die Traumwelt auch war, an die Realität kam sie mit Sicherheit nicht ran. Doch Travor hatte sich geschworen, diesen Schritt nicht zu machen, er würde die Bindung auf keinen Fall auslösen, das sollte Aurelian tun.


Die Zeit, die sie gemeinsam verbrachten, steigerte sich von Woche zu Woche. Ob nun bei Aurelian zuhause, oder im Haus der Krieger, man fand das Paar, was eigentlich noch keines war, nicht mehr getrennt voneinander.

Es brachte ihnen einige amüsierte Kommentare, manches Mal sogar genervtes Augenverdrehen, je nachdem in welcher Situation sie sich befanden.

Was zum Beispiel Jannis am meisten nervte, waren ihre Anwandlungen bei der Sitzwahl. So nah wie möglich, so weit entfernt wie nötig, um sich nicht zu berühren. Das hieß aber auch immer, dass sich noch ein Paar trennen musste und das waren meist Jannis und Quinn.

Amüsiert dagegen waren alle von den kleinen Racheaktionen der beiden, indem sie entweder Travor oder Aurelian ein Bein stellten. Natürlich immer so, dass sie zueinander fielen. Es war jedes Mal ein Drahtseilakt, dass sie einander nicht berührten und die darauf mahnenden Blicke, taten Quinn und Jannis mit einem Lachen ab.


Manchmal wünschte sich Travor, dass die Versuche Früchte tragen würden, denn es sah nicht so aus, als wollte Aurelian an der Situation etwas ändern. Sie scherzten miteinander, verbrachten ihre Freizeit zusammen und im Schlaf teilten sie mehr als eine intime Begegnung, die einer Folter gleichkam, dass er sich über Tag zurückhalten musste. Das schien Aurelian anders zu sehen, denn er wirkte mehr als nur entspannt, gelöst und fröhlich.

Langsam deprimierte es Travor und er wusste nicht, wie lange er das noch aushalten würde. Doch ein Blick in die Augen seines Partners reichte, um wieder Kraft zu schöpfen. Es waren so viele Versprechungen in ihnen, dass Travor nicht anders konnte, als zu warten.


***


Aurelian blickte über die Brücke und sah dem Wasser zu, das sich ruhig seinen Weg im Flussbett bahnte. Die Sonne war schon lange untergegangen und die Sterne breiteten sich am Himmel aus, was sich durch die Spiegelung der Wasseroberfläche zeigte. Es war ein traumhafter Anblick, der sein Herz berührte. Heute hatte er sein praktisches Jahr im Krankenhaus hinter sich gebracht und ab morgen würde Aurelian bei Frederik beginnen. Ein neuer Lebensabschnitt, wieder lernen bis zum Umfallen, denn bei ihrer Rasse war es doch viel schwieriger als bei den Menschen. Ob die wussten, welches Glück sie hatten?

Langsam glitten Arme um seinen Bauch, ein Kinn legte sich auf seine Schulter und der Duft von einem herben Aftershave drang zu ihm. „Was machst du hier?“

Die Aussicht genießen und auf dich warten. Ich rieche dich heute sogar, als wäre es real. Diese Träume werden immer intensiver.“

Dachte ich auch gerade, deine Haare haben was von Honig.“

Neues Shampoo, hat meine Mutter mir vorbei gebracht. Ich mag den Geruch.“

Du magst alles, was süß ist. Meinst du, es hat was zu bedeuten? Also, dass wir uns intensiver wahrnehmen?“

Langsam drehte sich Aurelian in Travors Armen um und hauchte ihm einen Kuss auf die leicht geöffneten Lippen. „Ich frag morgen Sarah. Hast du nicht Dienst?“

Der ist seit einer Stunde beendet. Es ist schön, dir endlich wieder so nah zu sein und nicht nur neben dir zu stehen.“

Oh ja, es ist berauschend, besonders dein Duft.“ Aurelian konnte sich nicht mehr zurückhalten, liebkoste den Hals seines Partners und ließ seine Hände unter dessen Shirt wandern.

Ich halte das nicht mehr lange aus, dich real nicht berühren zu dürfen.“ Travors Stimme klang rau und verlangend, was Aurelian erzittern ließ.

Dieser Mann kostete ihn seine ganze Zurückhaltung. Manchmal fragte er sich selbst, wieso er die Bindung nicht vollziehen wollte, doch irgendwas in ihm riet zu diesem Schritt. Es fühlte sich richtig an, auch wenn er die Worte seines künftigen Partners nachempfinden konnte.

Bald, das verspreche ich dir.“ Sie sahen einander in die Augen und genossen den Moment einzig mit verbundenen Blicken.

Welcher Aufruhr allein dieser Kontakt in ihnen auslöste, war für beide unfassbar. Es fühlte sich zu real an, als dass sie es wirklich als Traum abtun konnten. Ihre Seelen und Körper verlangten nacheinander, während sich Erstere durch den Blick und ihre Welt verbanden, suchten sich ihre Körper durch Nähe. Rieben aneinander und ließen keinen Fleck unberührt. Es schien als würden sie überflutet von kleinen Stromstößen, die sich durch ihre Adern brannten, doch nicht schmerzten. Sie gaben sich dem hin, genossen diese intensiven Gefühle und sich nahe zu sein, auch wenn sie genau wussten, dass es eigentlich nicht real war.


Schlagartig öffnete Aurelian seine Augen, ein Lächeln lag auf seinen Lippen, während die Vereinigung mit Travor sich allgegenwärtig in seinem Verstand zeigte. Eindeutig, sein Partner war ein gefühlvoller Mann, mit Händen so rau wie das Gemäuer eines alten Hauses. Eine Kombination, die ihn immer wieder faszinierte. Aurelian sah zu Uhr und wollte nicht glauben was diese ihm zeigte. Er hatte gerade zwei Stunden geschlafen und doch fühlte er sich, als wäre es ein halber Tag gewesen. Seit langem war er nicht mehr so ausgeschlafen und fit gewesen. So sehr er auch noch mal die Augen schließen wollte, war es unmöglich. Sein Körper schien sich bewegen zu wollen und so schwang er die Beine aus dem Bett. Auf direktem Weg öffnete er die Flügeltüren seines Balkons und trat hinaus. Der Mond stand in seiner vollen Pracht am Himmel und lockte Aurelian geradezu, sich anzuziehen und den Weg in den Wald einzuschlagen. Die Hexen würden sich dort einfinden, ebenso Amanda und sein Verlangen mit ihr zu reden, war gerade übermächtig.


Ungefähr zwanzig Hexen streiften durch den Wald und sammelten Kräuter, die sie auf einen großen Stein auf einer Lichtung legten. Man nickte Aurelian lächelnd zu, er war bekannt und angesehen. Nicht weil er der Sohn der rechten Hand des Königs war. Seinem Auftreten und der Ehrlichkeit seines Wesens schuldete er diese Anerkennung, wie die Hexen verlauten ließen. Eine der jüngeren wies ihm unaufgefordert den Weg zu Amanda, die mitten in der Lichtung stand und Blütenblätter von einem Kraut entfernte.

„Aurelian, was treibt dich zur schlafenden Stunde in den Wald?“

„Das Verlangen dich sprechen zu müssen. Ich möchte mehr erfahren über die Bindungen der Vitae essentia. Laut Gerüchten entstand sie durch einen Fluch einer der Euren.“

„Du willst also die Vergangenheit erforschen, steht nicht genug in euren Übertragungen?“

„Nein, leider nicht. Alles was ich weiß, scheint mir mehr einem Gerücht und Ammenmärchen zu entspringen, als der Wahrheit. Meinst du, du kannst mir helfen?“


„Das kann sie nicht!“ Eine alte, rau klingende Stimme mischte sich in ihr Gespräch. Sie kam aus der dunkelsten Ecke der Lichtung, wo eine alte Greisin ins Mondlicht trat. „Doch ich kann es! Willst du wirklich die Vergangenheit ergründen? Sie ist nicht immer so, wie wir sie uns wünschen und zeigt die Zukunft gleichermaßen!“

„Ja, möchte ich.“ Es war nicht Aurelian, der sprach, das war nicht nur ihm bewusst. Sein Innerstes verlangte nach dieser Auskunft und doch nahm man seine Bitte an. Vielleicht, weil es der ehrlichsten Art einer Bitte gleichkam, oder da die Zeit gekommen war, wo die Vergangenheit in die Zukunft getragen werden musste.

„Es dauert etwas, diesen Zauber zu entwickeln. Amanda, du solltest den König rufen, denn auch er wird sich dafür interessieren und du Aurelian, ruf deinen Partner herbei, denn es wird für ihn ebenso aufschlussreich wie für dich sein. Zudem werden wir sie benötigen, um die Verbindung herzustellen. Auch wenn die Hexen ihren Teil beigetragen haben, war es einst einer von euch, der es bewirkte.“


Während die Alte mitsamt der anderen Hexen alles vorbereitete, kümmerte sich Amanda darum, dass William kam und Aurelian rief Travor an.

Über eine Stunde verging, bis alles so war wie die Alte es aufgetragen hatte, dann setzte sie sich hin. „Wir müssen noch warten, der Mond ist noch nicht da wo er sein soll!“, informierte sie die Anwesenden.


William sah sein Patenkind fragend an und Aurelian erzählte. Dass nicht mal Amanda sich die Geruchsübertragung im Traum erklären konnte, war für ihn noch ein Zeichen das Richtige zu tun, er wollte wissen wie es zu der Bindung gekommen war. Hatten es wirklich die Hexen zu verantworten? War es eine Strafe für eine missachtete Liebe gewesen? Irgendetwas sträubte sich in ihm, dass er dieser geschichtlichen Übertragung glauben sollte.


„Ein Vitae essentia und eine Hexe, keine Rasse für sich.“ Die Hexe stand umständlich auf und griff nach William und Aurelians Hand. Drei Hexen, drei Vitae essentia fanden sich um den Stein ein. Dann sprachen die Frauen eine Sprache, die den Männern nicht bekannt war. „Ihr seid lediglich Besucher und so sehr ihr es euch wünscht, eingreifen könnt ihr nicht. Die Vergangenheit ist bereits geschrieben und darf, kann nicht geändert werden!“ Eine Anmerkung, die die drei Männer noch mit auf den Weg bekamen, bevor sich ein Nebelschleier über sie legte und alles vor ihren Augen verschwamm.


Schon bald fanden sie sich auf einem Feld wieder, um sie herum Gemäuer, die auf Zivilisation hinwiesen. „Früher hat man nicht gelebt wie heute. William, ihr solltet das noch wissen!“

„Gewiss, Miss?“

„Loredana!“

„Miss Loredana, jedoch bin ich in einer anderen Epoche geboren, das selbst mir dieser Zeitabschnitt fremd ist.“

Die Alte lachte. „Wo Ihr Recht habt. Wir befinden uns vor der christlichen Zeitrechnung der Menschen. Und genau hier begann alles!“

„Ihr wisst was passiert ist? Wieso erzählt Ihr es uns nicht einfach?“

„Ihr versteht das falsch. Ich weiß es nicht, ich spüre lediglich die Wahrheit in meinen Worten.“


Aurelian war fasziniert, es war wie eine andere Welt, in der sie sich befanden. Das Gemäuer schien einer Anbetungsstätte anzugehören, denn etwas abseits entdeckte er kleine Hütten mit Strohdächern. Tiere wurden in mit Zweigen geflochtenen Gattern verwahrt.

Plötzlich trat eine Frau aus einer der Hütten. Alt und gebrechlich schien sie und bewegte sich nur noch unter Schmerzen. Ihr Weg führte sie zu den Gemäuern.

Gemeinsam kamen die Besucher näher, um zu sehen was dort geschah. Abermals mahnte die älteste Hexe, besonders an Travor und William gewandt, dass sie nicht eingreifen konnten und es erst gar nicht versuchen sollten.

Doch bei Folgendem konnten sich die Krieger nicht dagegen wehren, dass sich ihre Körper anspannten und ihre Muskeln unkontrolliert zuckten.

Ein Vampir trat ins Gemäuer, direkt hinter die alte Frau. „Ihr seid die Opfergabe für diesen Monat?“ Sie schwieg und ließ sich stattdessen auf die Knie nieder und begann ein Lied zu singen. Leise und kaum verständlich vernahm Aurelian lediglich Wortfetzen von Vergebung, Erlösung und Liebe, die niemals verging. Da beugte sich das Wesen der Nacht vor und biss unvermindert zu.

Travor und William rannten los, bemerkten nicht einmal, wie sie durch die Wände liefen und wollten eingreifen, doch fassten ins Leere. Gemächlich ging die Hexe auf die beiden zu, schüttelte immer wieder ihren Kopf mit den grauen feinen Haaren und seufzte. „Ihr könnt nichts tun, das ist alles schon geschehen. Wie in einem Film, ihr seid lediglich die Zuschauer und nicht die Regie.“


Aurelian sah zu Amanda, die genauso schockiert wie er selbst schien. Was war das hier für eine grausame Welt, wo keiner eingriff?

Gerade als der Vampir die leblose Frau hochhob, trat eine weitere Frau aus der Hütte, wesentlich jünger, ohne Gebrechen.

„Unser Packt entspricht nicht dem was Ihr dort tut, Linus! Lasst den Köper meiner Großmutter runter und verschwindet.“

„Weibsvolk hat mich nicht anzusprechen!“ Zähnefletschend ließ er die Tote fallen und trat auf die Lebende zu. „Seid Ihr mein Nachtisch? Ich werde Euch genießen.“

„Apage!“, entkam ihrem Mund, ihre Hand schoss nach rechts und mit ihr der Vampir. Lächelnd trat sie auf ihn zu. Mit ihrem nackten Fuß auf seiner sich schwer hebenden Brust beugte sie sich hinab. „Legt Euch nicht mit mir an. Ich bin fähig Euch das Leben zu nehmen, wenn ich es wünsche. Ihr seid lediglich dazu da, unsereins den Tod ohne Schmerzen erleben zu lassen. Ihr dürft Euch nähren an dem der kommt, doch ist es Euch nicht gestattet, die Körper zu entwenden. Haben wir uns verstanden?“

Linus bäumte sich auf, warf die Hexe zu Boden, die jedoch weiter lächelte und lediglich ein Wort von sich gab. „Restare!“ Worauf er wie eine Salzsäule erstarrte.


Aurelian sah zu Amanda. „Eine mächtige Hexe?“

„Ja, nicht jeder kann derart befehligen. Ihr reicht ein Wort. Bewundernswert. Dazu noch auf Latein, mir ist gar nicht bekannt, dass es in der Sprache geht.“

„Latein ist eine Ursprache, Amanda. Das ist Dearbhla und ihr Name verrät ihre Daseinsberechtigung. Sie ist die Tochter des Schicksals, welches wir heute leben! Sie hat diesen „Fluch“, wie ihr ihn bezeichnet, mitzuverantworten.“


Dearbhla rief erneut “Apage“ und ließ Linus in den Wald verschwinden, als sie sich ihrer Großmutter näherte. Ihre vorher vor Arroganz geprägten Augen verschleierten sich und die ersten Tränen liefen ihr bleiches Gesicht hinab. „Ich war so nah dran, dir helfen zu können, hättest du mich nur gelassen.“ Ihr Kopf ruhte schon bald auf der Brust der Toten, während ihre stummen Tränen liefen.


„Ein Vampir?“

Erschrocken fuhren alle herum, keiner hatte mitbekommen wie ein Mann näher getreten war. William runzelte die Stirn. „Evan!“, hauchte er bald andächtig. „Das ist Evan Athol, ein König, der vor 2000 Jahren herrschte.“

„Das ist richtig, William, und er hat den Fluch, wie ihr ihn bezeichnet, zu verantworten!“

Evan kniete sich neben den leblosen Körper und blickte Dearbhla tief in die Augen. Es war ein Moment, der kaum zu beschreiben war und doch hatte ihn schon jeder von ihnen erlebt. Liebe hielt Einzug in die Herzen der zwei Geschöpfe.


Was dann passiert, erschreckte nicht nur die Hexe und den Krieger, nein auch die Zeitreisenden. Wie in einem Bann umfassten sich die Hände von Evan und Dearbhla. Ein gleißendes Licht umhüllte ihre Körper, während sich ihre Münder öffneten und Worte verlauten ließen, als wären sie nur von einem gekommen.

„Conducitur, quod separari non potest, coniunctum signo vaticini. Quod cum coniunctum erit, ne morte quidem seiungetur.“ Dabei erhielten ihre Handgelenke das Tattoo des Löwen.

„Es wird zusammengeführt, was zusammengehört. Wenn es einmal verbunden ist, wird es nicht einmal durch den Tod getrennt“, übersetze Amanda.

Kaum war es ausgesprochen, verschwamm ihr Blick in einem Nebel und sie befanden sich wieder auf der Lichtung.

Aurelian war schockiert, sah unverständlich die Hexen an. „Wir haben doch noch nicht alles gesehen.“

„Doch, junger Vitae essentia, das habt Ihr. Dieser Fluch, wie ihr ihn nennt, hat auch die unseren getroffen. Selten kommt es vor, dass sich unsere Rassen mischen, doch wenn, dann werden neue Zauber gesprochen, um den Bund zu bestärken. Die Erinnerungen verschwimmen, sodass kaum einer weiß, was passiert ist und doch ist das die Realität. Frederik und Amanda sind der Beweis, aus ihnen wird eine neue Generation an Seherinnen entstehen. So war es immer und wird es immer sein. Es ist kein Fluch, der uns heimsucht, es ist ein Bund, der die Zukunft sichert. Der unsere Rassen zusammenhält und für die nachfolgenden Generationen sorgt. Nur durch ihn leben wir länger, als es einst für uns vorgesehen war. Alles hat einen Sinn! Nicht auf jede Frage kann es eine Antwort geben, jedoch seid Euch versichert, dass auch euer Bund einen Grund hat. Ihr seid so jung, dass Euch das Schicksal Zeit lässt. Ihr dürft Zeit verstreichen lassen, doch die Ewigkeit ist für euch beide gedacht.“ Das lückenhafte Lächeln der Hexe traf Aurelian und Travor, die sich verlegen ansahen.


***


Es fühle sich gut an … das Wissen füreinander bestimmt zu sein und doch sah Travor die Ablehnung ihrer Bestimmung in Aurelians Augen. Was war an ihm nur so schlimm, dass sein Partner ihn nicht wollte? Nachts, in ihrer Welt ließ er ihn schließlich auch an ihn heran. Da war alles perfekt, wieso ging das nicht real?

Travor gab auf und verabschiedete sich lediglich mit einem Wink in die Runde, bevor er zwischen den Bäumen verschwand.

Wieso hatte ihn Aurelian hergerufen, wenn er doch nichts an ihnen verändern wollte? Oder war es das? Hatte sich sein Partner erhofft eine Antwort zu finden, um ihren Bund zu lösen? Dieser Gedanke traf den jungen Krieger tief in den Eingeweiden und setzte sich in seinen Gehirnwindungen fest.

„Wenn er das will, soll er zu spüren bekommen, wie es sein wird“, sprach Travor laut vor sich hin und schwor sich, nicht zu träumen. Egal was er dafür tun musste, er würde es schaffen und Aurelian das Gefühl vermitteln, welches er in sich trug. Einsamkeit!

Tränen liefen über seine Wangen, die er seiner Wut zuschrieb. Schließlich war Travor ein Krieger und weinte sicherlich nicht wegen der Zurückweisung eines Mannes, für den er sterben würde.


Zwei Tage hielt es Travor bisher aus, die Augen offen zu halten und auch wenn er seine Kräfte schwinden spürte, wollte er an seinem Vorsatz festhalten. Jegliches Gespräch, welches die Mitbewohner des Hauses mit ihm führen wollten, erstickte er im Keim. Auf Anrufe von Aurelian reagierte er erst gar nicht. Stattdessen gönnte er sich Freitag einen Abend in Dantes Club.

Alkohol, Frauen und keine Gedanken schienen die perfekte Mischung zu sein. Zum ersten Mal in seinem Leben ließ er sich von den weiblichen Vertretern aller Rassen umschwärmen und sogar anfassen. Jegliches schlechte Gewissen in seinem Inneren ertränkte er sofort, jeder Gedanke an Aurelian, versuchte er zu verdrängen.

Was sollte er auch einem Mann hinterher rennen, der nichts von ihm wissen wollte, dafür war das willige Weibsvolk zu präsent vertreten. Vielleicht würde sich eine dazu hinreißen lassen, ihn zu verführen. Wenn es dunkel genug war und sie nicht allzu fraulich gebaut, würde er es sicher schaffen, sie zu befriedigen.

Der Gedanke ließ ihn erschaudern und ein schlechtes Gewissen machte sich in ihm breit. Doch wie sonst sollte er sich Aurelian aus dem Kopf schlagen?


„Gar nicht, wenn du mich fragst. Versuch ihn eifersüchtig zu machen, er wird bald hier auftauchen.“ Überrascht drehte sich Travor zu William, der grinsend hinter ihm stand. „Aurelian ist jung, unerfahren und hat keine Ahnung wie es zwischen euch laufen soll. Sein Leben war bis vor kurzem klar strukturiert und nun muss er sehen, wie er alles unter einen Hut bekommt. Ich verstehe, dass es für dich schwer ist, das zu akzeptieren, vor allem, da es unsinnig ist. Ihr zwei passt zusammen, ergänzt euch und man spürt selbst von weitem die Zuneigung, die ihr füreinander empfindet. Du hast ihn bereits an der Angel, jetzt zieh ihn aus diesem Strudel der Verwirrung raus und halt ihn fest. Im Krieg und der Liebe sind auch unfaire Mittel erlaubt.“ Der König zwinkerte ihm zu, schlug ihm sanft auf die Schulter und ging an die Bar.

Der Rat des Königs hatte Gewicht bei dem jungen Krieger und so stellte er sich dementsprechend hin, um den Eingang im Blick zu behalten und trotzdem von den Frauen umgarnt zu werden.

Wie genau er es angehen sollte war ihm noch nicht klar, jedoch sah er sich dem König gegenüber, der eindringlich mit Aurelians Mutter sprach, die immer wieder grinsend nickte und zwinkernde Blicke zu Travor warf. Irgendwas sagte ihm, dass er mehr Hilfe bekam, als er für möglich hielt. Wieso, war ihm zwar rätselhaft, doch würde er sich dem nicht entgegenstellen.


Plötzlich nickte William zur Tür, sprach mit einer blonden, vollbusigen Frau an der Theke und grinste vor sich hin. Diese nickte kurze Zeit später und kam schnurstracks auf Travor zu, der sich am liebsten versteckt hätte, denn er ahnte, was ihm bevorstand und das gefiel ihm mitnichten. Die weichen Brüste der Frau drängten sich gegen seinen Oberkörper, ihre langen Fingernägel fuhren seinen Hals entlang, während sie ihn umgarnte. Zu viel Nähe, eindeutig zu viel von allem. Die Frau löste in ihm nicht das Verlangen aus, sich an sie schmiegen zu wollen, lediglich sein Fluchtinstinkt wurde durch sie aktiviert.

Doch ein Seitenblick reichte Travor aus, um dieser Situation nicht zu entfliehen. Aurelian hatte ihn sofort entdeckt, war schockiert stehen geblieben und starrte förmlich in seine Richtung. Was ihn dazu brachte, seinen Blick auf die Frau zu richten, auch wenn sie ihm eindeutig zu stark geschminkt war, und ihr süßlicher Geruch widerte ihn förmlich an. Was genoss er da Aurelians Duft, herb, frisch, wie der Wald nach einem Sommerregen.

Dessen Haut, die sich über die Muskeln spannte und sich perfekt an seiner anfühlte. Die Lippen, die ihn regelmäßig in seinen Träumen verführt hatten. Seufzend wandte Travor den Blick von der Frau ab und suchte Aurelian.

Der stand bei seinen Eltern, William und Bennet. Jeder der Lian wichtig war, schien ihm zur Seite zu stehen und Travor? Er stand alleine da, musste sich von dieser Frau anfassen lassen und hoffen, dass des Königs Plan aufging. Wehe wenn nicht, für diesen Fall schwor er sich, William das Gleiche anzutun.


Aurelian gestikulierte wild mit seinen Armen, sein Blick senkte sich immer wieder, um dann verzweifelt in Travors Richtung zu sehen. Es brach ihm fast das Herz, seinen Partner derart aufgelöst zu sehen, wollte schon die Frau wegschieben, als er Sam neben sich bemerkte. „Halte durch. Er kocht vor Wut und Verlangen, es dauert sicherlich nicht mehr lange.“

„Er sieht so verzweifelt aus, es ist nicht fair was ich hier mache.“

„Was er mit dir gemacht hat auch nicht. Er kann dich nicht nachts fordern und tagsüber auf Distanz halten. Du schaffst das!“ Mit diesen Worten verschwand Sam auch schon wieder und ließ ihn mit seiner neuen Freundin allein, die sich nicht abhalten ließ, ihre Fingernägel über seinen Körper wandern zu lassen. Das ging eindeutig zu weit, gerade als er ihr Einhalt gebieten wollte, wurde sie auch schon von ihm weggerissen.

Feurig trafen Aurelians grüne Augen auf ihn. „Das ist also was du willst? So ein billiges, künstliches Flittchen? Dafür lässt du mich allein? Ignorierst deine Müdigkeit und verzichtest auf Energie, wegen ihr? Bin ich dir so wenig wert? … Nicht einmal eine Antwort? Eine Reaktion? Verdammte Scheiße … das lass ich nicht zu, alles, aber das ...“, angewidert zeigte Aurelian auf die Frau, die grinsend da stand, „… sicherlich nicht.“ Mit diesen Worten griff er nach Travors T-Shirt und zog ihn zu sich.

„Wenn du das jetzt tust ...“

„Verhindere ich, dass du mit dieser … das ist es wert!“

Hart, rau und grob berührten sich ihre Lippen. Ein Stromschlag jagte den nächsten durch ihre Körper und sie blendeten alles um sich aus.

Es war atemberaubend, unvergleichlich, was dieser Kuss in Travor auslöste. Das übertraf jeden Traum, jede Vorstellung und wahrscheinlich würde er es niemals in Worte fassen können. Doch das brauchte er auch nicht, endlich hatte er das, was er sich so sehr wünschte. Aurelian gehörte ihm.


***


Immer noch brodelte die Wut in Aurelian. Das Bild dieser widerlichen Frau an Travors Körper hatte sich in seine Netzhaut eingebrannt. Die Worte seiner Mutter waren für ihn einleuchtend wie anwidernd gewesen. „Schatz, bitte versteh ihn. Du möchtest keine Bindung, doch er ist auch nur ein Mann, er braucht auch real Nähe und Zuneigung und solange du dich ihm verweigerst, wird er sie sich woanders holen.“ Was fiel seiner Mutter eigentlich ein, Partei für diesen untreuen Krieger zu ergreifen, das war nicht richtig.

Dafür fühlte sich die Nähe zu seinem Partner umso besser an. Aurelian ließ dessen T-Shirt los und umschlang seinen Nacken, um Travor noch näher zu ziehen. Was auch immer er tun musste, er würde seinem Krieger jede Frau aus dem Verstand schlagen, vögeln, wenn es sein musste sogar reiten.

Erschrocken über seine eigenen Gedanken, löste er den Kuss, spürte die Hitze in seine Wangen kriechen und biss sich auf die Unterlippe. Sachte fuhr Travor mit seinem Daumen darüber und brachte ihn dazu, seine Lippe nicht weiter zu malträtieren. „Nicht für sie habe ich dich, meine Müdigkeit, oder gar meine Gefühle ignoriert, sondern für dich. Damit du endlich einsiehst, dass es nicht schlimm ist, wenn wir uns binden.“

Entsetzen machte sich in Aurelian breit, er sah zu seiner Familie, zu seinen Paten und erkannte es in ihren Gesichtern. Sie hatten ihn hinterrücks ausgetrickst und er war darauf reingefallen. Ohne zu Travor zu gucken, streckte er seine Hand nach dessen Gürtel und zog seinen Partner mit versteinerter Miene aus dem Club.

„Aurelian? Es tut mir leid, aber ...“

„Du lässt dich von so einer anfassen … das heißt du brauchst eine heiße Dusche, denn so will ich dich nie wieder anrühren. Danach werde ich dir solche Ideen aus dem Kopf vögeln und reiten. DU gehörst heute mir!“

Travor fiel das Kinn hinab und ging sprachlos hinter ihm her. Genau das hatte Aurelian bezwecken wollen, denn jetzt musste er sich selbst mental darauf vorbereiten, seiner Androhung auch Taten folgen zu lassen.


Mit wild klopfendem Herzen, versuchte er souverän zu bleiben und sich nicht anmerken zu lassen, wie nervös er war. Travor wurde ins Bad geschoben, wo er sich widerstandslos ausziehen und unter die Dusche schieben ließ, bevor Aurelian ihm folgen konnte.

„Waschen!“, befahl er ihm mit belegter Stimme. In ihrer Traumwelt war der Mann schon unwiderstehlich gewesen, doch real übertraf er alles. Das Spiel der Muskeln bei jeder Bewegung heizte seinem Verlangen ein, Travor an sich zu ziehen und nie wieder gehen zu lassen. Die türkisen Augen faszinierten ihn enorm, noch nie hatte er solche zu sehen bekommen. Wann er sich dazu entschlossen hatte, Travor zu helfen sich einzuseifen, wusste er nicht, aber dessen Haut zu berühren, ließ ihn unwillkürlich aufkeuchen. Aurelian sah seinen Plan schwanken, denn nichts lieber hätte er jetzt gehabt, als dass Travor wie immer die Kontrolle übernahm. Doch der wartete ab, ließ sich berühren und verharrte mit dem Schwamm an seinem Hals, den er gerade wusch. Langsam glitt Aurelian an ihm hinab, bis er auf Knien direkt auf die Körpermitte seines Partners sah und angezogen von dessen Erregung, sich diese ohne Umschweife zwischen die Lippen führte.

Es kam einer Geschmacksexplosion gleich. Immer tiefer ließ er dessen Glied in seinen Rachen eindringen, um ihn dann fast ganz aus seiner Mundhöhle entgleiten zu lassen. Eindeutig, das war besser als jeder Traum, den sie geteilt hatten. Seine Finger gruben sich in Travors Hüfte, hielten ihn fest an der Stelle. Die Muskulatur versteifte sich und das Stöhnen wurde lauter.

Aurelian selbst spürte schon das Ziehen in seinem Unterleib und konnte sich nur schwer zügeln, Travor nicht die letzten Längen zu geben, um ihn ganz und gar zu schmecken.

Schwer atmend richtete er sich auf und sah in die lustverhangenen Augen seines Partners. Ihre Münder fanden sich, sanft und hingebungsvoll kosteten sie den anderen.

„Tu mir das nie wieder an“, bat Aurelian und streichelte Travors Wange.

„Was?“

„Solche Szenen mit einer Frau!“

„Welche Frau?“ Erleichtert lächelte Aurelian und forderte erneut einen Kuss, den Travor sofort intensivierte.

„Und ich soll dir glauben, dass du es so schnell vergessen hast?“

„Natürlich, vor allem da ich nicht weiß, wovon du redest.“

„Du gehörst heute mir und davon rücke ich nicht ab, ich sehe genau, dass du sie noch vor Augen hast!“

Der erregte Schauer und auch die Angst waren für Aurelian nicht zu übersehen, doch würde er nicht von seinem Plan abweichen, heute bestimmte er und sein Krieger hatte sich ihm zu fügen. Einmal würde er die Zügel in die Hand nehmen und seinen Wildfang bändigen, wie er es sonst mit ihm zu tun pflegte.

Sanft drängte er ihn aus der Dusche, wo sie sich gegenseitig abtrockneten. Einmal mehr war Aurelian froh darüber, seine eigenen vier Wände zu besitzen und keine Rücksicht nehmen zu müssen. Stattdessen führte er Travor nackt über den Flur in sein Schlafzimmer und drückte ihn auf das Bett. Kein Fleck von Travors Körper wurde von Aurelian unbeachtet gelassen. Jede noch so kleine Stelle mit Zunge und den Lippen liebkost, bis der Krieger nur noch zitternd auf der Matratze lag und um Erlösung bettelte. Sanft, fast zärtlich drückte Aurelian seine Beine auseinander, die sich automatisch etwas anwinkelten.

Es war die Verführung pur, die sich Aurelian präsentierte. Die Lippen befeuchtet arbeitete er sich an den Oberschenkeln entlang ins Zentrum seiner Begierde. Zuckend erwartete ihn die Öffnung. Sollte er es wagen, was Travor schon in manchen Nächten mit ihm gemacht hatte? Langsam glitt seine Zunge über den Schaft hinab zum zuckenden Muskel, der sich ihm so darbot. Es war ein schüchternes hinübergleiten, welches Travor ihm mit einem Zusammenzucken und Stöhnen quittierte. Mutiger geworden, glitt er ein weiteres Mal darüber, fester und mit mehr Druck. Ein Zittern erfasste seinen Partner, der sich ihm entgegen schob.

Nervosität und reines Verlangen ließ Aurelian handeln. Er benässte seine Finger, umfing die Eichel mit seinen Lippen und ließ die Fingerkuppen vorsichtig in Travors Inneres vordringen.


***


„Oh Gott!“, entkam es Travor, der nach Luft schnappte und sich gleichermaßen seinem Freund entgegen drückte, wie er sich den Fingern entziehen wollte. Zu ungewohnt war das Gefühl, fast schon schmerzhaft und doch wiederum elektrisierend, sodass er mehr verlangte.

Wieso hatte er die Führung nie Aurelian überlassen?, schoss es ihm durch den Kopf. Eindeutig hatte sein junger Partner mehr zu bieten, als seine volle Hingabe.

Schweiß lief über Travors Gesicht, war er in der Dusche schon kurz vor der Erlösung gewesen, kämpfte er jetzt nur noch um den letzten Anstoß. Jedoch wusste Aurelian sehr genau was er tat und verhinderte sein Kommen. Wie er das fertig brachte, war für Travor unerklärlich, doch einzig seinem Wunsch der Erlösung, waren die nächsten Worte zuzuschreiben. „Nimm mich!“


Mit verklärten Augen sah Aurelian auf, schob sich mit aller Geduld über ihn und verführte Travor zu einem langen Kuss.

Fast hätte er es nicht bemerkt, wäre nicht ein Brennen durch seinen Unterleib gezogen, was ihn schmerzlich nach Luft schnappen ließ. Aurelian hielt still, wartete ab bis er sich gefangen hatte, bevor er sich wieder zurück zog und abermals in ihn eindrang.


Das fühlte sich viel zu gut an, auch wenn es schmerzte. Es war wie der Himmel und die Hölle zugleich, zwischen ihren Sphären wankend gab er die Kontrolle ab, ließ sich fallen und wusste genau, dass ihn Aurelian festhielt.

Stromstöße wallten durch seinen Körper und verlängerten den Wunsch, seinen Partner in sich zu spüren. Sie gaben sich einander hin. Es schien schier endlos, eine Vereinigung, die sie bis hin zum Ende des Universums trug und dort begrüßte, um zu verweilen. Einzig sie beide zählten noch, ihre Verbundenheit, die weit über die der Körperlichkeit hinausging.

Ein Blick in die grünen Iriden von Aurelian zeigte Travor, dass auch dieser verstanden hatte, worum es bei dem Bund ging.

Nicht um ein längeres Leben, nicht um Energieaustausch, es war die wahre Liebe zweier Seelen, die weit über den Tod vereint waren. Ebbe und Flut, Yin und Yang, Tag und Nacht, alles gehörte unwiderruflich zusammen und so auch ihre Seelen.


„Nicht zwei, wir haben eine!“, flüsterte Aurelian, während er nach Travors Lippen verlangte und sie ein weiteres Mal in eine Welt tauchen ließ, die nicht einmal in ihren Träumen erreicht werden konnte.


Die alte Hexe sah mit einem fast zahnlosen Lächeln in ein Becken vor ihr, wo sie die letzten Stunden Aurelian und Travor beobachtet hatte. Die Geschichte der Krieger war geschrieben und würde sich endlos fortsetzen, doch die zwei Jüngsten im Haus würden mehr bewegen, als alle vor ihnen zusammen. Sie waren die Zukunft, die die Gegenwart und Vergangenheit zusammenführten. Wie es einst das Schicksal vorherbestimmt hatte, indem es ihren Rassen einen Fluch brachte, der keiner war. Und trotzdem würden es noch hunderte von Generationen so bezeichnen, bis sie die Wahrheit sahen, in den Augen ihres Partners, während sie in anderen Sphären schwebten.

 

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Text: Rigor Mortis

Korrektur: Brigitte Mel

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Klappentext: M.s.Kelts und Alexandra Jacob


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Cover: Rigor Mortis
Lektorat: Brigitte Mel Bernd Frielingsdorf und Alexandra Jacob Klappentext: M.s.Kelts und Alexandra Jacob
Satz: Nathan Jaeger
Tag der Veröffentlichung: 12.01.2021

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Widmung:
Für Manuel Der Drache kommt zwar ‚nur‘ als Tattoo vor, aber es ist einer. Danke, dass du immer da bist.

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