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Die Vergangenheit

 

 

Eigentlich weiß ich nicht mehr, wie und warum ich das gemacht hatte. Es kam plötzlich über mich. Später hieß es dann vor Gericht „räuberische Erpressung“.

Der Richter hatte mich nur streng angesehen und mit tadelnder Stimme bemerkt:

„Herr Markens, Sie sind noch so jung. Glauben Sie nicht, dass es besser gewesen wäre, Sie hätten diese Erpressung mit der Waffe in der Hand nicht gemacht?“

 

Sicher wäre es besser gewesen, aber hinterher ist es immer leicht zu sagen, es wäre alles anders gekommen, hätte man das gemacht oder jenes nicht getan.

Tja und dann „saß“ ich, wie man so schön sagt. Und hatte viel Zeit zum Nachdenken. Und beschloss – anständig zu werden. Jedoch hatte ich einige Jahre abzubrummen. Da mir die Zeit in dieser Anstalt viel zu lange dauerte und auch nicht so sehr gefiel, beschloss ich sie etwas abzukürzen und nutzte dazu den Gefängnisurlaub aus.

 

Ich war nun frei! Relativ gesehen. Ich beschloss das alte Leben abzulegen wie einen alten und schlechten Rock und ein neues anzunehmen.

Ich strich die wenig angenehmen Wochen und Monate im Gefängnis ganz aus meinem Gedächtnis und begab mich auf die Suche nach Arbeit. Denn der Mensch braucht etwas zu essen und zu trinken und Bekleidung natürlich auch. Das bekommt man mittels Geld, dieses wiederum durch Arbeit – sofern man anständig bleiben wollte. Und ich wollte.

 

Ein ehemaliger Schulfreund und Zechkumpane einsamer Vollmondnächte verschaffte mir Arbeit in seiner Metzgerei, einige Ortschaften vom Gefängnis entfernt. Er ließ mich kostenlos im Oberstübchen seines netten Häuschens wohnen. Seine Frau und er waren rührend um mich bemüht und ich fühlte mich richtig wohl.

 

Frederic Wollmann und seine Frau Erika liebten die Geselligkeit. Es verging kein Wochenende, an dem sie nicht Gäste hatten. Mir machte das nichts aus. Im Gegenteil. Ich fand diese Partys sehr nett und aufmunternd. Man lernte allerhand nette und interessante Leute kennen. Man unterhielt sich und wurde unterhalten. Fredi war ein guter Gesellschafter und Erika eine prima Köchin. Mich stellten die beiden als Freund des Hauses vor.

 

An einem ziemlich schwülen Samstag fand wieder so eine Party statt. Erika nannte dies belustigt „Gartenfest“. Nun ja, etwas anderes war es auch nicht. Eine Menge Leute waren eingeladen und ich begann mich schon seelisch darauf vorzubereiten, wieder der herumgereichte Freund des Hauses zu sein.

Doch es schien ein besonderes Fest zu werden. Fredi und Erika zwinkerten sich mit den Augen zu, kicherten leise miteinander oder warfen sich bedeutende Blicke zu. Sie waren besonders aufmerksam zu mir. Fragten mich, ob ich etwas besonderes wolle oder ob etwas fehle. Beide benahmen sich so lange so seltsam, bis ich sie fragte:

„So und jetzt heraus mit der Sprache! Was soll das Getue die ganze Zeit? Warum seid ihr bloß so albern?“

„Aber ich bitte dich, Günther, wer ist denn hier albern? Wir haben nur Sorge um dein Wohlergehen. Das ist alles“, meinte Fredi ziemlich eingeschnappt. Und ich ärgerte mich über mich selbst. Warum konnte ich auch nicht meinen Schnabel halten? Die beiden hatten sicher eine Überraschung für mich und jetzt hatte ich ihnen die Vorfreude verdorben.

 

Langsam wurde es Abend. Erika entzündete die Lampions die wir beide am Nachmittag aufgehängt hatten. Dann kamen die ersten Gäste. Die meisten kannte ich schon und wurde freundschaftlich von ihnen begrüßt.

Ziemlich spät kam dann noch ein Gast. Eine Bekannte von Erika. Diese zerrte mich auch gleich hin und wollte mich unbedingt vorstellen. Sonderlich begeistert war ich nicht, aber ich ging mit.

„Das ist Anke Baumann, sie hat ein Geschäft. Ein Elektrogeschäft. Und das hier ist unser Gast Günther Markens. Er war lange verreist und jetzt benötigt er Erholung. Unterhaltet euch gut. In einer halben Stunde gibt es Würstchen.“

Und schon schlüpfte Erika zwischen den Lampions durch und war in der Abenddämmerung verschwunden.

 

Da stand ich nun und wusste nicht, was ich tun sollte. Also gab ich ihr das Naheliegendste: meine Hand. Sie legte ihre kurz hinein, entzog sie sofort wieder und sagte mit etwas rauchiger Stimme:

„Wollen wir zu den anderen Gästen gehen oder sollen wir im Dunkeln stehen bleiben?“

Es war gut, dass es dunkel war. Sonst hätte sie womöglich gesehen, wie ich errötete. Ich fühlte mich in ihrer Nähe verklemmt. Gehorsam drehte ich mich um und ließ sie an mir vorbei. Dann folgte ich ihr. Etwas abseits blieb ich stehen. Während sie die anderen Gäste begrüßte, hier und dort einige Worte wechselte, beobachtete ich sie.

Sie war mittelgroß und hatte Schulterlanges, blondes Haar. Ihre blauen Augen hinter den dezent geschminkten Wimpern blitzten humorvoll. Ich schätzte sie auf etwa fünfundzwanzig Jahre und war ganz gefangen in ihren Anblick. Eine spöttische Stimme hinter mir ließ mich zusammen schrecken.

„Na, du Träumer? Anke scheint ja mächtig Eindruck gemacht zu haben. Du starrst sie an wie ein Kalb. Findest du das sehr taktvoll?“

Fredi konnte wirklich sehr nett sein! Aber er hatte recht. Und ich versuchte daher meine Verlegenheit zu überspielen und fragte ihn nach diesem Lichtgeschöpf aus. Er antwortete auch – aber mit einem ironischen Lächeln.

„Sie heißt Anke, aber das weißt du ja sicher schon und sie ist Geschäftsfrau. Sie kommt nicht oft, aber wenn sie da ist, ist das immer etwas Besonderes. Ob sie einen Freund hat weiß ich nicht. Da musst du sie selber fragen. Wenn sie's dir sagt. Nicht verheiratet, keine Kinder, nur eine jüngere Schwester die im Geschäft mit arbeitet. Hoch anständig. Rechne dir keine großen Chancen aus, mein Junge. Sie wohnt bei den Eltern. Ihr Vater ist nicht einmal so schlecht. Dafür die Mutter. Die fasst man am besten nur mit Handschuhen an. Mit Asbesthandschuhen! So, alles weitere lässt du dir am besten von Anke selbst erzählen. Und jetzt kommst du mit. Ich soll dir von Erika einen Gruß ausrichten, die Würstchen werden kalt!“

Ja, so war Fredi. Aber ich war ihm nicht böse. Ich hatte immerhin allerhand über das Mädchen erfahren.

 

 

 

Anke und ich trafen dann öfters zusammen. Ich begann mich für Elektrogeräte zu interessieren. Fredi verriet mir dann auch, dass Anke in einem Haus wohne und gerne ins Kino ging. Ich ging auch gerne und traf dort Anke. Wir kamen ins Gespräch und schon bald trafen wir uns regelmäßig. Wir kamen uns näher. Sie erzählte von sich, ihrer Arbeit, den Eltern. Ich erzählte von mir und meinem Leben. Wobei ich die Zeit des Gefängnisaufenthaltes „vergaß“ zu erwähnen. Ich sagte auch nichts davon, dass ich noch zwei Jahre zu verbüßen hätte. Ich schämte mich, wollte sie nicht verlieren – also war das Thema tabu für mich.

 

Eines Sonntags, wir kannten uns bereits zwei volle Monate, meinte Anke resolut:

„Ich glaube, es ist an der Zeit, dass du meine Eltern kennen lernst. Ich habe ihnen schon viel von dir erzählt und nun wollen sie dich kennen lernen.“

Begeistert war ich von diesem Angebot nicht. Aber ich hatte mich schon zu sehr in Anke verliebt, dass mir alles recht war.

Am selben Abend noch klingelte ich am Haustor, einen großen Blumenstrauß in der Hand. Ich kam mir etwas dumm vor. Aber was macht man nicht alles, wenn man liebt und diese Liebe auch heiraten will.

Anke ließ mich ein. Ich fragte verwundert, ob sie nicht über meinen Besuch verwundert sei. Sie sagte nur nein.

 

Über ein enges Treppenhaus mit Fünf-Minuten-Beleuchtung ging es in den dritten Stock. Dort öffnete sie eine angelehnte Tür und ließ mich vor gehen. Im Flur, er war eng, nahm sie mir Mantel und Blumen ab und führte mich dann in ein gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer.

Zwei Menschen saßen neben dem runden Tisch auf dem Sofa und sahen mich neugierig und erwartungsvoll an.

Anke stellte uns einander vor. Ankes Eltern waren so wie ihre Einrichtung: gediegen, bürgerlich und hartkernig. Ankes Vater bot mir Platz an und ich setzte mich auf einen der beiden tiefen Stühle, reichlich verlegen.

„Sie sind also Ankes Bekannter? Sie sind noch sehr jung, junger Mann!“

„Ich bin 26 Jahre alt, Herr Baumann!“ Beinahe verschluckte ich mich vor Aufregung.

„So, so. unsere Anke ist bereits dreißig“, meinte er nachdenklich.

„Ich liebe Anke“, sagte ich reichlich aufgeregt.

„Was können Sie unserer Tochter bieten?“, fragte Baumann, mich wieder durch seine Brille fixierend.

Mir brach der schweiß aus. Was sollte ich Anke bieten können? Sollte ich sagen, die Frau eines Sträflings zu werden? Was sicher kein guter Scherz war. Also sagte ich:

„Ich arbeite bei meinem Freund Fredi Wollmann in der Metzgerei als Verkaufskraft. Später will ich mir ein kleines Häuschen bauen.“

„Guter Vorsatz. Haben Sie auch das nötige Kleingeld dazu?“

„Fredi hilft mir sicher. Ausserdem kennt wahre Liebe keine Hindernisse!“, sagte ich und glaubte es auch.

Frau Baumann, die bisher geschwiegen hatte, meinte nur leise, jedoch scharf und unmissverständlich:

„Anke ist zu schade für ein Abenteuer. Sie ist anständig erzogen worden und soll ihr Glück finden. Wenn Ihre Liebe aufrecht ist und Anke Sie auch liebt, will ich nichts in den Weg räumen. Sollten Sie mit dem Lebensglück unserer Tochter nur spielen, werden sie sehr viele Knüppel zwischen Ihren Füßen finden. Haben wir uns verstanden, junger Mann?“

Wir hatten uns verstanden. Noch am gleichen Abend feierte ich mit Anke Verlobung.

 

 

Es war keine leichte Zeit. Jeden Abend war ich bei den Baumanns. Sie waren immer gleich abweisend, so sehr ich mich auch bemühte. Was ich auch versuchte, ich war ihnen unsympathisch. Eines Tages geriet mein Glück sehr ins Wanken.

Es war kurz vor unserer Hochzeit. Das Aufgebot war bestellt und Anke schwebte in einer Welt, in der alle Bräute schweben. Sie stellte Listen auf für unser gemeinsames Lebensglück und für die Gäste.

Mein zukünftiger Schwiegervater beobachtete seine Tochter bei ihrer Tätigkeit. Er räusperte sich einige Male laut und runzelte unwillig die Stirn.

Plötzlich fixierte er mich mit den bebrillten Augen und meinte in die erwartungsvolle Stille, die nur vom Geraschel der Listen unterbrochen wurde:

„Wo waren Sie eigentlich vor einem Jahr? So viel ich auch nachgeforscht hatte, entweder hatte man Sie nie gekannt oder schon sehr lange nicht gesehen.“

Mir fiel beinahe das Weinglas aus der Hand und ich glaube, dass ich ziemlich blass geworden war. Das bemerkte auch Baumann, denn er sagte gleich triumphierend:

„Wer ein reines Gewissen hat, braucht nicht zu erbleichen. Also – haben Sie kein reines Gewissen! Warum erbleichen Sie? Wo waren Sie?“

„Ich war verreist“, sagte ich und das war noch nicht einmal gelogen.

Schon glaubte ich Baumanns Frage erschöpfend beantwortet zu haben, hatte aber nicht mit dessen Hartnäckigkeit gerechnet.

„Wohin ging denn Ihre Reise?“

Das klang verdächtig nach Verhör. Sollte ich entsprechend antworten? Dann ließ ich es sein, man konnte nie wissen. Also holte ich tief Luft und sagte möglichst harmlos und freundlich:

„Ich war auf Erholung. Ich hatte einen Sanatoriumsaufenthalt.“

„Ach, das wusste ich noch gar nicht!“ Anke war erstaunt.

„Es war unwichtig zu erwähnen.“ Noch immer zitterte ich.

„Warum waren Sie im Sanatorium?“

Baumann gab nicht auf. Wie ein Fährtenhund klebte er an mir – oder meiner Vergangenheit.

„Die Nerven“, sagte ich und dankte im Stillen, dass Baumann nicht noch weitere Fragen stellte. Er hätte mich beinahe in Verlegenheit gebracht.

 

 

Endlich war es soweit. Es schien die Sonne, so wie es sein muss am Tag, an dem man heiratet. Anke hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Mir wurde gesagt, die Braut sei noch nicht fertig. Ich stand – ziemlich nervös – im Wohnzimmer. Um mich lauter fremde, lärmende Leute. Gäste der Braut und deren Eltern. Meine Eltern waren schon lange tot.

Endlich kam sie aus dem Zimmer. Mir blieb der Atem weg. Anke war so schön und jung in dem weißen Brautkleid, dass ich vor Bewunderung still stand. Ich übergab Anke den Brautstrauß und bekam dafür einen Kuss.

Dann formierten sich die Leute ganz zwanglos und wir verließen die Wohnung. Ich hatte die Ehre, die Brautmutter zu führen. Auf der Straße erwarteten uns noch mehr Leute. Bekannte, Verwandte und Kunden der Braut. Wir behinderten den gesamten Verkehr.

 

 

Im Standesamt wussten wir etwas warten, ein anderes Brautpaar war noch vor uns an der Reihe. Danach wurden wir hinein gerufen. Anke und ich nahmen vorne Platz. Fredi und Erika waren unsere Trauzeugen.

Umständlich legte der Standesbeamte die Papiere vor sich hin. Es war so still, dass man die berühmte Stecknadel fallen hörte. Hinter uns öffnete und schloss sich kurz die Tür. Wahrscheinlich ein verspäteter Hochzeitsgast.

 

Ebenso umständlich und langsam hielt der Standesbeamte seine Ansprache. Aber ich war so bewegt und glücklich, dass mir das nichts ausmachte. Schließlich ließ er uns aufstehen und fragte mich, ob ich gewillt sei Anke bis zum Tod zu lieben. Und ich sagte laut und deutlich: JA!

Ankes Antwort kam etwas schüchtern, aber nicht weniger deutlich.

 

Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter, eine andere nahm meine rechte Hand und ließ etwas enges, kaltes darüber schnappen – Handschellen!

Neben mir in voller Größe drei Kriminalbeamte. Auch diese sprachen einen Spruch. Den Verhaftungsspruch.

 

Laute Unruhe entstand hinter mir. Anke weinte. Ich konnte ihr gerade noch sagen, dass ich sie liebe. Da wurde ich auch schon durch die Mauer der Hochzeitsgäste geführt. Waren mir vorher noch Sympathie und Wohlwollen entgegen gebracht worden, so lag jetzt spürbare Ablehnung, ja Hass in der Luft.

Ich war froh, als ich in den Wagen stieg, der mich in die vergessene Vergangenheit brachte. Ich hatte das Glück gefunden und wieder verloren. Ich hatte zu hoch gespielt.

 

In guten und bösen Tagen ...

Wieder kam ich in eine Zelle. Ein alter Bekannter grinste mir entgegen.

„Hallo Ausreißer! Auch wieder da?“ Horst Wittmann lachte wiehernd.

Ich zuckte mit den Achseln. Ich fragte Horst:

„Bist du noch immer da? Ich dachte mir, du hättest nur noch einige Wochen?“

„Nicht noch immer, sondern schon wieder!“ Horst lachte laut. Dann betrachtete er mich forschend. Schließlich schüttelte er den Kopf, griff sich ans unrasierte Kinn und meinte:

„Du siehst nicht gut aus, Kleiner. War draußen kein Erfolg, was?“

Zuerst wollte ich nichts sagen, aber dann erzählte ich Horst doch was passiert war. Zuerst lachte Horst brüllend, dann meinte er, übergangslos ernst werdend:

„Ist verdammt hart am Traualtar weg geholt zu werden. Ist sie wenigstens hübsch?“

In mir verkrampfte sich alles. Horst schlug mir auf die schulter und meinte gönnerhaft:

„Na, nu wein man nicht, Kleiner. Wenn die Kleine dich liebt, vergisst sie dich nicht. Jetzt ist Zapfenstreich für dich. Morgen sieht alles anders aus.“

Ich befolgte seinen Rat und legte mich aufs Ohr. Lange konnte ich nicht einschlafen. Und als ich endlich einschlief, plagten mich Albträume.

 

Am Donnerstag war Besuchszeit. Auch für mich war Besuch gemeldet. Ich vermutete, dass es Fredi oder Erika sein würden. Wie staunte ich aber, als ich ins Besuchszimmer kam und Anke sah. Auf meine diesbezügliche Frage meinte sie nur leicht lächelnd:

„Erstens bin ich deine Frau, zweitens liebe ich dich und drittens sagte ich 'ja' auf die Frage des Standesbeamten.“

„Welche Frage?“ Ich schluckte krampfhaft.

„Die, ob ich zu dir halte in guten und bösen Tagen. Jetzt sind die bösen. Später kommen die guten Tage. Also Mut und Kopf hoch, Günther!“

Das war Anke meine Frau! Unsere Hände fanden sich in der Tischmitte. Und sie kam, so oft es ihre Zeit erlaubte.

 

Eines Tages aber, es waren nur noch wenige Wochen meiner Strafe zu verbüßen, hatte Anke verweinte Augen. Auf meine Frage meinte sie nur, es wäre privater Kummer.

„Ich bin dein Mann und möchte diesen Kummer kennen lernen. Ich habe schließlich ein Recht darauf“, meinte ich ziemlich energisch. Glaubte ich doch zu wissen, welchen Kummer sie meint. Ankes Antwort gab mir Gewissheit.

„Meine Mutter möchte unsere Scheidung. Sie sagt, du wärst nur mein Unglück und die Leute werden mit Fingern auf uns zeigen.“

„Und du? Willst du dich von mir scheiden lassen?“

„Nein! Dafür habe ich dich viel zu lieb. Aber ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Mama liegt mir jeden Tag damit in den Ohren und heute gab es sogar mit Papa Streit!“

Verzweifelt sah Anke mich an. Ich fühlte mich schuldig und unbehaglich. Aus diesem Gefühl heraus sagte ich:

„Eine Scheidung ist sicher das beste. Ich möchte nicht, dass du meinetwegen Schwierigkeiten hast. Womöglich gar dich mit den Eltern entzweist.“

„Unsinn! Mit den paar Schwierigkeiten werde ich schon fertig. In fünf Wochen beginnen wir ein neues Leben.“ Anke war wieder zuversichtlich.

 

 

Die fünf Wochen dehnten sich wie Gummi. Aber auch sie gingen vorbei. Am Tor zur Freiheit erwartete mich Anke. Der Gefängniswärter beim Tor sagte noch mahnend:

„Dass wir uns nicht so bald wiedersehen, Herr Markens!“

Diese Freude wollte ich ihm von Herzen gerne machen. Das schwere Tor fiel hinter mir zu und Anke um meinen Hals.

Wir gingen in ein nahes Kaffeehaus. Dort erfuhr ich, dass sie nicht mehr bei den Eltern, sondern bei einer Freundin wohnt. Das Geschäft laufe nun auf den Namen der zwei Jahre jüngeren Schwester. Sie habe all ihr Geld vom Sparkonto abgehoben und wolle nun mit mir, dem Ex-Sträfling in einer anderen Stadt ein neues Leben beginnen.

 

Wir wohnen hier sehr gut, haben ein nettes Haus am Stadtrand gebaut. Inmitten netter und hilfsbereiter Nachbarn und vielem Grün. Unser Sohn Walter geht heuer in den Kindergarten und die Zwillinge Erika und Anke bekommen die ersten Zähne. Ich glaube nun bin ich wirklich anständig. Aber ohne meine Anke hätte ich es nicht geschafft und es wäre in meinem Leben immer noch Schatten und kein Licht!

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.06.2017

Alle Rechte vorbehalten

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