Stephan war fertig, die Feier bei Luc und John hatte eindeutig zu lange gedauert und war ausgeufert, doch er musste in die Werbeagentur, selbst wenn er nur Zeit für eine Dusche gehabt hatte. Nicht eine Minute Schlaf diese Nacht, dafür umso mehr Wein mit Beate Stone. Eine klasse Frau, wie er fand. Nicht sein Kaliber, aber sicherlich eine Traumschwiegermutter, Mutter und Ehefrau. Allerdings war ihr Sohn nun in festen Händen, eine klasse Story, über die er immer noch schmunzelte. So was konnte auch nur zwei heterosexuellen Männern passieren, die ganz plötzlich Gefühle füreinander entwickelten, wo sie sich doch schon Jahrzehnte kannten. Da war er auf der sicheren Seite, wusste er doch schon seit seiner hormongesteuerten Phase, dass er eindeutig auf das männliche Geschlecht stand. Daran war nichts falsch und das hatten seine Eltern zum Glück ebenfalls so gesehen, auch wenn er es nicht an die große Glocke hing.
Als Mitbegründer der Werbeagentur Black & White behielt er sein Privatleben für sich. Schließlich machte es keinen Unterschied mit welchem Geschlecht er sein Bett teilte. Als Webdesigner war er gut, sehr gut, wenn man seinen Kunden Glauben schenken wollte. Sein Geschäftspartner Christian White dagegen war ein erstklassiger Texter, brachte es fertig jedes Produkt an den Mann und an die Frau zu bringen. Dass sie nun zusammen diese Firma hatten, war dem Zufall zuzuschreiben. Ein glücklicher Zufall der ihnen einen lukrativen Job einhandelte, für einen Sportbekleidungshersteller. Christians Texte, und seine Bilder waren derart überzeugend gewesen, dass sie sich für die zwei Mittzwanziger entschieden hatten. Gewagt, doch sie hatten es nie bereut. Heute, drei Jahre später, lief das Geschäft so gut, dass selbst ausländliche Firmen auf sie zukamen. Eine davon wollte sich an diesem Tag ihre Entwürfe ansehen und da musste Stephan dabei sein. Denn auch wenn sein Geschäftspartner hervorragend texten konnte, vor fremden Menschen sprechen fiel ihm schwer. Das war somit seit jeher Stephans Job und damit kam er sehr gut zurecht.
Kaum hatte er die oberste Etage der Werbeagentur erreicht, stand auch schon Christian mit verschränkten Armen vor ihm. „Du siehst verdammt scheiße aus, um es nett auszudrücken.“
„Ja, entschuldige, es war eine harte Nacht. Gib mir noch zehn Minuten, dann wirkt dieses Anti-Augenringezeug und ich sehe aus wie frisch geboren.“
„In zwanzig sind die Kunden aus Großbritannien da, ich hoffe für dich, dass du dann fit bist.“
Abwinkend ging Stephan zur Kaffeemaschine und machte sich erst einmal einen Milchkaffee. Sein Geschäftspartner war manchmal einfach zu steif, eben typisch Hetero, wenn man ihn fragte. Stock im Arsch und fühlt sich gut dabei. Wahrscheinlich hätte Christian wirklich ein Problem mit ihm, wenn er herausfinden würde, dass er schwul war. Obwohl er es sich nicht so recht vorstellen konnte. Denn dieser hatte sich sofort am Geschenk für John und Luc beteiligt und mit netten Worten die Karte verziert. Wahrscheinlich schätzte er seinen Partner falsch ein, doch an sich war ihm das auch recht egal. Privat verband sie nichts und das würde sich wohl so schnell auch nicht ändern. Aus Höflichkeit hatten sie sich das erste Jahr zu Geburtstagen, selbst zu Weihnachten eingeladen, doch schon bald festgestellt, dass sie es beide nicht darauf anlegten, einen privaten Kontakt zu pflegen. Es reichte vollkommen, bis zu 16 Stunden am Tag gemeinsam zu verbringen, auch wenn es nur beruflich war.
Am Nachmittag war Stephan froh, in seinem eigenen kleinen Heim anzukommen. Ein kleines Haus, außerhalb der Stadt, welches mit seiner grünen Oase sein Ruhepol war. Workaholiker zu sein, empfand er als eine Sache, doch wenn er Feierabend hatte, dann richtig. Müde legte er die zu korrigierenden Seiten seines Layouts für die nächste Kampagne auf den Schreibtisch und schmiss sich regelrecht auf die Couch. Heute wollte er nichts hören und vor allem nichts mehr sehen.
Doch wie das so war mit guten Vorsätzen, irgendwer hatte etwas dagegen. Als er jedoch Annabell und Sandra vor der Tür sah, entlockte es ihm ein Lächeln. Seine besten Freundinnen seit zehn Jahren waren ein Vorzeigepaar und ausgerechnet die beiden hatten ihn vor nicht minder als neun Wochen gebeten, ihr Samenspender zu sein. Dass es wirklich beim ersten Mal geklappt hatte, schien einem Wunder gleichzukommen. Sandra war schwanger und strahlte regelrecht, auch wenn sie morgens an Übelkeit litt. So viel wollte Stephan zwar nicht wissen, doch als guter Freund und werdender Pate hörte er sich jede Erzählung an und kommentierte diese auch, wie man es von ihm erwartete.
Stolz überkam Stephan. Allein der Gedanke, dass dieses Kind sein Erbgut in sich trug, machte ihn für sich selbst nicht zum Vater, jedoch hatte er einen großen Anteil daran, dass es leben würde.
Er hoffte nur inständig, dass nie jemand auf die Idee kam, dem jetzt noch nicht lebensfähigen Wesen zu erzählen, wie es entstanden war. Röte schoss in seine Wangen, als der daran dachte. Stephan hatte sich in seinem Bett einen Porno angesehen und dabei mit einem Auffangbehälter darauf gewartet, bis sein Erbgut aus ihm heraus spritzte. Sandra und Annabell waren derweil im Gästezimmer und hatten sich ihre Zeit mit … Karten vertrieben, zumindest wollte er an nichts anderes denken, was die zwei Frauen getrieben haben könnten. Das Bett war nach der Einführung frisch bezogen worden und sie hatten gemeinsam gegrillt. Das musste nun wirklich kein Kind erfahren!
Obwohl er sich fragte wie es „normale“ Eltern ihren Kindern erzählten. „Dein Vater hat mich auf dem Küchentisch durchgenommen und dabei bist du entstanden!“, war sicherlich auch keine adäquate Erläuterung. Nun gut, damit musste er sich nicht befassen und vor allem nicht seine Zeit verschwenden. Es war mittlerweile Mitternacht, Sandra und Annabell daheim und er würde sich seinen wohlverdienten Schlaf gönnen. Morgen war Sonntag und der musste für die Überarbeitung des Layouts herhalten. Nächste Woche, nahm sich Stephan fest vor, würde er Sonntag ausspannen, ganz sicher!
Ein Jahr später
Stephan rieb sich abgespannt übers Gesicht und wünschte sich nichts sehnlicher, als endlich die nervigen Kunden aus dem Büro schmeißen zu dürfen. Doch das würde wohl nichts werden und dann stand auch noch eine Besprechung mit Luc Stone an, damit der Auftrag in den Druck kam. Die Zusammenarbeit mit der Druckerei Stone war wohl das Beste gewesen, was Black & White passieren konnte. Zwar waren diese teurer als ihre vorherige Druckerei, allerdings greifbarer und eindeutig besser. Natürlich war es nicht nur Arbeit mit einem seiner besten Freunde zusammen zu sitzen, doch da auch dessen Mann dabei war, würde es nicht ausbleiben, eben auch dieser nachzukommen.
Sein Lichtblick heute zeigte sich gerade auf dem Arm einer blonden Frau, an der Glasfront des Besprechungsraums. Annabell stand mit Susanna da und lächelte ihm entgegen. Sein Patenkind war mittlerweile fünf Monate alt und ein Sonnenschein. Sie hatte eindeutig seine blauen Augen geerbt, welche die beiden Mütter nicht vorweisen konnten, doch das störte keinen, weder ihn noch die Frauen selbst. Denn ebenso hatte das kleine quirlige Mädchen mittlerweile seine braunen Haare, seine Nase und seinen Eifer nach außen getragen, sodass er nicht abstreiten konnte, dass dieses wundervolle Wesen mit seinem Erbmaterial gezeugt worden war.
Christian gab ihm einen Stoß und nickte dann ihren Geschäftspartnern zu. „Nächste Woche werden wir Ihnen die ersten Probeläufe zuschicken, so wie Sie es gerne hätten!“
Scheinbar war Stephan wirklich nicht ganz bei der Sache gewesen, wenn sein Geschäftspartner das Sprechen übernommen hatte und sogar dafür gesorgte, dass sie eine Chance zum Einstieg in die Modebranche bekamen. Endlich aus dem gläsernen Besprechungsraum war Stephan auch schon bei seinem Sonnenschein, die ihn anlächelte und quietschende Geräusche von sich gab.
„Guten Tag ihr drei, schön dass ihr uns besuchen kommt“, erschien auch schon Christian bei ihnen, der sich seit Susannas erstem Auftauchen in der Agentur fasziniert gezeigt hatte. Doch verbesserte das kleine Wesen dessen Laune, die seit mehr als einem halben Jahr am Siedepunkt zur Explosion lag. Wieso wusste Stephan nicht, nachfragen kam nicht wirklich infrage, schließlich gingen sie privat nicht die gleichen Wege. Mit einem geschenkten Keks in der Hand strahlte seine Susanna nun den Blondschopf neben ihm an. Ein brodelndes Gefühl breitete sich in Stephan aus, was er nicht zuzuordnen wusste. Vielleicht verbot er sich auch einfach, an Eifersucht zu denken und bezeichnete es innerlich als Missfallen. Schließlich teilten sie nichts Privates, wieso also musste Christian nun dabei sein, wenn seine Susanna da war?
„Wenn du ihn weiter so ansiehst, stirbt er noch. Was ist los?“ Mit diesen Worten zog Sandra ihren besten Freund zur Seite.
„Was will er denn bei Susanna, sie geht ihn gar nichts an, also was soll der Quatsch, sonst interessiert ihn mein Privatleben doch auch nicht!“
„Meine Güte, vor über drei Jahren habt ihr beschlossen, eure Zusammenarbeit auf das Geschäftliche zu beschränken, wobei ihr zu dieser Zeit nicht wirklich ein Privatleben hattet. Und nun kreidest du ihm an, dass er Susanna süß findet? Du verhältst dich lächerlich.“
„ICH verhalte mich lächerlich? Das muss ich mir nicht anhören.“
Sandra hielt ihn sanft an der Hand fest. „Doch, musst du, ausnahmsweise. Und weil ich deine Freundin bin, wirst du mir jetzt zuhören. Ich weiß nicht, was in dich gefahren ist, seit Susanna da ist, aber ich schätze stark, dass es Vatergefühle sind, die du nicht wahrhaben möchtest. Annabell und ich haben damit gerechnet und das ist vollkommen in Ordnung.“
„Unsinn!“, wischte Stephan diese Behauptung zur Seite.
„Wie du meinst, du blockst gerade und ich werde jetzt nicht mit dir streiten. Eher wollte ich dich fragen, ob du am Samstag Susanna nehmen würdest. Wir haben Jahrestag und ich würde Annabell gerne überraschen.“
Grummelnd nickte Stephan und ließ seine Freundin stehen, bevor er zurück zu Susanna ging, um sich noch zehn Minuten mit ihr zu beschäftigen. Dann tauchten auch schon John und Luc auf, die sich ebenso ein paar Minuten mit dem Sonnenschein gönnten, ehe es ans Geschäftliche ging.
Stephan war nicht ganz bei der Sache, überließ es Christian mit John und Luc die Einzelheiten zu besprechen, während er selbst sich Gedanken um Sandras Worte machte. Vatergefühle, wie kam sie nur darauf? Seine Arbeit war nun mal anstrengend und die Auszeiten, die er sich dank Susanna nahm, waren erfüllend und entspannend, natürlich schätzte er es nicht, wenn sich da einer in seine Zweisamkeit mit der Kleinen reindrängte. Das hatte mit Sicherheit nichts mit Vatergefühlen zu tun, auf keinen Fall. Oder wenn, dann nur gering, ja gering, damit konnte sich Stephan anfreunden. Schließlich war er der biologische Vater und die Natur sorgte eben für so manche merkwürdige Gefühlslage, dafür konnte er ja nichts.
Seine Gedanken beiseite schiebend sah er zu den drei Männern am Tisch, die sich flüsternd zueinander gebeugt hatten. „Chris ist nicht schwul, da könnt ihr ihn noch so bezirzen“, zwinkerte er und verkniff sich ein Lachen. Etwas irritiert nahm er dann den Blick zwischen John und Chris wahr, wobei sein Geschäftspartner mit den Schultern zuckte und einem Kopfschütteln die nicht gestellte Frage beantwortete. Wären sie Freunde, hätte Stephan jetzt interessiert um was es ging, doch weder konnte er das von Chris, noch wirklich von John behaupten. Sein Freund am Tisch war Luc und den würde er sicher nicht gegen beide eintauschen. Luc war besonders, zurückhaltend und aufdrehend zugleich. Immer mit einem Lächeln im Gesicht, welches einem den Tag retten konnte und sah verflucht gut aus. Hätte Stephan vorher gewusst, dass sein angeblich heterosexueller Freund auch Männern nicht abgeneigt war, er hätte ihn verführt, es zumindest versucht. Doch irgendwas sagte ihm, dass es nichts genutzt hätte, denn selbst nach über einem Jahr lagen mehr erotische Phantasien in Luc und Johns Blickwechsel, als in einem erstklassigen Porno. Da konnte einen schon der Neid heimsuchen.
Stephan fragte sich, wann er das letzte Mal Sex gehabt hatte … und auch nach mehreren Minuten wollte ihm lediglich seine Hand einfallen, die ihm immer zur Seite stand, hing, behilflich war. Vielleicht sollte er sich wirklich mal wieder einen Besuch im Club gönnen, ein kleines Intermezzo im Darkroom war zwar nicht gerade berauschend, aber befriedigend. Wäre da nicht das Problem, dass es ihm an Zeit fehlte und am Samstag, hatte er eindeutig was Besseres vor, als sich von irgendeinem Kerl nehmen zu lassen.
Doch dafür war nun wirklich keine Zeit, die Arbeit häufte sich auf seinem Schreibtisch und wenn er den Samstag Susanna widmen wollte, dann musste er sich ranhalten. So fiel auch eine längere Unterhaltung flach, denn es zählte für Stephan nur noch eins, seine Arbeit zu erledigen, um das Wochenende frei zu haben.
Dass sich irgendwann am Abend Christian zu ihm gesellt hatte, fiel Stephan erst gar nicht auf, bis sich dieser räusperte. „Wir müssten noch durchsprechen, wie das mit dem neuen Auftrag laufen soll.“
„Okay und das muss heute sein? Können wir das nicht auf Montag verschieben?“
„Wegen mir auf Samstag, aber Montag sollten wir die ersten Probedrucke versenden, wenn sie pünktlich ankommen sollen.“
„Da habe ich keine Zeit, der Tag gehört Susanna!“
„Ich weiß ich bin indiskret, aber wenn ich mich nicht ganz täusche, ist sie deine Tochter.“
„Das ist sehr indiskret! Ich bin lediglich mit meinem Erbgut an ihr beteiligt, Eltern sind Annabell und Sandra.“
„Egal wie du es bezeichnest, sie tut dir gut. Es freut mich für dich, dass du dein Privatleben wieder entdeckt hast!“
Stephan konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen und senkte verlegen den Blick. „Dafür scheint deins momentan brach zu liegen, wie es mir scheint und wenn ich ebenso indiskret sein darf.“
Christian seufzte und nickte gedankenverloren. „Hat nicht sollen sein. Wenig Zeit und wohl zu wenig Gefühl. Ich hab da was verwechselt, eindeutig.“
Zum ersten Mal innerhalb von vier Jahren, sah Stephan seinen Geschäftspartner genauer an, der ihm gegenüber saß und dessen Schmerz in den Augen zu lesen war. Automatisch griff er über den Tisch zu dessen Hand und drückte sie kurz. „Schmerzt trotzdem, verständlich. Die Richtige kommt schon noch. Glaub nur dran.“ Damit reichte es dann auch schon an privaten Gesprächen, eilig wechselte er das Thema. „Es geht um Alltagsmode für Männer, korrekt?“
„Richtig, wir wollen sie bewerben, als sei es das einzig Wahre für den Mann!“
Beide sahen sich die Bilder der Modeagentur an und schüttelten ergeben den Kopf. Ihre Mode war alles, jedoch nicht alltagstauglich, zumindest nicht so, wie sie dort präsentiert wurde. „Würdest du hier einen Rock tragen?“
„Mit Sicherheit nicht. Ich weiß, dass sie durchaus männertauglich sein können, aber für mich wäre es nichts. Müsste ich mir ja meine Beine rasieren!“
„Oh Gott, da würde ich niemals zum Ende kommen.“
Beide lachten und fingen an, ihre Ideen auf Papier zu bringen.
Die letzte Sicherheitsabdeckung für die Steckdose befestigend grinste Stephan vor sich hin. Selbst wenn Susanna noch nicht krabbeln konnte, geschweige denn sich fortbewegen, ging er lieber auf Nummer sicher. Heute hatte er die Verantwortung und das zum ersten Mal seit Susannas Geburt, was sein Herz zum Pumpen brachte. Eilig schaute er noch in der Küche nach, ob auch wirklich alles da war. Gläschen, Sorten die Annabell empfohlen hatte, Windel lagen inklusive feuchten Tüchern bereit, auch wenn er sich fragte wozu er die extra kaufen musste, ob es die Papierhandtücher auf der Rolle nicht auch taten? Fläschchen und Milch würden die Mütter ihm mitbringen. Kekse hatte er bereits im Schrank deponiert. Ja alles war vorbereitet und es war gerade sieben Uhr morgens! Susanna würde erst in einer Stunde gebracht werden und dann war sie ganz sein. Für fast einen Tag und er würde sie mit niemandem teilen. Sein Dauergrinsen verschaffte Stephan ein Ziehen in seinen Wangen, aber das war es ihm eindeutig wert.
Pünktlich standen Sandra und Annabell vor der Tür und ebenso auch Stephan, der ihnen seinen Sonnenschein aus den Armen nahm, sich die Tasche schnappte, aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie man ihm den Kinderwagen ans Haus stellte und schon einen Abschiedsgruß auf den Lippen hatte, als er ihre konsternierten Gesichter sah. „Was?“, fragte er kritisch.
„Willst du uns nicht einmal reinbitten?“
„Wieso? Ich dachte ihr wolltet euren Jahrestag feiern, also könnt ihr auch gleich fahren!“ Stephan verstand ihre Logik nicht, hatten sie ihn nicht extra darum gebeten, die Kleine schon morgens zu nehmen, damit sie bis abends Ruhe hatten? Wieso also wollten sie noch reinkommen?
„Okay … dann wünschen wir euch beiden einen wunderschönen Tag!“
„Werden wir bestimmt haben, bis heute Abend!“ Schon war Stephan im Haus verschwunden, machte die Tür hinter sich zu und stellte die Tasche ab. Susanna sah sich mit großen Augen um und zum ersten Mal wurde er nachdenklich. Was, wenn die Kleine gar nicht bei ihm sein wollte? Nicht schlief, nur schrie? Was sollte er dann machen? Ein griff an seinen Bart, brachte seine Aufmerksamkeit wieder in das strahlende Gesicht von Susanna, die quietschend auf seinem Arm zappelte. Es würde gut gehen, irgendwie würden sie zwei es schon hinbekommen.
Am Nachmittag stand Stephan seufzend in der Fußgängerzone und besah sich sein weißes Hemd, das langsam bunt wurde. Dabei hatte die Kleine lediglich ein Bällchen Eis, ein Stück Schokolade und zwei Kekse bekommen. Woher kamen um Gotteswillen die grünen Streifen an seiner Hemdseite? Und das Rot an seinem Hemdrücken, den er durch Zufall in der Spiegelung eines Schaufensters wahrgenommen hatte. Er wollte es nicht wissen, gab es auf, sich darüber Gedanken zu machen. Woher auch immer, die Reinigung würde es sicher wieder sauber bekommen.
Dann verschlug es Stephan den Atem. Er kniff die Augen zusammen, rieb sie, doch das Bild, das er zu sehen bekam, verschwand nicht. Seine Hände umfassten die Griffe des Kinderwagens bis seine Knöchel weiß wurden, der Anblick war schockierend.
Christian mit Frau und zwei Kindern!
Seit wann hatte sein Geschäftspartner eine Familie? Enttäuschung machte sich in Stephan breit, die er sich selbst nicht erklären konnte. Doch dass er so wenig über seinen Partner wusste, selbst Kinder vor ihm verborgen geblieben waren … und hatte Chris nicht vor ein paar Tagen erst gesagt, dass seine Beziehung den Bach runter gegangen war?
Sein Starren blieb nicht unbemerkt, die blonde Frau neben seinem Geschäftspartner machte auf ihn aufmerksam. Christians Kopf drehte sich langsam in seine Richtung und dann trafen sich ihre Augen. Lächelnd kam sein ehemaliger Kommilitone auf ihn zu. „Oh Mann, das sieht aus, als hättest du einen harten Kampf hinter dir.“
„Nicht wirklich, nur Susanna!“, flüsterte Stephan und sah auf die Frau, die Christian mit beiden Kindern gefolgt war.
„Hallo, ich bin Lisa, Christians Schwester“, reichte sie ihm die Hand.
„Angenehm, Stephan Black, sein Geschäftspartner“, erwiderte er ihre Begrüßung und schämte sich innerlich für sein dummes Gefühl.
„Ach, von Ihnen habe ich schon eine Menge gehört. Ebenso ein Workaholiker wie mein Bruder.“ Lisas Aufmerksamkeit wanderte zu Susanna. „Du bist aber eine Hübsche, ganz der Papa.“
Christian unterdrückte sichtlich ein Lachen, während Stephan sich fragte, wie er jetzt reagieren sollte. Er hatte noch nie etwas für Frauen übrig gehabt und ihre netten Worte meist sogar ignoriert, doch nun stand er der Schwester seines Geschäftspartners gegenüber und wollte sie mit Sicherheit nicht vor den Kopf stoßen.
„Lisa, er wird auf deine Avancen nicht eingehen und gerade ist er damit auch schlicht überfordert.“
Ihr Lächeln erfror kurz, dann seufzte sie theatralisch. „Ist doch immer das Gleiche. Die besten Männer sind entweder vergeben, oder nicht an Frauen interessiert. Nun ja, sei es dem Mann vergönnt, der an Ihrer Seite ist“, lächelte sie.
„Ich bin Single…“ Die Begegnung wurde Stephan zusehends unangenehmer. Woher wusste Chris, dass er schwul war? Wann hatte er sich verraten? Doch gerade als sich Lisa abwendete und den Kindern folgte, sah Chris ihn seufzend an.
„Entschuldige, aber meine Schwester ist vor einem Jahr von ihrem Mann verlassen worden und nun sucht sie einen neuen.“
„Schon okay, aber woher…“
„Du hast nie ein Geheimnis daraus gemacht. Ist es dir unangenehm, dass ich es weiß?“
„Nein, eigentlich sogar egal, doch dass du es so locker nimmst, hätte ich nie erwartet.“
Stirnrunzelnd legte sein Geschäftspartner den Kopf schief. „Du hältst echt so wenig von mir? Wow, damit habe ich wiederum nicht gerechnet. Ich wusste ja, dass mir eine recht konservative Art nachgesagt wird, aber dass ich auch als homophob gelte, war mir neu und würde sicher nicht zu mir passen!“ Damit wandte sich auch Christian ab und verschwand mit seiner Schwester zwischen den Menschen auf der Einkaufspassage.
Stephan sah zu Susanna, die halb schlafend im Kinderwagen lag. Es war wohl das Beste, nun heimzugehen, vor allem da er das Gefühl hatte, als würde das Hemd bald mit seiner Haut verschmelzen. Das dumpfe Pochen in seinem Kopf schob es zur Seite. Wieso musste ihm auch gerade jetzt sein Partner begegnen und er in ein Fettnäpfchen stolpern, was ihm ein schlechtes Gewissen einbrachte? Der Mittag verlief ja beinahe „berauschend“, da konnte der Abend nur besser werden, ging Stephan augenverdrehend durch den Kopf.
Wie recht er damit hatte, wurde ihm um acht Uhr abends bewusst und er wünschte sich, das nie gedacht zu haben.
Seit zwei Stunden wartete Stephan bereits auf Annabell und Sandra, die nicht einmal angerufen hatten, was mehr als ungewöhnlich für die zwei pflichtbewussten Frauen war. Langsam wurde er unruhig, doch zum Glück schlief Susanna tief und fest in ihrem Kinderwagen. Sie in sein Bett zu legen, war ihm nach langer Überlegung dann doch zu unsicher gewesen.
Als es gegen neun an der Tür klingelte, legte er sein Handy zur Seite und war erleichtert. „Na endlich, ich dachte schon, euch sei was passiert …“ Seine Ansprache blieb ihm im Halse stecken, als er die uniformierten Polizisten erblickte. „Guten Abend“, brachte er gerade so mit belegter Stimme heraus.
„Guten Abend, Sie sind Mister Stephan Black?“
„Das ist korrekt.“
„Kennen sie Annabell Selver und Sandra Gregorius?“
„Ja, das sind meine besten Freundinnen und die Mütter meiner Tochter Susanna.“ Stephan wurde schlecht, eine üble Vorahnung suchte ihn heim und er betete zum ersten Mal in seinem Leben, dass er sich täuschen mochte.
„Dann sind wir richtig. Mister Black wir müssen ihn leider mitteilen, dass es zu einem schweren Unfall kam, bei denen Miss Selver und Miss Gregorius ums Leben kamen.“
Stephan wurde schlecht, er suchte Halt am Türrahmen und schloss die Augen. Ein schlechter Witz … natürlich, das war ein makabrer Witz von Annabell und Sandra, die hatten schon immer einen schwarzen Humor. Doch als er die Augen wieder öffnete, sah er sich abermals den Polizisten gegenüber, die ihn betroffen ansahen. „Ein Scherz?“, entkam es Stephan hoffnungsvoll.
„Es tut uns leid, Mister Black.“
„Wie?“
„Auf einer verlassenen Landstraße hat ein Fahrer die Kontrolle über seinen Lastwagen verloren und sie frontal gerammt. Wenn es sie beruhigt, sie haben nicht gelitten.“
Das beruhigte Stephan keineswegs, sein Blick wanderte zu Susanna, die weiterhin friedlich im Kinderwagen schlief. „Ich muss mich um Susanna kümmern“, entkam ihm sein Gedanke, was die Polizisten zum Nicken brachte.
„Morgen wird der ansässige Seelsorger vorbei kommen und mit ihnen alles weitere besprechen.“
Stephan nickte ebenfalls und schloss die Tür. Vorsichtig hob er Susanna aus dem Kinderwagen, legte sich mit ihr ins Bett und weinte stille Tränen. Innerlich hoffte er immer noch auf einen Witz, einen bösen Traum. Doch die Schmerzen in seinem Herzen wurden von Minute zu Minute stärker, dass er bald einsehen musste, dass ihm die Realität gerade versuchte, das Genick zu brechen.
Die Nacht verlief schlaflos und auch Susanna schien bemerkt zu haben, dass etwas nicht stimmte. So saßen Stephan und sie seit drei Uhr in der Nacht auf dem Sofa und sahen eine Dauerwerbesendung. Bis die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne ihre Gesichter trafen. Immer noch paralysiert von der Nachricht des Abends, griff Stephan zum Telefon und wählte Lucs Nummer.
„Stone, am Sonntagmorgen um sechs Uhr“, ertönte die verschlafene Stimme seines Freundes.
„Hey, hier ist Stephan. Hat heute irgendwo ein Möbelgeschäft auf?“
„Was?“ Im Hintergrund hörte Stephan etwas rascheln und einen verschlafenen John murren.
„Ich brauche dringend Möbel für Susanna, oder ein Bett, weißt du wo ich das noch heute her bekomme?“ Das war ihm siedeheiß eingefallen, als der kleinen die Augen in der Nacht immer wieder zugefallen waren.
„Es ist Sonntag, heute haben keine Geschäfte auf, aber wieso brauchst du Möbel?“
„Sandra und Annabell sind … sie kommen nicht wieder und irgendwo muss die Kleine doch schlafen, oder nicht? In meinem Bett geht das nicht, ich habe kein Gitter!“
„Stephan, was ist passiert? Wieso kommen Annabell und Sandra nicht wieder?“ Lucs Stimme war brüchig geworden.
„Sie hatten einen Unfall, gestern … ich … ich …“ Abermals fühlte Stephan wie ihm schlecht wurde, eilig legte er auf und seine Tochter in den Kinderwagen, bevor er im Badezimmer verschwand. Er erschrak über das weiße Gespenst, das ihm aus dem Spiegel anblickte. Sah er wirklich derart fertig aus? Tiefe Augenringe, blutunterlaufene Augen und ein verflucht bleiches Antlitz. Gerade spritzte er sich eiskaltes Wasser ins Gesicht, als es an der Tür klingelte. Seufzend schlurfte er den Flur entlang zur Tür. Ein etwas älterer Mann stand davor und sah ihn mitleidig an. Seelsorgers peitschte es durch seinen Gedanken und er hätte am liebsten die Tür zugeschmissen. Stephan wollte mit keinem Fremden reden und vor allem nicht so angesehen werden.
„Guten Tag, ich bin der Seelsorger in dieser Gemeinde. Ich würde gerne mit Ihnen über den Tod ihrer „Freundinnen“ sprechen.“
„Haben Sie was gegen Homosexuelle?“, sprach Stephan aus, was er dachte, als der Mann vor ihm „Freundinnen“, in einem abwertenden Tonfall ausgesprochen hatte.
„Es geht nicht um meine privaten Ansichten, sondern um Ihren Verlust…“
„Ich finde schon, dass es auch darum geht. Wenn Sie ein Problem mit gleichgeschlechtlicher Liebe haben, sollten sie mein Grundstück verlassen.“
„Mister Black…“
Erleichtert sah Stephan zur Straße, wo gerade John und Luc hielten. „Ich bitte Sie, jetzt einfach zu gehen. Dieses Haus steht nicht für Menschen offen, die die Liebe ablehnen!“
„So habe ich das doch gar nicht gesagt. Ich bitte Sie, Mister Black, seien Sie vernünftig und lassen Sie uns die nächsten Schritte besprechen.“
Luc drängte sich an dem Seelsorger vorbei und drückte Stephan ins Haus. „Bitte wenden Sie sich an meinen Mann, wie Sie sehen steht Mister Black noch unter Schock.“
John stellte sich nun an die Tür und verschränkte die Arme, sehr deutlich sah man ihm das Missfallen über das Gehörte an.
Luc drückte Stephan aufs Sofa und verschwand in der Küche. Kurz darauf erschien John im Wohnzimmer und sah nach Susanna, die unbeeindruckt weiterschlief.
„Meine Mutter wird bald vorbei kommen. Sie hat noch ein Gitter für dein Bett, damit Susanna nicht rausfallen kann. Bis morgen wird das ausreichend sein, in Ordnung?“
„Ich denke. Was mach ich denn jetzt?“
„Wir sollten die Familien informieren, hast du Nummern?“
„Annabell hat niemanden, ist im Heim groß geworden und Sandras Vater ist letztes Jahr an Krebs gestorben. Wir waren eine Familie.“
John nickte verstehend und lief mit dem Handy am Ohr den Flur entlang.
Es war bedrückend und als Beate das Haus betrat, für Stephan unerträglich. Johns Mutter erklärte sich bereit, auf Susanna aufzupassen und er verließ das Haus, fuhr dahin wo es absolute Ruhe gab. In der Agentur war das eindeutig so. Es war schließlich Sonntag und keiner der Angestellten pflegte zu arbeiten. Er konnte in Ruhe über alles nachdenken und zu sich kommen. Wie in Trance begab er sich in den Fahrstuhl und drückte den obersten Kopf.
Kaum hatte sich die Fahrstuhltür an seinem Ziel geöffnet, fiel Stephan auf seine Knie und brach in Tränen aus.
Er hatte alles verloren was ihm die letzten Jahre ans Herz gewachsen war. Obwohl er ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hatte, waren die zu weit weg, um an seinem Leben teilhaben zu können. Als Ergebnis einer neugewonnen Liebe zweier Mittvierziger, was ebenso dazu beitrug, dass sie sich über seine Mitteilung eines Enkels gefreut hatten. Sie konnten aber nicht kommen, da es ihre Gesundheit nicht zuließ. Sie lebten in Frankreich und von einem mehrstündigen Flug war ihnen abgeraten worden. So belief sich ihr Kontakt aufs Internet und Telefon.
Sandra und Annabell dagegen waren immer für ihn da gewesen. Hatten ihm gezeigt, dass es mehr als Arbeit gab, doch auch Verständnis gezeigt, wenn er keine Zeit hatte. Luc war zwar ein guter Freund, doch nicht immer derart aktuell in seinem Leben gewesen. Weitere Tränen rannen über seine Wangen.
„Stephan? Herr Gott, Stephan, was ist passiert?“, bestürzt kniete sich Christian neben seinen Geschäftspartner nieder.
Nur verschwommen nahm ihn Stephan wahr. „Es tut mir leid was ich zu dir gesagt habe, oder wie ich von dir gedacht habe, du bist okay!“
„Was? Stephan, was ist passiert?“
„Annabell und Sandra, sie sind tot.“ Stephan wischte sich die Tränen aus den Augen und sah seinen Partner an. Dem war jede Mimik aus dem Gesicht gewichen, inklusive der Farbe.
„Verdammt, das tut mir leid. Aber was willst du jetzt hier? Solltest du nicht bei Susanna sein?“
„Beate guckt nach ihr.“
„Sehr gut, Johns Mutter hat ein Händchen für Kinder. Und was willst du jetzt hier? Du kannst so nicht arbeiten!“
„Ich weiß nicht, ich wollte Ruhe. Chris, was mach ich jetzt nur? Susanna … ich weiß nicht, ob ich das allein kann.“
„Klar doch, jetzt steh erst einmal auf, ich mach uns einen Kaffee und dann erzähl ich dir was von deinen väterlichen Qualitäten.“
Wie lange sie sich unterhielten konnte Stephan nicht sagen, zumal sie auch lange Abschnitte des Mittags schwiegen. Christians Argumente wieso er ein guter Vater werden würde, hatte Stephan lediglich ein Stirnrunzeln beschert.
„Du hast Herz, Verstand, Humor und liebst die Kleine seit sie auf der Welt ist. Nichts anderes braucht man, um ein guter Vater zu sein. Glaub mir Stephan, Annabell und Sandra haben dich nicht nur als Samenspender ausgesucht, weil du ihr Freund warst. Sie wussten, dass du für Susanna sorgen kannst, wenn ihnen was passiert!“
Woher wusste sein Geschäftspartner so viel von seinen Freundinnen? Diese Frage fiel Stephan erst in der Nacht wieder ein, als sich Susanna neben ihm drehte. Das Gitter von Beate hielt was es versprach und ließ ihn sich wieder in sein Kissen sinken.
Ebenso fiel Stephan jetzt erst auf, wie bedrückt Christian geschaut hatte, die Tränen in dessen Augen und wie abwesend der andere in ihren verschwiegenen Pausen aus dem Fenster gesehen hatte.
Doch die Gedanken verdrängte er weit weg, dafür hatte er keine Zeit, keinen Nerv. Morgen würden John und Luc wieder kommen und mit ihm zusammen zur Wohnung von Sandra und Annabell fahren. Beate hatte sie darauf hingewiesen, dass dort alles war, was Susanna brauchte und sie ihr dort das Nötige holen sollten. Abermals wurde Stephans Magen umgestülpt und er entlud seinen Inhalt in die Toilette.
Wie gut es sein Freund mit John hatte, durfte Stephan in der folgenden Woche erleben. Denn dieser kümmerte sich um alles. Die Beerdigung, eine Annonce in der Zeitung und den Umzug von Susannas Möbeln und Erinnerungen. John sorgte dafür, dass sich Stephan voll und ganz seiner Tochter widmen konnte, was dieser ihm innerlich mehr als dankte. Jedoch lag sein Fokus mehr auf Luc, der teilweise auch die Nächte bei ihm verbrachte. Sie sprachen Stunde über Stunde, liehen sich ihre Schultern und lachten sogar miteinander. Luc war einmalig, ein fantastischer Mann, der es schaffte sein Herz zusammenzuhalten. Das tat er noch zwei Wochen lang, bis zu diesem einen Abend.
Gerade war Stephan aus der Agentur nachhause gekommen, als er einen Streit zwischen John und Luc mitbekam. Um was es genau ging, konnte er nicht sagen. Denn kaum war er ins Haus getreten, presste sich John an ihm vorbei und stürmte zu deinem Wagen.
Luc saß derweil kopfschüttelnd auf dem Sofa und lächelte ihn an. „Alles klar in der Agentur?“
„Ja, Christian schafft alle Aufträge. Auch wenn ich die Grafiken lieber selbst zeichnen würde, leistet Dennis durchaus gute Arbeit.“
„Dennis?“
„Ein Grafiker, er ist gut, aber hat einen ganz anderen Stil als ich. Nicht schlechter … ach. Und was ist mit dir und John?“
„Das gibt sich wieder, mach dir keine Gedanken. Allerdings solltest du dir langsam Gedanken um eine Tagesmutter machen. Ich muss auch wieder in die Druckerei und Johns Mutter fällt wohl länger aus. Der Bruch an der Hand heilt nicht gut.“
Dieser Gedanke gefiel Stephan gar nicht, wen sollte er einstellen, um seine Tochter zu hüten? Er würde doch keinem Fremden gestatten Susanna anzufassen, geschweige denn derart zu vertrauen, dass er sie mit diesem allein ließ. „Ich hol sie mit in die Agentur, irgendwie schaffe ich das schon.“
Luc zog ihn zu sich auf die Couch. „Das wird eine Zeitlang gehen, aber nicht auf ewig. Du brauchst eine Tagesmutter, das ist dir klar, oder?“
„Ja schon, oder einen Partner, der sich aufopfernd um die Kleine kümmert.“ Langsam näherte sich Stephan seinem Freund.
Sanft umfasste dieser sein Gesicht, lächelte milde und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Vergiss deine Gedanken, was zwischen uns zweien sein könnte, denn das wird nie passieren. Du bist mein Freund, doch mein Herz gehört John, das weißt du auch.“
Stephans Gesicht in den Fingern seines Freundes sank. „Es tut mir leid.“
„Muss es nicht, doch ich werde nun zu meinem Mann gehen und mich entschuldigen. Denn darum ging es eben. Er meinte, du würdest Gefühle für mich entwickeln und diese sollte ich unterbinden, ich sagte ihm, er sei bescheuert.“
„Oh Gott …“
„Nicht so dramatisch, ich weiß wie ich ihn wieder friedlich stimme“, wackelte er mit den Augenbrauen und zwinkerte. „Susanna schläft, hat gut gegessen und viel gespielt. Somit sollte sie dich diese Nacht in Ruhe lassen.“
„Danke!“ Noch nie kam sich Stephan so dumm vor. Was war ihm da nur eingefallen? Wie kam er darauf, dass aus ihm und Luc mehr als nur Freunde werden können?
War das sein Dank an John, weil dieser ihm geholfen hatte? Mit dem Babyfon in der Hand ging er in den Garten und fluchte vor sich hin. Das Leben war Scheiße und das schien ihm gerade sehr seicht ausgedrückt.
Dass er das Gefühl hatte, es würde noch schlimmer kommen, empfand Stephan als I Tüpfelchen seines Unglücks.
Wenigstens lief der nächste Morgen wunderbar. Susanna war gut gelaunt, lachte schon als Stephan sie aus dem Bett holte und zeigte ihm, wieso er jeden Tag aufstand und er trotz des schweren Verlustes seiner Freundinnen, nicht den Kopf in den Sand stecken sollte.
Mit einer schwer bepackten Wickeltasche, einer Decke und etlichen Spielsachen, ging es in die Agentur. Die Blicke seiner Angestellten ignorierend fuhr er mit dem Fahrstuhl in Christian und seine Etage. Der Blondschopf stand mitten in der Kaffeeküche, das Telefon am Ohr und verdrehte die Augen. „Lisa, ich sagte dir bereits, ich kläre das … wie ist meine Sache und nun sei mir nicht böse, ich muss arbeiten. …ja … ja.“
Schmunzelnd legte Stephan die Sachen ab und Susanna auf den Boden, bis er die Decke ausgebreitet hatte und ihr das Spielzeug darum verteilte. Inzwischen schien auch Christian seine Schwester losgeworden zu sein und kniete sich zu Susanna, die lachend nach ihm grapschte. „Na Prinzessin, was machst du denn bei uns im Büro?“
„Ich wusste nicht wohin … Beate hat die Hand gebrochen und Luc … kann nicht.“
Misstrauisch stand Christian wieder auf und sah ihn fragend an. „Was ist vorgefallen? Luc würde dich nicht im Stich lassen ohne einen Grund.“
„Er muss in die Druckerei.“
„Und? John war gestern auch schon so komisch und hat rumgedruckst. Hätte ich nicht so viel mit meiner Schwester am Hut, wäre ich sicher dahinter gekommen, aber mir hat es an Zeit gefehlt, um nachzuforschen.“
Stephan wusste, dass er nicht ohne eine Erklärung aus der Geschichte rauskam. „Seit wann teilen wir uns einen Freundeskreis?“, schoss es ihm durch den Kopf.
„Schon etwas länger, wie mir seit kurzem bewusst geworden ist. Also, was ist los?“
Seufzend nahm sich Stephan einen Kaffee und setzte sich auf das Sofa in der Kaffeeecke. „John hat es wohl geahnt und ich … ach gerade aus und gut. Ich habe etwas mehr in Luc und meine Freundschaft interpretiert.“
„War zu erwarten, wo er sich seit einer Woche so rührend um Susanna gekümmert hat. Was ist jetzt?“
„Ich denke, Abstand tut dem Ganzen gut. Keine Ahnung was da in mich gefahren ist, als ich ihn küssen wollte, aber … oh Mann ich bin einfach kopflos!“
Wissend nickte sein Geschäftspartner. „Verständlich und Abstand wird deine Gedanken klären.“
„Ja, wohl wahr. Was ist mit Lisa? Hat sie Probleme?“ Christian machte eine wegwerfende Handbewegung. „Nun erzähl, wenn ich dir hier schon mein Herz ausschütte, kannst du es auch tun.“
„Sie hat Ärger mit dem Jugendamt. Vor drei Tagen ist sie gekündigt worden, ihr Ex will die Kinder, weil sie angeblich nicht für beide Sorgen kann. Das Jugendamt war bei ihr und es sah … verdammt, sie hat mir nicht gesagt, dass es finanziell so beschissen ist, sonst hätte ich schon längst gehandelt. Ihre Wohnung ist eine Katastrophe und den Kindern fehlt es an allem. Ich schäme mich richtig, doch wusste von nichts. Die letzten Wochen, Monate, ich war einfach zu egoistisch, habe mich nicht um sie gekümmert.“
„Du hast mir jetzt zwei Wochen den Rücken freigehalten. Ich glaube eher, dass es meine Schuld ist. Wann hättest du dich kümmern sollen? Es tut mir leid.“
„Wäre eine tolle Ausrede, nicht wahr? Doch Lisa ist nun schon ein Jahr von Jeff getrennt, somit … Nun gut, ich werde mich jetzt kümmern. Eine neue Wohnung habe ich organisiert, auch die ersten Mieten bezahlt. Die Kinder sind neu eingekleidet und meiner Schwester habe ich den Kopf gehörig gewaschen. Jetzt muss sie sich um einen Job kümmern, dann müsste Ruhe herrschen und ich kann das tun, was ich eigentlich sollte, unsere Kunden beliefern.“
Stephan sah zu Christian und dann zu Susanna, sein Kopf arbeitete auf Hochtouren und ein Lächeln zeichnete sich auf seine Lippen. „Deine Schwester ist aber eine gute Mutter?“
„Natürlich, sie würde alles für die Kinder tun. Nur weil sie zu Stolz war zu fragen, heißt es nicht gleich, dass sie keine gute Mutter ist“, Wut klang in Christians Stimme mit.
„Ganz ruhig. Ich brauche eine Tagesmutter für Susanna.“
Christian runzelte die Stirn, riss die Augen auf und schluckte. „Willst du meiner Schwester gerade einen Job anbieten?“
„Wieso nicht? Ich brauch dringend Hilfe, allein schaffe ich es nicht, das Jugendamt hat sich bei mir schon angemeldet und mein Anwalt hat mir empfohlen, für eine perfekte Umgebung zu sorgen.“
„Anwalt?“
„John hat sich darum gekümmert, als der Anruf vor einer Woche kam. Ich stand noch so neben mir und … Nun ja, meinst du deine Schwester würde das tun? Sie könnte einen Job nachweisen und ich eine Tagesmutter.“
„Klar, sicher würde sie das tun. Somit wäre auch sicher gestellt, dass sie sich um ihre Kinder kümmern kann. Stephan, wenn du das wirklich tust, bin ich in deiner Schuld.“
„Rede keinen Unsinn. Gib mir lieber ihre Nummer und wenn es geht, schau kurz nach Susanna.“
Während Stephan in sein Büro verschwand, saß Christian auf der Decke und spielte mit der Kleinen. Stephan beobachtete sie, während er mit Lisa sprach und auch danach amüsierte er sich über Christians Versuche, den keksverschmierten Fingern von Susanna zu entkommen. Diese hatte es allerdings auf den Geschäftspartner ihres Vaters abgesehen und schaffte es sogar, sich wenige Zentimeter über den Boden zu robben, um näher an ihn heran zu kommen.
„Du entkommst ihr nicht!“, trat Stephan lachend aus seinem Büro.
„Es scheint mir auch so, aber ich habe kein Ersatzhemd dabei, somit wird die Prinzessin mit ihrem Vater vorlieb nehmen müssen, den sie wegen mir beschmieren darf wie sie will.“
„Ach das darf sie also?“ Stephan grinste, schnappte sich seine Tochter vom Boden, die quietschend lachte und hielt sie mit dem Gesicht zu Christian. Wie erwartet schossen die kleinen Finger des Mädchens nach vorne und versuchten das schwarze Hemd zu erreichen.
„Stephan, das ist nicht fair!“ Christian presste sich rücklings auf den Boden und versuchte so den Angriffen zu entkommen. Stephan stand jedoch über ihm und brachte seine Tochter immer näher an ihr auserkorenes Ziel.
„Erwartest du ernsthaft von einem fünfmonatigen Kleinkind Fairness?“
„Nein, aber von ihrem Vater! Ich nehme Rache, das verspreche ich dir!“ Christians Drohung ging im Lachen von Susanna unter, die endlich an das schwarze Hemd gelangte. Mit viel Mühe verteilte sie kleine kaum erkennbare, beigefarbene Fingerabdrücke. Seufzend ergab sich Christian, stand auf und nahm Susanna auf den Arm. „Heute Mittag gibt es für dich Eis!“, grinste er zu Stephan, der die Augen aufriss und ihn entsetzt ansah.
„Du bist nicht fair.“
„Dann haben wir ja was gemeinsam, nicht wahr?“
Seit langem war es wohl der lockerste Arbeitstag für Stephan. Durch Susanna war es nicht möglich, sich lange und intensiv mit seinem Layout zu beschäftigen, was ihm zum ersten Mal nichts ausmachte. Für seinen Sonnenschein hätte er wahrscheinlich sogar den ganzen Tag auf dem Boden gesessen, Keksbrei aufgewischt und Windel gewechselt. Es fühlte sich erfüllend an, wie sonst nur seine Arbeit es geschaffte.
Jedoch am Abend saß er allein auf dem Sofa. Susanna schlief und Stephan wusste nicht was er tun sollte. Die letzten zwei Wochen war Luc bei ihm gewesen … und nun? An wen sollte er sich lehnen, Trost suchen und kuscheln?
Das ausgerechnet in dem Moment Susanna nach ihm verlangte, war ihm nur recht. Zusammen kuschelten sie sich auf die Couch, sahen irgendeinen Film und Stephan kribbelte ihren Rücken. „Maus, ich brauch einen Mann. Was hältst du davon, wenn wir uns einen Mann für Papa suchen?“ Das folgende Glucksen nahm er als Zustimmung. „Na dann werden wir uns morgen auf die Suche machen, oder ich. Irgendwo sitzt doch sicher ein netter Mann, der uns beide in sein Herz lässt, nicht wahr?“ Darauf hatte seine Tochter nichts mehr zu sagen vergrub ihr Gesicht lieber in seinem T-Shirt und schloss die Augen.
Mission „Ein Mann für Papa“ startete bereits am nächsten Morgen. Susanna war zum ersten Mal bei Lisa, die sich allerdings jede Stunde bei Stephan melden musste, während er am Computer saß. Statt Layouts zu machen, suchte er Partnerschaftsbörsen ab. Doch welche war da die richtige?
Irgendwann gab er es auf und machte sich an seine eigentliche Arbeit. Wieso war es auch so schwer, einen Mann kennen zu lernen, der nicht nur auf ein Intermezzo aus war? Irgendwie schien es ihm plötzlich unmöglich und er musste sich eingestehen, nicht besser gewesen zu sein. Wieso auch? Stephan war gerade 29 Jahre, hatte nie Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen müssen. Sicherlich war er immer für Annabell und Sandra dagewesen, aber die hatten ihr Leben bestens im Griff.
Nun zählten allerdings nicht nur seine Belange, auch Susanna wollte er gerecht werden, doch wie? Welcher Mann würde ihn schon nehmen, wenn ein Baby mit im Spiel war? Aufgebend legte er den Kopf auf den Schreibtisch und seufzte schwer. Wie sollte er mit solchen Gedanken seiner Arbeit nachkommen?
„Alles in Ordnung?“
Langsam hob sich Stephans Kopf und er sah zu Christian. „Nein! Ich bin im Arsch. Mir ist gerade aufgefallen, dass ich wahrscheinlich nie wieder einen Mann abbekomme.“
„So? Wie kommst du darauf?“
„Ich habe ein Kind. Wer will mich da schon? Frag deine Schwester, selbst sie findet keinen. Vielleicht sollte ich doch auf ihre Avancen eingehen.“
„Dein Gesichtsausdruck bei dem Gedanken sagt eindeutig nein! Wieso denkst du, dass es keine Männer gibt, die dich mit Kind wollen? Ist doch Unsinn, viele wünschen sich Kinder.“
Christians Überzeugung ließ in Stephan neuen Mut aufkommen. „Vielleicht hast du recht. Doch wo soll ich suchen? Hast du dafür auch eine Idee?“ Ehe Christian antworten konnte, winkte Stephan ab. „Entschuldige, dass ich gerade dich frage ist etwas irrsinnig.“
„Wie meinst du das?“
„Ich denke nicht, dass du dich damit beschäftigst, wo sich zwei Männer kennenlernen, wenn du eher eine Frau suchst.“
Christian lachte leise und verließ kopfschüttelnd das Büro, was Stephan unverständlich hinter ihm hersehen ließ. Manchmal war sein Partner wirklich kurios in seinem Verhalten.
Den Rest des Tages beschäftigte sich Stephan dann doch mit seiner Arbeit und den Gedanken an den Feierabend, wenn er seine Tochter wieder in die Arme schließen konnte.
-Anfang Dreißiger mit Anhang sucht netten Mann für gemeinsames Leben.-
Stephan starrte auf die Annonce, die er geschaltet hatte und gerade in der Tageszeitung erschienen war.
-Nichts geht mir über meinen Sonnenschein, jedoch möchte ich mein Leben auch nicht alleine verbringen. Du magst Kinder? Kannst du dir auch ein Leben zu dritt vorstellen? Dann melde dich doch einfach mit Foto.-
Irgendwie erschien ihm seine Wortwahl recht lapidar und war überzeugt, dass Christian ihn besser angepriesen hätte, doch es war zu peinlich gewesen zu fragen. So saß er nun vor seinem stümperhaften Versuch einen Mann zu finden und fragte sich, ob sich darauf wirklich jemand meldete. Vor allem ein Mann, der Susanna mochte, vielleicht irgendwann so liebte wie er selbst es tat. Oder war das zu viel verlangt?
Vielleicht musste er sich auch mit weniger zufrieden geben, nicht unbedingt mit wahrer Liebe und eventuell auch nicht damit, was er sich in einer Beziehung vorstellte. Aber eine Sache war zwingend, der Mann an seiner Seite musste gut zu Susanna sein, der Rest würde sich irgendwie ergeben.
Zwei Wochen später stand sein erstes Treffen an. Carlos hatte sich gemeldet, ein Barbesitzer Mitte vierzig und vom Äußeren nicht wirklich sein Typ, jedoch wollte es Stephan darauf ankommen lassen. Lisa bezahlte er extra eine Nanny für ihre Kinder, damit sie auf Susanna aufpassen konnte. Nichts anderes wäre für ihn in Frage gekommen und da Carlos sich abends treffen wollte, konnte er seine Tochter wohl nicht mitnehmen.
Nervös stand Stephan vor dem Spiegel und sah sich an. Schwarz dominierte eindeutig seinen Kleidungsstil und da er nicht wusste was sein Date-Partner vorhatte, entschied er sich für eine schwarze Hose und ein ebensolches Hemd. Legerer Schick. Sein Bart leicht gestutzt, denn das würde er Susanna nicht antun, die den Bart ihres Vaters liebte. Mit klopfendem Herzen sah er ein letztes Mal bei seiner Tochter ins Schlafzimmer und machte sich dann auf den Weg.
Die Adresse die Stephan von Carlos erhalten hatte, führte ihn zu einer Bar, zumindest stand diese Bezeichnung über dem Eingang. Der Putz bröckelte von den Wänden, die Eingangstür hatte ihre besten Tage hinter sich und trotzdem überwand sich Stephan einzutreten. Qualm, abgestandener Gestank nach Alkohol, Erbrochenem und Fäkalien schlugen ihm entgehen, was seinen Magen zum Rebellieren brachte. Gerade als sich Stephan umdrehen wollte, um diese Spelunke zu verlassen, wurde er an eine nackte, jedoch behaarte Brust gezogen und während der Mann sprach lief dessen Speichel in sein Ohr. „Du musst Steph sein, verdammt gutes Fahrgestell, siehst ja besser aus, als auf den Fotos!“ Dabei prallte dessen Pranke auf seinen Hintern.
Eine vor Ekel entstandene Gänsehaut erfasste den Angesprochenen. Stephan hasste es, Steph genannt zu werden und der Mann vor ihm, sah eindeutig auf dem Foto besser aus, als real. Keine Haare auf dem Kopf, zwei dicke goldene Ketten drängten sich in sein Gesicht, während die Brusthaare ihren Geruch direkt in seine Nase transportierten. Das war eindeutig zu viel des Guten. Stephan versuchte sich aus dem eisernen Griff zu befreien, als Carlos Hand sich in seine Hose schob und direkt zwischen seinen Backen verschwand. –Desinfektionsmittel-, schoss es Stephan durch den Kopf und stemmte sich mit ganzer Kraft gegen den bulligen Mann, dessen Bauch den Anschein machte, alles in sich aufnehmen zu können, so weich und wabbelig fühlte er sich unter seinen Fingern an. Carlos Unterleib, welcher sich an seinem Bein rieb, vermittelte ein anschauliches Exemplar, doch so gut konnte der Typ nicht bestückt sein, dass er es drauf anlegen würde. Endlich lockerte Carlos den Griff und Stephan konnte sich von ihm distanzieren. Der ganze Anblick des Mannes, verursachte noch mehr Ekel und ohne ein Wort zu verlieren verließ Stephan die Bar.
Gedanklich ging er jegliches Reinigungsmittel in seinem Haus durch und überlegte welches ihm dabei helfen konnte, jegliche Erinnerung an Carlos auszulöschen.
Kaum war er durch die Haustür, eilte er auch schon zu seinem Putzschrank, kramte darin herum und las die Inhaltsangaben, bis Lisa auftauchte. „Suchst du was Bestimmtes?“
„Irgendwas, was mich reinigt und jeglichen Gedanken auslöscht.“
„Oh ha, war wohl nicht so berauschend?“ Lisa verzog mittleidig das Gesicht und Stephan etwas aus dem in die Wand eingelassenen Putzschrank. „Scheuermilch hilft von außen und ein Drink von innen. Du duschst und ich werde dir einen guten Cocktail mixen.“
„Danke, ehrlich.“ Mit der Scheuermilch fest im Griff betrat Stephan angezogen die Dusche. „Die Klamotten müssen verbrannt werden!“, entfuhr es ihm.
Die körnige Milch verfärbte seine Haut rot, was von dem heißen Wasser, das auf ihn niederprasselte, verstärkt wurde. Selbst sein Hintern wurde nicht verschont und obwohl Carlos nicht an sein Gemächt gekommen war, durfte sich auch dieser über eine körnige Reinigung erfreuen.
In frischer Kleidung und mit einer halben Dose seines Deos besprüht, verließ er das Bad, wo Lisa ihm direkt einen Drink hinhielt. Dieser brannte sich ohne Widerstand seine Kehle hinab.
„So schlimm?“, fragte Lisa nun mit hochgezogenen Augenbrauen.
„Schlimmer … keine Dates mehr, nie wieder. Ich bleibe Solo und werde mich aufopfernd um meine Tochter und die Arbeit kümmern. Wer braucht schon einen Mann? Ich nicht!“
„Nun übertreib mal nicht, so schlimm kann es nicht gewesen sein.“
„Denk was du willst, mir kommt kein Mann mehr zu nahe.“ Stephan schnappte sich eine Flasche aus seiner kleinen Bar und nahm sich einen Schluck seines teuersten Whiskys. Langsam beruhigten sich seine Gedanken und er ließ sich auf das Sofa nieder.
„Lass dir Zeit, es gibt auch nette Männer auf diesem Planeten.“
„Das sagst du?“
„Klar ich, irgendwann begegnet mir der Richtige. Aber weißt du, manchmal sollte man die Augen auch aufmachen, um einen guten zu sehen! Ich wünsche dir eine gute Nacht, bis Montag!“ Mit diesen Worten verschwand Lisa und ließ einen vor sich hin grübelnden und leicht schläfrigen Stephan zurück.
Nach dieser Nacht war Stephan noch mehr davon überzeugt, nie wieder einen Mann zu brauchen. Er hatte von Carlos geträumt. Dessen Finger über seinen gesamten Körper fuhren, die Zunge, die zwischen den Zahnlücken ihren Weg auf seine Haut fanden und dessen Geruch, der ihn würgend aufwachen ließ, nachdem der Alptraum-Carlos ihm seinen Schwanz zwischen die Lippen geschoben hatte.
Der Geruch hatte sich in seinen Geruchsknospen festgesetzt, ein modriger Geschmack hing tief in seiner Kehle und sein Körper fühlte sich abermals beschmutzt an.
Ein Glück für ihn, dass seine Tochter noch schlief, somit konnte sich Stephan wieder einer Waschorgie unterziehen. Dieses Mal ließ er lediglich den Alkohol aus seinem Magen und gönnte sich stattdessen einen starken Kaffee.
Er brauchte dringend einen besseren Geruch in die Nase, doch das schaffte nicht einmal seine Tochter mit ihrem Babygeruch, der sonst alles übertünchte. Selbst die vollgemachte Windel vermochte seine Geruchsnerven nicht zum Vergessen anregen. Was sollte ihm da noch helfen?
Als am Nachmittag Luc bei ihm anrief und sich erkundigte, ob Stephan und Susanna noch zu seinem Geburtstag kamen, fiel er fast aus allen Wolken. Das hatte er vollkommen vergessen. Zum Glück für ihn, hatte er allerdings schon vor einer Woche ein Geschenk organisiert. So brauchte er seine Tochter und sich selbst nur noch ausgehtauglich zu machen und schon ging es zu John und Luc.
Es war Entspannung pur für Stephan, denn Susanna wurde von Gast zu Gast gereicht, denen sie ein Lächeln auf die Lippen zauberte. Besonders John hatte einen Narren an der Kleinen gefressen und zeigte es ihr, indem er gespielt an ihr herumknabberte. Es gab nichts Schöneres als strahlende Kinder und ihr Lachen, davon war Stephan mehr als überzeugt.
Gegen Abend wurde der Grill angeworfen und weitere Freunde von John und Luc tauchten auf, unter anderem Christian. Dieser hatte sofort die Aufmerksamkeit von Susanna, die mal wieder mit keksverschmierten Fingern sein Hemd anvisierte, als er sie begrüßte. „Oh nein, meine Hübsche, das Hemd bleibt sauber.“ Sein strenger Blick kippte schon bald, als die Unterlippe des halben jährigen Kindes anfing zu zittern. „Du magst mich in Wirklichkeit gar nicht und willst mich nur immer dreckig rumlaufen lassen, damit ich mich zum Gespött mache, oder?“ Ergeben fiel Christian neben John auf die Couch und ließ zu, dass Susanna sich zu ihm rüber schob. Allem voran ihre Finger, die sogleich Spuren hinterließen.
„Ich glaube, sie mag dich sogar sehr. Bis gerade wollte sie nur bei mir bleiben!“, sprach John und griff sich theatralisch ans Herz. „Luc, mein Herz bricht.“
„Dann komm und hilf mir bei den Getränken, schließlich hab ich Geburtstag und nicht du! Trotzdem muss ich hier alles allein machen.“
John erhob sich grinsend, wackelte mit den Augenbrauen. „Ich werde meinem Mann mal zur Hand gehen.“
Einheitlich verdrehte man die Augen und lachte. Es war schon neidvoll mit anzusehen, wie verliebt die Zwei waren. Stephan seufzte, doch bevor sich der Neid in ihm ausbreiten konnte, schob sich der Gedanke an Carlos in seinen Kopf. Er erschauderte und beugte sich über die Lehne hinter Christian und Susanna, um seiner Tochter einen Kuss aufzudrücken und Christian zu informieren, dass er frische Luft brauchte.
„Immer noch nicht überwunden?“, fragte Christian und sah ihn grinsend an.
„Deine Schwester ist ein Klatschweib.“
„Oh ja, konkurrenzlos sogar.“
„Nein, noch nicht. Ich habe sogar davon geträumt, mir ist immer noch schlecht und der Geruch … es ist ekelhaft.“
„Hm, ich biete dir gerne meinen Geruch an, aber ob der besser ist?“, schmunzelte Stephans Geschäftspartner, während sich Susanna an ihm heraufzog und nach seinen Haaren griff. „Meine Haare sind tabu und da kannst du mit deiner Unterlippe zittern wie du willst.“
„Sie liebt Haare, besonders Bärte.“ Was auch immer in dem Moment in Stephan fuhr, er konnte es auch im Nachhinein nicht erklären. Er beugte sich hinab zu Christians Hals und sog tief dessen Geruch ein. Die Gäste in ihrer Nähe blickten verwundert, der Beschnüffelte hob ebenso die Augenbrauen und Stephan rieselte sich den Kopf frei. „Entschuldige“, murmelte er beschämt.
„Kein Problem, hoffentlich hilft es.“
Darauf antwortete Stephan nichts, schnappte sich stattdessen ein Wasser und trat auf den Balkon.
Herb, Moschus, wenn er sich nicht ganz täuschte, haftete an seinen Geruchsknospen. Es verdrängte den widerlichen Gestank der letzten Nacht und ersetzte diesen komplett. Das war nicht gut, gar nicht gut!
Ergeben lehnte sich Stephan gegen die Wand und schloss die Augen. Die folgenden Bilder waren für ihn nicht sonderlich überraschend, sicherlich angenehmer als der Traum letzte Nacht und doch ließ es ihn verzweifeln. Stephan sah sich selbst unter Christian liegen, der ihn mit seinen blassroten Lippen Küsse auf die Haut hauchte und …
„Mir fehlt Sex!“, seufzte er, öffnete die Augen und sah prompt in die grünen von Christian.
„Nicht nur dir, glaub mir. Deine Tochter hat die Hose voll und ich finde die Windeln nicht.“
„In der Tasche an der Garderobe … Musstest du gerade jetzt vor mir stehen?“
Christian tat überlegend, grinste dann und nickte. „Ich glaube schon. So bin ich wenigstens bestens über dich informiert.“
„Das sind eindeutig zu viele Informationen für dich. Herr, lass ein Loch auftauchen, das mich verschluckt.“ Stephans Blick ging hoch zum Himmel, doch wie sollte es anders sein, es passierte nichts.
„Willst du darauf warten, dass er dich erhört, oder zeigst du mir wo genau die Tasche ist?“
Seinem Schicksal ergeben ging Stephan voran und schwor sich, nie wieder mit dem alten Herrn im Himmel zu reden, brachte ja doch nichts.
Wenige Minuten später stand Stephan in Johns kleinem privatem Büro und wickelte seine Tochter. Christian blieb bei ihnen, um die nach seiner Ansicht verboten riechenden Windeln zu entsorgen. In Gedanken versunken legte Stephan diese am oberen Ende des Tisches ab, was seinen Geschäftspartner dazu veranlasste, über ihn hinweg zu greifen.
Stephan erstarrte, das war eindeutig zu nah und nicht förderlich, um seine Gedanken von der Terrasse zu verdrängen. Fest presste sich Christians Körper von hinten an seinen, dessen Atem streifte seine Wange und der Moschusgeruch verbreitete sich abermals in Stephans Riechorgan. „Ich entsorge sie dann mal. Alles okay?“ Mit diesen Worten hatte sich Christian wieder von ihm gelöst.
„Ja … klar … entsorg du, ich kleide an.“
„Gute Idee, das nennt man Teamarbeit, darin sind wir doch geübt.“
„Ja, sind wir.“ Seine Stimme hörte sich an, wie er sich fühlte. Stocksteif und peinlich berührt.
Ob es Christian nicht auffiel, oder er es ignorierte, konnte Stephan nicht sagen und es war ihm auch egal. Immer noch hegte er den Wunsch nach einem Loch, das ihn aufsog. Im Moment konnte er nicht vom Schreibtisch weg und versuchte ein mittelgroßes Problem unter Kontrolle zu bekommen. Selbst vor seiner Tochter war es ihm peinlich, dabei bekam sie nicht mal mit, wie es um ihren Vater stand, dessen Erektion sich gegen die Kante presste. „Südpol … Nordpol … alte Frau … Frau …“, sprach er wie ein Mantra vor sich hin, bis endlich wieder mehr Platz in seiner Hose war.
Er wollte nur noch weg hier, weit fort von Christian, den er dann erst in … weniger als 24 Stunden wieder sehen musste. Ob das half? Irgendwas in ihm verneinte diese Frage und sein verräterisches Anhängsel regte sich bei dem Gedanken wieder. Das durfte alles nicht wahr sein. Stephan verzweifelte und fragte sich, was mit ihm nicht in Ordnung war. Erst dieser Möchtegern-Casanova und nun sein heterosexueller Geschäftspartner, konnte es noch schlimmer kommen? Das Wochenende ging als Katastrophe durch.
Ein Date und andere Katastrophen, was sollte dem noch folgen? Hatte er ein Fettnäpfchen ausgelassen? Scheinbar nicht und irgendwie befürchtete Stephan, dass das noch nicht alles war.
Ein Glück war der Rest von Lucs Geburtstagsfeier ohne weitere Vorfälle verlaufen und so saß Stephan am Montagmorgen ausgeruht und frohen Mutes in seinem Büro. Positiv denken war die Devise, denn sonst würde es wohl zu noch mehr peinlichen Zwischenfällen kommen. Seine Kontaktanzeige hatte er zurückgezogen und darum gebeten, alle Bewerbungen kommentarlos zu löschen. Sollten Männer wie Carlos ihn doch für einen Arsch halten, doch er würde sich nicht noch einmal auf so etwas einlassen. Wenn das Schicksal ihm keine Möglichkeit für den passenden Partner bot, sollte es nicht anders sein. Aber auf die Suche gehen? Nein, davon war er abgekommen.
„In zwei Stunden kommen die Australier, die mit dem Porzellan Auftrag und wollen unsere ersten Ideen sehen!“, sah Christian ins Büro.
Stephan riss die Augen auf. „Die waren erst am Freitag hier und haben uns den Auftrag erteilt.“ Er hatte nicht einen Strich für diesen Kunden getätigt.
„Ja, ich weiß und muss mir jetzt irgendeinen Unsinn aus den Fingern ziehen, um ihnen was zeigen zu können, also geht es mir nicht besser als dir.“
„Hast du schon was?“ Hoffnungsvoll sah Stephan auf.
„Nein, also … Gott, das ist total bescheuert.“
So saßen sie die nächsten zwei Stunden zusammen. Lachten über hirnrissige Ideen, was den Text und das Layout betraf, und bekamen doch nichts zustande. Das mussten sie dann auch dem Kunden mitteilen, der nicht gerade begeistert abreiste, sich jedoch auf das Wochenende mit fertigem Layout und Text vertrösten ließ.
„Wenn wir bis zum Wochenende nichts hinbekommen …“, grinste Christian.
„Sind wir geliefert“, beendete Stephan und packte seine Sachen zusammen. „Magst du mit mir Mittagessen gehen?“
Das verwunderte Gesicht seines Partners überging er absichtlich und ergriff sein Portemonnaie. Christian schloss sich an und ohne dass er es wollte, klopfte sein Herz hämmernd gegen die Rippen. Es war komisch, das gab Stephan gerne zu, schließlich hatte gerade er immer darauf geachtet, dass sie Privat und Beruf auseinander hielten. Doch irgendwie fühlte es sich gut an. Die Grenzen hatten sie die letzten Wochen mehr als einmal überschritten, erst recht seit Lisa sich um Susanna kümmerte.
Es wurde zu einem kleinen Ritual: Ohne ein Wort gingen sie jeden Tag um die gleiche Zeit gemeinsam essen. Sprachen über das Weltgeschehen, über Lisa und die Kinder, Susanna, doch nie über die Arbeit. Erholsam, wenn Stephan bedachte, dass er mit keinem Menschen so viel Zeit verbrachte wie mit Christian. Selbst Susanna sah ihn weniger und eine wirkliche Unterhaltung kam da bisher auch nie zustande. Doch zum Ende der Woche musste Stephan sich eigestehen, sich selbst mit der ganzen Ablenkung von der Arbeit abgehalten zu haben. Das war schlecht, schließlich musste er bereits Freitag das Layout für die Porzellan-Werbung fertig haben und das war bereits morgen.
Ein Anruf bei Lisa und ihre Zusage, solange bei Susanna bleiben zu können, bis er nachhause kam, ließ ihn aufseufzen. Seine Maus zahnte, zumindest war Lisa überzeugt davon und das hieß für Stephan lange Nächte und keine Ruhe für Arbeiten, die er unbedingt erledigen musste, so ging es nur auf diese Art, auch wenn er lieber selbst bei seiner Tochter geblieben wäre.
Leider hatte sein Partner schon die Texte fertig und so saß Stephan allein im Büro, was vielleicht auch besser war.
Als es irgendwann an seiner Glasfront klopfte, schrak Stephan hoch. „Verdammt Florian, was machst du noch hier?“, sein Blick wanderte zur Uhr, die kurz vor Mitternacht anzeigte.
„Ich hab noch was fertig gemacht und wollte mal mit dir reden.“
Florian arbeitete seit drei Jahren für Christian und Stephan. Als Steuerfachangestellter hatte er damals die besten Voraussetzungen gehabt, Steuer, Rechnungen und dergleichen zu verwalten.
„Na dann raus mit der Sprache. Heute schockt mich nichts mehr.“
„Ein Glück“, zwinkerte der schwarzhaarige Endzwanziger. „Nachdem ja zwei gekündigt haben, was du hoffentlich mitbekommen hast?“ Florian wartete auf das Nicken seines Chefs. „Dachte ich mir, ihr sucht sicher jemand neuen. Ich kenne da einen sehr begehrten Layouter und gleichzeitig Texter.“
„Her mit ihm, zwei in eins ist immer gut.“
„Heißt, ich soll ihm ein Angebot schicken?“
„Sicher, mach das. Umso schneller umso besser. Du weißt, dass die Auftragslage momentan enorm ist, wenn du ihn also überzeugen kannst herzukommen, sind wir angetan.“
„Gut, dann werde ich mich darum kümmern.“
„Danke, aber mach das morgen, du solltest nachhause! Es ist schon lange Feierabend.“
Florians Augenbrauen hoben sich. „Im Gegensatz zu dir, habe ich niemanden, der auf mich wartet. Solltest du als Vater nicht langsam mal deinen Feierabend pünktlich nehmen?“
„Liebend gerne, aber der Auftrag muss morgen fertig sein, sonst verlieren wir einen Kunden. Ich brauche nicht mehr lange. Muss nur noch Christians Text einfügen und dann husche ich nachhause und hole mir Morgen frei“, grinste Stephan stolz.
„Beide Chefs gehen verfrüht ins Wochenende? Wunder soll es ja geben aber das grenzt ja an Hexerei!“
„Nun aber, verzieh dich und hab morgen ein Auge drauf, dass der Auftrag raus geht, ich leg ihn dir auf den Tisch.“
„Christian sagte schon so was. Per Eilbote innerhalb von 24 Stunden nach Australien, wird erledigt.“
Stephan nickte bestätigend und machte sich wieder daran, den Text ins Bild zu fassen.
Müde schleifte sich Stephan aus seinem Auto zum Haus. Einzig der Gedanke an sein verlängertes Wochenende, hielt seinen Körper noch auf den Beinen. Das Haus lag im Dunklen und so schlich er erst einmal in die Küche, schaltete das Licht an und griff sich eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Während die kalte Flüssigkeit seine Kehle hinabrann, sah sich Stephan um. Sein Blick wurde von einem Zettel aufgehalten, der auf dem Tisch lag.
Hallo Stephan,
entschuldige, dass ich nicht mehr da bin, aber meine älteste Tochter hat sich am Abend so schlimm übergeben, dass ich mit ihr zum Arzt musste. Nun schau nicht so entsetzt, natürlich ist Susanna nicht allein. Ich habe meinen Bruder gebeten auf sie aufzupassen. Hoffentlich nimmst du es mir nicht übel, aber ich weiß, er wird mit der Kleinen gut umgehen, ich vertraue ihm da wirklich.
Wir hören uns morgen.
Liebe Grüße Lisa
Stephan atmete tief durch, um den Schock nach dem ersten Satz zu verdauen. Dann schlich er im Dämmerlicht des Flures zum Wohnzimmer, wo Christian auf dem Sofa mit Susanna auf der Brust schlief. Dieser Anblick ließ ihn lächelnd und seufzend am Türrahmen stehen bleiben. Genau das Bild wollte er haben, doch mit seinem Partner, der sich danach an ihn kuschelte. Stephan stieß sich vom Rahmen ab und näherte sich der Couch. Automatisch streichelte er über Christians Wange und flüsterte. „Schlaf weiter, ich bring Susanna ins Bett, nicht erschrecken.“ Ob dieser ihn nun gehört hatte, oder lediglich derart tief schlief, dass er nicht mitbekam, dass Stephan Susanna auf den Arm nahm, blieb offen.
Es klingelte, doch Stephan mochte nicht reagieren, sein Kopf pochte auf eine Auszeit. Susannas Lachen, Christians Stimme und die einer Frau ließen ihn dann doch aufschrecken.
„Guten Tag, mein Name ist Meyer vom Jugendamt. Ich komme zu einer, vor einiger Zeit angekündigten, unangekündigten Kontrolle der Lebensumstände von Susanna Gregorius-Black.“
„Angenehm, mein Name ist White, kommen Sie rein. Mein Partner schläft noch, er musste die Nacht länger arbeiten, um einen Auftrag fertig zu bekommen.“
„Ihr Partner?“ Stephan hörte genau die Verwunderung der Frau, dabei hatte er sie doch informiert, dass er einen Geschäftspartner hatte.
„Seit über vier Jahren, wusste Sie das nicht?“
„Nein, darüber hat mich Mister Black nicht informiert.“
„Gar nicht seine Art, möchten Sie einen Kaffee?“
„Sehr gerne, Mister White.“
Die Schritte verhallten in Richtung Küche und Stephan fuhr sich durchs Gesicht. Da lief gerade was gehörig schief. Mühsam quälte er sich aus dem Bett, verschwand kurz ins Bad und schlicht sich zur Küche.
Christian stand mit Susanna auf dem Arm da und machte Kaffee, während sich die Frau vom Jugendamt kritisch umsah. „Ist ein Kind in ihrer Beziehung nicht etwas hinderlich?“, sah sie Christian an.
„Finde ich nicht. Durch die Tagesmutter und ein paar Umstrukturierungen in der Firma lässt es sich gut vereinbaren.“
„Aber finden sie nicht auch, dass es Susanna in einer regulären Familie besser hätte? Vater und Mutter?“
Von einem zum anderen Augenblick verfinsterte sich der Blick von Stephans Geschäftspartner. „Ach und was sollten diese ihr mehr geben können als Stephan? Er liebt sie abgöttisch. Hat sich von einem Workaholiker zu einem freizeitliebenden Vater entwickelt. Was also meinen Sie, sollte ihr eine „reguläre“ Familie mehr geben?“
„Er hat aber bis in die Nacht gearbeitet, weil irgendein Unternehmen auf die Arbeit wartete. Ist das Ihre Erläuterung zu einem als freizeitliebenden Vater?“
Mit einem lächelnden Blick zu Susanna setzte Christian sie in ihren Sitz am Tisch, dann verfinsterte sich sein Blick wieder, als er die Frau ansah. „Er arbeitet, sorgt dafür, dass es der Kleinen an nichts fehlt. Sie hat eine Tagesmutter und wenn diese verhindert ist wie die Nacht, bin ich sofort hier und versuche mein Bestes damit der Kleinen es an nichts fehlt. Ja wir arbeiten viel und gerne, jedoch können Sie sich mit einer Sache sicher sein, Nummer eins ist und bleibt Susanna. KEINE reguläre Familie kann ihr das geben, was sie hier bekommt, wahre unverfälschte Liebe von ihrem leiblichen Vater!“
Miss Meyer war etwas zurück geschreckt, doch lächelte dann nickend. „Und Sie meinen, Sie können ihren Partner da vollkommen unterstützen? Wieso leben Sie dann nicht hier?“
Christian stockte, sichtbar begriff er erst jetzt, auf was die Jugendamtsmitarbeiterin raus wollte. Doch ehe er was erwidern konnte, geschweige denn richtig stellen, trat Stephan in die Küche. „Guten Morgen, entschuldige.“
„Kein Problem, war sehr spät, was?“, lenkte sein Eintreten seinen Geschäftspartner ab.
„Zwei, glaube ich. Florian kümmert sich darum, dass es per Eilexpress rausgeht und morgen bei Winstons auf dem Tisch liegt. Guten Tag, Miss Meyer“, wandte sich Stephan an diese.
„Guten Tag. Muss ein wichtiger Auftrag gewesen sein?!“
„Allerdings und da Susanna zahnt, hatte ich im Haus keine Ruhe“, beschämt färbten sich seine Wangen rot.
„Das kann ich durchaus nachvollziehen. Ich würde mich gerne einmal in Ihrem Haus umsehen, wenn es Ihnen recht ist?“
„Nur zu, ich gönne mir inzwischen einen Kaffee.“
Etwas irritiert erhob sich die Frau und verschwand im Flur. Selbst Stephan war klar, dass sie man nie alleine durch ein Haus gehen ließ, jedoch brauchte er die paar Minuten mit Christian alleine. „Dir ist endlich klar geworden, was sie unter Partner verstanden hat, oder?“
„Ja … es tut mir leid, darüber habe ich nicht nachgedacht!“ Das war Stephan durchaus bewusst, denn sie bezeichneten sich den ganzen Tag als Partner, waren sie schließlich auch. Aber es konnte ebenso missverstanden werden. „Ich kläre das gleich auf, meine Güte, es tut mir leid, Stephan.“
„So schlimm ist es auch nicht und es kann nicht unser Problem sein, dass sie uns falsch versteht.“
Grinsend sahen sie sich an.
„Nun ja, lässt dich gut dastehen. Schließlich geht sie von einer vierjährigen Beziehung aus.“
„Könntest du davon absehen, es richtig zu stellen? Ich hab echt Angst, dass sie mir Susanna …“
„Schon okay. Selbst als „Fake“-Partner bist du bisher der beste, den ich je hatte.“
„Dito!“, grinste Stephan, griff sich die Tasse Kaffee von der Arbeitsplatte. Genüsslich nahm er den ersten Schluck.
„Sie haben ein sehr schönes Haus. An jegliche Kindersicherung ist gedacht und das Zimmer von Susanna ist ein Traum.“
„Herzlichen Dank.“, schmunzelte Stephan. Ein Glück wollte die Frau nicht wissen, was ihn das alles gekostet hatte.
„Gerne, jedoch bin ich immer noch davon überzeugt, dass sie sich unser Angebot noch mal durch den Kopf gehen lassen sollten. Susanna käme in eine liebevolle Familie. Sie dürften sie jederzeit besuchen gehen und doch würde sie normal aufwachsen.“
Stephan nickte und runzelte die Stirn. „Normal? Ich würde sagen, es ist nicht normal, wenn sie von ihrem Vater getrennt wird, wo ihre Mütter bereits verstorben sind. Was denken Sie eigentlich, was diese Familie ihr bieten kann und ich nicht? Mir fehlt es weder an Geld, noch an Zuneigung für meine Tochter. Selbst wenn ich hetero wäre und somit ihrer Vorstellung einer regulären Familie näher käme, könnte keine Frau Susanna ihre Mutter ersetzen. Christians Schwester ist die Tagesmutter. Susanna wird von ihr sehr gut versorgt, wenn ich nicht da bin und wie sie sehen, selbst wenn diese keine Zeit hat, findet sich jemand. Ich verstehe ehrlich gesagt ihr Problem nicht.“ Es kostete ihn alle Kraft ruhig zu bleiben, doch sein Anwalt hatte ihm dazu bei ihrer ersten Begegnung geraten. Denn ein ausfallender, aggressiver Umgang mit dem Jugendamt würde ihm schneller seine Tochter nehmen, als er sich vorstellen konnte.
„Ich finde es einfach nicht rechtens.“
„Interessant, dann werden wir uns an Ihren Vorgesetzten wenden, damit er eine neue Sacharbeiterin damit beauftragt, diesen Fall zu bewerten. Denn wenn Sie voreingenommen zu derartigen Familien-Konstellationen sind, dann wäre es wohl der beste Weg, um eine objektive Beurteilung zu erhalten.“ Christian kochte vor Wut und das blieb Stephan nicht verborgen, denn dieser umfasste die Arbeitsplatte derart fest, dass seine Handknöchel weiß hervortraten. Sanft streichelte Stephan über die Hand, was Christian dazu brachte, sich etwas zu entspannen.
„Ich werde sie objektiv beurteilen“, die Stimme von Miss Meyer wurde zu einem Flüstern, als sie sich auch schon erhob und mit keinem weiteren Wort das Haus verließ.
Der Rest des Tages verlief ruhig. Christian hatte kurz nach der Jugendamtsmitarbeiterin das Haus verlassen, was Stephan zwar irritierte, aber sogleich von Susanna abgelenkt wurde. Seit langem war er entspannt, was eventuell daran lag, dass er sich mal keine Gedanken um Jugendamt, Arbeit und irgendwelchen Terminen machen musste. Dazu hallten noch die Schwingungen des Morgens in ihm nach. Der Gedanke, dass jemand Christian und ihn als Paar sah, hatte in ihm ein kleines Feuer hinterlassen. Es brannte sich warm durch seinen Körper, verursachte ein penetrantes Lächeln auf seinen Lippen und ließ sogar zu, dass Susanna Narrenfreiheit hatte.
Zwar nannte sich Stephan einen Narren, aber das Gefühl war zu schön, um es nicht zu genießen. Die Realität kam bekanntlich früh genug, wieso also nicht ein wenig in der Traumwelt wandeln, in der Christian und er mehr waren als nur Geschäftspartner?
Am Abend als seine Tochter schon schlief, juckte es ihm in den Fingern, oder im gesamten Körper und er rief bei Lisa an, die ihm mittags schon mitgeteilt hatte, dass es ihrer Tochter besser ging. Eine Allergie war schuld gewesen, dass sich ihre Tochter derart übergeben musste. Trotzdem fragte er noch drei Mal nach dem Befinden des Kindes und dann erst, ob sich Lisa bereit erklären würde, auf Susanna aufzupassen.
Sie bejahte und als auch ihr Kindermädchen zusagte, machte sich Stephan fertig. Mit seiner engsten Jeans, einem fast durchsichtigen Hemd und gestylten Haaren stand er schon bald an der Tür, um die Schwester seines Geschäftspartners einzulassen. „Ich danke dir“, begrüßte und verabschiedete er sie zugleich mit einem Kuss auf die Wange.
Wie lange er schon nicht mehr in den Clubs der Stadt unterwegs gewesen war, konnte Stephan nicht sagen, jedoch, dass er diesen Abend komplett auskosten wollte. Die erste Bar brachte lediglich sein Blut in Wallungen, dank den Drinks. In der nächsten verzog er sich kurz nach dem Eintreten wieder, es war Themenabend und der lag ihm so gar nicht.
Irgendwann nach Mitternacht kam er in einem der bekanntesten Clubs für Homosexuelle an. Es war wenig los, sodass er sich in Ruhe umsehen konnte und schon bald an drei Personen hängen blieb. Mit weit aufgerissenen Augen sah er zu John, Luc und Christian. Was machte dieser in so einem Club? Eilig drängte sich Stephan an die Bar und kippte drei Gläser eines beliebigen Schnapses runter. Erst dann traute er sich zu seinen Freunden und Christian. Der Mann, der ihn debil grinsen ließ und sich nicht mal bewusst war wieso.
John erblickte Stephan als erster und stieß lachend seinen Mann an. Der wiederum machte auch Christian auf ihn aufmerksam, der sofort grinste und ihn als erster begrüßte.
Stephan fluchte, in seinem Magen breiteten sich diese bösen Viecher aus, denen er am liebsten jeden Flügel ausrissen hätte, damit sie nicht mehr so ein Gefühl verursachten. Das durfte einfach nicht sein, nicht bei Christian, sein heterosexueller Geschäftspartner.
Irgendwie fühlte er sich in der Verantwortung dafür zu sorgen, dass diesem kein Mann zu nahe kam. Herrgott, was sollte Christian sonst von homosexuellen Männern denken, wenn sie ihn alle anbaggerten? Das war nicht gut, gar nicht gut.
Eine Stunde lang wich er Christian nicht mehr von der Seite, was ihm schiefe Blicke von John und Luc einbrachte, die die Chance wahrnahmen, mit Stephan zu reden, als dessen Geschäftspartner auf die Toilette verschwand.
„Dürften wir wissen, was du da machst? Du hängst regelrecht an Chris.“
„Sagt mir lieber wieso ihr ihn in so einen Laden schleppt. Das ist nichts für ihn und für euch beide übrigens auch nicht. Habt ihr eigentlich gemerkt, wie man euch mit Blicken auszieht? Christian kommt wie ein Top rüber und so einen lassen sich hier wenige entgehen!“ Er sprach durcheinander, merkte es selbst, doch der Alkohol machte seine Gedanken etwas schwerfällig. Denn auch wenn er auf Christian aufpassen wollte, musste er die nervenden Tiere in seinem Magen dazu bringen, mit ihren Flugkünsten aufzuhören.
Überrascht weitete Luc die Augen, verkniff sich ein Grinsen und flüsterte in Stephans Ohr. „Christian hat uns mit hierher genommen, nicht wir ihn.“
Irritiert runzelte Stephan die Stirn, diese Aussage wollte nicht verarbeitet werden, stattdessen nahm er noch einen tiefen Schluck aus seinem Glas. Als eine Hand auf seinem Hintern landete, sah er sich irritiert um und blickte einem fremden Mann ins Gesicht, der allerdings nicht so fremd war. Carlos stand mit einem fast zahnlosen Lächeln vor ihm, abermals mit nacktem Oberkörper und einem muffeligen Geruch. Stephans Herz blieb stehen, er schluckte schwer und versuchte wegzukommen. Doch der Stehtisch, an dem er sich mit seinen Freunden befand, hielt ihn ab. Immer näher trat Carlos, leckte sich mit der Zunge über seine aufgesprungen Lippen, als er plötzlich herumgerissen wurde.
Christian stand dort und ließ sofort von Carlos ab, als dieser das Ausmaß sah. „Mein Partner schätzt es nicht, bedrängt zu werden.“ Er schauderte.
„Sah letztens anders aus. Hatte ein Date mit mir, aber dann ist er plötzlich weg.“
„Warum nur? Hat er sich seither bei dir noch mal gemeldet? Nein? Dann verzieh dich!“
Stephan traute seinen Augen nicht, als er Christians Blick sah. Der maß sich in allem ernst mit Carlos und gewann. Dieser zog unter wilden Flüchen ab.
„Alles klar, Stephan?“ Er reagierte nicht, griff stattdessen nach einem Schnaps, den sich Luc bestellt hatte. „Meinst du nicht, du übertreibst es heute mit dem Trinken?“
„Schon.“
„Gut, soweit bekommst du noch was mit. Was ist los?“
„Du! Ist alles deine schuld!“ Stephan wollte sich den Mund verbieten, doch irgendwie schien dieser seinen eigenen Willen zu haben.
„Meine, inwiefern?“
„Seit heute Morgen. Alles ist durcheinander und das ist deine Schuld. Was macht dein Hetero-Arsch auch hier?“
„Deinen vor Carlos retten“, lachte Christian. „Und was ist durcheinander?“
„Tzz, du kannst nicht mal auf deinen aufpassen, jeder will ihn, ALLE.“
„Aber scheinbar hast du was dagegen, dass ihn irgendwer bekommt, wieso?“ Christian war näher getreten, was Stephan nur recht schien, denn er packte ihn am Kragen und verringerte ihren Abstand, bis sich ihre Nasen berührten.
„Ich will ihn ja auch, aber auch nicht also … oh Mist … du bist hetero, das ist ätzend.“
„So, bin ich und dürfte ich mal erfahren, wie du darauf kommst? Ich hatte noch nie eine Freundin und stehe auch nicht auf Frauen, aber irgendwie scheint dir das komplett entgangen zu sein.“
„Nicht wahr!“ Stephan riss die Augen auf und Christian noch näher zu sich, sodass ihre Körper nur durch den Stoff auf ihrer Haut getrennt wurden.
„Doch, seit mehr als 15 Jahren bin ich mir da sehr sicher. Ein Problem für dich?“
„Ja. Das machst du alles extra, oder? Bin ich so ein Arsch? Susanna, Meyer, alle überzeugst du…“
Christian schmunzelte, biss sich auf die Unterlippe und nickte. „Ja, eventuell schon, zumindest was deine Tochter angeht. Sie ist bezaubernd, wie ihr Vater. Schlimm?“
„Ganz schlimm. Du hast verdammt schöne Augen und die Tiere, hören nicht mehr auf und außerdem Susanna mag dich.“
John schlug Christian auf die Schulter. „Bring ihn heim, der ist dicht und ich glaube …“ Dann tuschelten sie, was Stephan nicht gefiel. Er sah nur noch das Nicken seines Partners und wie Luc mit seinem Mann Richtung Ausgang verschwand.
„Komm, ich fahr dich heim. Ist Lisa bei dir?“
„Ja bis morgen, denn ich lass mir heute nix entgehen, brauch unbedingt was in mir.“
„Aber sicher nicht hier. Komm mit.“
Stephan ließ sich mitziehen und sah einigen potenziellen Männern hinterher, die zu seinem früheren Geschmack gepasst hätten. Früher, vor Christian, dessen liebenswerter Art und … „Ach verdammt, ist doch scheiße.“ Statt es nur zu denken, hatte er es ausgesprochen.
„Und was ist so scheiße?“ Christian hielt nicht an, zog ihn weiter über den Parkplatz. Irritiert sah sich Stephan um, waren sie nicht gerade noch im Club gewesen?
„Du! Vermiest mir alles. Kann nicht mehr denken.“
„Das ist der Alkohol, meinst du nicht? Steph, was ist los?“
Er hasste es, wenn sein Name abgekürzt wurde, doch aus dem Mund seines langjährigen Geschäftspartners hörte es sich verdammt gut an. „Nicht Alkohol, du! Alles ist hier komisch, alles!“ Innerlich verprügelte er sich, während äußerlich lediglich seine Hände wild gestikulierend seinen Bauch umkreisten. Nie wieder Alkohol, schwor er sich.
„In deinem Bauch sind Tiere? Wie kommen sie da rein?“ Christian grinste und fing Stephans Hände ein.
„Durch dich. Du warst das, ganz klar. Was musst du auch so nett sein, so berauschend, so gut riechend, so nett zu Susanna. Du hättest einfach Arsch sein können, ganz einfach.“
„Ich rieche gut?“ Der Typ machte sich doch über ihn lustig, ja wieso auch nicht? Er war besoffen, hatte seine Zunge nicht unter Kontrolle und verhielt sich gerade wie ein pubertierender Jüngling. So murrte er lediglich eine Antwort, die nur mit gutem Willen einer Bestätigung gleich kam.
Plötzlich drehte sich alles, irgendwas erdrückte Stephan und presste ihn an kühles Metall. Erst wollte er sich wehren, bis es in seinem alkoholgetränkten Gehirn ankam, er wurde geküsst. Christian küsste und drängte sich an ihn, als würde es kein Morgen mehr geben. Die letzten Gehirnzellen gaben ihre Arbeit auf, jetzt hieß es nur noch genießen. Egal was der nächste Morgen brachte, das war zu gut, um es zu beenden.
Atemlos nahm Christian Abstand, schluckte hart und sah ihn an. „Scheiße, es tut mir leid.“
„Du hast es endlich verstanden. Alles deine Schuld.“ In Stephan tobte ein Sturm, wollte gebändigt werden, doch nur durch einen, der sich gerade von ihm entfernte.
„Halt einfach den Mund, Steph!“, es war kein Raunzen, wie man es erwartet hätte, eher kam es einem Flehen gleich. „Das hier ist gar nicht gut, ich halt mich seit Jahren von dir fern, das sollten wir auch nicht ändern. Wir sind Geschäftspartner und alles andere wäre nicht gut.“
Christian hatte recht, das war Stephan nur all zu bewusst. Es drang allerdings nicht so tief in sein Gehirn, wie es besser gewesen wäre, denn nun war er es, der den anderen ans Auto drängte und dessen Mund verschloss. Rechnete er damit, dass sich Christian wehren würde, wurde er überrascht. Denn dieser schlang die Arme um ihn und genoss den Kuss in vollen Zügen. „Das ist nicht gut“, wisperte Stephan an seine Lippen.
„Überhaupt nicht gut“, bestätigte Christian.
„Wir sind Geschäftspartner, wir müssen an die Agentur denken.“
„Genauso ist es.“
Statt sich zu trennen, zogen sie sich noch näher, ihre Hüften trafen sich, zeigten die Spannung und Lust, die in ihnen steckte.
„Eine Nacht kann nicht schaden“, schluckte Stephan hart und sah tief in Christians grüne Augen.
Dieser biss sich auf die Unterlippe, schloss kurz die Augen und nickte dann. „Eine Nacht.“
Es kostete beide unendlich viel Kraft, sich nicht schon auf dem Parkplatz die Klamotten vom Leib zu reißen. Christian fuhr sie zu seiner Wohnung, die vollkommen unbeachtet von Stephan im Dunklen blieb. Dieser hatte einzig das Bedürfnis, seine Träume endlich real zu machen und riss Christian die Kleidung herunter. Begehrlich fuhren seine Finger über den Körper, den er seit Tagen nicht mehr aus seinen Gedanken bekam. Stürmisch folgten seinen Händen die Lippen, was Christian aufstöhnen ließ.
„Steph …“
„Genieße!“, raunte er und Christian dirigierte sie in Richtung Schlafzimmer. Stephan befreite sich selbst von seiner Kleidung, schmiss den Traum seiner letzten Nächte aufs Bett und schob sich über ihn. Begleitet von seinen Lippen ertastete er jeden Zentimeter von Christians Haut, der sich stöhnend unter ihm wandte. Mit sanfter Härte biss Stephan in die Erhebungen der Brust, um sie danach mit seiner Zunge um Verzeihung zu bitten. Als sich ihre Glieder berührten, kämpften beide um die Beherrschung, dem Ganzen nicht zu schnell ein Ende zu bereiten. Genießen war die Devise, denn es sollte bei einer Nacht bleiben, das nahm sich Stephan vor. Für die Agentur, ihre Mitarbeiter und ihrer Geschäftsbeziehung war es sicher das Beste, auch wenn sich diese Situation verboten gut anfühlte und er sich nichts sehnlicher wünschte, als mehr zu bekommen.
Inzwischen schien Christian die Führung übernehmen zu wollen, drehte sich mit Stephan und eroberte mit seinen Lippen dessen Körper. Das Geräusch einer Schublade drang in Stephans Gehörgang und ließ ihn vor Erwartung zittern. Als sich die ersten Finger über seinen Schwanz, Richtung Rosette machten, stöhnte er auf. Ein verlangendes Kribbeln durchzog seinen Unterleib, ließ seinen Schwanz noch mehr anschwellen. Sachte, mit aller Ruhe verteilte Christian Gleitgel an der zuckenden Öffnung, während sein Gesicht dem von Stephan nahe kam. Zärtlich hauchte er einen Kuss auf die Lippen. „Bist du schon mal nur durch anale Stimulierung gekommen?“ Stephan riss die Augen auf, denn in diesem Augenblick drangen Christians Finger in ihn ein und trafen zielgenau seine Prostata. „Mehr?“ Allein die Stimme jagte Stephan den nächsten Impuls in sein Glied, welcher dieses verlangend zucken ließ.
„Ja!“, japste er die Antwort und schloss ergeben die Augen. Das Reißen des Kondoms drang kaum zu ihm durch, stattdessen erwartete er sehnsüchtig die Dehnung.
Christian legte sich Stephans Beine auf die Schulter, drang ein letztes Mal mit seinem Finger in ihn ein, als er auch schon seinen Schwanz hineingleiten ließ. Stephan hatte nicht die Zeit sich zu verspannen, als Christian ihn schon komplett erobert hatte. „Entspann dich, heute Nacht gehörst du mir und du wirst sie nie vergessen!“
Dieses Versprechen hielt Christian und das ganze drei Mal.
Stephans Kopf erfüllte ein dumpfes Trommelspiel, während sein Hintern brannte und seine Glieder sich erschöpft gegen jede Bewegung sträubten. Jedoch wollte er eiligst verschwinden und das nicht nur, weil Christian und er eine klare Abmachung hatten. Lisa war schon viel länger bei ihm, als es normal der Fall gewesen wäre und so schlich er morgens um sechs Uhr aus dem Bett seines Geschäftspartners, rief sich ein Taxi und betrat eine halbe Stunde später sein Haus.
Lisa war schon wach, begrüßte ihn mit einem ehrlichen Lächeln, was er nur ungenügend erwidern konnte. Das dumpfe Gefühl in ihm sprach von einem riesigen Fehler. So machte er sich wortlos einen Kaffee und verschwand samt Babyfon im Garten. Seine Gedanken brauchten Platz und diesen hatte das Haus ihm nicht bieten können.
Christians Geruch haftete noch auf seiner Haut, die Spuren der Nacht ebenso und das löste in Stephan ein beklemmendes Gefühl aus. Jedoch konnte er sich nicht dazu überwinden, unter die Dusche zu steigen. Endlich war er seinem Traum so nahe gewesen und wollte ihn festhalten. Wie sollte er nur am Montag vor Christian treten und so tun, als hätte es die Nacht nie gegeben? Der Druck in seinen Augen, der zugeschnürte Hals und die Kälte, die sein Innerstes erfüllte, ließen es zu, dass er den Tränen freien Lauf gewährte. Stephan fühlte sich wie eine Vase, die kurz vor dem Zerbrechen war und nur durch ein Puzzelteil zusammengehalten wurde. Susanna, für sie würde er bestehen bleiben. Egal was noch kommen mochte und wie sehr er sich nach der Nähe der Nacht sehnte, die er nie wieder verspüren durfte.
Montagmorgen und Stephan fühlte sich bereit für den Tag, ebenso Christian gegenüberzutreten und sich nichts anmerken zu lassen, was genau zwischen ihnen passiert war.
Der australische Geschäftspartner wartete schon per Videokonferenz im Besprechungsraum und erzählte ihnen, wie hervorragend das Layout und der Text seien, um ihr Produkt zu bewerben. Kaum war die Videoübertragung beendet, seufzten Christian und Stephan erleichtert auf. Automatisch schlugen sie beieinander ein, doch dann schien es, als bliebe die Welt stehen. Sie sahen einander in die Augen wie in der Nacht, versanken darin ohne wirklich wahrzunehmen, wie sie sich näherten.
„Einmal ist keinmal“, hauchte Christian und machte den letzten Schritt, sodass sich ihre Körper aneinander pressten. Stephan konnte nichts sagen, wartete stattdessen, dass sich die aufgeheizte, knisternde Luft um sie abkühlte und ihren Verstand zurückholte. Doch das passierte nicht, stattdessen spürte er Christians Lippen das zweite Mal innerhalb von weniger als zwei Tagen auf seinen. Und wieder schaffte es sein Geschäftspartner, ihn willenlos zu machen. Stephan gab sich dem hin, was ihm geboten wurde und fand sich schon bald auf dem Konferenztisch wieder. Christian drängte sich zwischen seine Beine und dessen Hände unter Stephans Hemd.
„Zweimal ist Absicht!“, stöhne Stephan, unter den kundigen Fingern, die seine Brustwarzen bearbeiteten.
„Sag ich soll aufhören und ich tue es.“ Christian verharrte in seinen Bewegungen, wartete darauf, dass sein Gegenüber reagierte, doch Stephan blieb stumm.
Wie hätte er auch etwas gegen die Berührungen sagen können, nach denen sich sein Körper sehnte und welche sein Herz erreichten. Seit langem hatte er wieder Herzklopfen und sehnte sich nach einem bestimmten Mann und auch wenn dieser nicht das gleiche Interesse hegte wie er, was war daran verkehrt, sich für wenige Minuten dem Glauben hinzugeben?
Gerade als Christian wieder mit den Lippen auf seine traf, stieß Stephan ihn zurück. Dank des Glases sah er den Fahrstuhl kommen. Eilig richtete er sich auf und wischte Christian über den Mund. „Da kommt wer“, entkam seinen Lippen atemlos.
Es war John, der in die Büroetage trat und sie beide sofort erblickte. Seine Stirn runzelte sich und er sah sie durchdringend an. Christian ging sofort zu ihm und dirigierte den Besuch in die Kaffeeecke.
Stephan blieb zurück, mit einem pochenden Herzen und einer schmerzhaften Erektion. Eilig besuchte er die Toilette, dachte an die Nacht von Freitag auf Samstag und ergoss sich schon nach geringer Reibung. Ergeben sackte sein Kopf nach vorne, während er immer noch die grünen Augen vor sich sah. Es war um ihn geschehen, das wusste Stephan nur zu genau. Sein Herz schlug schneller, seine Gedanken drehten sich um seinen Geschäftspartner auf eine Art, die nicht sein sollte. Es war nicht gut für ihre Agentur, sich auf ein Intermezzo einzulassen, welches sicherlich in weniger als einem Monat der Vergangenheit angehörte. Sein Herz wäre zerbrochen und Christian würde sich sicherlich den nächsten Typ anlachen.
Seine Gefühle stellten ihre Arbeit ein, mit hängendem Kopf wusch sich Stephan die Hände, richtete seine Kleidung und ging wieder an die Arbeit. Er würde sich die Gedanken aus dem Kopf schlagen und sicherlich nicht noch einmal zulassen, dass Christian ihm derart nahe kam.
Doch auch Christian schien nachgedacht zu haben und hielt sich von ihm fern. Vielleicht, oder sogar sehr wahrscheinlich lag es an Johns Besuch, dass sich dieser plötzlich distanzierte.
Abends saß Stephan mit Susanna auf der Couch, wiegte sie in seinen Armen und verkniff sich vereinzelnd Tränen. „Unser Plan wird nichts. Ich schaff das einfach nicht einen Mann zu finden, dem auch so viel an mir liegt, wie mir an dir“, sanft küsste er die zarte Haut der Stirn und sog den Geruch seiner frisch gebadeten Tochter ein. Diese hustete ein wenig und schmiegte sich noch enger an ihren Vater. „Du wirst doch wohl nicht krank?“ Sanft legte er sich Susanna auf die Brust, schaltete den Fernseher ein und ließ sich vom Abendprogramm berieseln.
Gerade noch hatte sich Stephan im Traum an Christian geschmiegt und dessen verführerischen Worten gelauscht, als ein ersticktes Husten an sein Ohr drang. Irritiert hatte er den Traummann angesehen, der abermals krächzend hustete. Plötzlich bemerkte Stephan eine feuchte Hitze auf seiner Brust. Verschlafen öffnete er die Augen und sah direkt in die glasig blauen seiner Tochter. Ihr Gesicht war von der Hitze, die sie ausstrahlte, gezeichnet und ihr ganzer Körper zitterte. In Sekunden war Stephan hell wach. „Susanna, was ist los? Hey komm, schau mich an.“ Doch das tat das kleine Mädchen nicht, sah stattdessen durch ihn hindurch und wimmerte leise.
Panisch sprang Stephan auf, lief mit seiner Tochter auf dem Arm zum Telefon und versuchte den Kinderarzt zu erreichen. Doch wie zu erwarten, war die Praxis nachts nicht besetzt. Mit zittrigen Fingern glitt seine Hand zum Handy, sicherlich wusste John oder Luc was zu machen war. Vielleicht auch Beate Stone, schließlich war sie Mutter. Lisa, eindeutig, Lisa würde ihm helfen können. Abermals hustete Susanna, was Stephans Herz zerriss, derart schmerzlich klang es. Als er Lisas Nummer rausgesucht hatte und das Gespräch angenommen wurde, sprudelte es aus ihm heraus. „Ich brauche Hilfe. Susanna atmete so komisch, der Husten hört sich schmerzhaft an und sie ist so heiß.“
„Steph? Was ist los?“ Das war nicht Lisa, wurde Stephan bewusst, doch es war ihm egal.
„Chris, Susanna ist krank und ich erreiche den Kinderarzt nicht, was soll ich tun?“
„Ruf einen Krankenwagen, ich bin gleich bei dir.“ Schon war das Gespräch beendet und Stephan tat, wie ihm empfohlen.
Zeitgleich mit dem Notarzt tauchte Christian auf und auch wenn dieser an sich nichts tat, war Stephan froh nicht allein zu sein. Der Arzt untersuchte Susanna und legte eine Infusion. Als sich die Nadel in die Haut seiner Tochter bohrte, versteckte Stephan sein Gesicht an Christians Schulter. Dieser streichelte seinen Rücken und hörte dem Arzt aufmerksam zu. Dieser diagnostizierte den Verdacht einer Lungenentzündung und informierte über eine Mitnahme ins Krankenhaus.
Stephans Gedanken überschlugen sich, als er seine Tochter da so liegen sah und die Bemühungen des Arztes. Betend saß er an der Tür und flehte Sandra und Annabell an, ihre Tochter zu schützen.
Etliche Untersuchungen, eine Röntgenaufnahme und eine weitere Infusion später lag Susanna in einem Bett und schlief, während ihr Vater daneben saß und seinen Kopf in die Hände gestützt hatte. Hinter ihm stand seit zwei Stunden Christian, sagte keinen Ton, aber ließ sich auch nicht heim schicken. Stattdessen sorgte er dafür, dass sich Stephans Kaffeetasse niemals leerte.
Als Susanna tief und fest schlief, überredete er Stephan sogar, für eine Pause mit nach draußen zu kommen. Eine Runde streiften sie durch die Dunkelheit des Krankenhausparks. „Hast du verstanden was der Arzt gesagt hat?“, durchbrach Christian ihr Schweigen.
Stephan schüttelte den Kopf. Er hatte nichts mitbekommen, einzig seine Tochter im Blick gehabt, die weinend die Untersuchungen über sich ergehen lassen musste. „Nein, um ehrlich zu sein.“
„Dass es nicht so dramatisch ist, erst der Anfang einer Lungenentzündung und sie aus reiner Vorsicht über Nacht hier bleiben soll. Morgen wirst du sie bereits mit heim bekommen.“
„Wirklich? Gut! Aber ich kann nicht arbeiten kommen, ich muss …“
„Natürlich, die Woche bleibst du daheim. Florian hat mir heute was von einem Seth Bolin erzählt, den wir als Texter und Layouter einstellen wollen?“
„Er fragte mich, der Typ muss gut sein und ich habe ihn ein Angebot abschicken lassen.“
„Okay, zumindest wird dieser morgen mit mir ein Vorstellungsgespräch haben, zwar nur über die Cam, weil er arbeiten muss, aber immerhin. Wenn er unseren Vorstellungen entspricht, kann er innerhalb von drei Tagen hier sein. Sein Vertrag läuft übermorgen ab und er will weg.“
„Sehr gut, wir brauchen Leute. Ich kann nicht mehr alles machen, Susanna ist mir wichtiger.“ Stephan sah zum Sternenhimmel und blinzelte eine Träne weg.
„Ich wäre enttäuscht, wenn nicht. Statt deine Tränen zu schlucken, solltest du ihnen ruhig freien Lauf lassen, denn es hat keinen Sinn, seinen Kummer zu ersticken.“ Ganz langsam schob sich Christian vor Stephan, zog ihn an sich und schloss ihn in die Arme. „Ich bin für dich da, wenn du mich lässt.“
Seufzend ließ Stephan die Nähe zu, inhalierte Christians Geruch. „Als was? Guter Freund? Geschäftspartner? Chris, das ist nicht das was ich momentan will, danke, aber es ist besser wir beschränken uns wieder auf das Geschäftliche, wie wir es die letzten Jahre gehandhabt haben.“ Mit diesen Worten, einem flüchtigem Kuss und Blick in Christians grüne Augen, verschwand Stephan wieder im Krankenhaus.
Es war die beste Lösung, davon war er überzeugt, denn was sollte es ihm bringen, Zeit und Energie in eine Beziehung zu stecken, die nie über eine Affäre und eventuelle Freundschaft hinausging. Irgendwann stände dann Christian mit einem anderen vor ihm und sein Herz zerbrach. Nein, das würde er sich nicht antun. Mit der Hand seiner Tochter in seiner schlief Stephan schon bald an ihrem Bett ein.
Susanna spuckte den Brei wieder aus und lachte vergnügt. Nach nur drei Tagen hatte sie bereits wieder allerhand Flausen im Kopf und trieb damit ihren Vater zur Verzweiflung. Jedoch konnte nicht mal das Schlachtfeld in der Küche Stephans Laune mindern. Seiner Tochter ging es wieder gut und das freute ihn mehr, als die Sauerei ihn ärgern konnte. Zwar war der Husten noch nicht komplett verschwunden, auch das Fieber kam zum Abend hin immer noch und sie schlief fiel, aber es ging Susanna eindeutig besser. „Du bist mir ein Früchtchen, wer muss das alles wieder sauber machen?“
„Dada!“, quietschte sie und zeigte auf ihn.
„Genau, ich!“, seufzte er und kniete sich nieder. Geistig notierte er sich, keine Gläser mehr zu kaufen, eindeutig zu schleimig, ließen sich viel zu gut ausspucken und klebte wirklich überall. „So, ab heute isst du mit mir, ich lerne auch kochen, versprochen.“ Susanna schien ihn auszulachen, ob es an seinem Versprechen lag, dem sie nicht glaubte, oder an der vollen Windel, deren Geruch gerade die Küche flutete, vermochte Stephan nicht zu sagen. Ergeben seufzend stand er auf, wusch sich die Hände und hob seine Tochter aus dem Kinderstuhl. Susanna hatte sichtlich Spaß daran, ihren Vater mit den Fingern am Bart zu kitzeln und dabei den Brei zu verteilen, den er vergessen hatte wegzuwischen. „Das darf doch nicht wahr sein. Sag mal, willst du mich heute ärgern?“ Dass es ausgerechnet jetzt jemand für notwendig befand, bei ihm zu klingeln, hatte Stephan gerade noch gefehlt. Es war zehn Uhr, er hatte nicht mehr an, als eine Jogginghose und ein T-Shirt, beide mit Brei versaut und sah wohl an sich aus, wie gerade aus diesem gekrochen. Mit dem Ellenbogen öffnete er die Tür und stand schon bald vor John, der ihn mit verschränkten Armen und einem ernsten Blick ansah.
„Wir müssen reden!“, war dessen Begrüßung, dann musterte John sein Gegenüber und konnte sich nur schwer ein Schmunzeln verkneifen. „Was ist mit dir passiert?“
„Meine kleine, süße, tollwütige Tochter. Komm rein, aber mit einem Gespräch wirst du warten müssen, bis wir zwei wieder sauber sind und diese kleine Stinkbombe eine neue Windel hat.“
„Ich übernehme Susanna und du versuchst, dich wieder menschlich herzurichten, wie wäre der Vorschlag?“
„Absolut, dafür bekommst du gleich den besten Kaffee der Welt, okay, meines Hauses.“
Lachend verschwand John mit Susanna in ihrem Zimmer und Stephan schleifte sich zum Bad. Eine Dusche später, frische Kleidung und nachdem seine Haare sogar einigermaßen in Form gebracht waren, lag Susanna auf ihrer Spieldecke im Wohnzimmer und Stephan saß mit John auf dem Sofa.
„Was gibt es denn zu besprechen, dass du hier auftauchst, als wolltest du mir den Hals umdrehen?“
„Ehrlich gesagt wollte ich das echt.“ Johns Blick verfinsterte sich abermals.
„Und wieso? Ich dachte, das mit Luc sei geregelt. Ich weiß, dass es nicht okay war und es tut mir auch leid.“
„Wer spricht von Luc? Ich möchte mit dir über Christian reden.“
Überrascht weiteten sich Stephans Augen. „Ist was mit der Agentur?“
„Nein, davon wüsstest du wohl eher als ich. Das zwischen euch beiden …“
„Da ist nichts und gut ist. Das werde ich mit Sicherheit auch nicht mit dir Besprechen.“
„Ihr hattet was miteinander und nun gehst du hin und schiebst ihn ab wie ein benutztes Taschentuch. Meinst du ehrlich, ich schaue mir an, wie du einen guten Freund von mir derart behandelst? Das hat er nicht verdient. Ihr seid Geschäftspartner und mir ist durchaus klar, dass es kompliziert ist. Jedoch kann es nicht angehen, dass du ihn erst derart anmachst, ihm Hoffnung gibst und dann fallen lässt wie eine heiße Kartoffel!“
„Ich ihn? Geht’s noch? Er sprach von einem Fehler, einer einmaligen Sache. Dass es nur eine Nacht geben würde. ER hat mich im Konferenzzimmer überrumpelt, nicht ich ihn. Scheinbar kennst du deinen ach so guten Freund nicht wirklich. Er will nicht mehr als einen Fick.“ Stephan klang nur halb so wütend wie er wollte, eher schwang die Enttäuschung in seiner Stimme mit, die er einfach nicht verbergen konnte.
„Du hast doch den Schuss nicht gehört. Christian war noch nie so. Er sucht schon seit Jahren einen festen Partner, dachte diesen auch in Nico gefunden zu haben, doch der hat ihn von vorn bis hinten verarscht. Seit Wochen liegt Chris mir mit dir in den Ohren, dass ich es bald nicht mehr hören kann. Verdammt Stephan, er ist in dich verschossen und das bis über beide Ohren.“
Stephan schwankte, obwohl er saß. Das Gehörte drang in seinen Verstand ein, aber wirklich verstehen tat er es nicht. Christian sollte in ihn verschossen sein? „Was meinst du mit verschossen?“
Johns Stirn verzog sich leicht, kam einem Runzeln gleich. „Er ist verliebt in dich. Du weißt schon, das mit den Schmetterlingen im Bauch, Herzklopfen und rosaroter Brille!“
In Stephans Innerem herrschte helle Aufruhr, vom Himmel zur Hölle, wieder ab auf Wolke sieben, wo er gerade auf seinen freien Fall ins Fegefeuer wartete. Doch irgendwas hielt ihn fest, setzte ihm eine rosarote Brille auf und verpasste ihm ein debil aussehendes Lächeln. „John, du meinst das ernst, oder?“
„Ich hab mich nicht getäuscht, du bist genauso verknallt … aber wieso seid ihr dann nicht zusammen?“
„Die Agentur, wir sind Geschäftspartner und ich wusste doch nicht …“
„Man könnte meinen, ihr zwei habt euch abgesprochen. Christian fing auch so an. Stephan, wenn ihr zwei es wollt, schafft ihr das. Ihr kennt euch schon seit dem Studium, seid seit 4 Jahren Geschäftspartner und dann eben auch noch privat ein Paar, was spricht dagegen? Klar ist es nicht immer leicht, da kann ich ein Lied von singen, seit Luc in der Firma ist. Aber ihr könnt es schaffen, wenn ihr es wollt.“
„Susanna …“
„Also wenn du noch nicht gemerkt hast, dass ihm viel an der Kleinen liegt, ist dir nicht mehr zu helfen. Soll ich aufpassen?“ Die Frage war noch nicht ausgesprochen, da stürmte Stephan auch schon aus dem Haus. Seine Tochter war versorgt und er konnte kopflos handeln. Das musste schnell geschehen, bevor er es sich anders überlegte, so gut kannte er sich schon.
Mit klopfendem Herzen stürmte er den Agenturkomplex, ignorierte die Empfangsdame, die ihm einen guten Morgen wünschte und sprang in den Aufzug, der sich gerade fortbewegen wollte. Mit seinem Schlüssel nahm er sich sein Privileg, den Fahrstuhl allein zu nutzen. Auf der obersten Etage angekommen, betrat er auf schnellstem Weg Christians Büro, der ihn scheinbar noch nicht bemerkt hatte und sich stattdessen mit dem Telefon am Ohr der Aussicht widmete.
Im Moment konnte es allerdings nichts Wichtigeres geben, als das Ungesagte auszusprechen. Also zog Stephan kurzerhand die Schnur des Telefons aus der Buchse in der Wand.
Christians Blick brachte ihn zum Lachen, denn der sah ziemlich perplex auf das Telefon. Dann wandte er sich um, Stephans lachen verstummte, stattdessen sahen sie einander an.
„Was machst du hier?“, brachte Christian stockend heraus.
Nervös biss sich Stephan auf die Unterlippe. „John passt auf Susanna auf.“
„John war bei dir? Oh verdammt. Pass auf, egal was er zu dir gesagt hat, vergiss es, das muss dich echt nicht kümmern.“
„Nein? So sauer wie er war, schien es mir doch, als würde es mich was angehen.“ Langsam wie ein Raubtier schlich Stephan um den großen Schreibtisch von Christian herum.
„Ich … ich hab mich etwas bei ihm ausgelassen, aber wusste doch nicht, dass er gleich zu dir rennt und dir alles auf die Nase bindet. Gott, ist das unangenehm.“ Verlegen setzte Christian sich auf seinen Bürostuhl und ließ den Kopf hängen. „Ich meine, verdammt Steph, ich bin nicht blind. Seit Monaten bist du komplett anders, offener, ehrlicher, fröhlicher. Deine Tochter hat dich verändert und vor allem noch attraktiver gemacht. Ich hab halt Augen im Kopf und ich mag dich schon seit der Studienzeit.“
Es war Balsam für seine vernarbte Seele, die die letzte Zeit derart gelitten hatte. „Ehrlich, das hast du mich nie spüren lassen.“
„Wie denn auch, ich wusste da ja nicht mal, dass du ebenso auf Männer stehst. Und seit ich es weiß … wir sind Geschäftspartner und es ist besser, wenn wir die Distanz waren, um unsere Agentur zu führen.“ Christian schwieg und Stephan, der hinter ihm stand, konnte sich vorstellen, wie er die Augen verwundert umherwandern ließ. „Schon wieder ohne einen Ton weg. Ach verdammt!“ Wütend fuhr Christians Hand über den Schreibtisch und fegte diesen leer. Mit einem Ruck drehte Stephan den Bürostuhl zu sich um und nahm auf dem Schoss seines Partners Platz. Die grünen Augen sahen ihn erschrocken an.
„Schon wieder?“, fragte Stephan interessiert.
„In der Nacht, nach dem Clubbesuch, du bist einfach gegangen. Ohne was zu sagen …“
„Ich hatte es so verstanden, eine Nacht, nicht mehr und nicht weniger. Woher hätte ich wissen sollen, dass du mehr willst? Ein Glück gibt es John.“ Ganz sanft streichelte Stephan Christians Wange und kam ihm noch näher.
„Die Agentur, deine Tochter und …“
„Die Agentur wird hierrunter nicht leiden und meine Tochter? Wir haben einen Mann für Papa gesucht, wenn du den Platz einnehmen möchtest, wäre sie sehr glücklich. Sie mag dich nämlich, weißt du?“
„Ich sie auch … Steph, du bist dir sicher? Wenn du mich jetzt küsst, gebe ich dich nicht mehr her.“
„Sehr gut!“, damit trafen sich ihre Lippen.
Nach gefühlten Stunden trennte sich Christian, atmete tief durch. „Du solltest jetzt aufstehen.“ Nervös rutschte dieser auf dem Sessel herum.
„Und wenn nicht?“, rieb sich Stephan an dessen Unterleib.
„Leg ich dich auf dem Schreibtisch flach.“ Die Ernsthaftigkeit der Worte war nicht zu überhören und doch konnte Stephan es nicht unterlassen, seinen Partner zu reizen, bis dieser ihn auf den Tisch hob.
Was beiden nicht auffiel, war der Aufzug, der aufging und drei Minuten später wieder mit dem neuesten Mitarbeiter der Firma hinabfuhr.
Texte: Rigor Mortis
Bildmaterialien: Urheberrecht : PublicDomainPictures Bildbearbeitung Rigor Mortis
Lektorat: Bri Mel
Tag der Veröffentlichung: 12.08.2014
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