Da lag es nun, das winzige Wesen. Schwarz und zitternd. Betrachtet von zahlreichen Augen und viele weiße Körper standen um das Bündel herum. Eine sanfte Nase stupste das Bündel an und es versuchte sich aufzurichten. Nach mehreren Versuchen schaffte es das auch und stand nun auf dünnen schlaksigen Beinen und seine großen Kinderaugen sahen staunend in die Runde. Neben sich das Muttertier, weiß und majestätisch. Das lange Horn mitten auf der Stirn berührte das Jungtier und sofort strömte Kraft in dieses. Das Zittern ebbte ab und Stärke kroch in die Beine. Vorsichtig machte es einige Schritte und musste sich wieder setzen, denn die Kraft hatte nachgelassen. Durch die Berührung des Horns war die Erkenntnis in das Jungtier gelangt, wer und was es war.
Die Zeit floss ins Land mit den bunten Blumen und dem Regenbogen über dem Wasserfall. Das Gras war nirgends so saftig wie hier, im Einhornland. Wenn die Sonne auf die strahlend weißen Körper schien und sie zum leuchten brachte. Alle … bis auf einen. Ein kleiner und noch junger Hengst war schwarz. Schwarz wie die tiefen Schatten des Regenbogengebirges im Einhornland. Das einzig Weiße an diesem Hengst war sein kleines Horn. Es saß auf seinem Platz mitten auf der Stirn und war von einer Sternförmigen Blässe eingekreist. Diese Blässe brachte ihm auch seinen Namen ein – Sternenlicht.
Es wäre vielleicht immer so gewesen, wenn nicht dunkle Magier in das Einhornland gekommen wären, die sich besondere Kräfte von den Hörnern versprochen hätten. Sie fingen viele der Einhörner und brachten sie fort. Fort von der Wiese, fort aus dem Land. Auch Sternenlichts Mutter war bei den Gefangenen. Um sich nicht auch fangen zu lassen, versteckte sich Sternenlicht in einer der Spalten im Gebirge, das das Einhornland eingrenzte. In seiner Eile jedoch drang er tiefer ein, als vorgesehen und lange Zeit wanderte er im Dunklen. Das einzige Licht, das wie ein Pünktchen in finsterer Nacht wirkte, war das kleine, weiße Horn. Es glühte wie ein Stern.
Endlich wurde das dichte Dunkel heller und heller. Schließlich erblickte Sternenlicht weiter vor sich einen weiteren Spalt und davor grünes Dämmerlicht. Er beschleunigte seine Schritte und trat durch den Spalt … in einen Wald. Irgendwo hörte er Wasser rauschen und da er Durst in sich aufsteigen fühlte, ging er dem Geräusch nach. Zwischen einem dichten Gebüsch, bewachsen mit dunkelroten, süß duftenden Beeren sah Sternenlicht wirklich ein Flüsschen blinken, auf das durch die Baumkronen einige Sonnenstrahlen fielen. Sternenlicht zwängte sich durch das Gebüsch, senkte den Kopf und pflückte einige der Beeren um sie zu kosten. Seine Lippen betatsteten die Beeren, die er sich abgepflückt hatte und der süße Saft lief ihm in den Rachen. Die nächsten zwei Schritte brachten das Einhornfohlen bis zum Flüsschen und er senkte den Kopf, um vorsichtig das kühle Nass in sich zu schlürfen. Mit langen Zügen trank das schwarze Einhornfohlen mit dem strahlend weißen Horn auf der Sternblässe und achtete dabei wenig auf die fremde Umgebung. Bisher war auch keine Gefahr wo Sternenlicht gewesen war. Doch nun war er in einer Umgebung, die er nicht kannte.
Nachdem Sternenlicht sich den Durst weg getrunken hatte, schüttelte er seine Mähne und trat den Rückweg an. Doch er drang nicht wieder auf dem gleichen Weg durch das Gebüsch mit den Beeren, sondern etwas weiter seitlich. Ein scharfer Schmerz auf seinem rechten Vorderlauf ließ ihn erschrocken aufschreien. Ein helles Schrillen ertönte. Irgendwo in der Tiefe des Waldes raschelte es als andere Bewohner vor diesem Geräusch flüchteten. Sternenlicht sah zu Boden und erkannte eine Krallenhand, die den Fuß fest hielt und Schmerzwellen durch den Körper jagte. Um von diesem Schmerz weg zu kommen, versuchte Sternenlicht den Lauf aus der Krallenhand zu ziehen. Er warf den Kopf hoch und seine Augen irrten Hilfe suchend umher, doch außer ihm, dieser Krallenhand und einer Fliege, die sich frech auf Sternenlichts Nüstern setzen wollte, war niemand hier. Abermals schrie er seinen Schmerz in den Wald. Doch Sternenlicht schien ganz allein hier zu sein. In diesem Wald schien die Zeit auch anders zu vergehen, denn die Sonne war verschwunden, ohne dass es Sternenlicht aufgefallen wäre. Die Schatten verdichteten sich und der gefangene Lauf wurde taub und kalt. Imer wieder versuchte er die Krallenhand zu verlassen, doch diese hielt Sternenlichts Lauf unverrückbar fest.
Der Wald fiel in nächtlichen Schlummer und nur die Tiere, welche die Nachtzeit zum Beutefang benötigten, durchstreiften ihn. Hin und wieder kam eines davon dichter an Sternenlicht heran, beschnupperte ihn, doch ging wieder seiner Wege. Die Nacht verging, wurde zur Morgendämmerung und zu einem neuen Tag. Die Sonnenstrahlen versuchten die Baumwipfel zu durchdringen, doch nur an wenigen Stellen gelang es ihnen. Sternenlicht spürte neuen Durst in sich aufsteigen und versuchte erneut die Krallenhand zu verlassen, doch diese hielt den Einhornlauf weiter fest. Hunger begann die Eingeweide Sternenlichts zu plagen. Der Durst wurde stärker und Sternenlicht wollte wieder zurück auf die Einhornwiese. Dorthin, wo er bisher seine Kinderzeit verbracht hatte.
Der Tag verging, wurde erneut zur Nacht und wieder zum Tag. Sternenlicht hatte seine Befreiungsversuche eingestellt. Der Lauf war angeschwollen, tat aber nicht mehr weh. Die Haut über den Krallenzähnen war aufgeplatzt und Blut hatte das schwarze Fell benetzt. Sternenlicht lag auf der Seite und seine Augen waren geschlossen. Die Lefzen gaben seine weißen Zähne frei und er fühlte wie der Schattenengel näher kam, um ihn in dessen Reich zu führen. Das kleine Horn hatte sein Strahlen verloren und stand von der Sternblässe wie eine graue Beule weg. Langsamer und langsamer zog das Leben durch Sternenlichts Körper. Hunger und Durst waren geflohen aus seinem kleinen Körper und nun würde auch das Leben aus ihm fliehen. Mit dem letzten Gedanken an seine Mutter schlief Sternenlicht ein. Um nie wieder aufzuwachen? Gab es auch Schutzengel, die kleine Einhörner beschützten? Wahrscheinlich, denn sonst hätte ein junger Magierlehrling nicht den Weg zu Sternenlicht gefunden. Doch ob er noch zur rechten Zeit ankommt, um Sternenlicht abzuhalten, in das Schattenreich zu gehen?
Cedriks Geschichte
Er hatte öfters schon gesehen, wie Meister Fulkhurx, der sein Meister, Mentor und Ziehvater war, in diese seltsame Kugel mit den Regenbogenfarben hinein sah. Einmal hatte er gewagt, den Meister zu fragen was es damit auf sich hat. Fulkhurx, sonst ein sehr verständnisvoller Ziehvater, hatte ihn nur böse angesehen, dann mit zusammen gebissenen Zähnen geknurrt:
„Das ist das magische Auge. Lasse deine Finger davon, Junge und frage mich nicht mehr danach!“
Na schön, das hätte der Ziehvater auch netter sagen können. Cedrik fuhr sich durch seine braunen Locken und seufzte. Sein Lernen der Magie und das Beherrschen der Spiegelmagie waren nicht
immer so, wie es sich sein Meister wünschte. Um diese Art der Magie zu beherrschen, musste Cedrik hin und wieder in den Wald gehen und die Diabolusknollen ausgraben, die zur Entspiegelung gebraucht wurden. Sonst hatte der Meister das meiste an Zusatzmaterial für seine Magie zu Hause, doch diese Knollen waren beim letzten Experiment verbraucht worden.
Cedrik nahm seinen Ledersack, die kleine Stechkralle – Diabolusknollen saßen tief in der Erde – und seine Schaufel. Alles gab er in den Sack. Ein wenig Proviant und auch eine Flasche mit Wasser, dann machte sich der Magierlehrling auf den Weg.
Manchmal mochte Cedrik das Sammeln diverser Magiezutaten, vor allem wenn sie weiter von dem kleinen Häuschen seines Ziehvaters entfernt zu holen waren, denn dann konnte er seinen Gedanken nachhängen. So wie jetzt. Cedrik ließ seinen Gedanken freien Lauf und pfiff ein fröhliches Liedchen ohne an etwaigen Text zu denken dazu.
Nach einiger Zeit hatte Cedrik den dunklen Wald erreicht und machte sich daran, die Stelle mit den Knollen aufzusuchen. Immer tiefer drang er ein und schließlich hatte er etwa die Hälfte bewältigt, als er ein leises Grummeln im Magen verspürte. Also machte er eine kurze Rast, sah sich nach einer geeigneten Sitzgelegenheit um und entdeckte in einiger Entfernung einen Baumstrunk. Zwar liefen zwei Ameisenstraßen daneben, doch Cedrik hatte damit kein Problem, mit einem neben dem Strunk liegenden Ast fegte er die wenigen darüber laufenden Tiere beiseite und setzte sich dann. Holte den Ledersack hervor und den Proviant hervor. Wählte eines der vier schnitten Brot und den roten Apfel. Auch ein kleines Säckchen Dantalushonig hatte er sich eingesteckt. Dieses nahm er nun ebenso heraus, öffnete es und ließ die dicken würzig nach Kiefernadeln duftenden Tropfen über seine Brotscheibe laufen. Gleich danach verschloss er das Säckchen und verstaute es wieder. Nachdem er seinen ärgsten Hunger gestillt hatte, trank er einige Schlucke des Wassers und verstaute auch die Flasche wieder im Sack, erhob sich und machte sich auf den Weiterweg.
Eben wollte sich Cedrik auf die Suche nach den besten Plätzen der Diabolusknollen machen, als er einen leisen Laut zu vernehmen glaubte. Er stutzte und horchte angestrengt in die beginnende Abenddämmerung, die hier unter den Bäumen bereits zur Nacht geworden war. Um sehen zu können, hatte Cedrik seinen Wanderstab mit genommen in dessen Spitze ein Feuerherz Ambarin eingelassen war. Diesen Stein, der ein sachtes, blaues Licht aussandte, hatte Cedrik in seinem Körbchen dabei gehabt, als Fulkhurx ihn im Wald mitten von Hexenpilzen fand. Fulkhurx hatte das augenscheinlich ausgesetzte Kind mit den ungewöhnlich, weil etwas spitzen Ohren, mit sich genommen und es aufgezogen. Das war vor zwölf Menschenjahren so geschehen und Cedrik hatte sich durchaus zu einem freundlichen und manchmal seinen Ziehvater ziemlich auf den Geist gehenden Jungen entwickelt.
In den ersten Kinderjahren hatte sich gezeigt, dass Cedrik besonderes Geschick in allerlei Magie zeigte, vor allem Heilen. Wobei er mehr intuitiv dabei auch den Ambarin mit einsetzte, denn der lag damals neben ihm, als gehöre er zu Cedrik.
Erneut vermeinte Cedrik ein Geräusch zu vernehmen und nun war sich Cedrik sicher, dass er nicht alleine war. Nicht dass er Angst gehabt hätte, doch ein unbestimmtes Gefühl in ihm drinnen sagte ihm, jemand oder etwas hatte Not und auch Schmerzen. Cedrik nahm den Sack vom Rücken, streckte den Stab mit dem Ambarin etwas weiter vor sich und flüsterte: „Lumina!“ Sofort wurde der bisher schwache Schein stärker. Nun konnte Cedrik etwas mehr von der Umgebung erkennen. Trotzdem er dieses seltsame Ziehen tief in sich verspürte, schloss er kurz die Augen, senkte seine Gedanken und ließ sich von dem Ziehen in die richtige Richtung drehen. Gleich darauf öffnete er die Augen und machte sich daran, dem Ziehen in sich nachzugehen.
Je weiter er sich von seinem Sack entfernte, desto stärker wurde dieses Ziehen. Bis es plötzlich wie abgeschnitten verstummte.
Kurz stockte Cedriks Fuß und blieb wie erstarrt mitten im Schritt hängen. Ein leises Geräusch etwas seitlich traf Cedriks Ohr und er wandte sich dorthin. Der blaue Schein huschte über die dunklen Baumstämme und nach wenigen Augenblicken fiel er auf einen dunklen und unbekannten Gegenstand, der unbeweglich auf dem Waldboden lag.
Cedrik ging vorsichtig näher und erkannte erstaunt, dass der Gegenstand der Körper eines Pferdes war, eines schwarzen Fohlens. Rasch und vorsichtig untersuchte Cedrik das Tier, wunderte sich zwar, dass hier so tief im Wald ein Pferdefohlen zu finden war, doch dann erkannte er, dass es nicht absichtlich hier lag. Einer seiner Läufe steckte in der Krallenfalle eines Riesen. Wahrscheinlich war dieser auf der Jagd nach einem Hirsch und das Fohlen war in die Falle getreten. Cedrik kniete sich neben das noch immer stille Fohlen und das Feuerherz Ambarinlicht glitt über das Tier. Der Lauf, der in der Falle steckte sah ziemlich verletzt aus und Cedrik merkte, dass einige Fliegen bereits in den Wunden ihre Nachkommenschaft gelegt hatten. Mit dem Stein glitt er dicht darüber und ein leises Zischen zeugte von der Vernichtung dieser Gefahr. Cedrik zuckte leicht zusammen, als sich das Fohlen bewegte und plötzlich die Augen aufschlug. Seine Lefzen zitterten und dann zogen sie sich zurück, um Cedrik warnend die Zähne zu zeigen. Doch Cedrik legte nur seine Hand leicht auf das verletzte Bein und mit der anderen begann er die tief eingedrungenen Zähne der Krallenfalle auseinander zu ziehen. Sobald das Fohlen schmerzlich zusammenzuckte, hielt Cedrik in seinen Bemühungen ein, um gleich danach fortzufahren. Es dauerte lange, bis auch der letzte Krallenzahn aus dem Lauf des Fohlens gezogen war. Immer wieder liefen Schauer über den Pferdekörper und Cedrik dachte daran, dass das Fohlen vielleicht Durst haben könnte. Wer wusste schon, wie lange es bereits hier in der Falle gefangen lag. Cedrik sagte leise:
„Ich komme gleich wieder, versprochen! Schön da liegen bleiben, hörst du?“ Nun, niemand hätte das schwache Fohlen welches noch dazu schlimm verletzt war, aufstehen und davon laufen vermutet. So lag es noch da, wie es bisher gelegen hatte, als Cedrik mitsamt seinem Ledersack wieder kam. Er hatte seine Wasserflasche bereits heraus genommen und schüttete nun vorsichtig in seine hohle Hand einige Tropfen des Wassers hinein. Cedrik hielt dem Fohlen das Wasser vor die Nüstern, doch es schloss nur seine Augen, als hätte es mit seinem kurzen Leben abgeschlossen.
Cedrik wusste sich zu helfen. Er nahm sein Halstuch, ohne das er nie von zu Hause weg ging und befeuchtete es. Dann schob er vorsichtig die Lefze von den Zähnen und drückte das Wasser ins Maul des Fohlens. Das machte er noch einige Male und freute sich, als er sah, dass das Fohlen die Feuchtigkeit zu schlucken begann. Als würden ihm die wenigen Maul voll Feuchtigkeit etwas Kraft verleihen, versuchte es sich aufzurichten. Cedrik verstaute nun seine Sachen wieder im Sack, dachte nicht mehr daran, warum er eigentlich hier her in den Wald gekommen war und unterstützte das Fohlen, bei seinem Bemühen auf seine drei Beine zu kommen. Den verletzten Lauf ließ es etwas abstehend hängen.
Doch so sehr es sich auch bemühte, es schaffte es nicht und krachte wieder mit einem leisen Schnaufen, das sich wie ein schmerzlich verzerrtes Wiehern anhörte, auf den Waldboden zurück. Cedrik war ratlos. Er konnte das verletzte Fohlen nicht hier zurück lassen, er konnte aber auch nicht seinen Ziehvater holen, weil es dann mit Sicherheit gestorben war, bis sie beide hier zurück waren. Es würde also nichts anderes übrig bleiben und er musste versuchen, das Fohlen, das bestimmt nicht gering war, bis nach Hause zu tragen.
Cedrik war schon immer von raschem Entschluss und so hängte er sich seinen Ledersack auf den Rücken, steckte den Stab mit dem noch immer in einem hellen Blau glühenden Ambarin in den weichen Waldboden, bückte sich und zog vorsichtig aber mit aller Kraft, die ihm zur Verfügung stand, das Fohlen wieder auf seine Beine. Ehe es nochmals fallen konnte, schob Cedrik eine Hand unter seine Brust und spürte das feuchte Fell. Das Fohlen wandte den Kopf und sah Cedrik mit seinen trüben braunen Samtaugen seltsam nachdenklich an und blieb auf den Beinen. Auch wenn es den verletzten Lauf nicht belastete.
Cedrik war überrascht und erst jetzt bemerkte er die Sternblässe auf der Stirn. Doch dieser Augenblick dauerte nur kurz, dann griff er mit der anderen Hand nach seinem Stab und die beiden machten sich auf den Rückweg.
Es dauerte lange, bis Cedrik das Haus seines Meisters und Ziehvaters Fulkhurx sah. Sein ganzer Körper fühlte sich zerschlagen und er war ebenso schwach, wie das Fohlen neben ihm. Cedrik sandte den stillen Ruf aus und hoffte nur, dass Fulkhurx diesen auch hörte. In letzter Zeit hatte Cedrik mit dieser Art der Kommunikation schöne Fortschritte gemacht.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, da wurde die Türe aufgerissen und ehe Fulkhurx etwas sagen konnte, brach Cedrik in die Knie und schlug der Länge nach hin. Seine Augen schlossen sich und das letzte, das Cedrik in den Schlaf mitnahm war die besorgte Stimme Fulkhurx' und ein harter Ruck dicht neben sich, wo nun auch das Fohlen seine letzten Kraftreserven aufgebraucht hatte.
Lernzeiten
Es war nicht einfach, das schwarze Fohlen zu heilen. Oft sah es so aus, als würde es sich sogar dagegen wehren. Doch langsam und mit vereinten Kräften von Cedrik und Fulkhurx ging es ihm besser und schließlich war der Tag gekommen, wo es auf dem geheilten Lauf nicht nur stehen, sondern auch ihn belasten konnte. Fulkhurx hatte von Cedrik einen kleinen umzäunten Auslauf bauen lassen, der sich etwas abseits des Hauses befand und wo Cedrik Stunden bei dem Fohlen, das er wegen der Sternförmigen Blässe und des leichten Schimmers darum „Sternenlicht“ genannt hatte, zubrachte. Fulkhurx hatte ihm erklärt, das Tier würde seine Studien nur behindern und sicher würde irgendwann dessen Besitzer auftauchen und sie beide wären dann in großen Schwierigkeiten. Vor allem, wenn man bedachte, dass sie beide zwar ihr Auskommen hätten hier an diesem Platz, in diesem Haus, aber dennoch im Tal der Geächteten wohnten. Wo schon der kleinste Verstoß gegen das Gesetz des Talkönigs mit Strafe beantwortet wurde. Und Fulkhurx hatte wenig Verlangen in den Minen des Teufelsgebirge zu schuften. Das hatte Cedrik auch nicht, obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wie es dort sein würde. Und so zuckte er meistens zusammen, wenn hin und wieder ein Fremder zu ihnen kam, um sich Wundersalben und Heilung zu versprechen. Es könnte ja der vermeintliche Besitzer sein.
Doch die Wochen und Monate vergingen und wenn jemand kam, dann war es nie wegen Sternenlicht. So entspannte sich Cedrik mehr und mehr und versuchte näher an Sternenlicht heran zu kommen. Denn dieser hatte ihn nicht wieder an sich heran gelassen, seit er geheilt war. Er hüpfte zwar lustig herum, doch wenn sich einer der beiden Hausbewohner dem Gatter näherte, zog er sich in eine andere Ecke zurück und betrachtete sie misstrauisch.
Aber Cedrik wäre nicht der gewesen, der er schon immer war, hätte er nicht die nötige Geduld aufgebracht. Und so versuchte er es immer wieder, sooft es ihm seine eigenen Studien gestatteten. Langsam nur begann das Fohlen ihm zu vertrauen. Es war Cedrik manchmal, als würde es auf etwas oder jemand warten und da dieses Ereignis nicht eintrat, wandte es sich eben Cedrik mehr zu.
Jeder Tag, der verging brachte Cedrik einen Schritt näher an Sternenlicht – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Cedrik hatte beschlossen, da sich niemand meldete, der Anspruch auf Sternenlicht erhob, diesen nun als seinen Freund zu betrachten. Denn als Besitz würde der junge Magier ein Lebewesen niemals haben wollen. Er wird Sternenlicht beweisen, dass er mit der Falle nichts zu tun hatte und er Cedrik darum vertrauen konnte und vielleicht würde er Cedrik auch eines Tages auf ihm reiten lassen.
Cedrik hatte wieder einmal das Gatter betreten, die kleine Türe hinter sich zu gemacht und den Riemen darüber gehängt. Schritt für Schritt näher an Sternenlicht getreten und plötzlich stand er vor ihm, ohne dass Sternenlicht beiseite getreten wäre, wie er es sonst immer tat. Er stand ganz still vor Cedrik, der ihn mit großen Augen betrachtete, langsam und vorsichtig eine Hand hob und sie ausstreckte um sie auf die Nüstern zu legen. Ein kurzes Zittern durchlief Sternenlicht und er hob etwas den Kopf, doch dann hielt er wieder still. Behutsam kamen Cedriks Finger wieder näher und schließlich legten sie sich sachte auf den Kopf Sternenlichts. Strichen ebenso sacht zu den samtigen Nüstern hinunter und abermals zuckte Sternenlicht etwas beiseite. Sofort hielt Cedrik ein. In seinem Kopf begann es leise zu summen. Erst achtete er nicht darauf und dachte es wäre wohl die Freude und Aufregung. Er strich über die Pferdenüstern, berührte die kurzen Härchen darunter und war gefasst, sobald Sternenlicht auch nur den Ansatz machte, seine Oberlippe hoch zu ziehen um ihn zu beißen, die Hand weg zu reißen. Doch außer einem leisen Schnauben geschah nichts. Das Summen verdichtete sich zu einer leisen Stimme, doch Cedrik achtete nicht so sehr darauf, als auf die in ihm ansteigende Freude über seinen Erfolg. Nachdem er die Streichelbewegung ein zweites Mal vollführt hatte, ließ er es für diesmal genug sein, verneigte sich leicht vor Sternenlicht und verließ das Gatter. Ohne sich noch einmal umzudrehen betrat er das Haus und schloss die Türe hinter sich. So merkte er nicht, dass ihm Sternenlicht nachsah und seine Nase weit nach oben gestreckt hielt, wie um etwas einzuatmen, das sich in der Luft befand.
Und so war es auch. In dem Moment, wo Cedriks Hand das Fell Sternenlichts berührt hatte, war etwas mit beiden geschehen. Ein winziger Teil von Cedriks Magie war auf Sternenlicht übergegangen und umgekehrt. Sternenlicht hatte erkannt, dass etwas Besonderes an Cedrik war. Seine Berührung war sanft, wie das Liebkosen von Sternenlichts Mutter, an die er sich bereits nicht mehr erinnern konnte. Obwohl Einhörner eine tief in sich verwurzelte Abneigung gegenüber Berührung hatten, empfand Sternenlicht Cedriks Streicheln als angenehm und richtig. Aber er war ja auch schon seit seiner Geburt anders als andere Einhörner. Er war schwarz, die anderen weiß. Und darum hatten ihn die anderen meistens ausgegrenzt, auch wenn es ihm nicht so aufgefallen war, weil meistens seine Mutter schützend bei ihm war.
Von nun an kam Cedrik sooft es ihm seine Studien und Fulkhurx gestatteten. Und er ging nun jedesmal weiter. Erst strich er nur über Sternenlichts Nüstern, den Kopf, dann trat er weiter nach hinten, berührte die Seite und immer wenn diese Schauer über Sternenlichts Körper huschten, hielt Cedrik inne, um nach einigen Augenblicken weiter zu machen. So berührte der junge Magier nach und nach alle Stellen an Sternenlichts Körper und das waren nicht wenige. Den langen Schweif, der aus schwarzem Haar bestand versuchte er unwillkürlich zu entwirren, doch Sternenlicht hatte entweder etwas dagegen, oder er war besonders empfindlich dort, so schlug Sternenlicht Cedrik diesen ums Gesicht und Cedrik fiel erschrocken zu Boden. Doch dies war für Cedrik keine Entmutigung sondern Grund weiter zu machen. Kurz schien es ihm, als würde Sternenlicht diese Attacke leid tun, doch er konnte sich auch getäuscht haben. Nur in einem hatte er sich nicht getäuscht. Seit Cedrik Sternenlicht berührt hatte, war in seinem Kopf tatsächlich eine Stimme erwacht.
Erst nur ein Summen, verstand Cedrik nun auch einzelne Begriffe. Es war ja nicht so, dass Sternenlicht in Worten wie ein Mensch oder Magier sprach, sondern in bisher noch ziemlich undeutlichen Bildern. Kurz glaubte Cedrik so etwas wie eine Blumenwiese zu erkennen, doch da im Tal der Geächteten keinerlei solcher Gebiete waren, konnte es nur ein winziges Stück von Sternenlichts Heimat sein.
Cedrik hatte Sternenlichts Körper umrundet und ihn an allen möglichen und unmöglichen Stellen sanft berührt. Das erst oftmalige Zittern der Haut unter Cedriks Hand war weniger geworden und hatte schließlich aufgehört. Es schien, als hätte sich Sternenlicht an Cedriks Berührung gewöhnt. Als dieser seine Hand sinken ließ und das Fohlen, welches in der vergangenen Zeit gewachsen war und auch an Gewicht zugelegt hatte, nachdenklich ansah, streckte Sternenlicht seinen Kopf vor und stupste Cedrik nun sacht mit den Nüstern an, als wollte er ihn bitten, nochmals seine Streicheleinheiten zu vergeben. Cedriks Mund verzog sich zu einem Grinsen, als er leise sagte:
„Hat dir wohl gefallen? Aber wir wollen es ja nicht übertreiben, was? Sonst wird es dir zu viel.“
Cedrik wandte sich um und verließ das Gatter. Ehe er die Türe schloss schaute er noch einmal zu Sternenlicht. Dieser war ihm gefolgt und stand nun nahe am Gattertor. Cedrik streckte die Hand aus und strich noch einmal leicht über die Nase von Sternenlicht, dann jedoch verließ er diesen und betrat das Haus. Kurz glaubte er ein enttäuschtes Wiehern zu vernehmen, als die Türe ins Schloss fiel, doch er konnte sich auch getäuscht haben. Ermutigt von seinem heutigen Erfolg, beschloss Cedrik etwas Beschleunigung in den Annäherungsprozess zu bringen und morgen zu versuchen, auf Sternenlichts Rücken eine der leichten Tagesdecken zu legen.
Fulkhurx, der das ganze durchs Fenster beobachtet hatte, sah seinen Ziehsohn mit einer hochgezogenen Braue an. Er war nicht so erfreut, wie Cedrik dachte. Doch vielleicht lag es auch daran, weil Sternenlicht nur Cedrik an sich ran ließ und Fulkhurx nur solange geduldet hatte in seiner Nähe, wie dieser benötigte, ihn zu heilen. Auch wenn Cedrik seinen Anteil an dieser Heilung hatte, den größeren Teil hatte Fulkhurx gemacht.
Cedrik versuchte nun, sowohl die Streicheleinheiten als auch das Decken auflegen auf dem Pferderücken zu üben. Doch in dieser Sache war Sternenlicht ziemlich eigen. Die Berührungen Cedriks ertrug er nun widerspruchslos. Ja, es schien beinahe, als würde er diese herbei sehnen. Doch als Cedrik versuchte, ihm eine der kleineren Decken, die er aus dem Haus mitgebracht hatte, aufzulegen, stieg Sternenlicht vorne hoch und wäre Cedrik nicht rasch beiseite gesprungen, ihn hätten die Vorderhufe voll erwischt. Immer wieder versuchte Cedrik die Decke auf Sternenlichts Rücken zu legen, immer wieder reagierte dieser auf die gleiche Art. Schließlich kapitulierte Cedrik und ließ den Gedanken mit der Decke fallen. Fulkhurx schließlich gab ihm den rettenden Einfall, als er meinte, die normalen Decken wären wohl zu schwer oder zu unheimlich für Cedriks Ross, er solle es doch versuchen, eine Decke aus Licht zu spinnen. Wozu sei Cedrik ein Lehrling der Magie?
Erst wollte Cedrik diesen seltsamen Vorschlag seines Meisters und Ziehvaters als Spinnerei eines alternden Magiers abtun. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto mehr erwärmte er sich für diesen Vorschlag. Nun, er konnte zwar keine Fäden aus Licht weben, aber wohl die Fasern der Weberspinne holen, die im Wald in Unmengen ihre stabilen Netze bauten. Doch nicht die Netzfäden waren es, woran Cedrik dachte, sondern die Fäden, die die kleinen Kokons hielten, in denen die Weberspinne ihren Nachwuchs hielt. Nachdem dieser geschlüpft war, verdarben meist die leeren Kokonhüllen unter den Witterungseinflüssen. Wenn er diese Kokons sammelte, die Fäden aufdrillte und sie dann auf dem Hauseigenen Webstuhl verarbeiten würde, entstünde so eine leichte, aber auch stabile Decke, die Sternenlicht vielleicht nicht ablehnen würde. Als er diesen Gedanken Fulkhurx vermittelte, meinte dieser nur:
„Du kannst es machen, aber vernachlässige deine Studien nicht. Ich habe im Auge gesehen, dass noch große Dinge auf dich zukommen werden. Vielleicht erfährst du ja auch dabei gleich, wer deine Eltern waren.“
„Im Auge? Hat es noch etwas anderes gezeigt? Und wann kommen diese großen Dinge auf mich zu?“
„Das kann ich dir nicht sagen, weil es das Auge nicht gezeigt hat. Es wird aber in der Zukunft geschehen. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht in zehn Jahren. Ich weiß es nicht!“
„Vielleicht in hundert Jahren!“ murmelte Cedrik ein wenig verdrossen und machte sich auf den Weg, einige der Kokons zu suchen und zu holen. Was konnten das schon für große Dinge sein, die das Auge gesehen hatte und die da auf ihn zukamen?
Es war ein großer Augenblick, als Cedrik mit der fertig gewebten Decke zu Sternenlicht ins Gatter ging, langsam und die Decke etwas von sich weg gestreckt, damit Sternenlicht Witterung davon aufnehmen konnte. Sie war nicht ganz so geworden, wie Cedrik es sich vorgestellt hatte, doch er war ja auch Lehrling der Magie und kein Weber. Für die ersten Reitversuche würde es jedoch reichen. Falls Sternenlicht den jungen Magier an sich heran ließ. Und das schien nicht der Fall zu sein. Sternenlichts Kopf zuckte öfters in die Höhe und seine Augen sonst eigentlich sanft und beinahe halb geschlossen, wurden nun kugelrund und weit aufgerissen. Immer wieder schnaubte er durch die Nase auch zog er warnend die Lefzen hoch. Doch wenn Cedrik diese Phase der ersten Decken Auflage nicht bewältigte, würde es ein zweites Mal und einen Ritt auf Sternenlicht niemals geben. Je näher Cedrik zu Sternenlicht ging, desto unruhiger wurde dieser. Schließlich begann er mit den Vorderhufen in die Höhe zu steigen und sein Schnauben wurde zu einem warnenden Wiehern. Cedrik blieb stehen. Lange und völlig ruhig. Langsam beruhigte sich Sternenlicht wieder. Sobald er wieder ruhig da stand, jedoch mit wachem Blick und öfteren Schnauben, begann sich Cedrik wieder weiter zu ihm hin zu arbeiten.
Und eine Arbeit war es. Obwohl die Decke leicht war, begann Cedrik der vorgestreckte Arm langsam zu schmerzen und er überlegte sich bereits, ob er ihn nicht etwas senken sollte, da hatte er Sternenlicht erreicht. Über einem Arm die Decke hängend, die er vorsichtig zu Sternenlichts Nüstern brachte, damit er schon eine kleine Duftprobe nehmen konnte, die andere Hand vorgestreckt, um sie wieder an Sternenlichts Körper zu legen, um ihn überall zu berühren damit Sternenlicht wieder mehr Vertrauen bekam.
Sternenlichts Aufmerksamkeit wurde von der für ihn unheimlich wirkenden Decke zu Cedriks streichelnder Hand gelenkt und er beruhigte sich soweit, dass Cedrik den Moment gekommen sah, Sternenlicht die Decke über zu schmeißen. Gedacht – getan. Kaum lag die Decke auf Sternenlichts Rücken, als dieser auch schon erstarrte und Sekundenlang schien es kein Pferd mehr aus Fleisch und Blut zu sein, eher eine schwarze Pferdestatue mit einem weißen Stern auf der Stirn. Doch dann kam Leben in Sternenlicht und er stieg mit beiden Vorderhufen in die Höhe und ließ einen seiner seltenen Schreie hören. Die Decke rutschte vom Rücken und fiel leicht wie ein Blatt im Wind zu Boden. Cedrik wollte sich vor Schreck eben aus dem Bereich von Sternenlichts Hufen bringen, als dieser seine Läufe wieder auf den Boden stellte, sich umwandte und Cedrik einen ziemlich unsanften Stoß versetzte. Cedrik stolperte einen Schritt nach hinten und setzte sich ziemlich hart und unglücklich auf sein Hinterteil. Seine Augen waren weit aufgerissen und winzige Schweißperlen traten auf seine Stirn, als Sternenlicht ganz nahe an ihn heran trat, den Kopf senkte und die Lefzen hoch zog. In Erwartung eines Bisses schloss Cedrik die Augen. Als nach einiger Zeit noch immer keine Pferdezähne in Cedriks Körper steckten, wagte der Magierlehrling die Augen wieder zu öffnen. Er sah Sternenlicht nahe bei der Decke stehen und diese beschnuppern. Dann hob er sie langsam mit den Zähnen auf und wiegte sie einige Male hin und her. Cedrik riss seine Augen ungläubig auf und fragte sich, welch seltsames Pferdefohlen er da wohl gefunden hatte. Schließlich trabte Sternenlicht wieder zu Cedrik und ließ die Decke – die nun ziemlich benutzt aussah – fallen. Dann machte er einen Schritt zurück und sah Cedrik ruhig an. Dieser schaute erst die auf seinen Knien liegende Decke an, dann zu Sternenlicht hoch. Langsam griff Cedrik nach der Decke, nahm sie von den Knien und stand ebenso langsam auf. Nun stand er vor Sternenlicht und wusste nicht, was er tun sollte.
Plötzlich entstand in seinem Kopf das Bild, wie er langsam mit vorgestreckter Decke zu Sternenlicht gegangen war. Doch gleich erlosch es auch wieder. Das Bild war so kurz in Cedriks Kopf, dass dieser nicht wusste, war es nun Erinnerung von ihm oder hatte Sternenlicht es ihm in den Kopf gesetzt. Um dieses auszuprobieren, streckte Cedrik erneut die Hand mit der Decke vor und legte diese, da Sternenlicht weiterhin ruhig stehen blieb, auf den Rücken. In Erwartung, dass Sternenlicht erneut aufsteigen und seinen Schrecken und Angst herausschreien würde, sprang Cedrik einen Schritt zurück. Doch nichts dergleichen geschah. Sternenlicht stand weiterhin ruhig da und schaute Cedrik nur an. Leichte Schauer liefen zwar über sein schwarzes Fell, doch das konnte auch an dem zwar leichten, doch ungewohnten Gewicht der Decke liegen. Cedrik sah seinen Traum – das Reiten auf Sternenlichts Rücken – in greifbare Nähe gerückt. Also nahm er seinen Mut zusammen und trat wieder näher, überlegte, wie er wohl auf Sternenlichts Rücken kommen könnte und dabei fiel sein Blick auf das Gatter. Genauer gesagt auf die Querhölzer. Wenn er also auf eines davon stieg, das gleich hinter Sternenlicht war und von da auf Sternenlichts Rücken …!
Cedrik ließ dem Gedanken gleich die Tat folgen und mit einem raschen Ruck stieg er erst auf die Querstrebe des Gatters und danach legte er einen Fuß über Sternenlichts Rücken, zog sich hoch und griff gleich zeitig in die Mähne des Fohlens.
Doch so rasch Cedrik auch in die Mähne griff, noch rascher fand er sich am Boden wieder. Und diesmal beruhigte sich Sternenlicht nicht so rasch. Mit Bocksprüngen hüpfte er im Gatter umher und Cedrik rappelte sich rasch auf, um nicht durch Zufall von den Hufen Sternenlichts getroffen zu werden. Nun war Cedrik niemand, der rasch aufgab und so versuchte er es erneut. Hob die Decke auf, nachdem sich Sternenlicht etwas beruhigt hatte, legte diese über den Pferderücken und atmete erleichtert auf, als Sternenlicht sich dies gefallen ließ und nur etwas unruhig tänzelte. Erneut trat Cedrik hinter Sternenlicht, der beinahe an der selben Stelle wie vorhin stand und stieg auf das Gatter. Doch Sternenlicht schien zu ahnen, was der junge Magier vorhatte und er schnaubte warnend. Gleichzeitig schienen in Cedriks Kopf wieder Stimmen hörbar zu werden, doch es war so rasch vorbei, dass es Cedrik nicht so recht zu Bewusstsein kam. Kurz hielt Cedrik inne, dann jedoch versuchte er erneut, Sternenlichts Rücken zu ersteigen. Und wieder fand er sich am Boden. Diesmal bockte Sternenlicht nicht, sondern trat dicht vor den am Boden sitzenden Cedrik und zog seine Lefzen zurück, schnaubte warnend und scharrte mit einem Vorderbein, nahe neben Cedriks linkem Fuß.
Dieser starrte etwas erschrocken zu Sternenlicht hoch und schluckte. Dann versuchte er sich zu erheben, was ein neuerliches Schnauben Sternenlichts zur Folge hatte.
„Ist ja gut, ich versuche es nicht mehr, dich zu reiten!“ sagte Cedrik mit etwas zittriger Stimme. Als hätte Sternenlicht verstanden, wandte er sich von Cedrik ab und trabte langsam zur anderen Seite des Gatters. Cedrik sah ihm etwas nachdenklich nach, dann fiel sein Blick auf die Decke, die wieder am Boden lag, diesmal ziemlich dreckig und an einer Stelle sogar zerrissen. Cedrik seufzte, stand vorsichtig auf und presste die Lippen zusammen. Sein Hinterteil hatte ziemlich heftige Bekanntschaft mit dem Gatterboden gemacht und protestierte bei jedem Schritt, den Cedrik machte. Erst recht, als er sich bückte, um die Decke aufzuheben. Kurz überlegte Cedrik sich, ob er die Decke auf Sternenlichts Rücken legen sollte, doch dann ließ er es sein. Mit einem letzten Blick zu Sternenlicht, wandte sich Cedrik um, die schmutzige Decke über seinen Arm hängend und verließ das Gatter.
Er setzte seine Schritte zum Haus und betrat dieses. Gleich hinter der Tür stand Fulkhurx und grinste ihn an.
„Er will wohl nicht so, wie du willst, Söhnchen, oder?“ meinte er und kicherte. In diesem Moment kam Cedrik sein Ziehvater und Meister wie ein bösartiger Felsentroll vor. Auch wenn Schadenfreude angeblich die schönste Freude war, hatte Cedrik nicht den Nerv dazu, eventuell mit zu grinsen. Ihm tat sein Hinterteil ziemlich weh und er spürte Ärger vermischt mit Selbstmitleid, aber auch Sorge in sich widerstreiten. Ärger, weil sein Ziehvater Cedriks Versagen gesehen hatte. Selbstmitleid, weil sein Versagen Schmerz hervor gerufen hatte und Sorge, ob Sternenlicht ihm je wieder soweit vertrauen würde, dass Cedrik die Decke und vielleicht sogar sich selbst wieder auf Sternenlichts Rücken bringen konnte.
„Na mach dir nichts draus, Söhnchen! Irgendwann steigst du nicht mit deinem Hinterteil ab, sondern mit deinen Füßen und jetzt komm essen!“
Cedrik senkte beschämt den Kopf, um ihn sofort wieder zu heben. Seine Stirn runzelte sich und er griff sich verstohlen an den noch immer schmerzenden verlängerten Rücken. Essen? Und womöglich sitzen? Da hieße ja nun, ein Kissen, ein ziemlich weiches, auf den Stuhl zu legen. Ob allerdings Fulkhurx begeistert sein würde, wenn Cedrik dessen Kopfkissen als Sitzhilfe nahm? Doch Fulkhurx hatte eine ganz andere Idee. Mit wenigen Handgriffen fuchtelte er in der Luft herum und murmelte unverständliche Worte dabei. Dann deutete er zum Esstisch und meinte, abermals mit einem leichten Grinsen:
„Setz dich, ich habe dir ein Luftkissen geschaffen. Darauf wirst du gut sitzen und deinen Schmerz bald vergessen haben!“
Cedrik schaute erstaunt Fulkhurx an, dann begab er sich jedoch zum Tisch und seinem Platz. Und richtig lag auf seinem Stuhl ein farbloses Kissen. Vorsichtig setzte er sich darauf und sank ein wenig ein, doch er fühlte sich wirklich, als würde er auf Luft sitzen. Dankbar grinste Cedrik seinen Ziehvater an, der sich ihm gegenüber gesetzt hatte und nun das Grinsen erwiderte. Der Duft der Gemüsesuppe stieg Cedrik in die Nase und er holte seinen Löffel aus der Besteckschlaufe am Tischtuch. Jetzt, wo er keinerlei Schmerz mehr fühlte, konnte er sich ganz dem Essen widmen. Und Cedrik schlug zu, als hätte er seit Wochen nichts mehr zu essen gehabt.
Flucht
Nach und nach war es Cedrik gelungen, Sternenlichts Vertrauen zu ihm zu stärken und seit einiger Zeit hatte er seinen Traum in die Tat umgesetzt, er hatte Sternenlichts Rücken bestiegen und war oben geblieben. Zwar hatte es langes Zureden gebraucht, um Sternenlicht zu bewegen, nicht wie eine Statue stehen zu bleiben. Doch langsam hatte sich dieser an das Gewicht Cedriks auf seinem Rücken gewöhnt und schließlich sogar einige Schritte im Gatter gegangen. Obwohl es noch lange kein richtiger Sieg war, waren Cedriks Gedanken, Vorstellungen, Wünsche und Hoffnungen bereits dabei, mit Sternenlicht das Tal zu erkunden und ihm zu zeigen, wo Cedrik ihn gefunden hatte. Cedrik hatte die beschädigte Decke ausgebessert und diese lag nun unter ihm. Mit den Händen hielt er sich in Sternenlichts Mähne an und durchlebte im Gedanken viele Abenteuer.
Inzwischen waren viele Monate ins Tal gegangen, Cedrik hatte seinen nächsten Magieabschnitt erreicht und aus dem Fohlen Sternenlicht war zwar ein noch junger, doch stattlicher Hengst geworden. Cedrik hatte gelernt, mit einem raschen Sprung Sternenlichts Rücken zu erklimmen, nicht überall standen Querstreben eines Gatters zur Verfügung.
Der Sommer war dem Herbst gewichen und dieser dem Winter. Dieser brachte eisige Kälte und Unmengen an Schnee. Fulkhurx hatte dicht hinter dem Haus einen Anbau erlaubt und dort befand sich Sternenlicht, während sein Gatter unter dem Schnee versank.
Der Frühling brachte die Schneeschmelze und auch einen Monat lange Regen. Danach war der auftretende Nebel so dicht, dass man kaum die Hand vor den Augen sah.
Fulkhurx warf immer wieder einen Blick in das magische Auge, doch erzählte er nie Cedrik, was er darin gesehen hatte. Das Jahr trat in den Sommer, brachte Dürre und Hitze mit und Cedrik absolvierte seine Studien zu Fulkhurx' Freude sehr gründlich und gewissenhaft. Das, was ihm früher nicht oder nur teilweise gelungen war, gelang nun auf Anhieb. Als er dies Fulkhurx erzählte, meinte dieser wieder einmal ins Auge scheuend:
„Das hast du sicher von deinen Eltern. Warum sie dich allerdings von sich weg gebracht haben, weiß ich nicht. Aber ich habe dich ja gefunden und gleich deine besondere Magie …!“ Fulkhurx hatte sich unterbrochen, das Auge bedeckt und sich nach Cedrik umgewandt. Dieser wartete darauf, dass sein Meister weiter sprach, doch dieser schwieg. Dass Cedrik ein Findelkind war, wusste er doch schon lange. Dass sein Meister und Ziehvater in diesem Tal sein Leben verbringen musste, weil er für etwas bestraft worden war, wusste Cedrik auch. Doch er hätte gerne erfahren, wer seine Eltern waren und warum sie ihn wirklich ausgesetzt hatten. Aber von Fulkhurx bekam er keine Antwort mehr. Dieser verwahrte das bedeckte Auge wieder an dessen Platz und ließ Cedrik allein.
Der Herbst kam mit den obligatorischen Stürmen und glitt ohne Übergang in den Winter. Cedrik und Sternenlicht waren eine enge Einheit geworden doch Cedrik war noch nicht mit Sternenlicht außerhalb des Gatters geritten.
Seit einigen Tage fühlte sich Cedrik schwach und hatte Kopf- und Gliederschmerzen. Das Fieber brannte in ihm und Fulkhurx hatte eine Nachtschicht sich selbst aufgetragen, in der er die trocken gewordenen Tücher wieder in kaltes Wasser tauchte, um das Fieber herunter zu holen, doch es schien, als würde Cedrik von innen heraus verbrennen. Unruhig wälzte er sich auf der Liege, die Fulkhurx in seinen Schlafraum gestellt hatte und murmelte undeutlich in einer seltsamen Sprache. Aber vielleicht hörte es sich auch nur so an, denn das Fieber flackerte hoch in Cedrik.
Sternenlicht war unruhig, immer wieder flogen seine Blicke zu dem Haus und über das Gatter, Richtung Wald. Er spürte, dass etwas mit Cedrik passiert war und er konnte diesen nicht mehr erreichen. Andererseits lockte der Wald mit einem unhörbaren Ruf und seit langer Zeit hatte Sternenlicht wieder das Bild von weißen Einhörnern im Kopf. Kurz war er hin und her gerissen zwischen dem Jungen dort im Haus, der einen festen Platz in Sternenlichts Gedanken erhalten hatte und dem Locken, Artgenossen zu finden. Es dauerte nur wenige Lidschläge, dann setzte Sternenlicht über das Gatter, das seiner Größe keinen nennenswerten Widerstand entgegen setzen konnte und verließ jenen Ort, der solange sein Standort und sein Gefängnis gewesen war.
Der Vollmond beschien die Felsen und die Umgebung, die dem Heimattal Sternenlichts in nichts glich. Es dauerte nicht lange, so tauchte Sternenlicht unter die ersten Bäume des Waldes und wurde langsamer. Auch wenn er besser sah im Dunklen als jedes andere Pferd, so war es auch für ihn ziemlich schmerzhaft gegen einen der alten Bäume zu prallen. Die Erinnerung setzte ein, dass hier irgendwo in der Nähe jener kleine Fluss sein müsste und so sog Sternenlicht die Luft ein – und tatsächlich roch er ganz leicht Wasser. Er ging dem Geruch nach, kam an das Bächlein und begann zu trinken. Sein weißes Horn sandte einen leichten Schimmer aus, denn es war nun kein kleiner Hügel mehr auf der Stirnblässe, sondern ein majestätisch anmutendes gedrehtes weißes Horn. Dass es noch immer nicht von anderen gesehen werden konnte, auch von Cedrik nicht, lag daran, dass dies Sternenlichts Magie nicht zuließ. Dies war sozusagen ein Schutz für ihn.
Kaum war der Durst gestillt trabte Sternenlicht weiter und kam auf eine kleine Lichtung. Diese Lichtung gab es in seiner Erinnerung nicht und obwohl erwachsen, hatte er noch genug kindliche Neugierde in sich um sich die Lichtung genau anzusehen. Das Mondlicht schien voll auf die Lichtung und die Büsche und winzige Bäume die hier wuchsen warfen ihre Schatten in dem ungewissen Licht.
Unter einem der Büsche, die dabei waren ihre Blätterpracht bereits zu verlieren, befand sich ein schmaler Felsspalt und reichte weit in die Tiefe. Sternenlicht näherte sich diesem Busch ahnungslos und verharrte hin und wieder, um seine Blicke umher schweifen zu lassen und seine Freiheit zu genießen. Mit keinem Gedanken berührte er jenen Ort, wo er bisher so lange gewesen war und auch Cedrik schien daraus verschwunden zu sein.
Der dritte Schritt brachte Sternenlicht nah an das Gebüsch und als der Boden darunter nachgab, den Busch mit sich nahm, rutschte auch Sternenlichts rechter Vorderlauf mit und die scharfen Kanten des Spalts rissen sein Fell dort auf. Da Sternenlicht eine erschrocken Bewegung machte, um aus der Nähe dieser Gefahr zu gelangen, rutschte er tiefer und das Bein verkantete sich. Ohne Hilfe würde er hier nicht mehr raus kommen. Panik überschwemmte Sternenlicht und je mehr er versuchte zu entkommen, desto mehr wurde sein Bein gefangen. Die Wunde wurde tiefer und es verletzten sich nicht nur Muskeln sondern auch eine der Sehnen. Sternenlichts Augen waren weit aufgerissen und er schrie Schmerz, Schrecken und Not laut aus sich heraus, doch nur ein schwaches Echo antwortete. Schaum flockte von seinem Maul, als er schließlich sein Schreien einstellte. Der Wind, der bisher geruht hatte, erhob sich und fuhr sowohl in die Bäume mit den restlichen Blättern, als auch in Sternenlichts Mähne und Schwanzhaare, trieb kleinere, trockene Blätter hinein und brachte ihm zu Bewusstsein, dass ihm jetzt nur einer helfen konnte: Cedrik! Doch dieser lag in einem Fiebertraum im Haus, das weit vom Wald entfernt war.
Sternenlicht versuchte nach einiger Zeit erneut sich zu befreien, doch der Schmerz im Bein ließ ihn sogleich aufhören. Er schloss seine Augen, rief sich Cedriks Bild ins Gedächtnis und dann setzte er einen Teil seiner Einhornmagie ein … Sternenlicht rief um Hilfe!
Cedrik lag in seinem Fiebertraum gefangen und doch erreichte ihn der Ruf. Er schlug die Augen auf und merkte, dass er alleine war. Also stand er mit wackligen Beinen auf, schlang sich eine Decke um die Schultern und schleppte sich zur Tür. Dort begegnete ihm Fulkhurx, der draußen gewesen war, um frisches Wasser vom weiter weg gelegenen Brunnenloch zu holen.
„Wo willst du denn hin?“ fragte ihn der Magiermeister erstaunt und setzte den Eimer ab. Doch Cedrik erwiderte nichts, ließ die Decke fallen und verließ das Haus, um trotz des Fiebers seinem Sternenlicht zu Hilfe zu eilen. Der Weg war weit und für den Fieber geschüttelten Cedrik noch weiter. Doch wenn ein Freund rief, hatte man zu kommen.
Kaum hatte Cedrik Sternenlicht erreicht, ließ er sich neben diesen niedersinken und versuchte erst einmal zu Atem zu kommen. Dann drückte er das Fieber, das nun weniger in seinem Körper brannte, noch etwas weg und besah sich genauer das Malheur, das Sternenlicht getroffen hatte. Mühsam versuchte Cedrik einige der verkanteten Steine zu entfernen. Nach mehreren Fehlversuchen und längerem Bemühen gelang es ihm schließlich und Sternenlicht, der ihn nur angesehen aber mit keinem Ton seinen Schmerz kund getan hatte, versuchte das Bein aus dem nun verbreiterten Spalt zu ziehen. Und diesmal gelang es.
Cedriks Zustand hatte sich nur kurz gebessert, jetzt spürte er wieder, wie das Fieber erneut begann in ihm zu toben. Doch er spürte auch Sternenlichts Schmerzen und sah die Verletzung. Cedrik nahm all seine Kraft und sein Wissen zusammen, schloss die Augen und legte eine Hand auf das verletzte und blutende Bein Sternenlichts, die andere lag am Boden. Er selbst saß neben Sternenlicht und begann seine Heilkräfte einzusetzen. Auch wenn sie durch Fieber und Krankheit ziemlich geschwächt waren, begannen sie zu wirken und die verletzte Sehne wuchs wieder zusammen, die Muskeln, welche ebenfalls Schäden davon getragen hatten, gesundeten und die Haut schloss sich. Kaum war Cedrik fertig, wobei er sich leise fragte, woher er diese Kraft genommen hatte, wo er doch von Fieber geschüttelt wurde, richtete sich Sternenlicht auf und sah Cedrik tief in die Augen. Cedrik fühlte sich elend und dachte mit Grauen an den Heimweg. Denn dass er in seinem momentanen Zustand mit einem Sprung auf Sternenlichts Rücken kommen würde, bezweifelte er stark. Er sah Sternenlicht irritiert an, als dieser leise schnaubte und mit einem seltsam schlürfendem Geräusch einatmete. Obwohl Sternenlichts Vorderlauf geheilt war, machte er keinerlei Anstalten aufzustehen. Er hob nur den Kopf sah zum Himmel auf, wo eine beinahe unsichtbare Sonne stand und im nächsten Moment ertönte in Cedriks Kopf eine so schöne und kraftvolle Melodie, dass es ihm ganz sonderbar zu Mute wurde. Cedrik fühlte sich auf wunderbare Weise glücklich und wusste nun bis tief in sein Herz, dass Sternenlicht und er für immer Freunde bleiben würden. Zum ersten Mal in seinem Leben hörte Cedrik das Lied der Freundschaft.
Als hätte diese Melodie ihm Kraft gegeben, erhob sich Cedrik als sie geendet hatte und auch Sternenlicht stand auf, schüttelte seine Mähne aus und Cedrik fühlte sich nun gar nicht mehr krank. Nun war es kein Problem mehr, mit einem Sprung auf Sternenlichts Rücken zu gelangen und nach hause zu traben.
Kaum waren beide vor dem Haus angelangt, als auch schon Fulkhurx heraus stürzte und Cedrik von Sternenlichts Rücken zog.
„Bist du verrückt, Junge? Wie kannst du in deinem Zustand weg laufen und so riskieren, noch kränker zu werden?“
„Es geht mir gut! Das Fieber ist weg und ich bin wieder gesund. Das verdanke ich Sternenlicht, er hat für mich gesungen!“
„Er hat gesungen? Bist du jetzt vollkommen irre? Ein Pferd kann wiehern oder sonst was aber nicht Singen! Das ist das Fieber, das vernebelt dir den Verstand. Komm ins Haus, dort gebe ich dir einen Kräutertee, der das Fieber senkt.“
„Ich habe kein Fieber mehr!“ sagte Cedrik und nahm Fulkhurx' Hand um sie sich auf die Stirn zu legen. Fulkhurx runzelte die Stirn und fühlte tatsächlich nur normale Körperwärme auf Cedriks Stirn und nicht diese Hitze eines Fiebers. Erstaunt sah er Cedrik an, zog seine Hand zurück und meinte:
„Was ist geschehen? Ich fühle nicht einmal mehr den Ansatz einer Krankheit in dir. Was hast du gemacht?“
„Ich habe nichts gemacht, außer Sternenlichts verletzten Lauf zu heilen. Und dann hat er für mich gesungen. Und ich wurde geheilt!“
Fulkhurx' Blick ging von Cedrik zu Sternenlicht und wieder zu Cedrik zurück. Er hatte schon viele seltsame Dinge in seinem langen Magierleben gehört, gesehen und auch erfahren, aber dass ein Pferd ein Lied sang, noch nie. Und doch war weit in seinem Hinterkopf so ein Gedankenfunke, als wüsste oder ahnte er, was es mit diesem Singen auf sich hatte. Aber dieser Funke versank sofort wieder im Dunkel des Vergessens und Fulkhurx schüttelte den Kopf.
Sternenlicht war inzwischen zu seinem Gatter getrabt, über die niedrige Strebe gesprungen und stand nun dort, als wäre er nie weg gewesen. Cedrik und Fulkhurx verschwanden im Haus und die Türe schloss sich.
Schlimme Nachrichten
Die Jahreskreise begannen und schlossen sich. Sternenlicht und Cedrik wurden ein eingeschworenes Team, das – sooft es Cedriks Studienpausen zuließen – die nähere und weitere Umgebung erkundete.
Heftige Gewitter, aber auch die Studien Cedriks, die mit einer harten Prüfung ihren vorläufigen Abschluss fanden, um mit den nächsten Lektionen erneut zu beginnen, hatten dafür gesorgt, dass die Erkundung etwas in den Hintergrund getreten war. Fulkhurx hatte die niedrige Stelle des Gatters ausbessern wollen, doch Cedrik hat ihn davon abgebracht und Sternenlicht war nie wieder allein verschwunden. Cedrik saß in seinem kleinen Studienraum und quälte sich durch die zahlreichen Zaubersprüche und Magieformeln, wo nur ein falsches Wort oder eine unkorrekte Betonung etwas ganz anderes auslösen konnte, als vorgesehen war.
Sternenlicht wieherte laut und Cedrik hob den Kopf. Ja, so ein rascher Ritt durch die Wälder und den Fluss … das wäre jetzt nicht zu verachten. Doch er musste zu dieser Stunde endlich erreichen, dass er wenigstens den Harzfluss bei dem von ihm verletzten Baum stoppen konnte. Bisher hatte sich noch nicht so viel getan, bei diesen Studien.
Cedriks Blick fiel wieder durchs Fenster seines Raums, wo er am Boden auf dem Webteppich saß und erneut versuchte, sich zu konzentrieren. Doch es war wie verhext.
Sternenlicht wieherte abermals und nun hielt Cedrik nichts mehr. Er ließ seine Studien sein, horchte rasch, ob Fulkhurx seinen Mittagsschlaf hielt und als er dessen Schnarchen hörte, stand er auf, öffnete das Fenster, stieg hinaus und schwang sich auf Sternenlichts Rücken, kaum war er bei diesem im Gatter angekommen. Er legte seinem Reittier die Hand auf den Kopf, dicht oberhalb der sternförmigen Blässe und beugte sich nach vorne. Leise schnalzte Cedrik mit der Zunge und Sternenlicht setzte sich in Bewegung.
Es dauerte nicht lange, so ritt Cedrik bereits über die düstere Ebene und genoss dieses Gefühl der vollkommenen Verbundenheit mit Sternenlicht.
Cedrik hatte die schmale Blumenwiese erreicht und sprang von Sternenlichts Rücken. Dieser machte sich sofort daran, von den zarten Gräserspitzen zu naschen. Cedrik legte sich zwischen die blauen Glocken der süß duftenden Wiesenglöckchen und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Seine braunen Augen mit den darin schwimmenden Goldpunkten starrten nachdenklich in den mit grauen Wolken bezogenen Himmel.
Während Cedrik in den Himmel sah, liefen seine Gedanken ungezügelt viele Jahre zurück. Er sah sich wieder als kleinen Jungen seinem Meister und Ziehvater zusehen, wenn dieser wieder neue Tinkturen versuchte oder aus dem großen „Magie- und Zauberbuch“ neue und auch seltene Mixturen versuchte. Cedrik sah sich wieder in der Rolle des fragenden Knaben. So vieles war unerklärlich. So vieles – trotz Verboten – spannend und die Neugierde überwog bei weitem die vorhandene Angst.
Eines Tages, einige Jahre später, holte der Ziehvater, der Cedrik schon von Beginn an gesagt hatte, dass dieser ein Findelkind war, dieses seltsame Ding hervor, das er das „Auge“ nannte. Cedrik wurde von den Schlieren darin gefesselt. Es schien ihm, als würde darin ein Sturm toben, der bunte Kristalle durcheinander wirbelte. Sonst war es ein runder Glaskörper, auch wenn Fulkhurx einen seiner seltenen Lachanfälle bekam, als Cedrik ihn fragte, was wohl passieren würde, wenn das Glas zerbrach. Fulkhurx hatte Cedrik dann gesagt, dass dies kein Glas sei, sondern ein magisches Zeitfeld. Was immer das auch bedeuten sollte. Und Cedrik bekam das strikte Verbot, je das Auge anzufassen oder es gar zu benutzen.
Tagelang hatte Fulkhurx hinein gesehen und Cedrik war in dieser Zeit oft mit Sternenlicht unterwegs. Hatte die Umgebung erforscht und seine Studien vernachlässigt. Tief in sich hatte er eine Unruhe gespürt. Er fühlte sich seltsam allein und irgendwie, als würde ihm etwas fehlen, das er weder kannte noch beschreiben konnte.
Nachdem Fulkhurx das Augen endlich wieder verstaut hatte, getraute sich Cedrik seinen Ziehvater zu fragen, was diese unerklärlichen Gefühle in seinem Inneren wohl zu bedeuten hätten. Er wurde von Fulkhurx danach angestarrt und dieser meinte nach langem Zögern und Nachdenken:
„Tja, du wirst erwachsen, auch wenn dein Verstand noch Jahre und Jahrzehnte benötigt, all die Formeln, Mixturen oder auch nur die einfachste Magie zu beherrschen. Dein Körper sehnt sich nach einer Ergänzung. Und jetzt lass mich in Ruhe und setze dich an deine Studien!“ Damit war Cedrik entlassen.
Er war schon öfters abgekanzelt worden, doch noch nie so herrisch. Cedrik, noch sehr durcheinander vom unverständlichen Benehmen des Ziehvaters, hatte sich auf Sternenlichts Rücken geschwungen und trotz der Rufe seines Ziehvaters war er erst tief in dunkler Nacht zurück gekehrt.
Wenn nicht ein eisiges Schweigen zwischen ihm und Fulkhurx geherrscht hätte, hätte Cedrik diesem sicher von Sternenlichts letzten und größten Geheimnis erzählt, das ihm dieser offenbart hatte.
Doch so schwieg Cedrik und auch Fulkhurx sprach die nächsten Tage nur das Notwendigste. Es schien, als hätte ihre Freundschaft zueinander einen kleinen Knick bekommen. Aber Cedrik hielt es nur wenige Tage aus, dann machte er den ersten Schritt zur Versöhnung und obwohl Fulkhurx Cedriks Entschuldigung annahm und diesen wieder so behandelte wie vorher, blieb doch ein Rest von Abstand zueinander.
Cedrik blinzelte kurz mit den Augen und kehrte gedanklich ins Hier und Jetzt zurück. Dann sah er sich nach Sternenlicht um. Dieser hatte sich in seiner Nähe nieder gelassen und sah mit seinen sanften dunklen Augen zu Cedrik. Langsam hob er den Kopf und sang wieder leise das Lied der Freundschaft. Cedriks Augen füllten sich mit Tränen und wieder einmal fragte er sich, womit er diese Freundschaft mit diesem wundervollen Wesen verdient hatte.
Cedrik zuckte zusammen, als ihn unvermittelt Fulkhurx' Ruf erreichte. Etwas war passiert und der Meister und Ziehvater benötigte Cedrik. Die Dringlichkeit, mit der der Ruf gesendet wurde, veranlasste Cedrik zu überstürzten Aufbruch. Auch Sternenlicht schien den Ruf zu spüren, denn er hatte sich bereits erhoben und Cedrik sprang ihm mit Schwung auf den Rücken.
Kaum griff Cedrik in Sternenlichts Mähne, setzte sich dieser auch schon in Bewegung und fiel in einen nur selten gezeigten, gestreckten Galopp.
Als Cedrik beim Haus ankam, glitt er von Sternenlichts Rücken und riss die Türe auf. Dann lief er, so schnell es die Enge im Haus zuließ, in den Wohnraum. Dort saß Fulkhurx und sah ihm entgegen. Bleich im Gesicht, sodass die Falten, die von einem langen und ereignisreichen Leben zeugten, scharf hervor traten.
„Was ist passiert?“ fragte Cedrik atemlos und kniete sich mit einer fließenden Bewegung vor Fulkhurx auf den Boden. Der alte Magier öffnete den Mund, doch kein Ton kam daraus hervor. Erneut versuchte er es und diesmal klappte es.
„Es ist etwas entsetzliches passiert, Junge!“
„Das habe ich mir bereits gedacht, als ich Euren Ruf hörte, Meister! Was ist geschehen? So verstört habe ich Euch noch nicht oft erlebt!“
„Es ist etwas eingetreten, das niemand je für möglich gehalten hätte!“
Cedrik verdrehte innerlich die Augen. Manchmal hasste er es, wenn Fulkhurx so um den heißen Brei herum redete.
„Was ist denn genau passiert? Das muss ja wirklich etwas entsetzliches sein!“
„Ich habe in das 'Auge' gesehen ...“ Fulkhurx unterbrach sich und wischte sich mit der Hand über die Stirn. Cedrik wartete, nun leicht ungeduldig, dass sein Ziehvater weiter sprach. Als nach einigen Sekunden noch immer nichts kam, meinte Cedrik:
„Was hat es Euch gezeigt, Vater?“
„Der Prinz hat endlich seine Herzdame gefunden und sich mit ihr vermählt. Dann jedoch hatte er diesen dummen Gedanken, sich mit ihr an einen geheimen Ort zurück zu ziehen, wo keinerlei Wachen wären. Man hat ihn entführt, ihn und seine Gemahlin!“
Cedrik ließ sich auf die Fersen sinken. Dass der Prinz eine Gefährtin gefunden hat, hatte bereits die Runde gemacht. Da sagte Fulkhurx nichts neues. Doch dass jemand den Prinzen und seine Gefährtin entführt hatte, das war neu.
Cedriks Gedanken bewegten sich in andere Bahnen. Kurz dachte er daran, dass er wahrscheinlich nie eine richtige Gefährtin bekäme, denn Fulkhurx hielt ihn ziemlich unter Verschluss. Auf eine diesbezügliche frühere Frage Cedriks war ihm einmal geantwortet worden, dass dies nur zu seinem Besten sei.
„Die besten und stärksten Krieger im ganzen Land, sind nun aufgerufen, das Paar zu befreien. Sollte dies gelingen, würde es einen Lohn geben. Aber ich bin dazu zu alt. Du wärst im richtigen Alter. Und es würde nicht schaden, wenn du etwas mehr lernst, als das was ich dir noch beibringen könnte. Ich habe dich schon beim König vorstellig gemacht. Er meinte, wenn du es schaffst, die beiden zu retten und sie auch lebend zurück zu bringen, könnte er dir deinen größten Wunsch erfüllen. Und da du in meinem Namen als mein Vertreter gehst, würde er sogar meine Entbannung veranlassen!“
Cedriks Augen wurden groß. Wie war das? Er sollte jetzt, wo er sich bereits abgefunden hatte nie zu erfahren, wer und was er wirklich war, endlich doch noch dies erfahren? Doch so ganz traute er diesem König nicht. Und seinem Versprechen, den Ziehvater zu entbannen. Woher wollte dieser König von ihm – Cedrik – wissen? Cedrik könnte allerdings wieder etwas anderes als seine Studien machen.
Aber für dieses Vorhaben sollte er seine Rüstung, die er vor Jahren versucht hatte, zu schmieden, endgültig fertig machen. Cedriks Gedanken und Aufmerksamkeit kehrten zu Fulkhurx zurück und er nickte.
Dann erhob er sich, warf noch einen Blick zu der Kugel, die in Fulkhurx' Händen lag und deren Regenbogenschlieren den Blick verwirrten.
Kurz stockte das Farbenspiel und Cedrik hatte den Eindruck, als würde sich ein Gesicht manifestieren wollen. Zart und blass, dunkle kurze Haare und helle Augen. Gleich darauf verwirrten sich die Schlieren wieder und löschten das Antlitz aus, bei dessen Anblick Cedrik das Gefühl hatte, als würde ihn ein Stromstoß treffen. Doch da es gleich darauf verschwunden war, dachte Cedrik nicht länger darüber nach, er konnte sich auch getäuscht haben.
„Ihr erlaubt Vater, dass ich mich zurück ziehe und die rechten Vorbereitungen treffe?“
„Ja, ja ich habe nichts dagegen!“ erwiderte Fulkhurx, der sich bereits wieder erholt hatte und ungeduldig mit einer Hand wedelte, während die andere das Auge hielt.
Cedrik fiel etwas ein. Er wandte sich nochmals an seinen Ziehvater und meinte verlegen errötend:
„Verzeiht, ich möchte nicht stören, doch gestattet mir eine Bitte!“
„Was willst du denn noch?“
„Etwas von dem Silbererz und dem Spiegelstaub! Damit ich die Rüstung ausbessern kann und sie fertig mache!“
Fulkhurx runzelte die Stirn, nickte dann und meinte, sich erhebend:
„Ja, mach nur. Und denke daran, genau und intensiv arbeiten und die richtigen Spruchinsignien nicht vergessen!“ Und damit war Cedrik entlassen.
Reisevorbereitungen
Cedrik begab sich so schnell er konnte in seinen Studier- und Schlafraum, ging zu der Kiste die mit den Büchern, den meisten Magieutensilien und auch mit der unfertigen Rüstung gefüllt war. Er nahm die Einzelteile der Rüstung heraus und besah sie sich.
Jetzt musste er sich das magische Schmiedefeuer entfachen und die größeren Silbererzkörner sowie den Spiegelstaub nehmen. Cedrik ließ den Deckel wieder fallen und verließ den Raum. Er begab sich nach draußen, ging zum Schmiedeofen, der meist von Fulkhurx benutzt wurde und entzündete das magische Schmiedefeuer. Dann legte er die Rüstungsteile neben den Ofen nieder, ging erneut ins Haus um die zwei restlichen wichtigen Bestandteile zu holen. Acht der größeren Erzkörner müssten reichen. Der Spiegelstaub würde sich gleichmäßig auf der Rüstung verteilen. Deshalb benötigte Cedrik nur eine Handvoll davon.
Er brachte die Utensilien zum Ofen, nahm aus seiner Hosentasche eine kleine Dose und füllte sie bis zum Rand mit dem Staub. Dann setzte er den Deckel auf und wandte sich der nächsten Arbeit zu.
Cedrik nahm die Rüstungsplatten und warf sie ins Feuer. Zwei der Silbererzkörner dazu. Er sah interessiert zu, wie sie schmolzen und sich unter seiner magischen Mithilfe mit den beiden Platten verbanden. Mit der langen Zange,die neben dem Schmiedeofen an einem haken hing, holte Cedrik die glühenden Platten heraus und legte sie auf den Boden. Er hängte die Zange wieder zurück, entnahm der Dose etwas Spiegelstaub und streute ihn auf die Rüstungsteile, die sich sofort schwarz färbten. Es zischte leise und Cedrik musste, wenn die Teile gänzlich erkaltet waren, nur noch kräftig reiben um sie zum Glänzen zu bringen. Mit den Arm- und Beinschienen und dem Helm verfuhr Cedrik auf die gleiche Weise.
Er hatte richtig gerechnet und geschätzt und alles von Erz und Staub aufgebraucht. Mit einer Handbewegung löschte Cedrik das Schmiedefeuer und nahm alle jetzt erkalteten Teile der Rüstung an sich.
Danach ging er ins Haus und merkte erst jetzt, dass es bereits dunkel geworden war. Cedrik legte alle Teile in seinem Zimmer auf das Bett und sah nachdenklich darauf nieder. Er war noch immer der Meinung, sein Ziehvater hätte das „Auge“ schon lange zurück geben sollen. Dann wäre er vielleicht auch wieder entbannt worden.
Nur langsam kehrte Cedrik in die Gegenwart zurück. Noch immer starrt er nachdenklich auf die Teile. Sie lagen stumpf und matt auf dem Bett. Cedrik wandte sich ab, griff nach dem Polierleder und begann mit dem Polieren.
Es dauerte die ganze Nacht, bis alle Teile so glänzten, dass sich die aufgehende Sonne darin spiegelte und Cedrik in den Augen weh tat. Kurz dachte er, wenn es ihn schon so blendete, dann würde es sicher auch die Feinde oder etwaige Angreifer verwirren und sogar in die Flucht schlagen.
„Hast du die ganze Nacht gearbeitet?“ fragte Fulkhurx von der Tür her. Cedrik nickte und legte aufatmend das Tuch beiseite.
„Dann werde ich dir nun einen entscheidenden Blick ins Auge gestatten. Damit du weißt, worauf es ankommt!“
Cedrik nickte, legte die Rüstungsteile wieder zurecht und folgte seinem Ziehvater in dessen Raum.
Auf einem Kristallständer lag das „Auge“ und zeigte die üblichen Regenbogenschlieren. Fulkhurx trat zu dem Auge, schloss seine Augen und Cedrik verspürte das Kribbeln einsetzender Magie. Die Schlieren verschwanden und zeigten die Gesichter des entführten Prinzenpaares. Und eine große Armee, die in Richtung einer ziemlich befestigt wirkenden Burg zog. Gleich darauf erlosch das Bild und die Schlieren kamen wieder.
„Ich denke, du solltest nun Sternenlicht satteln, am besten mit dem Sattel, den ich früher einmal von einem fliegenden Händler erstanden habe, nachdem ich ihm seine Warzen und die nässenden Hühneraugen behandelt habe. Vergiss den Beutel nicht und deinen Stab. Proviant habe ich dir bereits gerichtet. Es ist besser, wenn du dich so schnell als möglich auf den Weg machst. Ich werde ziemlich ungeduldig auf dich warten!“ Fulkhurx legte Cedrik seine Arme auf die Schultern und sah ihm ernst ins Gesicht.
„Denke daran, freundlich zu sein und auch daran, dass dich nicht nur meine Wünsche sondern auch meine Gedanken begleiten werden!“
Cedrik nickte ernst und spürte, wie ihm Tränen in die Augen traten. Ohne nachzudenken, legte er dem alten Magiermeister die Arme um den Nacken und legte seine Stirn an dessen Wange. Sofort versteifte sich Fulkhurx und schob Cedrik ziemlich barsch von sich.
„Was soll das denn? Wenn du jemand zum Umarmen benötigst, such dir ein Weib! Jetzt hast du die Gelegenheit dazu. Aber bleib mir vom Leib mit deinen Gefühlen!“ Fulkhurx schüttelte sich.
Cedrik ließ seine Arme sinken. Er hätte sich denken können, dass es Fulkhurx verabscheute, von anderen berührt zu werden.
Cedrik verneigte sich leicht, wandte sich um und ging zu seinem Zimmer. Er betrat es, legte bedächtig die Rüstungsteile, bis auf den Helm an und dachte erst jetzt daran, dass er sich eigentlich umziehen hätte sollen. Doch jetzt war es zu spät. Er holte den Reisebeutel aus dem Schrank, befüllte ihn mit seinem kleinen Teevorrat und den Kräutern. Aus der Kammer mit den Vorräten holte sich Cedrik ein größeres Stück Käse und das Brot, das frisch gebacken worden war, einige Äpfel und aus der Truhe im Zimmer etwas Wäsche zum wechseln. Dann nahm er seinen Gürtel mit den beiden Messern und hängte ihn sich um. Seine Hand griff nach dem Stab mit dem Ambarinstein und danach nahm er den kleinen Magiebeutel an sich, den er über Sternenlichts Horn ziehen würde, um dessen wahres Aussehen zu verstecken.
Cedrik hängte sich nun auch den Reisebeutel über, sah sich aufmerksam in seinem Zimmer um und musste schlucken. Er war schon öfters einige Tage fort gewesen, aber diesmal hatte er ein ganz mieses Gefühl. Während Cedriks Gedanken bereits den Weg verfolgten, nahmen seine Augen Abschied von seinem bisherigen Leben und den Gegenständen, die ihn seit siebzehn Jahren begleiteten.
Cedrik verließ sein Zimmer, ging zu Sternenlicht und strich ihm sanft über die Nüstern. Sternenlicht schnaubte leise und wieder glaubte Cedrik, Worte oder Gedanken in seinem Kopf zu vernehmen. Doch abermals war dieser Moment so schnell vorbei, dass sich Cedrik nicht sicher war ob dies auch tatsächlich geschah.
Cedrik verließ Sternenlicht kurz, um in den Sattelraum zu gehen und holte den Sattel und die Decke.
Danach ging er zu Sternenlicht zurück, legte erst die Decke auf Sternenlichts Rücken, dann den Sattel. Zum Schluss nahm er die Zügel vom Haken und musste erst den unwillig mit dem Kopf schüttelnden Sternenlicht überreden. Seinen Helm band Cedrik an den Sattelknauf. Danach stülpte Cedrik den Magiebeutel über das Horn, das momentan nur er sehen konnte. Doch um es auch vor anderen Augen zu schützen, hatte Cedrik diesen Beutel gemacht.
Es dauerte etwas, ehe Cedrik aufsitzen konnte und noch einmal wandte er sich um. Auch diesmal ließ sich Fulkhurx nirgendwo sehen. Cedrik zuckte die Schultern und ritt los.
Kaum war sein bisheriges Zuhause seinen Blicken entschwunden, gab er Sternenlicht mit einem leichten Fußdruck zu verstehen, dass er schneller laufen sollte. Dies ließ sich Sternenlicht nicht zweimal sagen und verfiel in schnelleren Trab. Der Wind, den der rasche Ritt erzeugte, strich Cedriks Haare aus der Stirn und ein erfreutes Lächeln zauberte kleine Grübchen auf seine Wangen.
Kampfgetümmel
Der Weg war weit und Sternenlicht gab sein möglichstes, ihn zu bewältigen. Und doch dauerte es lange, ehe Cedrik die letzte Kehre erreichte, die zu der Burg führte. Weit entfernter Lärm lag in der ansonsten stillen Luft. Je näher Cedrik kam, desto lauter wurde er.
Kurz dachte Cedrik an Fulkhurx' Bitte, er – Cedrik – solle für die Entbannung sorgen und dass er selbst nun so nahe der Erkenntnis gekommen war, was und wer er selbst ist, wie noch nie. Cedrik schluckte, dann gab er Sternenlicht wieder etwas die Zügel und er atmete gepresst, als Sternenlicht die letzte Kehre passierte und Cedriks Blick auf das Geschehen weit vor ihm fiel.
Als Cedrik schließlich näher kam, war die Schlacht in vollem Gange. Er hielt Sternenlicht kurz an und erhob sich im Sattel etwas um besser sehen zu können. Cedrik merkte das Loch in der Mauer, die die Burg umgab, die Körper die am Boden davor lagen und die er von seiner Stelle nicht unterscheiden konnte – ob Freund oder Feind.
Cedrik setzte sich wieder und schnalzte leise mit der Zunge. Sternenlicht schüttelte etwas unwillig den Kopf. Cedrik legte seine rechte Hand zwischen die Ohren seines Reitgefährten und beugte sich etwas vor. Leise flüsterte er in sein linkes Ohr:
„Wir müssen dort hin! Ich kann mich doch auf dich verlassen, oder?“
Kurz stutzte Cedrik als er eine ebenso leise Stimme in seinem Kopf vernahm und es dauerte einige Augenblicke, bis er erkannte, dass sie von Sternenlicht kam.
'Das weißt du doch! Aber riechst du nichts? Überall dieser Blutgeruch!'
Cedrik hob den Kopf und sog die Luft in seine Lungen. Er roch nichts. Noch nicht. Vielleicht, wenn er näher heran kam.
Cedrik wollte eben los reiten, als eine kleine Gruppe der Kämpfer los rannte, ein irrsinniges Geschrei dabei ausstoßend.
„Welch eine Unvernunft!“ sagte Cedrik leise und schüttelte den Kopf. Er spürte irgendwo in dieser Umgebung starke Magie. Konnte aber weder einen Zauberer noch einen Magier bei der Arbeit erblicken.
Wieder schnalzte Cedrik mit der Zunge und Sternenlicht setzte sich langsam, wie unwillig, in Bewegung. Er hielt auf das Loch in der Mauer zu und folgte nun in weitem Abstand den bereits darin verschwundenen Wesen. Kurz runzelte Cedrik die Stirn, als er dachte, er hätte Zwerge gesehen. Doch sicher hatte er sich getäuscht. Doch zu weiteren Gedanken hatte er keine Zeit mehr, denn nun erreichte auch ihn der Geruch nach Tod und und ein Schwarm grüner Fliegen erhob sich über einer relativ flachen Grube, in der Körper kreuz und quer lagen. Man hatte scheinbar keinerlei Unterschied gemacht, zwischen Freund und Feind. Nun ja, im Tode war jeder gleich.
Cedrik rümpfte die Nase und legte die Hand zwischen die Ohren seines Tieres, als es sich etwas aufbäumte und vor der Grube und dem penetranten Geruch scheute.
„Wir müssen da vorbei! Vielleicht benötigen diese tapferen Recken unsere Hilfe!“
Sternenlicht schüttelte unwillig den Kopf, doch dann setzte er mit einem eleganten Sprung an der schmalsten Stelle der Grube darüber hinweg.
Cedrik atmete auf, als sie die Stelle passiert hatten und den Geruch, den grausigen Anblick und den Fliegenschwarm hinter sich ließen.
Sie schlüpften durch das Loch, wobei sich Cedrik etwas bücken musste, sonst hätte er sich am oberen Mauerwerk den Kopf angeschlagen. Weit vor sich sah er die Gruppe über den Burghof laufen. Sie verschwanden eben in einer offen stehenden Tür, die scheinbar ins Innere der Burg führte.
Cedrik folgte und da Sternenlicht nicht beschlagen war, sondern seine Hufe aus körpereigenem Horn bestanden, klapperten sie auch nicht sehr laut.
Der Burghof war leer, denn eben verschwand der Letzte hinter der Tür. Und nirgendwo irgend welche Verteidiger dieser Gemäuer oder Soldaten. Cedrik war dies zwar ein Rätsel, doch nicht unrecht. Er überlegte, ob er absteigen sollte, denn er konnte Sternenlicht nicht zumuten, hier draußen zu warten, als wäre er ein gewöhnliches Pferd. Also lenkte er ihn ebenfalls zu der Tür und hielt darauf zu, als eine tiefe Stimme hinter ihm ein scharfes „HE!“ tief.
Cedrik zügelte Sternenlicht und drehte sich im Sattel nach dem Besitzer der Stimme um.
„Was?“
„Wer bist du denn? Verschwinde hier oder ich mache dir Beine!“
Cedrik stieg von Sternenlicht und trat zwei Schritte von ihm weg. Dann stemmte er die Hände in die Hüfte und betrachtete den dicken Soldaten vor sich.
„Ach ja?“ fragte Cedrik. Ehe der Andere noch reagieren konnte, wandte sich Cedrik um, holte aus der Sattelhülle, die er dafür angefertigt hatte, seinen Stab und lief damit auf den Soldaten zu. Dieser grinste über sein feistes Gesicht, doch es verwandelte sich gleich darauf in Erstaunen und schließlich in Todesangst, als der Ambarin in seine Brust eindrang, die Rüstung – die er trug – wie Butter durchdrang und ihn schneller sterben ließ, als sein Geist dies realisieren konnte. Cedrik zog sofort seinen Stab wieder zurück. Ohne einen weiteren Blick auf den bereits toten, doch noch immer erstarrt stehenden Soldaten zu verschwenden, bestieg Cedrik Sternenlicht, steckte den Stab in die Hülle zurück und folgte der Kämpfergruppe ins Burginnere.
Die Anderen ...
Catyua taumelte hinter Rutaara her. Seit ihrem Kampf gegen den Dämon fühlte sie sich schwach. Zwar hatte sie von Rutaara Hilfe und Kraft bekommen, aber jetzt merkte sie wie auch diese schwand. Natürlich würde sich ihre Chance, den Auftrag zu erfüllen mit einer Rast verschlechtern, aber wollten sie den Tod riskieren? Sie sicher nicht. Aber genau so wenig wollte sie sich von der Gruppe trennen. Und Assasina war noch immer nicht aufgewacht, was ihr Sorgen machte. Allerdings hatten sie aber so auch nicht das Problem auf sie aufpassen zu müssen. Denn es konnte sein, dass sie abermals versuchte einen von ihnen anzugreifen. Trotzdem musste sie rasten.
„Rutaara, warte!“ brachte sie mühsam heraus. „Ich weiß, der Auftrag, aber ich kann nicht mehr!“
'Verdammt', dachte sie, ' jetzt bin ich wieder die, die nicht mehr kann und eine Pause braucht!'
Sie verzog das Gesicht bei dem Gedanken.
Rutaara war stehen geblieben als sie ihren Namen gehört hatte und drehte sich nach ihr um. Alle anwesenden Kämpfer musternd, beschloss auch sie, dass eine Rast ratsam wäre. Catyua war überrascht, als diese daher antwortete:
„Sobald wir einen geeigneten Platz entdecken, werden wir einen Stopp einlegen – oder gibt es dagegen triftige Einwände?“
Niemand hatte etwas vorzubringen und sie gingen weiter, auch wenn einige von ihnen aussahen, als ob sie am liebsten gleich hier auf dem Boden rasten wollten.
Nach einiger Zeit machte Lyrael seine Gefährtin auf einen schmalen Gang aufmerksam, der in einen größeren, geschützten Raum zu führen schien. Rutaara zeigte ihnen die Öffnung und sie gingen vorsichtig einer nach dem anderen durch den Tunnel artigen Gang, bis sie schließlich alle darin verschwunden waren.
Die Dunkelheit hielt nicht lange an, bald standen sie in einem Raum, der mehr eine Halle war. Mit einer Decke, wie sie noch keiner von ihnen wegen der Höhe gesehen hatte.
Jeder Schritt hallte wider, doch die Geräusche der Schlacht hörten sie in diesem Raum nicht mehr.
Lyrael ließ sich nieder und Catyua versuchte Rutaara zu helfen, Assasina von seinem Rücken zu heben. Doch sie war zu schwach, so dass Agenor schließlich der Elfe unter die Arme greifen musste, um sie vom Wolf zu heben.
Assasina hörte Stimmen. Anfangs waren es nur unklare Geräusche. Doch mittlerweile konnte sie diese als Stimmen identifizieren, auch wenn sie kein Wort verstehen konnte. Ihr Kopf und die Glieder schmerzten, also war sie nicht tot! Offensichtlich hatten sie die Dämonen, die sie vermutlich gefunden hatten, am Leben gelassen. Warum – das konnte sie sich nur zu gut denken. Sie lag flach am Rücken, harten Stein unter ihrem Körper. Die Stimmen waren weiterhin zu hören, also hatte niemand gemerkt, dass sie aufgewacht war. Auch hatte sie noch ihre Kleidung an, etwas was sie noch mehr verwunderte.
Assasina bewegte ihren rechten Daumen ein wenig, um zu sehen ob man sie gelähmt hatte, doch er ließ sich ohne weiteres bewegen. Inzwischen kam ihr alles sehr merkwürdig vor, doch wahrscheinlich dachten die Dämonen oder Andeas – sie konnte diese Stimmen keiner bestimmten Rasse zuordnen – dass sie tot sei. Das hatte sie ja von sich selbst auch gedacht. Zumindest wunderte sie sich noch immer, dass sie lebte.
Langsam nahm das Bewusstsein in Assasina zu, sie spürte die Wunden brennen und konnte wenigstens die Stimmen einer ungefähren Entfernung zuordnen. Sie schätzte, dass es etwa zwanzig Feinde sein müssten. In ihrem Zustand war sie nicht in der Lage, sich zu erregen. Aber wenn sie jemand angriff, etwa der welcher ihr am nächsten war, so würde sie nicht kampflos untergehen.
Assasina rührte sich noch immer nicht. Die Feinde konnten also nicht wissen, dass sie bereits erwacht war und langsam analysierte sie die Stimmen, deren Entfernung zu ihr bis sie wusste, in welche Richtung sie zielen musste. Noch immer befand sich in ihrem Kopf ein ganzes Trommellager.
'Wenigstens einen töten!' dachte sie sich. Rasch griff sie nach dem Dolch, der an einem Riemen am Oberschenkel befestigt war, rollte sich nach rechts und stach zu. Sie verfehlte ihren vermuteten Gegner um ganze fünf Zentimeter!
Zum Glück! Denn jetzt wurde sie nicht von einem toten Dämon, sondern von einer geschockten Catyua angesehen, die eben dabei war, ihr Schwert zu polieren.
Die anderen reagierten blitzschnell, sprangen auf und umstellten Assasina, die ihren Dolch bereits fallen gelassen hatte, und richteten die Waffen auf sie. Misstrauen spiegelte sich in den Gesichtern wider.
Assasina hob beide Hände zum Zeichen, dass sie sich ergab und war reichlich verwirrt, als sie erkannte wer ihre Begleiter und offenbar auch Retter waren. Ihr Blick glitt von einem zu anderen und sie dachte bei sich:
'Na toll! Das war jetzt die perfekte Aktion, um ihr Vertrauen zurück zu gewinnen!'
In der Burg
Gespenstische Stille umgab ihn, obwohl man eigentlich von Stille nicht richtig sprechen konnte, denn Sternenlichts unbesohlte Hufe machten trotz aller Vorsicht genug Geräusch. Dass niemand sie hörte, verwunderte Cedrik besonders.
Er hielt an, als er an eine Gangkreuzung kam. Wohin hatten sich jene gewandt, die vor ihm waren? Er hatte die Auswahl zwischen einer steilen Treppe nach oben, einem engen Korridor seitlich und einer Treppe nach unten.
Kurz dachte Cedrik nach, dann nahm er seinen Stab aus dem Futteral und konzentrierte sich auf den Ambarin. Er fühlte die feinen Fäden der Magie des Steins sich mit seiner eigenen Magie zu vereinen und der Stein begann gespenstisch zu leuchten. Es war ein tiefes, sattes Blaugrün. Cedrik kippte den Stab in die Waagerechte und führte ihn langsam zu den drei Stellen, die kurz vorher vielleicht benutzt worden waren.
Es dauerte nicht lange, da wurde der Stein heller, als Cedrik in die Nähe des engen Korridors kam. Als Cedrik weiter glitt mit dem Stab, wurde das Licht wieder dunkler. Cedrik machte erneut die Spurenprobe und wieder erhellte sich der Stein.
Der Weiterweg stand fest. Cedrik löschte den magischen Schimmer mit einem leisen Fingerschnipsen und steckte den Stab zurück. Dann legte er Sternenlicht die Hand zwischen die Ohren und spürte, dass sich dieser wieder einmal weigern wollte. Nun ja, Cedrik konnte die Beweggründe seines magischen Freundes wohl verstehen. Doch er sprach ihm Mut zu, indem er Sternenlicht sanft mit einem Gedanken berührte. Schließlich beruhigte sich Sternenlicht und betrat den Durchgang.
Die Stille war nun beinahe vollkommen. Doch bald, nur wenige Augenblicke später klangen Stimmen auf. Abrupt blieb Sternenlicht stehen und schnaubte. Cedrik blieb nichts übrig, er stieg ab und führte Sternenlicht hinter sich den Korridor entlang. Am Ende saß er wieder auf.
Die Stimmen wurden lauter und schließlich weitete sich der Korridor zu einem hohen Saal. Und da waren auch wieder jene Wesen, die Cedrik vorher so wild und angriffslustig durch das Loch stürmen hat gesehen. Jenes, das wenig später eingestürzt war.
Mit einem Blick hatte er entdeckt, dass es Verletzte gab. Doch es sah momentan nicht so aus, als könnte er helfen oder die Verletzungen heilen, denn ihm streckten sich mehrere Waffen entgegen und Sternenlicht begann unruhig zu tänzeln, sodass Cedrik alle Hände voll zu tun hatte, sein Tier zu beruhigen.
Sollte man ihn die nächsten Minuten, bis er Sternenlicht beruhigt hatte, am Leben lassen, konnte er vielleicht erklären, wer er war und was er hier wollte. Vielleicht auch den Verletzten helfen.
Rutaara sah Assasina besorgt an. Sie wusste, dass es keine Absicht von ihr gewesen war, Assasina war einfach verwirrt. „Ganz ruhig, Leute! Habt ein wenig Verständnis und lasst sie zur Ruhe kommen!“
Plötzlich tauchte vor ihnen ein junger Mann auf, der auf einem pechschwarzen Pferd saß. Sofort zückten die Gefährten ihre Waffen und streckten sie ihm entgegen. Allerdings hatte dieser nicht die Absicht, anzugreifen und hielt sein Pferd an. Er saß ab und kam mit ausgebreiteten Armen auf die Gruppe zu.
„Wer bist du? Was willst du hier?“, fragte Rutaara ohne Umschweife.
Catyua ignorierte Rutaaras Worte. Assasina hatte ihr Vertrauen nun endgültig verspielt. Sie hielt ihr Schwert weiterhin auf diese gerichtet. Von dem Gespräch der Kampfgefährten mit dem Reiter bekam sie nicht viel mit. Sie blieb lieber aufmerksam in der Nähe der Elfe, der sie eben einen misstrauischen Blick zu warf. Assasina schien noch immer wackelig auf den Beinen zu sein und verlagerte ihr Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
„Denk nicht einmal daran, mich noch einmal anzugreifen!“, zischte Catyua ihr zu.
„Kann ich mich setzen?“, fragte Assasina als Antwort, denn es schien ihr besser, die scharfe Antwort die ihr auf der Zunge gelegen hatte, hinunter zu schlucken. Das Mädchen sagte nichts weiter, was Assasina als Bestätigung nahm und sich vorsichtig auf den Boden setzte.
Cedrik deutete mit seinen Händen an, dass er keinerlei Angriffsgedanken hatte. Er neigte leicht den Kopf und sagte:
„Nichts liegt mir ferner, als Euch Schaden zuzufügen. Haltet bitte ein, mich zu bedrohen. Mein Name ist Cedrik von Steinhaus und ich bin von meinem Meister hierher gesandt worden, um gegen den Entführer des Prinzen und seiner liebreizenden Gattin zu kämpfen, beide aus den Klauen dieses Monsters zu befreien und ihrem rechtmäßigem Stamme wieder zuzuführen. Ich sah Euren tapferen Angriff, doch leider auch das Einstürzen des Geheimganges. Ihr habt Verletzte unter Euch und ich beherrsche bescheidene Kenntnisse der Heilkunst. Gestattet Ihr, liebreizende Dame, dass ich helfe?“
Cedriks Blicke wanderten über die verschiedenen Waffen in den Händen der anderen. Als er den Wolf erblickte, hoben sich kurz seine Brauen. Dann neigte er leicht grüßend den Kopf, legte ihn anschließend in den Nacken und stieß ein leises Fiepen aus. Cedrik hoffte, dass er den richtigen Ton dieser Begrüßung getroffen hatte.
Rutaara, die den Blick abgewandt hatte um Catyua und die Elfe zu beobachten, fing bei diesen Worten laut zu lachen an.
„Entschuldige“, prustet sie. „Deine Wortwahl und deinem Namen zufolge bist du ein Adliger. Das so einer sich hierher traut, finde ich urkomisch!“
Sie sah seinen gekränkten Gesichtsausdruck und entschuldigte sich sofort wieder.
„Verzeih einer kämpfenden Elbin! Ich bin froh, dass du hier bist. Und anscheinend hat auch mein Partner nichts gegen dich!“
Lyrael, der die Begrüßung des Jungen erwidert hatte, legte sich nun wieder neben Assasina. Er fühlte Catyuas Misstrauen ihr gegenüber und wollte im Falle einer Eskalation die beiden Hitzköpfe vor einer Dummheit bewahren.
Cedriks Gesichtsausdruck normalisierte sich wieder. Er neigte leicht den Kopf, dann meinte er:
„Entschuldigung angenommen. Doch nun erlaubt, dass ich Eurer Verletzten helfe. Bevor wieder jemand kommt und diese vertraute Vielsamkeit stört!“
Cedrik fand die vor ihm stehende Elbin sehr nett. Rau ja, aber trotzdem nett. Und um die Situation hier etwas zu entspannen, konnte etwas Spott und Ironie nicht schaden.
Ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging Cedrik einen kleinen Schritt beiseite, ließ den Zügel Sternenlichts los und wusste, dieser würde dort stehen bleiben. Dann begab er sich, immer mit einem wachsamen Blick zu den anderen Kämpfern, zu der am Boden des Saales ruhenden Verletzten. Er kniete nieder und streckte seine Hand aus. Sofort unterbrach er seine Bewegung, als er merkte, dass die Verletzte dies als Angriff wertete.
„Ich werde Euch nichts tun! Ich möchte nur Eure Wunde heilen! Sie ist sicher schmerzhaft und störend. Ihr habt viel Blut verloren! Ihr werdet von der Heilung nichts spüren, ich bin ganz sacht dabei, dies verspreche ich Euch!“
Cedrik tat langsam der in der Schwebe gehaltene Arm weh, doch er wollte die Verletzte nicht erschrecken. Und mit ihrer Waffe auch keine nähere Bekanntschaft machen. Von dem Versprechen, das ihr Blick mit dem sie ihn ansah, einmal abgesehen. Cedrik war dem Tode noch nie so nah gekommen.
Catyua war weder bereit, dem Neuankömmling zu trauen, so wie Rutaara es scheinbar tat, noch ihre Bedenken gegen Assasina fallen zu lassen.
„Wenn Ihr den Einwand erlaubt, vielleicht wäre ein triftiger Beweis besser, um und von Euch zu überzeugen!“, meinte sie zu dem Mann, der wohl ein Zauberer zu sein schien. Und wenn er erst einmal Magie einsetzte, würde es schwer sein, gegen ihn zu kämpfen.
„Reicht Euch als Beweis nicht, dass ich mich Euch offenbart habe, ohne den Wunsch nach einem Kampf? Und in Eurer Lage ist es … unklug, sich einen potentiellen Verbündeten zum Feind zu machen!“ meinte Cedrik.
„Ich sehe wohl ein, dass Ihr recht habt“, meinte Catyua zerknirscht, „doch solltet Ihr versuchen, uns zu schaden so seid Euch sicher, dass ich nicht ruhen werde, ehe Ihr tot seid!“ Das Mädchen hatte zu ihrer alten Stärke und Kaltblütigkeit zurück gefunden, seit dem Angriff der Elfe. „Wollt Ihr sie heilen?“, fragte sie, als Cedrik wieder der Elfe zu wandte.
„Ich werde mein Bestes geben!“ versprach er. Catyua machte sich so ihre Gedanken, eine Assasina die wieder vollständig bei Kräften war und versuchte sie kalt zu machen, gefiel ihr ganz und gar nicht. Doch Rutaara bat den Magier fort zu fahren und versuchte Catyua Assasinas Problem zu erklären – zumindest das, was sie selbst davon wusste.
Cedrik war sich der Gefahr wohl bewusst, in derb er sich befand. Trotzdem streckte er erneut die Hand über die Verletzte. Langsam fuhr er dicht über ihren Körper mit seiner Hand darüber. Er hatte die Augen geschlossen, dass er sich besser konzentrieren konnte. Er spürte die dunkle Kraft, die in den Verletzungen pochte.
Cedrik nickte, dann wurde seine Konzentration tiefer. Ein kleines, blaues Licht erschien zwischen seinen Fingern und berührte den Teil der Verletzung. Er nahm nur am Rande wahr, dass die Verletzte zusammen zuckte, als sie die Hitze des Heillichts traf. Cedrik spürte wie der Schmerz, der ihn traf sich langsam verringerte und ahnte, dass sich nun die böse Wunde am Bauch der Frau langsam schloss. Gleich darauf glitt seine Hand zu den anderen, kleineren und weniger gefährlichen Wunden. Auch diese wurden durch das Heillicht geschlossen. Langsam zehrte die Magie, die Cedrik verwendete, an seinen Kräften.
Kaum war die Arbeit des Heilens getan, ließ er den Kopf sinken. Bedauernd dachte er kurz daran, dass er etwas essbares sich erst organisieren hätte sollen, ehe er seine Heilkraft eingesetzt hatte. Doch jetzt war es zu spät. Er konnte schon von Glück sagen, wenn er jetzt nicht sein Bewusstsein verlor.
Cedrik hockte sich auf seine Fersen und betrachtete durch den Schleier, der sich über seine Augen gelegt hatte, seine zitternden Hände. Durch den Energieentzug, den er momentan durchlebte, würde es etwas länger dauern, bis er wieder fit war. Nun konnte er nur hoffen, dass sie keinen Kampf zu bestehen hatten. Denn dann konnte es leicht sein, dass er neben seinem Gesicht und der Ehre vielleicht auch noch sein Leben verlor. Und als Toter würde er keine gute Figur machen. Noch weniger seiner Aufgabe gerecht werden.
Rutaara wusste zwar noch nicht, was genau sie von diesem Jungen halten sollte, doch sie ließ ihn gewähren. Während Cedrik die Elfe heilte, entdeckte sie einiges magisches Potential in ihm. Auch spürte sie, dass er einen Gegenstand bei sich trug, der eine leichte Spur Magie aussandte. Ebenfalls schien das Pferd kein normales Pferd zu sein. Rutaara wunderte sich, soviel Magie um ihn herum zu spüren.
Es dauerte einige Minuten, bis sich Cedrik soweit erholt hatte, dass er aufstehen konnte. Kurz wurde ihm übel, doch er riss sich zusammen. Er wollte schließlich nicht als Versager vor so vielen Augen dastehen. Cedrik deutete auf die nun Geheilte und meinte:
„Eure Freundin ist wieder besser. Noch nicht ganz im Vollbesitz ihrer Kräfte, aber …!“ Cedrik unterbrach sich. Er hatte gespürt, dass es noch jemand gab, der schmerzen litt. Doch es schien sich nicht um eines der anwesenden Wesen zu handeln. Aber wer konnte es dann sein?
Cedrik sah sich langsam nach Sternenlicht um und pfiff ihm leise. Sofort setzte sich sein Gefährte in Bewegung und kam zu ihm getrabt. Dann blieb er dicht vor Cedrik stehen, dass sich dieser wenigstens etwas an die Seite des Einhorns lehnen und so seine Schwäche etwas kaschieren konnte.
Assasina war zu müde um sich zu wehren, sie hätte dem Fremden sofort einen tödlichen Schlag verpasst, hätte sie die Kraft dazu gehabt. Jetzt, nachdem er seine Heilung beendet hatte, sprang sie auf und funkelte den Mann – er war noch nicht einmal ein Mann – mit tödlichem Blick an.
„Wenn du mich noch einmal berührst oder Magie an mir anwendest, dann bringe ich dich um! Und zwar langsam und qualvoll!“, zischte sie zwischen den Zähnen hervor. Was fiel diesem Knilch eigentlich ein, dass er einfach so an ihr herum fuchtelte? Assasina hatte die Nase voll.
Catyua und Agenor schauten sie noch immer mit Hass erfülltem und skeptischen Blick an. Was verständlich war.
Die Zwerge sahen aus, als würde sie das alles nicht interessieren, aber Assasina sah den aufmerksamen Glanz in deren Augen. Lyrael schaute abwechselnd wachsam Catyua und das Pferd an und Rutaara – Rutaara war die einzige, die ihr direkt in die Augen sah. Assasina sah Misstrauen, Unverständnis und Ratlosigkeit sich darin widerspiegeln.
„Wieso habt ihr mich mitgenommen?“, rief Assasina in die Runde und funkelte jeden zornig an. „Ich wollte euch töten ...“ bei diesen Worten schaute sie vor allem auf den rothaarigen Zwerg. „ Wieso habt ihr mich mitgenommen?“ Jetzt schrie sie und unbändige Wut kochte in ihr auf. Sie wusste selbst nicht warum. „Ihr hättet euch dadurch in Lebensgefahr begeben können! Ihr erschwert euch eure Reise indem ihr jemanden als Last mitschleppt, den ihr nicht kennt, von dem ihr gar nichts wisst, außer dass sie euch beinahe getötet hätte! Glaubt ihr etwa, ich habe es nicht getan, weil mich plötzlich Mitleid überkam?“
Assasina merkte, wie Rutaara sie musterte und sie drehte sich so, dass die Elbe die SOL I LAGOR nicht sehen konnte. Zwar befürchtete Assasina nicht, dass Rutaara wusste, was das war aber sicher war sicher! Vielleicht erkannte sie es ja doch – nur als Symbol, nicht als das was es tat, denn das konnte sie nicht wissen. Es sei denn, sie hätte in Ond-Ande gelebt und das hatte sie nicht. Das konnte Assasina an ihren Augen sehen. Jeder Andea hatte etwas in seinem Blick, oder besser gesagt hatte es nicht, was ihn als solchen auszeichnete.
Assasinas Herz raste wie wild und die Anwesenheit dieses Zauberers machte die Sache nur noch schlimmer. Sie wusste nicht, ob alles jetzt eskalieren würde, aber es war ihr gleich. In diesem Moment war ihr gerade alles egal, denn sie spürte zum ersten Mal in ihrem Leben Trauer. Sie war so traurig darüber, dass sie das Vertrauen von Leuten missbraucht hatte, die ihr das Leben retteten, ohne einen Grund. Und der Hass, den sie nun auf sie nieder rasen ließ, war eigentlich gegen sie selber gerichtet. Sie hasste sich dafür, dass sie diese Leute in Lebensgefahr gebracht hatte.
Rutaara musterte Assasina und ihr fiel die Tätowierung einer Sonne auf. Sie wusste, wie man dieses Symbol nannte – SOL I LAGOR – jedoch nicht, was es damit auf sich hatte.
Alle Anwesenden, bis auf die Zwerge, ihr Wolf und sie miteingeschlossen, waren erschrocken vor der Elfe zurück gewichen. Catyua und Agenor hatten ihre Waffen ergriffen und bevor noch einer verletzt wurde, ging Rutaara mit scharfer Stimme dazwischen.
„Ihr zwei! Waffen weg!“, zischte sie. „Und du, Assasina, solltest lieber froh sein, dass wir dich nicht zurück gelassen haben. Wer weiß, was sie mit dir gemacht hätten!“ Rutaara deutete auf Cedrik. „Und diesem jungen Mann verdankst du letztendlich dein Leben!“ Sie war wütend und traurig zugleich. Der Elfe hatte sie nicht zugetraut, in so einer Situation so unvernünftig zu sein.
Lyrael spürte ihre Wut, stellte sich vor Assasina und knurrte. „Er will, dass du dich hin setzt und zur Ruhe kommst! Und ich soll dich warnen – solltest du jemals wieder einen von uns angreifen, schwört er dir, dich zu töten!“, berichtete Rutaara der Elfe. Diese erstarrte und ließ sich sofort auf den Boden nieder. „So und nun sage mir: Was war das für ein Ding, das du vor deinem Zusammenbruch den Zwergen gegeben hast?“
Cedriks Herz raste noch immer, seit er von der Frau so angeschrien worden war, die ihm eigentlich danken sollte. Doch andererseits konnte er sie auch etwas verstehen. Sie hatte eine so unbändige Wut in sich, das konnte er auch ohne Magie sehen, dass er sich fragte, wer sie wohl so tief in ihrer Seele verletzt hatte. Ehe er jedoch etwas sagen konnte, knurrte der Wolf warnend. Und jene, die ihn vorher mit ihrem Misstrauen von seiner Ritterpflicht abhalten wollte, verteidigte ihn nun. Soweit Cedrik inzwischen gemerkt und jetzt durch eigene Anschauung erkannt hatte, wäre es eine schlagfertige Kämpfergruppe. Wäre da nicht dieses Misstrauen untereinander gewesen.
Er ahnte, dass sie erst den Krieg unter sich beenden mussten, ehe sie mit vereinten Kräften ihre Aufgabe erledigen konnten.
Cedrik hob die Brauen, als sein Blick zufällig auf den Fuß des wütenden Wesens fiel, das er eben geheilt hatte. Er sah die Tätowierung und innerhalb weniger Augenblicke konnte er sie einstufen.
Erschrocken trat er einen weiteren Schritt zurück, wusste nun, dass sie die Wahrheit gesprochen hatte, als sie ihm vorhin mit dem Tod bedroht hatte. Er hatte im Laufe seines Studiums schon von Leuten ihrer Art gehört. Und er wusste um den Zauber der Tätowierung.
Schon öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, entschied sich jedoch dagegen. Das war ihre Sache. Ihr Geheimnis. Da hatte er zu schweigen.
Inzwischen hatte sich Cedrik soweit erholt, dass er sich wieder auf eigenen Beinen halten konnte. Nun meinte er, ins allgemeine Chaos – das sich wieder etwas erhoben hatte, nach den wütenden Worten der Tätowierten:
„Was geschieht nun als nächstes? Sollten wir nicht langsam aufbrechen?“ Doch niemand schenkte ihm Gehör. Ob dies wohl an seiner Jugend lag? Oder daran, dass er ihnen nicht gesagt hatte, aus welchem Volk er kam? Aber dies wusste er doch selbst nicht. Er war – wie Sternenlicht – ein Verlorener.
Assasina machte einen Schmollmund und überlegte schon, einfach zu schweigen. Es war nicht ihre Art, sich nicht zu verteidigen – sei es physisch oder verbal, aber sie hatte einfach keine Lust mehr. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie keine Lust mehr irgend etwas zu tun.
Assasina legte ihren rechten Fuß unter ihren Oberschenkel wobei das SOL I LAGOR kurz sichtbar wurde. Mit ihrer kurzen Kleidung war es nicht schwer, es nicht zu sehen, aber Assasina fühlte sich unwohl dabei, es den anderen zu zeigen. Auch wenn sie wohl kaum etwas zu befürchten hatte. Sie würden eben denken, es wäre nur eine Zeichnung, ein einfaches Tatoo.
Doch plötzlich fing sie den Blick des Magiers auf, der erschrocken auf ihren Fuß sah und einen Schritt zurück wich. Nein! Das konnte nicht sein, so was war unmöglich! Oder doch? Was wusste sie denn schon von ihm? Auf jeden Fall würde sie ihn im Auge behalten, falls sie überhaupt bei der Gruppe bleiben sollte …
Assasina tippte mit ihren Fingernägeln auf den Boden, während sie immer noch überlegte, ob und wenn ja – was sie sagen sollte, damit ihr die anderen wieder vertrauten. Sie musste ihnen die Wahrheit sagen, oder zumindest einen Teil davon, doch das war riskant, denn es konnte ihre Lage verschlimmern. Langsam kam es ihr so vor, als hätte sie nur mehr zwei Möglichkeiten: hier getötet zu werden, oder den Rest ihres noch langen Lebens in Rachnauls Verlies zu verbringen. Beides verhieß keine positive Zukunft.
„Darf ich meine Flasche haben?“, fragte sie Rutaara und schaute diese trotzig an.
Rutaara ließ sie nicht aus den Augen und deutete dem Zwerg mit der Hand, Assasina die Flasche zu geben. Auch Assasina löste sich nicht aus ihrem Blick und nahm die Flasche entgegen, ohne hin zu sehen. „Danke!“, sagte sie giftig, dann wandte sie den Blick ab und schaute auf das Korbgeflecht in ihren Händen. Es fasste ungefähr einen Liter und war noch ungeöffnet.
Nachdem der Magier sie geheilt hatte, brauchte sie sie jedoch nicht um ihre Wunden zu desinfizieren, also öffnete sie die Flasche und trank einen großen Schluck davon. Misstrauisch von den anderen beobachtet. Was dachten die denn, was sie damit machte, oder was in der Flasche war?
„Ich wollte euch nicht angreifen, weder den Zwerg noch das Mädchen. Ihr wart einfach zur falschen Zeit am falschen Ort!“
Während sie das sagte, schaute sie nicht auf, sondern betrachtete sorgfältig ihre Blut verkrusteten Finger.
„Das verstehe ich nicht!“, meinte Catyua wütend. Die ganze Situation war schlimm. Sie sollten doch zusammenhalten und ihren Auftrag erledigen und sich nicht gegenseitig anfeinden. Es ging ihr furchtbar gegen den Strich.Das passt doch gar nicht zu ihr!
„Besser kann ich es dir nicht erklären!“, fauchte die Elfe zurück.
Kopfschüttelnd drehte sich das Mädchen um und verließ den Kreis. Sie brauchte jetzt Ruhe, sie musste nachdenken. Assasina hatte ihr Vertrauen vielleicht doch nicht ganz verloren, aber mit diesem Verhalten machte sie ihre Chancen das Verständnis aller zu erlangen, zunichte. Wenn sie ihnen doch nur die Wahrheit sagen würde! Aber die Albin hatte gemerkt, dass sie dies wohl nicht tun würde.
Zwischen halb geschlossenen Augen hervor beobachtete sie ihre Gruppe und versuchte zu erkennen, was die einzelnen Kämpfer wohl dachten und vorhatten. Sie sah die drei Zwerge in einem kleinen Grüppchen da stehen. Sie schienen zu beraten, den Magier der ein bisschen abseits stand und scheinbar versuchte, Gehör zu erlangen, was ihm jedoch misslang. Rutaara und Lyrael, die vor Assasina standen und sie scharf musterten, die Elfe selbst welche trotzig am Boden saß, fast wie ein beleidigtes Kind, das schmollte und natürlich der größte Teil dieser Gruppe, Agenor mit seinen Streitern. Einige standen einfach nur da, so als ob sie nicht wüssten, was sie hier taten oder tun sollten, andere saßen unbeteiligt am Boden, wieder andere führten Diskussionen miteinander oder mit den anderen. Das alles musste beinahe auf einen Streit hinauslaufen.
Eine einsame Träne lief über Catyuas Wange, als sie diesen Zwist und Zorn zwischen ihren Gefährten so vor Augen hatte.
„Hört auf!“, schrie sie mit gellender Stimme, „Hört sofort auf damit!“
Wer sie gehört hatte, blickte sie verwundert an, Belustigung, Spott oder Fragen in den Augen. Und jetzt? Was sollte sie sagen?
Cedrik hatte noch an seiner Entdeckung zu nagen. Doch dann kam ihm ein Gedanke. Ob er damit Erfolg hatte, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Aber es könnte eventuell die derzeitige Situation etwas entspannen. Dazu musste er allerdings mit der Tätowierten kurz allein sprechen. Doch dass sie ihm jetzt und hier zuhören würde, bezweifelte er – angesichts des scharfen Blickes, den sie ihm zuwarf, als er ihr Geheimnis erkannte.
Wie sollte er ihr klar machen, dass er ihr bloß helfen wollte. Denn er konnte ihr helfen. Vorausgesetzt … sie ließ dies zu. Doch dazu musste er mit ihr alleine sprechen, dass die anderen nichts von ihrem Geheimnis erfuhren.
Cedrik strich sich durch seine Locken. Es war zum verzweifeln! Diese Situation war wie eine Schlange, die sich selbst in den Schwanz biss.
Denn wollte er der Tätowierten helfen, ihr Geheimnis zu bewahren, müsste er alleine mit ihr sprechen. Dies würde aber eventuell gerade ihre Mordlust wecken, denn sie würde annehmen, er wolle sich für ihre Worte vorhin bei ihr rächen. Die anderen wieder würden annehmen, er wolle deren Kampfschwester erst heilen, jetzt angreifen oder noch schlimmeres und wenn es dumm herging, ihr Geheimnis erfahren.
Cedrik seufzte unbewusst. Wie sollte er ihr klarmachen, dass er ihr mit seiner Idee bloß helfen wollte?
Er zuckte zusammen, als ihn Sternenlicht leicht an stupste. Tief in sich fühlte er die Frage, mehr als er sie „hörte“. Er wandte sich um und legte seine Stirn an Sternenlichts Wange. So würde er schneller Kontakt bekommen. Cedrik versuchte nun dem Einhorn seine Gedanken von eben in klaren Bildern erkenntlich zu machen. Irgendwie muss es ihm gelungen sein, denn Sternenlicht wandte sich ab und trabte zu dem Wolf. Kurz starrten sich die beiden an, dann kam Sternenlicht zu Cedrik zurück.
Ob das Einhorn dem Wolf erklärt hatte, dass Cedrik Spiegelmagie beherrschte und dadurch diese Tätowierung, die für Eingeweihte mehr als erkennbar war, für normale Augen unsichtbar machen konnte? Obwohl sie ja weiterhin vorhanden war. Und dass Cedrik keine bösen Hintergedanken hatte, wohl aber alleine mit der Tätowierten sein musste, um deren Geheimnis bewahren zu können? Doch die nächsten Sekunden vermittelte sich nicht der Eindruck, dass Sternenlicht und der Wolf wirklich miteinander konferiert hatten.
Assasina schaute zu dem Mädchen auf und sie sah, wie traurig sie war, dass ihr so viele Worte auf der Zunge brannten, aber keines davon brachte sie laut hervor. Sie sah auch den Spott in den Augen der anderen und das brachte sie wieder in Rage.
Assasina war es nicht gewohnt, ihren Zorn in Zaum zu halten. Dafür gab es noch nie einen Grund – bis jetzt! Sie atmete tief durch – das hatte das Mädchen nicht verdient. Sie hatte es nicht verdient, dass man sich über sie lustig machte und sie hatte es nicht verdient, dass sie einen Streit mit ansehen musste, den sie – Assasina – verursacht hatte.
„Sie hat recht!“, sagte Assasina in die Stille hinein. Die belustigten Augen schauten nun sie an, wurden aber zum Großteil aber ernst als sie den unterdrückten Zorn aus Assasinas Augen sprühen sahen. „Wir kennen uns noch nicht lange“, fuhr Assasina fort, „... und wissen so gut wie nichts voneinander. Ich weiß, es ist schwer und wahrscheinlich auch grotesk, dieses gerade jetzt aus meinem Mund zu hören, aber ich denke, wir müssen einander jetzt einfach blind vertrauen. Wenn wir den Prinzen haben und er sicher in Rachnaul ist, kann jeder seiner Wege gehen und machen, was er oder sie möchte! Bis dahin …! Ich habe euer Vertrauen missbraucht, zweimal sogar. Einmal um euer und einmal um mein Leben zu retten. Wobei ich einsehe, dass ihr wahrscheinlich ohne mich besser dran gewesen wärt. Vielleicht sage ich euch noch mehr, aber erst zu gegebener Zeit. Wir sollten von hier verschwinden und zwar rasch! Könnt ihr mir noch ein letztes Mal vertrauen? Wenn ihr das tut und wir sicher aus dem Schloss heraus kommen, verspreche ich euch, alles zu erzählen. Ich hoffe dabei auch mehr über euch zu erfahren.“
Die plötzliche Stille war gespenstisch und Assasinas Blick traurig. Alle Wut war plötzlich wie weggespült. Sie empfand nur noch tiefe Trauer und Müdigkeit.
Rutaara beobachtete genau, was sich zwischen dem Jungen, seinem Pferd und Lyrael abspielte. Sie versuchte ihren Freund zu erreichen, stieß dabei jedoch auf eine Barriere. Erschrocken zuckte sie zusammen, als sie gegen die Gedankensperre stieß. Noch nie war so etwas zwischen ihr und ihrem Seelengefährten passiert.
Gekränkt und verärgert darüber, dass Cedrik soviel Macht über Lyrael hatte, verschloss sie ihr Herz und ihre Seele. Dann hüllte sie sich in Schweigen und ließ die anderen machen. Ihr war es gerade ziemlich egal, was nun passierte.
Catyua warf Assasina einen Blick zu, der Verwunderung und Dankbarkeit zugleich zeigte. Ihr Misstrauen begann zu schwinden, den sie hatten alle keine andere Möglichkeit, als einander zu vertrauen – genau genommen. Blind würde sie dabei jedoch möglichst nicht sein!
Das Mädchen konnte sich nicht vorstellen, warum die Elfe jetzt auf ihrer Seite sein sollte oder ob man ihr wirklich und wahrhaftig vertrauen konnte, aber das war jetzt auch eher nebensächlich. Sie musste die Gelegenheit, dass ihr alle zuhörten nutzen, um sich endlich Klarheit zu verschaffen. Keiner wusste etwas vom anderen, das einzige das sie zusammen verband, war der Schwur. Niemand würde falsch schwören, wenn sich alle bereit erklärten, dann hätten sie ein Problem weniger! Nur war auch dies ein Problem, denn sie konnte nicht sagen, wer ihrem Vorschlag zustimmen würde und wer …!
„Wir müssen einander vertrauen“, begann sie. „Assasina hat Fehler gemacht, aber ich bin bereit ihr diese zu vergeben. Und ich hoffe, dass ihr das auch seid. Sonst kommen wir nicht weiter. Wir sind uneinig und werden uns bald innerhalb dieser Gruppe bekämpfen wenn es so weiter geht. Doch der Feind kommt von außen!“ Das hatte Catyua bemerkt, als sie hilfesuchend zu Rutaara geblickt hatte, die reglos da stand und blicklos in die Runde starrte. Dabei hatten kurz Hass und Verzweiflung in ihren Augen geschimmert. „Wir brauchen etwas, worauf wir uns verlassen können. Etwas, das uns vereint, uns bindet. Etwas, das unser Vertrauen gewährleistet. Wir brauchen einen Schwur!“
Ihr war klar gewesen, dass es Gründe dagegen geben würde, doch auf diese Flut von Lärm und Stimmen war sie nicht vorbereitet gewesen.
„Ich habe niemanden etwas geschworen, außer mir selbst!“, erboste sich Rutaara. „Und schon gar nicht so einer Gruppe, wie sie hier vor mir steht!“ Sie konnte im Moment keinen klaren Gedanken fassen, wollte sie auch nicht. Rutaara brauchte nur ein Ventil für ihre Wut und da kam ihr Catyuas Vorschlag gerade recht. „Meiner Meinung nach haben wir schon genug Zeit verschwendet. Ich gehe jetzt und suche mit Lyrael den Königssohn und dessen Gemahlin. Allein bin ich schneller und sobald ich etwas entdecke, schicke ich Lyrael zu euch. Er wird euch finden und dann zu mir bringen!“
Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, war sie weg. Rutaara hatte einen Tarnschild gewoben, der sie vor den Augen der anderen verbarg, denn sie wusste die Gruppe war mit Sicherheit dagegen.
Ich brauche mal wieder etwas Zeit für mich, dachte sie. Langsam wird das alles zu einem Alptraum. Ich mag es nicht, wenn so viele Leute um mich herum sind!
Ohne einen Blick zurück rannte sie los. Lyrael folgte ihr, das wusste Rutaara, auch wenn sie nicht darauf achtete. Aus der Nische, in der sie Rast gemacht hatten, gelangte sie in einen langen, an den Seitenwänden mit Fackeln bestückten Gang. Rutaara blieb stehen, schloss die Augen und brachte die Fackeln zum erlöschen. Dafür musste sie nur etwas von ihrem Elbenfeuer in die Flamme der Fackeln senden. Es wurde stockdunkel, denn selbst der schneeweiße Lyrael war für normale Augen nicht mehr zu sehen.
„So weit, so gut“, murmelte sie vor sich hin. „Welchen Weg sollte ich jetzt folgen?“
Lyrael, der neben ihr stand, stupste sie mit der Schnauze an.
„Was?“, knurrte sie ihn an, immer noch sauer über den vorigen Vorfall. Lyrael winselte.
Liebste – erreichten sie seine Gedanken. Rutaara blickte verdutzt zu ihm. 'Liebste' – so hatte er sie schon lange nicht mehr genannt. Bitte hör mir zu! Es war nicht meine Absicht, meine Gedanken vor dir zu verbergen. Dieses Pferd, wenn man es Pferd nennen kann, hat irgendwas mit mir gemacht.
„Lassen wir es darauf beruhen. Ich brauche jetzt deine Hilfe. Welchen Weg?“, fragte sie ihn.
Lyrael sah nach links und rechts, schien kurz etwas ratlos – bis sie seine Gedanken empfing.
Nach links. Aus dieser Richtung kann ich eindeutig Magie spüren, wobei diese auch aus der anderen Richtung kommt. Nur nicht so stark.
„Also gut, dann los!“, sagte Rutaara und ging in die angegebene Richtung.
Cedrik schwieg. Er war, soweit er erkennen konnte, der Jüngste hier. Er war weder der geborene Anführer noch jemand, der die Aufmerksamkeit an sich riss. Er war eigentlich nur von zwei Wünschen beseelt, wobei der erste davon der Ausschlaggebendere war. Er wollte endlich erfahren wer seine Eltern waren. Dies würde sein Lohn sein, wenn er mithalf das Prinzenpaar wieder zurück zu bringen. Und der zweite Beweggrund, dieser war eigentlich jener von Meister Fulkhurx, dass er die Entbannung des Meisters erbeten sollte, denn dieser war gewillt sein Unrecht einzusehen. Wobei Cedrik nicht nachgefragt hatte,was sein Adoptivvater gemeint haben könnte damit.
Cedriks Ausbildung war noch lange nicht abgeschlossen. Das hatte er vorhin gemerkt, als er vergaß seine Energiekraft besser einzuteilen. Darum war ihm auch jetzt noch übel. Aber da auch weibliche Kämpfer anwesend waren, wollte Cedrik nicht ihren Spott auf sich ziehen. Vor allem den nicht der Wolfsschwester. Er sah sich um und seine Augen wurden groß. Denn beide waren verschwunden.
'Und was nun?' fragte sich Cedrik.
Assasina, die immer noch am Boden saß, schaute mit großen Augen und offenem Mund auf die Stelle, an der Rutaara und Lyrael verschwunden waren. Das konnte jetzt aber nicht deren Ernst sein! Sie waren einfach – so – verschwunden.
Assasina sprang auf und lief ein paar Schritte in die Richtung, in die beide gegangen sein könnten.
„Ihr elenden Feiglinge!“, schrie sie wütend. „Du verdammte und dreckige Hexe von einer Elbin! Ich habe immer gedacht, dein ach so tolles Volk wäre so mutig. Aber du bist der Beweis, dass es nicht so ist. Du verfluchte Tochter eines Nicrauls!“ Assasina ahnte, dass Rutaara sie nicht mehr hören konnte, doch manchmal verfiel sie noch in ihre alten Gewohnheiten. Fluchen war für sie eine harmlose Art des Dampf-ablassen, da hierbei niemand Gefahr lief, verletzt zu werden. Schwer atmend stand sie da, als sie plötzlich ein Räuspern hinter sich hörte. Der junge Magier schaute sie an und war gerade dabei etwas zu sagen, aber sie war mit einem Sprung bei ihm, drehte ihn herum und hielt mit einer Hand seine Handgelenke am Rücken fest, mit der anderen hielt sie ihm den Mund zu, damit er nicht zaubern konnte.
„Schweig!“, zischte sie nah an seinem Ohr. „Du hast schon genug angerichtet!“
Cedrik schrak zusammen, als er in diese flammenden Augen sah. Ihm war in diesem Moment egal, ob die Tätowierte nun seine Knochen brach oder ihre Hand seine Zähne ausbrach. Sein Herzschlag beschleunigte sich. Wie sollte er ihr verständlich machen, was er vorhatte? Der Wolf hatte scheinbar Sternenlichts Sprache nicht verstanden. Und in Kopfsprache war er noch nie gut gewesen. Vielleicht konnte er seine Spiegelmagie einsetzen, um ihr wenigstens in einer Art Tagtraum zu zeigen, was er wollte.
Cedrik schloss seine Augen und hielt ganz still. Langsam stimmte er sich auf den anderen Geist ein, kurz zuckte er vor diesem rasenden Wut-Hass-Gemisch zurück, doch dann versuchte er mit sanfter Hand die Wogen im Gemüt der Tätowierten zu glätten. Er stellte sich ein wild bewegtes Wasser vor, das sich langsam aber sicher beruhigte. Dann ließ er das gedankliche Wasser glatt werden und erst dann sandte er die Vorstellung, wie er das Zeichen an ihrem Fuß unsichtbar machte. Mit Hilfe des Ambarins musste es klappen. Es würde immer noch an seinem Platz sein, wo es immer war, jedoch für andere nicht mehr sichtbar. Es lag bloß ein Spiegelzauber darüber. Eine leichte Übung.
Cedrik spürte den erneuten Energieabzug. Ob es daran lag, dass er noch immer bedrängt wurde, oder ob es daran lag, weil sie endlich verstand – konnte Cedrik nicht sagen. Er hoffte nur, dass seine Gedanken diese aufgewühlten Gedanken der Tätowierten erreicht hatten. Sonst würde er mit Sicherheit die nächsten zwei Minuten nicht mehr erleben.
Alleingänge
Sie hörte die Worte Assasinas noch, blieb stehen und war schon im Begriff, zurück zu kehren und dieser verdammten Elfe die Kehle durch zu schneiden, als sie sich vor Schmerzen krümmte.
Rutaa was ist? Was hast du? Lyrael jaulte leise auf, als er ihre Gedanken spürte. Er empfing deutlich die Schmerzen, die in ihrem Kopf wüteten. Dann jedoch – so plötzlich, wie sie begonnen hatten – hörten sie auf und Rutaara kam wieder zu Atem.
„Bei den Ahnen, was war das denn?“, stieß sie keuchend hervor. Irgendjemand hatte ihr diese Schmerzen geschickt, doch wer könnte das gewesen sein? Waren die anderen in Gefahr oder verletzt, sodass sie deren Schmerzen empfangen konnte?
Rutaara murmelte einen Zauber, der ihre Gedanken beruhigte. Darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern. Es war ihr Auftrag, den Königssohn samt Gemahlin zu retten und zum König zu bringen … egal, ob sie allein oder mit den anderen.
Lyrael hatte sie besorgt beobachtet und nun, da ihre Schmerzen vergingen, lief er ein paar Schritte in die von ihm vorher angedeutete Richtung.
Können wir weiter?, fragte er sie und blickte Rutaara über die Schulter an. Sie nickte kurz, trat an seine Seite und strich ihm liebevoll über den Rücken.
„Ja, gehen wir!“
Assasina packte Cedrik noch fester und stupste ihn in Richtung Ausgang. Zu ihrer Verwunderung wehrte er sich nicht und ging freiwillig vor ihr her.
„Wehe einer folgt uns!“, rief Assasina en anderen zu. „Keine Sorge, ich bringe ihn euch schon wieder lebend zurück!“ Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus, aber sie meinte es ernst.
Vor einer Nische angekommen, stieß sie ihn hinein, mit den Rücken an die Wand und drückte nun die Hand an seine Kehle.
„Okay! Also, wer bist du?“, presste sie leise zwischen den Zähnen hervor. „Was willst du hier? Und vor allem: woher kommst du?“
Cedrik stand an die Wand genagelt da, mit dieser kräftigen Hand an seiner Kehle. Was dachte sich die Tätowierte, wie er ihr Rede und Antwort stehen sollte, wenn sie ihm die Gurgel abdrückte?
Aus dem Augenwinkel sah er, dass Sternenlicht ihnen gefolgt war. Zu einem ablehnenden Gedanken für ihn war Cedrik gerade noch fähig. Doch wenn sie ihm weiterhin seine Luft abschnürte, würde sie nie Antworten bekommen.
Graue Schleier begannen seinen Blick zu trüben. Cedrik schloss mit dem Leben ab. Auch wenn die Tätowierte, deren Namen er noch immer nicht wusste, vorhin als sie ihn so grob gepackt hatte, etwas anderes gesagt hatte. Bedauernd dachte er daran, dass er nun nie mehr erfahren würde, wer seine Eltern gewesen waren.
Cedrik dachte kurz daran, sich zu wehren doch dann hätte er sie verletzen können. Und das war ein schlechtes Beispiel für Hilfe.
In seinen Ohren begann es zu rauschen und schließlich gab er auf. Cedriks Kopf sank nach vorne und er sandte einen kurzen Gedanken des Bedauerns zu Sternenlicht.
Assasina nahm die Hand von seiner Kehle und hielt den bewusstlosen Körper des Jungen an die Felswand gedrückt, damit er nicht nach vorne kippte. Nun nahm sie eine genauere Musterung vor. Er war hübsch. Vielleicht nicht gerade etwas besonderes, aber er sah nicht schlecht aus. Assasina drehte sich nach links. Sie hatte bemerkt, dass das Pferd ihnen gefolgt war und das Pferd musste etwas besonderes sein, denn offenbar stand es in Kontakt mit dem Jungen. Aber es schien zu wissen, dass er nicht tot war.
Assasina schaute Cedrik wieder an. Sie erkannte ihn nicht, also hatte sie ihn auch noch nie gesehen, denn sie merkte sich jedes Gesicht, das sie einmal gesehen hatte. Sie beugte sich nun vor und biss dem Jungen ins Ohr.
Keuchend erwachte er wieder aus seiner Ohnmacht und schaute sich verwirrt um.
„Du schuldest mir noch einige Antworten!“, zischte sie ihm giftig ins Ohr. Sie musste wissen, wer oder was er war.
Cedriks Ohr pulsierte heftig, als wäre er gebissen worden. Er schluckte, als ihm die Tätowierte so nahe kam.
„Wolltest du mir ein Ohrgeschmeide beißen?“, fragte er sie und sein Blick traf sich mit dem ihren. Dieser Blick fuhr Cedrik wie Feuer durch die Adern. Ärgerlich spürte er, wie er wie ein Mädchen errötete. Vor allem, als er daran dachte, dass er sie eben geduzt hatte.
Ihre Nähe ließ ihn sichtbar seine Erziehung vergessen. Er war doch kein Mädchen, auch wenn ihm dieses sinnverwirrende Wesen so knapp an den Körper kam. Dann jedoch kamen ihm wieder ihre Fragen zu Bewusstsein.
„Mein Name ist Cedrik von Steinhaus. Magieanwärter zweiter Klasse bei Zauberer und Magiemeister Fulkhurx. Derzeit ist dieser in Verbannung. Und ich habe den Auftrag bekommen …!“
Cedriks Stimme versagte. Sie war ihm die letzten Worte noch etwas näher gekommen. Was hatte dieses Wesen vor? Wollte sie ihn sich gefügig machen? Wenn sie so weiter machte, konnte er für nichts garantieren. Cedrik räusperte sich und begann noch einmal:
„Ich habe den Auftrag … den Prinzen und seine … Gattin zu retten und dabei würde ich …!“ Cedrik leckte sich bereits äußerst verlegen über die Lippen. „ … würde ich auch Euch gerne als Hilfe dienen. Ich würde dann nämlich erfahren, wer meine Eltern sind!“ Abermals schluckte Cedrik. Wenn er gekonnt hätte, wäre er in die Mauer in seinem Rücken verschwunden.
Sie gingen immer weiter durch den Gang. Obwohl es stockdunkel war, konnte Rutaara alles deutlich erkennen. Alles war zertrümmert worden. Rüstungen, die an den Wänden gestanden hatten, lagen überall herum und die Wandbehänge waren entweder verbrannt oder zerschnitten.
Assasina lächelte. Manchmal war es wirklich einfacher, wenn man seine Wut unter Kontrolle halten konnte und sie musste sagen, dass ihre Wut inzwischen verraucht war. Sie machte einen Schritt zurück, immer noch lächelnd, aber ihr Hirn arbeitete auf Hochtouren.
„Dein Meister lebt also in Verbannung? Und du hast bei ihm gelebt?“ Es waren keine Fragen in dem Sinn. Ihr Lächeln verschwand und sie schaute den Jungen ernst, aber nicht böse an. „Was weißt du schon über die Schwesternschaft der SOL I LAGOR?“
„Es wäre jetzt für mich einfach zu sagen, ich habe keine Ahnung wovon Ihr sprecht. Doch ich werde Euch nicht belügen. Ich weiß zwar jetzt nicht viel mit dieser Bezeichnung anzufangen, doch mein Meister, der auch mein Ziehvater ist, hat mir einst dieses Zeichen gezeigt und mich davor gewarnt. Er meinte dieses Zeichen oder dessen Wirkung würde einen normalen Menschen zum rasenden Berserker mutieren lassen. Es fasst in die Tiefe des Menschen, wo seine Kraft sitzt und lässt sich von nichts und niemand abhalten. Keinerlei Schmerz, Kummer oder gute Worte können diesen Rasenden stoppen. Meister Fulkhurx lehrte mich, dank meiner Gabe, dies Zeichen mittels Spiegelmagie verstecken zu können. Er sagte mir, ich würde dies vielleicht eines Tages gut brauchen können. Und vorhin sah ich, dass Ihr beinahe von den anderen …!“ Cedrik unterbrach sich. Er runzelte kurz die Stirn, dann senkte er den Blick. Er war diesem flammenden Blick hilflos ausgeliefert. Obwohl nun auch Freundlichkeit darin glitzerte. Dass er sich einmal hilflos in Gegenwart eines solchen Wesens fühlen würde, hatte ihm sein Ziehvater nicht gesagt. Er konnte nur hoffen, dass sie sein Gefühlsdurcheinander nicht merkte. Durch sein intensives Studium hatte er noch nicht so viel Gelegenheit gehabt, in so unmittelbarer Nähe einer Frau zu kommen. Was ihn am meisten verwirrte war aber, dass sie ihn gleichzeitig ängstigte und auch erregte.
Assasina lächelte wieder. Einerseits aus Erleichterung, andererseits aus Belustigung. Sie war erleichtert, dass er nicht so viel und so genaues über SOL I LAGOR wusste, wie sie befürchtet hatte. Und sie hatte erkannt, dass er in allem die Wahrheit gesagt hatte. Belustigt allerdings war sie über die Röte, die sein Gesicht bedeckt hatte und die Hitze, die sein Körper plötzlich ausstrahlte. Trotzdem würde sie ihn scharf im Auge behalten – schließlich war sein Meister ein Verbannter und kein Verbannter verbündete sich einfach so mit dem König. Sie musste auch noch herausfinden, wie Cedrik samt Pferd nach Ascurak gekommen war.
„Danke“, sagte sie. Ihre Stimme war jetzt völlig ruhig und freundlich. „Aber ich brauche deine Spiegelmagie nicht. Ja, ich wollte das Zeichen vor den anderen verbergen. Aber nur, um etwaigen Fragen aus dem Weg zu gehen. Dass das Zeichen sichtbar ist, hat auch einen bestimmten Grund, den du bereits erfahren hast. Es dient zur Abschreckung!“ Sie zwinkerte ihm zu. „Aber trotzdem nochmals danke für dein Angebot.“
Assasina ließ ihn nun los und wandte sich zum Gehen, drehte sich aber vorher noch einmal kurz zu ihm um.
„An eines solltest du noch denken, Magier! Ich bin fast 200 Jahre älter als du!“ Sie lächelte noch einmal auf und ging dann zu den anderen zurück, einen verwirrten Jungen hinter sich lassend.
Cedrik sah ihr nach. Er hatte die Abfuhr genau verstanden und schämte sich, wenn er an seine Gefühlswallung dachte. Sternenlicht kam langsam näher und stupste ihn sanft an. Cedrik wandte sich zu seinem Einhorn und lehnte seine Stirn an dessen Hals.
„Ach Sternenlicht, mein Freund! Ich denke, jetzt werde ich nicht nur mein Gesicht verloren haben, sondern auch noch den Verstand. Hast du gesehen, welche Augen sie hat? Erst brachte sie mich fast um und vorhin dachte ich, dass sie mich beinahe …!“
Cedrik verschloss erschrocken seinen Mund und sah sich nach eventuellen Lauschern um. Doch es war niemand zu sehen, obwohl er das irritierende Gefühl hatte, als würde etwas oder jemand in seiner Nähe atmen. Aber Cedrik konnte sich auch täuschen.
Er stellte sich etwas aufrechter hin und legte seine linke Hand auf die Kruppe seines Freundes.
„Lass uns wieder zu den anderen gehen!“, sagte er und gleich darauf ging er wieder in den Saal zurück. Das Einhorn folgte ihm wie ein Schatten.
Rutaara schlich durch den nie enden wollenden Gang. Irgendwo musste doch ein Anzeichen für den Verbleib des Königssohns und seiner Frau geben! Plötzlich jedoch stand sie vor einer Wand. In Gedanken versunken hatte Rutaara nicht bemerkt, dass der Gang nach links abbog und in einem großen, hohen Raum endete.
In diesem Raum stand außer einem alten, verfallenen Thron nur noch ein Tisch, auf dessen Platte sich eine silberne Schale mit klarem Wasser befand. Rutaara begab sich mit äußerster Vorsicht in den Raum, denn ihr fielen mehrere Türen auf, aus denen jederzeit jemand kommen konnte. Da aber alles ruhig blieb, ging sie zu dem Tisch und blickte in die Schale.
Erschrocken keuchte sie auf. Das Wasser in der Schale verfärbte sich plötzlich blutrot, ehe es sich wieder klärte und ihr Ereignisse zeigte. Ereignisse, die sie zutiefst entsetzten, obwohl sie sie schon kannte. Rutaara war schließlich selber dabei gewesen.
Die Schale zeigte ihr den Kampf, den sie vor Jahrhunderten schon einmal gegen Votan hatte. An ihrer Seite ihr Verlobter Lyrael, damals noch in seiner elbischen Gestalt. Sie sah noch einmal, wie Votans Zauber ihn traf und erlebte erneut den grauenhaften Anblick der Verwandlung des Elben Lyrael in den Wolf Lyrael.
Wie kam diese Schale hier hin? Zeigte sie nur dieses Ereignis oder auch noch andere? Und wenn sie nur dieses – ihre Geschichte – zeigte, was tat sie dann damit? Niemand der anderen wusste, dass Lyrael früher ein Elbe war. Und ihrer Meinung nach sollte dies auch so bleiben. Doch sie hatte keine Zeit, die Schale zu zerstören. Also nahm Rutaara die Spiegelschale und versteckte sie in einem Loch unter dem Thron. Es würde bestimmt keiner danach suchen, ihre Gefährten wussten ja nichts davon.
Die Ereignisse überforderten Catyua allmählich. Das alles hier war falsch! Sie sollte zusammen mit Rutaara die Burganlage nach dem jungen Königspaar absuchen. Ihr Vorschlag, einen Schwur zu leisten, war ziemlich einstimmig abgelehnt worden und sie hatte immer noch das Problem, von niemandem ernst genommen zu werden.
Cedrik war mit hoch rotem Kopf von seinem – eher unfreiwilligen – Gespräch zurückgekehrt. Sie hatte gehofft, ihn ein wenig näher kennen zu lernen, denn er war augenscheinlich nicht älter als sie selbst, doch er hatte jede Konversation abgeblockt. Jetzt stand er neben seinem Pferd, mit der Stirn an dessen Flanke gelehnt.
Ohne Rutaaras auf sie beruhigend wirkende Art fühlte sich Catyua hilflos und klein. Assasina hatte seit ihrer und Cedriks kurzen Abwesenheit ein kleines Lächeln im Gesicht und von Agenor war seit langem nichts mehr zu ihren kaum entwickelten Plänen hören gewesen. Rutaara war auch alleine auf und davon, natürlich mit Lyrael an ihrer Seite. Und hier saßen alle nur untätig herum. Das widersprach dem ganzen Wesen der Albin. Sie war nicht der Typ, der herumsaß und nachdachte, wenn sie etwas zu tun hatte. Sie wollte laufen, hier heraus, am besten kämpfen. Ihre angestaute Wut, die ihr erst jetzt bewusst wurde, heraus lassen!
Catyua sprang auf und eine Welle Adrenalin fuhr durch ihren Körper. Ein Feuer entflammte in ihren Augen, das von keinem bemerkt wurde, da keiner auf sie achtete. Mit wenigen Schritten war sie am Ausgang der Halle, den Tunnel entlang und stand kurz darauf in einem Säulengang.
Assasina, die sich an die Wand gelehnt hatte, kratzte sich mit einem Dolch wieder einmal die Fingernägel aus, während sie mit ihrer Ferse in einem gleich bleibenden Rhythmus gegen den Stein schlug. Rutaara war weg. Sie zu suchen, wäre sinnlos, solange ihr Wolf dabei war, der sie wittern und Rutaara warnen konnte.
Den Prinzen zu suchen, wäre Wahnsinn, denn sie waren alle erschöpft. Hier zu bleiben war so viel wie das Todesurteil zu unterschreiben. Und aus dem Schloss hinaus, kam auch nicht in Frage weil dann es kein „hineingab“ mehr. Assasina hob den Blick um sich mit den anderen zu beraten, aber irgendetwas störte sie an dem Bild, das sich ihr bot. Die drei Zwerge saßen am Boden und spielten ein Spiel mit Steinen. Agenors Männer unterhielten sich, Cedrik stand an sein Pferd gelehnt und warf ihr immer wieder verstohlene Blicke zu. Und Catyua … wo war Catyua?
„Catyua?“, rief Assasina und stieß sich von der Wand ab. Die anderen sahen auf und zu ihr, dann blickten auch sie sich im Raum um.
„Catyua!“, rief nun auch Agenor.
Assasina rannte zum Ausgang und spähte in die Dunkelheit. In der Ferne hörte sie leise, laufende Schritte. Ein Knurren drang aus Assasinas Kehle. Somit war ihr Dilemma, was sie tun sollte, gelöst. Sie drehte sich zu den anderen um.
„Entweder ihr folgt mir und wir sterben alle gemeinsam im Kampf oder ihr bleibt hier und werdet im Schlaf getötet. Mir ist das gleich, wofür ihr euch entscheidet!“ Mit diesen Worten wandte sie sich um und lief los. Den Gang entlang.
Rutaara studierte den Thronsaal genauestens. Genau sechs Türen zählte sie, die aus ihm hinaus führten. Welche sollte sie nun wählen? Sie war jetzt eine Stunde unterwegs und hatte immer noch nichts vorzuweisen. Es machte sie fast wahnsinnig. Lyrael merkte, dass sie langsam wütend wurde. Er lief zu jeder Tür, blieb einige Sekunden davor stehen, bis er wieder zur zweiten Türe rechts lief und zu ihr schaute.
„Geht es da entlang, Liebster?“, fragte sie unnötigerweise. Er antwortete mit einem Laut, der wie ein Lachen klang. Also gut, dachte Rutaara. Dann mal weiter!
Rutaara ging langsam auf die Tür zu, öffnete sie und schloss sie gleich darauf wieder. Hinter der Türe waren Wachen postiert, die einen weiteren Gang bewachten. Sie redeten angeregt miteinander und Rutaaras Ohren schnappten Gesprächsfetzen auf.
„ … das junge Mädchen … gefangen genommen … Votan verhört sie …!“
Das reichte. Sie riss erneut die Türe auf und ging nun mit dem Dolch der ersten Wache direkt an die Kehle.
„Wo ist sie? Das Mädchen?“ Als keine Antwort kam, machte Rutaara eine leichte Seitwärtsbewegung mit der Hand und warmes Blut strömte ihr über den Arm. Die zweite Wache stand mit Entsetzen in den Augen da und wollte gerade den Mund aufmachen, wohl um Hilfe herbei zu schreien, doch es war zu spät. Mit einem gezielten Wurf hatte sie ihm den Dolch ins Herz geschickt.
Verdammt, dachte sie, als sie die Leichen betrachtete. Jetzt muss ich auch noch Catyua suchen! Und das ohne einen Anhaltspunkt!
Cedrik schrak auf, als plötzlich ein Name gerufen wurde. Er hatte sich soweit beruhigt, dass sein Herz bereits den normalen Rhythmus gefunden hatte. Jetzt aber wurde es wieder unruhig. Was war geschehen?
Er kam nicht mehr dazu, diese Frage laut zu stellen, denn plötzlich lief die Tätowierte wie von einer Horde Wildbienen verfolgt aus dem Saal und rief noch einige Worte, die Cedrik aber nicht ganz verstehen konnte, da auch die anderen Lärm machten.
Nur so viel konnte er sich denken, dass jemand aus der Gruppe verschwunden war und alle hinter ihr her sollten. Wussten sie wohin sie verschwunden war? Cedrik könnte es leicht heraus finden, wenn der Ambarin den Weg zeigt.
Doch gleich darauf fühlte er wieder die Finger der Tätowierten an seiner Gurgel und hörte die warnenden Worte, die ihm die Tätowierte ins Ohr gezischt hatte. Das gleiche Ohr, wohin sie ihn gebissen hatte. Ein Schauer lief über Cedriks Rücken. Nicht kalt oder furchtsam. Sondern in einer Art, die ihm den Mund trocken und die Finger feucht werden ließ. Was hatte das Wesen nur an sich, dass sie Cedrik so verwirren konnte?
Cedrik sah sich nun suchend um, doch schon war er allein. Eben stürzte der letzte der Zwerge aus dem Saal, warf ihm noch einen Blick zu und … Cedrik fand sich allein wieder.
„Und was jetzt?“, fragte er Sternenlicht. Doch sein Einhorn schüttelte nur die Mähne und sah ihn mit feucht schimmernden Augen an. Kurz schnaubte es, dann setzte es sich langsam ebenfalls Richtung Ausgang in Bewegung.
Die anderen folgten Assasina. Sie wusste nicht, ob alle ihr folgten, aber den Schritten nach zu urteilen musste es der Großteil sein. Schlitternd blieb sie am Ende des Tunnels stehen und spitzte die Ohren.
„Mist!“, rief sie, da sie die Schritte des Mädchens nicht mehr vernahm. Assasina wandte sich zu den Zwergen um. „Wie gut kennt ihr euch mit Steinmagie aus?“ Jeder Zwerg besaß ein gewisses Wissen über Steine. Die Frage war nur, wie viel diese Zwerge wussten …
Agenor und seine elf Krieger waren bei ihm und folgten Assasina. Sie hatten wenig Pause gemacht und ihre Ehre ließ sie nicht zugeben, dass sie ein wenig erschöpft waren, aber das waren ja auch die anderen.
Agenor wartete schweigend und hörte Assasina die Zwerge fragen, wie gut sie sich in Steinmagie auskannten. Das war eine gute Frage!
Rutaara stand immer noch bei der toten Wache, als sie lauter werdende Schritte aus dem Gang hörte, aus dem sie in den Thronsaal gekommen war. Scheinbar hatten auch die anderen Catyuas Gefangennahme bemerkt und begaben sich auf Rettungsmission. Sie hoffte nur, keiner möge die Spiegelschale finden, denn dann wüssten sie um Lyraels Geheimnis. Obwohl es eigentlich nicht ganz so schlimm war. Warum sollten sie es nicht wissen? Es war daran nichts schandbares.
Trotz allem wollte sie ihnen nicht begegnen, sondern wollte weiter. Aber kaum hatte sie einen Schritt getan, traf sie erneut dieser atemraubende Schmerz, der sie kurz nach der Trennung von der Gruppe befallen hatte. Diesmal jedoch war er so stark, dass sie in Ohnmacht fiel. Sie sank neben den beiden Wachen zu Boden und regte sich nicht mehr.
Lyrael hatte dies alles mit Schrecken angesehen. Ohne zu zögern rannte er den Weg zurück, den sie beide genommen hatten. Im Thronsaal stieß er mit Assasina zusammen, die gerade die Spiegelschale in den Händen hielt.
Zusammen
Assasina hatte alles um sich herum vergessen, sie hatte die silberne Schale gefunden und starrte wie hypnotisiert in das Wasser.
Seno, der tot vor ihren Füßen zusammenbrach, Zorfa die von königlichen Wachen getötet wurde. Ihre zweite Gefangennahme und die Urteilsverkündung, dass ihgr niemals mehr erlaubt wurde das Tageslicht zu sehen. Eine Steinwüste, davor Votan, der ihr liebevoll eine behandschuhte Hand entgegen streckte …
Ein Winseln riss Assasina in die Gegenwart zurück. Sie blickte auf und sah Lyrael direkt in die Augen. Einem unerklärlichen Zwang folgend blickte sie abermals in die Schale. Sie erschrak. Das Wasser hatte sich rot gefärbt und sie sah Rutaara, die an der Seite eines anderen Elben gegen Votan kämpfte. Tränen stiegen in Assasinas Augen, als sie sah dass Votan im Begriff war zu zaubern. Doch ehe sie mehr sehen konnte was er zauberte, sprang Lyrael sie mit einem verzweifelten Jaulen – zumindest klang es für sie so – an. Sie fielen beide zu Boden und die Schale kippte über und landete mit einem hellen Klingen und der offenen Seite nach oben auf dem Boden.
Assasina hatte schon ziemlich ärgerliche Worte auf der Zunge, doch dann sah sie Lyrael in die Augen und Trauer und Verzweiflung spiegelten sich darin wider.
Assasina schaute in die Richtung, aus der er gekommen war und konnte hinter der Türe einige Körper am Boden liegen sehen.
„Rutaaraaaaa!“, schrie sie, sprang auf und rannte, von der Angst beflügelt, auf die reglosen Körper zu.
Cedrik war nun auch auf dem Weg. Er wollte die anderen einholen. Er durfte sie nicht ihrem Schicksal überlassen. Kurz nach dem engen Korridor war er auf Sternenlicht gestiegen und dieser folgte einer nur für ihn sichtbaren Spur.
In einem ebenfalls dem Zerfall preisgegebenen Saal, in dem ein schon ziemlich angemoderter Thron auf der Seite lag, sah es kurz aus als wäre ein starker Wirbelwind durch gefahren. Cedriks Blick fiel auf eine Schale am Boden, in der etwas Flüssigkeit schwabbte. Er hielt Sternenlicht an und stieg ab. Dann bückte er sich und griff nach dem Ding. Beinahe hätte er es fallen gelassen, als sich die Flüssigkeit darin kräuselte und kurz rötlich färbte. Aber es dauerte nicht lange, dann zeigte das Bild darin nicht Cedriks erschrockenes Gesicht, sondern ein Dorf, das eben von Angreifern in Schutt und Asche gelegt wurde. Man hörte nichts, doch Cedrik konnte sehen, dass die Bewohner die noch nicht nieder gemetzelt waren, ihre Münder offen hatten und bei manchen die Kleidung zerrissen war.
Erneut kräuselte sich die Oberfläche und zeigte nun einen Wald, in dem ein Menschenpaar stand und sich umschlungen hielt. Die Frau hatte langes, dunkles und offenes Haar und hielt in einer Hand einen mit einer Decke bedeckten großen Sammelkorb. Der Mann war einen Kopf größer als sie, schlank und hatte langes weißes Haar, das ihm offen über die schmalen Schultern fiel. Er hielt die Frau an sich gepresst. Plötzlich warf er den Kopf zur Seite und Cedrik merkte, wie ein gehetzter Ausdruck in das ansprechende Gesicht des Mannes trat. Die Frau stellte hastig den Korb auf den Waldboden und beide liefen weg.
Cedrik spürte ein seltsames Stechen und Ziehen beim Anblick der Szene. Er sah, wie das Paar im zerstörten Dorf einen der Angreifer gleich darauf von einer alten und offenbar verletzten Frau, die bereits am Boden lag, herunter zogen und durch Pfeile und einen langen Dolch eines anderen starben. Abermals wechselte das Bild und Cedrik erblickte wieder den Wald und den dort abgestellten Korb. Im Hintergrund kam eine Gestalt in Sichtweite, die einen langen Mantel trug und scheinbar Pilze sammelte, denn ab und zu bückte sie sich danach. Ehe Cedrik weiter erkennen konnte, was geschah kräuselte sich die Flüssigkeit erneut und erstarrte. Und nun zeigte sie das Spiegelbild tatsächlich von seinem blassen und erschrockenem Gesicht.
Catyua wusste nicht, wo sie sich befand und wer sie hierher gebracht hatte. Nur dass es dunkel, nass und kalt um sie her war. Rüstung und Waffen waren ihr abgenommen worden, wie sie merkte als sie nach dem Schlag gegen ihren Kopf wieder klar sehen konnte. Niemand war in ihrer Nähe und ihre Stimme hallte gespenstisch wider, als sie zaghaft in die Finsternis rief. Gefesselt war sie nicht, also stand sie auf um ihre Umgebung abzutasten. Denn es war so dunkel, dass sie nicht das geringste sehen konnte.
Sie lief immer weiter, doch sie musste im Kreis laufen oder einer Sinnestäuschung unterliegen, denn der Klang ihrer Schritte veränderte sich nicht. Also musste sie immer noch in dem großen, weiten Raum befinden, in dem sie erwacht war. Natürlich hatte sie Angst, aber sie versuchte diese so gut als möglich zu verdrängen. Ob jemand ihr Verschwinden bemerkt hatte? Ob ihre Kampfgefährten sie bereits suchten? Sie hoffte es und hatte gleichzeitig Angst, dass sie sich ihretwegen in Gefahr begaben.
Catyua wurde aus sich selbst nicht schlau. Ihre Gedanken kreisten in der ewig gleichen Schleife. Dagegen half auch das Laufen nichts und irgendwann ließ sie sich in einem Anfall von Hoffnungslosigkeit zu Boden fallen. Tränen liefen über ihr Gesicht, obwohl sie seit Jahren nicht mehr geweint hatte. Sie wusste nicht einmal warum sie weinte. Es war alles so … verwirrend! Sie war allein. Vollkommen allein. Und die Dunkelheit drang in ihr Herz, in ihre Gedanken.
Mit offenen Augen starrte sie in die Dunkelheit. Und in dieser abgrundtiefen Stille und Schwärze konnte sie ihre Kindheit an sich vorbei ziehen sehen. Sie hatte gedacht, so etwas würde geschehen ehe man starb, aber jetzt spürte sie den Hass, die Wut und die endlose Trauer, die sie auch schon vor vier Jahren empfunden hatte, als sie jetzt die Bilder vor ihrem inneren Auge sehen musste.
Assasina ließ sich neben Rutaara auf den Boden fallen und schob ihre Hand unter deren Schulter. Sie drückte ihren Kopf an die eigene Schulter und atmete erleichtert auf, als sie einen Herzschlag hören konnte. Lyrael trippelte ungeduldig neben ihr her und um sie herum, während Assasina Agenor um Wasser bat. Sie spürte das kalte Nass über ihre Arme laufen und versetzte Rutaara zusätzlich noch ein paar Ohrfeigen.
Cedrik kam leichenblass in den Gang. Er sah aus, als hätte er Gespenster gesehen. Er ließ sich neben Assasina sinken und fragte mit etwas zittriger Stimme:
„Wie kann ich Euch helfen?“ Assasina schaute ihn an. Warum wollte er immer helfen? In seinem Herz musste viel Gutes stecken. Dann jedoch schüttelte sie den Kopf um diese Gedanken los zu werden. Sie blickte auf Rutaara, deren Augenlider zu flattern begannen.
„Schon gut, sie ist nicht verletzt. Nur ohnmächtig!“
Lyrael war inzwischen an Assasinas andere Seite gekommen und stupste die inzwischen erwachende Rutaara vorsichtig mit seiner Schnauze an.
Rutaara öffnete den Mund um etwas zu sagen, aber Assasina hielt ihre Hand drauf.
„Warte noch kurz! Noch nicht reden!“
Doch Rutaara stieß noch ein wenig schwach Assasinas Hand beiseite.
„Catyua!“, keuchte sie. „Catyua … Votan hat sie … wir müssen los ...“, sagte Rutaara schwach und verwirrt. Sie wollte aufstehen, sank jedoch sofort wieder zu Boden. Cedrik der hinter ihr gestanden hatte, fing sie auf ehe sie hart zu Boden schlagen konnte. Rutaara versetzte ihm einen derben Stoß in die Rippen.
„Fass mich nicht an, verdammter Zauberer!“, zischte sie ihn an. Sie gab ihm die Schuld an der ganzen Situation, obwohl sie genau wusste, dass dem nicht so war. Votan mit all seiner dämonischen Magie war dafür verantwortlich und kein anderer. Rutaara musste ihm endlich Einhalt gebieten.
Sie blickte auf in die Augen der verbliebenen Mitstreiter und sah darin Besorgnis. Doch bei Assasina, die sie und Lyrael genauestens beobachtete, war etwas merkwürdiges im Blick.
„Was? Was ist los?“, fragte sie. Kaum hatte sie dies getan, bereute sie es auch schon. Sie konnte sich denken, dass die schlaue Elfe die versteckte Spiegelschale entdeckt hatte. Erkennen blitzte in Rutaaras Augen auf und nun fragte sie ganz direkt.
„Was hat sie dir gezeigt? Wenn es etwas dich betreffend war, sage nichts. Doch in deinem Blick sehe ich, dass du mehr gesehen hast. Also, sprich …!“
Assasina biss sich auf die Lippen und senkte den Blick. Die Nachricht, dass Votan Catyua hatte, hatte sie geschockt. Aber nun, nach Rutaaras Worten musste sie wieder an die Schale denken.
„Du kennst Votan!“ Das war keine Frage, sondern eine einfache Tatsache. „Ich habe gesehen, dass er gegen dich und einem Kameraden einen Zauber gewirkt hat und nachdem du mir gegenüber sitzt, nehme ich an, dass dein Freund von Votan ge … getötet wurde!“
Es fiel Assasina schwer, diese Worte auszusprechen und sie hatte keine Erklärung dafür, warum. „Ob dein Freund überlebt hat oder nicht, konnte ich nicht mehr sehen. Dein Begleiter hat meine Aufmerksamkeit verlangt um euch zu helfen.“
Assasina warf einen raschen Blick zu Lyrael und mit diesem Blick sagte sie Rutaara alles. Lyrael hatte die gleichen Augen wie dieser Elb und Assasina kannte Votans magisches Potenzial und sie wusste sehr gut, welche Zauber er bewirken konnte. Rutaara sah, dass Assasina dahinter gekommen war und machte bereits den Mund auf um ihr eine giftige Verteidigung entgegen zu schleudern, doch Assasina kam ihr zuvor. „Alles andere was ich gesehen hatte, ist – wie du bereits gesagt hast – meine Sache. Es war nichts, das dich betraf!“
Assasina warf Rutaara einen vielsagenden Blick zu, der besagte, dass sie nicht diejenige sein würde, die den anderen die wahre Identität Lyraels aufdecken würde.
„Wir sollten los, das Mädchen finden. Wenn sie wirklich bei Votan ist, stehen ihre Überlebenschancen nicht gerade gut!“
Assasina stand auf und streckte Rutaara die Hand entgegen, um ihr aufzuhelfen. Dabei sahen sich Elbe und Elfe einen langen Moment tief in die Augen.
Agenor stand abseits der Gruppe, seine Krieger standen noch weiter weg und sammelten sich bereits vorne vor einigen der Türen, die im Korridor waren, um eventuelle Wachen, wenn diese kommen würden, zu töten.
Agenor grunzte und dachte bei sich, dass er bei einer äußerst seltsamen Gruppe gelandet war. Er wollte eigentlich wieder einmal kämpfen und dieses Mädchen retten, die von Votan gefangen genommen worden war, doch das wichtigste war und blieb den Prinzen zu finden und dessen Frau.
„Ich danke dir“, raunte Rutaara der Elfe zu. „Du weißt wer er ist, oder auch war und behältst es für dich. Dafür bin ich dir dankbar. Zu gegebener Zeit werden es auch die anderen erfahren.“
Als sie wieder auf den Beinen stand, blickte sie in die Runde und sagte dann laut:
„Es geht schon wieder, macht euch keine Sorgen. Agenor, ich sehe deine Ungeduld, ich empfinde genau so. Wir müssen unbedingt Catyua befreien und unsere Mission erfüllen!“
Rutaara blickte sodann zu den Zwergen hin.
„Messino, sage mir eines: wieso seid ihr hier? Bis aufs Kämpfen habt ihr uns noch nicht viel genützt. Wo bleibt eure Steinmagie, von der die Zwerge immer prahlen? Damit könntet ihr leicht Catyuas Gefängnis finden!“
„Für wen hältst du dich, Dunkle?“, fragte Messino Rataara grob und benutzte das Wort „Dunkle“ als Schimpfwort. Bei seinem Volk waren die Elben von Rutaaras Art nur als grausame, brutale Mörder bekannt. Dass sie nicht den Vorstellungen entsprach, wurmte ihn. Vor allem, da sie – obwohl eine Elbe – äußerst attraktiv auf ihn wirkte. „Bis jetzt hat uns niemand groß nach unserer Meinung gefragt!“ Er fuchtelte bei diesen Worten vor ihrem Gesicht herum. Pere, der Angst hatte, sein Bruder würde die Hand gegen die Elbe erheben, legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter.
„Bruder, lass ab“, bat er ihn. „Sie hat gar nicht so Unrecht. Lass uns unsere Magie verbinden und Catyua finden!“
Messino wurde ruhiger, kramte in seinem Rucksack nach etwas und holte dann einen dunkelvioletten Amethysten hervor. Die drei Zwerge legten die Hände darauf, schlossen die Augen und stimmten einen leisen, summenden Gesang an.
Der Amethyst fing an zu vibrieren und zu leuchten, bis die Zwergenbrüder von einem zart violett schimmernden Licht umgeben waren. Es vergingen einige Minuten, als das Licht endlich nachließ und den Blick auf die Drei frei gab. Sie sahen angespannt und erschöpft aus, doch Messino vergeudete keine Zeit.
„Wir wissen nun, wo das Mädchen ist. Wir haben sie sogar sehen können. Catyua ist in einem weiten, dunklen Raum im südlichen Verlies der Burg. Sie ist allein und sieht gar nicht gut aus!“
„Allein klingt ja gar nicht mal so schlecht“, murmelte Assasina, ohne darauf zu achten, ob sie jemand hörte oder nicht. Agenor und seine Männer waren die ersten die los liefen, nachdem sich alle geeinigt hatten, wo denn eigentlich hier Süden war. Rutaara und Lyrael liefen nach kurzem Zögern ebenfalls los. Dicht gefolgt von den Zwergen. Cedrik, der sich auf sein Pferd geschwungen hatte, schaute sie verlegen von oben an.
„Ähm … wollt Ihr mit mir reiten?“
Assasina, die in Gedanken versunken war, schaute auf. „Nein danke, ich reite nie!“, sagte sie und lief los, den anderen nach. Aber sie behielt ein für ihre Verhältnisse langsames Tempo, so dass sie nach wenigen Metern bereits von dem Magier und seinem Pferd überholt wurde.
Das Schloss war ein reines Labyrinth und wimmelte nur so von Wachen. Was ihren Plan, mal rasch Catyua aus dem Verlies zu holen vernichtete, denn es war nicht so leicht einen Weg nach Süden zu finden, wenn die meisten Wege von Ost nach West verliefen. In einer relativ großen Halle, in der sie kurz Rast und eine Verschnaufpause einlegten, um die beschmutzten Waffen zu reinigen und damit den sie eventuell verfolgenden Feinden nicht noch mehr massige Spuren zu legen, meinte Dubi, der dritte der Zwergenbrüder:
„So wird das nie was!“, keuchte er und schaute die Anwesenden an. „Wenn das so weiter geht, laufen wir noch eine Stunde herum und kommen am Ende dort an, wo wir los gelaufen sind!“
Niemand sagte etwas, aber im Gedanken stimmte sie ihm zu. Sie brauchten unbedingt eine neue Taktik!
Catyua hatte sich zu einer kleinen Kugel zusammen gerollt, um den Rest Wärme in ihrem Inneren fest zu halten. Ihre Arme umklammerten krampfhaft ihre Knie. Die Finger hatten ihre Nägel in ihre Handflächen gebohrt und sie konnte schwach den süßlichen Geruch ihres eigenen Blutes riechen. Ihr war echt übel und sie hatte starke Kopfschmerzen. Immer noch konnte sie nichts gegen die ohne Unterlass über ihre Wangen laufenden Tränen tun, sie hätte auch nicht gewusst, was.
Ihre Wange ruhte auf dem kalten Steinboden. Sie wusste nicht, warum sie hierher gebracht worden war, man befand sich schließlich in einer Schlacht. Seit wann machten Dämonen im Kampf Gefangene?
Plötzlich durchdrang ein schmerzend lautes Geräusch die Stille. Es konnte jedoch nicht allzu laut gewesen sein, wahrscheinlich lag diese Lautstärke an der Stille hier unten. Denn dass sie sich unter der Erde befinden musste, war ihr mittlerweile klar. Verliese lagen meist unterirdisch. Daran ließ auch die feuchte Kälte keinerlei Zweifel. Dem Geräusch folgte ein blendend helles Licht. Irgendwo in diesem Raum musste eine Tür geöffnet worden sein. Das Licht blendete sie dermaßen, dass sie nur verschwommene Umrisse sehen konnte, die durch diese Türe kamen. Catyua wagte sich nicht zu bewegen. Wer konnte nun etwas von ihr wollen?
„Ich werde dir nun einige Fragen stellen und du tätest gut daran, sie mir zu beantworten! Und wage es nicht, mich zu belügen!“ Catyua schauderte, als sie diese Stimme hörte.
„Wie heißt du und wer bist du?“ Da das Mädchen trotzig schwieg, erschallte nochmals die Stimme. „Muss ich dich noch einmal fragen?“
Catyua hatte Angst. So schreckliche Angst hatte sie noch bei keinem ihrer Aufträge gefühlt. Bei keinem Kampf, keinem Mord, niemals! Zum ersten Mal in ihrem Leben gab es nichts, woran sie sich halten konnte. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie verändert. Sie hätte nicht allein losziehen sollen. Sie hätte einmal – nur ein einziges Mal – auf den vernünftigen Teil ihres Kopfes hören sollen, der ihr klar sagte, was richtig und falsch war. Und jetzt sagte ihr dieser Teil ganz klar, dass sie antworten sollte, um sich nach Möglichkeit irgendwie zu schützen.
Aber ihre Entscheidung kam ein wenig zu spät. Erwartet und doch zugleich überraschend traf sie der Hieb. Es war zu dunkel, der Mann hatte wahrscheinlich nicht richtig gezielt und daher nur ihr Bein getroffen. Trotzdem hatte sie aufgeschrien, als die Lederriemen einer grausamen Peitsche sie trafen.
„Ich … ich heiße Catyua!“, keuchte sie.
„Und was willst du hier?“
„Ich weiß es nicht!“ Catyua hielt sich ihr schmerzendes Bein.
„Das war es nicht, was ich hören wollte!“ Diese Stimme klang grausam. Catyua rollte sich wieder zusammen, nachdem sie sich vorhin etwas aufgesetzt hatte, in Erwartung eines weiteren Schlages. Und er kam! Besser gesetzt als der erste und sie krümmte sich schmerzerfüllt.
„Was willst du …?“ Die Stimme zögerte, als ob sie durch etwas gestört worden wäre. Catyua hörte, wie sich ihr Peiniger mit einem hasserfülltem Zischen von ihr ab wendete. Sie hörte die Tür ins Schloss fallen und einen Riegel, der vorgeschoben wurde. Danach schnelle Schritte und – die Stille schlug abermals über ihrem Kopf zusammen.
Während Cedrik den anderen folgte, arbeiteten seine Gedanken auf Hochtouren. Er hätte nicht sagen können, welcher seiner Gedanken die meiste Beunruhigung brachte. Er sah noch immer den Mantel vor seinem geistigen Auge, den der Pilzsammler getragen hatte. So einen Mantel hatte auch Meister Fulkhurx, doch viele hatten solche Mäntel. Vielleicht auch nur ein seltsamer Zufall? Und warum hatte die Tätowierte auf sein Angebot, sie auf Sternenlichts Rücken zu nehmen, so ablehnend reagiert? Nicht einmal besonders unfreundlich, eher bestimmt. Doch dann hat sie sich von ihm überholen lassen. Cedrik konnte sich denken, warum. Wahrscheinlich hatte sie Schmerzen und er hatte keine gute Arbeit geleistet. Es würde ihm allerdings leid tun, wenn sie wieder Schmerzen hätte.
Wenn Cedrik jetzt jemand gefragt hätte, wieso er sich so viele Gedanken um ein Wesen machte, das ihn erst erwürgen wollte und dann auch noch abfertigte, als wäre er ein lästiges Insekt, er hätte keine Antwort darauf gewusst.
Kurz schob sich ein anderes Gesicht vor sein geistiges Auge. Das jenes Mannes, der in der Schale erschienen war. Wer er wohl war? Und was in dem Korb gewesen sein musste?
Cedrik richtete sein Augenmerk wieder auf die vor ihm liegende Aufgabe. Kurz nur dachte er daran, dass er eigentlich bisher der einzige war, der nicht gleich los gerannt war, um alleine zu kämpfen. Dieser Kampf jetzt erforderte die Mitarbeit aller in dieser Gruppe.
„Ich verstehe das nicht“, brummte Dublin. „Wir müssten doch einen leichteren Weg finden!“ Er sah seine Brüder an. „Denkt ihr das gleiche wie ich?“
Messino und Pere grinsten und blickten in die Runde.
„Ihr wollt wahre Zwergenmagie sehen?“, fragte Messino sie mit einem verschmitzten Lächeln. „In Ordnung, ich habe nichts dagegen. Jungs, zu mir!“
Die drei Zwergenbrüder versammelten sich vor der südlichen Wand, legten den Amethyst davor und stimmten wieder den summenden Gesang an. Was die anderen nun sahen, ließ sie vor Erstaunen erstarren. Einige Ziegel der Wand verschoben sich, so dass ein Durchgang entstand der hoch und breit genug war, um ihn zu passieren.
„Bitte sehr!“ Die Drei waren fertig und wandten sich wieder der Gruppe zu. Messino war völlig erschöpft und sagte schwer atmend:
„Ich weiß nicht, wie lang dieser Gang geworden ist. Es ist möglich, dass er einfach irgendwo in einer Wand endet. Wenn dies der Fall ist, muss uns beim nächsten Versuch jemand mit seiner Magie unterstützen, denn unsere Kräfte sind erschöpft!“
Assasina grinste breit. So hatte sie sich das schon eher vorgestellt.
„Kann dieses Gebilde nicht einbrechen?“, fragte Cedrik nachdenklich, der gerade an ihrer Seite erschienen war und skeptisch in den Tunnel sah. Sie schaute ihn an, das Grinsen noch auf den Lippen.
„Möglich wäre es. Aber einen kleinen Rat noch von mir an dich … sprich niemals deine Kritik über Zwerge und ihr Können vor einem von ihnen aus. Das mögen die gar nicht!“ Sie zwinkerte ihm vielsagend zu und lief dann zum Eingang, blieb aber kurz davor stehen. Tatendrang hatte sie gepackt, was bei ihr – zum Gegensatz zu den meisten anderen – nicht zu voreiligem Handeln führte. Sie stellte sich so vor den Eingang, dass die anderen gezwungen waren, nicht gleich los zu stürmen, sondern eine Runde nachzudenken. Sie hatten ja schon gesehen, was sie davon hatten. Die anderen kamen näher.
„Aus dem Weg, Assasina! Wir müssen los!“
Assasina wusste nicht, wer das gesagt hatte, sie warf nur einen bösen Blick in die Richtung, aus der es kam.
„Nur wegen zu häufigem unüberlegtem Handeln sind wir jetzt hier in dieser Situation!“
Ihre Stimme war laut, aber nicht böse. Vielleicht ein wenig kühl. „Ist jeder von euch in der Lage ab sofort zu kämpfen?“
Alle nickten, die Zwerge allerdings erst nach einem kurzen Zögern.
„Wollt ihr, dass euch jemand trägt? Lyrael?“
Die Zwerge schauten sie erst verdutzt, dann jedoch beleidigt und feindselig an. Da verstanden sie keinen Spaß. Assasina zuckte nur gleichgültig die Schulter.
„Sobald wir im Verlies angekommen sind, wird es nicht so schwer sein, Catyuas Zelle zu finden. Ihre wird sicher die meist bewachte sein und vermutlich etwas abgelegen von den anderen liegen. Ziemlich sicher aber in der Nähe der Folterkammer! Versucht nicht von einem der anderen Häftlingen gesehen zu werden und redet auf keinen Fall mit ihnen. Falls euch doch einer sieht, sagt mir Bescheid und zeigt ihn mir!“
„Wieso?“, fragte Rutaara argwöhnisch.
„Weil es für Insassen von Verliesen kein Gut oder Böse gibt. Sie würden sofort die Wachen rufen, mit der Hoffnung dann frei gelassen zu werden! Gut, dann haltet eure Hände an den Waffen und seid Kampfbereit!“ Sie nickte den anderen zu und lief los.
„Warum weiß sie so viel über Verliese?“ Agenors Frage war an Rutaara gerichtet, aber diese zuckte nur unwissend die Schulter und lief Assasina nach. Gefolgt vom Rest der Gruppe.
Doch so unwissend war Rutaara nicht. Sie konnte schon immer gut aus dem wenigen, was sie erfuhr und wusste, die richtigen Schlüsse ziehen. Sie wusste, Assasina war eine Verbannte. Demnach war die Elfe eines Verbrechens schuldig – oder unschuldig, bei der derzeitigen politischen Lage – und mit Sicherheit im Gefängnis gewesen.
„Ich habe einen Vorschlag, wie wir ungesehen bis zu Catyuas Kerker und hinein gelangen. Nur raus wird das nicht gehen, da ich den Tarnzauber nicht zweimal kurz hinter einander wirken kann.“
Rutaara blickte Cedrik mit Spott in den Augen an. „Aber was mache ich mir Sorgen?“, lächelte sie. „Wir haben ja einen Menschenzauberer, der wie jeder von denen perfekte Illussionszauber beherrscht, nicht wahr?“
Cedrik sah nervös zu der dunklen Elbin und spürte, wie er rot anlief. Zum Glück befanden sie sich in einem Tunnel, in dem es so finster war, dass niemand sein Gesicht sehen konnte.
„Nun ja, ich besitze die Kunst der Spiegelmagie“, stotterte er nervös und warf einen Blick zu der Tätowierten, obwohl er sie nur als huschenden schwarzen Schemen erkannte. „Diese kann uns zwar nicht unsichtbar machen, doch es wird uns vor unerwünschten Blicken eine Zeitlang schützen. Bei einer so großen Gruppe ist es allerdings schwer, die Magie lange und effektiv aufrecht zu erhalten. Also müssen wir sehen, dass wir bald an einen sicheren Ort kommen!“
„Rutaara wendet ihren Tarnzauber beim Hingehen an und Cedrik benutzt seine Spiegelmagie, wenn wir uns zurückziehen!“ Assasinas Stimme drang von vorne zu ihnen zurück und lies keine Widerrede zu. Es versetzte Rutaara einen kleinen Dämpfer und diese kniff böse die Augen zusammen. Sie verkniff sich eine böse Bemerkung, folgte weiter und murmelte nun den Spruch des Tarnens …
Salvja arwe vestus hey! - schon waren sie für fremde Augen unsichtbar.
Rutaara ließ sich zurück fallen, bis die Zwerge zu ihr aufschlossen. Sie merkte deutlich deren Erschöpfung. Sie mochte Zwerge nicht besonders – hatte jedoch einen Vertreter dieser Rasse – Tjurre Silberzunge – zum Freund. Diese drei Burschen, von denen nur Pere ihr von Anfang an sympathisch war, gefielen ihr immer besser.
„Messino“, begann sie ein Gespräch mit ihm. „Falls das eintritt, was du uns vorhin erklärt hast, sollst du wissen dass ich euch gerne behilflich bin!“ Rutaara warf ihm einen entschuldigenden Blick zu, denn sie konnte ja in dieser ägyptischen Finsternis besser sehen, als alle anderen. „Ich wollte nicht so unhöflich sein zu dir und deinen Brüdern. Du musst nur wissen, dass ich bisher nicht vielen Zwergen begegnet bin. Nur einer aus deinem Volk, der viele Monatsreisen entfernt von hier in den Mondbergen lebt, zählt zu meinen Freunden!“
Messino zog die Brauen hoch und erwiderte ihren Blick kurz mit Misstrauen. Doch er sah gleichzeitig, dass es der Elbin wirklich leid tat und blickte wieder geradeaus.
„Nun ja, dann hast du schon mal gelernt, dass nicht alle Zwerge so unangenehme Zeitgenossen wie die meisten meiner Art sind!“
„Ja“, meinte die Elbin und lachte leise. „Was mich bei euch wundert, ist dass ihr so selbstverständlich Magie anwendet. Bei dem Zwergenvolk aus den Mondbergen ist Zauberei und alles was damit zu tun hat, strengstens verboten und wird meist mit Bann oder gar Tod bestraft. Mein Freund Tjurre wurde durch gute Verwandtschaft davor bewahrt und aus den Mondbergen vertrieben. Vielleicht mag ich ihn deshalb so?“
Pere und Dubin hatten dem Gespräch zugehört und waren entsetzt, als sie diese Worte hörten.
„Wegen Magie verbannt oder gar getötet werden? Wie grausam! Wieso tut ihr König das?“ redeten sie erbost dazwischen.
Im Gespräch über Zwergenpolitik und Elben versunken, folgten sie in kleinem Abstand den anderen. Assasina immer vorneweg.
Das Mädchen hatte sich beinahe daran gewöhnt, nicht das geringste sehen zu können, selbst wenn sie die Augen offen hatte. Es war immer noch beklemmend, aber nicht mehr so schlimm als zu Beginn. Sie hatte den Rest des Zeitgefühls verloren, den sie einmal besessen hatte und konnte nicht einmal sagen, ob sie hier seit ein paar Minuten, oder seit Stunden saß. Nur, dass noch kein Tag vergangen war, das wusste sie denn bis jetzt hatte sie noch keine Müdigkeit befallen. Obwohl sie sich sicher war, dass sie hier drinnen keinen Schlaf finden könnte.
Nachdem man sie hierher gebracht hatte, war ihre Hoffnung dass die Gefährten sie suchen und befreien würden. Doch diese Hoffnung hatte sie längst verloren. Warum sollten die Zwerge nach ihr suchen oder gar ihr Leben gefährden, denn sie selbst hatte ihnen nur Gleichgültigkeit entgegen gebracht? Wieso sollten Assasina oder Rutaara sich damit aufhalten, einem sprunghaften, unbedachten Mädchen wie ihr zu helfen? Weshalb sollte es Agenor oder einen seiner Männer kümmern, was mit ihr geschah? Und der Zauberer? Er kannte sie überhaupt nicht. Was sollte er mit ihr zu schaffen haben?
Natürlich hatte sie daran gedacht, dass es sich die Gefährten nicht leisten konnten verraten zu werden … denn das mussten sie doch denken, dass sie – Catyua – das tun würde. Sie hatte nicht vor, irgend etwas zu sagen, doch hatte sie keine Ahnung, was derzeit mit ihr los war. Catyua kannte sich selbst kaum wieder, das war nicht sie selbst! Sie wusste nicht einmal, ob sie noch den Mut besaß, sich selbst das Leben zu nehmen um der Folter zu entgehen, wie ihr Meister sie gelehrt hatte. Denn zu reden hatte sie nicht vor. Sie war stolz und die Kämpfer hatten einen Platz in ihrem Herzen gefunden, das so lange schwarz und kalt gewesen war.
Das Albenmädchen lehnte den Kopf gegen die raue Steinmauer und lauschte in die Stille und Dunkelheit hinein. Sie begann sich bereits langsam Geräusche einzubilden, die nicht da sein durften und konnten. Sie durfte sich nichts einbilden, was nicht da war! Aber sie war sich so sicher, dass sie da etwas gehört hatte!
Vor diesem Tag war sie niemals so hilflos gewesen und es hatte ihre angeborenen Instinkte geweckt, von denen sie bisher nichts geahnt hatte.
Catyua hob den Kopf und schloss die Augen, konzentrierte sich in die Dunkelheit und …!
Sie hatte etwas gehört, jetzt galt es nur noch herauszufinden, was das war!
Wie bereits erwartet, stand die Truppe vor einer Wand. Messino knurrte kurz, da er sich sicher war, dass sich dahinter jemand befand. Ob Freund oder Feind – das konnte er nicht bestimmen.
„Wenn wir fertig sind, passt auf! Dahinter ist jemand!“, sagte Messino, worauf die anderen ihre Waffen zogen – so sie diese nicht schon längst in den Händen hielten – und sich hinter den Zwergen postierten.
„Rutaara, es ist soweit! Du musst nichts weiteres tun, als deine rechte Hand auf meine Schulter zu legen und mir Kraft spenden. Ich werde dann alles weiter leiten, sodass wir drei den zauber wirken können!“
Die vier standen einige Minuten lang vor der Wand, die sich unter dem Beschwörungsgesang öffnete und einen weiten, dunklen Raum frei gab.
Gerettet
Rutaara ließ ihr blaues Elbenfeuer über dem Durchgang erstrahlen und blickte in das zunächst verwirrte und angstvolle, dann erleichterte Gesicht Catyuas die ihr mit Tränen in den Augen in die Arme fiel. Sie vergrub ihr Gesicht an Rutaaras Schulter und schluchzte. Rutaara strich ihr beruhigend über den Kopf obwohl sie ziemlich überrumpelt von dem Gefühlsausbruch des sonst so zurück haltenden Mädchens war.
„Schhh, schhh … schon gut, wir sind ja jetzt da!“Sie blickte über Catyuas Kopf hinweg die Gruppe an. „Wir müssen weg jetzt. Der Weg hinter uns kann nicht mehr als Rückweg genommen werden, denn er ist verschlossen. Die Zwerge hielten dies für besser, damit wir nicht von hinten überrascht werden können!“ Rutaara wandte sich an Cedrik. „Sag, wann du bereit bist!“
Cedrik nickte ernst. Er wusste, jetzt kam es darauf an, dass er all sein Können und bisheriges Wissen einsetzte. Doch bevor sie von hier gehen konnten, trat er an das Mädchen heran, das noch immer leise schluchzte. Er neigte leicht den Kopf und sah sie ernst an.
„Ich denke, Ihr werdet mich gleich ebenso heftig anfahren, wie alle hier. Doch ich mache mir Sorgen. Ist Euch etwas passiert? Wurdet Ihr gefoltert? Erlaubt Ihr mir, Euch kurz zu untersuchen? Ich werde Euch nicht berühren, aber dies zu tun ist wichtig! Für mich und die Gruppe!“
Cedrik wartete bis sie sich gefangen hatte, dann zeigte er ihr seine offenen Handflächen. In seinem Rücken hörte er die bissige Stimme der Tätowierten.
„Mach dich endlich an die Arbeit mit deiner Magie etwas zu bewirken! Du brauchst keinen von uns zu untersuchen, denn …!“
Cedrik wirbelte herum und seine Augen mit den goldfarbenen Pünktchen darin verengten sich. Dann trat er mit einem raschen Schritt ziemlich dicht an die Sprecherin heran. Doch er sagte kein Wort. Er sah sie nur an. Langsam nahmen seine Augen wieder die normale Größe an, dann meinte er leise und mit seltsam weicher Stimme:
„Ich denke, Ihr habt auch Angst um Eure Kampfschwester gehabt. Doch wenn sie verletzt ist – auch wenn sie selbst nicht bemerkt hat – sie könnte uns entweder aufhalten oder sich selbst schwächen und gefährden! Bitte, Herrin, lasst mich meine Pflicht tun!“
Cedrik wartete die Antwort nicht ab, er beachtete Assasina nicht mehr weiter, welche Wirkung seine Worte auf sie hatten. Er wandte sich abermals ab, trat dicht an das Mädchen das noch immer etwas durcheinander war heran und ließ seine Hand über ihre Körperkonturen gleiten. Ehe sie protestieren konnte, hatte er seine Untersuchung abgeschlossen.
„Ich denke, wir werden jetzt von hier verschwinden!“ Cedrik wandte sich zu Sternenlicht, holte den Stab mit dem Ambarin, streckte ihn waagerecht vor sich hin und konzentrierte sich. Der Stein begann zu glühen. Das erst grünliche Licht änderte sich in Blau und Cedrik begann den Stab langsam herum zu schwenken. Bei einer Ecke begann er heller zu leuchten. Kurz hielt Cedrik inne, dann drehte er sich mit ausgestrecktem Stab einmal um sich selbst und wieder glühte der Stein heller auf, als er die gleiche Stelle erneut traf. Cedrik ging darauf zu und berührte mit dem Kristall die Mauer. Ein Raunen ging durch die Gruppe, als sich ein Teil der Mauer öffnete und sich als Geheimtür entpuppte.
„Wir sollten gehen!“, meinte Cedrik und kurz sah er zu dem nun wieder kampfbereitem Mädchen. Sein nächster Blick traf die Tätowierte. Dann winkte er und ging vor. Dicht hinter ihm folgte Sternenlicht und danach die restlichen Kampfgefährten.
Hinter der Tür begann ein enger Gang. Seltsamerweise brannten vereinzelt Fackeln an den Wänden und Cedrik rechnete fest mit einem Hinterhalt.
Sie fühlte sich wie in einem Traum gefangen. In einem wunderbaren Traum. Vor wenigen Minuten hatte sie hoffnungslos in dem kalten, dunklen Raum gesessen und über ihren wahrscheinlich baldigen Tod nachgedacht und dann waren sie gekommen. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Im ersten Moment war sie viel zu überwältigt und überrascht gewesen, um etwas vernünftiges heraus zu bringen. Aber sie wollte ihnen doch sagen, wie dankbar sie ihnen war und wie dumm es von ihr gewesen war, einfach los zu laufen. Das hatte sie gelernt! Sie war zu jung, um etwas alleine durchziehen zu können. Es ärgerte sie und sie fühlte sich ein klitzekleines bisschen gedemütigt, weil dieser Magier so hochfahrend zu ihr gesprochen hatte.
'Jetzt streng mal deinen Kopf an!' befahl sie sich bissig. 'Er wollte dir doch nur helfen!'
Resignierend gab sie der Stimme nach. Sie war immer noch nicht bei der Sache, wenn sie glaubte, dass zwei Stimmen in ihrem Kopf herum stritten. Die Gefährten sollten erfahren, dass sie nichts als ihren eigenen Namen verraten hatte, aber würden sie ihr auch glauben? Egal! Es musste gesagt werden!
Lange Minuten wägte Catyua das Für und Wider ab und verstrickte sich dabei mehr und mehr in diese Gedanken. Dabei folgte sie der Gruppe und nahm nichts von ihrer Umgebung wahr. Sie wusste nicht, ob sie sich in einem Tunnel befanden, der aus ihrem Verlies geführt hatte oder ob sie bereits wieder in den normalen Gängen der Burg liefen. Das machte ihr Sorgen. Sie sollte sich schließlich wieder konzentrieren! Sie befanden sich schließlich im Kampf!
Catyua lief weiter doch jetzt versuchte sie so viel wie möglich wahr zu nehmen. Im Hinterkopf rumorte aber immer noch der Gedanke, wie und wann sie mit ihren Gefährten sprechen sollte.
Irgendwann brach er jedoch aus ihr heraus, ohne dass sie etwas dagegen machen konnte.
„Es tut mir leid!“, rief sie aus, während ihr noch immer oder schon wieder Tränen über die Wangen liefen. „Ich war dumm einfach weg zu laufen. Ich hätte wissen müssen, dass so etwas geschehen würde, aber meine Jugend mag meine Unwissenheit zum Teil erklären!“
Es fiel ihr immer noch schwer, sich das einzugestehen. In die verwirrten Mienen der Stehengebliebenen hinein sagte sie:
„Ich danke euch allen, dass ihr gekommen seid mich zu holen, statt mich einfach zurück zu lassen. Wenn ihr das getan habt um unerkannt zu bleiben, das habt ihr geschafft. Sie haben mir nichts als meinen Namen entlocken können!“ Entrüstung spiegelte sich auf einigen Gesichtern wider. „Ich danke euch aus tiefstem Herzen trotzdem. Wenn ihr mir erlaubt, bei euch zu bleiben auch wenn die Möglichkeit besteht, dass ich euch durch vorschnelles und unüberlegtes handeln gefährde, so will ich doch versuchen zu tun, was ihr mir sagt. Denn ich vertraue eurer Erfahrung mittlerweile mehr, als meinen eigenen Instinkten!“
Beim Reden hatte sie sich immer wieder einzelnen Kämpfern zu gewandt, aber in keinem Gesicht hatte sie erkennen können, was man von ihr hielt. Die Rede hatte Catyua erschöpft, sie war nie ein Freund von großen Worten gewesen und sie hatte keine Ahnung, wie darauf reagiert würde. Mit herab hängenden Schultern stand sie da und wartete auf das Urteil. Dass sie gekommen waren, nur weil sie sie mochten konnte nicht sein, denn erstens hatte sie gemerkt, dass sie beizeiten eine Last für die erfahrenen Kämpfer war und zweitens kannte sie niemand und keiner kannte Catyua. Drittens … drittens hätte sie das wahrscheinlich auch nicht getan. Aber … hätte sie es wirklich nicht getan?
Rutaara blickte das Mädchen mit einer Mischung aus Erheiterung und Mitleid an. Sie trat neben Catyua, legte den Arm um deren Schulter und sagte:
„Mach die jetzt keine Gedanken darüber. Keiner von uns ist unfehlbar und auch wir haben uns mit einigen unüberlegten Handlungen in Gefahr gebracht.“
Rutaara deutete bei diesen Worten erst auf sich selbst, dann auf Assasina die ihr einen vernichtenden Blick zu warf. Doch Rutaara beachtete sie nicht weiter, zog Catyua mit sich und redete – während die Gruppe, geschützt durch Cedriks Spiegelmagie, weiterging – weiter auf das Mädchen ein.
„Weißt du, auch ich habe einmal einen schlimmen Fehler gemacht“, platzte es aus ihr heraus und Lyrael der neben ihr lief, spitzte bei diesen Worten die Ohren. „Vor langer Zeit hielt ich mich für stark genug, Votan allein gegenüber zu treten. An meiner Seite war mein Verlobter, obwohl ich ihm befohlen und auch gebeten hatte, zurück zu bleiben!“ Tränen der Schuld und Verzweiflung liefen nun Rutaara bei diesen Worten über die Wangen. „Wir kämpften lange und verbissen. Mein Liebster war ein grandioser Schwertkämpfer und setzte Votans Armee schwer zu. Doch in einem unachtsamen Moment meinerseits schleuderte Votan einen Zauber auf ihn. Das Ergebnis läuft hier neben uns!“ Rutaara zeigte auf Lyrael, der sie beide angespannt beobachtet hatte.
Assasina, die wenige Schritte hinter Rutaara und Catyua gegangen war, hörte beiden mit gespitzten Ohren zu. Obwohl sie alles selbst sogar gesehen und miterlebt hatte, war es noch schlimmer, es aus Rutaaras Mund zu hören, wodurch man ihre Gefühle beinahe zu spüren glaubte. Assasina konnte es nicht sehen, aber an der Art, wie Rutaara sprach hörte sie, dass diese weinte. Sie warf einen Blick zu Lyrael. So angespannt hatte sie ihn noch nie gesehen. Als würde er ihren Blick spüren, wandte er sich ihr zu.
Es tut mir leid! Flüsterte Assasina. Wenn er ein verzauberter Elb war, würde er sie schon verstehen. Und wenn nicht – auch egal.
Assasinas Blick glitt zu dem Zauberer. Wenn er sich nicht auf seine Magie hätte konzentrieren müssen, hätte sie ihm schon längst eine verpasst. Was bildete er sich eigentlich ein, so mit ihr zu reden? Dann jedoch wandte sie ihre Aufmerksamkeit den beiden Frauen vor ihr zu.
„Catyua!“
Die Albin wandte sich um und auch die Elbe sah zurück.
„Ich wollte dir nur sagen, dass ich weiß, dass du Votan nichts gesagt hast. Du brauchst dir also keine Gedanken machen, dass jemand denken könnte, du hättest uns verraten.“ Assasina sprach so laut, dass auch die anderen hören konnten, doch nun senkte sie die Stimme wieder ein wenig, dass nur noch die beiden Frauen vor ihr es hörten. „Wenn Votan etwas von dir erfahren hätte, wärst du schon tot. Aber was mich wundert und das passt so gar nicht zu ihm, du weist keinerlei Spuren von Folter oder Verletzungen auf. Das passt nicht zu ihm!“
Assasina runzelte die Stirn, während sie im Gedanken versunken weiter ging.
Durch seine Konzentration hatte Cedrik alle störenden Momente seines Umfeldes ausgesperrt. Doch von irgendwoher spürte er eine Störung. Er blieb stehen und hob die rechte Hand. Er zuckte zusammen, als jemand gegen ihn lief. Ohne sich umzudrehen, zischte er leise:
„Wartet! Vor uns ist jemand. Die Störung ist massiv. Wir warten etwas, dann gehen wir weiter!“
Es dauerte nicht lange, marschierten keine zwanzig Schritte vor der Gruppe Soldaten, von einem Seitengang her kommend vorbei. Cedrik befürchtete, dass ihm die Tätowierte sicher den Vorwurf der Feigheit machen würde, doch er fand es zwar besser, er brachte die Gruppe unbeschadet nach draußen, wo man bei einem Kampf mehr Platz hatte. Und dort konnte er zeigen, dass er nicht feige, sondern nur vorsichtig war. Cedrik konnte nicht sagen, warum ihm soviel an der Meinung dieser hochnäsigen Kämpferin lag. Kurz dachte er an das befreite Mädchen. Er fand sie sympathisch, auch wenn sie ihm bereits mehrmals die kalte Schulter gezeigt hatte.
Es war wieder Stille eingetreten und Cedrik ließ seine Hand sinken. Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Weit im Unterbewusstsein fühlte er beginnende Kopfschmerzen. Er musste ja nicht nur einen leeren Gang spiegeln, sondern außerdem auch noch die laut klappernden Hufe der Pferde und das Stampfen der Füße seiner Gruppe verschleiern. Denn es wäre schon fatal, wenn versteckte Späher melden, dass in einem sichtbar leeren Korridor laute Geräusche zu hören waren. Dann würden sie nie die Burg verlassen können. Und in diesem engen Gang hätte der Feind leichtes Spiel. Cedrik konnte nur hoffen, dass sie das Ende dieses Geheimgangs bald erreicht hatten.
Rutaaras Offenbarung hatte Catyua sichtlich geschockt. Die Tatsache, nicht neben einem Wolf sondern einem Elb zu laufen, war ihr doch befremdlich. Warum erzählte ihr die Elbin das? Doch egal, sie war heilfroh, dass sie bleiben konnte. Sogar Assasina akzeptierte sie noch, aber auch ihr war Catyua eine Erklärung schuldig.
„Ich musste Votan nicht gegenüber stehen. Ich habe wohl ziemliches Glück gehabt, er war nicht einmal bei mir. Nur ein Soldat – ein Mensch – glaube ich!“ Assasina schien bei diesen Worten erleichtert aufzuatmen. Catyua überlegte, ob alle sie so wohlwollend wieder aufnahmen wie Elfe und Elbin. Was der Zauberer von ihr hielt und sie von ihm, das wusste Catyua noch nicht so genau. Sie hatte bei Rutaaras Erzählung deren Hand genommen und gedrückt, was für beide Trost gewesen zu sein schien. Doch jetzt zog die Elbin ihre Hand zurück, ließ den Arm jedoch vorerst um ihre Schultern liegen.
Nach dem von Cedrik befohlenen Stopp liefen sie nun weiter. Das Mädchen versuchte dem Zauberer seine Arbeit zu erleichtern und bewegte sich beinahe lautlos durch den Gang. Die Nähe der Elbin mit ihrem Wolf – oder Verlobten, Catyua erschauerte bei diesem Gedanken – hatte ihr geholfen, sich wieder zu fangen. Jetzt hatte sie sich besser unter Kontrolle.
Es war ein wahres Labyrinth aus Tunneln im Gewölbe, durch das sie sich momentan bewegten und Catyua hoffte nur, dass Cedrik den rechten Weg kannte oder fand und sie sich alle nicht verliefen.Durch sie, Catyua, waren alle von ihrem Auftrag abgelenkt worden, auf den sie sich nun wieder konzentrierten. Bis jetzt hatten sie das Glück, nicht angegriffen worden zu sein.
Cedrik spürte das Nachlassen seiner Kräfte. So lange und intensiv hatte er noch nie seine mentalen Kräfte einsetzen müssen. Er war froh, als weit vor ihnen Tageslicht das Ende des Ganges ankündigte.
Wieder hielt er die Hand in die Höhe und wieder rammte jemand gegen ihn. Kurz verdrehte Cedrik die Augen. Doch dann sah er schnell zu seinem flackernden Kristall am Stab. Dessen Kraftpotential kam ja zum Teil aus Cedriks Magie. Und durch die eben verwendete Doppelbelastung war diese Menge doppelt so schnell aufgebraucht worden.
Cedrik ging die wenigen Schritte bis zum Ausgang des Geheimganges vor und sah vorsichtig hinaus. Draußen sah er einen leeren Hof mit einem mehr oder weniger vergammelten Brunnen. Neben diesem befand sich ein Eisenkäfig, der aber jetzt leer war und grobes Steinpflaster. Derzeit schienen sie die Einzigen zu sein, die hier waren. Cedrik löschte die Steinmagie und winkte seinen Gefährten nach draußen. Eines der Pferde schien so wie die zweibeinigen Kämpfer froh zu sein, endlich wieder frische Luft zu atmen, denn es drängte sich an Sternenlicht vorbei. Doch Sternenlicht ließ sich das nicht gerne gefallen und das Pferd musste sich einen Biss in die Hinterbacken gefallen lassen.
Kaum waren alle draußen, steckte Cedrik den Stab zurück in die schützende Hülle und – wunderte sich, warum es plötzlich dunkel wurde.
Die gewaltige Anstrengung forderte ihren Tribut und außer Sternenlicht, der sich dicht an ihn drückte, merkte keiner der anderen wie Cedrik zu Boden stürzte. Mit einem der Hufe berührte das Einhorn den bewusstlosen Cedrik, der wie ein Haufen Lumpen am Boden lag. Seine Stirn hatte sich mit Schweiß bedeckt und – obwohl er bewusstlos war – seine Zähne schlugen einen harten Stakkato. Er zitterte, als würde heftiges Fieber ihn in den Krallen halten. Die nachfolgende Schwäche nach dieser Anstrengung hatte Cedrik fest im Griff. Kurz sah Sternenlicht zu dem Gangende, doch dann berührte er Cedrik erneut mit dem Huf. Doch Cedriks Kraft war am Ende.
Pere, Dubin und Messino ließen sich, kaum aus dem Gang heraus, neben dem verfallenen Brunnen nieder, kramten in ihren Taschen und zogen jeweils einen Streifen Dörrfleisch heraus. Der Zauber der Wandgestaltung war erschöpfend gewesen, sie mussten sich ausruhen.
Messino blickte sich unruhig auf dem Hof um, denn er erwartete einen Hinterhalt. Dass Cedrik und sein Pferd nicht mit hinaus gekommen waren, fiel ihm dabei erst so richtig auf.
„Verdammter Mist!“, rief er und sprang auf. „Wo ist der junge Magier?“
Rutaara, die immer noch den Arm um Catyua hatte, fuhr zusammen und drehte sich Richtung Gang. Blitzschnell schoss sie darauf zu und hinein. Gleich hinter dem Eingang lag der bewusstlose Cedrik. Das Pferd stand bei ihm und schnaubte, als die Elbin herankam.
„Keine Angst, ich werde ihm nichts tun“, beruhigte Rutaara Sternenlicht und streckte die Hand nach den Nüstern aus, damit er ihre Absichten erkannte. Dann kniete sie neben dem Jungen nieder und untersuchte ihn kurz. Außer seinem Bewusstsein fehlte ihm scheinbar nichts. Gleich danach erhob sie sich und hob anschließend Cedrik hoch. Für einen jungen Mann war er erstaunlich leicht und so konnte sie ihn ohne große Mühe ins Freie bringen.
Langsam nur kam Cedrik wieder zu sich. In seinen Eingeweiden bohrte der Hunger. Er sah sich um und runzelte die Stirn. War er – ohne es zu merken – doch nach draußen gekommen? Ein Magenkrampf zwang ihn sich zu krümmen. Es wurde höchste Zeit, dass er seinen Energieverlust endlich wieder regelte.
Cedrik setzte sich auf und fuhr sich sofort stöhnend an die Stirn. Darin gaben sich ein ganzes Armeechor von Riesen und Zwergen ein Stell-dich-ein. Und sie bekämpften sich.
Langsam wurde der Schmerz besser und Cedrik zog sich schließlich an Sternenlichts Schwanz hoch. Er entschuldigte sich sofort bei diesem, denn er hatte den vorwurfsvollen Blick gesehen, den ihm das Einhorn zugeworfen hatte.
Cedriks Hand griff in den an der Seite des Sattels hängenden Sack, kramte darin etwas herum und atmete einen weiteren Hungerkrampf weg. Dann spürten seine tastenden Finger das Stück halb harte Brot und den Kräuterbeutel, den er darin verstaut hatte. Cedrik nahm das Brot heraus und auch den Beutel. Aus dem Beutel holte er einige spitze, schmale und leicht behaarte Blätter und biss nun rasch vom Brot ab. Dann steckte er zwei der Blätter hinten nach und verzog das Gesicht, als der bittere Saft der Wegerichblätter seine Geschmacksnerven berührte. Die Blätter waren nicht besonders gut sondern bitter und man merkte ihnen die Härchen an, doch sie nahmen mit dem Brot den ärgsten Hunger. Und sie spendeten wieder etwas Energie. Irgendwo und irgendwann würde Cedrik dann schon wieder ein Kaninchen erwischen. Oder in einem Garten eventuell Äpfel. Wo ein solcher Garten allerdings sein sollte, darüber wollte er jetzt nicht unbedingt nachdenken.
Cedriks Blick schweifte, während er seinem kargen Mahl zusprach, über seine Mitstreiter. Sein Blick traf sich mit dem des Mädchens, das sie vorhin befreit hatten und mit dem Blick jener, deren Wolfsgefährte sie nicht aus den Augen ließ, zusammen.
Cedriks Hand blieb auf halben Weg zum Mund in der Luft hängen und er ahnte plötzlich, wie er aus dem Tunnel gekommen war. Ein schüchternes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er dankend den Kopf neigte. Dann jedoch biss er voll Vergnügen in das rasant schrumpfende Brotstück.
Es dauerte nicht lange, so hatte er seine Mahlzeit beendet und spürte, wie wieder etwas Kraft in ihn zurück strömte. Langsam stand er auf, steckte den Kräuterbeutel wieder zurück und strich sich eine seiner Locken aus der Stirn. Seinetwegen könnten sie wieder ihrer Aufgabe nachkommen.
„Satt, Magier?“ Assasina stand hinter dem Jungen, der sich erschrocken zu ihr umwandte, hatte die Arme verschränkt und lehnte an seinem Pferd, das sich das offensichtlich gefallen ließ. Ihr Blick traf kurz den Rutaaras, deren Mundwinkel sich ebenfalls amüsiert nach oben verzogen hatten. „Das nächste Mal, wenn du für uns zauberst, solltest du daran denken, dass auch deine Kraft ihre Grenzen hat. Mir ist lieber, wenn du Schwäche zeigst als wenn wir befürchten müssen, dass du tot bist. Leichen in der Gegend herum zu schleppen ist eine Last, Magier! So wie verletzte Personen und du scheinst ja ein Gegner zu sein, Lasten herum zu tragen!“
Assasinas Blick huschte kurz zu Catyua und zwinkerte ihr zu, um ihr zu zeigen, dass sie nichts böses gegen sie gesagt hatte.
Cedrik wurde rasend schnell rot. Ob aus Wut oder Scham wusste Assasina nicht. Sie löste die Arme aus der Verschränkung und machte einen Schritt auf den Jungen zu.
„Hör zu Junge!“ Sie stand nun direkt vor Cedrik und flüsterte ihm ins Ohr, dass niemand von den anderen etwas mithören konnte. „Die meisten hier vertrauen dir nicht. Das ist auch verständlich. Aber du verdienst nicht mehr von ihrem Vertrauen, wenn du hier den Helden spielst. Das ist jetzt weder eine Drohung noch ein Befehl. Nur ein gut gemeinter Rat! Nimm ihn an oder lass es bleiben, es liegt bei dir!“ Mit diesen Worten wandte sie sich von Cedrik ab, warf ihm aber noch einen letzten amüsierten blick zu, der ihm sagte, dass sie es trotz allem ernst meinte. Nun sagte Assasina wieder laut, dass auch die anderen es hören und verstehen konnten:
„Ich denke, wir benötigen einen Wegweiser zum Prinzen!“
Cedrik kam sich wie ein gescholtenes Kind vor. Aber die Tätowierte hatte recht, mit dem was sie gesagt hatte. Er hätte daran denken müssen, dass er vorher etwas aß, nicht hinterher sich für eine kurze Bewusstlosigkeit niederlegte. Er senkte die Augen und dachte daran, dass er noch viel zu lernen hatte. Und er dachte daran, dass sein Ziehvater und Meister ihm zwar Magietechniken beigebracht hatte, aber das grundlegende Drumherum nicht. So zum Beispiel, dass er nicht unbegrenzte Energie zur Verfügung hatte. Oder aber Cedrik hatte wieder nicht besonders gut hin gehört. Kurz überlegte Cedrik, ob er sich entschuldigen sollte, doch dann ging ihm auf, dass er sich damit bloß lächerlich machen würde. Aber er könnte etwas von dem Honigwasser trinken, das er in seinem Reisesack am Sattel verstaut hatte. Also holte er rasch die Flasche hervor, trank vier Schluck davon und steckte die Flasche wieder weg.
Seine Augen folgten dabei der Tätowierten und er nickte unbewusst, als sie sagte: 'Ich denke, wir brauchen einen Wegweiser zum Prinzen!'
„Und wo sollen wir einen Wegweiser her bekommen?“, fragte die Elbin misstrauisch. „Ich bin eher dafür, dass wir den nächstbesten, der unseren Weg kreuzt, gefangen nehmen und verhören! Auf gut Glück nach Votan suchen bringt ja doch nichts!“
Assasina nickte und ihr Gesicht verzog sich spöttisch.
„Jaa! Votan bringt uns ja sehr viel, wenn wir zum Prinzen wollen. Glaubst du, wenn wir Votan haben, wird er mit uns eine Tasse Tee trinken und uns wegen unserer lieblichen Mienen sagen, wo der Prinz ist?“ Assasina schnaubte verächtlich. „Rutaara ich verstehe deinen Hass gegen Votan, aber das ist dein persönlicher Kreuzzug mit dem wir nicht wirklich etwas zu tun haben. Wenn Votan unseren Weg kreuzt, werde ich die Letzte sein die dich davon abhält ihn zu töten. Aber Votan ist nicht unsere Aufgabe, sondern der Prinz und seine Frau und ihn zu finden, damit diese Sachen hier ein für allemal geklärt werden können!“ Assasina ging nachdenklich im Hof auf und ab, kaute an ihrer Unterlippe und dachte laut vor sich hin.
„Jemanden nach dem Weg zu fragen, ist im Prinzip nicht so dumm, aber es werden nicht alle wissen, wo der Prinz ist. Auf jeden Fall ist er nicht im Verlies. Im alten Thronsaal ist er nicht, dort waren wir ja schon. Im neuen Thronsaal wird er auch nicht sein. Der wird vermutlich als Quartier für die Obersten herhalten müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in seinen Gemächern ist, dann würden wir ihn nicht suchen müssen! Und es sind dort zu viele Fenster, durch die er …! Dann bleiben nur noch die Kammern, aber da wird wohl kaum ein Königssohn aufbewahrt werden …!“ Assasina wirbelte herum und starrte Rutaara an. „Elbe! Im alten Thronsaal, wo die Spiegelschale stand, war dort etwas? Irgend etwas außer dem Tisch und dem Thron? Teppiche? Bilder? Wandbehänge? Wachstücher vor den Fenstern? Irgend eine Verzierung?“
Rutaara dachte kurz nach, holte sich den bildhaften Eindruck des Saales wieder vor ihr geistiges Auge und schüttelte dann mit zusammengezogenen Brauen den Kopf.
„Ich bin so dumm! Ich bin so dumm, dumm, dumm!“ rief Assasina erbost über sich selber und lief zu einem Ausgang des Hofs. Einige der Gruppe folgten ihr.
„He!“, hörte sie Agenor rufen, der zu ihr aufschloss. „Wo wollt Ihr hin?“
„Was soll das denn jetzt wieder sein?“, rief Rutaara erbost.
Assasina drehte sich im Laufen um zu den anderen.
„Wir gehen zum alten Thronsaal!“ Als sie die verwirrten Gesichter der Anderen sah, musste sie kurz grinsen, dann fügte sie hinzu: „Glaubt ihr wirklich, wir sind die einzigen, die über Magier verfügen, die Spiegel- und Tarnmagie beherrschen?“ Assasina konzentrierte sich wieder auf den Weg und rannte weiter.
Cedrik erstarrte. Was hatte sie jetzt wieder vor? Eben waren sie unter großer Gefahr, entdeckt zu werden, den Weg hier heraus gegangen, jetzt sollten sie den umgekehrten Weg gehen? Cedrik seufzte. Er nickte Sternenlicht zu und schwang sich auf dessen Rücken. Dann beugte er sich tief über Sternenlichts Hals und legte seine rechte Hand an den Hals des Einhorns.
„Spürst du irgendwo Gefahr?“, flüsterte Cedrik leise in Sternenlichts Ohr. Das Einhorn schüttelte den Kopf, dass die dunklen Haare flogen. Cedrik nickte und folgte – wieder einmal als Schlusslicht. Dass dieses Wesen aber auch immer so unglaublich eigensinnig und achtlos jedweder Gefahr gegenüber war! Dass sie tapfer war, das wusste Cedrik inzwischen und dass die Anderen auch darauf brannten, ihren Teil an der Befreiung des Prinzenpaares beizutragen. Aber dass sie ohne auch nur eine Spur von Vorsicht gleich los preschte, gefiel ihm überhaupt nicht. Er hatte immer noch ihre4 belustigte Stimme im Ohr, die ihm erklärte, dass sie 200 Jahre älter sei als er. Dies mag wohl stimmen, doch im agieren war sie eher wie ein kleines Kind.
'Muss wohl an ihrer Wesensart liegen' dachte Cedrik, während er hinter dem letzten, gerade noch sichtbaren Hinterteil hinterher ritt.
Agenor hatte verstanden und er und seine Männer rannten nun etwas schneller. Sie konnten sicher so wie er selbst Assasina fluchen hören. Agenor schloss zu seinen Männern auf, denn als Kommandant sollte er nicht das Schlusslicht, sondern den Anfang machen. Es war nicht mehr weit zum alten Thronsaal zurück …
Catyua kam das alles mehr und mehr wie ein Spiel vor. Ein Spiel, das von höheren Mächten als den ihren beherrscht und gelenkt wurde. Sie liefen von einem Raum zum anderen, ohne zu wissen wonach sie suchten. Sie konnte Assasina verstehen und wahrscheinlich hatte sie auch recht, wenn sie sagte dass Prinz und Gemahlin durch Magie versteckt wurden, aber waren die Dämonen nicht zahlreicher und somit mächtiger als sie in dieser kleinen und erschöpften Gruppe?
Doch egal, das Mädchen lief einfach brav hinterher. Sie wollte den Auftrag zu ende bringen, ohne sich und die anderen noch einmal zu gefährden.
Catyua hatte ihre Orientierung vollkommen verloren, sie hatte nicht einmal bemerkt, dass sie wieder alle im Thronsaal standen. Sie blieb erst stehen, als auch die anderen plötzlich anhielten und sie gegen einen Rücken lief. Jeder der Magie beherrschte, suchte nun nach einer magischen Spur in diesem Raum.
Catyua ging vorsichtig an den Wänden entlang. Was, wenn sie nun angegriffen wurden? Rutaara, die Zwerge und Cedrik konzentrierten sich nur auf ihre Magie und sie waren darum bestimmt nicht sofort in der Lage zu kämpfen, wenn ein Angriff erfolgen sollte.
Seufzend stellte sich die Albin neben eine der vielen Türen. In kleinen Schritten lief sie davor auf und ab, immer die Wand entlang. Dabei unterzog sie diese einer genaueren Überprüfung. Man musste Magie doch auch ohne magische Fähigkeiten entdecken können!
Da Catyua sich nur auf die Wand und auch nebenbei auf die anderen Wandteile konzentrierte, fiel ihr nicht auf, dass direkt über ihrem Kopf etwas anders war. Eine verschnörkelte Borte wand sich an der Wand durch den gesamten Raum – etwas über Augenhöhe - dessen weinrote Farbe war schwärzer als anderswo. Ein Kribbeln durchfuhr sie manchmal. Hier stimmte etwas nicht. Es war wie das Gefühl, das sie schon einmal verspürte, bevor ihre Gefährten durch die Wand in ihr Verlies gekommen waren. Ein paar Schritte weiter – verschwand es.
Catyua kehrte um, da war es wieder zu spüren. Sie konnte sich also nicht getäuscht haben.
„Assasina!“, rief Catyua leise, um die anderen in ihrer Konzentration nicht zu stören. Hier ist etwas anders! Es fühlt sich ganz komisch an!“
Obwohl Assasina Catyua erst einen skeptischen, dann jedoch einen belustigten blick zuwarf, kam sie doch zu dem Mädchen hin.
Im alten Thronsaal waren 6 Türen und jeweils zwei Krieger Agenors standen vor einer dieser Eingänge. Wenn einige Wachen kommen sollten, konnten sie an diesen Stellen von Agenors Männer „beschäftigt“ werden.
Agenor selbst sah mit ernstem Blick seine Männer an, jeden einzelnen und durchquerte den Raum um schließlich vor dem jungen Albenmädchen Catyua stehen zu bleiben. Er merkte, dass sie anscheinend etwas gefunden hatte, denn sie rief leise Assasina, die Elfe zu sich und besprach etwas mit dieser. Doch dann schenkte er den beiden Frauen keine weitere Beachtung mehr, entfernte sich wieder von ihnen und sein Blick wurde nachdenklich. Agenor schaute zu den Türen und hoffte, dass sie keinen unerwünschten Besuch bekamen.
Inzwischen war Assasina zu Catyua getreten und ihr Blick war so spöttisch wie eh und je.
„Was gibt es? Hast du etwas gefunden?“
Catyuas Gesicht hatte einen erschrockenen Ausdruck angenommen. Furcht, Schrecken aber auch Vorsicht spiegelte sich darin. Ehe sie etwas erwidern konnte, war Assasina dem Blick Catyuas gefolgt und dieser wurde nun starr. Es breitete sich eine seltsame Kälte im Raum aus, der nicht nur die Körper ergriff, sondern bis in die Seelen drang.
„Er ist hier!“, flüsterte Assasina mit erbleichtem Gesicht so leise, dass Catyua sie kaum verstand. Doch sie begriff diese beinahe lautlos hervor gestoßenen Worte sofort und auch Catyua spürte nicht nur diese Kälte, sonder auch grimmige Furcht.
„Aufhören!“, rief Assasina laut. „Stoppt den Magiefluss!“
Rutaara, die Zwerge und auch Cedrik öffneten die Augen und warfen ihr einen genervten Blick zu.
„Was ist jetzt schon wieder?“, keifte Rutaara und wollte schon ihren Zauber wieder aufnehmen, als sie der Gesichtsausdruck von Catyua und auch von Assasina innehalten ließ. Sie begann zu verstehen, ebenso erging es den anderen. Die Kälte hatte noch etwas zugenommen und es war wie ein unhörbarer Befehl, sodass alle ihre Waffen ergriffen.
„Zeigt euch!“, rief Assasina in die eingetretene Stille hinein und drehte sich um die eigene Achse, während ihre Augen durch den Raum huschten. „Kommt raus, ihr Feiglinge und kämpft wie echte Krieger!“
Doch nichts geschah. Nun blieb Assasina nur noch eine Option, sie musste in der Sprache von Ond-Ande sprechen. Und alle würden wissen, dass sie dort gelebt hatte, was zu Folge haben könnten, dass das winzige Vertrauen zu ihr welches sich bisher aufgebaut hatte, für immer dahin war. Aber lieber kein Vertrauen, als tot!
„Strida mot du dalig barn nago orm!“
Assasinas Stimme hallte wie eine eherne Glocke durch den Saal und ihren Worten folgte … Stille aber auch die verblüfften Blicke der anderen, die sie aus geweiteten Augen ansahen.
Plötzlich begann sich die Borte zu bewegen und der bisher graue Raum bekam Farbe. Jetzt waren sie nicht mehr allein! Jetzt waren sie umzingelt von Dämonen, Andeas und – Votan!
Votan
Catyua fragte sich, wie Assasina das geschafft hatte, als deren laute Stimme sie erstarren ließ. Grausame Worte in einer ebensolchen Sprache erschallten wie Glockenschläge und die Dämonen erschienen.
Catyua erkannte Votan wieder und ein Schauder durchfuhr sie. Sie betete, dass Rutaara sich nicht gleich auf ihn stürzen würde, denn sie hatte Angst, wahrscheinlich unbegründet, um diese und den ehemaligen Elben Lyrael, der natürlich mitkämpfen würde.
Die Dämonen hatten einen Kreis um die Gruppe gezogen, die sich im Mittelpunkt dieses Kreises nun befand. Rutaara, Assasina, Cedrik, die Zwerge und auch sie selbst waren nur wenige Schritte von einander entfernt. Nur Agenor, der mit seinen Männern vor den Türen wieder Stellung bezogen hatte, war nicht in diesem Kreis.
Mit einem lauten Kampfschrei stürzte einer der Zwerge nach vorne – Catyua hatte sie noch nie von einander unterscheiden können – gefolgt von seinen Brüdern. Cedrik und schließlich auch Catyua stürzten sich ins Getümmel. Aber auch Rutaara, Assasina und auch Lyrael befanden sich einer Übermacht von Dämonen gegenüber. Agenor und seine Männer griffen von außerhalb des Kreises an und durchstießen schließlich den Ring. Das Albenmädchen verließ sich in diesem Kampf voll und ganz auf ihre Instinkte. Sie schaffte es meistens, den meisten der Angriffe auszuweichen. Angriffe, die für die Angreifer meist tödlich endeten.
Eine Stimme ließ die Kämpfenden dann jedoch plötzlich innehalten.
Rutaara zischte, als sie Votan erblickte und Lyrael ging zähnefletschend in Kampfhaltung. Sie waren von mehreren Dämonen umzingelt und Rutaara hielt sie sich mit Breitschwert und Dolch vom Leibe. Lyrael hatte die Wut gepackt und ohne auf sich selbst zu achten zerriss er jeden Feind, der ihm zu nahe kam in Stücke.
Rücken an Rücken kämpfte die bereits angeschlagene Gruppe, bis alle erstarrten auch ihr Gegner, denn eine hallende Stimme ertönte.
Cedrik griff zu seinem Stab mit dem Ambarinkristall und zog ihn aus dem Futteral. Anschließend ergriff er seine anderen Waffen und prüfte, ob er auch wirklich schnell an sie heran kam. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals. Er wusste nicht, ob aus Furcht oder einfach, weil es jetzt endlich zur Entscheidung kam. Es war schon lange fällig.
Mit einem leisen Gurrlaut schickte er Sternenlicht aus seiner unmittelbaren Nähe. Damit hatte er Platz, sich zu rühren und Sternenlicht konnte ebenfalls seinen Beitrag liefern. Die anderen würden dann wohl erkennen, dass er kein normales Pferd war, aber dieses Risiko ging Cedrik gerne ein.
Er nahm den Stab in beide Hände, so dass der Kristall nach links zeigte, dann steckte er den rechten Zeigefinger unterhalb des Stabes hin. Im richtigen Moment konnte er so den Stab nach oben drehen und den Rest würde der Kristall erledigen.
Da fiel sein Blick auf jenen Mörder, der ein ganzes Dorf ausgerottet hatte und dem wahrscheinlich auch Cedriks Eltern zum Opfer gefallen waren. Mit einem lauten Kampfschrei stürzte Cedrik nach vorne, doch ein Dämon stellte sich ihm in den Weg. Cedrik fackelte nicht lange, sondern kippte den Stab und durchbohrte den Erstaunten. Sogleich riss Cedrik den Stab wieder heraus und wandte sich dem nächsten zu.
Aus dem Augenwinkel sah er die anderen mitten im Kampfgetümmel. Auch Sternenlicht mischte mit. Als ihm einer der Angreifer zu nahe kam, senkte er den Kopf und das magisch versteckte Horn berührte diesen. Sofort erstarrte er und brach gleich darauf zusammen. Doch so sehr Cedrik auch im Kampf verwachsen war, es fiel ihm doch auf, dass der Rädelsführer sich zurück gezogen hatte und weiter hinten dem Getümmel zusah.
Cedrik fühlte in sich eine große Portion Wut aufsteigen, als er das merkte. Er wollte sich durch kämpfen, doch wo einer der Angreifer fiel, standen zwei andere sofort auf dessen Platz.
Assasina war gerade dabei, ein Paar ihrer Dolche aus den Gegnern zu ziehen, während sie sich die anderen mit Händen und Füßen vom Leib hielt. Nebenbei beobachtete sie ihre Mitstreiter. Das beste Bild konnte man sich über einen Krieger machen, wenn man ihn im Kampf beobachtete.
Aus irgendeinem Grund kämpften alle in Richtung Votan und versuchten zu ihm vor zu dringen. Alle – ausser Assasina, die genau in die entgegen gesetzte Richtung zu kämpfen versuchte, was sie von den anderen weg zog. Vielleicht würde sie ihm ja nicht auffallen. Sie hatte gerade einen Dämon die Rippen gebrochen und wollte sich einem anderen zuwenden, als sie eine laute Stimme inne halten ließ.
Agenor und seine Krieger durchbrachen den feindlichen Kreis der Dämonen. Einige der Krieger wechselten von Schwert zu Pfeil und Bogen, denn so konnten sie die treffen, welche weiter entfernt standen. Agenor tat es seinen Männern gleich und versuchte, die Feinde seiner Gefährten, die ihn und diese bedrohten, auszuschalten.
Catyua verstand nicht, was gesagt worden war, ebenso wenig wie wahrscheinlich die meisten der anderen, aber Assasina blickte erschrocken auf. Die Dämonen zogen sich inzwischen etwas zurück und scharten sich um ihren Herrn, um Votan. Aus Unaufmerksamkeit stach einer von ihnen mit seiner Klaue nach der Albin, doch bevor er sie tödlich hätte verletzen können, stürzte er mit einem dumpfen Laut zu Boden und Cedrik stand an seiner Stelle.
Geschockt sah Catyua ihn an.
„Du hast …!“ Sie stockte, da ihr einfiel, dass er viel Wert auf Umgangsformen legte. „Danke. Ihr habt mein Leben gerettet!“ Sie lächelte ihn dankbar an.
Der Zauberer nickte kurz und erst jetzt fiel dem Mädchen auf, dass sie einen heftig zu brennen beginnenden Schnitt an ihrem Arm hatte. Er war nicht sehr tief,doch er blutete stark und so presste sie ihre Hand darauf. Sie würde nicht kämpfen können, wenn sie Blut verlor. Sie war eigentlich während dieser Schlacht noch nie so richtig auf der Höhe gewesen. Deshalb zog sie ein Stück Moos aus einer Falte ihres sehr in Mitleidenschaft gezogenen Umhangs und presste es auf die Wunde. Ohne diesen Umhang hätte sie besser kämpfen können, doch er hatte einst ihrem Meister gehört und so mochte sie sich nicht davon trennen.
Die Blutung war vorerst gestillt, jetzt zog sie ein dickes, weiches und sehr langes Blatt aus dem Umhang und band es um den Arm. Nach dieser notdürftigen Versorgung wandte sie sich zusammen mit den anderen Votan und seinen Dämonen zu. Assasina stand ganz allein mit bleichem Gesicht am anderen Ende des Raumes. Catyua fragte sich, wer etwas und vor allem was gesagt worden war, das die erfahrene Kämpferin so sehr erschreckt hatte.
Assasina stand regungslos da, während sie verarbeitet, was sie gerade gehört hatte. Die Gefährten starrten sie fragend an, denn die Dämonen waren zu Votan zurück gewichen. Das Unwissen machte ihnen Angst. Assasina konnte es sehen. Aber sie brauchten keine Angst zu haben … sie nicht!
„Soll ich es in ihrer Sprache wiederholen?“ Votans Stimme hallte durch den Raum und in Assasinas Kopf wider wie eine Droge. Er redete in der vereinten Sprache, der Sprache aller Völker.
Tro inte en dag mog de! Knurrte Assasina und schleuderte wutentbrannt und verzweifelt einen Dolch in Votans Richtung. Sie hätte Votan sicher auch getroffen, wäre nicht ein anderer Dämon vor ihn gesprungen und hätte das Geschoß abgefangen. Tot sackte er vor Votans Füßen zusammen.
„Es ist praktisch, wenn man sein eigenes Hündchen hat, nicht wahr?“ Votans Worte richteten sich an Rutaara, dieser stieg zornige Röte ins Gesicht. Als sie losstürmen wollte, hielt sie Assasina zurück.
„Nicht Freundin!“ rief Assasina ihr auf Elbisch zu, was die Dunkle zum stutzen brachte.
„Nicht Freundin“ , äffte Votan nach, aber Assasina versuchte ihn zu ignorieren.
„Was willst du?“ fragte ihn Assasina etwas bissig. Doch man konnte hören, dass sie immer noch so etwas wie Angst hatte.
„Spielen!“ sagte Votan mit einem grauenhaften Grinsen. Und dann schrie er:
„DODA DE!“
Die Szene, die seit er das erste mal gesprochen hatte, still zu stehen schien, erlangte plötzlich wieder Bewegung. Die Dämonen stürzten los, ohne Ordnung oder System und schon nach wenigen Minuten war der ganze Saal ein unüberschaubares Schlachtfeld. Jeder kämpfte in einer anderen Ecke und musste mit seinen eigenen Gegnern fertig werden.
Cedrik hatte alle Hände voll zu tun. Er hatte gleichzeitig zwei der Dämonen die auf ihn eindrangen. Ein Messer hatte er durch einen fiesen Schlag auf seinen Arm verloren und nun konnte er ihm nicht nachspüren, denn es wurde weiter und weiter von ihm durch die stampfenden Füße getreten. Einer der Dämonen, mit dem er rang, schlitzte ihm die Schulter. Trotz seiner Rüstung drang die Klaue in sein Fleisch. Das Metall der Rüstung war wie Papier durchstoßen worden. Doch Cedrik hatte keine Zeit sich mit dem Blut, das ihm am Arm herunter lief, aufzuhalten. Er stieß mit dem Stab gegen einen seiner Angreifer und durchstieß dessen Brust. Mit einem wilden Schrei fiel der Dämon zu Boden, doch riss er im Fall den Stab aus Cedriks Hand. Sofort griff dieser nach und konnte im letzten Moment den Stab aus dem toten Angreifer ziehen und mit einer unerwartet schnellen Bewegung hielt er ihn sich über den Kopf, als der zweite eine Axt hoch riss, um diese Cedrik auf den Kopf zu schlagen.
Ein schriller Schmerz zuckte durch Cedriks Schulter und kurz wurde ihm schwindlig. Er konnte nicht sagen, ob das der Blutverlust oder das Gift auf den Dämonenklauen verursachte. Wahrscheinlich beides. Cedrik schien einen winzigen Moment unaufmerksam zu sein, denn der zweite Dämon, der immer noch wie eine Furie auf ihn eindrang, hatte seine Faust genau auf die Wunde in Cedriks Schulter geschlagen.
Cedriks Mund öffnete sich zu einem Schrei. Kurz wurde ihm schwarz vor Augen. Doch er wusste, wenn er jetzt dem Schmerz nach gab, würde er nie mehr erwachen. Also biss er die Zähne zusammen, dass es knirschte und blinzelte die Tränen von den Augen. Dann hob er wieder den Stab, doch nicht mehr so hoch und ohne die frühere Kraft und stieß sie dem Dämon mit dem anderen Ende in dessen Auge. Der Dämon heulte auf, griff sich an den Kopf und verschaffte Cedrik so eine kurze Atempause.
„Dieser Sohn einer tollwütigen Hündin!“ fluchte Rutaara. „Dafür bringe ich ihn um!“ Sie hatte jedoch keine Zeit sich nach Votan umzusehen, denn die Dämonen stürmten wieder vor.
Rutaara sammelte ihre Kraft und schickte ihr Heiliges Feuer los. Blaue Flammen schossen den Dämonen entgegen, die sofort zu brennen begannen. Doch das hielt diese nicht davon ab, weiter auf Rutaara einzudringen. Nun zog diese ihr Langschwert, ließ ihr blaues Elbenfeuer darüber fließen und so bewaffnet warf sie sich erneut ins Getümmel.
Lyrael war dicht bei ihr doch was die anderen nicht wussten, beherrschte er immer noch Gedankenzauberei. Er hatte ein Abbild seiner selbst erschaffen, das so perfekt war, dass es feste Körper annahm und die Dämonen angriff. Nun mussten die Dämonen mit ihr und zwei Wölfen fertig werden.
Auch die drei Zwergenbrüder sahen sich Dämonen gegenüber. Messino hatte Pere seine Schrotflinte gegeben, er selber hatte seine silberblättrige Axt in den Händen und Dubin schwang einen schweren Eisenhammer. Messino knurrte, während er auf den nächsten Dämon losging. Er schwang seine Axt über dem Kopf und hieb sie dem Feind mit voller Wucht in den Leib. Dieser ging in zwei Hälften zu Boden und verwandelte sich augenblicklich in Asche. Silber schien den Biestern gar nicht zu gefallen, denn nachdem die anderen Dämonen das Schicksal ihres Artgenossen sahen, versuchten sie der in der Luft singenden Axt zu entkommen.
„Leute!“, schrie er laut. „Silber! Sie scheinen Angst vor Silber zu haben!“
Dubin schrie zurück:
„Du Ochse! Woher soll ich Silber nehmen?“ Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, schlug er sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Dubin, Dubin“, brummelte er. „Du bist jetzt der Ochse. Hast du nicht noch das Silberschwert, das einst deinem Vater gehört hatte?“ Er fluchte nochmals leise und zog unter seinem Mantel ein Silberschwert hervor, das in der Hand eines Menschen, Elfen oder Elben wie ein Spielzeug ausgesehen hätte. Doch in Dubins Hand, der Jahrelang im geheimen die Schwertkunst erlernt hatte, war es eine äußerst tödliche Waffe.
Pere hatte bei den Worten seines ältesten Bruders in seine Westentasche gegriffen und kleine, runde Silberkügelchen heraus geholt, die er nun in die Schrotflinte stopfte.
„Nun denn“, sagte er leise. „Orrin möge mich meine Feinde nicht verfehlen lassen!“
Der Andeas erwischte Rutaara mit seiner Peitsche am linken Oberarm, sodass sie kurz vor Schmerzen zusammenzuckte und ihr Schild sinken ließ. Lyrael – der echte, denn sein Abbild war gerade damit beschäftigt, zwei kleine geflügelte Dämonen zu zerfleischen – sah dies, sprang den Andeas an die Brust und grub seine Zähne tief in dessen Arm. Der Andeas stand einen Moment verblüfft still, als plötzlich blaue Funken zwischen Lyraels Zähnen aufstoben. Der Wolf ließ den Arm los, sprang zurück und der Angreifer brach unter grellem Gekreische in Flammen aus.
„Bist du des Wahnsinns?“, brüllte die Elbin ihren Gefährten an. „Du weißt, es hätte dich genauso vernichten können!“
Doch ihr blieb keine Zeit sich mit ihm zu streiten, denn ein weiterer Gegner drosch bereits mit einem riesigen Schwert auf sie ein. Die Dunkle konnte sich gerade noch ducken, bevor er sie enthauptet hätte. Aus der Hocke heraus stieß Rutaara ihr Langschwert dem Feind in den Fuß, sodass dieser an den Boden genagelt wurde. Mit einem mörderischen Lächeln und einem boshaften Blick nahm sie ihren Dolch aus dem Gürtel, trat blitzschnell hinter ihn und trennte ihm den Kopf vom Rumpf.
Hatte Cedrik nun gedacht, er würde nun nur noch mit diesem einen kämpfen, sah er zu seinem Entsetzen, dass immer mehr der Angreifer in den Thronsaal strömten. Er wich kurz einem mörderischen Schlag mit einer Keule aus und spürte plötzlich unter seinen Füßen etwas hartes. Kurz dachte er an sein verloren gegangenes Schwert, bückte sich rasch, entging dadurch einem Hieb von einer Dämonenfaust und seine Finger ergriffen das Harte.
Als er seine Augen senkte erkannte er, dass er die Schale in der Hand hielt. Kurz runzelte er die Brauen und fragte sich, warum er dieses vorläufig nutzlose Ding aufgehoben hatte. Die Antwort wurde ihm gleich darauf gegeben, als er wieder von einem bereits verwundeten Angreifer ein weiteres Mal bedrängt wurde und zur gleichen Zeit ein kleinerer, vierkantig aussehender Angreifer begann, ihm das Leben schwer zu machen.
In dieser Situation nahm Cedrik die Schale wie einen Diskus in die Hand, doch so dass die Außenkante der Schale wie ein Messer durch die Luft zischte. Und so verhielt sich aber auch die Schale. Sie trennte mit einem Zug den beiden den Kopf vom Rumpf und sie zerfielen zu Staub. Angespornt durch diesen winzigen Erfolg versuchte Cedrik erneut einem der Angreifer das Leben zu nehmen. Auch dieser zerfiel, nachdem die Schale dessen unbedeckten Arm erwischt hatte. Doch damit war Cedriks Glück auch schon wieder zu Ende.
Ein harter Schlag eines anderen prellte ihm die Schale aus der Hand und ein Hieb mit dessen Schwert versetzte Cedrik eine Wunde auf seiner Schulter, eine zweite kleinere am Hals, wo ihn die Spitze geritzt hatte. Wäre Cedrik nicht zusammen gezuckt, als der Schmerz in der Schulter aufflammte, hätte ihm die Spitze des Dämonenschwertes sicher die Schlagader durchtrennt. So hatte diese kleine Bewegung genügt, nur die Haut zu ritzen. Doch auch so verlor er genug Blut.
Er sah sich kurz um nach Sternenlicht, aber da sich in dieser Situation jeder Fehler sofort rächte, erhielt er einen harten Schlag auf den Kopf, der ihm sofort Atem und Bewusstsein nahm.
Rutaara war langsam erschöpft und die Feinde wurden mehr und mehr. In all dem Chaos, das nach Votans feigem Verschieben der Zeit entstanden war, hatte sie die anderen aus den Augen verloren.
'Wie es wohl den anderen geht?' fragte sie sich, während sie einen Hieb eines Andeas parierte. Ihr linker Arm schmerzte immer noch von dem Peitschenhieb und so konnte sie ihr Schild nur notdürftig als Schutz verwenden. Der Angreifer grinste höhnisch, als er ihr wutentbranntes Gesicht sah – ein Fehler, denn damit heizte er Rutaaras Wut noch mehr an. Mit einem Schrei schleuderte diese ihm ihr Schild gegen den Kopf und eine Sekunde später hatte er ihr Langschwert zwischen den Rippen.
Mit einem Röcheln sank er zu Boden und erst da merkte die Elbin, dass ihr das Blut über die Hüfte lief. Der Andeas hatte es doch tatsächlich geschafft, ihr unbemerkt einen Dolch in die Seite zu rammen.
„Verdammt!“, zischte sie und presste eine Hand auf die Wunde. „Lyrael, schaffst du es mir diese Hunde für einen Moment vom Leib zu halten?“
Ihr Freund knurrte zur Bestätigung und ging an derb Seite seines Abbilds vor ihr in Stellung. Nun konnte Rutaara ihren Beutel vom Rücken nehmen und einige Leinenverbände und Kräuter heraus holen.
Sie zog ihre schwere Lederweste und das darunter verborgene Kettenhemd hoch. Der Dolch des Feindes war offenbar aus einem besonderen Metall gewesen, denn eigentlich hätte dieser das von den Zwergen geschmiedete Kettenhemd aus Nethril nicht durchdringen dürfen.
Zum Glück war die Wunde nicht so tief, dass sie hätte daran sterben können. Doch sie reichte völlig aus, um wichtige Lebenskraft zu entziehen. Rutaara zerkaute die Kräuter, verteilte den Brei danach auf die Leinenverbände und keuchte kurz auf, als diese die Wunde berührten.
Assasina hatte drei Dämonen an eine der Mauern gedrängt und versetzte zwei von ihnen einen tödlichen Schlag mit dem Fuß. Der Dritte, der sich eben bereit machte, sie anzugreifen … stutzte plötzlich und starrte auf einen Punkt hinter Assasinas Schulter. Gleich darauf ließ er ab von ihr und lief nach rechts, griff dort einen der anderen an.
Assasina atmete kurz erleichtert auf, wollte sich eben umschauen, um zu sehen, wer ihr eben geholfen hatte doch ehe sie diese Bewegung ausführen konnte, griff eine starke Hand von rückwärts an ihre Kehle und drückte Assasina fest gegen eine harte Brust.
„Wie schön dich wieder zu sehen Geliebte! „
„Ich denke, nach 12 Jahren der Trennung ist es nicht mehr angebracht, mich so zu nennen, Votan!“, brachte Assasina nur unter Mühe und keuchend hervor. Votan drückte spielerisch etwas fester zu.
„Ich hätte es wissen müssen, dass du hier auftauchst. Was hat dir der König denn dafür versprochen? Zu vergessen, dass du einmal eine von uns warst?“ Votans Stimme klang rau und amüsiert. Sie kannte diese Stimmlage und es jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Angst und Begierde fochten miteinander.
„Na los, töte mich! Dann haben wir es wenigstens hinter uns!“
Ein kurzes Lachen drang aus seiner Kehle und er stieß Assasina etwas von sich, ohne sie richtig frei zu geben. Durch eine Drehung seiner Hand, stieß er sie mit dem Rücken gegen die Wand und der rasende Schmerz, der darauf Assasina durcheilte ließ sie hilflos zu Votans Füße sinken. Dabei hatte er noch nicht einmal sein Schwert gezückt.
Halb betäubt vom Schmerz wandte Assasina den Kopf nach links und ihr Blick traf sich mit dem von Rutaara. Diese versorgte scheinbar gerade eine tiefe Wunde und starrte zu Assasina her. Assasina hätte nicht sagen können, wie dieser Blick war. Verblüfft, entsetzt oder ängstlich?
Wahrscheinlich nichts von alledem und doch alles. Denn Rutaara musste geschockt sein von dem Bild, das sich ihr bot. Ihre angeblich Verbündete saß vor ihrem schlimmsten Feind und unterhielt sich mit ihm ohne sich zu bedrohen oder gar einander anzugreifen.
Assasina schüttelte nur leicht den Kopf, als sie merkte, Rutaara machte sich bereit um sich ihnen zu nähern. Dann schaute sie wieder nach oben in Votans mit einer Kapuze bedecktes Gesicht. Zum wievieltem Male hatte sie schon die anderen scheinbar „hintergangen“? Würden sie denken, sie wäre wirklich eine Spionin? Eigentlich war es egal was sie dachten, denn sie selbst würde kaum aus dieser Situation lebend heraus kommen.
Ich habe dich wirklich geliebt!“, sagte Votan leise, aber laut genug um es in Assasina nachklingen zu lassen. „Ich habe dich wirklich geliebt!“
Die elf Krieger der „Krieger des Feuers“ und Agenor als deren Anführer waren mehr als erschöpft, doch ihr Stolz ließ es nicht zu, dieser Müdigkeit und Erschöpfung nachzugeben. Agenor kannte seine Männer besser als sie sich selbst kannten und war sich dessen bewusst, dass die Aufgabe von ihm, seinen Männern aber auch den anderen Gefährten die Befreiung des Prinzen und seiner Gemahlin war und sie eigentlich noch nicht viel in dieser Angelegenheit weiter gekommen waren.
Agenor wurde etwas abgelenkt, als der elfte Krieger unter dem Bedrängnis von gleich vier Dämonen sein Leben aushauchte. Der zehnte seiner Krieger rettete mit seinem Tod Agenors Leben um Schwertesbreite.
Die Verluste seiner tapferen, mutigen und treuen Krieger verletzten Agenor und erschufen eine tiefe Trauer in ihm. Er fürchtete bereits den Augenblick, wenn er am Ende dieser Mission – egal wie sie ausging – als Anführer zu jeder der Frauen gehen musste um ihnen den Tod des Gatten zu verkünden. Und in die Augen der Waisen schauen muss, die den Vater auf diese grausame Art verloren hatten.
Doch es war besser, sich auf den Kampf zu konzentrieren, denn es wäre töricht gewesen sich nun weiter von Trauer und dunklen Gedanken ablenken zu lassen. Noch während Agenor nachdachte, wurde wer von zwei Dämonen auf seiner linken Schulter getroffen, die beide gleichzeitig mit ihren Höllenpeitschen zugeschlagen hatten. Es tropfte nur wenig Blut aus der Wunde und er konzentrierte sich erneut auf den Kampf, der noch lange nicht zu ende war. Er als Anführer hatte hundert Prozent zu geben. Agenor schob alle Gedanken beiseite und nahm nichts mehr wahr, außer seinen Männern …
Rutaara sah unfassbar zu, wie die Elfe sich mit Votan unterhielt. Doch dann schaute Assasina Rutaara direkt an und schüttelte den Kopf, sie bedeutete ihr sich den beiden nicht zu nähern.
Die Elbin spürte instinktiv, dass die Elfe sich mit ihrem vorzeitigen Ableben abgefunden hatte. Auch spürte sie, dass die beiden etwas miteinander verband, das tiefer ging als die Feindschaft, die zwischen ihnen stand.
'Egal, ich werde es nicht zulassen, dass sie ihr Leben weg wirft!' dachte Rutaara, rief Lyrael – dessen Abbild mangels Energie wieder verschwunden war – zu sich an die Seite und preschte mit erhobenem Schwert auf Votan zu.
Dieser hatte nun gerade sein Schwert selber gezogen und schwang es Richtung Assasina. Durch den gellenden Schrei Rutaaras, die ihm in die Klinge gelaufen war, wurde er in seinem Vorhaben gestört.
„Flieh!“, flüsterte Rutaara, schwer verletzt am Boden liegend. „Flieh, du Närrin!“
Verlust und Gewinn
Cedrik erwachte durch gleichbleibende Schläge in seine Seite. Er öffnete die Augen und sah mitten die die weit geöffneten Augen eines der Angreifer. Doch die Augen, die auf ihn gerichtet waren hatten bereits einen Schleier darüber und bedeuteten Cedrik, dass ein Toter vor ihm lag. Mit Macht kam ihm wieder zu Bewusstsein, wo er war und was geschehen war, ehe ihn ein Schlag auf den Kopf außer Gefecht gesetzt hatte.
Wieder traf ihn ein harter Schlag in die Seite und er wandte den Kopf, um zu sehen, wer ihn da so malträtierte. Sein Blick fiel auf Sternenlicht der eben wieder seinen Vorderfuß hob, um ihm erneut einen Tritt zu versetzen. Cedrik setzte sich auf und spürte ein Zerren an seinem Hals. Ebenso den jetzt bereits dumpfen Schmerz in der Schulter.
„Ist ja gut, ich bin wieder wach!“ sagte Cedrik und sah sich um. Es waren nicht mehr so viele Wesen in ein Handgemenge verstrickt, wie noch vor seinem Wegtreten. Sein Blick fiel auf die Tätowierte und auf die vor ihren Füßen liegende, scheinbar schwer verletzte Elbin. Ihr Name war wohl Rutaara, soweit er sich entsinnen konnte. Über den beiden Frauen stand ein wahrer Monsterdämon.
Cedrik schien bisher der allgemeinen Aufmerksamkeit entgangen zu sein, denn niemand kümmerte sich darum, dass er aufstand. Wahrscheinlich hatte man ihn für tot gehalten. Cedrik nahm Sternenlicht beim Zügel und strich leicht über dessen bebende Flanke.
„Ist es dir recht, wenn du mich zu jener Schwerverletzten bringst?“
Sternenlicht neigte den Kopf, so dass sich Cedrik an seiner Mähne anklammern konnte. Langsam umrundeten sie das Kampfgetümmel. Als Cedrik bei den beiden Frauen und dem scheinbaren Hauptübeltäter des Kampfes angekommen war, sank er neben der Elbin zu Boden. Er hörte, wie sie die Tätowierte aufforderte, zu fliehen. Cedrik legte seine Hand leicht auf die Schulter der Elbin und meinte, bereits wieder am Ende seiner Kraft:
„Haltet still! Mein Gefährte wird sich Euer annehmen. Und ich werde meinen Teil dazu beitragen, dass dieser ungleiche Kampf hier beendet wird!“
Ohne ein Wort abzuwarten erhob sich Cedrik indem er sich an Sternenlicht empor zog, sah sich nach seinem Stab um und wunderte sich kurz, als er diesen in Sternenlichts Maul erblickte. Er nahm seinen Stab entgegen, klopfte kurz an Sternenlichts Hals und hob den Stab hoch. Dann machte er zwei große Schritte auf Votan zu, soweit würde seine Kraft noch reichen und stieß diesem den Stab mit dem Kristall voran in den Rücken.
Votan wandte sich aufschreiend um, riss mit dieser Bewegung Cedrik den Stab aus der Hand und starrte diesen an.
„Was hast du erwartet? Dass du mich mit deinem Stöckchen verletzt?“
Cedrik war versucht, erschrocken zu nicken. Denn er hatte wirklich gedacht, der Ambarin wäre stark genug, diesen Oberdämon zu vernichten. Oder wenigstens so weit zu entkräften, dass man ihn gefangen nehmen konnte. Stattdessen erfreute sich Votan weiterhin guter Gesundheit, zog sich den Stab mit einem hässlichen Lachen aus dem Körper und warf ihn weg. Im gleichen Moment hob er die Hand und schlug mit dem Handrücken Cedrik kräftig ins Gesicht, dass dieser wie eine Rakete einige Meter weit flog und dann zu Boden stürzte. Betäubt bleib er liegen.
Sternenlicht hatte sich inzwischen zu der verletzten Elbin nieder gebeugt und ihr kurz über das Gesicht geleckt. Dann berührte er die Wunde mit seinem noch immer unter dem magischen Beutel verborgenem Horn. Sofort begann sich die Wunde zu schließen. Sternenlicht sah das überraschte Aufblitzen in den Augen der Elbin, doch er wandte sich gleich darauf ab um sich zu Cedrik durch zu schlagen.
Catyua hatte soweit es möglich war, ihre Gefährten beim kämpfen beobachtet. Es musste schon ein Wunder geschehen, wenn sie alle lebend entkommen wollten. Denn entweder müssten sie es schaffen Votan zu töten oder zu fliehen und beides schien aussichtslos da sie nicht gegen ihn allein, sondern auch noch gegen seine Dämonen zu kämpfen hatten. Diese waren zwar durch die voran gegangenen Kämpfe etwas dezimiert geworden, doch Votan standen noch immer genug seiner Krieger zur Verfügung, während bei ihnen die Gefährten mehr als eine geringe Chance hatten, den Tag zu überstehen.
Eine unvorstellbare Wut durchfloss das Mädchen, als sie den verwundeten Zauberer und die hilflosen Kämpferinnen sah, die nicht von dieser Welt schien. Wild schreiend kämpfte sie mit jedem Dämon, der versuchte sich ihr in den Weg zu stellen. Mit einem diabolischen Grinsen zog sie ihr Schwert aus der Brust eines kleinen, Dornen bewehrten Dämons, bevor er auch nur die Möglichkeit eines Angriffs hatte.
Was war vorhin zwischen Assasina und Votan vor sich gegangen? Wie konnte sie selbst diesen besiegen? Das waren die einzigen Fragen, die in ihrem Kopf neben der allmächtigen Wut Platz fanden. Selbst die angeborene Sorge um das eigene Leben warf sie achtlos beiseite, um die Dämonen mit größerer Macht und Wut anzugreifen.
Dabei rasten ihr mehrere Möglichkeiten durch den Kopf, wie sie Votan stellen könnte. Ob Gift wirkte, wo Cedriks Magie und Rutaaras Stärke versagt hatten? Einen Versuch war es wert und wenn sie dabei sterben würde so war es nur ihr Schicksal, denn ohne an Votan vorbei zu kommen, würde keiner von ihnen überleben. Doch was wäre, wenn sie ihn alle mit vereinten Kräften angreifen würden?
In ihrer Kampfeswut kreuzte Catyua sogar einmal mit Dubin die Klingen bis sie merkte, dass sie dem Zwerg gegenüber stand. Sie murmelte abwesend eine Entschuldigung und er blickte sie kopfschüttelnd an, ebenso besorgt um die anderen.
„Komm“, meinte sie angriffslustig und sah ihn mit flammendem Blick an. „Wir haben einen Dämon zu töten!“ Zu ihrer eigenen Überraschung folgte er ihr.
Auf dem Weg durch den Saal fielen den beiden weitere Dämonen zum Opfer und sie sammelten Messino samt Zwergenbruder und Agenor mit einigen seiner Männer ein. Mit diesem Gefolge, das einem durchaus Angst einflößen konnte, rannte das Mädchen schreiend voran und auf Votan zu. Sie hatte kurz besorgt zu dem jungen Magier geblickt, der sich fast wieder erholt hatte und sich mit Hilfe seines seltsam klugen Pferdes die Dämonen vom Leib hielt. Er rief etwas unverständliches in ihre Richtung. Wahrscheinlich dass sie sich von Votan fern halten sollte oder dass sie sofort umkehren sollte, aber Zorn erfüllt stürmte das Albenmädchen mit ihrem Trupp weiter.
Sie wusste nicht, dass sie von uralter Magie ihrer Vorfahren erfüllt war, denn auch wenn die überlebenden Alben des Zaubern und der Magie nicht mehr mächtig waren, erkannte man doch beizeiten in solchen Momenten ihre Abstammung. Die Magie verlieh ihr ungeahnte Kräfte, doch um einen so mächtigen Dämon zu töten, würde selbst diese nicht reichen.
Catyuas funkelnde Augen waren fest auf Votan gerichtet, sie würde ihn töten! Koste es, was es wolle! Und nichts und niemand würde sie davon abhalten können!
Assasina schrie auf, als Rutaara knapp vor ihr sich in Votans Klinge stürzte, am Boden aufschlug und noch ein wenig darüber schlitterte. Assasina rappelte sich auf und wollte zur Elbin laufen, doch bereits nach einem Schritt tauchte vor ihr ein Schwert auf, welches sie wie eine Grenze aufhielt. Sie ließ ihren Blick die Klinge entlang gleiten und starrte direkt in Votans Feuerrote Augen. Sie wusste nicht, was sie fühlte. Assasina war plötzlich so überfordert, dass sie einen Rückschritt machte und wieder einmal mit dem Rücken gegen eine Mauer stieß. Sie wollte Votan hassen, aber sie konnte es einfach nicht. Sie brachte nicht den nötigen Zorn auf um ihn einfach zu töten, so wie sie jeden anderen hier hätte töten können.
Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass sich eine Gestalt und ein Pferd Rutaara vorsichtig näherten. Kurz schloss sie erleichtert die Augen. Cedrik war bei ihr, er würde sicher helfen können. Rutaara musste nicht sterben.
Ein lautes Geschrei ließ Assasina nach links blicken. Sie sah die anderen Gefährten – angeführt von Catyua – sich einen Weg durch die Dämonen zu ihnen bahnen. Sie mussten verrückt geworden sein! Das durfte sie nicht zulassen. Assasina hatte einen Entschluss gefasst, ihr Leben für das der zwölf Gefährten. Das wäre doch ein fairer Tausch!
„Also los! Lass es uns zu Ende bringen!“ sagte sie schwach aber bestimmt und machte einen Schritt auf Votan zu. Dieser schwang lässig mit dem Schwert in seiner Hand. Ein böses Grinsen schlich sich auf Assasinas Gesicht.
„Nein!“ meinte sie mit amüsierter Stimme. „So wie damals, Geliebter!“
Votan grinste breit und warf das Schwert beiseite. Die Gefährten waren nur noch wenige Meter von ihnen beiden entfernt und Catyua setzte eben zu einem Sprung an, als Votan und Assasina von einem plötzlichen Feuerkreis umgeben waren.
Assasina merkte nur undeutlich, dass Catyua gerade noch abbremsen hatte können bevor sie in die tödlichen Flamen gelaufen wäre. Doch sie selbst verspürte erst Erstaunen, dann jedoch Ärger, dass sie so plötzlich und nicht so ganz in ihrem Sinne von ihrem Plan abgehalten worden war.
„So wie damals!“ sagte Votan und sprang auf sie zu. Es war ein Kampf ohne Waffen, in sengender Hitze. Votans Dämonen hatten sich zurück gezogen und verschafften so den Gefährten eine Atempause.
Assasina nahm nichts mehr um sie herum wahr. Der Kampf schien ihr endlos zu sein und sie wurde immer schwächer. Votans einziger Wundpunkt war sein Hals, das wusste sie. Doch auch er wusste es, dass sie es wusste, weshalb er ihn am stärksten schützte.
Nach einem ungünstigen Schlag seitens Assasinas hatte Votan Gelegenheit ihre Deckung aufzubrechen und schloss seine Pranken um ihren Hals. Mit spielerischer Leichtigkeit hob er sie empor. Assasina bekam kaum noch Luft.
„Beinahe so wie damals, nicht wahr meine Teuerste? Nur damals hatten wir aus Liebe gekämpft und jetzt … es hätte anders laufen können!“
Seine Stimme kam Assasina unnatürlich laut vor. Sie konnte kaum mehr atmen und schwarze Punkte tanzten bereits vor ihren Augen umher, während Votan immer fester zu drückte.
Ein plötzlicher Schrei seinerseits ließ Assasina kurz in die Realität zurück kehren. Ein Pfeil mit goldenem Schaft steckte in seinem Hals, aber nicht nahe genug an der Hauptschlagader. Assasina wandte kurz ihren nun wieder mehr geklärten Blick zur Seite und erkannte Agenor, der noch immer die Bogensehne gespannt hielt. Sein Blick zu Assasina war gefasst und seltsam bestimmt.
Votan hatte sie los gelassen und sie stand kurz schwankend da. Sie lächelte zu Agenor, um ihm so anzudeuten:
`Du hast es verstanden!'
Dann jedoch kippte sie wie ein nasser Sack zur Seite. Sie hörte jedoch vorher noch die Stimme des fliehenden Votans, der rief:
„Das war nicht unsere letzte Begegnung, ihr verdammten Kreaturen!“
Die drei Zwerge rappelten sich wieder auf und suchten verzweifelt nach den anderen. Da erblickte Messino schon die Gefährten in einem Kampfgewühl. Zusammen liefen nun die unzertrennlichen Zwerge auf die Feinde zu. Mit beinahe letzter Kraft konnte Messino einen wilden, furchtlosen Schrei von sich geben.
Nun waren sie im Mittelpunkt des Geschehens, verstohlene Blicke wurden auf die drei kleinen Kämpen geworfen. In manchem Blick glitzerte jedoch auch Angst. Die anderen dachte sich sicher, dass es lange gedauert hatte, bis sich die Zwerge im Kampf einmischten.
Pere, Dubin und Messino liefen so rasch, dass es schien, als würden sie fliegen. Nun waren sie erst richtig unzertrennlich und wollten ihr Scherflein beitragen. Mordlust lag in ihren Augen.
Plötzlich begann einer der Säulentürme zu wackeln und schließlich zu bröckeln. Faustgroße Stücke sausten zu Boden und als hätte ein missgünstiges Schicksal sich eben diesen Augenblick zunutze gemacht, neigte sich der restliche Säulenturm zur Seite und begrub mit einem knirschenden Geräusch und einer gigantisch wirkenden Staubwolke die eben an ihm vorbei laufenden Zwerge.
Dieses Ereignis war von den anderen nicht unbemerkt geblieben und sie hielten inne. Jeder starrte auf den Platz, wo eben noch der Säulenturm und die drei Zwergenbrüder gewesen waren. Nun lag dort nur noch ein großer Haufen Steine, über dem sich die Staubwolke langsam verflüchtigte. Die Augen der Gefährten füllten sich mit Tränen, die hier und da über staubbedeckte und verwundete Wangen liefen und auf den Boden tropften.
Endlich waren die Zwerge frei – sie waren zu ihrer Familie zurück gekehrt.
Cedriks Kopf klopfte, als wäre darin ein ganzes Waldfeenorchester dabei, sein Gehirn mit Pauken und Trompeten zu erweichen. Aufstöhnend fuhr er sich mit der Hand an die Stelle, wo Votan ihm den Schlag versetzt hatte. Er setzte sich langsam und mit zusammen gebissenen Zähnen auf und wischte sich die Schmerzenstränen aus den Augen.
So viel zu dem Thema, er sei ein furchtloser und starker Kämpfer und setzte seine magische Kraft ein, um die Gefährten zu unterstützen. Am liebsten hätte er sich zurück gezogen, um seine Wunden zu lecken, wie ein Wolf der …!
Cedrik hob den Kopf und ließ die Hand sinken. Bei dem Gedanken an einen Wolf sah er sich suchend um. Der Lärm war irgendwie leiser geworden. Hier und da fand noch ein kleineres Getümmel statt.
Die Tätowierte, auf die nun Cedriks Blick fiel, wurde eben inmitten eines Feuerkreises von diesem Votan brutal in die Höhe gehoben. Wobei dessen Hand um ihren Hals gekrallt war und ihr sichtbar die Luft abschnürte.
Sternenlicht kam eben zu ihm getrottet und Cedrik war froh, dass sein Einhorn bisher unbeschadet aus den Kampfhandlungen hervor gegangen war. Er konnte sich nicht vorstellen, was er machen würde, wenn ihm Sternenlicht genommen werden würde. Wahrscheinlich mit sterben, denn ihre beiden Seelen waren für immer verbunden. Wie in den Geschichten, die ihm Fulkhurx früher erzählt hatte. Von der Drachenlady Sylvanna und ihrem Drachen Preciosa. Auch sie waren durch das Seelenband verbunden.
Cedrik stellte seine Gedanken an die alten Geschichten aus seiner Kindheit ein und zuckte zusammen, als ein Pfeil Votan in den Hals traf und dieser nun sein Opfer fallen ließ. Mit einer lauten Drohung aus seinem Maul, die Cedrik nicht ganz verstand, verschwand Votan plötzlich. Mit ihm die restlichen Monster, welche den Verteidigern nicht zum Opfer gefallen waren. Schon wollte Cedrik aufatmen, als ein Turm, dem sich eben die Zwergenbrüder näherten, in sich zusammenbrach und diese unter sich begrub. Wahrscheinlich war seine Substanz durch die hier stattgefundenen Kämpfe und das Alter, sowie die Verwahrlosung in Mitleidenschaft gezogen worden, dass ihn nichts mehr an seinem Platz hielt.
Cedrik erhob sich schwerfällig, indem er sich – wieder einmal – an Sternenlichts Mähne hoch zog und nun schwankend da stand. Er schüttelte kurz den Kopf, um seine Benommenheit zu verscheuchen und hätte sich im nächsten Moment ohrfeigen können, wenn ihm nicht das bereits von Votan abgenommen worden wäre. Der Schmerz, der bis eben nur noch leicht zu merken war, setzte mit voller Stärke wieder ein. Aufstöhnend fuhr sich Cedrik an seinen Kopf und merkte erst jetzt, dass er auch auf der Stirn eine klaffende Wunde hatte. Doch er musste zu dem eingestürzten Turm, wo sich der Staub etwas verzogen hatte, um zu sehen, ob er noch etwas für die drei tapferen Kämpen tun konnte. Also biss er erneut seine Zähne zusammen, dass die Kiefer knackten und machte sich auf den Weg dorthin. Die kurze Strecke kam Cedrik endlos vor. Endlich langte er bei den am Boden verstreuten Steinbrocken an und ließ sich auf die Knie nieder. Sternenlicht hatte ihn wieder verlassen. Wahrscheinlich würde er sich um die anderen Verletzten kümmern.
Cedrik wusste noch nicht viel über sein Einhorn. Es hatte ihm noch nicht alle Geheimnisse, die es umgaben, offenbart. Er schob nun, so rasch er konnte, Stein für Stein und die dazwischen befindlichen Mergelschichten beiseite, um zu den Verschütteten zu kommen.
Rutaara nahm ihre Heilung durch das Pferd das keines war, den Kampf Assasinas gegen Votan und dessen Flucht nicht wahr. Das einzige, das sie bemerkte, war der eingestürzte Turm, welcher die Zwerge unter sich begraben hatte. Die Elbe wusste, dass die Brüder dies nicht überlebt haben können und ließ ihren Kummer freien Lauf.
Tränen strömten aus ihren Smaragdgrünen Augen über ihre dunklen Wangen. Durch den Tränenschleier sah sie Cedrik, der verzweifelt versuchte, die Drei zu bergen.
„Hör auf!“, rief sie und erhob sich. „Lass sie darunter begraben. Genauso hätten sie es gewollt. Messino und seine Brüder sind einen ehrenvollen Tod gestorben und es gäbe kein besseres Grab für sie!“
Inzwischen hatte sie Cedrik, der schluchzend vor dem Trümmerhaufen kniete, erreicht. Sie ging neben ihm in die Hocke und legte ihre Hand auf seinen Arm. Dann sagte sie in Richtung der zerfallenen Steine:
„Ihr werdet nie vergessen werden, meine Freunde! Dafür werde ich schon sorgen!“
Cedrik hob den Kopf und sah die neben ihm hockende Rutaara mit tränenumflorten Blick an.
„Wenn ich schneller gewesen wäre, oder mehr Heilmagie beherrschen würde, hätte ich ihnen sicher helfen können. So aber …!“
Cedrik schlug seine Hände vors Gesicht und gab sich seinem Schmerz hin. Nicht so sehr, dass er die Zwergenbrüder nicht vor ihrem frühzeitigen dahinscheiden retten konnte – er kannte sie ja kaum – sondern, dass er versagt hatte. Dass während seiner Anwesenheit Kampfgefährten gestorben waren. Und daran konnte auch Rutaaras Anwesenheit nichts ändern. Cedrik machte sich Vorwürfe, dass er nicht eingegriffen hatte.
Dabei vergaß er jedoch ganz, dass er nichts daran ändern konnte. Dass selbst ihm, einen angehenden Magier, Grenzen gesetzt waren.
Catyua hatte an diesem Tag schon so viele Tränen vergossen, dass sie das Gefühl hatte, als ob sie vollkommen ausgetrocknet wäre. Schweigend stand sie vor den Trümmern und nahm auf diese Weise Abschied von den drei Zwergen. Sie hatte sie kaum gekannt, trotzdem waren sie ihr wichtiger als ihre eigene Familie geworden. Und der Tod, dem sie sonst so kaltherzig gegenüber stand, forderte jetzt auch seinen Tribut. Sie sank auf die Knie.
Sie hatte Glück gehabt die Dämonen waren besiegt, Votan war im Moment nicht mehr ihre Sorge, aber sie hatten mit einem furchtbar hohen Preis dafür bezahlt. Alle Gefährten, die dem Tod entronnen waren, hatten schwere Verletzungen davon getragen. Und diese Drei hatten mit ihrem Leben bezahlt. Der Raum war erfüllt von Trauer.
„Rutaara hat recht“, sagte das Mädchen mehr zu sich selbst. „So hätten sie es gewollt. Als Kämpfer begraben unter Stein. Wir sollten jetzt nicht verzweifeln!“
Catyua hatte etwas Angst, man könnte ihre Worte falsch verstehen, so als ob ihr der Tod der Zwerge egal wäre, doch das machte ihr nichts mehr aus. Es war alles schon furchtbar genug, da wollte sie nicht auch noch in Trauer versinken.
Die Albin fühlte sich so unendlich erschöpft, aber das lag zum Teil wahrscheinlich auch an den fast pausenlosen Kämpfen.
Es war ihr Glück, dass sie bereits auf dem Boden kniete, so war es nicht so hart als sie einfach nach hinten kippte.
Da lag sie und starrte die Decke an. Eine Falltüre entging ihren Augen, die ins obere Stockwerk führen musste. Catyua war besorgt wegen Assasina. Was war zwischen ihr und Votan geschehen? Wie ein Blitz schoss diese Frage durch ihren Kopf. Ruckartig setzte sie sich auf – wovon ihr prompt schwindlig wurde und versuchte, die Elfe in dem schwankenden Raum zu erspähen.
Diese lag unweit einer Tür, Agenor und zwei seiner Männer knieten neben ihr. Sie war immer noch ohne Bewusstsein.
Catyua rappelte sich mühsam auf und wankte in ihre Richtung.
„Cedrik … könnt Ihr Assasina helfen? Oder seid Ihr zu geschwächt?“ Im Umgang mit ihm war sie immer noch ein wenig befangen.
„Ich werde es allenfalls versuchen!“ antwortete er müde.
„Überanstrengt Euch nicht ...“, warnte sie ihn. Abwinkend lächelte er und schritt neben seinem Reittier auf die Elfe zu. Das Mädchen ließ sich ebenfalls neben ihr auf den Boden nieder.
„Wie geht es ihr?“ fragte sie Agenor.
„Nicht sehr gut, fürchte ich“, gab dieser besorgt zurück.
„Cedrik?“, Catyua wandte sich auffordernd zu ihm um. Während sich der junge Magier um die Elfe kümmerte, tat Agenor dem Mädchen seine Bedenken kund, da niemand sonst in deiner Nähe war, allerdings nicht ohne vorher seine Trauer auszusprechen.
„Es hätte nicht so enden dürfen. Das hatten sie nicht verdient. Sie waren tapfere und mutige Kämpfer!“ Er senkte den Blick. „Aber wir müssen endlich von dieser Elfe erfahren, wer oder besser gesagt, was sie ist! Vielleicht stellt sie eine Gefahr für uns dar und Gefahren stehen wir wirklich genug gegenüber!“
Catyua nickte zustimmend, auch wenn sie nicht glaubte, dass Assasina ihnen gefährlich werden würde. Denn erstens war sie zu schwach und zweitens, was sollte dann ihr ganzes bisheriges Handeln, wo sie ihnen allen auf andere Weise besser schaden hätte können.
Beide wandten sich wieder zu Magier und Elfe um, als sie ein schwaches Husten vernahm. Assasina war ziemlich erschöpft, aber wieder bei Bewusstsein.
„Ist mit Euch alles in Ordnung?“, wollte Cedrik verhalten von der eben Erwachten wissen. Catyua lächelte, als sie sein Verhalten gegenüber der Elfe bemerkte. Er musste doch wissen, dass er nicht zu hoffen brauchte. Assasina war bestimmt zehn Mal so alt wie er! Es tat aber gut, wieder einmal zu lächeln, es lenkte von dem allgegenwärtigen Schmerz ab.
Die Elfe nickte benommen.
„Es wird schon gehen. Ist noch etwas passiert?“
Betroffen sah Catyua die Elfe an. Diese wusste ja noch nichts von der letzten Entwicklung!
„Ja“, sagte Catyua leise und ihr Lächeln verschwand wie weggewischt. „Ja!“
Und jetzt liefen ihr doch noch kleine, leise Tränen über die Wangen.
Cedrik spürte diese abgrundtiefe Müdigkeit in sich. Ihm blieb nur noch eine Option offen. Wenn er diese einsetzte, dann würde er sich bis auf den letzten Magietropfen ausbrennen. Dann sollte er wirklich vorher etwas mehr zu sich nehmen, als die paar Wegerichblätter und das Stück Brot. Cedrik erhob sich und biss die Zähne zusammen, als er merkte dass er ziemlich schwankte. Er sah sich nach Sternenlicht um, doch dieser war nicht zu sehen. Also musste Cedrik ohne Stärkung auskommen. Er stellte sich aufrecht hin, schloss die Augen und sammelte sich. Er versenkte seinen Geist in sich und die Umgebung. Er spürte die magischen Strömungen, sie waren nicht stark aber ausreichend für das, was er vorhatte. Einmal in seinem jungen Leben hatte er dies erst versucht. Da hatte er mehr Magie zur Verfügung als jetzt. Doch derzeit war er der einzige, der seine Mitstreiter mit der nötigen Energie und Kraft aufbauen konnte, die sie benötigten. Zumindest konnte er ihnen eine Teil davon zur Verfügung stellen. Kurz dachte er daran, dass er einigen von ihnen danach mehr als Monster vorkommen würde, als sie es jetzt schon von ihm dachten.
Nun sperrte er jeden störenden Gedanken aus und stellte sich vor, er wäre ein gigantischer Magiesammler, der von allen Seiten her mit Magie und Kraft versorgt wird, sie speicherte in seinem Körper und schließlich wieder freisetzte, als schützende Magiekrafthülle.
Um Cedrik wurde es still. Er spürte eine tiefe Ruhe über sich kommen, dann holte er einmal tief Luft und begann mit einem volltönigen Bariton zu singen:
„Geheiligte Erde, heiliges Blut!Stärke unser Leben, gib uns den Mut.
Zerstöre die bösen Dämonen all hier.
Magie ist in allem, in mir und in dir!
Gib uns die Kraft, das Dunkel zu besiegen. Kraft, Mut und Zutrauen zu kriegen.
Das Heilige Feuer, es brennt in uns allen.
Ihr Götter, wir ehren euch, um zu gefallen.
Geheiligte Erde, heiliges Blut.
Komm uns zu Hilfe und alles wird gut!“
Während Cedrik sang, baute sich aus dem Nichts eine schillernde Kuppel langsam aber unaufhörlich auf. Sie umhüllte die Kämpfer und sie fühlten die Kraft, die ihnen wieder in die ausgelaugten Glieder strömte und sie stärkte. Während Cedrik die einzelnen Energie- und Magiefäden miteinander verwob, wurde er bleicher und bleicher. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab. Seine seitlich ausgebreiteten Arme begannen zu zittern und sanken langsam herab. Schließlich verklang der letzte Ton und jeder der Gefährten fühlte sich auf wunderbare Weise gestärkt und erfrischt.
Nur Cedrik brach wie vom Blitz getroffen zusammen.
Assasina hustete schwach und wollte sich aufrichten, aber ihr fehlte die Kraft dazu. Dann spürte sie einen starken Arm im Rücken, der sie sacht und vorsichtig nach oben drückte und unterstützte, so dass sie auf den Knien von Jemandem zu liegen kam.
„Ihr solltet etwas aufrechter liegen“, sagte eine leise Männerstimme und sie blickte plötzlich in Agenors Gesicht. Ein unwillkürliches, ungewolltes Lächeln legte sich plötzlich über ihr Gesicht.
„Du hast uns alle gerettet“, flüsterte Assasina Agenor zu, so dass nur er es hören konnte. Plötzlich tauchte auch Catyuas Gesicht in ihrem Blickfeld auf und Assasina schloss erleichtert kurz die Augen. Sie lebte also noch. Aber unbändige Trauer spiegelte sich in ihrem Gesicht.
„Es geht schon!“ sagte Assasina geistesabwesend zu dem Zauberer, der irgendwo neben ihr sitzen musste. „Ist noch etwas passiert?“ fragte Assasina nun an Catyua gewandt und wollte eigentlich die Antwort gar nicht hören. Denn etwas war passiert.
„Ja“, meinte das Mädchen und plötzliche Tränen liefen über ihr junges Gesicht. Assasina schaute zu Agenor und auch er schloss kurz betroffen die Augen.
„Die Zwerge wurden von herab fallenden Trümmern begraben. Sie sind alle drei tot!“
Assasina senkte den Blick. Es war traurig natürlich, aber sie kannte die drei kaum und war daher nicht in der Lage eine Träne zu vergießen. Doch sie wollte nicht, dass einer der anderen das merkte und sie für kaltherzig hielt. Obwohl sie vermutlich genau das war.
Assasina schloss die Augen und wollte nur noch schlafen. Sie hatte keine Energie mehr, keine Lust mehr zu leben, wollte einfach nur noch schlafen. Egal ob sie wieder erwachen würde oder nicht. Doch ein plötzlicher Magiestoß durchdrang sie und sie spürte wieder Leben in sich. Jetzt konnte sie auch die Schmerzen fühlen, die Votan ihr zugefügt hatte. Sie hoffte nur, dass auch er zu leiden hatte. Assasina stöhnte vor Schmerzen laut auf, was ihrem malträtierten Hals nicht sonderlich gut bekam.
Ein lauter Aufprall ließ die den Kopf, den sie noch immer auf dem Schoß eines Kriegers liegen hatte, auf die Seite drehen und sie bemerkte, dass Cedrik – scheinbar bewusstlos – am Boden lag. Nun nahm sie auch die Energiekuppel um sie herum wahr. Assasina kniff wütend die Augen zusammen. Hatten sie denn noch nicht genug Verletzte? Sobald sie wieder bei Kräften war, würde sie diesem einfältigen, übermütigen Jungen umbringen. Falls er diesen Energieverlust überleben sollte, was Assasina auf wunderliche Weise nicht egal war.
Alle hatten sich wieder gefasst, wobei ihnen Cedriks Magie ziemlich geholfen hatte. Nun sollte sie aber sehen, dass sie etwas Essbares fanden. Nicht alle hatten so weit gedacht, dass sie über längere Zeit nicht mehr in einem verbündeten Lager sein würden und etwas mitgenommen. Viel hatte keiner.
„Der Tod unserer Kampfbrüder ist schmerzhaft, für mich zumindest, aber wir müssen weiter! Und wir brauchen nötigst etwas zu essen!“, sagte Catyua in die Runde.
Agenor, der noch immer bei Assasina kniete, stand auf und gab dem Mädchen recht.
„Wir haben drei Zwerge und zwölf tapfere und mutige Krieger verloren. Nun müssen wir überleben und den Königssohn samt Gemahlin retten. Ich schlage vor, wir suchen eine Burgküche oder ein Vorratslager und holen uns daraus genug zu essen um einige Tage damit durch zu kommen!“ Agenors Stimme erstarb. Sie hatten zwar Kraft und fühlten sich jetzt besser, doch ihr Magen knurrte und verlangte nach Nahrung.
„Kannst du gehen Assasina, oder soll ich dich stützen?“ Er hatte absichtlich nicht 'tragen' gesagt, denn das würde sie nie zulassen, von ihm getragen zu werden. „Du brauchst mir nicht zu danken, das hättest du vermutlich auch für jeden von uns gemacht, Assasina. Was wäre ich für ein Gefährte, wenn ich euch sterben ließe?“
Agenor sah sie an mit einem warmen Lächeln. Doch dann wurde sein Gesicht wieder ernst, als er eine Stimme vernahm, die ihm recht gab. Agenor wandte sich um zu den anderen. Wer hatte von ihnen etwas gesagt …?
Assasina hatte sich inzwischen erhoben, dem Krieger Agenors kurz gedankt für seine Unterstützung und rieb sich mit den Fingerspitzen die Schläfen. Sie sah auf und blickte zu Rutaara, die neben dem erwachenden Cedrik kniete. Wäre Rutaara nicht so verrückt gewesen, würde sie – Assasina – jetzt vermutlich nicht mehr leben.
„Agenor!“ Assasina wandte den Blick wieder von der Elbe weg und schaute in das Gesicht des Menschen „Du, deine Männer und Catyua solltet die Küche suchen und uns etwas zu essen besorgen. Rutaara, Cedrik und ich werden hier bleiben. Er kann jetzt nicht laufen, mir geht es auch nicht gerade blendend und einer muss ja auf uns aufpassen.“ Assasina lächelte schwach und Agenor erwiderte es freundlich. „Ihr braucht keine Angst zu haben von Dämonen angegriffen zu werden, die sind alle bei Votan und der ist vermutlich schon aus dem Schloss heraus, seine Wunden lecken!“
„Aber dann hat er doch bestimmt den Prinzen mit sich genommen!“, rief Catyua mit weit aufgerissenen Augen.
„Nein, das hat er bestimmt nicht!“ Assasinas Stimme klang noch immer schwach und müde.
„Wir können euch doch nicht alleine hier lassen!“, sagte Agenor mit gerunzelter Stirn, hin und her gerissen zwischen seinem Gewissen und dem Hunger in seinen Eingeweiden.
„Es ist schon richtig so“, sagte Assasina und legte ihm eine Hand auf die Schulter, während sie ihm freundlich zunickte. Agenor zögerte noch kurz, dann zuckte er die Schultern und erklärte sich einverstanden.
Assasina erklärte ihm ungefähr den Weg in eine der Küchen – in der sie den Anissirup gefunden hatte – und ging, als die anderen den Raum verließen, zu Rutaara und Cedrik. Erschöpft ließ sie sich neben dem Magier auf den Boden sinken und legte sich dann hin.
„Danke!“, flüsterte sie in seine Richtung.
Cedriks Zähne schlugen hart aufeinander und er fühlte sich, als wäre der Turm auf ihn und nicht auf die Zwerge gefallen. Ihm war kalt und schwindlig. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er auf das vierfache seiner sonstigen Größe angeschwollen. Doch das alles machte dieses leise geflüsterte „Danke“ wieder mehr als wett. Tief in sich wusste er, dass sie ihn für einen dummen Jungen hielt und vielleicht über ihn und seine Gefühle lachte oder sogar abschätzig dachte. Doch er konnte nichts machen. Er spürte dieses Band zwischen ihm und ihr. Es war ein Band, wie es zwischen Sternenlicht und ihm – Cedrik – existierte.
Ein schwaches Lächeln rötete Cedriks Gesicht etwas, als er das geflüsterte Wort vernahm. Sprechen konnte er noch nicht. Dazu hatte der Energiebogen zu viel seiner Kraft gekostet. Er sah sich nach Sternenlicht um. Dieser stand neben dem zusammen gefallenen Turm und hatte den Kopf gesenkt. Cedrik ahnte, was Sternenlicht vorhatte. Er würde den drei ehrenwerten Kämpen ein besonderes Grabmal bereiten.
Schon begann das magisch versteckte Horn zu glühen. Cedrik hoffte dass nur er es sehen konnte. Zuviel müsste er sonst erklären. Seine Wunden an der Schulter und am Hals brannten etwas, doch das war zum aushalten. Er spürte auch den Schnitt an seiner Stirn. Aber der sandte nur noch leises Pochen aus.
Sternenlicht neigte nun auch sein rechtes Vorderbein, so dass das Horn den ersten Stein des Zwergengrabes berührte. Die Umwandlung setzte unverzüglich ein. Steine und Mörtelbrocken wurden sofort durchsichtig und verwandelten sich dann zu einer gläsern wirkenden Masse. Niemand würde je die Körper der drei tapferen Gefallenen mehr schänden können. Auch wenn die Burg einst zerfallen sein sollte, dieser Teil davon würde die kommenden Jahrhunderte überdauern.
Sternenlicht hatte seine Aufgabe erledigt und trabte nun langsam zu Cedrik und den beiden Frauen. Er stellte sich neben Assasina – Cedrik hatte endlich ihren Namen erfahren – und senkte kurz den Kopf. Dann schnaubte er ihr leicht über das Gesicht.
Cedriks Augen wurden groß. Das hatte er noch nie bei Fremden getan. Und wieder wurde Cedriks Meinung über die Tätowierte bestätigt – sie war etwas Besonderes. Wenn sogar Sternenlicht …!
Cedriks Blick glitt von Sternenlicht, der nun ruhig neben Assasina stand und mit seinem Schweif die ihn umgebenden Fliegen verscheuchte – wie es wohl auch ein „echtes“ Pferd machen würde – zu Assasina. Ein Glänzen kam in seine braunen Augen mit den Goldflecken darin.
Noch einmal „hörte“ er, wie sie ihm sagte, dass sie 200 Jahre älter sei als er. Doch das war für ihn nicht sehr störend. Aber für sie war es das sicher. Wohl auch, da er mit keinen vornehmen Namen seiner Familie aufwarten konnte. Denn er kannte diese nicht. Kurz dachte Cedrik an das Bild, das ihm die Schale gezeigt hatte. Wer war das Paar? Waren das seine Eltern gewesen? Der Mann war eindeutig ein Elbe. Doch Cedrik war sich nicht sicher, was ein Elbe mit einer Menschenfrau zu schaffen hatte. Wobei die Frau auch nicht wie eine reinrassige Menschenfrau ausgesehen hatte. Und was war in dem zugedeckten Korb gewesen? Wie hatte das Dorf geheißen, wo dieser Kampf stattgefunden hatte? Und wer war dieser Mann, der im Wald nach Pilzen gesucht hatte? Fragen über Fragen, die Cedrik hoffentlich durch den König beantwortet bekommen würde.
Erschöpft ließ Cedrik seinen Kopf zurück sinken und schloss die Augen. Auf der einen Seite spürte er die neben ihm kauernde Rutaara. Auf der anderen Seite Assasina, die tief in ihm Gefühle auslöste, die ihn verwirrten aber auch seltsam willkommen waren.
Langsam ließ das Zittern und Zähneklappern nach und hörte schließlich ganz auf. Vorsichtig versuchte sich Cedrik aufzusetzen und nach dem dritten Versuch klappte es.
In diesem Moment kam jener mit Namen Agenor und seine ihm verbliebenen Männer sowie das Mädchen, das sein Lebensalter hatte, zurück. Auf ihren Armen trugen sie Körbe, aus denen es duftete. Unwillkürlich lief Cedrik im Mund das Wasser zusammen.
„So, Leute! Also hier haben wir frisches Brot, das nur wenige Stunden alt ist, Äpfel, einen Krug Met – obwohl wir davon nicht viel trinken sollten - genug Flaschen mit gutem Quellwasser, Honig und Käse!“
Da es eine der Burgküchen gewesen war, die geplündert wurde, war alles reichlich vorhanden, um die Soldaten und auch die anderen zu ernähren. Die Körbe wurden in die Mitte gestellt und jeder bediente sich selbst. Agenor saß bei der Gruppe und unterhielt sich mit ihnen. Er hielt einen Leib Brot in der Hand, brach kleinere Stücke davon ab und aß diese mit Honig.
Cedrik griff nach einem der frischen Brote und auch ein Stück Käse konnte er ergattern. Langsam und bedächtig biss er die Stücke und konnte beinahe fühlen, wie die Energie in ihn zurück strömte. Als Abschluss gedachte er sich noch einen Apfel zu genehmigen und griff danach. Scheinbar den gleichen Gedanken schien auch Assasina gehabt zu haben, denn sie griff nach dem selben Apfel. Cedriks Hand berührte die der Tätowierten und es durchzuckte ihn wie ein Stromschlag. Er riss seine Hand zurück, errötete tief und murmelte erschrocken:
„Verzeihung!“
Um nicht nochmals in diese Verlegenheit zu kommen, griff er nun nach einem der Becher, der ebenfalls in einem der Körbe zu finden war und schüttete etwas von einer der Wasserflaschen hinein. Dann setzte er den Becher an die Lippen und trank das köstliche Nass in einem Zug aus. Schließlich sah er vorsichtig auf, doch jetzt konnte er gefahrlos einen der Äpfel nehmen. Ehe er hinein beißen konnte, spürte er einen Blick auf sich. Er ließ den Apfel sinken und sah sich um.
Sein Blick fiel auf Rutaara . Kurz rutschten Cedriks Brauen fragend in die Höhe, denn er spürte bei ihr eine Trauer. Doch er spürte auch ihre Abwehr. Also schwieg er, obwohl ihm die Frage nach dem „warum“ auf der Zunge brannte. Ohne weitere Umstände biss er nun in den Apfel, dass dessen Saft ihm über das Kinn lief. Gedankenversunken wischte er mit dem Handrücken darüber.
Während er aß, ließ er seine Blicke wandern. Über die zerbrochenen Möbelstücke, die – sofern sie es nicht schon gewesen waren – von dem eben statt gefundenem Kampf zu Bruch gegangen waren. Zu dem Grabmal der Zwerge, das jetzt eher einem gigantischen Denkmal glich, seit Sternenlicht es verwandelt hatte. Und gleich daneben lag sein Messer, das er im Kampf verloren hatte.
Cedrik merkte sich den Platz, denn das Messer durfte er keineswegs hier lassen. Seine Blicke wanderten weiter und nun sah er auch den Stab mit dem Ambarin. Er lag in unmittelbarer Nähe des Messers. Wenn er fertig war mit dem Essen, würde er sich beide Waffen holen. Abermals biss Cedrik in den Apfel. Andächtig begann er zu kauen.
Rutaara hatte seit dem Tod der Zwerge und der darauf folgenden Rettung durch Cedrik kein Wort mehr gesprochen. Tränen flossen unaufhörlich über ihre Wangen und sie hatte die Stirn auf ihre hoch gezogenen Knie gelegt, damit die anderen nicht sahen, dass sie weinte. Die Elbin war traurig – und nicht nur darüber, dass so viele ihr Leben gelassen hatten, Sie wusste nicht genau, woher diese Trauer kam und welchen Grund es dafür gab. Rutaara hielt diese Trauer für Schwäche und diese Schwäche durften die anderen nicht entdecken.
Assasina kaute langsam auf dem Apfel herum. Sie hatte eigentlich keinen Appetit und auch keinen Hunger, aber sie musste etwas essen. Sie brauchte es. Immer wieder warf sie einen Blick zu dem Thron, der am Kopfende der Halle stand. Einmal streifte ihr Blick kurz Rutaara, die in sich zurück gezogen da saß. Entweder war diese mit ihrem Essen schon fertig, oder sie hatte gar nichts angerührt. Daraufhin sah sich Assasina in der Runde um. Alle schienen endlich fertig und satt zu sein. Assasina wollte nichts wie raus hier und so schnell wie möglich zum König. Dann würde sie ihre Freiheit haben und müsste sich nie wieder für irgend eine Tat rechtfertigen.
„Ich denke, wir sollten gehen!“, sagte Assasina laut – so laut es eben ging.
„Wir müssen erst den Prinzen und seine Gemahlin finden!“, meinte Catyua und sah sie an, als wäre sie nicht ganz bei Sinnen. Assasina lächelte mild.
„Wir müssen ihn nicht finden, wir müssen ihn nur noch abholen!“
Die anderen schauten sie verwirrt an. Assasina stand auf, ging zu Cedrik und streckte ihm ihre Hand entgegen, nach der er schüchtern griff.
„Ich brauche jetzt deine Hilfe“, meinte sie und ging mit ihm an der Hand auf den Thron zu. Die anderen folgten neugierig.
„Ich nehme an, dein Meister hat dich nicht in schwarzer Magie unterrichtet?“
Cedrik schüttelte immer noch verwirrt den Kopf. Assasina erklärte ihm kurz, was er zusätzlich zur normalen Entspiegelung noch zu tun hatte – was ihn sichtlich überraschte, dass sie das wusste – und stand dann still da, während sie darauf wartete, dass er es schaffte. Auch die anderen schwiegen. Einige Zeit später, die allen wie eine Ewigkeit vorkam schien ein schwach durchsichtiger Vorhang von der Decke zu Boden zu fallen und der Blick auf zwei gefesselte und geknebelte Menschen wurde frei gegeben, die übereinander am Thron fest gebunden waren. Alle hielten überrascht den Atem an – was Assasina schmunzeln ließ – dann rannten Catyua und zwei von Agenors Männern vor und begannen damit, den Prinzen und seine Gemahlin zu befreien.
Cedrik starrte auf das Bild, das sich seinen Augen enthüllte, als er den magischen Vorhang gesenkt hatte. Seine Hand befand sich noch immer in der von Assasina und er spürte ihre Wärme dicht neben sich.
Als das Mädchen und die beiden Soldaten das Prinzenpaar befreiten, entwand Cedrik seine Hand von Assasina und bückte sich, um sein Schwert aufzuheben. Dabei fiel sein Blick auf die in der Nähe liegenden Schale. Die magische Flüssigkeit darin hatte sich dunkel gefärbt. Ein zarter roter Schein lag darüber, als würde Feuer sie beleuchten. Kurz lief es Cedrik kalt den Rücken hinunter. Dann griff er nach seinem Schwert, steckte es dahin wo es hingehörte und sah sich nach seinem Stab um. Dieser lag wenige Schritte von ihm entfernt und auch diesen hob er auf.
Cedrik begab sich zu dem Prinzenpaar, die beide ziemlich verstört und ängstlich waren. Er ließ seine Hand dicht über ihre jetzt sehr schwachen Körper gleiten, doch schwere Verletzungen konnte er nicht ausmachen. Sie waren nur sehr hungrig, verstört und er war froh, als sie Agenor von dem Wasser trinken ließ.
Cedriks Blick glitt einstweilen suchend durch den Raum. Wo war Sternenlicht?
Endlich erblickte er ihn, als dieser seinen Kopf aus einem der ziemlich vermodert wirkenden Wandteppiche steckte. Cedrik runzelte die Stirn. Warum …?
Er zuckte unter der Erkenntnis zusammen, dass sich dort ein erneuter Geheimgang befinden musste und legte leicht seine Hand auf Assasinas Arm um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. Als sie ihn ansah, deutete er mit dem Kopf zu dem Wandteppich, aus dem noch immer Sternenlichts Kopf ragte.
„Sternenlicht hat einen weiteren Ausgang entdeckt. Ich denke, wir sollten so bald als möglich von hier verschwinden. Einen erneuten Kampf würden weder wir, noch das befreite Prinzenpaar überstehen!“
Assasina sah ihn an und ihr Gesicht verfinsterte sich.
„Ich denke doch nicht, dass du ein Feigling bist!“, sagte sie und traf Cedrik damit tief. Er schüttelte den Kopf und sah ihr offen in die Augen.
„Dass ich das nicht bin, solltet Ihr inzwischen wissen!“ Ja, das sollte sie wirklich inzwischen erkannt haben!
Jetzt bemerkte Cedrik, dass die beiden Befreiten bereits auf zwei Pferde gesetzt worden waren und die beiden Reiter hinter ihnen aufgesessen waren. Es blieb also nichts weiteres zu tun, als ebenfalls von hier zu verschwinden. Assasina hob den Arm und rief mit Ungeduld in ihrer Stimme:
„Abmarsch!“
Der erste Reiter hatte den Teppich bereits erreicht und verschwand eben darin. Als Cedrik dicht vor ihm angekommen war, erkannte er das fadenscheinige Blendwerk, das den dunklen Korridor verdeckte. Gleich dahinter wartete Sternenlicht und schnaubte erleichtert, als Cedrik den Stab ins Futteral steckte und sich selbst auf Sternenlichts Rücken schwang. Kurz tätschelte Cedrik den Hals seines Einhorns, dann konzentrierte er sich darauf, den Anschluss nicht zu verlieren.
Die meisten von Agenors Männer ritten am Anfang, nur Agenor ging am Schluss der Gruppe. Er wollte alle im Auge behalten und wenn möglich, heil zurück bringen, weil er es als seine Aufgabe betrachtete, die meisten seiner Gefährten sicher nach Hause zu bringen. Seine Blicke gingen zu jedem seiner Gruppe und blieb lange auf jedem einzelnen hängen.
Agenor hatte sein Pferd dem Prinzen überlassen und ging nun mit sicherem Schritt vorwärts. Er sah auch den einen oder anderen zu ihm hin zu schauen, doch seine Krieger kannten ihn lange genug, um zu wissen warum er immer entweder ganz vorne oder aber ganz hinten gehen musste. Man sah ihn eigentlich nie mitten in der Gruppe.
Assasina wartete neben dem Geheimgang, bis alle darin verschwunden waren und sah sich nochmals in dem Saal um.
„Kommt Ihr?“, ertönte Agenors Stimme aus dem Korridor und Assasina wandte sich von den Trümmern, die sie wie hypnotisiert angestarrt hatte, ab. Nun betrat auch sie den oberirdischen Tunnel und schloss zu Agenor, der als letzter ging, auf.
„Als ich mich bei dir bedankt habe, dass du Votan fast getötet hast, habe ich das ernst gemeint!“, sagte sie zu dem Ritter, kaum war sie neben ihm angekommen. Er wandte sich ihr zu und sah sie etwas überrascht an.
„Ich habe mich nicht für dein Ehrgefühl oder dein Pflichtbewusstsein bedankt, sondern dafür dass du uns das Leben gerettet hast. Ich möchte nicht, dass du das als ein normales, einfaches Danke hin nimmst. Du solltest genauer darüber nachdenken, was du mit diesem Schuss vollbracht hast. Wegen diesem – deinem Pfeil - haben die Familien deiner Männer jetzt noch Väter und Ehemänner. Catyua und Cedrik, die beide noch so jung sind, können noch ein richtiges Leben führen. Rutaara hat jetzt noch Gelegenheit es zu schaffen, doch mit einem Elb und nicht mit einem Wolf an ihrer Seite zu sterben und deiner Familie braucht niemand die Nachricht über deinen Tod überbringen. Ich hoffe, an all das hast du gedacht, als du sagtest, dass ich dir nicht danken brauche!“
Assasina verstummte und blickte zu Boden. Tränen hatten sich in ihren Augen gesammelt.
Der Prinz war also gefunden. 'Schön und gut, doch was wird mir das schon bringen?' dachte die Elbin Rutaara traurig. 'Wo ich doch genau weiß, dass der König mir die versprochenen Informationen nicht geben kann und auch nicht will?'
Plötzlich überfiel sie die Wut. 'Und Votan konnte ich dank dieser verfluchten Elfe auch nicht zur Rechenschaft ziehen! Nun, dann soll es wohl so sein. Die Suche nach einer Heimat muss warten!' Rutaara seufzte leise, während sie hinter den anderen her lief. Sie betrachtete noch einmal jeden genauer, wollte sich alles einprägen bevor dieses Abenteuer endete.
Das Halbalbenmädchen Catyua, in der die vergessene Magie der Alben weiter lebte. Cedrik der Menschenmagier, der ihr immer noch unsympathisch war. Agenors übrig gebliebene Männer – sie alle hatten ein trauriges Lächeln auf den von den Strapazen gezeichneten Gesichter.
Die Elbe blickte über ihre Schulter. Agenor und Assasina gingen gemeinsam am Ende der Gruppe und redeten miteinander.. Rutaara durchzuckte beim Anblick Assasinas erneut die Wut.
'Lyrael, mein Liebster ich schwöre dir, das wird sie mir büßen!' Sie ballte die Faust und ihre Fingernägel bohrten sich tief in die Handfläche. Lyrael bemerkte es, lief an ihre Seite und stupste sie mit der Schnauze sanft an.
'Geliebte, sie kann nichts dafür. Es war die Liebe. Die Liebe zu dir war Schuld an meiner Verwandlung. Die Liebe Assasinas zu Votan ist schuld daran, dass ich nun noch immer bin, wie ich bin. Sei nicht wütend auf sie. Wir werden einen Weg finden!'
Rutaara erwiderte nichts darauf, was sollte sie auch sagen? Dass, wenn Assasina ihr die Gelegenheit gegeben hätte, er wieder ein richtiger Elb geworden wäre? Dass sie ihn endlich wieder in die Arme nehmen und seine Lippen auf den ihren spüren könnte?
Abermals kamen ihr Tränen, als sie an die Zeit zurück dachte als Lyrael noch kein Wolf war...
Er war so schön anzusehen gewesen. Dunkelhäutig wie sie. Augen so blau wie der tiefste See in den Mondbergen und seine Haare waren rabenschwarz gewesen. Sie war ihm auf der Suche nach ihresgleichen begegnet und es war, als hätten sie sich schon immer gekannt. Seither waren sie unzertrennlich und so kam es, dass sie auf der gemeinsamen Suche in ein Menschendorf kamen, das gerade von Votan und seinen Andeas angegriffen wurde. In dem darauffolgenden Kampf kam es dann auch zu der schreckliche Verwandlung Lyraels. Rutaara schluchzte auf als die Erinnerung wieder über sie herein brach.
Auch Cedrik wälzte dunkle Gedanken. Für die anderen unerkannt, dachte er an sein bisher geführtes Leben. Zwischen all den Büchern, Kräutersäftchen und den Belehrungen Fulkhurx. Er dachte bis vor kurzem, so wie sein Leben begann, würde es auch enden. Doch dass sich das Schicksal wand wie eine Schlange, erkannte er erst jetzt. Er hatte früher oftmals die Frage nach seinen Eltern gestellt und sein Meister und Ziehvater hatte ihm immer wieder erklärt, eines Tages würde Cedrik erfahren was er schon immer tief in sich selbst gewusst hatte. Aber da war nichts, das er wissen konnte. Da gab es nur ein tiefes, dunkles NICHTS! Jeder der hier mit ihm reitenden und laufenden Gefährten wusste um seine oder ihre Wurzeln. Allein er – Cedrik – konnte kein solches Wissen vorweisen. Als er die Schauerszene in der Schale gesehen hatte, hatte er gehofft dass es etwas Licht in sein persönliches Dunkel bringen könnte. Doch es warf mehr Fragen auf, als es beantwortet. Ob Cedrik allerdings seine Frage nach seiner Herkunft vom König beantwortet bekommen würde, war nun mehr als fraglich. Denn alle anderen hatten triftigere Gründe diesen Befreiungskampf geführt zu haben.
Unwillkürlich traten Cedrik Tränen der Verzweiflung in die Augen. Und diesmal war ihm egal, ob sie einer der anderen sehen würde und ihn dafür verachtete.
Er ahnte, der König würde sich überschwänglich bei allen bedanken und seine Frage nach seinem eigenen „Woher“ würde wieder unbeantwortet bleiben. Dass die Verbannung von Fulkhurx nicht aufgehoben werden würde, das war Cedrik eigentlich in seinem derzeitigen Stimmungstief relativ egal. Denn sein Meister hatte ja wirklich das „Auge“ entwendet.
Cedriks Blick fiel auf Assasina, die in ein Gespräch mit Agenor vertieft war. Es gab Cedrik einen Stich in der Magengrube. Cedrik wandte den Blick ab und wischte sich über sein feuchtes Gesicht. Er hatte keinerlei Rechte. Auf nichts und niemand. Wenn jeder seiner Mitstreiter bekommen hatte, weswegen er hier mitmachte, würde die jetzige Gruppe wieder auseinander fallen, jeder seiner Wege gehen und er …!
Cedrik seufzte. Sein Blick fiel auf Rutaara und er zuckte leicht zusammen, als er ihren Blick auf sich bemerkte. Es befand sich so viel Hass und Abscheu in ihm, dass Cedrik rasch seinen Blick auf Sternenlichts Kopf senkte. Das Herz wurde ihm schwer. Cedrik hätte nicht sagen können was ihm mehr traf, Assasinas Spott über Cedriks Gefühle oder dieser kalte Hass und das Misstrauen in Rutaaras Augen. Fulkhurx hatte ihn nur ungenügend darauf vorbereitet, was ihn hier erwarten würde. Gut, dass er sich bis zur Bewusstlosigkeit verausgaben würde, konnte Fulkhurx nicht wissen. Aber dass Cedrik sich in eine Frau wie Assasina verlieben würde und den Hass einer Wolfsgefährtin auf sich zieht, das hätte er wenigstens erkennen können. Wobei sich Cedrik fragte, womit er sich diesen Hass und die Abscheu Rutaaras auf sich gezogen hatte. Der einzige stabile Ruhepol, der ihm bisher geblieben war, war Sternenlicht. Obwohl auch dieser ihm noch nicht gänzlich vertraute.
Cedrik fragte sich wiederholt, was dies wohl sei dass sich jeder, mit dem er enger Kontakt bekam, von ihm distanzierte. Lag es daran, dass er noch so jung war? Oder daran, weil er keine Herkunft vorweisen konnte? Oder etwa daran, dass er Magie beherrschte?
Magie spürte er in sich, seit er bewusst denken konnte. Seit er sich erinnerte, konnte er die stärkeren Gefühle von ihm umgebenden Personen spüren. Er konnte schon immer heilen. Und er hatte schon immer das Wissen über Spiegelmagie in sich. Fulkhurx hatte diese Kraft nur ausgebildet und in die rechte Bahn gelenkt. Wobei Cedrik sich noch lange nicht als ausgebildet bezeichnen würde. Aber er gestand sich auch ein, dass er hier mehr gelernt hatte als die letzten zwei Jahre bei seinem Meister. Vor allem Assasina hatte ihm neues beigebracht. Cedrik seufzte erneut.
Doch da Cedrik mehr zu Lebensbejahung tendierte, hielt seine Traurigkeit nicht lange an. Er wischte sich mit den Händen übers Gesicht und atmete tief ein und aus. Nun merkte er auch, dass er nicht mehr das Ende des Trupps machte, sondern bereits der Mitte entgegen gekommen war. Er konzentrierte sich nun erneut auf die Überwachung des Weges. Noch waren nur sie allein hier unterwegs. Von der jungen Prinzessin kam kein Laut zu ihm, aber er spürte ihre tiefe Müdigkeit. Nun ja, müde waren sie alle. Es war Cedrik so vorgekommen als er den Ambarin in Votans Körper gestoßen hatte, als würde dadurch nicht nur der Stein seiner Kraft kurz beraubt werden, sondern auch als hätte dieser Stoß einen Teil von Cedriks magischen Kraftpotential genommen. Dass der Ambarin seit seiner Geburt in seinem Besitz war, das wusste Cedrik. Fulkhurx hatte ihm auch erzählt, dass dieser einmal versucht hatte, den Stein an sich zu bringen. Doch der Stein hatte Fulkhurx bestraft. Wie das gemeint war, erfuhr Cedrik nicht.
Cedrik hatte sich nur kurz danach über diesen Ambarin schlau gemacht – sein Meister besaß das wahrscheinlich letzte Exemplar des Buches „Magiesteine und ihre Eigenschaften“ - darin war der Ambarin als „Feuerherz“ gekennzeichnet. Ein tiefblauer Stein, manchmal satt Blaugrün und nachts Purpurrot bis Violett. Ambarine kamen nur in Drachenminen vor und sind sehr selten und kostbar. Ambarine regen zur Selbstheilung und das Regenerationsvermögen des Trägers an. Sie stärken den Mut und den Erfindungsgeist. Ambarine nennt man auch „Stein der Herrscher“. Wobei sich Cedrik ganz sicher war, dass er kein Herrscher war. Aber dass er und der Stein eine Einheit bildeten, das hatte Cedrik schon ganz früh erkannt.
Mittlerweile waren sie im Hof vor dem Burgtor angekommen und alles sah ziemlich verlassen aus.
„Wo sind denn alle hin?“, fragte Catyua unsicher und griff bereits zu ihren Waffen.
„Weg!“ meinte Assasina von rückwärts und das Mädchen wandte sich zu ihr um.
„Was meinst du mit 'weg'?“
„Votans engste Anhänger sind mit ihm geflohen und alle anderen sind in die Schlacht hinaus gestürmt um das sichere Fortkommen ihres Anführers zu gewährleisten.“
„Du meinst, die lassen für Votan ihr Leben?“ Seinen Namen betonte Catyua abfällig.
Assasina schüttelte den Kopf und schaute in die Runde. Auch die Neugierde der anderen war geweckt.
„Nein!“ meinte Assasina leise und ihre Stimme war völlig ohne Emotionen. Sie hätte es früher sagen sollen. „Nein, nicht für Votan. Für Rysa! Den inoffiziellen Herrscher von Ond Ande. Er ist das Grauen in Person und er war hier. Das war es, was Votan in der Halle gesagt hatte!“ Mehr oder weniger – fügte sie im Gedanken hinzu.
Alle schwiegen und jeder schaute jeden an. Natürlich hatten sie alle gewiss von Rysa gehört und von seinen Gräueltaten. Und natürlich hatten alle Angst vor ihm und Assasina konnte die Erleichterung darüber, dass sie ihm nicht begegnet sind, in den Augen aller sehen. Sie verspürte ja die gleiche Erleichterung.
Cedrik nickte unbewusst, als er Assasina von Rysa sprechen hörte. Auch er hatte bereits von ihm gehört. Wenn auch nur aus wenigen Erzählungen seines Meisters.
Doch dann schlug wieder diese unerklärliche Traurigkeit über ihm zusammen. Sein Kopf senkte sich und sein Blick fiel auf seine schmutzige und von seinem Blut besudelte Rüstung. Ein unbewusstes, abfälliges Lächeln huschte über sein Gesicht als er daran dachte, wie er noch am Morgen diese Rüstung geputzt hatte, dass sich die aufgehende Sonne darin gespiegelt hatte. Und wie er daran gedacht hatte, allein mit diesem Glanz. Der ihm – Cedrik – wie ein Spiegel vorkam, die Prinzenpaarentführer in die Flucht zu schlagen.
Cedriks dunkle Brauen zogen sich unwillkürlich so weit zusammen, dass sie einen beinahe einheitlichen Strich auf seiner Stirn bildeten. Götter! Da war er noch so naiv gewesen!
Jetzt, einige Stunden später, kam er sich bereits alt und seltsam verbraucht vor. Er hatte nicht kämpfen wollen, er hatte auch nicht daran gedacht, sich in ein Wesen wie Assasina zu vergucken. Cedrik biss die Zähne zusammen.
Was hatte er sich eigentlich gedacht? Nun ja, er hatte sich vorgestellt, dass er hier her kam, seine Rüstung würde den Verstand und die Augen der Entführer so blenden, dass sie nur noch fliehen könnten und er könnte, mit der Hilfe der anderen hier – selbstverständlich – das Paar befreien und dann erfahren, wer seine Eltern gewesen waren. Und wieso sie ihn ausgesetzt hatten.
Cedrik schüttelte über sich und seine dummen Gedanken den Kopf. Es war ganz anders gekommen. Von Anfang an war er als Eindringling betrachtet worden. Daran hatte seine Rüstung nichts ändern können. Jetzt klaffte am Brustharnisch eine gezackte Öffnung und darunter spürte Cedrik die verkrustete Wunde. Sie war zwar geschlossen und schien beinahe verheilt, doch das Blut darunter pochte schmerzhaft. Vielleicht war es Gift, das eingedrungen war?
Cedrik schob diesen kurzen Gedankensprung beiseite. Obwohl er unter Einsatz seines Leben gekämpft hatte, war er mit dem Erreichten aber irgendwie unzufrieden. Vielleicht lag es auch daran, weil ihm immer noch Misstrauen entgegen gebracht wurde. Das konnte Cedrik sogar begreifen und verstehen. Denn er war wie ein Baby in diesen Kampf gezogen. Und solche Kämpfe schlugen Männer! Männer wie Agenor. Verantwortungsbewusst und mit keinerlei Magie behaftet, ausser ihrer Kampferfahrung und der daraus resultierenden Stärke!
Und er? Ein siebzehnjähriger Magier ohne familiären Hintergrund, unbedarft noch in höherer Magie und in den Augen der meisten hier noch ein Kind. Ein Kind, das wahrscheinlich diese Befreiungsaktion als Spiel ansah.
Doch das sah Cedrik keinesfalls so an. Er hatte zwar nicht so viel Kampferfahrung wie Agenor, oder so viel Wissen wie Rutaara. Doch er konnte kämpfen – die heimlichen Stunden bei Meister Bertram dem Schmied hatten sich bereits ausgezahlt - und er verstand etwas von Magie. Schön, er hatte erst die zweite Stufe der vorgeschriebenen zwölf erreicht, aber er war ja auch noch jung. Allerdings ahnte Cedrik, sollte er sich wieder einmal so verausgaben wie er es im Thronsaal getan hatte, würde er wohl kaum mehr die dritte Stufe erreichen.
Cedriks Backenknochen begannen zu schmerzen und so löste er behutsam seine Zähne voneinander. Nur seine Brauen blieben zusammen gezogen. Sternenlicht spürte scheinbar sein seelisches Tief und sandte ihm einen leichten Magiestoß.
Nun hoben sich auch die Brauen und Cedrik fühlte sich etwas besser. Nicht mehr dieser unerwünschte, dumme Junge und Versager im Bereich Erwachsener. Doch noch immer mit Misstrauen bestraft oder gar gehasst.
Rutaara war so in Gedanken versunken, dass sich ihr Schritt verlangsamt hatte. Assasina hatte nun das Pech, dass sie Rutaara nicht früher bemerkte und so lief sie in diese hinein.
Die Dunkle fuhr erbost herum, sah Assasina und fauchte:
„Bleib mir ja vom Leib, verfluchtes Elfenweib! Wenn du mich auch nur einmal während der Rückreise ansprichst, kann ich für nichts garantieren!“
Assasina wich bei Rutaaras Ausbruch einen Schritt zurück und hob abwehrend aber auch entschuldigend die Hände. Sie wollte etwas sagen, doch der hasserfüllte Blick der Elbe ließ sie verstummen.
Rutaara wandte sich wieder um, winkte Lyrael an ihre Seite und beschleunigte wieder ihre Schritte, bis sie die Spitze der Gruppe erreicht hatte.
„Und was kümmert mich Rysa? Hm … nun, wenn Votan nur ein Handlanger ist, ist Rysa mitschuldig an deinem Schicksal, Lyrael, mein Liebster! Vielleicht kann dieser Rysa den Zauber aufheben, wenn ich ihm etwas im Tausch dafür anbiete?“ Rutaara dachte an Assasina und dunkle Gefühle entwickelten sich in ihr. Ja … das wäre nur gerecht!
Die Elbin zuckte zusammen. 'Nein, was denke ich denn da? So bin ich doch gar nicht!'
Rutaara spürte die Blicke der anderen in ihrem Rücken und plötzlich schämte sie sich.
'Ja Rysa!' dachte Agenor. Er war es, der die zweitausend besonders gut ausgebildeten und tapferen Krieger und seinen Vater in einen Hinterhalt gelockt hatte und er gab den Befehl einen Feuerteppich – den Boden mit Öl tränken und schon reichte ein einziger brennender Pfeil, um ein Inferno auszulösen – zu legen. Tausendsiebenhundertvierzig starben qualvoll, im Feuer gefangen und mittendrin auch Agenors Vater – Sinak.
Agenor hatte keine Angst vor Rysa, aber er wusste auch, dass dieser für ihn und die Gruppe viel zu stark war. Mit seiner winzigen Gruppe konnte es Agenor niemals verantworten, den Kampf gegen Rysa aufzunehmen.
„Ich denke auch, dass unsere Reise noch nicht vorbei ist, doch lasst mich euch trotzdem heil zum König bringen!“ Agenor rang sich ein Lächeln ab. „Mir hat Rachnaul versprochen, dass er mir Krieger gibt, die ich ausbilden kann. Aber sie wären mir treu ergeben und nicht dem König. Auch hat er versprochen, dass er uns eine Burg bauen lässt, wo wir mit allen unseren Familien wohnen könnten. Aber er kennt mich und weiß, wenn er sich in Schwierigkeiten befindet, dass ich meine Krieger zur Verfügung stellen werde. Soweit sie nicht zu schwer verletzt oder gar getötet wurden, wenn du verstehst was ich meine. Ja, ich suche mir selber noch Krieger aus und will wieder eine Armee aufbauen mit tapferen Männern.Dann hätte ich wieder einen Grundstock von zweihundertsechzig Kriegern, ohne meine alten Gefährten, die sich dann zur Ruhe setzen könnten. Aber ich habe ihnen etwas ans Herz legen müssen, denn so richtig freiwillig mag keiner meiner Männer in Kriegerpension gehen. Doch wenn ich etwas sage, dann widersprechen sie mir nicht, obwohl der eine oder andere schon gerne etwas gesagt hätte …! Sie haben schon viel durch gemacht und ich werde sie auch als Lehrer für die nächsten Krieger einsetzen, damit sie sich zufrieden geben, dass sie noch nicht zum alten Eisen gehören, wo sie mich nicht umstimmen können.“
Assasina starrte ungläubig auf Rutaaras Rücken und wollte schon zu ihr nach vorne laufen, um ihr gehörig die Meinung zu sagen, aber Agenor war wieder neben ihr und sie führten das Gespräch weiter, das vorhin so abrupt unterbrochen worden war.
„Du hast dein Leben ja schon ziemlich gut geplant. Und was sagt deine Familie dazu, dass du nichts als kämpfen im Kopf hast?“ Ein helles Lachen drang aus ihrer Kehle und sie musterte Agenor. Nun ja, er war ein Mensch und natürlich musste er sich mit all seinen Vorhaben beeilen. Er hatte nicht so viel Zeit wie Elfen. „Mit diesen Vorhaben hast du dann ja schon deine Zeit bis an dein Lebensende geplant.“
Etwas in Gedanken versunken, schaute sich Assasina um. Sie waren schon längst aus der Burg heraus und marschierten eben durch einen Wald. Es war noch Kampflärm zu hören, doch dieser wurde bereits leiser. Es waren nicht viele Dämonen mehr da und die wenigen hatten kein System mehr in ihren Angriffen, waren mehr auf der Flucht als beim Kampfe. Jemand hätte die Krieger benachrichtigen sollen, dass der Prinz bereits auf dem Weg zum König war. Doch was kümmerte das schon Assasina.
Agenor sprach weiter:
„Ich habe einen Sohn, aber keine Frau mehr. Als Krieger wollte ich keine Beziehung anfangen, da ich sehr oft unterwegs bin. Mein Sohn ist alt genug um allein zurecht zu kommen und er hat ja auch schon eine Frau. Du hast recht, ich teile meine Zeit gerne und gut ein so wie jetzt. Ich bin mir sicher, wir werden beim König ankommen und vielleicht nur hier und da eventuell auf Banditen treffen. Nicht immer müssen es Dämonen sein!“
Es tat Agenor gut, mit Assasina wieder das Gespräch weiter zu führen, denn es hätte sicher Streit mit Rutaara gegeben. Und Streit wollte er jetzt keinesfalls haben, da sie noch immer an einem gefährlichen Ort waren und auch noch das Prinzenpaar heil zum König bringen mussten.
Cedrik war in seinen Gedanken so tief versunken, dass er nicht merkte, dass sie bereits die Burg und auch die unmittelbare Umgebung davon verlassen hatten. Sie waren bereits auf dem Weg eingeschwenkt, der sie zum Ziel führen würde.
Kurz tauchte Cedrik aus seinem Grübeln auf, als er – ohne es zu merken – plötzlich dicht neben der Prinzgemahlin ritt. Sternenlicht zuckte immer wieder leicht seitlich weg. Irgend etwas schien ihn zu irritieren. Cedrik sah das von den überstandenen Strapazen gezeichnete Gesicht der jungen Frau, die noch ein Mädchen zu sein schien.
„Geht es Euch besser?“ fragte Cedrik. Sie sah kurz auf und nickte.
„Ich danke Euch Magier!“
„Zuviel der Ehre, ich bin noch Anwärter. Habt Ihr Hunger oder wollt Ihr etwas Wasser?“
Doch die wenigen Worte schienen die Prinzessin sehr angestrengt zu haben. Denn ihr Gesicht war noch blasser geworden und sie schüttelte nur stumm den Kopf. Ehe Cedrik sich zurück fallen ließ, streckte sie jedoch rasch ihre Hand aus und legte sie leicht auf Cedriks linken Unterarm. Ein kleines, zaghaftes Lächeln wurde dazu geschenkt, dann wandte sie sich wieder ab. Cedrik fürchtete, sollten sie erneut überfallen werden, würde sie nicht lange durchhalten.
Kurz suchte Cedrik den Blick des Prinzen, doch dieser schien sich nur für den Sattelknauf vor seinen Händen zu interessieren. Cedrik seufzte leise.
Kurz tauchte der Gedanke aus seinem Unterbewusstsein auf, jetzt wo die beiden gefangenen befreit waren, könnte er sich eigentlich wieder zurück ziehen. Einen Magier brauchte man hier nicht mehr. Die anderen konnten sich auch ohne sein Zutun verteidigen. Und wa war fraglich, ob er – Cedrik – je erfahren würde, wer seine Eltern wirklich gewesen waren. Und wenn es nach Rutaara gehen würde, wäre sein Rückzug besser jetzt als später vonstatten gegangen.
Aber wenn er dies wirklich machen würde, wäre er nicht der, der er wirklich war. Man ließ keine Freunde in Stich, auch wenn diese Freunde ihn nicht als einen der ihren betrachteten. Keine Feigheit vor dem Feinde und das Prinzenpaar war noch nicht in Sicherheit.
Cedrik senkte seinen Blick und versank wieder in Grübelei.
Assasina, die wie immer zu Fuß ging, legte Agenor kurz die Hand auf den Arm und entschuldigte sich bei ihm, bevor sie in ein etwas schnelleres Tempo verfiel und zum Prinzen aufschloss. Jetzt war eine gute Gelegenheit.
Rutaara schmollte an der Spitze, Cedrik war – nachdem er mit der Prinzessin gesprochen hatte – darauf bedacht, nicht zu nahe an die beiden zu kommen. Mit Agenor hatte sie gerade das Gespräch beendet, er würde also so schnell nicht zu ihr aufschließen und Catyua kramte gedankenversunken in ihrem Beutel herum.
Zwei von Agenors Männern hatten den Adligen ihre Pferde überlassen, hielten aber die Zügel und gingen neben ihnen her.
„Geht es dir gut, Hoheit?“ Assasina legte so viel Verachtung in ihre Stimme wie sie nur konnte und war darauf bedacht, so leise zu sprechen, dass nur der Prinz sie hören konnte. Der junge Mann schaute, offensichtlich erzürnt über diese unwürdige Anrede, auf sie herab und sein Gesicht erstarrte, als er sah, wer neben ihm ging.
„Verschwinde! Geh weg von mir!“ Auch er war darauf bedacht, dass niemand sonst ihn hörte.
„Ich kann nicht verschwinden. Ich bin deine Eskorte und für dein Wohl und das deiner Geliebten verantwortlich!“ Assasina lachte, ein kaltes freudloses Lachen.
„Wer hat dich geschickt?“
„Dein Vater!“
Es gab der Elfe eine gewisse Befriedigung zu sehen, wie der Prinz immer blasser wurde.
„Tu nicht so, als hättest du mich nicht schon längst gesehen. Hast du geglaubt, du kannst dich vor mir verstecken, wenn ich mich nie weiter weg als zwanzig Meter von dir befinde?“
„Hör zu, ich gebe dir alles was du willst, aber halte dich während dieser Reise fern von mir! Und meiner Frau!“
Alles was ich will ist meine Freiheit und die bekomme ich schon von deinem Vater!“
Der Mund des Prinzen öffnete sich erstaunt.
„Ist alles in Ordnung bei Euch?“ Assasina blickte auf, als sie die leisen Worte neben ihrem Ohr vernahm. Sie blickte in das schüchtern wirkende Gesicht Cedriks und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.
„Natürlich. Ich habe mich nur über das Wohlergehen unseres Prinzen erkundigt. Und es freut mich zu hören, dass er bei vollem Bewusstsein ist. Nun denn, Euer Hoheit! Die Reise ist noch lange und ich bin mir sicher, wir werden noch so manches Gespräch führen können.!
Süffisant grinsend blieb Assasina stehen und ließ die Pferde passieren. Cedrik stand noch immer auf Sternenlicht sitzend neben ihr und blickte sie fragend an. Sternenlicht scharrte kurz mit den Hufen und schnaubte leise. Ob leicht verächtlich oder eben nach Pferdeart, konnte Assasina nicht sagen. Sie lächelte breiter, hielt sich kurz an seinem Arm fest und schwang sich hinter ihm auf sein Pferd.
„Ich bin müde, Magier! Ich hoffe es stört dich nicht, wenn ich ein wenig mit dir reite?“ Und sie lehnte ihren Kopf und Brust gegen seinen Rücken und amüsierte sich innerlich köstlich, als sie seinen immer rascher werdenden Herzschlag spürte.
Cedrik schloss die Augen und atmete sehr flach. Er wollte sie nicht vertreiben. Dass Sternenlicht Assasina auf sich duldete, erstaunte Cedrik nicht mehr. Er musste etwas an diesem Wesen spüren, das ihn so agieren ließ. Und auf Sternenlichts Spürsinn konnte sich Cedrik verlassen.
Cedriks Atem beschleunigte sich unbewusst, als Assasinas Körperwärme durch die beschädigte Rüstung drang, durch die Kleidung die er darunter trug und schließlich seine Haut erreichte.
„Wäre es …!“ Cedrik räusperte sich und errötete, als er seine versagende Stimme hörte. Er schluckte und seine Brust hob sich unter einem zittrigen Atemzug. Er begann erneut.
„Wäre es nicht besser, wenn Ihr …!“
Cedriks Stimme versagte erneut, als Assasina noch dichter an ihn heran rutschte und ihre Finger sich auf seiner Brust verschränkten.
„Was habt Ihr vor?“ fragte Cedrik und runzelte verärgert die Stirn, als er merkte wie sein Herz erneut zu rasen begann. Was hatte sie wirklich vor?
Dass Assasina tatsächlich müde war, das konnte er fühlen. Und dass es ihr dämonischen Spass bereitete, ihn immer wieder in Verlegenheit zu bringen, das wusste er. Unbewusst legten sich Cedriks Finger der rechten Hand auf Assasinas Finger.
Eigentlich hätte er keinerlei Zügel bei Sternenlicht benötigt, doch um den Anschein zu bewahren, ein normales und echtes Pferd zu reiten, musste er eben die Zügel nehmen.
Rutaara bemerkte das Spiel der Elfe mit den Gefühlen Cedriks. Es verärgerte und amüsierte sie zugleich. Was bildete sich diese Elfe eigentlich ein, den Männern so den Kopf zu verdrehen? Schließlich befanden sie sich noch immer auf einer Mission und da war keine Zeit für solch kindisches Gehabe. Doch im gleichen Moment musste sie schmunzeln.
Damals – als sie den wortkargen Dunkel Elben Lyrael traf, dessen Augen so in die Tiefe ihre Seele blicken konnten – war sie genauso gewesen. Mit einem Unterschied … Rutaara wusste vom ersten Tage an, dass Lyrael ihr Schicksal war. Bei Assasina jedoch war es anders. Es schien ihr Spaß zu machen, dem Jungen irgend welche Hoffnungen zu machen, obwohl sie selbst wahrscheinlich nie die Absicht hatte, diese auch zu erfüllen.
Cedrik zwang seine Gedanken weg vom Druck, den Assasinas Körper auf seinen Rücken ausübte. Weg von der Wärme, die ihr Körper aussandte und die Cedrik mit Furcht, Verlangen aber auch mit Verlegenheit erfüllte. Weg von den Händen, die seine eigene Hand auf seiner Brust festnagelte.
Er befasste sich mit allem möglichen, während er den anderen folgte. Doch immer wieder kehrten seine Gedanken zurück – zurück zu dem Wesen hinter ihm auf dem Einhorn, dem er scheinbar verfallen war. Und Cedrik ahnte, dass es ihr mächtigen Spass machte, ihn an der langen Leine zu halten. Ablehnung und Verlockung zugleich über ihn zu werfen.
Cedrik hatte sich seine erste Liebe anders vorgestellt. Dass sie nichts von ihm wollte, zumindest nicht das was er sich erhoffte, hatte sie ihm bereits erklärt. Als sie ihm sagte, sie wäre um vieles älter als er. Doch was machte das schon?
Es war Cedrik egal, wie alt Assasina war. Und irgendwie war es ihm auch egal, dass sie nur mit ihm spielte. Denn auch wenn er dies nie öffentlich zugegeben hätte, er merkte genau was dieses Wesen mit ihm und seiner inneren Ruhe machte. Und er würde, ohne mit der Wimper zu zucken, sein Leben für sie opfern.
Gewaltsam zwang er seine Gedanken und Augen auf den Weg vor sich. Doch seine anderen Sinne waren unvermindert auf das Wesen hinter ihm gerichtet.
Die Gefühle, die Catyua bei Cedrik und in einem winzigen Maß auch bei Assasina fühlen konnte, hatte sie stets unterdrückt.
'Die Liebe' dachte sie verächtlich 'Ich brauche sie nicht. Ich WILL sie nicht!'
Von wem war sie denn auch schon geliebt worden, der ihr hätte zeigen können, wie wundervoll die Liebe sein kann? Aber wenn man nicht einmal in der Lage ist, Freundschaft zu empfinden, wie soll man da die Liebe vermissen?
Über so etwas Sinnloses wie Liebe machte sich das Mädchen nicht oft Gedanken. Musste wohl an den Erinnerungen liegen, die aufgekommen waren, als sie den tiefroten, runden, weich geformten Stein in die Hand genommen hatte, nachdem sie ihn aus dem kleinen Lederbeutelchen geholt hatte, der verdeckt vom langen Mantel, an ihrem Gürtel baumelte.
Nichts stand ihnen mehr im Weg, die Dämonen waren in die Flucht geschlagen, das junge Königspaar lebte und sie waren auch mehr oder weniger unverletzt. Eher weniger, aber sie waren am Leben. Was doch dankenswert war. Die steten Kämpfe hatten Catyua verändert, körperlich aber auch ihre Gedanken und Gefühle waren nicht mehr so, wie vorher.
Und wie waren sie vorher gewesen? Warum stellte sie sich immer wieder diese Fragen? Wieso wusste sie so wenig über sich selbst? Wie sollte sie das alles heraus finden? Allein schaffte sie es nicht. Sie wollte keine Schwäche zeigen, kein Versagen zugeben. Doch sie merkte genau, dass sie es irgendwann tun würde, denn sie begann ja schon jetzt an ihren verwirrenden Gedanken zu scheitern. Sie konnte fast spüren, was in ihr zerbrochen war – damals!
Das Schweigen der Gruppe war für Rutaara ein Segen. So konnte sie sich ganz auf die Auseinandersetzung mit dem Talkönig vorbereiten, die ihr noch bevor stand. Sie hatten seinen Sohn und dessen junge Gemahlin, sie hatten Votan und seine Andeas in die Flucht geschlagen – vorerst – nun war es an ihm, seine Versprechen zu halten. Doch ahnte Rutaara schon jetzt, dass er das zumindest ihr gegebene Versprechen und Wort nicht halten würde.
Als er sie bat, die Gruppe zu unterstützen, hatte er sie mit dem Versprechen geködert, er gebe ihr Informationen über den verbleib ihrer Artgenossen. Doch bei ihrer ersten Begegnung war der König so erstaunt über ihre Erscheinung, dass sie erkennen musste – er hatte noch nie einen Dunklen Elben gesehen, geschweige denn etwas über sie gehört. Rutaara wollte ihm seine verzweifelte Bitte schon abschlagen, als er die Zwerge erwähnte.
Sie wusste, dass es mehrere Stämme der Zwerge über die Welt verstreut gab und dass einige davon von den Dunklen wussten.
Diese Hoffnung hatte sich durch Messino und dessen Brüder bestätigt, doch leider waren sie gestorben, bevor sie ihr genaueres berichten konnten.
Rutaara seufzte leise und berührte den Amethysten, den sie vor den Trümmern des Turms gefunden und heimlich eingesteckt hatte. Sie wollte ihn zu Tjurre Silberzunge bringen und ihm alles erzählen, was sie von diesen drei mutigen und ehrbaren Zwergenbrüdern wusste. Nur so konnte sie ihr Versprechen, das sie ihnen an ihrem steinigen Grab gab, einhalten. Tjurre würde schon dafür sorgen, dass sie als wahre Helden in die Jahrhunderte alte Zwergengeschichte eingingen und nie vergessen würden.
Assasina schlug die Augen auf und verharrte kurz reglos in ihrer momentanen Position, bis ihr bewusst wurde, wer, wo und mit wem sie hier war. Langsam und sacht stieß sie sich vom Rücken des Magiers ab, der sich überrascht umwandte. Sie lächelte breit.
„Ich habe etwas geschlafen. Danke, dass du mir dein Pferd und deinen Rücken geliehen hast!“
Röte stieg in Cedriks Gesicht und er murmelte etwas wie:
„Bitte, kein Problem!“
Assasina ließ ihren Blick wandern. Rutaara lief nicht mehr ganz an der Spitze, Catyua hatte sie überholt. Trotzdem ging sie relativ einsam dahin, von ihrem ständigen Begleiter abgesehen. Es würde noch eine längere Reise werden, dachte sich Assasina und sie wollte nicht ihre Nächte damit verbringen, ein Auge auf diese bizarre Elbin zu haben, um nicht befürchten zu müssen, im Schlaf erstochen zu werden.
„Danke!“ flüsterte sie noch einmal dem Magier zu und berührte sacht dabei sein rechtes Ohr mit ihren Lippen, glitt vom Pferd und schlenderte äußerlich gelassen auf Rutaara zu.
Rutaara beobachtete angespannt aus dem Augenwinkel heraus, wie Assasina auf sie zu kam. Sie ballte die Hände zu Fäusten.
'Ausgerechnet jetzt!' dachte sie. Ich will ihr nichts tun, aber wenn sie mich anspricht mit ihrer Sirenen gleichen Stimme, werde ich rasend vor Enttäuschung!' Die Elbin zwang sich gewaltsam zur Ruhe. 'Ich höre mir einfach mal an, was sie zu sagen hat.'
Lyrael bemerkte Rutaaras Unruhe und lief nun dichter an ihrer Seite, so dass er sich zwischen den beiden Frauen befand. Rutaara staunte immer wieder über seine Größe. Stehend erreichte er mit seinem Rücken ihre Hüfte, so dass – wenn sie in die Knie ging - sein Kopf den ihren überragte.
Cedrik sah Assasina nach, als sie sich langsamen Schrittes zu Rutaara begab. Noch spürte er an seinem Ohr ihre sachten Lippen, wo sie ihn berührt hatte. Er schluckte. Sein Blick glitt von Assasina zu dem jungen Mädchen. Kurz zuckte er unter ihrem dunklen Blick zusammen. Dann fragte er sich verwirrt, ob das Tränen waren, die da in ihren Augen glitzerten. Doch sie wandte ihr Gesicht weg und Cedriks Blick wanderte weiter. Über den Rücken der vor ihm gehenden und reitenden zu den Bäumen, die sie seit einer geraumen Weile umgaben. Cedrik senkte den Blick und musste erst das seltsame Gefühl ergründen, das ihn in den Fingern hielt.
Es war, als spürte er eine Einsamkeit, seit Assasina Sternenlichts Rücken verlassen hatte. Seine Stirn runzelte sich, als er den Sattel sah, den er sehr widerwillig über Sternenlichts Rücken gegeben hatte. Sonst hatte er bloß eine leichte Decke über sein Einhorn gelegt, denn Sternenlicht hasste Sättel. Und auch Zügel. Doch hier in dieser illustren Gruppe konnte Cedrik nicht anders handeln. Er hatte längst schon die Befürchtung, dass Rutaara eine Ahnung wegen Sternenlicht hatte. Dass er sich mehr von einem normalen Pferd unterschied, als er sollte. Und Cedrik wollte nicht wissen, wie sie oder die anderen darauf reagieren würden, wenn sie Sternenlicht ohne den magischen Beutel auf dessen Horn erblicken würden. Er konnte sich jedoch vorstellen, dass es einen unangenehmen Aufruhr geben würde.
Cedrik sah auf und sein Blick fiel erneut auf das Mädchen. Er legte die Hand auf Sternenlichts Kopf und beugte sich etwas vor.
„Ich glaube, da benötigt jemand unsere Hilfe!“ sagte er und projizierte unbewusst das Bild des Mädchens in Sternenlichts Verstand. Sofort drängte sich dieser durch die Marschierenden und Cedrik beugte sich leicht hinüber, als er dicht neben dem Mädchen zu gehen kam.
„Geht es Euch gut? Habt Ihr Schmerzen? Kann ich Euch irgendwie helfen?“
Assasina hatte zu Rutaara aufgeschlossen und wartete kurz deren Reaktion ab. Die Schritte der Elbe wurden nicht schneller, also schien sie gewillt zu sein, zu reden.
„Schöner Tag heute, nicht wahr?“ meinte Assasina und schaute hinauf in den Himmel. Es waren kaum Wolken zu sehen und die Sonne war bereits aufgegangen. „Aber ein interessanter Zeitpunkt um auf mich wütend zu sein!“
Rutaara wandte etwas den Kopf zu Assasina, aber schwieg weiterhin.
„Ich meine, wenn du mich gehasst hättest, als ich euch das erste Mal umbringen wollte, gut. Wenn du mich gehasst hättest, als ich euch das zweite Mal umbringen wollte, auch gut. Wenn du m ich gehasst hättest, als ich statt Votan zu bekämpfen mit ihm geredet habe, ist das völlig verständlich für mich. Aber jetzt? Das Schlimmste ist doch jetzt vorbei! Also was ist dein Problem?“ Assasinas Stimme klang nicht im geringsten feindselig, eher nachdenklich. Sie verzichtete darauf, ihre Stimme zu versüßen, ob absichtlich oder nicht, hätte sie nicht sagen können. Vielleicht weil es sie tatsächlich interessierte. Ihre Worte waren ehrlich gemeint. Trotzdem schaute Rutaara sie mit Zorn in den Augen an. Aber kein Wort kam über ihre Lippen und sie wandte den Blick wieder nach vorne.
Assasina konnte sehen, dass es der Elbe schwer fiel, sie nicht anzuschreien. Sie schwieg weiterhin. Rutaara war Assasina auch nicht an die Gurgel gesprungen, was wohl ein gutes Zeichen war. Assassina schwieg nun auch eine Weile und betrachtete Lyrael, der zwischen ihr und Rutaara ging.Er wirkte angespannt.
„Ihr Elben seid schon ein komisches Volk. Vor allem ihr Dunklen!“ unterbrach Assasina die etwas unbehaglich gewordene Stille. „Ich glaube nicht, dass es Zufall war, dass Votan nur Lyrael verzaubert hatte und dich nicht auch. Er mag keine dunklen Elben. Mochte sie noch nie, auch nicht bevor …! Na ja, auch nicht früher. Er hatte immer gemeint, so dunkler Abschaum hätte das Leben nicht verdient. Doch er hat nie einen dunklen Elben getötet – zumindest wüsste ich von keinem solchen Vorfall. Er meinte nur, ein so schmutziges Volk verdiene schlimmeres als den Tod. Es machte ihm Spaß, Dunkle zu foltern, macht es ihm sicher heute noch. Ich denke, er wollte euch beide mit Lyraels Verwandlung quälen und hatte nie die Absicht, euch zu töten!“
Assasina hatte während ihres Redeschwalls nicht bemerkt, dass Rutaara und Lyrael bereits einige Schritte hinter ihr stehen geblieben waren. Sie wandte sich nach ihnen um und sah, dass Rutaara sie mit offenem Mund anstarrte in ihren Augen kalte Wut und Entsetzen. Auch in Lyraels Wolfsgesicht konnte man mehr als Überraschung erkennen.
„Was ist?“ fragte Assasina verblüfft. Was hatte sie denn diesmal wieder verkehrt gemacht?
„Schwarzer Abschaum! Verdienen schlimmeres als den Tod. Folter …!“ Rutaara glaubte, sich verhört zu haben. „Wie bitte? Was sagst du da? Und wieso erst jetzt?“ fuhr sie Assasina wütend an. „Du verfluchtes Weib! Hätte ich das früher gewusst, hätte ich ihn getötet, statt mich mit dir zu unterhalten!“ Rutaaras Blick war voll Abscheu. „Und da wunderst du dich, warum ich zu hassen begonnen habe? Sei froh, dass ich es für unnötig halte, dich zu töten, denn das wäre mir nicht von Nutzen. Dafür verlange ich von dir, alles über meine Brüder und Schwestern in Votans Fängen zu erfahren!“
Die Hand an dem weiß goldenem Griff ihres Dolches gelegt, schritt Rutaara nun die wenigen Schritte zu Assasina hin.
Überrascht sah das Mädchen zu dem jungen Magier auf. Wieso diese Freundlichkeit? Womit hatte sie diese verdient?
„Mir …?“ Sie zögerte. „Es geht mir gut!“ schaffte sie schließlich hervor zu bringen. „Ich bin nur müde und erschöpft.“ Catyua schickte ein tapferes kleines Lächeln ihren Worten hinterher. Was war denn nun schon wieder mit ihr los, dass sie sich so schwach und zerbrechlich wie ein Glaspüppchen fühlte? Und so durchschaubar. Er war doch ein Magier, würde ihm da nicht auffallen, wie es ihr wirklich ging? Na egal. Er würde sie dann darauf wahrscheinlich sicher ansprechen – ehrlich wie er war.
Doch früher war sie doch immer stolz auf ihre Verschlossenheit gewesen, die schien sich jedoch jetzt verabschiedet zu haben.
Catyua war dankbar, dass Cedrik nicht weiter fragte, obwohl er unmöglich übersehen haben konnte, dass sie vorhin geweint hatte. Jetzt, wo er ein Stück neben ihr her ritt, wagte sie es nicht, ihn anzusehen. Am liebsten hätte sie sich irgend etwas ausgedacht, nur damit er mit ihr sprach. Aber ihr Kopf war leer und so war der Moment ungenutzt vorüber, denn Cedrik würde jetzt wohl seine ganze Aufmerksamkeit Assasina schenken.
Was war das für ein komisches Gefühl, das da in Catyuas Herz entstand und in ihrem Koppf weiter lebte? Niemals wäre sie auf die Idee gekommen, dass sie auf die Elfe eifersüchtig sein könnte.
Plötzlich spürte sie, wie sich die Stimmung in der ganzen Truppe schlagartig veränderte. Erst jetzt fiel manchen die Diskussion der beiden Frauen an der Spitze auf, die allmählich recht giftig ausgetragen wurde. In ihrer manchmal vorhandenen spontanen Naivität wollte Catyua hin laufen, um die beiden zu beruhigen. Im letzten Moment ließ sie jedoch diesen Gedanken fallen. Auf sie würde keiner hören, sie würde nur Spott und Wut auf sich selbst ziehen.
Agenor bemerkte zu spät, dass Assasina Rutaara eingeholt hatte und mit ihr ein Gespräch began. Er ahnte was passieren wird und es geschah auch. Die vorerst „friedliche“ Diskussion der beiden Frauen begann bald lauter und ernster zu werden. Agenor, der zwar hinten ging, sah aber mit seinen guten Augen, dass Rutaara ihren Dolch ergriffen hatte … um ihn womöglich auch zu benutzen. Er beschleunigte seine Schritte und ging auf die beiden zu.
„Halt!“ sagte er laut. Kaum hatte er die beiden erreicht, wandte er sich um und richtete die nächsten Worte an die Gruppe, während er den Rücken den beiden Frauen zu wandte.
„Hier ist ein guter Platz zum ausruhen. Wir werden zwar nicht lange bleiben, also seid bereit wenn wir erneut aufbrechen. Es werden keine Verzögerungen geduldet!“
Nun wandte er sich den beiden Frauen zu. Hinter sich hörte er leise Seufzer der Erleichterung.
„Wenn ihr eure Unterhaltung unbedingt jetzt austragen müsst, dann macht es jetzt und hier. Geht ein Stück abseits, bleibt aber in Sichtweite, denn es müssen nicht alle wissen, worüber ihr streitet. Und macht es möglichst kurz!“ Agenor wandte sich direkt an Rutaara. „Und du lasse den Dolch stecken!“
Damit wandte er sich weg und trat wieder zu der Gruppe.
Cedrik sah zu dem jungen Mädchen hinunter. Dann hielt er kurz Sternenlicht an, stieg ab und lief neben ihr her. Er spürte zwar bei jedem Schritt, dass die kaum verheilte Wunde an seiner Schulter etwas zwickte, doch die Sorge um das Mädchen an seiner Seite war stärker.
„Verzeiht, Ihr braucht Euch keine Sorgen machen, dass ich irgend wem verrate, dass Eure geröteten Augen nicht nur von der Müdigkeit kommen. Ich fühle, dass Ihr müde seid. Doch auch, dass unbewältigter Schmerz Euer Herz schwer macht und Eure Augen feucht. Ich weiß, es geht mich nichts an, aber …!“
Cedrik unterbrach sich und dachte an die scharfe Stimme Rutaaras. Sein Blick ging zu den bgeiden Frauen, die weiter vor ihnen in einen heftigen Streit vertieft waren. Kurz verdüsterte sich Cedriks Gesicht, dann blickte er das Mädchen neben sich an.
„Von Beginn dieses Kampfes in der Burg werde ich als lästig und als unerwünscht angesehen. Ich habe nicht darum gebeten, hier zu sein! Aber ich habe eine kleine und winzige Chance zu erfahren, wer meine Eltern waren. Dieses seltsame Wesen – Assasina – hat versucht, mir das Leben zu nehmen, doch nun ist sie freundlich zu mir. Oder eher spöttisch-verächtlich. Ich denke, dass Ihr nicht sehr neugierig auf das seid, was ich jetzt hier sage. Doch nur wenn wir alle auf einen Strang ziehen, können wir die ultimative Schlacht überleben und auch bestehen. Darum mache ich mir Gedanken um jeden hier. Auch um Euch!“ Cedrik nickte ernst und legte leicht seine Hand auf den Arm des Mädchens neben sich. Er nahm die Hand sofort wieder weg, als er spürte, dass sie sich verkrampfte. Leise seufzte er. Noch jemand, der ihn wer-weiß-wohin wünschte!
„Verzeiht bitte, wenn Ihr Euch durch mich belästigt fühlt!“ Cedrik senkte den Kopf, doch er hatte nicht vor, jetzt wieder aufzusteigen und dieses Mädchen allein mit ihren dunklen Gedanken zu lassen.
Assasina hob nur eine Augenbraue hoch, als Rutaara ihren Dolch zückte. Sie hatte es doch gerade selbst gesagt. Tot nützte sie ihr nichts. Obwohl Assasina auch keine Ahnung hatte, was sie ihr lebend nützen sollte.
„Bitte verzeiht, meine gnädigste Dame. Ich wusste nicht, dass es verboten ist, in Eurer Gegenwart andere Wesen zu zitieren. Und ich wusste auch nicht, dass es verboten ist, sich um Euer Wohlergehen Sorgen zu machen und Euch vor einem fatalen Fehler zu schützen, der Euch das Leben gekostet hätte!“
Rutaara setzte eben zu einer Antwort an, doch plötzlich kam Agenor auf sie zu und forderte beide auf, ihren Streit abseits der Gruppe weiter zu führen.
Assasina wandte sich um und steuerte auf den dichten Wald zu, gefolgt von Rutaara. Nach drei Schritten drehte sich Assasina wieder um. Sie hob die Hand und ihr Zeigefinger stach wie ein scharfer Dolch in Richtung Lyrael.
„Nur DU und ICH! Und nicht ER!“, sagte sie eisig und ihr Blick streifte kurz den Wolf, der ihnen ebenfalls gefolgt war und nun seine Zähne zeigte.
Rutaara zögerte kurz, nickte dann aber Lyrael zu und dieser blieb stehen, während die beiden Frauen weiter gingen.
Plötzlich wandte sich Assasina um zu der ihr dicht folgenden Rutaara und schlug ihr den Dolch, den diese noch immer fest hielt, aus der Hand. Die Elbe fauchte und wollte sich auf ihre Waffe stürzen, aber Assasina stellte schnell ihren Fuß darauf und verschränkte die Arme.
„Ich denke, wir sollten zumindest einmal fair spielen!“ Ein bitter süßes Lächeln umspielte ihre Lippen, verflog jedoch gleich wieder. Rutaara war inzwischen wieder aufgestanden und bereit zu töten.
„Ich gehöre nicht zu den Guten!“, begann Assasina das Gespräch. Ihre Stimme klang wieder normal und gänzlich frei von Zorn. „Aber ich gehöre auch nicht zu den Bösen! Ich war beides einmal und bin immer noch ein Teil von beidem. Was hätte ich dir denn sagen sollen? Hätte ich auf dich zugehen sollen und sagen: He, schön dich kennen zu lernen, ich weiß zwar nicht wer du bist und ich kenne dich überhaupt nicht aber nur so zur Information – mein ehemaliger Gemahl mag deinesgleichen nicht. Sein Name ist Votan. Kennst du ihn zufälligerweise? Warum ich es dir nicht gesagt habe, nachdem ich gesehen habe was Votan mit Lyrael gemacht hat? Du wärst in deinen sicheren Tod gelaufen. Mit Wut kannst du Zorn nicht vernichten. Ach ja und übrigens – wann bitte schön – habe ich dich denn abgehalten? Du bist einfach zwischen ihn und mich gesprungen, ohne nachzudenken was du da eigentlich machst! Und dass du dann verletzt wirst und nicht mehr gegen ihn kämpfen konntest, war nun wirklich nicht meine Schuld!“
Assasina zog den Fuß vom Dolch beiseite, trat mit einer raschen Bewegung des Fußes auf die Spitze des Dolches, kickte ihn hoch und fing ihn mit der rechten Hand auf. Sie hielt ihn – mit dem Griff voran – Rutaara hin, die ihn Assasina sofort aus der Hand riss und wieder auf diese richtete.
„Votan hat keine gefangenen dunklen Elben. Zumindest früher nicht. Ich habe ihn seit fast zwölf Jahren nicht mehr gesehen. Er jagt sie auch nicht, oder sucht nach ihnen. Es bereitet ihm nur ein ungemeines Vergnügen, wenn sie ihm über den Weg laufen. So wie du und Lyrael. Ich hatte nie etwas gegen Dunkle und habe Votan auch nicht unterstützt. Aber ich gebe zu auch nie etwas dagegen unternommen zu haben, wenn ich in diesem Moment gerade bei ihm war. So! Jetzt kannst du mich töten, wenn es dir Befriedigung verschafft!“
Assasina schwieg und ihr Verhalten war gelassen – wenn auch nur nach außen hin. Denn sie wusste, dass es nur zu gut sein könnte, dass Rutaara sie wirklich tötete.
'Saayaa velhaa' erklang Lyraels wohlklingende Stimme in Rutaaras Kopf auf und beruhigte sie. 'Liebste lass ab. Das ist alles was sie weiß und selbst wenn sie mehr wissen sollte – so wie du dich ihr gegenüber verhältst, würde sie nichts weiter sagen.'
Rutaara schloss die Augen, atmete tief ein und aus und steckte den Dolch zurück in ihren Gürtel. Dann öffnete sie ihre Augen wieder und blickte Assasina traurig an. In ihren smaragdgrünen, mandelförmigen Augen sammelten sich Tränen, um dann silbrig glänzend über ihre dunklen Wangen zu rollen.
„Es tut mir leid“, schluchzte sie. „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Es ist einfach alles zu viel!“
Rutaara wandte sich ab und lief schnellen Schrittes und mit gesenktem Haupt wieder zu den anderen und von da an die Spitze der Gruppe.
Assasina stand verblüfft und unverhofft allein im Wald, bis sie sich langsam in Bewegung setzte. Als sie zwischen den Bäumen hervor auf den Weg trat, sahen sie einige der anderen fragend an. Rutaara war wieder an der Spitze der Gruppe angelangt und kümmerte sich nur um sich und Lyrael. Assasina schloss kurz die Augen zum Zeichen, dass – zumindest vorerst – alles geklärt war und deutete mit dem Kopf in Rutaaras Richtung, damit die anderen sich ebenfalls in Bewegung setzten, was allen seltsamerweise ziemlich missfallen zu schien.
Assasina ging los und merkte erst nach einiger Zeit, dass Lyrael neben ihr ging und sie anschaute. Erwartend? Enttäuscht? Mitfühlend? Skeptisch?
Assasina wusste es nicht und sie wusste auch noch immer nicht, ob er sie eigentlich verstehen konnte. Aber sie hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
„Ich verstehe sie! Es treibt sie in Verzweiflung befürchten zu müssen, dass sie ihre Liebe nie mehr zurück bekommt und es macht sie verrückt zu wissen, dass selbst falls dies doch der Fall sein würde, es nie mehr so sein wird, wie es einmal war.“
Während sie sprach, stiegen Tränen in Assasinas Augen und zum ersten Mal in ihrem Leben schämte sie sich nicht dafür, denn sie hatte das Gefühl verstanden zu werden – zum ersten Mal im Leben – von einem Wolf!
Lyrael schaute zu Rutaara, dann sah er noch einmal Assasina an und trabte nach vorne zu seiner Herrin und Geliebten, was Assasina erneut aufschluchzen lies und ihre Tränen begannen wieder mehr zu laufen. Es war jedoch wie ein reinigender Prozess und so ließ es Assasina zu.
Assasina hob nur eine Augenbraue hoch, als Rutaara ihren Dolch zückte. Sie hatte es doch gerade selbst gesagt. Tot nützte sie ihr nichts. Obwohl Assasina auch keine Ahnung hatte, was sie ihr lebend nützen sollte.
„Bitte verzeiht, meine gnädigste Dame. Ich wusste nicht, dass es verboten ist, in Eurer Gegenwart andere Wesen zu zitieren. Und ich wusste auch nicht, dass es verboten ist, sich um Euer Wohlergehen Sorgen zu machen und Euch vor einem fatalen Fehler zu schützen, der Euch das Leben gekostet hätte!“
Rutaara setzte eben zu einer Antwort an, doch plötzlich kam Agenor auf sie zu und forderte beide auf, ihren Streit abseits der Gruppe weiter zu führen.
Assasina wandte sich um und steuerte auf den dichten Wald zu, gefolgt von Rutaara. Nach drei Schritten drehte sich Assasina wieder um. Sie hob die Hand und ihr Zeigefinger stach wie ein scharfer Dolch in Richtung Lyrael.
„Nur DU und ICH! Und nicht ER!“, sagte sie eisig und ihr Blick streifte kurz den Wolf, der ihnen ebenfalls gefolgt war und nun seine Zähne zeigte.
Rutaara zögerte kurz, nickte dann aber Lyrael zu und dieser blieb stehen, während die beiden Frauen weiter gingen.
Plötzlich wandte sich Assasina um zu der ihr dicht folgenden Rutaara und schlug ihr den Dolch, den diese noch immer fest hielt, aus der Hand. Die Elbe fauchte und wollte sich auf ihre Waffe stürzen, aber Assasina stellte schnell ihren Fuß darauf und verschränkte die Arme.
„Ich denke, wir sollten zumindest einmal fair spielen!“ Ein bitter süßes Lächeln umspielte ihre Lippen, verflog jedoch gleich wieder. Rutaara war inzwischen wieder aufgestanden und bereit zu töten.
„Ich gehöre nicht zu den Guten!“, begann Assasina das Gespräch. Ihre Stimme klang wieder normal und gänzlich frei von Zorn. „Aber ich gehöre auch nicht zu den Bösen! Ich war beides einmal und bin immer noch ein Teil von beidem. Was hätte ich dir denn sagen sollen? Hätte ich auf dich zugehen sollen und sagen: He, schön dich kennen zu lernen, ich weiß zwar nicht wer du bist und ich kenne dich überhaupt nicht aber nur so zur Information – mein ehemaliger Gemahl mag deinesgleichen nicht. Sein Name ist Votan. Kennst du ihn zufälligerweise? Warum ich es dir nicht gesagt habe, nachdem ich gesehen habe was Votan mit Lyrael gemacht hat? Du wärst in deinen sicheren Tod gelaufen. Mit Wut kannst du Zorn nicht vernichten. Ach ja und übrigens – wann bitte schön – habe ich dich denn abgehalten? Du bist einfach zwischen ihn und mich gesprungen, ohne nachzudenken was du da eigentlich machst! Und dass du dann verletzt wirst und nicht mehr gegen ihn kämpfen konntest, war nun wirklich nicht meine Schuld!“
Assasina zog den Fuß vom Dolch beiseite, trat mit einer raschen Bewegung des Fußes auf die Spitze des Dolches, kickte ihn hoch und fing ihn mit der rechten Hand auf. Sie hielt ihn – mit dem Griff voran – Rutaara hin, die ihn Assasina sofort aus der Hand riss und wieder auf diese richtete.
„Votan hat keine gefangenen dunklen Elben. Zumindest früher nicht. Ich habe ihn seit fast zwölf Jahren nicht mehr gesehen. Er jagt sie auch nicht, oder sucht nach ihnen. Es bereitet ihm nur ein ungemeines Vergnügen, wenn sie ihm über den Weg laufen. So wie du und Lyrael. Ich hatte nie etwas gegen Dunkle und habe Votan auch nicht unterstützt. Aber ich gebe zu auch nie etwas dagegen unternommen zu haben, wenn ich in diesem Moment gerade bei ihm war. So! Jetzt kannst du mich töten, wenn es dir Befriedigung verschafft!“
Assasina schwieg und ihr Verhalten war gelassen – wenn auch nur nach außen hin. Denn sie wusste, dass es nur zu gut sein könnte, dass Rutaara sie wirklich tötete.
'Saayaa velhaa' erklang Lyraels wohlklingende Stimme in Rutaaras Kopf auf und beruhigte sie. 'Liebste lass ab. Das ist alles was sie weiß und selbst wenn sie mehr wissen sollte – so wie du dich ihr gegenüber verhältst, würde sie nichts weiter sagen.'
Rutaara schloss die Augen, atmete tief ein und aus und steckte den Dolch zurück in ihren Gürtel. Dann öffnete sie ihre Augen wieder und blickte Assasina traurig an. In ihren smaragdgrünen, mandelförmigen Augen sammelten sich Tränen, um dann silbrig glänzend über ihre dunklen Wangen zu rollen.
„Es tut mir leid“, schluchzte sie. „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Es ist einfach alles zu viel!“
Rutaara wandte sich ab und lief schnellen Schrittes und mit gesenktem Haupt wieder zu den anderen und von da an die Spitze der Gruppe.
Assasina stand verblüfft und unverhofft allein im Wald, bis sie sich langsam in Bewegung setzte. Als sie zwischen den Bäumen hervor auf den Weg trat, sahen sie einige der anderen fragend an. Rutaara war wieder an der Spitze der Gruppe angelangt und kümmerte sich nur um sich und Lyrael. Assasina schloss kurz die Augen zum Zeichen, dass – zumindest vorerst – alles geklärt war und deutete mit dem Kopf in Rutaaras Richtung, damit die anderen sich ebenfalls in Bewegung setzten, was allen seltsamerweise ziemlich missfallen zu schien.
Assasina ging los und merkte erst nach einiger Zeit, dass Lyrael neben ihr ging und sie anschaute. Erwartend? Enttäuscht? Mitfühlend? Skeptisch?
Assasina wusste es nicht und sie wusste auch noch immer nicht, ob er sie eigentlich verstehen konnte. Aber sie hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen.
„Ich verstehe sie! Es treibt sie in Verzweiflung befürchten zu müssen, dass sie ihre Liebe nie mehr zurück bekommt und es macht sie verrückt zu wissen, dass selbst falls dies doch der Fall sein würde, es nie mehr so sein wird, wie es einmal war.“
Während sie sprach, stiegen Tränen in Assasinas Augen und zum ersten Mal in ihrem Leben schämte sie sich nicht dafür, denn sie hatte das Gefühl verstanden zu werden – zum ersten Mal im Leben – wenn auch nur von einem Wolf!
Lyrael schaute zu Rutaara, dann sah er noch einmal Assasina an und trabte nach vorne zu seiner Herrin und Geliebten, was Assasina erneut aufschluchzen ließ und ihre Tränen begannen wieder mehr zu laufen. Es war jedoch wie ein reinigender Prozess und so ließ es Assasina zu.
Es war doch gut, die Frauen ihre Probleme ausdiskutieren zu lassen. Jetzt war zumindest alles wieder ruhig, dachte Agenor bei sich und war seltsam erleichtert. Er wusste, dass dies die beste Lösung gewesen war. Nun ging die Gruppe wieder ihren Weg – Agenor wie immer hinten als Schlussmann. Diesmal aber übersah er es, dass Assasina weinte.
Cedrik atmete erleichtert auf, als Rutaara wieder zu der Gruppe aufschloss. Dies bedeutete, dass keiner der beiden Kontrahentinnen ums Leben gekommen war, bei dieser Auseinandersetzung. Als nächstes kam der Wolf. Und die Letzte, die wieder zu ihnen stieß war Assasina. Doch es musste etwas geschehen sein, denn sie war vollkommen fassungslos. Ihr Gesicht glänzte vor Tränen und Cedriks Herz krampfte sich zusammen, als er die ungewohnte Verzweiflung merkte.
Er neigte leicht den Kopf zu dem Mädchen, das ebenfalls Assasina beobachtet hatte und meinte leise:
„Entschuldigt bitte, ich komme sofort wieder!“
Cedrik griff kurz in seinen Reisesack und holte ein kleines Tuch hervor. Dann ging er zu Assasina, hielt ihr das Tuch entgegen und sagte leise:
„Bitte!“
In diesem Augenblick war es ihm egal, wenn sie ihn wieder einmal anschreien würde oder ihn würgen sollte. Er empfand so tiefes Mitleid mit diesem Wesen, das seine Gefühle zu ihr manipulierte, wie es ihr in den Sinn kam. Doch jetzt war ihre Verzweiflung echt und stark, dass sie Cedrik schmerzte.
Liebend gerne hätte er sie in die Arme genommen, um sie zu trösten und dafür zu sorgen, dass die Tränen in ihren schönen Augen versiegt wären. Doch er hielt sich zurück. Auch wenn es ihm unendlich schwer fiel. Aber er wollte sie keinesfalls vor allen anderen in Verlegenheit bringen.
Gleich darauf setzte sich die Gruppe wieder in Bewegung. Cedrik warf noch einen schnellen Blick auf Assasina, dann beschloss er abermals zu dem Mädchen zu gehen. Immerhin hatte er es ihr versprochen. Obwohl es ihn mehr zu Assasina zog.
Agenor schritt mit nachdenklicher Miene hinter der Gruppe her. Plötzlich rief er zwei seiner Krieger zu sich. Ein stämmiger Mann mit kurzen Haaren kam herbei geeilt.
„Herr!“, sagte dieser und neigte den Kopf. „Was kann ich für Euch tun?“
Agenor erwiderte den Gruß und antwortete:
„Es wird Nacht und wir sollten einen geeigneten Platz oder sichere Stelle finden oder noch besser eine Höhle, damit wir dort unser Lager aufschlagen können. Benachrichtigt mich, sobald ihr beide eine solche gefunden habt und gebt auch die Nachricht an Assasina weiter. Ein großes Zelt haben wir ja für den Prinzen und dessen Gemahlin, die übrigen schlafen eben auf dem Boden. Dazu haben wir auch die Decken.“
„Ja Herr!“ Wieder die kleine, respektvolle Verbeugung und schon entfernten sich die beiden, um mit schnellen Schritten ihren Auftrag zu erfüllen. Sie gelangten an die Spitze der Gruppe und noch ein winziges Stück darüber hinaus.
Der Mond schien bereits ziemlich hell und den scharfen Augen der beiden entging in dem hellen Licht nur sehr wenig. Und so hatte auch bald der eine Krieger – sein Name war Balduin – eine geeignete Stelle etwas abseits des Weges entdeckt und eilten zu Agenor zurück, um ihm die Nachricht zu überbringen.
Rutaara hatte bemerkt, dass die beiden vorhin ausgesandten Krieger Agenors im raschen Lauf zurück kehrten und dann ihrem Anführer hastig Meldung machten. Sicher hatten sie einen geeigneten Übernachtungsplatz gefunden. Und es war tatsächlich so. Die Höhle, worauf die Gruppe geführt wurde, war groß genug, um sie alle zu beherbergen und südlich des Eingangs gab es sogar eine Quelle, aus der sauberes klares Wasser sprudelte und sich in einem natürlichen, steinernen Becken sammelte.
Rutaara war sehr froh über diese Entdeckung. Sie war erschöpft von den zahllosen Kämpfen und die Wunde an ihrer Hüfte schmerzte wieder. Wenn sie nicht schnell ein paar Blätter der Salyavy Pflanze fand, könnte sie sich eine Blutvergiftung zuziehen. Nicht, dass für sie so etwas tödlich wäre, aber äußerst unangenehm, schmerzhaft und äußerst hinderlich. Ausserdem wäre dann ihr Nutzen für die Gruppe ziemlich gesunken.
Aufmerksam beobachtete die Elbin die Umgebung. Salyavi wuchs meistens in der Nähe von Quellen, doch ob es auch in diesem Land der Fall war, wusste sie nicht.
„Assasina“, wandte sie sich etwas widerwillig an die Elfe, als sie nirgends eine dieser kleinen, silberblütigen Pflanzen entdeckt hatte. „Weißt du, ob hier Salyavi - in der allgemeinen Sprache als Mondsichelkraut bekannt – wächst und auch wirksam ist?“
Cedrik atmete erleichtert auf, als die Nachricht von der Höhle die Runde machte. Heute würde er wieder seit längerer Zeit unter einem Dach ruhen. Er warf einen raschen blick zu dem Mädchen, doch dieses benötigte ihn zur Zeit nicht besonders und so beschleunigte er seine Schritte. Er freute sich auch darauf, dass frisches Wasser vorhanden war. So konnte er seine Wasserflasche neu befüllen. Denn der winzige Rest darin hatte bereits einen bedenklichen Geruch angenommen. Der Ambarin würde ihn zwar vor dem Tod bewahren, doch wenn Cedrik sich die restliche Zeit übergeben müsste, wäre er keine Hilfe, sondern nur ein Klotz am Bein der Gruppe.
Cedrik nahm den Sattel und die Zügel von Sternenlichts Rücken und aus dessen Maul und ließ den Sattel dicht neben dem Höhleneingang zu Boden gleiten. Darüber legte er die Zügel. Sternenlicht schüttelte sich und verließ Cedrik mit einem Schnauben.
Nun begab sich Cedrik etwas weiter in die Höhle hinein, bis er eine der rückwärtigen Ecken erreicht hatte. Dabei leistete ihm der zu leuchten begonnene Ambarin an seinem Stab, den er mit sich genommen hatte, gute Dienste. Cedrik ließ sich nieder fallen und spürte gleich darauf einen scharfen Schmerz in seiner Schulter. Obwohl die Wunde verschlossen war, schienen darunter noch immer die bösen Kräfte zu wirken. Er lehnte sich vorsichtig an die Höhlenwand und schloss die Augen. Gleich darauf riss er sie wieder auf, stand auf und ging zu Agenor, der bereits einige Fackeln herrichten hatte lassen und deren Licht etwas mehr Helligkeit verbreiteten, als Cedriks Ambarin. Agenor beobachtete seine Männer beim Aufstellen des Zeltes, wo das Prinzenpaar die Nacht verbringen würde. Cedrik neigte achtungsvoll seinen Kopf, als er merkte, dass Agenor auf ihn aufmerksam geworden war und stellte seine Frage, die ihm eben siedend heiß durch seinen Kopf gefahren war.
„Verzeiht bitte, dass ich Euch jetzt belästige, doch habe ich eine Frage an Euch. Ich nehme an, Ihr stellt Wachen auf. Sollen auch wir anderen einen Teil der Wache übernehmen? Oder stellen diese nur Eure Männer?“
Cedrik senkte die Augen und überlegte sich seine nächsten Worte, doch dann siegte seine Ehrlichkeit.
„Wäre ich bereits ausgelernt, würde ich ein magisches Wachnetz weben. Doch ich kenne nicht alle Worte dafür und auch meine Kraft dazu würde nicht ausreichen. Ich finde, es hat nicht viel Wert, wenn das Wachnetz das ich weben würde, nach kurzer Zeit bereits zusammenbrechen würde und die Gruppe eventuell unerwünschten Feinden als Beute darbietet!“
Assasina schaute auf, als sie Rutaaras Stimme vernahm. Salyavi? Die Elbe schien sich mit Pflanzen auszukennen.
„Nein“, meinte Assasina und sah sich flüchtig um. Trotz der Dunkelheit, die sich schon nach kurzer Strecke von den Fackeln entfernt aufbaute, war es nicht schwer heraus zu finden, welche Pflanzen man hier finden konnte. „Wir sind zu nahe an Ond-Ande. Selbst das Wasser der Quelle kann hier die Trockenheit des Landes nicht vertreiben. Es gibt hier auch keine Almanwurzeln oder Finckel“ Assasina legte den Kopf schräg und musterte Rutaara. „Die Hüfte?“ fragte sie und die Elbin nickte. „Leg dich auf den Rücken!“
Rutaara zögerte und schaute Assasina kritisch an.
„Von den Kräutern die du hier suchst gibt es keine. Zumindest keine, die deine Wunde ausreichend desinfizieren würde, um eine etwaige Vergiftung zu verhindern. Aber es gibt noch andere Methoden. Jetzt leg dich endlich hin, es ist gleich vorbei!“
Rutaara folgte Assasinas Worten nur widerwillig und vermutlich auch nur deshalb, weil sie große Schmerzen hatte.
Assasina kniete sich neben Rutaara nieder und zog deren Hemd nach oben. Die Wunde war bereits verschlossen, jedoch nicht schön und etwas Fleisch herum färbte sich bläulich, was bei Rutaaras dunkler Haut nur schwer zu erkennen war. Assasina holte ihren Dolch aus dem Stiefel und Lyrael begann drohend zu knurren, doch die Elfe warf ihm nur einen bösen Blick zu, ehe sie mit der Klinge rasch den Schnitt erneut öffnete. Rutaara keuchte kurz und schmerzlich auf.
„Das könnte jetzt ein wenig brennen!“, sagte Assasina, holte die Flasche mit dem Anisschnaps unter ihrem Umhang hervor und öffnete sie mit ihren Zähnen. Den Dolch hatte Assasina bereits wieder an seinen Platz gesteckt. „Also nicht schreien“, bat sie mit dem Stöpsel zwischen ihren Zähnen nuschelnd. Ohne eine Antwort abzuwarten, schüttete sie den Alkohol mit einem schnellen Schwung in Rutaaras Wunde. Die Elbe grub ihre Fingernägel in den hier ziemlich erdigen Boden und biss die Zähne zusammen, dass es knirschte. Es war etwas mehr geworden, als Assasina vorgehabt hatte, das sie in Rutaaras Wunde goss, doch so würde es sicher besser wirken. Sie sah sich kurz um.
„He! Magier!“ rief sie. Cedrik, der gerade mit Agenor sprach, sah zu ihr und eilte dann herbei.
„Schließe diese Wunde. Nur schließen, sonst nichts!“
Der Magier besah sich voll Misstrauen Assasinas Werk und wollte schon etwas sagen, ließ es aber dann, als er Assasinas Blick sah. Cedrik begann sein Werk und ging danach wieder zu Agenor zurück.
„Besser?“, fragte Assasina und reichte Rutaara die Hand, um ihr aufzuhelfen. Dann fiel ihr jedoch ein, dass sie nicht wusste, wie viel Alkohol sie der Elbin in den Körper geleert hatte und ob diese ihn auch vertrug. Doch so viel war es sicher nicht gewesen.
Die Elfe hatte gute Arbeit geleistet und auch Cedriks Heilkunst war beeindruckend. Der Alkohol, den ihr Assasina in die Wunde geschüttet hatte, machte sie ein wenig benommen.
„Ja, besser“, sagte sie. „Ich wäre dir dankbar, wenn du mich nun einige Augenblicke allein lässt. Ich fühle mich erschöpft und durch deine Behandlung etwas benommen. Ich möchte hier am Rande der Quelle etwas meditieren, um Kraft zu schöpfen!“
Rutaara blickte kurz zu Agenor und Cedrik, die scheinbar immer noch wegen der Wacheinteilung mitsammen sprachen.
„He, ihr zwei! Die Wache für heute Nacht können Lyrael und ich übernehmen. Bereitet dem Prinzenpaar lieber ein angemessenes Lager!“ Rutaara stockte kurz und ein plötzliches Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Cedrik, du begleitest bitte Catyua und sammelst mit ihr ausreichend Holz!“
Die beiden schauten unschlüssig zu Assasina, die ihre Hände hob, mit der Schulter zuckte und meinte:
„Was seht ihr mich so an? Ihr habt gehört, was die Dunkle gesagt hat …!“
Cedrik biss sich unschlüssig in die Unterlippe, dann nickte er. Wenn er schon keine Wache halten sollte, dann würde er wenigstens seinen Beitrag liefern, in dem er mit dem Mädchen – Catyua, berichtigte er sich im Gedanken – Holz sammelte.
Der Wald um die Höhle war dicht und sicher gab es auch alte Bäume, die modernd am Boden lagen. Gewiss gab es auch genügend Zweige und Zapfen, die als Feuernahrung dienen konnten. Cedrik ging an der Seite Catyuas nun tiefer in den Wald, den Blick auf den Boden gerichtet. Obwohl die meisten Bäume dichter standen, konnte doch das helle Mondlicht den Boden erreichen und so war es nicht allzu schwer, etwas zu sehen, auch wenn keinerlei andere Lichtquelle bei der Hand war. Cedriks Blick suchte nach geeigneten Holzstücken und das Mädchen machte es ebenso. So kam es, dass sich ihre Suchkreise immer wieder trafen und überschnitten. Langsam begannen sich die Arme mit dickeren und dünnen Ästen zu füllen. Cedriks Blick fiel auf einen besonders dicken Ast, den scheinbar ein Blitz vom Baum gespalten hatte und griff danach. Doch der selbe Ast war auch Catyua aufgefallen und auch sie griff danach.
Cedriks und Catyuas Hand berührten sich und sie sahen sich kurz überrascht in die Augen. Beide richteten sich aus der gebückten Stellung auf und noch immer hielten sie das Stück Holz fest. Cedrik ließ zuerst los und spürte, wie er verlegen errötete.
„Verzeihung!“, murmelte er und wollte sich schon abwenden, da erblickte er in Catyuas Haaren eine größere Spinne. Die hatte sich dort scheinbar während der Suche verfangen.
„Ihr gestattet?“
Vorsichtig streckte Cedrik die Hand aus, nahm das Tier und setzte es vorsichtig wieder an einen der umstehenden Bäume. Während das Tier zusah, dass es weg kam, bemerkte Cedrik die Erstarrung des Mädchens.
„Ihr hattet doch keine Angst vor dem Tierchen, oder?“ meinte er mit einem leichten Lächeln. Auch wenn sie nun mit zusammen gepressten Lippen den Kopf schüttelte, Cedrik verspürte genau die Abscheu, die sie nur mit Mühe unterdrücken konnte. „Wir sollten wieder etwas Holz sammeln, damit es in unserer Unterkunft schön warm wird!“
Noch immer dieses kleine Lächeln in den Mundwinkeln, das keineswegs spöttisch oder böse gemeint war, sondern eher belustigt, machte sich Cedrik auf, die ihm gestellte Aufgabe zu Ende zu bringen. Kurz hielt er inne, als ihm einfiel dass ja noch mehr dieser Tiere in Catyuas Haaren sein könnten und das sagte er ihr auch. Abermals erstarrte sie. Cedriks Augen suchten nun ihre Haare und auch die Kleidung nach weiteren Tieren ab, doch die Spinne war der einzige blinde Passagier gewesen.
Cedrik sammelte weiter, immer wieder Blicke zu Catyua werfend. Aber kein weiteres Tier ließ sich auf ihr nieder und als die Arme nichts mehr fassen konnten, machten sie sich auf den Rückweg.
Da die Bäume so dicht standen, stießen ihre Schultern und Ellbogen immer wieder aneinander. Cedrik empfand diese Berührungen nicht als unangenehm, eher im Gegenteil. Er spürte tief in sich eine Art Beschützerinstinkt aufsteigen.
Wenn er daran dachte, dass er sie nach Ablieferung des Prinzenpaares und nach Beantwortung seiner dringlichsten Frage nach seinen Eltern, nicht mehr sehen würde, verspürte er großes Bedauern. Es war ihm, als würde er dann ein kostbares Kleinod verlieren. Offensichtlich hatte sich Catyua scheinbar mit ihrer stillen Art heimlich in Cedriks Herz geschlichen.
Als sie bei der Höhle ankamen, stand das Zelt bereits und das Prinzenpaar hatte wahrscheinlich darin Zuflucht gefunden. Die Pferde von Agenor und seinen Männern waren an einem Seil, das man zwischen zwei dickeren Bäumen geschlungen hatte, angebunden und Sternenlicht graste in ihrer unmittelbaren Umgebung.
Cedriks Augen weiteten sich kurz, als er sein Einhorn so sah, denn bisher hatte Sternenlicht seine Nahrung woanders geholt. Das silberne Mondlicht war immer ausreichend gewesen. Doch so wie Cedrik Sternenlichts Horn magisch verstecken musste, so passte sich Sternenlicht sichtlich dem normalen Pferdegebaren an.
Cedrik ließ das gesammelte Holz nahe dem bereits entfachten Feuer fallen und auch seine Begleiterin legte ihren Vorrat dazu. Dann begab er sich wieder zu jenem Platz, den er für sich bereits ins Auge gefasst hatte und ließ sich nieder.
Cedrik verspürte einen freudigen Stich, als Catyua es ihm gleichtat und sich neben ihn setzte. Die einzige Befürchtung, die Cedrik noch hegte, war dass sein Magen ziemlich lautstark verkündete, dass er längere Zeit nichts zum Verdauen bekommen hatte. Die letzte Mahlzeit lag bereits viele Stunden zurück.
Während Agenor und seine Männer das Lager des Prinzenpaares aufschlugen, kümmerte sich die Elbin um ihren eigenen Ruheplatz. Zwei Schritte neben der Quelle breitete sie eine blaue, aus schwerem Leinen bestehende Decke aus, deren Ränder mit silbernen Mondsicheln bestickt war. Aus ihrem Reisesack holte sie zwei kleine, kupferne Döschen und eine flache Steinschale hervor. Rutaara öffnete eins der Döschen und der milde Duft von Tamvaryn stieg ihr in die Nase. Sie schloss für einen Moment die Augen um das Bild einzufangen, dass sich bei diesem Geruch in ihren Gedanken gebildet hatte. Es war das Bild ihres Lieblingssees, an dem sie das erste Mal auf Lyrael getroffen war. Ein Gefühl von Geborgenheit überkam sie und die Benommenheit wegen des Alkohol ließ augenblicklich etwas nach. Die Elbin öffnete wieder ihre Augen, atmete tief ein und begann mit ihren Vorbereitungen der Meditation fort zu fahren. Sie gab etwas von dem getrockneten Tamvaryn in die Steinschale, stellte diese neben sich auf die Decke und kramte in ihrem Sack nach ihrem Glühsteinbeutel.
Als sie ihn gefunden hatte, zog sie ihn vorsichtig heraus und legte ihn ebenfalls neben sich. Dann öffnete sie das zweite Döschen, in dem sich eine weiße Paste befand. Dabei handelte es sich um Kalk aus den Zwergenminen, der mit Hirschfett vermischt war. Rutaara nahm etwas davon auf ihren Zeigefinger und malte sich damit eine Mondsichel auf die Stirn, über die Wangen zog sie drei Linien. Rutaara musste lächeln. Was die anderen wohl von ihrem Treiben halten mochten? Sie blickte verstohlen über die Schulter.
Agenor und seine Männer waren fertig mit dem Lagerbau, Cedrik war mit Catyua und einer Menge Holz zurück und nun saßen sie mit dem Prinzenpaar an einem großen Feuer. Rutaara konnte nicht erkennen, ob einer von ihnen sie beobachtete. Auch Assasina war nirgends zu sehen.
'Nun gut,' dachte sie, ' dann mal weiter!'
Aus dem Beutel holte sie Glühsteinbeutel holte sie einen der Steine und legte diesen auf die getrocknete Pflanze in der Steinschale. Sie blies zweimal vorsichtig darauf und brachte damit das Tamvaryn zum glimmen. Mit einem Blick neben sich vergewisserte sich Rutaara, dass Lyrael sich neben ihr auf der Decke nieder gelassen hatte. Sie kreuzte die Beine, dass sie im Schneidersitz saß, nahm die Steinschale auf, aus der nun feine Rauchfäden empor stiegen und schloss die Augen. Die Meditation konnte beginnen...!
„So endlich fertig mit Zelt und Lager!“, rief Agenor sowohl in Richtung seiner Begleiter, als auch seiner Männer und lächelte zufrieden. Es war schon ein gutes Gefühl, wenn man alles geschafft hat, das man sich vorgenommen hatte. Das Prinzenpaar saß in stiller Eintracht und Hände haltend vor dem Zelt und genoss das nun gleichmäßig und warm prasselnde Feuer. Cedrik hatte erst das Feuer mit Magie entzünden wollen, aber das verbat ihm Agenor und mahnte ihn, seine Kräfte für andere Zwecke zu sparen. Man wusste ja nie, ob man diese Nacht angegriffen wurde oder nicht. Wobei Agenor insgeheim auf die zweite Möglichkeit hoffte. Nicht weil er sich fürchtete, sondern weil die Gruppe und auch er eine ruhige Nacht benötigten. Agenors Blick glitt über die Flammen und er war ziemlich zufrieden. Es war ein großes Feuer und würde sicher die ganze Nacht brennen. Schon allein deshalb, weil der junge Magier so fleißig Holz gesammelt hatte. Und es bedurfte daher nur eines einzigen Mannes, der darüber wachen würde.
Agenors Krieger saßen auf einer Seite des Feuers zusammen und viele schliefen bereits halb vor Müdigkeit in der Wärme des Lagerfeuers. Agenor konnte es keinem von ihnen verdenken, denn auch er kämpfte mit seinem Schlafbedürfnis. Doch noch konnte er diesem nicht nachgeben. Die Gefährten unterhielten sich leise wobei Agenor zwei seiner Begleiterinnen vermisste. Doch dann bemerkte er Rutaara etwas weiter entfernt bei der Quelle und seine Besorgnis legte sich etwas. Es dauerte nicht lange, so erhob sich das Prinzenpaar, bedankte sich artig mit einem Neigen des Kopfes und verschwand im Zelt. Kurz hörte Agenor noch leise Geräusche daraus – doch bald trat Stille ein.
Agenor wusste schon, dass er heute Nacht neben dem Zelteingang Wache halten würde. Er wollte keinem seiner müden Männer diese Aufgabe überlassen. Nicht weil er keinem vertraute, nein das war es nicht! Er vertraute jedem seiner Krieger, sondern weil sie ausgeruht mehr bewirken konnten.
Assasina hatte sich ein wenig von der Gruppe entfernt und saß nun gegen einen Baum gelehnt auf einer Lichtung. Sie holte einen kleinen Beutel aus ihrem Gürtel und schüttete die darin befindliche Asche auf ihre Hand. Es war nicht viel, doch immerhin genug. Votan hatte schlechte Arbeit geleistet bei seiner übereilten Flucht und von dem dunklen Feuer, das er herauf beschworen hatte, hatte er nicht alles mit genommen in seiner Eile.
“Eld!“, flüsterte sie leise und die Asche in ihrer Hand verwandelte sich in eine Flamme. Assasina lächelte. Es war schon komisch, was man alles bewerkstelligen konnte ohne Magie. Sogar Agenor hätte das gekonnt. Sie lachte leise auf, verstummte jedoch gleich wieder, als sie ein Rascheln hörte.
„Wie konntest du dich fort schleichen?“ Assasina brauchte nicht aufzusehen, sie wusste, wer hier her gekommen war. Der Prinz ließ sich neben ihr auf den Boden nieder und beobachtete die Flamme in ihrer Hand.
„Du kannst es also immer noch?“, meinte er und streckte seine linke Hand aus. Das Feuer huschte auf seine Handfläche und er besah es sich genauer.
„Votan hat etwas davon vergessen. Was willst du hier? Dich in Gefahr bringen?“
Der Prinz lachte leise und warf die Flamme wieder zu Assasina, die sie auffing. Sie schloss ihre Hand darüber und als sie diese wieder öffnete, war die Flamme erneut zu Asche geworden.Diese ließ die Elfe zurück in den Beutel gleiten und verstaute diesen.
„Warum sollte ich Angst haben? Du kannst mir nichts antun. Du würdest deine Freiheit gefährden!“
Assasinas Blick auf den Prinzen war verächtlich, doch sie wusste, dass er recht hatte.
„Geh zurück zu deiner Geliebten und versuche mich so wenig wie möglich zu stören. Ich sage nichts den anderen von dir und du sagst ihnen nichts von mir!“
Das Wort „Geliebte“ betonte Assasina mit besonders viel Abscheu. Der Prinz strich sich eine Haarsträhne zurück und erhob sich.
„Ich hoffe nur, du hältst dein Versprechen!“ Mit diesen Worten ging er zurück ins Lager und Assasina schloss die Augen. Sie war müde. Aber nicht vor Erschöpfung, sondern vom Leben. Sie holte erneut die Flamme hervor und ließ sie auf ihrem Knie tanzen. Hypnotisiert von diesem Anblick schlief sie langsam ein.
Der Anblick der knisternden und flackernden Flammen beruhigte Catyua so, wie nur wenige Dinge in ihrem Leben es vermochten. Ihr Stimmung konnte sie nicht ganz einordnen und die Zeit mit Cedrik war ihr viel zu schnell vergangen. Sie war sich nicht sicher, ob er sie mochte. Aber seine distanzierte, doch trotzdem besorgte Art gefiel ihr sehr. Sie spürte, dass es nicht gut war, dass sie ihn so sehr mochte, denn wiedersehen würden sie sich nach dieser Reise wahrscheinlich nie mehr. Sie sollte lieber ihr Herz bei sich behalten, nicht an irgend welche unbekannten und undurchsichtige Magier verlieren!
Die Ruhe tat ihnen allen ganz gut, doch es schien etwas in der Luft zu liegen. Vielleicht aber war auch nur sie die Einzige, die es spürte. Es war wie Musik, die man riechen konnte … fremdartig und doch bekannt – aus der Ferne kommend, doch trotz allem Heimat gebend. Es machte glücklich.
Versehentlich berührte Catyua Cedriks Hand und zog ihre ruckartig weg, wobei sie ihm nun ertappt ins Gesicht sah. Das hätte sie nicht tun sollen!
Bisher hatte sie ihm nie richtig in die Augen gesehen und ihr Anblick überwältigte sie nun! Er schaute verwirrt zurück und rasch senkte Catyua ihren Blick. Sie hatte nicht gewusst, dass es solche Augen gab. Der weitere Abend konnte ja noch lustig werden!
Zarte Bande
Cedrik hatte das Erschrecken Catyuas wohl gemerkt. Auch dass sich ihre Augen kurz geweitet hatten. Dieser Blick Catyuas hatte Cedrik in einen unangenehmen Zwiespalt geworfen. Denn einerseits fühlte er sich zu Assasina hin gezogen, andererseits hatte ihn dieser Blick des jungen Mädchens tief in sein Innerstes getroffen. Er hatte keinerlei Erfahrung mit diesem Gefühls-Wirrwarr in seinem Inneren. Da er erst jetzt so dicht mit verschiedenen weiblichen Wesen zusammen war, wusste er nicht wie er sich schicklich verhalten sollte.
Assasinas Nähe füllte ihn mit Feuer aus und brachte immer wieder diese dumme Verlegenheit in sein Gesicht. Es war wie ein unbeherrschter Brand.
Catyuas Nähe war wie ein wärmendes, gütiges Licht, das tief in Cedrik drang und ihn mit ruhiger, und verlässlicher Flamme erfüllte und umgab.
Ehe Cedrik nachdenken konnte, legte er leicht die Hand auf Catyuas Finger und fragte sie leise und besorgt:
„Ist bei Euch alles in Ordnung? Ich hoffe doch. Ihr habt den Schreck mit der Spinne überwunden?“
Unwillkürlich beugte er sich noch etwas näher, so dass ihr Atem seine Wange bestrich. Sein Blick traf sich mit ihrem und kurz hatte er den Eindruck, in ihren ausdrucksstarken Augen zu ertrinken. Seltsamerweise hatte er daran nichts auszusetzen. In diesem kurzen Moment war Assasina aus seinem Gedächtnis vollkommen verschwunden.
Dann sah er kurz Angst in Catyuas Augen aufblitzen und er merkte erst jetzt, dass sich ihre Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt befanden. Cedrik schluckte und zog sich wieder etwas weiter zurück.
„Verzeiht bitte. Ich wollte nicht aufdringlich wirken!“
Doch – obwohl Cedrik meist die Wahrheit hoch hielt – war es ihm diesmal nicht ernst mit seinen Worten. Er wollte ganz sicher etwas aufdringlich sein. Doch er wollte sie – seltsamerweise – nicht wirklich erschrecken oder gar vertreiben.
Kurz trat in sein Unterbewusstsein die Frage, ob das Gefühl in seinem Inneren mehr als Sympathie sein könnte, doch gleich darauf hatte er die Frage und eine mögliche Antwort darauf vergessen. Cedrik griff in seinen Beutel, kramte kurz darin herum und holte seinen letzten Apfel heraus. Er brach ihn mittig auseinander und hielt Catyua die eine Hälfte hin.
„Ich denke, das wird den ärgsten wilden Hunger etwas löschen!“ Cedrik freute sich, als das Mädchen danach griff und wieder berührten sich ihre Finger. Beinahe hastig zog das Mädchen die Hand mit der Apfelhälfte zurück. Cedrik tat so, als hätte er nichts davon gemerkt und biss nun herzhaft in seine eigene Apfelhälfte.
Cedriks Blicke schweiften umher und er runzelte kurz die Stirn, als er die unbeweglich sitzende Rutaara bemerkte. Er sah das leichte Leuchten um sie und ahnte, dass sie eine wichtige Konzentrationsübung ausübte. Assasina war nicht zu sehen und Agenor stand wie ein kraftvoller, verlässlicher Krieger mit dem Rücken da und bewachte den Schlaf seiner Männer. Auch alle anderen profitierten davon.
Cedrik legte den bis auf das Kerngehäuse verspeisten Apfelpotzen neben sich. Ohne dass er es merkte, schlossen sich seine Augen und er schlief ein. Sein Kopf lehnte an der Felswand und im Schlaf öffnete er leicht den Mund. Die schnellen Augenbewegungen und auch das zeitweilige leichte Zusammenziehen seiner Stirn deuteten auf wilde Träume hin.
Seit einem ihr unendlich vorkommenden Augenblick dachte Catyua nur noch an seine Augen. Sie wusste, wenn sie einschlief, würde sie von ihm träumen. Es war nicht gut für sie, sich in den jungen Magier zu verlieben aber in diesem Moment war es ihr recht, dass ihr Herz gefangen war. Das gelang nicht vielen Menschen, und keinem sonst auf diese Weise. Natürlich war ihr auch klar, dass es zur Zeit der wirklich unpassendste Moment war, ihr Herz zu öffnen. Doch es war ihr ziemlich egal, denn sie saß seit geraumer Zeit da und sah Cedrik beim Schlafen zu. Dabei hatte sie aber ständig Angst, dass jemand merken konnte, dass ihre Augen nur auf ihm ruhten. Sie würde Cedrik nicht darauf ansprechen können. Aber war das überhaupt nötig? Musste er nicht merken, was sie für ihn empfand?
Denn dass er sie auch mochte, war ihr durchaus aufgefallen. Er war so höflich und zuvorkommend, so freundlich und besorgt um sie, und ihr war es ziemlich egal derzeit, dass er sich nicht nur ihr gegenüber so verhielt.
Jetzt war es aber auch einmal an der Zeit, sich abzulenken von Cedrik. Es konnte doch nicht angehen, dass ihr ganzes Denken nur auf ihn gerichtet war.
Plötzlich fiel Catyua Assasinas Abwesenheit auf. Wo war sie hin? Ihre eigene Unaufmerksamkeit machte dem jungen Mädchen in diesem Moment arg zu schaffen. Das musste sich wirklich ändern. Doch egal! Catyua riss sich - schweren Herzens – von Cedriks Anblick los, erhob sich und erklärte dem auf sie aufmerksam gewordenen Agenor ihr Vorhaben. Sie lief los auf der Suche nach der Elfe, bevor Agenor noch etwas dagegen einwerfen konnte. Die Elfe Assasina war bis jetzt noch nicht zurück gekehrt und Catyua war sich nicht sicher, ob sie derzeit deren Rückkehr auch wirklich wollte. Denn eigentlich wäre es ihr viel lieber gewesen, mit Cedrik allein zu sein oder zumindest ohne die Elfe.
Cedrik wurde durch ein unheimliches Gefühl von Gefahr aus seinen Alpträumen gerissen. Einerseits war er ganz froh darüber, doch andererseits wusste er im ersten Moment nicht, wie er dieses Gefühl interpretieren sollte.
Sein Blick fiel neben sich, auf den Platz wo eben noch Catyua gesessen hatte. Der Platz war leer!
Cedrik seufzte heimlich, er hatte sich bereits gedacht, dass etwas unvorhergesehenes passieren würde. Denn ihm war die Unruhe des Mädchens nicht entgangen. Jetzt stand er leise auf, um niemand zu wecken. Noch immer stand Agenor an der gleichen Stelle wie zuvor. Nur das Feuer brannte nicht mehr ganz so hoch und hell. Cedrik ging näher und fragte leise:
„Habt Ihr das Mädchen Catyua gesehen?“
Agenor nickte und deutete flüchtig in die Dunkelheit. Cedrik erkannte gleich darauf, dass ihn der Krieger daran hindern wollte, das Mädchen zu suchen und lief rasch ebenfalls in die Dunkelheit. Er hörte noch den erbosten Ruf des Mannes, doch im Moment war dies ihm egal.
Cedrik vermutete, dass Catyua sicher Assasina suchen gegangen war. Doch ohne wirklich zu wissen, wo diese war und so ganz unbewaffnet in dieser Dunkelheit an diesem Ort …?
Kurz blieb Cedrik stehen und schloss die Augen. Erstens um sie schneller an die Dunkelheit zu gewöhnen und dann um nach den Bewusstseinswellen von Catyua zu suchen.
Und dann spürte er sie!
Weit weg und irgendwie verschwommen. Cedrik setzte sich wieder in Bewegung. Er zuckte zusammen, als dicht neben ihm etwas warmes seine Schulter berührte. Beinahe hätte er einen erschrockenen Ruf ausgestoßen. Im letzten Moment erkannte er jedoch Sternenlicht. Cedrik schwang sich auf dessen Rücken, schloss abermals die Augen und verlinkte sich mit Sternenlichts Kraft. Kurz dachte Cedrik an Catyua, damit Sternenlicht sie auch wirklich erkannte und fand, dann zwängte sich das Einhorn durch den Wald.
Cedrik verließ sich vollkommen auf Sternenlichts Spürsinn. Die Wellen wurden stärker und Cedrik wunderte sich noch, dass das Mädchen in dieser kurzen Zeit so weit gelaufen war. Und schließlich sah er sie. Cedrik stieg ab, legte kurz die Hand auf die Nüstern des Einhorns und ging langsam weiter.
Catyua hatte Assasina nicht gefunden. Irgendwann war sie einfach stehen geblieben. Der Wald umfing sie, als sie zu Boden fiel. Auf dem Rücken liegend starrte sie die Äste der Bäume an, die den Himmel teilweise verdeckten. Sie sah die Sterne, doch kein Mond stand zwischen ihnen und einen Wimpernschlag lang sah sie etwas, das aussah als ob einer der Sterne zu Boden fiel. Sie erinnerte sich an einen Abend, ihre Mutter hatte mit ihr in den Himmel geschaut und ihr erzählt, ein Wunsch ginge in Erfüllung, wenn man einen fallenden Stern sah. Catyua war zu verwirrt um zu sagen, dass sie sich in diesem Moment etwas wünschte. Doch als sie den Tritt leiser Hufe hinter sich hörte, wusste sie wer da gekommen war.
Im Gedanken stand sie auf, lief zu ihm und ergriff seine Hand um diese nie mehr los zu lassen. In Wahrheit blieb sie auf dem Blätter bedeckten Waldboden liegen und dachte an den Ausdruck seiner Augen, wenn er die Elfe ansah. Sein schwacher Schatten fiel über sie und gegen den nächtlichen Sternenhimmel konnte sie nur seine Silhouette erkennen, nicht aber sein Gesicht. Es musste bereits spät sein.
Cedrik sagte nichts, ließ sich nur neben ihr im Schneidersitz nieder und Catyua war ihm unendlich dankbar dafür. Diese Dankbarkeit konnte sie jedoch nicht in Worte kleiden. Aber die Stille, die sie und Cedrik nun umgab, war nicht im mindesten unangenehm. Sie war froh, dass er nichts tat, um sie zu unterbrechen. Denn die Ruhe war wohltuend.
War es nun Zufall, dass Assasina in diesem Moment zwischen den Bäumen hervor trat? Oder gab es einfach an diesem Platz im Wald etwas, das sie alle hier anzog? Hatte die Elfe das Mädchen etwa schon vorher bemerkt? Oder verspürte sie wieder die Lust, ihr Spiel mit dem Magier weiter zu führen?
Catyua jedenfalls spürte ihre Anwesenheit wie ein Feuer und richtete sich mit einem Ruck auf. Liebend gerne wäre sie liegen geblieben, mit ihm an ihrer Seite und den Sternen über sich. Doch nicht in Assasinas Gegenwart.
„Ihr wollt sicher lieber allein sein ...“, brachte Catyua stockend und mit mangelnden Taktgefühl hervor. Doch anders wusste das Mädchen seine Worte nicht zu wählen. Der Magier setzte zu einer Erwiderung an, die jedoch in Assasinas weicher Stimme unterging.
„Danke!“, sagte diese völlig unbegründet, „Wir werden dir bald folgen!“
Catyua war aufgestanden und wie fluchtartig verließ sie den Platz und die Beiden. Nachdem sie ein paar Schritte gelaufen war, wischte sie sich die Tränen aus den Augen. Es war doch ihre eigene Schuld, wenn sie den Mund nicht auf bekam! Sie brauchte jetzt wirklich Ruhe, um sich zu fangen und dieser Wald schien ihr dafür wünschenswerter als das Lager.
So blieb sie schließlich nach weiteren Schritten endgültig stehen und ließ sich neben einem der dunklen Baumschatten auf den Boden sinken, lehnte ihren Rücken gegen die borkige Rinde und schlief nach wenigen Augenblicken ein – gefangen in ihren Gedanken, Wünschen und Hoffnungen.
Cedrik sah Catyua nach. Obwohl er sie nicht genauer als eine dunkle Silhouette wahrnahm, spürte er diese unendliche Verzweiflung, die in ihr tobte. Er konnte sich zwar denken, dass die heran gekommene Assasina daran schuldig war, doch konnte er sich nicht erklären weshalb. Cedrik biss sich auf die Unterlippe und verspürte das erste Mal seit er zu der Gruppe gestoßen war und mit kämpfte, Ärger darüber dass Assasina aufgetaucht war. Kurz fragte er sich erstaunt, ob er wirklich so wankelmütig in seinen Gefühlen den beiden Frauen gegenüber war. Doch als Assasina ihn mit leiser Stimme fragte:
„Hast du nach mir gesucht, Magier?“ vergaß er, was er in Catyuas Gegenwart gefühlt hatte.
Cedrik war empört auf sich selbst, dass er sich nicht ohne Gewalt von Zauber Assasinas befreien konnte. Seine Augen füllten sich mit Tränen, denn in diesem Moment fühlte er sich hin und her gerissen zwischen seiner Faszination, die Assasina auf ihn ausübte und der beginnenden Zuneigung zu diesem jungen Mädchen mit den Augen, in denen n man ertrinken konnte. Er hoffte nur, dass sie auf keine dummen Gedanken kommen würde.
Sie lief durch einen dunklen Gang, der nicht enden wollte. Hinter ihr her war jemand, der ihr einerseits Angst einflößte, aber auch anderseits ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens gab. Vor ihr, weit vor ihr, war ein ganz schwaches Glimmen zu erkennen und bald wurde der Gang breiter, so dass zwei dann auch drei Personen nebeneinander hätten laufen können.
Das Mädchen hatte plötzlich das Gefühl zu schrumpfen, sie fühlte sich kleiner immer kleiner werdend und dann wurden die zuvor beruhigenden Schritte hinter ihr immer schneller, bis dann jemand an ihr vorbei lief. Sie wollte das Licht am Ende des Ganges doch als erste erreichen! Dieser unbekannte Jemand vor ihr wurde immer noch schneller. Und obwohl sich Catyua anstrengte, ebenfalls schneller zu laufen, empfand sie ihren Lauf als langsamer und noch langsamer zu werden. Es war, als würde sie eine zähe Masse am nächsten Schritt hindern wollen. Trotz allem kam das Licht am Gangende doch näher und sie sah darin das Gesicht des jungen Magiers mit seinen unglaublichen Augen, die dieses Bernsteinlicht zeigten mit den darin schwimmenden Goldsprenkel.
Doch noch immer war jemand vor ihr, der ihr jetzt den Blick auf dieses Gesicht versperrte. Wer immer es war, er hatte den Magier erreicht und seine Augen begannen zu strahlen. Ein Lachen erklang und der Unbekannte drehte sich zu Catyua um. Es war Assasina und ihr Gesicht leuchtete in einem unheimlichen Glanz. Ihr Lachen wurde lauter, so laut dass Catyua sich schmerzerfüllt die Ohren zu hielt. Jemand begann zu schreien. Warum schrie jetzt jemand? Schrie sie gar selbst?
Ein Schrei riss Catyua aus diesem Alptraum. Wo war sie? Wer hatte geschrien? Die Bäume holten sie vollends in ihre Umgebung zurück. War dieser Schrei aus ihrem Mund gekommen?
Erst jetzt bemerkte Catyua dass sie zitterte, vor Kälte und Angst. Die Wärme des Feuers in der Höhle schien auf einmal doch verlockend und ihre Gedanken wurden von der Angst in den Hintergrund gedrängt. Sie, ein durchaus erfahrenes wenn auch noch junges Mädchen, war allein in einem nächtlichen Wald, nahe der Grenze zum Land der Dämonen.
Ängstlich begann sie zu laufen. Wie hatte sie sich das vorgestellt, einfach mal eben auf eigene Faust etwas zu unternehmen? Sie hatte Glück, dass der Tag noch nicht angebrochen war und ihre Gefährten noch in der Nähe weilten.
So weit war sie doch vorhin nicht gelaufen? War es denn möglich, dass sie sich jetzt verlaufen hatte? Nein, diesen Baum hatte sie noch gesehen, als sie auf dem Weg in den Wald gewesen war. Er war unverkennbar. Zwei Stämme die sich umwanden, mit einem Muster das sie wie zwei Schlangen wirken ließ. Catyuas Schritte beschleunigten sich, sie wollte aus diesem Wald heraus! Die Bäume schienen zusammen zu rücken und sie war immer noch halb gefangen in ihrem Alpträumen und glaubte hinter jedem Baum fremde Wesen zu erkennen und bei jedem Vogel, der sein schlaftrunkenes Lied zu singen begann weil sie ihn aufschreckte, musste sie einen Schrei unterdrücken.
Cedrik sah Assasina an und seine Erwartung war auf ihre nächsten Worte gerichtet. Doch da war dieses winzige, nagende Gefühl unbekannter Gefahr. Er runzelte die Stirn, als das Gefühl stärker und irritierender wurde. Er hob die Hand und meinte leise, doch mit Nachdruck:
„Erlaubt mir kurz die Bemerkung, jemand ist in mittelbarer Gefahr. Ich fühle, dass …!“ Cedrik unterbrach sich. Kurz war vor seinem geistigen Auge ein Gesicht aufgeblitzt. Ein bekanntes Gesicht. Obwohl es angstverzerrt und mit schmutzigen Tränenspuren verunziert war.
Ohne eine Antwort abzuwarten,wandte sich Cedrik um und folgte dem zarten Faden, der ihn an dieses Gesicht band.Mehr als einmal konnte er nur im letzten Moment den ihm im Weg stehenden Bäumen ausweichen und mehr als einmal stolperte er über aus dem Waldboden ragende Wurzeln.
Schließlich vernahm er dicht vor sich die Geräusche eines eilenden Wesens.
„Wartet bitte!“ rief Cedrik, doch die Schritte beschleunigten sich nur. Kurz zögerte Cedrik, doch er musste jetzt seine Angst und die Verwirrung, die ihn tief traf, beenden. Abermals wurde Cedrik etwas schneller und konnte gerade noch verhindern, dass Catyua gegen einen dickeren Baum lief. Schnell legte er seine Arme um sie, um sie fest zu halten. Er zuckte zusammen, als sie einen lauten und entsetzten Schrei ausstieß. Doch in diesem Moment war ihm egal, ob seine Handlung ehrenhaft war oder nicht.
„Nicht, Catyua! Ich bin's, Cedrik! Es ist alles gut. Es kann dir nichts mehr passieren!“ Cedriks Arme schlossen sich enger um den bebenden Mädchenkörper und er wartete, bis sie sich soweit gefangen hatte, dass in ihr Bewusstsein seine Anwesenheit sickerte. Es war ihm nicht aufgefallen, dass er sie geduzt hatte. So sehr war er in ihrer Angst und dem Schrecken verfangen.
Als sie sich so weit beruhigt hatte, ließ er sie vorsichtig los und hauchte – erschrocken über seine voreilige Handlung:
„Verzeiht! Ich wollte Euch nicht noch mehr ängstigen!“
Die plötzlich um sie gelegten Arme hatten sie tief erschreckt, doch Cedriks Stimme schaffte es sofort, Catyua wieder zu beruhigen. Catyua war sich nicht sicher, was Assasina sagen würde wenn sie sie jetzt in seinen Armen sehen würde. Doch da hatte er sie auch schon los gelassen. Und schon da fühlte sie Sehnsucht in sich aufsteigen.
„Cedrik, ich …!“ Konnte sie ihm sagen, was sie empfand? Nein, beschloss das Mädchen, wenn sie noch nicht einmal selbst wusste, was mit ihr los war. „... ich danke Euch!“, führte sie also den begonnenen Satz zu Ende. Sie konnte spüren, wie die Röte langsam aus ihrem Gesicht wich. Kurz schloss sie die Augen, sog die kühle Waldluft ein um sich zu beruhigen und sah ihn dann an. Er war sichtlich erschrocken über diese Situation und Catyua schaffte es, ein unsicheres Lächeln auf ihr Gesicht zu bringen. Die Frage, wo er Assasina gelassen hatte, verdrängte sie mit Leichtigkeit.
„Ich schäme mich. Ihr müsst mir den Weg ins Lager zeigen ...“, musste sie zugeben.
„Das ist doch kein Problem, wenn Ihr mir folgen würdet …!“
Es störte sie nicht, dass er aus seiner Etikette ausgebrochen war, der kleine „Fehler“ machte ihn noch liebenswerter. Und er zeigte, dass sie ihm nicht ganz egal war. Wie in einem Traum gefangen, liefen sie beide nun durch den Wald, dicht nebeneinander und Catyua hätte nicht sagen können, wann Assasina zu ihnen gestoßen war. Denn nun lief auch diese neben dem Magier.
Die empörten und ärgerlichen Worte Agenors überhörte Catyua, als sie zu dritt in den Feuerschein der Höhle traten. Ihre Schritte hatten ihre Leichtigkeit wieder gefunden, die sie so lange hatten vermissen lassen, aber trotzdem versuchte die junge Albin keinen der Schlafenden aufzuwecken, trotzdem sie vor Freude schreien hätte können.
Wie sollte sie jetzt schlafen, fragte sich Catyua, als Agenor sie zur Vernunft ermahnte. Doch wunschlos, wie sie eben war, ließ sie sich zufrieden wie ein kleines Kind neben dem Feuer nieder, das sie ebenso wärmte, wie Cedriks kräftige Arme es gerade getan hatten – und schlief mit ihm vor Augen ein. Über den nächsten Morgen dachte sie gar nicht mehr nach und entgegen der sonstigen Nächte, schlief sie ungestört durch. Keine Alpträume ließen sie aufwachen, keine Kälte ließ sie erschauern.
Assasina dagegen fand lange keinen Schlaf, sondern beobachtete den jungen Magier, der wachend an Catyua Seite sitzend … schließlich ebenfalls in den Schlaf gesunken war.
Cedrik schaute wieder in die Spiegelschale und wieder erlebte er das Dorf, das in Flammen aufging und die Beiden, die im Wald den Korb vergaßen, nur um wenig später den Tod zu finden. Wieder kam der unbekannte Pilzsucher und abermals sammelte er die Pilze ein. Doch da stand nun ein Busch, der vorher nicht gestanden hatte. Er war über und über voll roter und weißer Blüten. Die meisten waren entweder noch nicht ganz offen oder schon verblüht. Bis auf etwa zehn Blüten, auf deren Grund ein bleiches Gesicht zu erkennen war. Dieses Gesicht beherrschten tiefgründige Augen mit der Farbe des Meeres, das in vollem Sonnenschein lag. Cedrik hatte das Gefühl, er kannte diese Augen, doch er wusste nicht woher.
Langsam pflückte er die Blüten und er verlor sich in diesen Augen. Eine leise Stimme warnte ihn, dass dies mit Gefahr für sein Leben einher ging, doch er konnte nicht anders. Er tauchte tief in diese Augen und sein Herz begann rascher zu klopfen. So, wie es sonst nur bei Assasina schlug und doch ganz anders.
Diesmal hatte er nicht das Gefühl von tiefer Verlegenheit, sondern dass es rechtens war. Und dass es zu den Blüten dazu gehörte. Auch dieses leise, undeutliche Singen, das ebenfalls die Blüten hervor zu bringen schienen. Plötzlich jedoch fuhr ein eisiger Wind durch den Wald und über die Blüten, die Cedrik in der Hand hielt und sie begannen sich zu verändern.
Cedrik spürte Schrecken in sich aufsteigen und eine barg er unter dem Hemd, nahe seines Herzens. Die Blüten, die der kalte Wind berührte, verdorrten. Doch die eine, die er gerettet hatte, war vor dem endgültigen Tod beschützt. Kurz fragte sich Cedrik, wo wohl seine zwar beschädigte, trotzdem noch immer angelegte Rüstung geblieben war. Gleich darauf hatte er diesen Gedanken vergessen und war froh, wenigstens diese eine Blüte mit diesem Gesicht, das beinahe bis in seine Seele drang, gerettet zu haben.
Cedrik öffnete die Augen und runzelte unwillkürlich die Stirn. Der Traum war noch ziemlich präsent in seinem Gedächtnis. Dann fiel ihm wieder ein, was geschehen war und wo er sich derzeit befand. Er legte den Kopf zur Seite und sein Blick fiel auf die noch fest schlafende Catyua. Unbewusst überzog ein leises Lächeln Cedriks Gesicht und ein warmes Gefühl durchströmte ihn. Es verstärkte sich, als er daran dachte, wie er dieses schüchterne Mädchen am vergangenen Abend in seinen Armen gehalten hatte. Es war ein unbekanntes, doch schönes Gefühl gewesen. Und er wusste, diese Erinnerung konnte ihm selbst Assasina nicht mehr nehmen. Sein Lächeln verstärkte sich, als Catyua die Augen aufschlug und er abermals in ihren Augen versank.
Rutaara bekam von dem allem nichts mit. Die Meditation war wichtig, unter keinen Umständen durfte sie die Elbin abrupt beenden. Sie spürte zwar eine Störung der Magie, als Catyua im Wald den Alptraum hatte, bekam sogar merkwürdigerweise die verwirrenden Bilder und Gedanken des Mädchens mit, doch musste sie weiterhin die Konzentration beibehalten.
Rutaara schob die beunruhigenden Gedanken Catyuas beiseite und zwang sich wieder zur Ruhe. Sie beschwor das Bild des Sees herauf, beobachtete im Gedanken das tiefblaue Wasser, auf dem sich ein hell leuchtender Vollmond spiegelte. Die Elbin versetzte sich tiefer in Trance und Erinnerungen überfielen sie.
Unter einem Baum am Rande des Sees saß jemand, den sie nicht genau erkennen konnte. Die Elbin ging vorsichtig, aber neugierig auf diese Person zu. Erstaunt erkannte sie, dass es ein Elbe war. Und nicht nur irgendein Elbe – nein, dieser Elbe war genauso außergewöhnlich wie sie. Dunkelblaue, klare Augen blickten ihr aus dem Gesicht entgegen, dass so dunkel war wie ihr eigenes. Plötzlich änderte sich das Bild und sie sah sich einem riesigen, weißen Wolf gegenüber, der sie Verständnis - und liebevoll anblickte.
Mit einem Ruck wachte sie aus der Trance auf. Rutaara brauchte einige Augenblicke, um wieder in die Realität zurückzukehren. Traurig schaute sie zu Lyrael, der neben ihr lag und eingeschlafen war. Dennoch waren seine Ohren hoch aufgerichtet, sodass er alles mitbekam, das auf Feinde deutete.
Die Elbin schaute zum Feuer. Catyua schlief – zu ihrer Freude in Cedriks Armen – und sie fragte sich, ob die Bilder die sie von ihr empfangen hatte, bewusst ausgesendet worden waren.
Assasina saß neben den beiden und ließ sie nicht aus den Augen. Ein klein wenig beunruhigt über Assasinas Verhalten wandte Rutaara den Blick ab und Agenor zu. Er hielt immer noch Wache, doch irgendetwas schien vorgefallen zu sein, denn sie konnte seine unterdrückte Wut deutlich spüren. Auch von Cedrik und Assasina gingen negative Schwingungen aus.
Die Elbin seufzte, stand auf und setzte sich neben die Elfe. Eine Weile starrte sie schweigend in die Flammen, bis sie sich einen Ruck gab und Assasina ansprach.
„Ist etwas passiert? Ich habe das Gefühl, etwas stimmt hier nicht. Und bitte sei mir nicht böse, aber ich bin der Meinung, du bist der Hauptgrund dafür …!“
Schlafen konnte Catyua nicht mehr – auch wenn sie die Augen geschlossen hatte – seit Cedrik sie wieder in die Arme geschlossen hatte. Gerne wäre sie in den Schlaf gesunken aber ihre Gefühle ließen es nicht zu. Es war schön, ja wunderschön, aber das Glück wurde von einem nagenden Angstgefühl überschattet, dass es einfach vorbei war am Morgen und sie wollte nicht erwachen, mit dem Wissen, dass sie diese, seine Wärme nie wieder spüren würde.
Catyua öffnete die Augen, weder als sie Rutaaras Bewegung hörte die sich in der Nähe auf den Boden sinken ließ, noch als die beiden Frauen ein Gespräch begannen. Assasinas Antwort auf die frage der Elbin ließ Catyua aufhorchen.
„Ich bin mir nicht sicher...“, hatte diese nach einigem Zögern geantwortet, „ … aber unsere Kleinen hier scheinen sich verliebt zu haben – als ob wir nicht schon genug Probleme haben! Was fällt den beiden eigentlich ein ...“
Empörung wallte durch Catyuas Körper, als sie wieder einmal als „Kleine“ bezeichnet wurde – so dass sie dem weiteren Gespräch nicht gleich folgen konnte. Doch dann vergaß sie das schnell, denn die Elfe hatte es bestimmt nicht böse gemeint. Catyua könnte sich niemals vorstellen, dass Assasina eifersüchtig wäre auf sie. Es schien auch nicht der Fall zu sein, doch dann wusste das Mädchen den seltsamen Tonfall in deren Stimme nicht zu deuten, als sie sich wieder auf die Beiden konzentrierte.
„Es läuft wohl alles ein wenig aus dem Ruder, hm?“, erwiderte die Dunkle darauf leise.
„Es scheint so. Agenor ist ziemlich gereizt – wie wir alle, glaube ich. Ich sollte mit ihm sprechen, sonst haben wir bald nichts anderes zu tun, als uns zu streiten …!“ War der Sarkasmus in Assasinas Stimme beabsichtigt? Rutaara blickte jedenfalls darüber hinweg. Die Meditation vorhin schien ihr die nötige Ruhe und Kraft gegeben zu haben, Assasina nicht mehr ganz so feindlich zu begegnen, aber das Verhalten der beiden Frauen konnte genauso gut Fassade sein. Es war Catyua gleich, solange kein neuer Streit entbrannte.
Das lange schweigen, das dem kurzen Gespräch folgte, wurde irgendwann von Agenor unterbrochen.
„Meine Damen, wäre ein bisschen Schlaf nicht besser angebracht? In den kommenden Nächten werden ebenfalls Wachen vonnöten sein – ich hatte euch mit eingerechnet!“ Seine Stimme war gedämpft, um keinen Schläfer zu wecken. Aber das war sicher noch kein Grund für ihn, den beiden Kämpferinnen nahe zu legen, sie sollten ein wenig ruhen. Wahrscheinlich sorgte er sich einfach nur um „seine Gruppe“. Bei diesem Gedanken musste das Mädchen ein Schmunzeln unterdrücken.
Cedrik hatte erneut seine Augen geschlossen. Er war am einschlafen, als er die leise Stimme Rutaaras hörte. Kurz runzelte er die Stirn, als er die Titulierung „Kleinen“ vernahm. Wer damit wohl gemeint war? Cedrik legte sich etwas bequemer hin und zog Catyua dichter an sich heran. Zuerst hatte er befürchtet, dass Catyua schwer sein würde, doch sie war so leicht wie ein Vogel. Kurz verzog sich Cedriks Mund zu einem flüchtigen Grinsen, doch mitten drin schlief er wieder ein.
Diesmal träumte er, dass er auf Sternenlichts Rücken durch die weiten Ebenen von Cautaraland ritt. Obwohl ihm der Begriff nichts sagen konnte, denn dieses Land kannte er nicht. Hinter ihm saß Catyua und lachte erfreut. Sternenlicht hatte scheinbar auch gegen sie nichts einzuwenden. Der Ritt dauerte nicht lange. Er war zu Ende, als plötzlich vor ihnen wie aus der Erde gestampft, ein Dämon in schwarzen Mantel gekleidet stand und seinen Arm ausstreckte. Sternenlicht stieg mit seinen Vorderläufen hoch, schrie laut und grell und Cedrik hatte kurz den Eindruck, die Druckwelle des Schreis bringt sein Trommelfell zum Platzen. Doch gleich darauf beruhigte sich Sternenlicht wieder und der Dämon war zerstört geworden, allein durch Sternenlichts Schrei. Nur noch Staub war übrig, den der Wind den das Einhorn beim Vorbeiritt erzeugte, aufwirbelte und vertrug. Cedrik und das Mädchen hinter ihm ritten weiter und …
Cedrik holte tief Luft und erst jetzt entspannte er sich endgültig.
„Jetzt legt euch endlich hin und schlaft, morgen haben wir einen langen Ritt vor uns“, ermahnte Agenor die beiden Frauen. „Ihr könnt ja morgen plaudern, aber jetzt ist weder der rechte Zeitpunkt noch der Ort zum Unterhalten. Ausruhen ist jetzt von großer Wichtigkeit. Ihr wollt ja auch, dass der König sicher ankommt und wir brauchen – falls wir angegriffen werden – keine zwei erfahrene Kriegerinnen, die beim Ausholen eines Schwertes vor Müdigkeit umfallen!“ Agenor meinte seine Worte weder sarkastisch noch unfreundlich, sondern einfach nur ernst. Er wartete geduldig und behielt beide Frauen im Auge, bis sich diese tatsächlich niederlegten.
Assasina lag am Rücken und schaute in den Sternenhimmel. Sie hatte beschlossen nicht in der Höhle und neben den anderen zu schlafen. Ungeduldig trommelte sie mit ihren Fingern auf den Waldboden und dachte nach. Sie durfte jetzt keinen falschen Schritt machen. Die Situation stand auf Messers Schneide, aber sie war noch nicht ganz aus dem Ruder gelaufen. Noch hatte Assasina die Fäden, die sie am Anfang gesponnen hatte, in der Hand.
Cedrik und Catyua bereiteten ihr Kopfzerbrechen. Natürlich war sie nie in Cedrik verliebt gewesen, hatte auch nie wirkliche Gefühle für ihn, aber sie musste ihn umgarnen und verzaubern, um genau das zu verhindern, was eingetroffen war. Sie hatte von Anfang an befürchtet, dass Cedrik und Catyua sich verlieben könnten. Die Beiden waren die einzigen, wo dies geschehen konnte. Und sie – Assasina, die das verhindern hätte können – hatte versagt. Eine Tatsache, die ihr Ego ziemlich stark erschütterte. Aber es gab ja noch Hoffnung. Dann musste sie eben stärkere Geschütze auffahren! Noch hatte der Junge gewisse Gefühle für sie.
Wenn er und Catyua ein Paar werden würden, hätte der Talkönig ein Druckmittel mehr in der Hand, um ihnen allen ihre Versprechungen nicht zu erfüllen. Aber natürlich konnte sie das niemand sagen.
Das nächste Problem war der Prinz. Aber er war ein Problem, für das sie gewappnet war. Auf ihn hatte sie sich einstellen können.
Geistesabwesend fuhr sie mit ihren Fingern über die SOL I LAGOR.
Assasina hatte einen Entschluss gefasst. Das größere Problem von ihr waren derzeit die beiden Verliebten. Fast lautlos stand sie auf. Alle, bis auf Agenor schliefen. Assasina schlich sich von hinten an ihn heran und ihre Hand sauste nach vorne und drückte auf einen Punkt in der Nähe seines Halses. Noch bevor er etwas sagen konnte, fiel er bewusstlos zu Boden. Agenor würde für zwei bis drei Stunden ausser Gefecht sein. Seine Wache konnte sie später auch übernehmen.
Assasina schlich in die Höhle und blieb über den beiden schlafenden Verliebten gebeugt stehen. Sacht schob sie Catyua aus Cedriks Armen. Diese machte ein laut ausatmendes Geräusch und schlief weiter, während Cedrik die Augen aufschlug und Assasina direkt ansah. Er wollte eben etwas sagen, doch sie hielt einen Finger an seine Lippen. Assasina konnte wieder spüren, wie Cedriks Herz schneller zu schlagen begann. Sie hatte Glück, er empfand noch etwas für sie. Assasina zog Cedrik auf die Beine, was er geschehen ließ und seine noch müden Augen sahen sie überrascht und verwirrt an.
Assasina nahm Cedrik an der Hand und „zog“ ihn aus der Höhle zu einer etwas abgelegenen Stelle, wo sie ihn sacht gegen einen Felsen drückte.
Sie spürte, wie sein Körper sich verkrampfte als sie ihn küsste, er sich dann jedoch rasch entspannte. Eines der Dinge, das Assasina in Ond – Ande als erstes gelernt hatte, war es einen Mann glücklich zu machen, ohne dabei selbst auch nur die geringsten Gefühle zu haben. Irgendwie musste sie sich ja ihr Geld verdienen.
Es war ein langer, intensiver Kuss – der abrupt von ihr beendet wurde. Sie strich mit ihrer Hand über Cedriks Oberkörper und machte dann einige Schritte Richtung Lager. Assasina ließ den verwirrten und zu Stein erstarrten Cedrik stehen – jedoch nicht ohne ihm vorher noch einen koketten Blick zugeworfen zu haben und erst danach kehrte sie endgültig zurück. Sie setzte sich neben Agenor, der am Boden lag und starrte durch die Bäume in die Dunkelheit. Ihre Hand stets auf der SOL I LAGOR.
Kurz vor Sonnenaufgang raschelte es neben ihr und Agenor öffnete die Augen.
„Was …?“, fragte er verwirrt.
„Du bist eingeschlafen. Ich habe die Wache für dich übernommen“, meinte Assasina ohne ihn anzusehen. Agenor sah sich um und Assasina machte es ihm nach. Cedrik war wieder aus dem Wald zurück gekommen, nicht lange nach Assasina – doch vermied er es zu ihr zu gehen und hatte sich wieder schlafen gelegt. Etwas weiter entfernt von Catyua.
Alle anderen schliefen noch und Assasina betete inständig, dass ihr Plan Cedrik und Catyua auseinander zu halten noch bis nach ihrem Gespräch mit dem Talkönig funktionierte. Danach konnten die Beiden von ihr aus heiraten.
Cedrik war so durcheinander wie noch nie in seinem Leben. Was war ihm da eben widerfahren? Jenes Wesen, das ihm die Luft abgeschnürt hatte, das ihn verächtlich gemacht hatte wegen seiner Gefühle zu ihr und das ihn allein durch ihre Anwesenheit mehr beunruhigt hatte, als es das Lernen schwerer Zaubersprüche und Lieder je machen konnten, hatte ihn geküsst.
Dieser Kuss, der ihn in einen Gefühlstaumel geworfen hatte, brannte noch immer auf seinen Lippen. Unwillkürlich legte Cedrik einen Finger auf seinen Mund und meinte noch immer den Geschmack von Assasinas weichen und warmen Lippen darauf zu fühlen. Und ihre Hand, die ihn berührt und sinnlich gestreichelt hatte.
Cedrik fühlte sich ganz taumelig. Was sollte er nun tun? Er mochte Catyua, mochte sie sogar sehr. Doch Assasina hatte ihn geküsst. Obwohl sie soviel älter als er war – wie sie ihm einmal spottend unter die Nase gerieben hatte.
Sein Gefühl, das ihn zu Assasina hin zog, war wieder mehr aufgeflammt. Diesmal in einer Stärke, die es ihm schwer machte, objektiv zu bleiben.
Es hielt Cedrik nicht mehr an seinem Platz und er stand auf. Ging hinaus, vorbei an den übrigen Schläfern und warf beim Hinausgehen noch einen raschen Blick zu Assasina. Sie sah ebenfalls zu ihm und lächelte zu ihm herüber. Beinahe wäre er zu ihr gelaufen, hätte sie hoch gezogen und sie ungefähr so geküsst, wie sie ihn vorhin. Doch etwas hielt ihn zurück.
Kurz zuckte vor seinem geistigem Auge der Traum mit dem blühenden Busch und der einzelnen geretteten Blüte an seinem Herzen auf. Doch da hatte er die Höhle bereits verlassen, sah sich nach Sternenlicht um und ging hin. Sein Einhorn stand etwas weiter entfernt von den anderen Pferden und das war Cedrik ganz recht. Er ging hin, wühlte seine Finger in Sternenlichts Mähne, lehnte den Kopf an dessen Hals und begann aus Verzweiflung und auch Ärger über sein Unschlüssigkeit und Wankelmütigkeit , was die beiden Mädchen betraf, zu weinen.
Was sollte er tun? Wie sollte er sich entscheiden?
Die Zuneigung Catyuas machte ihn glücklich und tat ihm gut. Doch Assasina hingegen beherrschte erneut sein Denken und Fühlen. Besonders sein Fühlen!
Sie hatte das beinahe erloschene Feuer erneut entfacht. Mehr noch, sie hatte ihn an seiner empfindlichsten Stelle erwischt. Er wäre, ohne weiteres Nachdenken, auch noch weiter als bis zu diesem Kuss gegangen. Er hatte die Reaktion seines Körpers auf diese intime Berührung genau bemerkt. Erst hatte sie ihn erschreckt, doch als er sich ihr hingeben wollte, hatte sich Assasina abrupt von ihm gelöst. Ob sie etwas gemerkt hatte und ihn deshalb stehen ließ?
Sternenlicht wandte den Kopf und sah den verzweifelt weinenden Cedrik mit seinen sanften Augen fragend an. Er begann unruhig mit dem rechten Vorderfuß zu stampfen und leise zu schnauben. Cedrik hob den Kopf und verwünschte den Umstand, dass er hier – im Feindesland sozusagen – niemanden um Hilfe bitten konnte, der ihm einen Rat bei diesem Dilemma geben konnte. Noch einmal verglich Cedrik beide Frauen im Geist miteinander. Vielleicht fand er ja selbst eine Lösung. Wenn er sich die schüchterne Catyua vorstellte, dann fühlte er tief in sich ein warmes Gefühl. Doch als er an Assasina dachte, hielt er erschrocken den Atem an, denn da war nur Feuer und Leidenschaft.
Cedrik wandte sich von Sternenlicht ab, ließ sich an der Stelle wo er stand zu Boden sinken, stellte die Ellbogen auf seine Knie und grub seine Finger in die Haare. Was sollte er nur tun?
Auf der einen Seite ein Mädchen – sanft, treu und lieblich - und auf der anderen Seite ein Mädchen, dessen Kuss seine tiefsten Gefühle und seine stärkste Leidenschaft in Aufregung versetzte.
„Was soll ich tun, Sternenlicht? Magier sind doch auch nur Menschen, auch wenn sie erst am Lernen sind! Was soll ich tun? Catyua zu mögen ist nicht schwer, aber Assasina …!“
Cedrik stöhnte verzweifelt auf und er meinte erneut diesen Kuss auf seinen Lippen zu fühlen. Und abermals reagierte sein Körper unerwünscht. Cedriks Augen füllten sich erneut mit Tränen, die sofort über sein angespanntes Gesicht liefen.
Die Morgendämmerung begann und verkündete mit einem Farbenmeer von orangen, gelben und rosigen Schleierwolken einen milden Tag. Rutaara lag schon einige Zeit wach, den Kopf auf Lyraels Bauch gebettet und beobachtete nachdenklich die vorbei ziehenden Wolken. Sie dachte über das kurze Gespräch mit Assasina nach. Was wusste die Elfe, dass sie so gegen die Liebe der beiden jungen Leute war? Oder war sie gar nur eifersüchtig?
Die Elbin schüttelte den Kopf und seufzte. Sie wurde aus Assasina einfach nicht schlau. Elfen waren ein seltsames Volk und doch waren sie weit entfernt mit Elben verwandt. Das spiegelte sich geringfügig in der Elfentradition und auch im Aussehen der Elfen wider. Bei Assasina konnte Rutaara erstaunlich ausgeprägte Merkmale der Elben entdecken. Ebenso wie Rutaara hatte Assasina schmale, spitze Ohren, die mandelförmigen Augen die mit uralter Weisheit in die Welt blickten. Rutaara konnte sich das alles nicht so recht zusammen reimen. Das Geheimnis um die Herkunft der Elfe erweckte die Neugierde in ihr. Zu gerne hätte sie gewusst, was es mit Assasina auf sich hatte.
Wieder seufzte sie. Das alles jedoch musste warten. Zuerst mussten sie das junge Prinzenpaar sicher wieder nach Hause bringen.
Die Elbin erhob sich, was Lyrael veranlasste, die Ohren zu spitzen und aufzuwachen. Rutaara musste lächeln. Wie immer spürte er jede ihrer Bewegungen und Gedanken und reagierte dementsprechend darauf. So war es immer schon, auch als er ein Elbe war. Früher hatte sie über diejenigen gelacht, die behaupteten es gäbe die wahre Liebe – jene Liebe, die von den Ahnen vorher bestimmt war. Doch Lyrael hatte sie eines Besseren belehrt.
Rutaara blickte um sich. Am erloschenen Lagerfeuer in der Höhle lagen das Prinzenpaar und Catyua, friedlich schlafend. Von den anderen fehlte jede Spur.
„In der Nähe ist ein kleiner See. Ich würde gerne etwas darin schwimmen gehen und mich waschen“, sagte sie zu ihrem Gefährten. „Sei doch bitte so gut und bleibe in der Zwischenzeit hier. Ich möchte die anderen nicht unbeobachtet zurücklassen!“
'Natürlich Liebste!' klang die Antwort in ihren Gedanken auf. Beruhigt machte sie sich auf den Weg.
Am See angekommen, begann sie sich zu entkleiden. Ihre Sachen faltete die Elbin sorgfältig zusammen und legte sie auf einen umgefallenen Baumstamm. Dann löste sie ihren Zopf, so dass ihre eisblonden, langen Haare in leichten Wellen auf den Rücken fielen und sich das Licht der Morgensonne darin spiegelte.
Das Wasser des Sees war klar und als Rutaara hinein stieg, hielt sie einen Moment den Atem an, denn über Nacht war die Wassertemperatur ziemlich gefallen. Sie schwamm einige kräftige Züge, damit sich ihr Körper wieder erwärmen konnte. Da sie annahm, dass sie um diese frühe Stunde allein war, hatte sie sich all ihrer Kleidung entledigt und schwamm nun ausgelassen und sich frei fühlend durch den See. Ganz in ihrem Element bemerkte sie nicht, dass sie vom Rande des Waldes aus beobachtet wurde.
„Das kann nicht sein!“, brummte Agenor, als Assasina ihm erklärt hatte, er sei eingeschlafen. Er war nie zuvor irgendwann zu seinen Lebzeiten bei einer Wache EINGESCHLAFEN!
'Nein! Das kann nicht sein!' dachte Agenor sich. Aber wieso war er dann am Boden liegend aufgewacht? 'Das hat sicher und hundert Prozent mit Assasina zu tun!' setzte er seinen Gedankengang grimmig weiter. Er würde sie im Laufe der Reise fest im Auge behalten …!
Verwirrt erwachte Catyua am nächsten Morgen. Wo war sie hier? Wieso lag sie auf dem Boden? Wo waren die anderen hin? Und – am schmerzlichsten – wo war Cedrik? Sie hatte doch vorhin noch in seinen Armen gelegen …
Ihr Körper schien es beinahe begriffen zu haben, aber ihr Geist wehrte sich vehement gegen den Gedanken der langsam in ihrem Kopf Gestalt annahm und der ihr im Grunde von Anfang an klar gewesen war. Natürlich hatte sich der junge Magier für die Elfe und gegen sie entschieden. Obwohl sie das nicht glauben konnte und noch viel weniger wollte. Nicht, wenn sie an seine Berührungen des gestrigen Abends und der Nacht dachte. Aber sie hatte das Feuer in seinen Augen gesehen das Assasina entfachte und da konnte sie, Catyua, nicht das Geringste daran ändern. Wieso hatte sie sich überhaupt Hoffnungen gemacht?
Tiefe Resignation strömte durch jeden Winkel ihres Körpers. Die Menschen waren überall gleich. Alle so verdammt gleich! Das hatte sie vorher gewusst, doch zwischen diesen Gefährten hatte sie es vergessen. Und sowohl Rutaara als auch Assasina hatten ihr fast das Gefühl gegeben eine Familie zu haben, obwohl sie das vermutlich gar nicht gewollt hatten.
Ihre Augen suchten jetzt nicht mehr nur nach dem Magier, sie begannen auch nach der Elbe Ausschau zu halten. Assasina hatte sie inzwischen entdeckt, diese saß unbeweglich neben Agenor – bemüht, sie nicht anzusehen. Das Mädchen erhob sich und ging bewusst auf sie zu.
„Guten Morgen! Wie hast du geschlafen?“ Doch damit war das Maß, das sie an Freundlichkeit aufbringen konnte voll, auch wenn sie wusste, dass Assasina keinerlei Schuld an Cedriks Gefühlen hatte.
„Unser lieber Agenor hier ist in der Nacht eingeschlafen, wodurch seine Wache unterbrochen war, die ich dann bereit war fortzusetzen!“
Der „liebe Agenor“ war augenscheinlich wenig begeistert über ihren Eifer, dies alles zu erzählen. Aber ihn schien noch etwas zu stören, Catyua konnte nur nicht erkennen was das war.
„Habt ihr Rutaara gesehen?“, wandte sich das Mädchen an die beiden.
„Nicht dass ich wüsste, nein.“ Agenors Antwort war ziemlich brummig. Mit fragend hoch gezogener Braue blickte Catyua nun zu Assasina.
„Sie ist vorhin Richtung Wald gelaufen …!“, meinte diese desinteressiert. „Hm!“, kam noch nach.
Plötzlich fiel Catyuas Blick auf den jungen Magier. Er hatte sein Gesicht in der Mähne Sternenlichts vergraben. Hatte sie vorhin vielleicht doch überreagiert, als sie dachte er würde für sie nichts mehr empfinden? Denn was diese Nacht zwischen ihm und Assasina vorgefallen war, wusste sie nicht genau. Im Halbschlaf hatte sie die beiden nur zusammen gesehen, was ebenso gut ein Gespräch hätte sein können. Und da war sie wieder! Diese unzerstörbare, unbelehrbare, tröstliche Hoffnung. Catyua musste ihre plötzlich aufsteigenden Tränen hinunter schlucken. Am liebsten wäre sie jetzt wieder ganz allein. Hätte sie nur die anderen niemals kennen gelernt. Doch dafür war es nun zu spät. Sie alle hatten einen Auftrag. Und Catyua war nicht der Mensch, der Aufträge nicht möglichst gut, oder eher sauber ausführte.
„Wer organisiert unsere Verpflegung?“, fragte sie deshalb, auch wenn einige der Gefährten abwesend waren.
Cedrik hob den Kopf und schluckte, als er die Stimme hinter sich hörte. Ein schmerzhafter Stich in seinem Herzen ließ ihn die Luft scharf einziehen. Er würde sehr aufpassen müssen, um diesem lieben Kind nicht zu weh zu tun.Und irgendwie graute ihm, wenn er daran dachte, dass die restliche Reise ihn sowohl zwischen Catyua und Assasina zu einer Entscheidung zwingen würde.
Catyua sah kurz zu ihm herüber und ihr schmerzlicher Blick traf Cedrik tief. Am liebsten hätte er sich zu ihr begeben, sie in seine Arme genommen und nie mehr los gelassen. Doch da war dieses neu entfachte Feuer das nicht nur seine Gedanken, sondern scheinbar auch seine Hormone durcheinander brachte. Tief in sich wusste Cedrik, dass Assasina ihn mit vollster Absicht geküsst hatte und er keinerlei Hoffnung auf dieses Wesen hatte.
Cedrik hatte nur eine Option. Er musste sich von beiden Mädchen fern halten. Von Assasina mehr als von Catyua. Wo er bei der einen um seine Unschuld bangen musste, wollte er die andere nicht verletzen und ihre sicher vorhandene Hoffnung auf ein Zusammensein mit ihm nicht zerstören. Sollte er am Ende dieser Reise erfahren haben, wer seine wirklichen Eltern gewesen waren, konnte er noch immer um dieses schüchterne Mädchen werben. Es konnte ja sein, dass er der Sohn von anderen Verbannten war oder von Raubmördern. Das glaubte Cedrik zwar nicht wirklich, denn seit er in der Spiegelschale den ansprechenden Mann mit dem langen Blondhaar und seine Gefährtin gesehen hatte, vermutete er mehr denn je, dass er seine Eltern gesehen hatte. Vielleicht hatte er sich auch selbst als winziges Kind in dem Korb befunden. Und der Mann im Mantel, der die Pilze sammelte, als die beiden schon längst getötet worden waren, war vielleicht wirklich Fulkhurx. Cedrik senkte die Augen. Er würde froh sein, wenn sie die Rückkehr mit dem Prinzenpaar endlich weiter machen würden.
„Wo ist Rutaara?“ Agenors Frage platzte wie ein Blitz in die Höhle, als Catyua nach der Elbin fragte. Neben ihm richteten sich einige seiner Krieger auf und griffen zur Waffe, einige waren bereits aufgestanden und schauten sich suchend um.
„Seid ihr alle Kinder oder was?“, brüllte er die Gefährten an. „Einfach abhauen, sich nicht einmal abmelden! Mit solchen kindischen Aktionen werdet ihr uns alle UMBRINGEN!“ Agenors Stimme glich in diesen Moment wie die eines Vaters, der seine Kinder ausschimpfte. Doch dieser Zustand hielt nie lange bei ihm an, so auch jetzt. Er winkte drei seiner Krieger zu sich und ging mit ihnen Rutaara suchen – denn weit konnte sie ja nicht gekommen sein – doch zuvor fragte er den Wolf, ob dieser ihm sagen könne, wo Rutaara wohl stecken könnte. Kaum hatte sich Agenor in Bewegung gesetzt, lief Lyrael vor ihm von der Höhle weg und wies ihm den Weg zum Flussufer …
Doch Lyrael führte ihn nur bis an den Rand des Sees, damit sich Agenor von Rutaara eine gehörige Abreibung holen konnte.
Etwas früher als der Krieger erreichte Lyrael den See. Die Elbin schwamm splitterfasernackt in dem klaren Wasser umher und bei ihrem Anblick schnürte sich Lyraels Kehle zu. Wie gerne wäre er jetzt als richtiger Elbe bei ihr. Lyrael schüttelte sich und blickte über die Schulter. Agenor war etwas zurück gefallen und so blieb ihm etwas Zeit, eine Nachricht an seine Liebste zu senden.
'Ruta, der Mensch ist ziemlich sauer. Er meint, die anderen wären ohne Schutz zurück geblieben und dass dies unverzeihlich sei! Ausserdem … er ist jetzt gleich hier!'
Die Elbin zuckte unwillkürlich zusammen, als die Stimme ihres Gefährten in ihrem Kopf widerhallte. Dann musste sie grinsen.
'Keine Sorge, ich kläre das schon', sandte sie lachend zurück.
Inzwischen hatte Agenor auch den See erreicht. Die Elbin stieg so wie sie war, aus dem Wasser. Ungeniert ging sie unbekleidet auf den Menschen zu.
„So, du hältst also einen elbischen Wolf für keine ausreichende Wache?“, fragte Rutaara und baute sich vor Agenor und seinen Mannen provokant auf.
Ihre Haut glänzte im Sonnenlicht, sie war auch sehr muskulös gebaut, musste Agenor zugeben. Doch dessen bewusst, dass sein Blick kurz über den Frauenkörper gehuscht war, wandte er sich sofort um und begann erst dann zu sprechen, denn ein wenig eingeschüchtert hatte ihn wohl dieser Anblick.
„Verzeihung, Lady Rutaara. Aber ich denke, man sollte sich abmelden, wenn man …!“ Seine Stimme erstarb kurz, doch Agenor fuhr gleich darauf fort. „... wenn man ganz alleine außerhalb der Sichtweite schwimmen geht! Wir können es uns nicht leisten, Euch zu suchen wenn Ihr von jemandem entführt werdet oder gar ertrunken seid … das ich bezweifle!“, fügte er schnell hinzu. „Dazu kann man noch so eine tapfere, durchtrainierte, erfahrene Kriegerin sein. Ein Pfeil in die richtige Stelle genügt, um Euch ein unrühmliches Ende zu bereiten.“ 'Und ich würde es bereuen, sie zu verlieren', setzte Agenor im Gedanken hinzu.
Wie erwartet, hatte sie den Krieger von seiner Wut ablenken können. Rutaara schmunzelte, als sie seinen Blick bemerkte. Beschämt wandte sich Agenor ab und sprach auf sie ein. Während Rutaara ihm halbherzig zuhörte, lief sie zu dem Baumstamm auf dem sie ihre Sachen gelagert hatte und zog sich an.
Bei den Worten „ein Pfeil in die richtige Stelle genügt um Euch ein unrühmliches Ende zu bereiten“, lachte die Elbin kurz auf, verlor aber kein Wort. Sie wollte keinen weiteren Streit hervor rufen.
Kaum fertig angezogen trat sie an Agenors Seite.
„Ich habe deine Meinung über mein Verhalten gehört. Dazu äußern werde ich mich nicht. Nur eins sei dazu gesagt: Wer eine Dunkle Elbe mit einem Pfeil zu töten versucht, der hat schlechte Karten!“
Ihre Augen suchten Lyrael und fanden ihn am Waldrand stehend. Er hatte sich dorthin zurück gezogen um die beiden nicht zu stören doch nun, da sie ihm zunickte, lief er auf sie zu und stellte sich an ihre Seite.
„Hättest du ihm nicht die Leviten lesen können?“, fragte Rutaara Lyrael. Lyrael legte schuldbewusst die Ohren an und zog den Kopf ein. Rutaara lächelte in an.
„Es war schon in Ordnung so. Außerdem hat es Spaß gemacht.“
Bei diesen Worten warf ihr Agenor einen erbosten Blick zu. Rutaara antwortete mit einem spöttischen Grinsen, doch dann wandte sie sich dem Weg zur Höhle zu und lief in diese Richtung. Vorher wandte sie den Kopf und rief zu Agenor:
„Was ist? Kommst du mit oder willst du dort Wurzeln schlagen?“ Es machte ihr großen Spaß, Agenor der immer noch wie erstarrt beim Baumstamm stand, zu verspotten.
Agenor murmelte etwas unverständliches und schloss sich dann Rutaara an, würdigte sie jedoch mit keinem Blick mehr. Sein Gesicht war angespannt, doch man sah ihm nicht an, was er dachte. Über Rutaaras verhalten war er teils schockiert und teils auch leicht verärgert. In dieser Stimmung kamen sie in die Sichtweite des Lagers. Agenor hatte hier zwei seiner Krieger zurückgelassen, diesen winkte er nun etwas herrisch und die beiden folgten ihrem Kommandanten schweigend. Sie wussten, wenn er in dieser Stimmung war, war es nicht gut, ihn anzusprechen.
Die Elbin trat erfrischt und vergnügt in die Höhle. Die anderen hatten sich scheinbar die selben Sorgen gemacht wie Agenor, denn als sie Rutaara erblickten, machten die meisten erleichterte Gesichter.
„Ach, so schlimm war das nun auch nicht!“, sagte Rutaara und machte eine wegwerfende Handbewegung. Ihre Augen funkelten dabei jedoch ziemlich vergnügt. Sie verstand gar nicht, warum die anderen so einen Zirkus um ihr Verschwinden zum morgendlichen Bad machten.
Cedrik sah sich erstaunt um. Ihm war nicht aufgefallen, dass sich Rutaara nicht mehr in der Höhle befunden hatte. Kurz biss er sich auf die Unterlippe. So viel zu seiner Rolle als Magier und Wächter, der er am Vortag sein wollte.
Agenors Gesicht hatte einen roten Stich bekommen, als er hinter Rutaara den Bereich der Höhle betrat, wo seine Männer bereits dabei waren das Zelt abzubauen und zu verstauen. Cedrik spürte den Unmut, den Ärger und auch Verlegenheit in Wellen zu ihm herüber branden.
Verlegenheit? Was war zwischen den beiden geschehen? Aber das hatte sicher weder mit ihm noch mit seinem eigenen Dilemma zu tun. Also wandte sich Cedrik wieder ab und sein Blick streifte abermals Catyua. Unbewusst streckte er seinen magischen Fühler aus und strich ihr sanft übers Haar. Gleich darauf wandte er sich Sternenlicht zu. Ob sie die leichte magische Berührung gespürt hatte, wusste er nicht. Cedrik hoffte es. Er hoffte es sehr. Cedrik verließ noch einmal sein Einhorn, begab sich zur Höhle, holte den Sattel und die Zügel und seufzte leise. Er ahnte, dass er damit seinem Reittier keine Freude machte. Doch Sternenlicht wehrte sich nur kurz, dann konnte er Sattel und Zügel an den dafür vorgesehenen Stellen anbringen. In die Sattelhülle schob Cedrik den Stab mit dem Ambarin und seinen Reisebeutel hängte er an die andere Sattelseite, an den dort angebrachten Haken.
Cedriks Blick fiel auf die fleckig gewordene Rüstung. Doch es war jetzt sicher keine Zeit dafür, sie wenigstens etwas zu reinigen. Aber da sie sowieso bereits beschädigt war, würde etwas Polieren ihrem Aussehen sicher keinen Hauch von Glanz verleihen. Wenn sie die nächste Rast einlegten, nahm sich Cedrik vor, würde er dann versuchen, wenigstens die größten Beschädigungen an Schulter und Rücken zu beseitigen. Und davon kannte er die richtigen Worte. Alle Worte!
Kurz dachte Cedrik daran, zur Prinzessin zu gehen und sie fragen, ob sie bereit wäre weiter zu reisen. Denn sie sah nicht danach aus, als würde sie noch lange den Strapazen der Rückkehr gewachsen sein.
Doch irgendwie erinnerte sie Cedrik an Catyua und so senkte er erneut den Blick. Gab vor, als wäre er stark beschäftigt den Sattelgurt fester zu ziehen.
Im Gedanken beim Traum mit der Blüte, auf den Lippen wieder einmal die Erinnerung an Assasinas Kuss und tief im Herzen Catyua, eingeschlossen in eine zarte Knospe. Doch ob diese Knospe je erblühen würde, stand noch in den Annalen des Schicksals. Und diese Annalen waren ein Buch mit sieben Siegel.
Schweigend und mit reglosem Gesicht half Catyua das Lager abzubrechen. Zwischendurch erschreckte sie ein großer, abgemagerter Fuchs, der wohl in der Hoffnung auf Nahrung zu nahe an die Gefährten und ihr Lager geraten war. Doch schnell hatte sich die Anspannung der meisten gelöst, nur einige hielten an ihrer Wachsamkeit fest.
Rasch war alles verstaut so gut es ging – sie waren zum Aufbruch bereit. Die Verteilung der Pferde hatten Cedrik und Agenor übernommen, der es nicht lassen konnte, als Versuch den Kavalier zu spielen, den Damen den Vortritt beim reiten zu überlassen. Den allerdings alle ablehnten, die Prinzessin natürlich nicht mitgezählt. Also wurden Vorräte, ungebrauchte Waffen und Material auf den Rücken der übrigen Pferde fest geschnallt. Die Hoheiten sollten reiten und der Rest der Truppe lief leichtfüßig, vom Gepäck befreit neben her.
Die blasse Sonne stieg höher und die Albin hatte sich in sich selbst zurück gezogen, ihr war auch nicht nach Gesprächen zumute. Es gab niemanden, dem sie sich anvertrauen konnte und … Cedrik zu sehen, seine Stimme zu hören, rumorte in ihrem Bauch und schmerzte in ihrem Herzen. Als einziges nahm sie nur die langsame aber stete Vegetationsveränderung wahr, die freundlichere Länder als Ond – Ande ankündigte.
Catyua freute sich kurz, als sie einen Vogel singen hörte, dessen Stimme sie nicht kannte. Dabei sah sie sich um – unvermeidlich, dass sie IHN ansah. Für einen kurzen Moment hielten ihre Augen an ihm fest, dann riss sie ihren Blick los.
Ein undefinierbares Geräusch erschreckte sie, das sich zu nähern schien. Aber sie war nicht die Einzige, die es gehört hatte.
Cedrik zog die Schultern hoch, als er ein unangenehmes, undefinierbares Gefühl verspürte. Er hatte sich vorhin gefragt, ob seine magische „Berührung“ wirklich von Catyua bemerkt worden war. Er hatte auch den flüchtigen Blick bemerkt, den sie ihm zugeworfen hatte. Und dann hatte sie eine Mauer um sich aufgebaut.
Cedrik fragte sich, ob er daran schuld war weil er so mir-nichts, dir-nichts Catyua in seine Arme genommen hatte. Oder ob ihm das nur sein schlechtes Gewissen wegen Assasinas Kuss einimpfte. Ein leises Geräusch richtete Cedriks Aufmerksamkeit von seinen Problemen auf die unmittelbare Umgebung.
Wurden sie verfolgt? Wenn ja, von wem?
Cedrik griff nach seinem Stab, zog ihn aus der Hülle und ging nun etwas dichter neben Sternenlicht her. Kurz blinzelte Cedrik auf den Stein, als dieser leicht zu blinken begann. Doch das Blitzen war so kurz, dass Cedrik sich nicht sicher war, ob es nicht nur eine Sonnenreflektion gewesen war.
Dass etwas hier nicht ganz geheuer war, merkte Cedrik auch an den Reaktionen der anderen. Die schon vorher vorhandene Vorsicht und Aufmerksamkeit von Agenor und seinen Männern verstärkte sich. Auch Catyua hatte diesen ernst – angespannten Gesichtsausdruck. Selbst der Wolfsbegleiter von Rutaara schien ebenfalls etwas gehört oder bemerkt zu haben.
Cedriks Augen glitten flink über die Gruppe und schlossen auch die nähere Umgebung ein. Doch noch war nicht zu erkennen, dass wirklich etwas dieses unangenehme Gefühl und das leise Geräusch vermittelt hatte. Aber es war sicher nicht verkehrt, die Wachsamkeit zu erhöhen. Cedriks Augenmerk fiel auf Sternenlicht, doch dieser ließ sich nichts anmerken.
Catyua konnte spüren, wie sich ihre Muskeln spannten und ihr Geist ganz klar wurde. Sie war wieder die Alte! Diese Ruhe, in einer – möglicherweise – gefährlichen Situation, gehörte zu der Catyua von damals, die durch die nächtlichen Straßen gezogen, oder eher geschlichen war, um ihre Aufträge zu erfüllen. Es war nicht so, dass sie speziell Cedrik die kalte Schulter zeigen wollte. Es war einfach so, dass sich die Mauern ihres Geistes errichtet hatten, ob sie dabei mitgeholfen hatte daran konnte sie sich nicht erinnern. Sie wusste ja nicht einmal mehr, zu welchem Zeitpunkt das stattgefunden hatte.
Schritte wurden hörbar … was ihren Kopf noch freier machte. Sie konzentrierte sich ganz darauf, zu erkennen wer oder was da auf sie zukam.
Alle hatten es nun bemerkt und standen jetzt dicht beisammen, um sich gegenseitig zu schützen. Jeder hielt seine beste Waffe in den Händen, das Königspaar stand in der Mitte eingeschlossen und beschützt durch die Leiber der Gruppe.
Ein Mensch – es sah zumindest aus, als wäre es ein solcher – kam auf die Gruppe zugelaufen. Nicht langsam und entspannt, sondern er sprintete in einem Tempo auf sie zu, dass er sicher in die Gruppe gerannt wäre … hätte nicht ein gnadenlos gezielter Dolch ihn aufgehalten.
„Was soll das?“, erboste sich Rutaara. „Er hätte uns helfen können!“
„Er hätte ebenso gut eine Gefahr sein können, die jetzt beseitigt ist!“, erwiderte Assasina vollkommen ruhig, doch mit einem scharfen Unterton. Sie ging zu dem toten Körper hin, zog den Dolch aus diesem und wischte das Blut in der Kleidung des toten Unbekannten seelenruhig ab. Danach steckte sie den Dolch an seinen Platz zurück – als wäre nichts geschehen. Dabei fragte sie, ohne über die Schulter zu sehen:
„Wenn er nun ein Magier oder mächtiger Dämon gewesen wäre?“
Rutaara stand mit verschränkten Armen und unergründlicher Miene da. Sie hatte sich diese Begegnung wohl etwas anders vorgestellt. Das Mädchen hatte ihre Aufmerksamkeit von den Kämpfern abgewandt, als sie sah dass die mögliche Gefahr nicht länger bestand. Wieso kam ihr die Welt nur so unwirklich vor? Alle Farben waren blass, dabei hatten sie doch selbst im Dunkel der Nacht geleuchtet, als sie bei IHM gewesen war. Sie wollte es vergessen, aber es tat weh an den jungen Magier zu denken.
Eine Frage lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich. Was würde mit der Leiche geschehen? Sollten sich doch andere darum kümmern. Es waren viele erfahrene Kämpfer hier, wieso sollte sie sich da sorgen?
„Wir können das Ding hier nicht so liegen lassen“, sagte Rutaara, verstimmt über die Reaktion der Elfe. „Geht alle ein Stück beiseite!“
Die Elbin stellte sich vor den toten Körper, streckte die Hand aus hielt diese über ihn und schloss die Augen. Gleichzeitig konzentrierte sie sich. Elbenfeuer zuckte von der ausgestreckten Hand über die Leiche und verwandelte diese innerhalb weniger Augenblicke zu Asche.
Cedrik hatte, ohne einen Ton zu sagen oder auch nur mit der Wimper zu zucken, der Tötung des Fremden und der anschließenden Verbrennung der Leiche zugesehen. Seine Gedanken kreisten unentwegt um ein Thema:
Catyua und ihre ablehnende Haltung ihm gegenüber. Es war, als hätte irgendwer oder irgendwas sie so verändert.
Cedrik wusste, diese Situation durfte er nicht anstehen lassen. Beim nächsten Rastplatz würde er sie fragen, was geschehen war.
Sein Herz verkrampfte sich als er ihren unbewusst verlorenen Blick sah, den sie ihm kurz zugeworfen hatte. Er wusste nicht, was Assasina veranlasst hatte, ihm den Verstand und die Zuneigung zu diesem jungen Mädchen weg zu küssen. Doch dass er nur der Verlierer sein würde, das ahnte er. Und er hatte nicht die Absicht, dieses Spiel mit sich machen zu lassen.
Solange er diese fatale Situation nicht bereinigt hatte, solange konnte er auch nicht wirklich magische Kraft aus sich schöpfen. Denn dazu benötigte er Ruhe und innere Konzentration und beides hatte er derzeit absolut nicht.
Kurz blickte er zu Rutaara, die noch immer da stand und auf das Aschehäufchen blickte, das der aufgekommene Wind bereits durch die Luft wirbelte und verteilte. Doch von ihr konnte er garantiert keine Hilfe erwarten. Cedrik ahnte, dass er alleine durch dieses Dilemma musste.
Sein Blick fing den Catyuas ein, doch sie sah ihn nur an, wie man einen Fremden ansieht. Kalt und interesselos.
Cedrik wandte sich ab und war nun nicht mehr von seinem Vorhaben abzubringen. Ja, er würde sich von Assasinas Fäden befreien und beweisen, sich und vielleicht auch diesem Kind das sich in sein Herz geschlichen hat und das er nicht vorhatte sie von dort zu vertreiben, dass man sich auch als Junge von 17 Lenzen wie ein Ehrenmann verhalten kann.
Cedrik ahnte, dass ihm mancher Kampf mit Assasina und auch mit sich selbst bevor stand. Doch zuerst wollte er wissen, welchen fatalen Fehler er eventuell unwissentlich begangen hatte, womit er sich diese plötzliche Ablehnung verdient hatte.
„Es wird Zeit! Los, gehen wir weiter!“, sagte die Elbin, nachdem sie sich mit einem letzten Blick versicherte, dass nichts von dem Leichnam übrig geblieben war. Mit nachdenklichen Gesichtern machten sich die Anderen auf den Weg. Sternenlicht schnaubte sie erbost an, doch sie brachte ihn mit einem zornigen Blick zum Schweigen.
„Hör mir mal gut zu, mein Junge“, fing Rutaara an.“Ich weiß was du für Catyua empfindest. Und auch, was du für Gefühle Assasina gegenüber hast. Doch lass mich dir eins sagen: Achte auf die Elfe. Sie ist nicht ganz ehrlich, sie spielt mit dir. Auch scheint ihr das zwischen dir und dem Mädchen nicht recht zu passen, denn sie sagte so was in der Art 'Das darf jetzt nicht passieren' zu mir. Ich frage mich, was sie wohl damit gemeint hat.“
Nach diesen Worten blickte Rutaara Cedrik erwartungsvoll an. Als dieser nichts darauf erwiderte, seufzte sie und sagte:
„Ja, die Liebe ist nicht immer leicht! Halte mich bitte nicht für gefühllos, wenn ich dir jetzt sage – bewahre einen kühlen Kopf! Mache dir keine Sorgen um Catyua. Ich ahne etwas von ihrem Gemütszustand und versichere dir, sie ist soweit in Ordnung. Lass dich von ihrer Kühlheit nicht abschrecken, sie denkt momentan nur an die Mission und möchte dafür den Kopf freihaben!“
Assasina sah zu, wie Rutaara die Leiche des königlichen Botschafters verbrannte. Offensichtlich wusste niemand hier ausser sie und der Prinz, wer das war. Und nur sie und der Prinz wussten, warum dieser jemand hier war.
Sie warf dem Königssohn einen fragenden Blick zu, aber er schüttelte nur wie unwissend den Kopf. Assasina nickte. Die Lage hatte sich zugespitzt. Der König war also bereit zu handeln.
Assasina sah sich um und erblickte Rutaara, die auf Cedrik einredete. Rutaara war jetzt ihre letzte Chance, ein Chaos zu verhindern. Rasch lief Assasina zu Catyua und berührte das Mädchen an der Schulter.
„Kannst du mir etwas versprechen?“ flüsterte sie der verdutzten Catyua ins Ohr. Diese machte eine Kopfbewegung die schwer zu deuten war und Assasina nahm es einfach als Nicken an. „Bitte, halte dich von Cedrik fern, bis unsere Mission beendet ist. Ich kann dir nicht sagen warum, aber bitte vertraue mir! Ich will ihn dir nicht weg nehmen. Er gehört dir, voll und ganz. Aber bitte gedulde dich ein wenig. Bitte!“
Assasina wartete nun nicht auf eine Reaktion oder Antwort, sondern ging nach hinten. Rutaara und Cedrik liefen nun schweigend nebeneinander her.
„Ich muss mit dir reden“, raunte die Elfe der Elbin ins Ohr. Rutaara nickte kurz und die beiden ließen sich ans Ende der Gruppe zurück fallen, was ihnen einen skeptischen Blick Agenors einbrachte.
„Wir haben ein Problem!“
Rutaara schnaubte. „Wir … oder eher du?“
„Hör mal, ich will hier niemanden etwas böses, aber wenn wir uns nicht vorsehen, haben wir bald echt ein riesiges Problem. Ich weiß wer dieser Kerl war. Ich töte nämlich nicht wahllos. Und ich bitte dich inständig, mir jetzt zu vertrauen. Auch darauf zu vertrauen, dass meine Entscheidungen und Aktionen – auch wenn sie dir falsch und unsinnig vorkommen – zu akzeptieren. Auf mich hört niemand ohne Skepsis und Fragen, aber wenn du mir zustimmst haben wir gute Chancen, lebend beim König anzukommen. Und es geht nicht um das Prinzenpaar. Die werden ganz bestimmt überleben. Es geht jetzt um uns anderen! Wenn du mir vertraust, stehen die Chancen dass wir ALLE überleben bei 40%, wenn nicht stehen die Chancen für euch bei 30% und für mich bei 2%. Ich flehe dich an, vertraue mir! In ungefähr einer Woche sind wir beim König. Dann hat es sich erledigt und ich werde dir alles erzählen, was du wissen willst. Eine Woche!“
Ein langes Schweigen folgte, ehe Rutaara zu sprechen begann.
„Meinetwegen“, knurrte Rutaara. „Nur dass ich dir vertraue, das brauchst du von mir nicht erwarten. Du hast uns alle schon mehrfach enttäuscht und auf die eine und andere Weise hintergangen. Das nehme ich nicht so einfach hin. Aber zum Wohle aller werde ich mich zusammen reißen!“
Die Elbin blickte zu dem Prinzen, der sie während des Gesprächs wachsam beobachtet hatte.
„Und meine ja nicht, mir wäre nicht aufgefallen, dass dein Opfer einer von des Königs Leuten war.. Mir ist unklar, wieso du ihn getötet hast, doch du tust nichts ohne Grund, auch wenn dieser nicht immer der Richtige ist!“ Sie seufzte. „Ich behalte dich im Auge, meine LIEBE!“, zischte Rutaara der Elfe zu, ehe sie sich umwandte und zu den anderen aufschloss.
Die Gruppe war in tiefes Schweigen versunken und als die Elbin zu Catyua sah, bemerkte sie dass diese irgendetwas beschäftigte, denn sie blickte immer wieder irritiert und verärgert die Elfe an.
'Was hat die Elfe nun wieder angestellt?' fragte Rutaara sich. Unbewusst hatte sie diesen Gedanken an Lyrael weiter gegeben, der ihr daraufhin riet: 'Rede mit dem Mädchen. Sie respektiert dich, ja ich glaube sogar, dass sie dich auf gewisse Weise verehrt. Kümmere dich ein wenig um sie, ich ahne dass das ihr gut tun wird.'
Rutaara seufzte. Catyua war fast noch ein Kind und mit Kindern konnte die Elbin noch nie besonders gut. Doch das schüchterne und doch so starke Albenmädchen hatte es irgendwie geschafft, Rutaara in ihren Bann zu ziehen.
Sie fasste sich ein Herz, trat an die Seite des Mädchens und lief eine Weile lang schweigend neben Catyua her.
„Wie geht es dir?“, fragte sie dann. „Ich hoffe, die Reise ist nicht zu anstrengend für dich. Ich mache mir ein wenig Sorgen um dich, denn ich sehe, dass dir etwas Kummer bereitet.“ Rutaara warf einen bezeichnenden Blick in Richtung Cedrik und Assasina. Catyua folgte ihrem Blick und runzelte die Stirn.
„Danke, es ist alles in Ordnung. Ich bin vielleicht den Jahren nach ein Kind, aber das ist schon alles. Keine Sorge, ich komme zurecht!“, antwortete Catyua kühl, überrascht von dem Interesse und augenscheinlichem Wissen Rutaaras.
Die Elbin sah ihr ins Gesicht und fing ihren Blick ein.
„Nein, warte ...“, begann sie noch einmal. Und ohne nachzudenken, ja ohne es zu wollen, schüttete sie plötzlich dieser beinahe vollkommen unbekannten, geduldig zuhörenden Elbin ihr Herz aus.
Als sie geendet hatte, merkte Catyua wie es sie befreite, jemanden zu erzählen was sie so sehr bedrückte und der graue Schleier um sie herum schien ein wenig lichter zu werden. Doch kurz darauf bereute sie ihre Offenheit schon wieder, als sie Rutaaras blitzende Augen und ihr Lächeln sah. Wenn sie wollte, dass man sie – Catyua – akzeptierte und ernst nahm, dann musste sie stark sein und gerade hatte sie auf die erdenklich dümmste Weise ihre Schwäche gezeigt.
Rutaara wusste zunächst nichts mit Catyuas Redeschwall anzufangen.
„Du solltest Assasina nicht alles glauben. Und Cedrik ist auch nicht älter als du, er ist genauso unerfahren. Also zeige ihm nicht so sehr die kalte Schulter, bestimmt sorgt er sich um dich!“
Catyua wollte nicht glauben dass sie ihm nicht egal war. Ihr Herz hatte gewusst, dass er sie mochte, sehr mochte, aber ihr Kopf hatte ihrem Herzen nicht glauben wollen.
„Danke!“, sagte das Mädchen leise und die Elbin neigte den Kopf ganz leicht. „Hatte die Elfe einen Grund ihn zu töten?“, fragte Catyua, nun nicht mehr ganz so befangen. Den Blick Assasinas zum Prinzen hatte sie wohl bemerkt.
„Wenn ich ehrlich sein soll, weiß ich das nicht. Aber das ist eher unwahrscheinlich, denn meiner Meinung nach tötet sie nicht ohne Grund. Sie kannte diesen Mann vielleicht schon von früher!“, wich die Elbin aus, denn das Mädchen sollte sich nicht unnötig beunruhigen. „Aber der Mann gehörte zu den Leuten des Königs, denn ich habe das Wappen des Königshauses an seinem Mantel gesehen. Vielleicht war er ein Verräter, der die Absicht hatte, den Prinzen zu töten. Ich weiß es nicht.“
Rutaara seufzte.
„Es ist viel passiert, seit wir uns das erste Mal trafen, nicht wahr?“
Cedrik hatte Rutaara nichts geantwortet, als sie mit ihm sprach. Er konnte es nicht. Zuviel war die letzten Stunden auf ihn eingestürzt. Erst hatte er sich in Assasina verguckt und war ihr verfallen, dann hatte er sein Herz für dieses Mädchen entdeckt, war von Assasina in Sinnverwirrender Weise geküsst worden und hatte gedacht auch Catyua würde ihn wenigstens etwas sympathisch finden, doch sie hatte ihn gemieden. Jetzt hatte ihm Rutaara erklärt, Catyua wäre doch an ihm interessiert, doch der Auftrag würde ihr Sorgen bereiten. Und er solle einen kühlen Kopf bewahren.
Cedrik fragte sich langsam, wie man in diesem Durcheinander von Gefühlen, Halbwahrheiten und Gefahrensituationen einen kühlen Kopf bewahren sollte.
Als er sich erneut nach Catyua umwandte und ihren verlorenen Blick sah, als sie mit Rutaara sprach, wäre er am liebsten umgekehrt, hätte sie tröstend in die Arme genommen um sie nie mehr loszulassen. Doch gleich darauf hörte er die mahnenden Worte Rutaaras, sie jetzt in Ruhe vor seinen Gefühlen zu lassen. Cedrik presste die Lippen zusammen, legte seinen Arm auf Sternenlichts Flanke und sagte mit leicht wackeliger Stimme:
„Ach Freund! Rutaara hat mit einem recht. Die Liebe ist wirklich nicht leicht!“
Als er auf Anweisung seines Ziehvaters und Meisters Fulkhurx aufgebrochen war, hatte er nur eines im Sinn. Seinen Meister die Entbannung zu verschaffen und die Wahrheit über seine Eltern zu erfahren. Denn dass er nicht vom Himmel gefallen war, konnte er sich denken. Und Fulkhurx hatte ihm, sobald er verständig genug war gesagt, dass Cedrik ein Findelkind war. Doch dass er hier in dieses Gefühlschaos verstrickt würde, davon hatte ihm sein Meister nichts erzählt.
Cedrik seufzte. Sein Blick fiel auf Agenor. Könnte er nicht so sein wie dieser? Stark, männlich und unbeeindruckt von so dummen Gefühlen? Stattdessen war Cedrik ein Weichling, der mit sich beinahe alles machen ließ. Er ließ sich manipulieren und glaubte Versprechungen aus einem Mund, der ihn in die Vorhölle seiner Leidenschaft gesandt hatte. Er weinte, wie nur Mädchen weinten und er ließ sich vom Mitleid übermannen, wo keines angebracht war. Er verausgabte sich in magischen Dingen, obwohl dies keineswegs seine Aufgabe war. Und er ließ sein Herz sprechen, statt sich in Askese und Zurückhaltung zu üben.
Ein erneuter Seufzer entfloh Cedriks Lippen. Vielleicht geschah es ihm ganz recht, dass er von Assasina so abfällig behandelt wurde und von Catyua mit Nichtachtung bestraft wurde. Ein richtiger Magier hatte keine Zeit für andere. Er musste lernen und das Gelernte in die Tat umsetzen. Ein Magier brauchte keine irritierende und von seiner inneren Ruhe abbringende Liebe. Ein richtiger Magier weinte nicht und spürt nur selten Mitleid mit einer anderen Kreatur. Ein richtiger Magier …!
Cedrik unterbrach seinen Gedanken. Ja, er war kein richtiger Magier! Er war noch Lehrling und er wusste jetzt schon, er würde immer mit anderen mitfühlen und auch mitleiden. Seine Augen würden sich immer mit Tränen füllen und er würde immer weich und sanft bleiben, das Gespött stärkerer Kreaturen als er. Er würde immer zu einem Freund halten und er würde immer …! Cedrik senkte den Blick zu Boden und nickte. Ja, er würde vielleicht lange Assasinas zauber erliegen bleiben, doch er würde nie ein anderes Mädchen als dieses schüchterne Kind hinter ihm in sein Herz lassen. Er würde nie so ein starker und forscher Krieger wie Agenor sein und auch nicht so heldenhaft in den Tod gehen, wie die Zwergenbrüder. Dafür hatte er zu viel angst davor. Aber er würde immer wie ein Fels in der Brandung für andere da sein. Ganz tief in sich drinnen sagte Cedrik: 'Vor allem für SIE!'
Er hob den Kopf und Blick, als er seitlich von sich den stolpernden Schritt eines Pferdes vernahm.
Catyua war sich ihrer Stimme nicht sicher so sehr war sie bemüht, ihre Tränen zurück zu halten also nickte sie nur. Sie hatte sich zu sehr von dem Jungen in den Bann ziehen lassen, als dass sie noch die Wahl gehabt hätte, ihn zu vergessen. Alles in ihr sehnte sich danach ihn anzusehen, in seine Augen zu schauen und sich selbst in ihnen zu verlieren, denn er war so viel besser als sie jemals sein würde.
Das unregelmäßige Traben eines Pferdes erschreckte sie so, dass sie beinahe aufschrie. Jetzt war sie wieder jenes kleine Mädchen, welches sich so leicht zum Fürchten bringen ließ.
'Es ist doch nur ein Pferd, vor dem muss man nicht schreiend davon laufen müssen!' meinte sie zu sich selbst oder war da eine Stimme in ihrem Kopf? Was war nur los mit ihr, dass sie plötzlich die Bäume des kleinen Wäldchens als Bedrohung sah? Verbarg sich da nicht jemand in den Schatten? Und warum war dieses Pferd – Reiterlos aber vollständig aufgezäumt – jetzt in ihr Blickfeld gestolpert?
'Was für eine Überlegung!' erklang erneut diese belustigt wirkende Stimme. Wieso war aber diese Stimme in ihrem Kopf? Drehte sie allmählich durch?
Das Pferd war verschwitzt und erschöpft. War da Blut an seiner Flanke zu sehen?
'Das arme Tier!' dachte Catyua.
'Ihr solltet wirklich vorsichtiger sein … sonst nimmt es noch ein böses Ende mit euch!'
Catyua schaute sich verängstigt um. Hörte nur sie dieses Lachen? War es wieder nur in ihrem Kopf? Wer war das?
'Du musst mich nicht kennen!'
Es war tatsächlich jemand in ihrem Kopf und jetzt hatte er sie auch noch angesprochen.
'Bevor du noch durchdrehst … ich mache das nämlich etwas öfters und es ist schon passiert, dass jemand daraufhin wahnsinnig wurde.'
Es sprach öfters in den Köpfen anderer Lebewesen?
'Sie wenn ich bitten darf und ich mache dies nur bei Elfen!'
„Ich bin aber … keine Elfe …!“, sagte das Mädchen und fing sich einen verwirrten Blick Rutaaras ein.
'Ups! Ist doch jetzt auch egal, oder? Du musst übrigens nicht sprechen!'
'Oh!'
'Genau so. Wer seid ihr und was macht ihr hier?'
`Wieso willst du das denn wissen?'
'Soll ich euch sofort umbringen oder wollt ihr lieber mir antworten?'
`Nein, nein ist schon gut. Wir sind … in einem Auftrag unterwegs!', war Catyuas ziemlich knappe Erklärung. 'Warum zeigst du dich nicht?' Keine Antwort! 'Was ist los?' Immer noch nichts. Stattdessen erschienen über ein Dutzend mit gespannten Bogen bewaffnete Elfen.
'Halt!' ertönte eine Frauenstimme, die Catyua bereits kannte.
„Lass das – du willst doch nicht jetzt schon sterben, nicht wahr?“ meinte die jung aussehende Elfe spöttisch zu einem von Agenors Männer, der nach seinem Bogen griff. Darauf ließ er es sein und entspannte sich wieder – soweit es seine Aufmerksamkeit zuließ.
Erstarrt blickten die Gefährten die neue Bedrohung an. Das Mädchen suchte den Blick der Elfe, die mit ihr gesprochen hatte. Diese lächelte Catyua verheißungsvoll an. Es erschreckte Catyua noch einmal ordentlich.
„Rutaara ….“, hauchte die junge Albin. „Sie hat mit mir geredet. Gerade eben!“
Cedrik war überrascht stehen geblieben, als die bewaffneten Frauen aufgetaucht waren. Sternenlicht begann leise zu schnauben, dann machte er sich selbstständig, trabte zu einer der mit Pfeil und Bogen Bewaffneten und beugte kurz seinen Kopf vor ihr. Es schien, als würde er sich ehrerbietig verbeugen. Cedrik konnte sich dieses seltsame Verhalten nicht erklären. Er trat etwas näher zu Sternenlicht heran und sofort hoben sich wieder die gesenkten Bögen. Cedrik hob die Hände in Schulterhöhe und meinte – vorsichtig einen weiteren Schritt machend:
„Verzeiht, wie können wir Euch helfen?“
Spöttisches Gelächter antwortete ihm. Jene, vor der Sternenlicht sich verneigt hatte, hob den Blick und sah ihn an. Eine Braue hob sich und Cedrik hatte kurz den Eindruck, dass er diese Augen von irgendwoher kannte.
„Du? Uns? Gar nicht!“
Obwohl die Stimme vor Hohn troff, machte sich Cedrik nichts daraus. Er trat einen weiteren Schritt näher und abermals hoben sich die Bögen.
„Noch einen Schritt näher und ich verpasse dir einen Pfeil!“
„Macht was Ihr nicht lassen könnt. Wenn ich Euch schon einen Pfeil wert bin, dann lasst wenigstens Sternenlicht gehen, bitte! Und die anderen!“
„Du nimmst deinen Mund ganz schön voll, Bürschchen!“ Wieder dieses Gelächter und Cedrik versteifte sich kurz, dann senkte er den Kopf. Er nickte. Noch immer hielt er die Hände oben.
„Ihr habt recht, ich bin ein Bürschchen. Ein Lehrling. Aber ich weiß, zum Gegensatz von anderen Wesen, was Höflichkeit bedeutet!“ Wieder hob Cedrik den Blick und wieder kamen ihm diese Augen bekannt vor. Er hatte solche Augen vor nicht allzu langer Zeit gesehen. Doch wo? Und in welchen Zusammenhang?
Rutaara hatte die Elfen schon länger als die anderen gespürt und zur Erkundung der Gegend Lyrael los geschickt. Dieser hatte ihr bestätigt, was sie schon befürchtet hatte. Eine Gruppe bewaffneter Elfinnen war ihnen seit geraumer Zeit auf den Fersen.
Nun standen sie ihnen gegenüber und die Elbin musterte jede einzelne von ihnen. Sie schienen stark zu sein, gut im Kampf und Magie unterwiesen und Rutaara wusste, sollten sie sich auf einen Kampf einlassen mit den Elfen, würden sie unterliegen. Catyuas gedankliche Unterhaltung mit einer der Elfen hatte sie schweigend hin genommen und ging auf die an sie gerichteten, geflüsterten Worte nicht ein.
Rutaara blickte die Sprecherin an und sagte ruhig und gelassen:
„Genau hinter dir steht ein Wolf, der nur darauf wartet dass du angreifst. Eine falsche Bewegung von dir, dann bist du es, der das Leben verliert!“
Die Elfe warf schnell einen Blick hinter sich, um sich zu vergewissern, ob Ruataaras Behauptung stimmte. Als die den riesigen, weißen Wolf erblickte, der Zähnefletschend hinter ihr stand, schluckte sie.
„Elfinnen des Ruhigen Waldes, senkt eure Waffen!“ meinte die Elfe mit leicht zittriger Stimme an ihre Mitstreiterinnen.
„Gut!“, sagte darauf hin Rutaara. „Und nun wird es Zeit, dass du deinen Namen verrätst und uns sagst, was ihr von uns wollt!“
Cedriks schnelles Handeln hatte Catyua mit Angst verfolgt, aber dank Rutaaras Aufmerksamkeit hatte Lyrael sie alle – vorerst – gerettet. Die Elfe ging nun auf Rutaaras Forderung ein:
„Elvidyn ist mein Name. Und dies sind meine Gefährtinnen. Ihr habt vor einiger Zeit unser Gebiet – den „Ruhigen Wald“ - betreten und Eindringlinge sind bei uns nicht gerne gesehen. Dies ist gefährliches Land, also werdet ihr unsere erhöhte Wachbereitschaft verzeihen.Vielleicht hätten wir euch ziehen lassen, aber mir ist jemand 'aufgefallen'!“
Von der Betonung dieses Wortes und ihrem erneut erscheinenden spöttischen Lächeln fühlten sich sowohl der Magier als auch Catyua angesprochen und der jungen Albin war nicht wohl in der Haut.
„Was wollt Ihr jetzt tun?“, wagte das Mädchen zu fragen. Die Elfe jedoch antwortete mit einer Gegenfrage.
„Was wollt ihr jetzt tun? Patt würde ich sagen.“
Lyrael hinter ihr knurrte bekräftigend.
Während die Elfen mit dem Gespräch beschäftigt waren, nahm Cedrik die Arme herunter und biss sich auf die Unterlippe. Er hatte das Erschrecken des Mädchens genau gefühlt. Ja auch er selbst war erschrocken. Vor seiner eigenen Voreiligkeit aber auch vor dem unbedachten Verhalten Sternenlichts. Dieser kam nun zu Cedrik getrabt und schnaubte verhalten, als wäre nichts passiert. Cedrik warf seinem Einhorn einen nachdenklichen Blick zu. Was hatte sich Sternenlicht nur dabei gedacht? Denn dass dieser denken konnte, das hatte er Cedrik schon einige Male bewiesen.
Cedriks Kopf fuhr herum, als er die seltsame Betonung in der Stimme der offensichtlichen Anführerin vernahm. Die letzten Worte hatte Cedrik wieder mehr bewusst vernommen. Ihnen war 'jemand' aufgefallen? Sein Blick suchte unwillkürlich den Catyuas. Doch dann sah er zu Assasina. Sollte diese damit gemeint sein? Wieso sollte er, Cedrik, gerade die Aufmerksamkeit der fremden Hüterinnen des Waldes erregt haben? Wo er nicht einmal wusste, woher er stammte.
Doch plötzlich fuhr die Erkenntnis durch seine Gedanken, woher er die Augen dieser Elfe kannte, wie ein Blitz. Hatte nicht diese Frau, die neben dem blonden Mann im Wald gewesen war und deren Schicksal Cedrik in der Schale gesehen hatte und von der er annahm, dies sei seine Mutter gewesen solche Augen? Doch er konnte sich auch geirrt haben.
Assasinas Augen weiteten sich, als die Elfen auftauchten und Angst spiegelte sich in ihnen. Es wäre ihr jede Rasse recht, die ihnen über den Weg lief, nur keine Elfen.
So unauffällig wie möglich machte Assasina einige schritte beiseite, so dass sie hinter dem Pferd, auf dem der Prinz saß, zu stehen kam. Sie musste sich versteckt halten, solange die Elfen da waren. Sie waren umzingelt, aber zumindest konnte die Anführerin sie hinter dem Pferderücken nicht sehen.
Assasinas Blick schweifte über die Runde. Die Augen aller Elfen waren auf Catyua und Cedrik gerichtet und schienen die anderen zu ignorieren. Nein! Nicht alle Augen!
Eine ältere, schwarzhaarige Elfe betrachtete jeden Einzelnen der Gruppe mit genauer Vorsicht und Assasina war – trotz ihres gedachten Sehschutzes – genau im Blickfeld. Assasina schloss die Augen, wagte nicht zu atmen oder sich zu bewegen, aus Furcht die anderen würden auf sie aufmerksam werden. Wenn sie ihnen schon so lange gefolgt waren und Assasina ihnen noch immer nicht auffiel, vielleicht würden sie sie auch weiterhin übersehen.
„Sieh an, sieh an!“, sagte in diesem Moment die schwarzhaarige Elfe so laut, dass sie alle anderen übertönte und auf sich aufmerksam machte.
Assasina hätte beinahe aufgeschrien, sie hatte den Eindruck als wäre sie aus allen Wolken gefallen.
„Sie haben eine kleine, dreckige Verräterin unseres Blutes dabei!“
„Vortreten“, sagte die Anführerin mit Honigsüßer Stimme.
Assasina öffnete die Augen, atmete tief ein und aus, dann trat sie hinter dem Pferd hervor und stieß die Hand des Prinzen beiseite,als dieser sie aufhalten wollte.
„Hände in die Luft!“
Assasina hob die Hände und die Stille, die sich plötzlich ausbreitete war mehr als grauenhaft. Die Anführerin der Elfengarde hob erneut ihren Bogen.
„He!“, rief Rutaara. „Wir haben keine Waffen!“
Die Elfenanführerin sah Rutaara nur ernst an und legte den Kopf schräg. Eine typische Angewohnheit der Elfen, die auch Assasina hatte.
„Das Gesetz der Elfen besagt, dass es erlaubt ist eine Halbelfe zu töten, ohne dass dies Konsequenzen in sich birgt. Unterzeichnet und mit Einwilligung des Königs!“
Rutaara öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch Assasina kam ihr zuvor.
'Sie hat recht!'
Elvydin lächelte breit und zielte nun mit dem Bogen wieder auf Assasina.
„Sie ist eine Verschwendung unseres Blutes und es nicht wert, zu leben!“
Der Bogen wurde gespannt und die Elfe war kurz davor den Pfeil auf die tödliche Reise zu senden, als von hinten eine Stimme erklang. Es war der Prinz und nun waren alle Augen auf ihn gerichtet.
„SOL I LAGOR!“ sagte er noch einmal. „Sie ist eine von denen!“
„Ist das wahr?“ fragte nun die Anführerin und ließ jedoch den Bogen noch nicht sinken. Sie schaute Assasina skeptisch an und diese schloss erneut ihre Augen. Noch nie war sie so nahe dran, dem Tod ins Angesicht zu schauen, da war es wohl besser, die Augen zu verschließen.
Assasina drehte langsam nun ihren Knöchel mit dem Sonnentattoo und ließ die Elfe dieses Symbol sehen. Nachdem kein Pfeil ihren Körper durchschlug wagte Assasina erneut ihre Augen zu öffnen. Der Tod hatte sie scheinbar doch noch nicht gewollt. Und sie sah, dass die Elfe nun ihren Bogen sinken ließ, die Sehne entspannte und den Pfeil bereits wieder in den Köcher steckte. Assasina nahm nun auch ihre Hände herunter, langsam und noch immer mit dem Gefühl in der Magengrube, gleich würde sie den Weg ins Totenreich antreten.
'Können wir jetzt weiter?' Assasinas Herz schlug noch immer wild und ihr Atem war unregelmäßig.
„Einen Moment noch“, sagte Elvydin und wandte sich an Catyua.
Bei den Worten „Sol i Lagor“ durchfuhr Catyua ein Schauder. Natürlich hatte auch sie von diesem Symbol gehört. Aber als die fremde Elfe sie erneut ansprach, musste sie sich darauf konzentrieren und nicht weiter über Assasina nach grübeln.
„Wieso bist du hier?“, wollte die Elfe wissen und trat einige Schritte vor, bis sie vor dem Mädchen stand.
„Ich ...“, begann Catyua, zögerte aber dann. „Was willst du von mir?“, fragte Catyua dann zurück. Die Anführerin grinste süffisant, ohne aber direkt auf die Frage einzugehen.
„Es geht immer noch um euer Leben, oder? Ihr befindet euch auf Feindesgebiet. Ich an eurer Stelle wäre wirklich vorsichtig!“
Nun war die Elfe so nahe an Catyua getreten, dass diese beinahe den Atem der anderen im Gesicht zu spüren glaubte. Kritisch wurde die Albin betrachtet.
Diese Augen kannte Catyua doch …! Sie waren beinahe so wie die Cedriks, wie sie sich nach einem schnellen Seitenblick zu dem Magier vergewissert hatte. So tief und unergründlich … wie ein See, nein ein Meer, ein weiter Ozean … die Augen dieser Elfe hatten Catyua genau so gefesselt wie die des Jungen, doch das Versinken darin hatte bei ihr einen wehmütigen Hauch hinterlassen.
„Das reicht mir!“, riss die Stimme der Elfenanführerin Catyua aus ihren Gedanken. Sie lachte und verwirrte dadurch das Mädchen noch mehr, als sie es jemals gewesen war, bevor sie sich wieder entfernte.
Rutaaras Hand war die ganze Zeit ruhig an ihrem Schwertgriff gelegen.
„Ihr werdet eure Antworten finden!“, erklang die Stimme einer der Elfen, doch Catyua konnte nicht sagen, welche von ihnen es war. Beinahe hätte sie laut gerufen: 'Was denn für Antworten auf welche Fragen denn?' doch mit einiger Beherrschung ließ sie es sein.
Mit einem kurzen Nicken verständigte sich die Anführerin mit einer goldblonden Elfe, deren Augen seltsam schwarz wirkten und einer rothaarigen, deren grüne Augen im gedämpften Licht des Waldes glänzten.
„Ihr könnt nun weiter ziehen, aber beeilt euch, denn das Wetter wird die nächsten Tage umschlagen. Und nicht nur dies wird sich euch entgegen stellen!“ Sie lachte und die Gefährten fragten sich ob sie diese nun auslachte. Plötzlich verschwanden die Elfen wie Schatten zwischen den Bäumen.
Schon jetzt schien es ein Traum zu sein, denn diese Wesen waren so außergewöhnlich und schalkhaft gewesen, auch war es unwirklich, dass sie gerade von den Waffen bedroht worden waren und nun wieder allein sich fanden.
'Ihr werdet eure Antworten schon finden!' hallte noch leise die Stimme in den Köpfen nach und ein leises Lachen folgte darauf.
Cedriks Augen waren aufmerksam auf die Elfe gerichtet, die so nahe an Catyua heran getreten war, dass sie diese beinahe mit ihrem Körper berührte. Kurz leuchtete ein sanftes Licht um die beiden eng stehenden Körper auf und erlosch nach wenigen Augenblicken wieder. Irritiert bemerkte Cedrik, dass Catyua einen raschen, irgend wie verloren wirkenden Blick zu ihm warf. Als würde sie um Hilfe bitten oder etwas vergleichen.
Cedrik schüttelte unwillkürlich den Kopf. Und dann fühlte er einen Schauer über den Rücken laufen. Ihn hatte ein Blick berührt. Aber er kam nicht von Catyua.
Cedrik sah sich um, doch keiner der Gruppe sah zu ihm hin. Also konnte es nur eine der Elfenkriegerinnen sein, die ihn beobachtete. Kurz dachte er, er hätte die Besitzerin dieses intensiven Blickes entdeckt, doch da lenkte ihn diese Stimme in seinem Kopf ab, die mit einem spöttischen Lachen einher ging.
'Ihr werdet eure Antworten schon finden!' und dann noch ein leises Flüstern, das aber scheinbar nur in seinem Kopf war: 'Ich grüße den Sohn Ellanahs!'
Cedrik fühlte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Wer war damit gemeint? Wirklich er? Doch jede weitere Antwort würde er nicht mehr bekommen, denn die Kriegerinnen waren so schnell verschwunden, wie sie aufgetaucht waren.
Cedrik sah kurz zu Assasina, die ziemlich blass war und danach zu Rutaara. Als er schließlich Catyuas Blick bemerkte, durchzuckte es ihn wie Feuer. Unwillkürlich verzogen sich seine Lippen zu einem Lächeln. Seine Augen saugten sich an diesem außergewöhnlichen Blick des Mädchen fest und wieder hatte er das lange entbehrte und diesmal seltsam willkommene Gefühl des Ertrinkens in diesen Augen. Nur unter größter Anstrengen gelang es Cedrik sich von Catyuas Blick zu lösen. Er merkte Rutaaras Blick und schluckte.
Cedrik wandte sich brüsk um und presste die Lippen zusammen. Was wussten die anderen schon von diesem Aufruhr in ihm?
Erste zarte Bande
Cedrik stand noch immer auf dem gleichen Fleck an dem er gestanden hatte, als die Kriegerinnen wieder verschwunden waren. Er dachte nach und immer wieder ließ er diese Stimme in seinem Kopf Revue passieren, die ihm diesen seltsamen Gruß vermittelt hatte.
Cedrik zuckte zusammen, als ihn jemand von rückwärts kräftig anstubbste. Er presste die Lippen zusammen, da er erwartete Assasina oder Rutaara zu sehen, wenn er sich umwandte. Doch als er sich umdrehte, sah er in die braunen Augen eines Pferdes. Er hob den Kopf und merkte, dass es eines der Packtiere für die Waffen und Zelte war.
Cedrik trat zwei Schritte beiseite und sein Blick fiel auf das bleiche Gesicht der Prinzessin, auf dem dahinter gehenden Tier. Ihre Augen hatten dunkle Ringe und ihre Lippen waren aufgesprungen. Doch Assasina ging neben dem Pferd her und warf ihm einen seltsam flackernden Blick zu. Cedrik senkte den Blick und starrte zu Boden. Irgendwo weiter vorne hörte er Agenor sagen:
„Weiter! Wenn das mit dem Wetter stimmt und ich nehme dies stark an, sollten wir nicht länger trödeln!“
ja sie sollten endlich diesen Wald durchqueren und das vorher gesagte Unwetter hinter sich lassen. Oder vor sich oder …! Cedrik unterbrach mit Gewalt seine im Kreis laufenden Gedanken. Es brachte nichts, wenn er sich jetzt verrückt machte. Weder mit dem Namen, noch mit dem was Rutaara ihm geraten hatte. Auch ein vorher gesagtes Unwetter konnte ihn nicht schrecken. Und sollte der König wider Cedriks Hoffnung nicht das Dunkel um dessen Herkunft lösen können oder wollen … würde Cedrik noch immer die Elfenkriegerinnen fragen können. Vielleicht war dieser Gruß jenes Ellanahs wirklich für ihn gewesen.
Langsam setzte sich nun auch Cedrik in Bewegung und ging neben seinem Einhorn her. Kurz dachte er auch an Sternenlichts seltsames Gebaren, doch dann konzentrierte sich Cedrik wieder auf den Weg vor ihm.
Die Bäume waren hier etwas älter und ihre Wurzeln standen oft überraschend hoch aus dem Mutterboden. Sie waren meist bedeckt mit Moosen, so dass sie darunter nicht gleich entdeckt werden konnten.
Hin und wieder schlug ein Pferdehuf daran und es klang jedesmal wie ein dumpfer Ton aus dem Erdgrund. Die Gruppe schwieg und jeder hing seinen Gedanken nach.
Cedrik war so in seine Gedanken eingesponnen, dass er nicht merkte, dass er den Weg nicht mehr alleine ging. Neben sich spürte er eine Schwingung, die er unter Hunderten von Schwingungen heraus gespürt hätte.
Cedrik hob den Kopf und sah neben sich Catyua gehen. Sie erwiderte seinen Blick und ohne Absprache oder zu denken fanden sich Catyuas und Cedriks Hand. Kurz kam es Cedrik vor, als würde sich durch die Berührung der Hände ein magisches Band zwischen ihnen aufbauen, doch er war nicht in der Stimmung und Verfassung, diesem Gefühl nachzuspüren.
Rutaara machte sich erleichtert mit den anderen wieder auf den Weg. Sie mochte diesen Wald nicht, er erinnerte sie an den Wandernden Hain und dass hier ausserdem Elfinnen lebten, passte ihr ganz und gar nicht. Sie wusste, dass das Elfenvolk genau wie das ihrige den Wald als deren Heimstätte aussuchen – noch eine Ähnlichkeit mit den entfernten Verwandten. Rutaara konnte sich noch immer nicht mit dem Gedanken anfreunden, mit Elfen verwandt zu sein.
Plötzlich musste sie lächeln, denn sie empfing von Lyraels Gedanken ein Kichern.
'Du denkst schon wieder wie dein Vater' lachte er. 'Gerade du müsstest dich ,mit den Elfen gut verstehen. Zumindest sind dir bis jetzt die meisten von ihnen – mit Ausnahme von einigen ...' – das Bild von Assasina erschien kurz und sie musste erneut lächeln - ' ...mit Respekt begegnet und nicht mit Misstrauen oder Abscheu.'
Schmerzlich wurde sie durch seine Worte an ihr eigenes Volk erinnert, das mit Ausnahme ihrer Schwester voll Hass und Abscheu gegen Elben wie sie waren. Rutaara verzog das Gesicht und schüttelte sich unwillkürlich.
'Du hast ja recht …' erwiderte sie ihm gedanklich, so dass die anderen nichts davon merkten. ' ...ich werde an mir arbeiten müssen, denn wenn wir die anderen Dunklen je finden sollten, darf ich keine Vorurteile gegen jedwedes Leben haben. Denn die Dunklen ehren das Leben und wenn ich das nicht auch mache, werde ich sie nie finden!'
Cedrik sah sich um. Es war, als wäre er aus einem langen Traum erwacht. Sein Blick fiel auf die neben ihm gehende Catyua. Er sah zu Rutaara und bemerkte deren finsteren Blick, mit dem sie ihn bedachte. Und Assasina. Sie hielt den Kopf gesenkt.
Cedrik spürte, dass die Begegnung mit den Elfenkriegerinnen das gesamte Verhältnis zwischen den Gefährten untereinander verändert hatte. Er bemerkte die dunklen Wolken, die Blitze die hinter versteinerten Gesichtern zuckten.
Cedriks Finger lösten sich aus Catyuas Hand und er blieb stehen. Sternenlicht schnaubte leise und irgendwie fragend. Der letzte von Agenors Kriegern ging an Cedrik und Sternenlicht vorbei. Cedrik senkte den Blick.
Er wusste, so würde es das beste sein. Sie würden ihn und sein Einhorn nicht vermissen. Nur um die verlorene Liebe zu Catyua war ihm schwer ums Herz. Aber auch diese würde ihn irgendwann vergessen haben.
Cedrik wartete bis der Letzte hinter den Bäumen verschwunden war. Dann nahm er den Sattel von Sternenlichts Rücken, die Zügel aus dessen Maul. Ließ beides zu Boden fallen, schwang sich behende auf sein Einhorn und sah noch einmal in die Richtung zurück, in die seine Liebe verschwunden war. Mit einem leichten Schenkeldruck dirigierte er Sternenlicht herum und ritt wieder tiefer in den Wald zurück …
Assasina schwieg, seit sie von den Elfenkriegerinnen fast getötet worden wäre. Sie schämte sich. Wie konnte Kyrael ihr diese Schmach antun und um ihr Leben bitten? Das hätte sie schon selber machen können, aber es war nicht ehrenhaft. Als Halbelfe konnte sie sich aus den Gesetzen der Elfen heraus winden wenn sie geschickt genug war und aus denen der Menschen.
Aber ein Gesetz, das von beiden Völkern unterzeichnet wurde – und das war wirklich das Einzige – darüber war sie nicht erhaben.
Und jetzt wussten auch noch alle von der SOL I LAGOR! Doch immerhin kannte sich niemand wirklich damit aus – zum Glück. Bis auf Cedrik.
Assasina sah auf und wollte zu dem jungen Magier schauen, konnte ihn jedoch nirgends erblicken. Sie verließ ihren Platz an der Seite des Prinzenpferdes und ließ sich etwas zurück fallen.
„Hast du den Magier gesehen?“ fragte sie einen von Agenors Männern, der am Ende der Gruppe ging. Dieser deutete stumm hinter sich in den Wald und Assasina merkte, wie langsam Zorn in ihr hoch stieg und das Gesicht heiß machte. Der Magier würde die Gruppe und vor allem Catyua nur aus einem Grund verlassen.
Ohne nachzudenken rannte sie los so schnell sie konnte und war innerhalb von Sekunden aus den Blicken der Anderen – denen das Verschwinden von Cedrik und ihr selbst noch nicht aufgefallen war – verschwunden.
Assasina rannte mit einer übernatürlichen Geschwindigkeit durch das Gestrüpp, sich der Gefahr der Elfen hier durchaus bewusst. Da sah sie etwa Fünfhundert Meter vor sich ein Pferd mit Reiter, die beide nicht sehr schnell eher mit hängenden Köpfen dahin trabten.
Durch ihren Beruf als Auftragsmörderin war Assasina perfekt im Anschleichen – was bei diesem Subjekt nicht allzu schwer fiel – und so merkte der Junge erst dass sie da war, als sie am Rücken seines bizarren Rosses saß und ihm eine Klinge an den Hals hielt.
„Sofort anhalten oder ich schneide dir die Kehle durch! Hier ist niemand, der dir helfen könnte und die anderen werden nicht nach dir suchen. Denn ich werde ihnen sagen, dass du feige weg gelaufen bist und ich dich nicht finden konnte!“ zischte Assasina in Cedriks Ohr. Dessen Muskeln verkrampften sich und er befahl stumm seinem Pferd anzuhalten. Assasina ließ den Dolch sinken und sprang von Sternenlichts Rücken.
„Absteigen!“ befahl sie eisig. Der Magier schien kurz zu überlegen, ob er seinem Pferd befehlen sollte, los zu breschen und ob er realistische Chancen hätte, doch Assasina erstickte seinen Gedanken im Keim als sie fauchte:
„Du weißt, was aus mir durch die SOL I LAGOR wird und wenn du willst, dass eine unbändige Bestie durch diesen Wald läuft und dich, aber auch eventuell andere ...“ Beinahe zeitgleich glaubte sie in Cedriks Augen das Gesicht Catyuas aufblitzen zu sehen - „ … umbringt – dann lauf! Ansonsten absteigen!“
Zögernd verließ Cedrik Sternenlichts Rücken und Assasina hielt ihm daraufhin eine Vierzig Minütige Rede über Verantwortung, Pflicht und Liebe. Danach wusste Cedrik nicht mehr, wo er hin sehen sollte und so bestiegen beide das Pferd und ritten zurück zu der Gruppe, denen das Fehlen der zwei mittlerweile doch aufgefallen war.
Agenor sah ziemlich wütend aus, doch ehe er los donnern konnte warf Assasina nur ein:
„Cedriks Geist war nach der Begegnung mit den Elfen ein wenig verwirrt und er hat sich – in Gedanken versunken – verlaufen. Ich bin ihn suchen gegangen. Frag ihn!“ Sie deutete auf einen der Männer Agenors, der ihr gesagt hatte, dass Cedrik weg war und dieser nickte hastig, überrascht darüber angesprochen zu werden.
„Cedrik, nachdem es dir wieder gut geht, übernimm doch bitte die Wache für das Königspaar!“
Assasina sprach so laut, dass alle sie hören konnten. Das würde ihn vorerst vor einer weiteren „Flucht vor sich selbst“ hindern – bis er wieder ganz bei Verstand war.
Die Gruppe ging langsam weiter und Assasina sah sich Stirnrunzelnd um. Langsam reichte es ihr mit dem ganzen Misstrauen und der Skepsis welche zwischen ihnen herrschte. Sie musste irgend etwas unternehmen und mit Rutaara würde sie anfangen. Das einzige was ihr dabei helfen könnte, war Rutaaras Verbindung zu Lyrael. Auch wenn er ein Elbe gewesen war und irgend wie immer noch war, so war er doch auch ein Tier. Und Tiere waren die besten Lebewesen, was das Verstehen von Gefühlen betraf.
„Ist alles in Ordnung mit dir?“ fragte Assasina die Elfe vorsichtig, während sie all ihre Ängste, ihre Zweifel, den guten Willen und ihre positive Energie Lyrael zu vermitteln suchte. Assasina betete inständig innerlich, dass er sie verstehen konnte.
Cedrik ritt stumm an dem ihm zugewiesenem Platz. Er sah nicht, hörte nichts und überließ es Sternenlicht den anderen zu folgen. Als er sich vorhin von der Gruppe, die ihm ans Herz gewachsen war, die jedoch nicht die gleichen Gefühle ihm gegenüber teilte, entfernt hatte, hatte er sich auch innerlich davon getrennt. Doch da war noch Gefühl und nicht nur wegen eines Mädchens, das er sich nicht aus seinem Herzen, Kopf und seiner Seele reißen konnte und wollte. Es war ihm nicht leicht gefallen sich zu trennen, doch er hatte es getan. Nein, er hatte es versucht! Und wenn Assasina ihm nicht mit dieser Vehemenz den Kopf gewaschen hätte, hätte er auch gegen ein Kehle durchschneiden nichts unternommen. Noch immer vermeinte Cedrik Assasinas wütende Worte zu hören, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte:
„Du hast eine Verantwortung gegenüber dir, Catyua und der Gruppe!“
Er hatte Verantwortung? Das glaubte er nicht. Agenor hatte Verantwortung zu tragen. Assasina hatte Verantwortung und auch Rutaara hatte sie. Er hatte sich zu der Gruppe begeben, da waren die anderen bereits eine eingeschworene Gesellschaft. Er hatte beinahe alles mit sich machen lassen. Er wurde beinahe erwürgt, er hatte sich verausgabt mit seinen magischen Kräften, er hatte sich beschimpfen lassen und auch verspotten. Er hatte die Liebe entdeckt und war immer nur der dumme, kleine Magier geblieben, der eigentlich nur ein Klotz am Bein der Gruppe war und ist. Natürlich würde er seinen Teil erfüllen und auch das Prinzenpaar beaufsichtigen. Dies gebot ihm schon sein Ehrgefühl. Aber dann würde er sich abermals trennen und es war ihm egal, ob der König ihm wirklich sagen konnte, wer nun seine Eltern gewesen waren. Noch immer schwirrte dieser Name „Ellanah“ durch Cedriks Kopf. Es war ein Elbenname. War dieser Unbekannte sein Vater? Oder nur ein weiterer Stein am Weg von Cedriks Schicksal? Hatten die Elfenkriegerinnen mit ihm nur Spott getrieben?
So wie die dunklen Wolken in Cedriks Stirn und den Augen sich weiter verdichteten, so verdichteten sich auch die Wolken am Himmel über den lichter werdenden Baumwipfeln. Doch Cedrik merkte nichts davon.
Er hatte ebenso wie die anderen, eine Mauer um sich gezogen. Noch einmal würde er sich nicht verletzen lassen. Sternenlicht hatte schon mehrmals versucht, seinen Reiter zu beruhigen, doch als ein erneuter Versuch ebenso scheiterte, gab er es auf. Er wusste, wenn Cedrik in dieser Stimmung war – die nur dann vorkam, wenn Cedrik tief verletzt worden war – konnte er ihn nicht erreichen und da war es gut, wenn man ihn in Ruhe ließ.
Rutaara blickte die Elfe misstrauisch an. „Warum fragst du mich das? Seit wann kümmert es eine Elfe, wie es einem Elben geht?“ Rutaara lachte spöttisch auf. „Nur weil unsere Völker einst die gleichen Ahnen hatten heißt das nicht, dass ihr auch nur im entferntesten über uns Bescheid wisst. Zu viele meiner Art sind euch heimtückischen Wesen schon zum Opfer gefallen und du verlangst von mir dir zu vertrauen? Nenne mir nur einen guten Grund, vielleicht kannst du mich ja vom Gegenteil überzeugen.“
Während ihrer Worte musste sie sich im Gedanken mit Lyrael auseinander setzen, denn dieser versuchte sie von Assasinas Vertrauenswürdigkeit zu überzeugen. Die Elbe brachte ihn mit einem strengen Blick zum Schweigen. Sie wollte von Assasina persönlich deren Meinung hören. Erwartungsvoll wandte sie sich der Elfe zu und schwieg.
„Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich nicht viele deiner Art kenne. Und von denen die ich kenne sind die meisten dunkel so wie du.“
Assasina sprach langsam und ruhig, doch in ihr tobte sie wie ein wildes Meer. Sie hatte Lyrael überzeugen können. Mit Gefühlen konnte man einfach nicht lügen, doch er schien bei Rutaara keinen Erfolg zu haben. Wenn nicht einmal Lyrael das schaffte, wie schwer würde sie es da erst haben. Doch sie entschied sich, die ganze Wahrheit zu sagen. Schließlich war es auch das, was sie selbst von den anderen erwartete.
Mit gesenktem Blick und leiser Stimme sprach sie weiter.
„Ich kann dir keinen Grund nennen. Außer den, dass ich nur zur Hälfte eine Elfe bin. Wie ihr sicher schon gemerkt habt.“ Assasina lachte lustlos auf. „Ich habe bisher nur ein einziges Mal einen Elben getötet. Wurde jedoch schon oft damit beauftragt. Doch schlug ich bisher diese Angebote immer aus. Genau so wenig wie ich Elfen, Alben und Zwerge tötete. Nur Menschen. Doch dies soll keine Ausrede sein oder gar ein Grund für etwas! Der eine Elbe, den ich tötete … das war aus Rache. Er tötete meine Eltern und hat es nicht anders verdient! Wenn es um mich oder meine Familie geht, mache ich keinen Unterschied unter den Völkern. Stolz ist eine schwere Last. Sie wiegt schwerer als das wissen, dass man über Tausend-fünfhundert Menschen auf dem Gewissen hat!“
Assasina konnte nun nicht mehr anders, sie konnte nicht mehr zurück und musste es endlich jemanden sagen. Sie hoffte aber, Rutaara würde begreifen, was das bedeutete, das sie ihr sagte. Dass sie so kalt und gefühllos wurde, weil dies ihr Beruf, ihr Überleben es einfach verlangte. Und es einfach nicht anders zuließen. Sie hatte beinahe Zweihundert Jahre lang nur um ihr Überleben gekämpft – und das im wahrsten Sinne des Wortes! Es hatte immer geheißen – entweder sie oder die anderen. Da durfte man sich keine Gefühle oder Mitleid erlauben und sie musste sich erst daran gewöhnen, dass die Mitglieder hier so etwas wie Freunde oder zumindest Verbündete waren. Sie musste nun nicht mehr so tun, als hätte sie kein Herz. Zumindest nicht so lange, wie sie alle hier beisammen waren. Assasina sah Rutaara mit einem fast flehenden Blick an und hoffte, diese würde endlich verstehen. Assasina war den Kampf mit sich und gegen andere so etwas von leid …!
Geduldig lauschte die Elbe Assasinas Worten. Der Elfe war es anzusehen, dass das was sie hier erzählt hatte, noch nie jemandem so offen und vorbehaltlos gesagt hat. Assasinas Herz war durch die Kämpfe und die Einsamkeit dunkel geworden und das wenige Licht, das noch übrig war, hatte die Elfe gelernt zu verstecken, damit es sie im Kampf ums Überleben nicht behindert. All dies konnte Rutaara sehen, als sie der Elfe in die Augen sah. Mit einem Mal verschwand ihr Misstrauen. Denn ihr wurde klar, dass Assasina ihm im Grunde sehr ähnlich war.
„Verehrte Elfe“, begann sie daher reumütig. „Ich habe deine Worte vernommen und fühle mich durch deine Offenheit geehrt. Unser gemeinsamer Weg endet bald und ich möchte mich ungern im Bösen von dir verabschieden. Lass uns also Freundschaft schließen!“
Die Elbe streckte ihre Hand aus, sah Assasina noch einmal tief in deren Augen und hoffte darauf, dass diese die ihr entgegen gestreckte Hand ergriff.
Assasina zögerte kurz, nahm dann aber die Hand der Elbe und ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen.
„Es sieht so aus, als hätten die kichernden Kriegerinnen recht gehabt mit dem Wetter!“ sagte Assasina nach einiger Zeit des Schweigens und schaute in den Wolkenverhangenen Himmel.
Zwei Tage lang floss das Wasser zur Erde und hinterließ bei allen ein nasses, kaltes und auch klammes Gefühl. Schweigend und in sich versunken so verfolgte die Gruppe den Weg. Nur hin und wieder stieß einer der Pferdehufe auf Stein, dann erklang ein durch Regen und tiefer Wolkenwand dumpf wirkender Laut.
Am Nachmittag des dritten Tages kam die Sonne wieder zum Vorschein. Das abgeerntete Feld, worauf die Gruppe eine Rast gemacht hatte, begann zu dampfen und auch die einzelnen Mitglieder selbst fühlten wie die Strahlen der Sonne wie gierig die Feuchtigkeit von ihnen leckten. Sie alle genossen die wärmende Sonne. Die Stimmung hatte sich, seit der Regen vorbei war, erheblich gebessert. Assasina stand seufzend auf und ging zu Agenor, der sich eben mit Catyua unterhielt.
„Darf ich Euch kurz stören?“
Der Mann und die Albin sahen auf. Agenor nickte und Catyua machte Anstalten zu gehen, doch Assasina bedeutete ihr, dass sie bleiben sollte.
„Wenn das Wetter so bleibt, haben wir gute Chancen in zwei Tagen beim König zu sein. Allerdings würden wir in der Nacht ankommen und ich weiß nicht, ob das so eine intelligente Lösung wäre. Der König trinkt nicht gerade wenig und trifft gerne dann unsinnige Entscheidungen im Rausch. Ich denke, es wäre das Beste unsere Reise noch zu verzögern bis zum Nachmittag des darauf folgenden Tages. Wenn wir das machen, sollten wir aber nicht mehr zu weit vordringen, ansonsten können wir vom Prinzenpaar nicht mehr erwarten, dass es noch länger in unserer Mitte bleiben möchte. Was meint Ihr?“
Inzwischen waren auch Rutaara und Cedrik hinzu gekommen.
Rutaara dachte über Assasinas Worte sorgfältig nach. Die Elfe hatte mit dem was sie sagte nicht unrecht. Sollten sie des Nachts am Hofe des Königs erscheinen, könnte dieser im Suff und seiner Paranoia die ungewöhnliche Truppe für Banditen halten und den Befehl zum Angriff erteilen.
„Gut. Doch wie wollen wir den Weg in die Länge ziehen? So wie ich dich kenne, wirst du auch für dieses Problem eine Lösung haben!“ meinte die Elbin. „Und da wäre noch etwas: wie wollen wir es verhindern, dass die Hochwohlgeborenen nichts davon mitbekommen?“
Sie stellte die Frage auch den anderen. „Cedrik, Catyua? Wie denkt ihr darüber?“
Agenor brauchte sie nicht fragen, denn der stille Mensch war meist mit Assasina und ihr einer Meinung, zumindest wenn es um die Sicherheit der Gruppe ging.
Cedrik schwieg einige Augenblicke lang. Seit er die Gruppe verlassen hatte und Assasina ihn wieder zurück gebracht hatte, hatte er nicht mehr als zehn Worte verloren. Es gelang ihm, wenn er mit dem Prinzenpaar alleine war und die anderen mit ihren Dinge beschäftigt waren. Anders sah es aus, wenn Catyua in seiner Nähe war. Sie warf ihm öfters diesen schmerzlichen, unverständlichen Blick zu. Er schluckte. Schließlich meinte er leise und mit gesenktem Blick:
„Wenn Ihr wollt, kann ich in den abendlichen Trank ein leichtes Betäubungskraut mischen. Es würde ihnen einen längeren Schlaf bringen. Dann wäre auch die Gefahr einer Flucht gebannt.“
Kurz überschlug Cedrik die Kräuteressenzen, die er bei sich trug. Vielleicht fand er auch den einen oder anderen Schlafpilz. Dann würde er den Schlaftrunk verstärken können, da die Prinzessin noch nicht gesegneten Leibes war, würde der Trank auch kein beginnendes Leben schädigen. Und dass sie kein Ungeborenes unter dem Herzen trug, das wusste Cedrik mit Bestimmtheit. Dafür hatte er bereits vor seiner Abkehr gesorgt. Er lernte zwar noch immer, doch das mit den Bromkräutern vermischte Fleisch, das alle gegessen hatten, hatte nichts mit Magie zu tun. Und der Koch, einer von Agenors Männer, hatte sich gefreut als das Fleisch den besonderen Geschmack durch das Bromata bekam. Der einzige, der nichts davon aß war er selbst. Nicht weil er als einziger bei den mitreisenden Frauen seinen Mann stehen könnte, sondern weil das Bromata bei ihm eher das Gegenteil verursacht hätte. Und einen wild gewordenen Magier, der jedes in seiner Nähe befindliche weibliche Wesen mit Gewalt nahm, konnte die Gruppe nicht gebrauchen.
Assasina zögerte kurz und biss sich auf die Lippe.
„Das könnten wir machen aber ich vermute, dass sie es bemerken werden. Spätestens nachdem sie aufgewacht sind. Wenn sie erst am Nachmittag anstelle des Morgens erwachen, werden sie sich Gedanken machen und genau einen Tag zu warten bringt uns in die selbe Lage, in der wir uns ohnehin gerade befinden. Sie sollten sich der Verzögerung bewusst sein. Ich hätte eine Idee, aber … Cedrik, dein Pferd scheint mir höchst intelligent. Ist es ein guter Schauspieler? Und bist du ein guter Lügner?“ Assasina konnte ein Schmunzeln nicht verhindern.
Cedrik runzelte die Stirn. Worauf wollte sie hinaus? Sein Blick glitt zu Sternenlicht. Er wusste, dass es intelligent war, denn Einhörner waren dies nun mal. Doch da niemand wusste, dass Sternenlicht eigentlich ein schwarzes Einhorn war, nickte Cedrik nur. Dann überwand er sich und sagte:
„Sternenlicht muss selbst entscheiden, ob er jemand etwas vorspielt. Und was meine Liebe zur Wahrheit betrifft, solltet Ihr wissen dass ich meist eine direkte Lüge vermeide. Was schwebt Euch so vor?“
Insgeheim wunderte sich Cedrik, dass sein Herz nicht mehr so heftig klopfte wenn er Assasina so nah war. Hatte er sich auch von ihrem Zauber über sich getrennt?
„Na ja“, meinte Assasina zögerlich und musterte Sternenlicht. „Er muss eigentlich nur so tun, als ob er sich ein Bein verstaucht hätte und ihr müsst mir einfach in allem zustimmen, was ich dem Prinzenpaar sage!“ Sie sah von Sternenlicht zu Cedrik und schaute ihn fragen an, wobei sie wieder einmal ihren Kopf schief legte. Diese grauenvolle Angewohnheit musste sie dringend los werden.
Bei diesem banalen Vorschlag musste Rutaara lachen. Schnell schlug sie die Hände vor dem Mund zusammen und blickte entschuldigend in die Runde.
„Sternenlicht dürfte damit wohl kein allzu schweres Problem haben.“
Sie bedachte Cedrik mir einem wissendem Blick und ging zu dem Tier hinüber, lehnte ihre Stirn gegen seine und sagte leise: „Na, mein Hübscher, was sagst du denn zu der ganzen Idee? Wäre das in Ordnung für dich?“ Die Gedanken, die sie als Antwort empfing waren äußerst klar und deutlich, nur ein wenig mit undeutlichen Gefühlen unterlegt.
'Solange ich meinen Herrn beschützen kann und muss, werde ich alles tun was dafür nötig ist!'
Schmunzelnd wandte sich die Elbin wieder den anderen zu.
„Du bist ein echter Glückspilz, Magier. Solch einen seltenen Gefährten solltest du gut im Auge behalten. Er könnte sonst allzu leicht in die falschen Hände geraten.“ Sie seufzte. „Sternenlicht hat mir mitgeteilt, dass es für ihn kein Problem darstellt, eine Weile den Verletzten zu mimen. Alles weitere liegt bei dir meine verehrte Freundin!“, sagte sie und blickte dabei nun Assasina an.
Cedrik nickte ernst. Er wusste was er an Sternenlicht hatte. Und doch fragte er sich ob Rutaara nur ahnte, dass Sternenlicht mehr als nur ein Pferd war oder ob sie es sogar wusste. Denn dass beide eine besondere Art hatten, miteinander umzugehen war Cedrik bereits aufgefallen. Kurz kämpfte er mit sich, ob er Rutaara antworten sollte oder nicht, dann entschied er sich dafür.
„ich weiß, Sternenlicht wird sein bestes geben. Doch kann ich Euch beruhigen er wird selbst die richtige Entscheidung treffen, wenn jemand versuchen sollte an ihn heran zu kommen. Und ich würde wirklich niemand raten, sich mit Sternenlicht anzulegen!“
Cedriks ernster Blick glitt von Rutaara zur Gruppe und da zu Catyua. Sein kantig gewordenes Gesicht wurde sekundenlang weich und sein Blick sanft und traurig. Doch gleich darauf hatte er sich gefangen und schaute nun wieder Rutaara an. Kurz zuckten seine Brauen nach oben denn sie schien etwas gemerkt zu haben. Ihr Blick zu ihm ließ Cedrik das vermuten. Doch er sah weder Spott noch Ärger darin. Sein Entschluss, die Gruppe nach Ablieferung des Prinzenpaares zu verlassen, stand jedoch nach wie vor fest. Vielleicht würde ihn Catyua ja begleiten. Und dann würden beide die Elfenkriegerinnen fragen. Catyua nach ihrer eigenen brennenden Sache und er jene Frage nach diesem „Ellanah“ und wer denn nun wirklich seine Eltern waren.
Cedrik nickte erneut und meinte noch einmal:
„Ich werde tun was nötig ist. Ihr entschuldigt mich jetzt bitte?“
Damit wandte er sich von Rutaara und Assasina ab und ging etwas weiter beiseite. Dort ließ er sich mit überkreuzten Beinen auf den Boden fallen und versenkte sich in sich selbst.
Catyua beschloss diese Gelegenheit zu nutzen, um Cedrik ein paar Fragen zu stellen. Sie lief zu ihm hinüber, blieb direkt vor ihm stehen und wartete. Er sah nicht vom Boden auf aber ihr war klar, dass er sie bemerkt hatte.
Längere Zeit stand sie da und blickte ihn einfach nur an, in der Erwartung einer Reaktion von ihm. Dann jedoch gab sie auf.
„Cedrik ich …!“ Sie überlegte kurz. Da er sich so sehr verändert hatte, kam sie zu dem Entschluss in alte Redensart zu verfallen.
„Ich möchte nicht aufdringlich wirken“, begann sie und musste im Gedanken lächeln als sie daran dachte dass er dies öfters am Anfang gesagt hatte. „Aber mich quält die Frage, ob es Euch gut geht? Habe ich einen Fehler gemacht, dass sich Euer Verhalten mir gegenüber so verändert hat? Warum sprecht Ihr nicht mehr mit mir, seit Eurer … seit Ihr Euch verlaufen habt? Bitte … sprecht mit mir!“ schloss sie, als er immer noch keine Reaktion zeigte.
Cedrik hatte wohl gemerkt, dass seine langsam wachsende Liebe vor ihm stand. Aber als er sie mit seinen eigener eigenen Ausdrucksweise sprechen hörte, füllten sich seine Augen mit Tränen. Er hob den Blick und sah sie an. Da stand sie nun, ein Kind und doch bereits mehr Frau als sie ahnte. Cedrik wischte die Tränen nicht von den Wangen, als seine Augen überliefen. Er sah Catyua nur weiter an. Als müsse er sich jeden Zug ihres Gesichtes einprägen. Ihre Nase, ihre faszinierenden Augen und ihre Lippen, die er so gerne einmal geküsst hätte, doch für ihn wohl für immer verboten waren. Er sah ihre Besorgnis in diesen tiefen, seelenvollen Augen und musste schlucken. Langsam schüttelte er den Kopf. Sprechen war ihm derzeit unmöglich. Er wäre sonst wieder einmal zusammen gebrochen. Und er wollte weder sich noch dieses Mädchen, das mehr von seinem Herzen und Seele besaß als sie oder einer der anderen ahnte oder wusste, in Verlegenheit vor den Rest der Gruppe bringen.
Ohne ein weiteres Wort senkte er wieder den Blick und fühlte sich sterbenskrank. Denn er spürte die Verwirrung und den Unglauben Catyuas seinem Verhalten gegenüber.
Cedrik verschränkte seine Hände ineinander, um ihren Blicken nicht das Beben seiner Finger preis zu geben. Sie sollte nicht merken, wie schwer es ihm fiel die Mauer, die er um sich aufgerichtet hatte, auch in ihrer Gegenwart aufrecht zu erhalten. Sie sollte nichts von seinem Kampf merken, den er mit sich ausfocht. Er betete nur darum, dass sie ihn nicht berühren möge, denn dann könnte er für nichts garantieren. Cedrik hoffte, dass Catyua bald wieder ging, denn seine Abwehrhaltung bekam langsam Sprünge und er gedachte sie keineswegs zu kompromittieren. Lieber würde er den Tod durch Assasinas Messer vorziehen.
Ärgerlich beobachtete Rutaara Cedriks Verhalten. 'Dieser junge Vollidiot!' dachte sie. 'Will er sie denn ganz verlieren?' Die Elbin blickte zu Lyrael. 'Was meinst du? Soll ich ohne ihr Wissen das Ritual vollziehen? Vielleicht bindet es sie ja noch stärker zusammen?' fragte sie ihn.
Das Ritual woran sie dachte, war eines der Ältesten und eigentlich schon längst vergessen, denn es war nur den Ahnen vorbehalten. Dies Ritual nannte sich LEYII VASAUL und wurde nur dann angewendet, wenn zwei für einander bestimmte Seelen nicht den Weg zueinander fanden.
'Willst du das wirklich wagen? Woher willst du wissen, dass sie für einander bestimmt sind?' antwortete Lyrael.
'Ich weiß es und nur das zählt. Ich kann das einfach nicht mehr weiter mit ansehen. Sie lieben sich, warum wollen sie das nicht wahr haben?' Rutaara seufzte leise. Danach wandte sie sich zu Assasina.
„Wir sollten für ein bis zwei Stunden Rast machen. In der Nähe befindet sich ein kleiner Fluss, vielleicht wollen sich die Hohen Herrschaften ja ein wenig erfrischen. Ich muss mich kurz von euch trennen, denn auf dem weg hierher habe ich einige Kräuter und Pflanzen entdeckt, die ich gerne hätte.“
Den wahren Grund wollte sie der Elfe noch nicht verraten. Wusste sie ja nicht ob diese das LEYII VASAUL kannte und wusste, was dies bedeutete.
Die Elfe jedoch nickte einfach nur und sagte:
„Ich kümmere mich um alles, während du weg bist. Ich wünsche dir bei der Ernte viel Erfolg, mögest du das finden, was du suchst!“
Rutaara lächelte dankbar, deutete eine Verbeugung an und mit einem letzten, sorgenvollem Blick auf Cedrik und Catyua lief sie den Weg zurück. Lyrael blickte Assasina an und lief dann zu Rutaara. An ihrer Seite laufend, denn er befürchtete sie könne noch einmal den Elfenkriegerinnen dieses Waldes begegnen. Wenn er bei ihr war, hatte sie zumindest eine Chance zu überleben, sollte es zum Kampfe kommen.
Assasina stand noch auf dem Platz, auf dem sie sich abgesprochen hatten. „Zwei Stunden Pause“, murmelte sie und begann ihren Plan auszuarbeiten, während sie zu Sternenlicht ging, der gemütlich etwas abseits von Cedrik graste.
„Hallo!“ flüsterte sie und strich dem Pferd durch die Mähne. „Du weißt, worüber wir gesprochen haben?“
Sternenlicht machte eine Kopfbewegung, die wie ein Nicken wirkte. „Gut. Wir werden hier noch ein wenig rasten. Halte dich während dieser Zeit bitte etwas abseits der Gruppe, vor allem von Cedrik. Wenn ich dir ein Zeichen gebe, kurz ehe wie weiterreisen, dann trabe auf uns zu und versuche dir irgendwo 'weh' zu tun. Hast du mich verstanden?“
Assasina war skeptisch, denn wie sollte sie einem Pferd anders erklären, was sie sich vorstellte? Doch Sternenlicht schien es begriffen zu haben, er nickte abermals.
Sie klopfte ihm den Hals, wandte sich um und setzte ihre Schritt in Richtung Prinzenpaar, Agenor, Cedrik und Catyua, die sich alle ungefähr in der Mitte der Lichtung befanden. Sie ließ sich auf den noch nassen Grasboden sinken, schloss die Augen und erweckte den Eindruck zu meditieren, während sie sich ganz genau ihre nächsten Schritte überlegte.
Cedrik hatte den Entschluss gefasst, sich etwas von der Gruppe zu entfernen. Zwar mit einem Auge auf dem Prinzenpaar um seinen Auftrag zu erfüllen, aber dennoch abgesondert. Nur so gedachte er, seine Ruhe wieder zu finden.
Er stand schwungvoll auf und hatte schon eine Entschuldigung auf den Lippen, als er so dicht vor Catyua zu stehen kam dass er ihren Atem auf seinen Lippen spürte. Sein Blick fing sich mit ihrem und er merkte erschrocken, dass sich etwas aufzubauen begann, das sein Meister ihm einst als Seelenkontakt erklärt hatte. Diese Art der Verbindung würde nur zwischen zwei Wesen entstehen, die auf gleicher Seelenlinie waren. Es wäre - so meinte Fulkhurx damals – intimer und stärker als je eine körperliche Verbindung sein konnte. Damals hatte Cedrik dies als Hirngespinst eines alternden und ziemlich verärgerten Zauberers gehalten.
Cedrik wollte seinen Blick von dem Catyuas trennen, doch es war als würden ihrer beiden Blicke ineinander verschmolzen sein. Ein leichter Windhauch begann um sie herum zu wehen. Obwohl das reale Wetter windstill war. Catyuas und Cedriks Haare bewegten sich, aber Cedrik gebot dem Wind keinerlei Einhalt. Er hatte sich bereits zu tief in Catyuas Augen verloren.
Entfernt bemerkte er Aufregung, doch er schloss die Umwelt aus seiner bewussten Wahrnehmung. Vor Cedriks Augen gab es nur noch Catyua!
Er konnte Angst in ihren Augen erkennen. Sanft griff er mit einem zarten Magiefinger hinüber zu ihr und strich leicht damit über ihre Stirn. Nach außen hin würden beide nun dicht voreinander stehen und sich bloß anschauen.
Cedrik ahnte insgeheim, dass es noch einen gewaltigen Aufstand mit Assasina und Rutaara geben würde, doch er konnte nichts gegen diese Seelenverbindung, die sich hier aufbaute machen. Denn wie Cedrik eine solche verhindern konnte, hatte ihm sein Ziehvater nicht erklärt. Vielleicht wusste er es selbst nicht.
Zur gleichen Zeit im Wald
ohne Störung hatte Rutaara die fehlenden Pflanzen für das Seelenverbindungsritual gefunden und war schon voll Konzentration bei den Vorbereitungen dazu. Die Augen geschlossen sah sie was sich weit entfernt auf der Lichtung abspielte.
Genau im richtigen Moment – als Cedrik der vor ihm stehenden Catyua in die Augen blickte – ließ sie den Zauber mit voller Kraft los. Sie konnte irgendwie spüren, dass ihr Plan aufgegangen war. Um das Ganze noch etwas romantischer und magischer zu gestalten, ließ es sich Rutaara nicht nehmen den beiden Verliebten eine leichte Frühlingsbrise aus ihrer Heimat, dem Wandernden Hain, zu senden.
Selbstzufrieden öffnete sie danach schließlich die Augen.
„Ob durch mich oder nur durch meine Mithilfe … es hat geklappt, Lyrael!“ sprach sie in Richtung des Wolfes, der etwas abseits Stellung bezogen hatte. „Machen wir uns auf den Weg zurück, sonst schöpfen sie noch Verdacht!“
Lyrael deutete ein Nicken an, erhob sich und streckte sich mit einem lauten Gähnen. Dabei glitzerten seine gelben Wolfsaugen scheinbar vergnügt. Gleich darauf lief er vor Rutaara her und beide begaben sich auf den Weg zu der Gruppe.
Cedriks Arme streckten sich, umfingen Catyua und zogen sie an sich. Sein Kopf senkte sich und seine Augen schlossen sich als sein Mund ihre Lippen berührte. Er nahm nichts mehr um sich wahr, nur noch seine Liebe in seinen Armen und ihre weichen, warmen Lippen auf seinem Mund. Er legte all seine Zärtlichkeit, seine Liebe und Zuneigen, die er für dieses Wesen in seinen Armen empfand, in diesen zarten und doch innigen Kuss.
Und in diesem Moment war es ihm vollkommen egal ob die anderen merkten, wie es um ihn stand. Cedrik setzte mit seinem Kuss nicht nur ein äußeres Zeichen, dass er und Catyua für immer zueinander gehörten, sondern auch das Versprechen sich und den Göttern gegenüber dass er dieses Wesen für immer als einen Bestandteil seines Herzens und seiner Seele ansah. Und sollte er tatsächlich der Sohn dieses Ellanah sein, so würde er auch seine nach außen erkennbare, endgültige Verbindung mit Catyua nach elbischer Art vollziehen.
Cedrik zog sich sacht zurück und löste seine Lippen von denen Catyuas. Noch immer spürte er die Süße dieses besonderen Kusses. Und das erste Mal seit Tagen überzog wieder ein Lächeln sein Gesicht. Und dieses Lächeln gehörte nur Cartyua. Nun nahm er auch ihren raschen Herzschlag an seiner Brust wahr, denn er hielt sie noch immer fest umfangen. Heftiges Bedauern durchströmte Cedrik, als er seine Arme löste, um Catyua frei zu geben.
Rutaara erreichte die Lichtung genau in dem Moment, als Cedrik und Catyua sich küssten. Um diesen besonderen Moment nicht kaputt zu machen, blieb sie am Rande der Lichtung stehen, lehnte sich an eine alte Eiche und beobachtete das Geschehen.
'Sie sind wirklich füreinander bestimmt, Liebste' , meinte Lyrael. Nun kann auch ich es fühlen.'
Die Elbin lächelte wehmütig.
'Ich hoffe, ihnen bleibt solches Leid wie unseres erspart' Antworteten Rutaaras Gedanken. 'Ich frage mich ob wir – wenn unser Auftrag erledigt ist – uns nicht an ihre Fersen heften und sie auf ihrem Weg ein wenig begleiten. Ich werde das Gefühl nicht los, den Beiden noch beistehen zu müssen.'
Plötzlich durchfuhr sie ein Gefühl von unendlicher Liebe, gemischt mit unerklärlicher Trauer. Kurz blitzte ein Name in ihren Gedanken auf: Ellanah! Sie kannte diesen Namen. Wusste auch, dass dessen Träger ein Elbe gewesen war doch bereits seit siebzehn Jahren tot. Die Elbin stutzte. Konnte es sein? Konnte es tatsächlich sein, dass Cedrik der verloren geglaubte Sohn Ellanahs und der Menschenfrau Sarvena war? Eine gewisse Ähnlichkeit konnte sie erkennen und wenn ihre Vermutung richtig war, dann musste sie auf alle Fälle bei ihm bleiben.
Ein bizarres Zucken durchfuhr Assasina und sie sprang auf – vorbereitet Angreifer zurück zu schlagen. Doch kaum war sie auf den Beinen, stutzte sie. Es waren keine Feinde in Sicht und es würden jetzt auch keine kommen. Das Gefühl, das sie hatte war nicht einmal bedrohlich! Sie sah sich auf der Lichtung um und ihr Blick blieb an Cedrik und Catyua hängen. 'Sie sind Seelenverwandte!' schoss es ihr durch den Sinn. Bei dieser Erkenntnis musste sie leise lachen. Assasina ließ ihre Blicke weiter kreisen. Auch die anderen schienen es zu spüren. Sie standen völlig still da und betrachteten das junge Paar welches von einem merkwürdigen Wind umweht wurde. Assasinas Blick fiel auf Rutaara die am Waldrand stand und sehr zufrieden aussah. Sie schlenderte zu Rutaara hin und lehnte sich neben dieser ebenfalls an die Eiche. Rutaara sah sie an.
„Hast du etwas damit zu tun?“ fragte Assasina grinsend und deutete mit ihrem Kinn zur Lichtung. Obwohl es ein absolut ungünstiger Zeitpunkt war, dass die beiden endgültig zueinander fanden, gefiel es ihr doch … irgendwie.
„Sie sind füreinander bestimmt. Ich kann keine Seele zu etwas zwingen, das diese bereits entschlossen ist zu machen.“
Rutaara log nicht, doch Assasina konnte das schelmische Blitzen in deren Augen sehen, was ihr verriet, dass Rutaara nicht so ganz unschuldig war.
„Ich denke, wir brauchen das Pferd nicht um die Zeit hinaus zu zögern.“
Assasina löste sich wieder vom Stamm und ging einige Schritte voran, ehe sie sich noch einmal umwandte – ein verschwörerisches Grinsen im Gesicht.
„Ach werte Elbe! Ihr seid nicht zufällig in der Lage eine Zeremonie zur Seelenvereinigung zu leiten, oder doch? Wir leben in einer gefährlichen Zeit und ich möchte nicht, dass unsere glücklich zueinander Gefundenen noch länger warten müssen. Man weiß ja nie, was noch alles passiert!“
„Ich würde mich sogar sehr geehrt fühlen, die Verbindungszeremonie zu leiten. Wenn denn die Beiden damit einverstanden sind“, erwiderte die Elbin. „Da jetzt noch keine Gefahr droht, sollten wir ihnen allerdings noch etwas Zeit geben. Unsere Catyua sieht sehr überrascht aus und ich denke, die zwei haben sich noch viel zu sagen. Sollten sie dann zur Zeremonie bereit sein, werde ich auf ihren Wunsch hin alles weitere übernehmen. In der Zwischenzeit werde ich alles vorbereiten!“
Die Verwirrung, in die Cedrik sie gestürzt hatte war für Catyua unbeschreiblich. Ihr Kopf drehte sich, nein die Lichtung drehte sich um sie herum. Und wenn seine Arme nicht so fest um sie geschlossen wären, hätte sie das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihr Körper sträubte sich, als Cedrik sie aus seiner Umarmung frei gab und sehnte sich kaum einen Moment später wieder danach.
Der Kuss schien vollendet zu haben, was so rasch entstanden war und Catyua war sich sicher, dass das geknüpfte Band unsterblich war. Für immer vereint! Bei dem Gedanken daran schien ihr Herz zu zerspringen wollen vor Freude und ihre Augen begannen zu strahlen.
Nachdem sich ihr Herzschlag ein wenig normalisiert hatte und ihr Kopf wieder ziemlich klar war, bemerkte sie das seltsame Treiben der Elfe und der Elbin. Sie standen nebeneinander da und … unterhielten sich, als hätten sie niemals Feindschaft zwischen sich verspürt. Verwundert beobachtete das Mädchen, wie die Elfe lächelnd in ihre Richtung kam. Doch das Lächeln galt nicht ihr, sondern Rutaara. Es schienen ungeahnte Veränderungen vorgegangen sein. In ihrer eigenen verzweifelten Sehnsucht schien sie blind gegenüber allem anderen gewesen zu sein, was nicht sie und ihren Liebsten betraf.
Catyua schaffte es nicht, sich komplett von dem jungen Magier zu lösen, darum behielt sie seine Hand in der ihren fest und zog ihn benommen hinter sich her zu Assasina hin.
„Was … was ist … ist alles in Ordnung?“ fragte Catyua die Elfe atemlos.
Cedriks Hand befand sich nach wie vor mit Catyuas Hand in Verbindung. Die beiden Hände selbsttätig von einander zu lösen, wäre er jetzt nicht imstande gewesen. Und das wollte er auch gar nicht. Er hatte wohl das Öffnen einer Tür tief in sich verspürt, als er Catyua küsste. Es war, als wäre eine Kammer geöffnet worden, die schon immer in ihm gewesen war. Gefüllt mit einer eigenen Art von Magie, die jetzt befreit worden war und die ihn durchpulste. Verbunden durch die Hände, strömte diese Magie jedoch auch Catyua.
Diese Art der Magie machte Cedrik taumelnd und die Kraft derselben spülte auch den letzten Gedanken an Assasina hinweg. Hätte jetzt jemand in Cedriks Augen geblickt, hätte er den goldenen Schimmer gesehen,den die Pünktchen darin aussandten. Doch es sah niemand hinein und Cedrik ahnte nichts davon. Er wurde von Catyua mit gezogen und erst jetzt fiel ihm auf, dass er und das Mädchen zum Mittelpunkt der Gruppe geworden waren.
Selbst das Prinzenpaar hatte sich an den Händen gefasst, aneinander gelehnt und ein weiches Lächeln umspielte ihre Gesichter.
Cedriks Aufmerksamkeit wurde erst auf Rutaara und Assasina gelenkt, als Catyua atemlos fragte:
„Was … was ist … ist alles in Ordnung?“
War etwas in Unordnung? Cedrik hatte nicht das Empfinden. Noch immer spürte er den Kuss auf den Lippen und immer noch durchpulste diese unbekannte Magie ihn und Catyua obwohl sich die Stärke bereits verringerte.
Als Cedriks Blick auf die ihn anlächelnde Rutaara fiel, krauste sich unwillkürlich seine Stirn. War da wirklich Befriedigung in den wissenden Augen zu sehen?
Cedrik versuchte wieder diese Mauer um sich aufzubauen, doch er scheiterte. Irgend etwas in ihm ließ ihn erkennen, dass dies die Folge dieser Magie war die ihn noch immer ganz leicht durchströmte. Doch schließlich hörte auch das leiseste das Klopfen auf. Aber die Magie blieb. Sie war schon immer in ihm vorhanden gewesen und durch die Selenverbindung aktiviert worden. Doch Cedrik war nicht so vermessen zu glauben, dass er nun besser oder gar perfekt in den magischen Künsten sei.
Denn was er noch nicht gelernt hatte, war auch noch nicht in seinem Wissen verankert. Und es gab noch eine ganze Menge zu lernen!
Lächelnd stand Rutaara da, die Hand auf Lyraels Kopf gelegt der regungslos neben ihr saß und blickte Cedrik an. Er hatte die Stirn gerunzelt und blickte fragend abwechselnd zu Assasina und ihr.
„Du scheinst mir etwas verwundert, Halbelb“, sagte sie und offenbarte ihm somit, dass er ein Teil ihres Volkes war. „Bitte, komm ein Stück beiseite, ich habe da einige Dinge die ich dir erzählen muss und einige Fragen, die du mir beantworten musst!“ Die Elbin wandte sich danach an Catyua:
„Ich werde dir deinen Liebsten für einen Moment entführen. Es gibt da einige Dinge, die wir klären müssen und du hast doch bestimmt auch ein paar Fragen an Assasina. Keine Sorge, es wird nicht lange dauern … denke ich.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich um winkte Cedrik, ihr zu folgen und begab sich an den Rand der Lichtung. Rutaara setzte sich an den Fuß einer alten Eiche und wartete, denn Cedrik stand noch immer wie angewurzelt bei den anderen.
Cedrik biss sich auf die Unterlippe. Wie hatte man ihn eben genannt? Doch er nickte Catyua zu und öffnete seine Finger, um die Hand seiner Liebe los zu lassen. Es durchfuhr ihn wie ein scharfes Messer, als sich ihre Hände trennten und den Magiestrom unterbrach. Nach kurzer Überlegung ging er zu Rutaara und setzte sich vor sie hin. Er überkreuzte die Füße und sah Rutaara ernst an. Doch er konnte keinerlei Spott oder Schadenfreude in deren Augen erkennen. Nur etwas, das er eigentlich Zuneigung nennen würde.
„Wie habt Ihr mich eben genannt? Ich denke, Ihr habt Euren Scherz mit mir weiter getrieben, als dies Assasina je tat!“ Doch schon als Cedrik dies sagte, ahnte er dass er sich vorhin nicht verhört hatte. Wieder tauchte in seinen Gedanken jener Name auf: Ellanah!
War da nicht eine kleine sympathische Schwingung tief in ihm? Tauchte da nicht auch das edle Männergesicht aus der Spiegelschale auf? Wie es sich über etwas oder jemanden beugte und ein weiches Lächeln dieses ansprechende Gesicht leuchten ließ
Cedrik sperrte alle störenden Gefühle und Gedanken aus, um sich besser auf Rutaaras Erklärung konzentrieren zu können. Und sie war ihm auf alle Fälle eine solche Erklärung schuldig.
Rutaara sah Cedriks Verwirrung. Sie holte tief Luft und begann:
„Du denkst wieder gerade an einen bestimmten Namen, nicht wahr?“
Cedrik nickte erstaunt und Rutaara fuhr fort:
„Ellanah war der Name deines Vaters, Cedrik. Wie du sicher schon gemerkt hast, steckt einiges an Magie in dir, was für 'normale' Menschen unmöglich ist. Nun, das kommt daher, weil dein Vater Ellanah ein Elbe war. Ich kannte ihn und auch deine Mutter und es hieß, ihr einziges Kind sei mit ihnen gestorben. Die genauen Umstände über die Ermordung deiner Eltern kenne ich nicht, weiß nur, dass deine Mutter Sarvena – eine Menschenfrau – bei dem Überfall alles getan hatte, um dich zu beschützen und in Sicherheit zu bringen!“ Rutaara machte eine Pause. Sie wollte Cedrik einen Moment Zeit lassen und ihm die Möglichkeit geben, diese Information zu verarbeiten und eventuelle Fragen zu stellen.
„Dann war das Bild, das ich in der Spiegelschale sah, meine Vergangenheit?“ Cedrik schluckte. Er war also wirklich der Sohn Ellanahs. Cedrik senkte den Blick und überdachte die Informationen, die er eben erhalten hatte. Nach wenigen Augenblicken hob er den Blick und meinte leise und mit seltsam heiserer Stimme:
„Der Sohn eines Elben, also aus Eurem Volke und einer Menschenfrau? Wie nanntet Ihr sie? Sarvena? Hm, … ja dieser Name! Ellanah und Sarvena! Dann habe ich ihren Tod gesehen? Und Ihr meint, der Inhalt des Korbes, den sie im Wald zurück ließ, wäre ich gewesen? Dann war der Mann mit dem Mantel wirklich Furkhurx?“
Nicht eine Sekunde lang nahm Cedrik an, dass Rutaara eventuell ihn belügen könnte. Elben konnten nicht lügen! Die Wahrheit biegen … ja, oder sie verschweigen, … auch! Doch niemals lügen!
Langsam kam ihm zu Bewusstsein, was dies bedeuten musste. Er brauchte nicht mehr den Auftrag seines Ziehvaters ausführen. Er wusste bereits jetzt, wer und woher er war. Doch Cedriks starkes Gerechtigkeitsempfinden hinderte ihn daran, den Gedanken zu Ende zu führen. Denn auch wenn er nun seine Wurzeln kannte, so war sein Meister und Ziehvater noch immer mit dem Verbannungsfluch belegt. Und da war auch noch immer Catyua. Elben lebten viele Jahrhunderte lang, doch er war nur zum Teil Elbe. Hatte er dennoch so viel Zeit, seine Liebe zu diesem Wesen zu vertiefen, dass beider Seelen immer wieder zusammen finden konnten? Nach jedem Tod? In jedem Jahrhundert? In allen Zeitströmungen?
Er würde Catyua immer und überall erkennen und lieben. Cedrik fuhr sich nachdenklich durch die Locken. Um Catyua und ihn für alle Zeiten zu verbinden würde ein anderes, älteres, tieferes Ritual nötig sein. Ob Rutaara dies wusste? Er hatte einmal, vor Jahren durch Zufall einem solchen beigewohnt. Es hatte ihn tief berührt. Er konnte sich sogar noch an den Namen erinnern, den die alte Priesterin damals genannt hatte: Mascha'allah!
„Ja, was du in der Schale gesehen hast, war ein Teil deiner Vergangenheit. Und da du lebst, hatten deine Eltern Erfolg. Lange Zeit wurde nach dir gesucht, denn niemand hatte die Leiche eines Kleinkindes nach dem Überfall gefunden. Irgendwann verlor sich jede Spur und zum Schluss dachten wir alle, du wärst von Wölfen geraubt worden. Es war vielleicht Schicksal, dass ausgerechnet der Menschenmagier Furkhurx dich gefunden und aufgezogen hat, dir somit das Wissen über Magie beigebracht auch hat. Damit hat er etwas Großes vollbracht, denn es ist schwer die Magie der Elben unter Kontrolle zu halten.“
Rutaara war erstaunt, dass Cedrik es teilweise so gefasst nahm was sie ihm eben erzählte. Doch sie spürte auch deutlich die Welle der Verzweiflung über ihn zusammen brechen.
„Was ist? Sag mir, was dir durch den Kopf geht. Ist es Catyuas wegen?“
Cedrik nickte unbewusst. Seine Augen füllten sich mit Tränen der Verzweiflung. Jetzt, wo ihn seine Vermutung über das Spiegelbild bestätigt worden war, fühlte er sich unglücklich. Wieder einmal spielte das Element „Zeit“ eine unglaublich starke Rolle. Er hob den Blick und öffnete den Mund zu einer Antwort, doch gleich darauf schloss er ihn wieder. Abermals setzte er zu einer Antwort an.
„Verzeiht wenn ich Eure Geduld an die Grenze bringe. Ja, ich dachte eben an dieses Wesen, das mehr als nur meine Zuneigung und Liebe besitzt. Und es geht um …!“ Cedrik brach ab. Wie sollte er Rutaara erklären, dass er Kenntnis von einem Ritual hatte, das er nie im Leben je kennen lernen hätte dürfen? Aber wie er es auch drehte und wendete, wenn er wollte dass Catyua und er bis in alle Zeiten ihr Schicksal erfüllen durften, musste er es sagen.
Cedrik atmete tief und zitternd auf, dann versteifte er sich und sein Blick ging offen und ohne ein Lid zucken direkt in Rutaaras Blick.
„Mascha'allah!“
Cedrik senkte den Blick und auch den Kopf und wartete auf Rutaaras Antwort. Insgeheim erwartete er, dass Rutaara ihm sicher den Kopf abreißen würde.
Rutaara zuckte zusammen und zischte empört:
„Das Mascha'allah wird im Verborgenen ausgeführt und kein Mensch oder sonstiges Wesen dürfte wissen, dass es dieses Ritual gibt. Aber da du es zu kennen scheinst, weißt du sicher auch, dass es nicht gerade gefahrlos für jene ist, die die Verbindung durch das Mascha'allah eingehen. Wenn Catyua dieses Ritual nicht durchhält, verliert sie nach ihrem Tod ihre Seele und diese wird nicht mehr wiedergeboren werden! Bist du dir darüber im klaren?“
Während Rutaara gegenüber Cedrik saß, stand Catyua immer noch sprachlos vor der Elfe. Das warme Gefühl konnte sie auch noch jetzt spüren, doch nachdem Cedrik seine Hand aus ihrer befreit hatte, war es weitaus schwächer geworden. Es war beängstigend was dieser Junge mit ihr anstellte. Es gefiel ihr nicht – nun ja, eher sollte es ihr nicht gefallen so dermaßen abhängig von ihm zu sein. Doch ihr Körper war nicht in der Lage Unwohlsein zu empfinden, zu stark war das sie erfüllende Glück gewesen.
„Was ist geschehen?“, brachte sie schließlich hervor. Assasina antwortete ihr zuerst nicht. Dann jedoch meinte sie lächelnd:
„Setz dich erst einmal zu mir!“ Sah Catyua in Assasinas Augen … Zuneigung? Besorgnis? Aber warum …?
„Bitte, ich möchte wissen, was mit mir – mit uns – geschehen ist!“ , begann das Mädchen erneut. Setzte sich dann langsam auf den Boden.
„Natürlich! Ich weiß nur noch nicht, wie ich es am besten sage …“, begann die Elfe.
Cedrik zuckte erschrocken zusammen. Sein Nicken war beinahe nicht zu sehen.
„Ich weiß. Und ich kenne auch die Gefahr!“ Cedrik hob den Blick und nun öffnete er sich auch seelisch. Er bot Rutaara seine wahre Seele ohne einen irgendwie gearteten Schutz dar. „Ich sehe keinen anderen Weg, Catyua aus meinem Leben, Herzen und meiner Seele zu reißen. Ihr solltet alles über mich vergessen, Herrin! Alles was Ihr je über mich oder meine Vergangenheit gehört habt. Und nehmt mir dieses Leben. Wenn Ihr dies jedoch nicht wollt, so erlaubt mir Catyua soweit zu schützen, dass sie dieses Ritual auf alle Fälle überlebt. Entweder im Leben vereint, oder im Tod. Denn wenn Catyuas Seele nie mehr wiedergeboren würde, dann würde auch meine eigene vergehen. Ihr wisst, dass ich recht habe. Ich habe damals das Ritual nicht aus freien Stücken erlebt. Aber da ich weiß, worum es dabei geht bitte ich Euch, Catyua und mich …!“
Cedrik unterbrach sich, als ihm aufging, was er beinahe in seiner Verzweiflung getan hätte. Nun verschloss er sich. Ohne Catyuas Vertrauen zu ihm und zu dem, der das Ritual ausübte, würde es zu einem Fiasko werden. Denn die beiden Seelen, die verbunden würden, lösen sich während des Rituals in ihre Urform auf, verbinden sich erneut und trotzdem beide dann wieder in ihre eigenen Körper zurück kehren, bleiben sie für alle Zeiten eine Einheit. Darum hieß ein Teil der Ritualisierungsformel: Entstanden aus zwei, seid ihr nun eins.
Als Cedrik daran dachte, lief ihm erneut ein Schauer über den Rücken. Er war bereit darauf einzugehen, doch es ging hier eher um Catyua. Denn dass es bereits starkes Vertrauen zu ihm von Seiten des Mädchens gab, hoffte Cedrik von ganzem Herzen, erwartete es aber nicht.
„Ich kann das Mascha'allah vollziehen, auch wenn ich mir damit den Zorn der Ahnen einhandle, denn dieses Mascha'allah wird das Verborgenste von allen. Einen Halbelb und ein Albenmädchen in Gegenwart von Menschen zu einen wird von ihnen bestimmt nicht gern gesehen“, meinte Rutaara Stirn runzelnd. „Aber das ist mir egal. Ich werde alles tun, was nötig ist. Sprich du mit Catyua, bereite sie vor. Ich werde inzwischen bei mir alles vorbereiten!“
Cedrik konnte nicht fassen, was er hörte. Seine Gesichtsfarbe wechselte vor Freude zwischen blass und rot hin und her. Langsam erhob er sich und sah Rutaara ernst an. Dann trat er einen Schritt näher, nahm ihre Hände vorsichtig in die seinen und legte sie mit dem Handrücken an seine Stirn. Nur Sekunden lang, dann ließ er sie los, verneigte sich tief und ging zu Assasina und Catyua.
Als er neben den beiden Frauen ankam, blieb er in einem respektvollem Abstand stehen. Leicht neigte Cedrik den Kopf und meinte leise:
„Verzeiht, ich möchte nicht aufdringlich sein …!“ Er unterbrach sich, kaum waren die Worte gesagt. Kurz ging sein Blick zu Catyua. Hatte sie nicht vorhin auch ihre Frage so begonnen? Kurz huschte ein Lächeln über sein Gesicht, doch gleich darauf wurde er wieder ernst.
„Darf ich Euch kurz sprechen? Doch ehe Ihr antwortet, gestattet mir eine Frage. Vertraut Ihr mir?“ Cedrik wusste, jetzt kam alles auf Catyuas Antwort an. Und er wusste auch, dass sie ehrlich antworten würde. Was er allerdings machen würde, wenn ihr Vertrauen nicht ausreichen würde, daran getraute sich Cedrik nicht einmal zu denken.
Catyuas Augen verweilten immer nur kurz bei Assasina, immer wieder huschten sie zu Cedrik hinüber, in der Hoffnung seinem Blick zu begegnen. Sie konnte nicht aufnehmen, was ihr die Elfe erzählte, nur wenig drang durch das Chaos bis zu ihr vor. Das würde sie bestimmt später bereuen, denn wann würde Assasina wohl wieder so bereitwillig auf ihre, Catyuas, Fragen antworten? Doch sie konnte nichts dagegen machen. Es war zu stark. Zu mächtig. Und auf eigenartige Weise wunderschön.
Da Catyua beinahe keinen Blick von Cedrik ließ, bemerkte sie auch gleich, dass der junge Magier sich erhoben hatte. Jede Faser ihres Körpers sehnte sich nach ihm. Und sie hätte springen können vor Freude, einzig und allein weil ihn seine Schritte in ihre Richtung führten. Cedrik kam tatsächlich zu ihr und Assasina und … sprach sie an. Womit er Catyua noch mehr verwirrte. Was bedeutete denn diese Frage? Benommen antwortete das Mädchen einfach was ihr ganzer Körper und ihr Herz förmlich schrie:
„Ja!“
Begleitet wurde dieses einzige, einfache und doch so Bedeutung schwere Wort von einem seligen Lächeln, das zeigte dass es die Wahrheit war.
Cedrik nickte. Etwas anderes konnte er nicht tun, angesichts der Tatsache, dass sie ihm tatsächlich vertraute. Er streckte eine Hand aus und als Catyua ihre hinein legte, führte er sie etwas abseits. Nun kam der schwerste Teil, denn er musste ihr sagen, dass …!
„Ich kenne nun meine Herkunft, Rutaara hat sie mir offenbart. Ich habe nun keinen zwingenden Grund mehr, den König um die Erfüllung seiner Zusage zu bitten. Da ich jedoch für den Schutz des Prinzenpaares abgestellt wurde, werde ich diesen Teil meines Auftrages noch erfüllen, danach jedoch meiner Wege ziehen!“
Cedrik sah das erbleichen Catyuas, des Mädchens das er mehr liebte als sein Leben. Und er sah den fassungslosen Blick. Sein Griff um Catyuas Hand wurde fester, denn er hatte nicht die Absicht, sie noch tiefer ins Gefühlschaos zu lassen. Er zog sie näher an sich und nahm nun auch ihre andere Hand. Wieder einmal versank er in ihren Augen und es kostete ihm Mühe, sich daraus so weit zu lösen, dass er fortfahren konnte.
„Rutaara offenbarte mir, dass meine Eltern Elb und Mensch waren. Nun gibt es ein Ritual das zwei Liebende vereint. Für immer und alle Zeiten. Rutaara kennt es und würde es bei uns beiden vollziehen. Doch es ist gefährlich. Für dich. Für mich. Es kann deinen Tod bedeuten, so wie es meinen bedeuten kann. Deshalb meine Frage vorhin, ob du mir vertraust. Bei diesem Ritual, es nennt sich Mascha'allah, werden die Körper und die Seelen der beiden für einander Bestimmten aufgelöst und für immer vereint. Obwohl sie nachher immer noch zwei eigenständige Personen sind, sind sie von da an auch eine Einheit. Es basiert auf unendlich großer und bedingungsloser Liebe und auch auf ebensolchem Vertrauen.“
Abermals schwieg Cedrik und überdachte seine bisherigen Worte. Er nickte. Ja er würde für Catyua in den Tod gehen, falls es erforderlich wäre. Ohne ein Wenn und Aber! Er würde sein ICH ohne mit der Wimper zu zucken sofort aufgeben und nur noch für sie leben. Er hatte sehr wohl Angst vor dem Tod. Er hing ebenso am Leben wie jeder andere auch. Doch der Tod durch das Mascha'allah würde Zeitlinien unabhängiges Leben und ebensolche Liebe bedeuten. Er und Catyua würden immer wieder zueinander finden.
„Verstehst du, was ich sage? Darum meine nochmalige Frage. Vertraust du mir? So sehr, dass du den Schritt wagen würdest, dich mit mir auf einer Ebene zu vereinen, die normale Menschen als Tod einstufen würden? Überlege gut, ehe du antwortest. Wäge genau das Für und Wider ab. Denn du würdest nie mehr so sein wie vorher. Auch ich nicht. Und wenn dein Vertrauen und deine Liebe zu mir nicht so groß sind, dass du es wagst, ist es besser du sagst dies jetzt, bevor du während der Prozedur erkennst, dass es so ist!“
Cedrik fühlte Schwäche in sich aufsteigen. Wie konnte er diesem Mädchen vor sich begreiflich machen, dass sie eventuell ihren Tod fand, wenn sie das Ritual der absoluten Verbindung zustimmte, falls Vertrauen und Liebe nicht stark genug waren. Dass sein Teil stark genug war, wusste Cedrik. Denn Catyua beherrschte nicht nur sein Denken, sondern auch sein Herz und seine Seele. Von Minute zu Minute mehr. Abermals wollte sich ein magischer Kontakt aufbauen, doch Cedrik konnte dies jetzt nicht gebrauchen, denn dies würde Catyuas Antwort beeinflussen. Cedrik löste also sich von Catyua, trat ausserdem eine Schritt zurück und der Magieaufbau erlosch. Nun kam alles allein auf Catyuas Antwort an.
Während Cedrik mit Catyua sprach, saß Rutaara weiterhin am Fuße der alten Eiche. Sie hatte sich mit dem Rücken an den Baum gelehnt und die Augen geschlossen.
'Das Mascha'allah!', dachte sie und ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab. 'Ich hoffe nur, die Beiden wissen, was das bedeutet. Cedrik könnte es ahnen, aber Catyua? Sie ist so … so unschuldig. Weiß sie was sie ist? Kennt sie ihre verborgenen Kräfte?' Rutaara schüttelte den Kopf. 'Darüber sollte ich jetzt nicht nachdenken. Damit bei dem Ritual alles klappt, brauche ich einen freien Geist. Die Kräuter und Glühsteine sollte ich auch noch aus meiner Tasche hervor kramen.'
Die Elbin stand auf, huschte zu dem ihr zugedachten Platz am Feuer, kramte kurz in ihrer Reisetasche und zog Kräuter und auch die Glühsteine mitsamt deren Lederbeutel hervor. Dann fiel ihr noch etwas ein – sie hatte vor ihrer Abreise zu dieser Mission von einer alten Zwergin ein Gewand geschenkt bekommen, von dem diese sagte, es sei von den Ahnen gewoben worden und würde einen Teil ihrer Magie in sich tragen.
'Es wäre sicher kein Fehler, es bei der Zeremonie zu tragen', dachte sie und nahm auch das leichte, silbrig schimmernde Gewand aus der Tasche heraus. Nun huschte sie wieder zu der alten Eiche und stellte sich hinter sie, damit sie sich ungesehen umziehen konnte.
„Cedrik, ich … du …!“, begann Catyua atemlos und stotternd. „Lass mir einen Moment Zeit, bitte“, bat sie und im nächsten Moment kam auch schon die Antwort: „Ja, natürlich vertraue ich dir!“
Catyua musste erst einmal mit sich selbst ins Reine kommen und so wollte sie kurz nachdenken. Als sie sich eingestand, dass dieser Jungmagier ihr mehr bedeutete als ihr Leben, wusste sie was sie tun musste. Bei ihrer Selbsteinsicht wurde es für alle Zeiten besiegelt, dass ihr Körper und ihr Herz ihm gehörte. Und so öffnete sie die mühsam geschlossen gehaltenen Augen und blickte ihn fest an.
„Ich habe überlegt, habe aber trotzdem gleich die Antwort gesagt, denn mein Körper und mein Herz gehören mir nicht mehr. Sie gehören DIR! Zusammen mit Seele und Verstand, auch mein Herz ist das deine und ich will weder noch kann ich mich je wieder von dir trennen! Ich lasse alle Gefahren außer acht – für dich! Ich will es tun, für alle Zeiten. Der Tod soll uns nie wieder trennen. Ich würde die ganze Welt aufgeben für dich. Alles was ich benötige … bist du!“
Catyua fühlte sich fast schon erschöpft nachdem sie dies alles ausgesprochen hatte, aber eine tiefe Glückseligkeit durchfloss sie so sehr, dass es wohl auf der gesamten Lichtung zu spüren sein musste. „Cedrik, meine Antwort ist, dass ich dir mehr als allem auf der Welt vertraue und dass meine Liebe zu dir die Welt überdauern würde!“
Cedrik konnte sein Glück kaum fassen. Kurz setzte sein Herzschlag aus. Um sofort wieder einzusetzen. Cedrik trat dicht an Catyua heran und nahm ihre Hände in die seinen. Anschließend führte er diese an seine Stirn und legte sie leicht daran. Sekundenlang blieb er so stehen, dann jedoch ließ er Catyuas Hände sinken und auch los. Kurz sah er in ihren Augen Schrecken aufzucken. Doch Cedrik hatte nicht die Absicht, sie jetzt allein zu lassen. Sein Blick glitt über die abseits lagernde Gruppe.
Das Prinzenpaar saß eng umschlungen am Boden und war mit sich selbst beschäftigt. Zur Zeit benötigte es offensichtlich Cedriks Aufsicht nicht. Rutaara konnte er momentan nicht sehen. Und der Rest der Gruppe?
Ehe Cedrik die restlichen Gruppenmitglieder lokalisieren konnte, trabte Sternenlicht zu ihm und gab ihm einen zarten Nasenstüber, der Cedrik gegen Catyua drängte. Er ließ sich das nicht noch einmal „sagen“ und nahm Catyua erneut in seine Arme. Er wusste, lange konnte er sie nicht halten, denn er musste sich auf das Ritual vorbereiten. Doch für einen zarten und doch schnellen Kuss war immer Zeit. Und Cedrik nützte reichlich die verbleibende Zeit.
Rutaara hatte sich inzwischen das Ritualgewand angelegt und saß nun für alle sichtbar wieder im Schneidersitz am Fuß der Eiche. Der Tag hatte sich mittlerweile zur Nacht gewandelt und ein voller Mond erleuchtete die Lichtung. Lyrael hatte sich neben ihr nieder gelassen und es schien beinahe, als leuchtete im Mondlicht sein schneeweißes Fell mit ihrem weißblondem Haar, das sie nun offen trug so dass es in leichten Wellen über den Rücken fiel, um die Wette.
'Eine perfekte Nacht für das Mascha'allah, findest du nicht auch?' fragten seine Gedanken sie. „Ja, das ist es“, flüsterte Rutaara ihre Antwort. Etwas wehmütiger folgte nach: „Wie ich die beiden doch beneide! Ich weiß, so etwas ist nicht gerade nett, aber wie gerne sehe ich und anstatt ihrer bei dem Ritual. Wird es uns je gelingen, diesen elenden Fluch von dir zu nehmen?“
Lyrael knurrte und seine Gedanken formten: 'Denke jetzt nicht daran! Du brauchst jetzt einen klaren Kopf und musst deine Kräfte sammeln. Ich werde so lange still neben dir wachen.'
Rutaara lächelte und schloss ihre Augen. Solange sie noch keine Antwort von Cedrik und Catyua hatte, musste sie sich konzentrieren und ihre Kräfte sammeln.
Cedrik konnte sich nicht satt trinken an Catyuas Küssen. Doch schließlich trennte er sich, wenn auch mit Mühe und großer Not, von ihren Lippen. Er merkte erst jetzt, dass der Mond aufgegangen war und sein weiches Licht über die lagernde Gruppe sandte. Cedriks Blick suchte Rutaara und fand sie. Sie saß neben dem Baum und war … anders!
Irgendwie schien sie auf eine eigenartige Weise entrückt zu sein. Sie war seltsam fremd und von einer machtvollen Aura umgeben, dass Cedrik erschauerte. Doch er würde nicht von seinem Vorhaben abweichen. Er nahm Catyuas Hand in die seine und ging mit ihr zu Rutaara hin. Dicht vor ihr blieb er stehen und sah erst den Wolf an, dann die Elbe. Er verneigte sich tief vor ihr und sagte mit vor Aufregung und Angst heiserer Stimme:
„Wir sind bereit!“
Cedrik setzte sich vor Rutaara auf den Boden, zog Catyua mit sich und wartete darauf, dass Rutaara die traditionelle Einleitungsformel sprach und mit dem Mascha'allah das bisherige Leben und die Daseinsform Cedriks und Catyuas auslöschte.
Die stärker werdende Angst schnürte Cedrik den Atem ab. Doch es war keine Angst vor dem Ritual, sondern davor dass Catyua oder er eventuell nicht stark genug waren, ihren vorübergehenden „Tod“ ohne Gegenwehr zu akzeptieren. Denn dass sie beide nicht wirklich starben … oder doch … aber wieder geboren wurden, das wusste Cedrik bewusst, aber ob er seine innere Gegenwehr so tief als nötig halten konnte, das würde sich spätestens beim Ritual heraus stellen.
Er sah sich kurz um wo jeder der Gruppe sich befand, um im Notfall keinen zu treffen und zu verletzen oder zu töten, sollte er sich trotz allem magisch wehren. Cedrik sah Catyua an und schluckte. Er sah das große Vertrauen in ihren Augen. Und er kam sich sofort klein vor. Da saß dieses zauberhafte Wesen dicht neben ihm und er hatte ihr die Vertrauensfrage gestellt, die sie offen mit „JA“ beantwortet hatte. Was war mit ihm – Cedrik? Hatte er auch Vertrauen? Auch jetzt, wo er – ausser Rutaara – wusste, was dieses Ritual bewirkte und bedeutete? Kurz horchte Cedrik in sich hinein. Es war überraschend friedlich und still in ihm. Und auch er konnte die Vertrauensfrage nun mit ruhigem Gewissen mit einem „JA“ beantworten. Ja, er vertraute Rutaara. Und er vertraute seiner eigenen Kraft und seiner Liebe zu Catyua.
Cedriks Blick glitt zurück zu Rutaara. Und jetzt, wo er bereit war ließ er seine magischen Schutzschirme sinken und öffnete sich bedingungslos für die Kraft der Elbin. In dieser Situation war Rutaara nicht mehr Rutaara, sondern eine elbische Hohepriesterin, eine ihrer Ahnen und deren Gesetzen und Kräften verpflichtete Dienerin.
Kurz runzelte Cedrik die Stirn, als sich sein Herzschlag unbewusst an den Catyuas anpasste und ihre Atmung an die seine. Doch gleich darauf glättete sich Cedriks Stirn, als er und Catyua durch ein zartes, silbrig glänzendes Band verbunden wurden. Irgendwo tief in Cedrik fragte er sich, woher dieses magische Band wohl kam, doch Cedrik merkte es längst nicht mehr bewusst. Er hatte begonnen, sich auf das kommende Ritual zu konzentrieren, an seiner Seite Catyua.
Rutaara hatte die Augen geöffnet, als die beiden vor ihr Platz nahmen. Jedem von ihnen unterzog sie einer genauen Sondierung, bevor sie mit dem Ritual begann. Beide nahmen das Geschehen äußerst ernst und waren zu allem bereit, um ihre Liebe zu vereinen.
„Cedrik, setze dich Catyua gegenüber, sodass ihr euch direkt in die Augen sehen könnt. Und bedenkt: was auch passiert, verliert niemals den Augenkontakt, denn sonst vergesst ihr einander!“, sagte Rutaara mit klarer Stimme.
Nun stellte sie eine kleine Schale mit den glimmenden Kräutern zwischen die beiden und fächelte jedem von ihnen etwas von dem Rauch, der mild nach Wasser und Wald roch, zu. Danach atmete sie selbst tief ein und begann mit der traditionellen Formel des Mascha'allah:
„Oh ihr Ahnen hört mich an … Seljhar velhar … Zwei Seelen wollen gebunden werden … Ilvver seju ashta … In dieser Nacht erbitten wir euren Segen … Velhar wylven jel maris … entstanden aus Zwei, sollt ihr Catyua und Cedrik nun eins werden … Catyua vi Cedrik seju … oh ihr Ahnen hört mich an … Seljhar velhar!“
Es dauerte etwas, ehe Cedrik das irritierende Gefühl hatte, erst tiefer zu sinken und gleich darauf leichter zu werden. Ihm war schwindlig und doch hielt er fest an Catyuas Blick. Er hätte sich nicht mit seinen Augen lösen können, selbst wenn er dies gewollt hätte. Doch er wollte das ja nicht.
Der Rauch, den Rutaara immer wieder mit leichten Handbewegungen zu ihm und Catyua fächelte, begann seinen Kopf zu füllen. Sein Atem wurde schwerer und unwillkürlich öffnete er den Mund, um leichter atmen zu können. Der Schwindel verstärkte sich. Die geheimnisvoll klingenden Worte, welche Rutaara sprach, begannen sich zu materialisieren und umgaukelten Cedrik und Catyua Sinn verwirrend. Sie wurden lauter und begannen schließlich zu strahlen. Sie stiegen höher und höher und zerfielen zu tausend hell strahlenden Sterne.
Cedrik hielt inzwischen unverrückbar mit Catyua Blickkontakt, doch er war längst auf den Weg zu ihr – um sie in seine Arme zu nehmen und mit ihr leicht wie eine Feder mit den Wortsternen aufzusteigen. Viele der Wortsterne umgaukelten sie und zogen ihn und Catyua höher und höher. Sie begannen sich rascher um die beiden schwebenden Körper zu drehen und die Kreise wurden enger und enger.
Je länger Rutaara sprach, desto mehr Magiekraft wurde frei gesetzt. Schließlich umherwirbelten die Sterne in so einer engen Runde die beiden schwebenden Seelen, dass es aussah als hätten sie eine strahlende Aureole. Schlussendlich verband sich die Strahlenaureole mit den Seelen. Catyuas Körper auf der Lichtung zitterte. Cedriks halb offenem Mund entfloh ein seufzender Schrei. Doch sein Blick wich nicht von Catyuas Augen ab. Cedriks Herzschlag verlangsamte sich, während die beiden Seelen sich enger und enger um einander drehten und schließlich zu einer Einheit verschmolzen. Dabei ließ das Glühen nach und erlosch schließlich, als es endgültig in die Seelen eindrang. Zum selben Zeitpunkt setzte Cedriks und Catyuas Herzschlag aus. Die beiden Körper starben!
Würde Rutaara nicht das Ritual durch diese kritische Phase führen, wären Cedrik und Catyua nicht mehr erweckbar. Doch Cedrik hatte auch als „Toter“ zu der Elbin und ihrem Wissen um das Mascha'allah Zutrauen.
DUNKELHEIT BEHERRSCHTE DEN GEIST. DUNKELHEIT BEHERRSCHTE DIE SEELE. DUNKELHEIT KROCH IN DIE BEIDEN KÖRPER, DIE NOCH IMMER SaßEN UND SICH MIT TOTEN AUGEN ANSTARRTEN. CEDRIK JEDOCH WAR CATYUA UND CATYUA WAR CEDRIK. SIE WÜRDEN FÜR ALLE ZEITEN EINE ZWEIEINHEIT SEIN UND BLEIBEN. GETRENNT VON DER ALLMUTTER NATUR, VERBUNDEN DURCH MAGIE UND WILLEN UND ERLAUBNIS DER AHNEN EINES VOLKES, DESSEN URALTE MAGIE DIE ALLMUTTER MIT ERSCHAFFEN HAT. DUNKELHEIT IM GEIST. DUNKELHEIT IN DEN BEIDEN TOTEN KÖRPERN.
DOCH EIN … beginnender Funke in den Seelen. Ein winziger Funke, der sich rasend schnell ausbreitet. Die Seelen mit Leben, Wärme und Wissen erfüllt. Sie erfüllt, aus ihnen heraus tritt um sich den Weg zurück ans Leben zu suchen. Dunkelheit in den beiden Körpern. Doch Licht, strahlendes Lebenslicht in den beiden Seelen, die sich nun wieder von einander lösen, sich mit dem jeweils für sie bestimmten Geist vereinen und diesem nun ebenfalls Leben einhauchen. Geist und Seele sanken tiefer. Den beiden toten Körpern zu und … betraten diese.
Erfüllten sie mit Licht. Erfüllten sie mit Wärme. Erfüllten sie mit Leben. Die Magie begann sich wieder auszubreiten. Der Tod wurde hinaus gedrängt. Cedriks und Catyuas bisher toten Augen belebten sich. Lider flatterten über schmerzenden, angetrockneten Augenäpfeln und nahmen ihre Arbeit wieder auf. Atem belebte still stehende Lungenflügel, Blut durchreiste Adern. Herzen begannen wieder zu schlagen.
Cedrik holte seufzend Luft und … verlor das Bewusstsein.
Catyua fühlte heftigen Schwindel in sich als sie wieder bewusst denken konnte. Und dann war da noch ein neues, verwirrendes Gefühl, es … fühlte sich an, als wäre sie jetzt „mehr“ aber auch, als wäre etwas mehr von ihr da als vorher. Sie glaubte ihre Seele zu spüren die sich liebkosend mit der von Cedrik verbunden hatte und jetzt erfüllten beide ihren Körper. Sie wusste, dass es auch Cedrik so ging und erschrocken entfuhr ihr ein keuchendes Quietschen, als er ohnmächtig aus seiner sitzenden Position nach hinten sank. Ihr Schrecken rührte zu einem Teil von ihrer Angst um den Magier her, aber viel größer und beängstigender war, dass es sie beinahe mit zog. Sie spürte, dass der kleine Teil ihrer Seele, der in seinem Körper steckte, ebenfalls bewusstlos war und es war unglaublich, dies zu verspüren. Catyua beugte sich vor zu ihrem Seelengefährten und legte sanft eine Hand auf Cedriks Wange. Es war ein ganz neues Gefühl, sich in diesem – ihrem – Körper zu bewegen und hinzu kam noch ihre Erschöpfung.
Rutaara atmete schwer ein und lenkte damit Catyuas Aufmerksamkeit auf sich.
„Danke! Ich … wir danken dir!“, flüsterte Catyua der Elbe heiser zu, denn natürlich wusste sie, dass Cedrik genauso fühlte. „Ist ...“, das Mädchen schluckte und konnte danach etwas leichter weiter sprechen „... mit dir und auch ihm alles in Ordnung? Ist das Ritual … richtig vollzogen? Geht es dir gut?“
Rutaara nickte. „Ja, es gab keine Schwierigkeiten. Und jetzt bin ich mir endlich sicher, das Richtige getan zu haben. Mit mir stimmt alles auch so weit, aber das Ritual hat uns alle ausgelaugt. Ihr solltet euch erst einmal ausruhen, dann wird es mit ihm schon wieder!“
Catyua nickte und lächelte Rutaara warm an.
Ganz langsam nur begann es Catyua zu dämmern, dass sie eben gestorben war, jetzt mit der Liebe ihres Lebens ihres Daseins verbunden war und … dass sie unversehrt, aber auch unendlich erschöpft auf der Lichtung saß, die ihre Seele vor wenigen Augenblicken verlassen hatte. Es erfüllte sie mit tiefer Freude in die glücklichen Gesichter im Umkreis zu blicken. Assasina, die leicht an einen Baum gelehnt dem langwierigen Ritual, das den beiden Seelen so kurz vorgekommen war, zugeschaut hatte. Agenor, der sie und Cedrik wohlwollend beobachtete. Und alle anderen, auf deren Gesichtern auch keine ablehnende Regungen zu erkennen waren.
Erleichtert legte Catyua auch die andere Hand, mit der sie sich vorhin auf den Boden gestützt hatte, an das jetzt warme Gesicht des jungen Magiers und küsste ihn sanft, als sich seine Augen flatternd öffneten.
Die Stimmung auf der Lichtung wirkte wie ein liebliches Lächeln auf die Albin, aber es konnte auch an ihren neuen Gefühlen liegen, dass alles um sie herum zu strahlen schien. Sie waren so ausgelassen wie lange nicht mehr, auch wenn sich Cedrik kaum auf den Beinen halten konnte und mit Catyua neben sich auf dem Boden saß. Rutaara hatte die Augen geschlossen und befand sich jetzt neben dem wärmenden Feuer.
Es war beinahe zu schön um wahr zu sein. Das Leben kam Catyua auf einmal wunderbar vor. Aus ihren ersten Jahren hatte sie gelernt, dass nichts nur gut lief. Und schon gar nicht so gut. Deshalb ließ sich der kleine Rest lästiger, ängstlicher Wachsamkeit nicht verdrängen.
Cedriks Augen öffneten sich und das erste, das er wahrnahm, spürte, fühlte und begriff: er war gestorben und wieder geboren worden!
Etwas berührte seinen Mund, seine Lippen und es war ein bekanntes und doch ganz neues Gefühl. Tief in sich spürte Cedrik einen nie gekannten Jubel und eine Freude, die er nie für möglich gehalten hätte. Noch immer berührten sanfte, weiche Lippen seinen Mund und ein Name formte sich in Cedriks Herzen und Kopf: Catyua!
Cedrik hob die Arme und legte sie fest und sanft zugleich um jene, die für immer und in jeden Zeitaltern von seiner Seele erkannt und geliebt werden würde. Er erwiderte ihren Kuss und als ihm schließlich der Atem weg blieb, löste sich Cedrik von Catyua, versuchte sich aufzusetzen und griff sich mit einer raschen Bewegung an den Kopf. Darin hatte ein riesiges und uraltes Hammerwerk seine Arbeit begonnen und Cedrik hatte sekundenlang den unerfreulichen Eindruck, als würde gleich sein Kopf auseinander fallen. Der Druck auf seine Ohren verringerte sich zwar gleich darauf, aber das Hammerwerk hinter Cedriks Stirn hatte seine Arbeit verstärkt und verursachte beginnende Übelkeit.
Cedrik hatte sich inzwischen mit Stöhnen und zusammen gebissenen Zähnen aufgesetzt und lehnte am Stamm eines Baumes. Langsam klärte sich sein Blick und er sah dicht vor sich das bekannte Gesicht seiner Catyua. Unwillkürlich verzogen sich Cedriks Lippen zu einem kleinen Lächeln und er atmete erleichtert auf, als das Hammerwerk in seinem Kopf die Arbeit einstellte. Die Übelkeit verschwand und jetzt bemerkte er auch die zu Tode erschöpfte Rutaara in seiner Nähe. Er wollte ihr helfen, doch sie winkte ab und sandte ihm einen strengen Blick.
„Du solltest dich noch schonen und etwas essen. Du benötigst deine Kraft noch. Mir geht es gut und alles andere wird ein kräftiger Imbiss richten!“
Cedriks Blick fiel auf das magische Gewand der Elbin und noch nachträglich lief ihm ein ehrfürchtiger Schauer über den Rücken.
Inzwischen hatte einer von Agenors Männern ein kleines, nachträgliches Abendmahl gebracht. In Stücke gebrochenes Brot und in saftige Blättern gegartes Gemüse. So wie einige Stücke von geräuchertem Schinken. Rutaara verlangte auch noch Wasser und als ihr dieses in einem alten Reisekessel gebracht wurde, stellte sie diesen auf das Feuer, das in ihrer Nähe brannte und wartete, bis es aus dem Kessel zu dampfen begann. Da mit dem Kessel auch einige Becher gebracht worden waren, goss Rutaara nun diese voll und gab je einen Catyua und Cedrik. Sie selbst trank ebenso. Cedrik verbrannte sich beim ersten Schluck die Lippe, doch sein Körper nahm die heiße Flüssigkeit, in der stärkende Kräuter schwammen, dankbar auf. Er konnte direkt spüren, wie seine Lebensgeister wieder zurück kamen. Mit jedem weiteren Schluck wurde ihm wärmer und er atmete auf, als er merkte wie auch die Blässe aus Catyuas Gesicht verschwand. Ihr Blick traf den seinen, vereinigte sich mit ihm und hinterließ in Cedrik eine Feuerspur.
'So war das also, wenn zwei Seelen sich für alle Zeiten vereinten!' dachte Cedrik und wieder durchlief ihn ein Schauer. Ob aus Ehrfurcht oder aus noch nachträglicher Angst konnte Cedrik nicht sagen. Und es war ihm auch ziemlich egal. Denn er spürte Catyua überall in sich, obwohl sie zwar dicht neben ihm saß, doch ohne ihn zu berühren und in ihrem eigenen Körper.
Rutaara hatte sich etwas abseits der anderen nieder gelassen und saß, den Arm um Lyrael gelegt, still und im Gedanken da. Sie freute sich für Catyua und Cedrik und war froh, dass das Mascha'allah so erfolgreich war. Sie holte tief Luft. Das Ritual hatte ihre Kraft erschöpft und es würde etwas länger als gewöhnlich dauern, bis sie wieder vollständig zurück gekehrt war. Sie nahm einen Schluck von dem Tee und eine wohlige Wärme breitete sich in ihr aus.
'Liebste“, vernahm sie die Gedanken des Wolfs. 'Ich bin hungrig. Würde es dir etwas ausmachen, wenn ich dich für einen Moment allein lasse? Ich werde mir was zu essen beschaffen und wenn ich Glück habe, auch gleich für die anderen dazu!'
'Ja mach das. Schon in Ordnung. Es droht zur Zeit hier keinerlei Gefahr', gab die Elbin ebenfalls gedanklich Antwort. Sie streichelte über Lyraels Kopf und meinte leise:
„Pass gut auf dich auf, mein Geliebter!“ Und Lyrael verschwand wie ein Schatten im Mondlicht.
Cedrik verspürte Müdigkeit in sich aufsteigen, gähnte verhalten zweimal und warf einen Blick zum Nachthimmel. Noch blinkten oben Sterne, doch der Mond hatte sich hinter einer Wolke versteckt. Kurz dachte Cedrik daran, dass es nicht gut wäre wenn es zu regnen beginnen würde, doch der Himmel färbte sich im Osten bereits ganz leicht rosa. Hatte das Ritual denn so lange gedauert? Oder hatte es etwas anderes zu bedeuten?
Es war ein eigenartiges Rosa, als würde der untere Rand der Farbschlieren brennen. Oder glühen. Cedrik ließ seine Blicke herum wandern. Einige von Agenors Männer schliefen. Das Prinzenpaar schlief augenscheinlich ebenso, eng aneinander gekuschelt. Rutaara sah ihrem Wolf nach, der auf leisen Pfoten eben im Dunkel verschwand.
Das Feuer war etwas herunter gebrannt und neben Cedrik hatte sich Catyua zur Ruhe begeben. Cedriks Blick wurde weich und ein zartes Lächeln glitt über seine Mundwinkel. Noch einmal sah er zu der Stelle am Himmel, die jetzt deutlich mehr ins Rot spielte, denn ins Rosa. War dort etwa der Widerschein eines Feuers? Doch Cedrik wandte seinen Blick ab und Catyua wieder zu. Er gähnte erneut und legte sich neben Catyua auf den Boden. Er nahm sie in den Arm und spürte ein heftiges Glücksgefühl, als sie sich in seinen Arm kuschelte. Cedrik schloss die Augen und hieß den rasch kommenden Schlaf willkommen.
Catyua schlug die Augen auf, von einem unheimlichen Gefühl der Unruhe geweckt. Sie lag im Arm Cedriks und war bemüht, ihn nicht zu wecken, als sie sich seiner Umarmung entzog. Ein unwilliges Murmeln kam über seine Lippen, was ein warmes und wohliges Glücksgefühl in ihr erwachen ließ. Es war ein seltsames Empfinden, noch selbst halb im Schlaf auf der müde wirkenden Lichtung zu stehen und die Schlafenden zu beobachten. Sie fühlte sich irgendwie … belustigt davon als einzige hier wach zu sein. Gleich darauf allerdings fragte sie sich, warum sie als einzige wach war, denn der Morgen graute schon. War das tatsächlich die Sonne, die dort am Horizont aufging? Es wirkte eher wie der unwirkliche Widerschein eines furchtbaren Feuers. Es glühte und flimmerte in einem unheimlichen Rot. Angst ergriff Catyua und ließ sie erbeben. Cedrik hatte es scheinbar auch verspürt, denn er öffnete eben die Augen und blickte sie erschrocken an.
„Liebster“, wisperte sie, von seinem Blick beinahe beruhigt. „Habe ich dich geweckt?“
Cedrik nickte langsam.
„Was bedrückt dich?“ wollte er sanft flüsternd wissen. Catyua sah nach Osten und hatte das fatale Gefühl, dass sich der Feuerschein – sie war sich jetzt ganz sicher, dass dies nicht die aufgehende Sonne war – in ihren groß gewordenen Augen widerspiegeln musste. Cedrik erhob sich und stellte sich neben Catyua.
„Was um Himmels Willen …!“
Cedrik war dem Blick Catyuas gefolgt. Er runzelte die Stirn und legte unwillkürlich beschützend den Arm um sie. Er fühlte ein mächtiges Gefühl der Freude, als sie sich an ihn drückte. Doch da war noch etwas anderes. War es Sorge? Angst? Grauen?
Cedrik hätte es nicht sagen können, doch es war ziemlich störend. Noch immer sah er in die Richtung, in die auch Catyua sah. Und plötzlich war da die Antwort auf seine ungestillte Frage, nach dem Grund dieser Himmelsfärbung:
„Die Feuer von Aanduu!“
Cedrik hatte schon oft seinen Meister davon sprechen gehört. Doch er selbst hatte die fürchterlichen Geschichten nicht wirklich geglaubt. Dass dort der Boden aufbrechen soll und das Feuer der Neun Höllen den Unbedachten zerstören würde. Dass das Wasser, das es dort auch geben soll, nicht blau oder farblos war, sondern grün oder gelb. Jeder der davon trinkt, stürbe unter qualvollen Schmerzen.
So recht konnte Cedrik dies auch jetzt nicht glauben. Wo hatte man schon grünes oder gelbes Wasser gesehen? Doch das machte Cedrik die geringsten Kopfschmerzen. Mehr belastete ihn, dass der Weg zum König durch diese Gegend führen würde. Doch vielleicht kannten Rutaara oder Assasina einen anderen, weniger gefährlichen Weg. Oder Agenor. Unwillkürlich schaute Cedrik hin. Agenor stand als einziger am Rand des Lagers und verbreitete allein durch seine ruhige und wachsame Gegenwart Sicherheit.
Cedrik zuckte zusammen, als er neben sich eine Bewegung bemerkte. Doch es war nur Rutaara, die sich zu ihnen gesellt hatte. Auch sie sah in die Richtung, in der der Himmel brannte.
„Die Feuersümpfe von Aanduu! Es führt kein anderer Weg daran vorbei. Wir werden vorsichtig sein müssen. Traust du dir das zu?“
Cedrik zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Vorsichtig war er sicher, aber dieser unheimliche Schein jagte ihm Schauer über den Rücken. Und nicht nur ihm. Catyua drängte sich näher an ihn. Durch den engen Körperkontakt spürte Cedrik, dass seine Seelenpartnerin zitterte. Cedrik sandte gleich darauf beruhigende Impulse, obwohl er befürchtete, dass auch seine eigene Angst mit spürbar wurde.
Cedrik löste den Blick vom feurigen Himmel und sah Rutaara an, die noch immer neben ihm stand und scheinbar auf eine Antwort wartete.
„Ich werde mein möglichstes tun, die Gruppe zu beschützen. Doch fürchte ich, dass mein Wissen und derzeitiges Können bei weitem nicht ausreicht, so viel Magie zu …!“
„Das habe ich dich nicht gefragt!“, unterbrach Rutaara Cedrik. Sie runzelte die Stirn. Cedrik biss sich auf die Lippen. Er zuckte abermals mit der Schulter. Eine andere Antwort fiel ihm nicht ein. Er wandte den Blick wieder dem Himmel zu und sah, dass er sich jetzt wirklich mit dem morgendlichen Rosa färbte. Das andere Feuer verblasste.
Assasina hatte seit der Zeremonie kaum ein Wort mit den anderen gewechselt. Sie freute sich für Cedrik und Catyua, dass das Ritual so gut verlaufen war und sie war froh, dass es Rutaara scheinbar nicht schlecht ging, aber etwas bedrückte sie selbst. Etwas, das ihr den Schlaf raubte und sie beschließen ließ, einen Spaziergang zu machen.
Assasina lief eine Zeit lang in die Richtung, in die sie die nächsten zwei Tage noch gehen würden, um zu erkunden ob alles in Ordnung wäre, als ihr ein rötlicher Schimmer am Horizont auffiel. War es schon Morgen? So lange war sie doch noch nicht unterwegs. Sie lief auf einen kleinen Hügel und spähte in die Ferne, während langsam alle Luft aus ihrer Lunge wich.
„AANDUU!“, keuchte sie. Das war doch nicht möglich! Rasch wandte sie sich um, nicht ohne sich noch einmal umgesehen zu haben ob sie auch tatsächlich richtig gelegen hatte mit ihrem Verdacht und lief so schnell es ihr möglich war, zur Lichtung zurück.
Assasina kam am anderen Ende der kleinen Wiese an, sodass sie hinter den drei Personen, die zum Horizont starrten, aus dem Wald heraus trat.
„Ihr habt es also auch schon bemerkt!“ Die drei zuckten zusammen und wirbelten zu ihr herum. Anschleichen war schon immer eine ihrer größten Stärken.
„Ja!“, meinte Rutaara, nachdem sie erkannt hatte, wer sie so unvermittelt angesprochen hatte. „Aber leider gibt es keinen anderen Weg um das Prinzenpaar zurück zu bringen und unsere Belohnungen zu erhalten. Wie dir ja sicher hinreichend bekannt sein dürfte!“
„Doch! Den gibt es!“, meinte Assasina, grinste als sie an das Gesicht der anderen dachte, wo sie so plötzlich erschienen war, sah jedoch nicht die Elbe an sondern beobachtete das Spiel des Feuers, das wegen der aufgehenden Sonne blasser wurde. „Ich wollte euch alle eigentlich über diesen Weg zum König führen. Der Weg, den ich gegangen bin als ich von der Hauptstadt nach Ointaglig reiste. Und ich bin mir hundert Prozent sicher, dass wir uns gerade auf dem selben Weg befinden!“
„Und was heißt das nun?“ Catyua schien verwirrt und Assasinas Blick wurde ernst und hart, als sie das Mädchen ansah. Es hatte nichts mit Catyua zu tun, sondern mit der einzigen Erklärung, die es für das Schauspiel am Himmel gab:
„Die Feuer von Aanduu breiten sich aus!“
Rutaara hörte Assasina aufmerksam zu. Dann stieß sie einen lauten, schrillen Pfiff aus. Kurz darauf erklang ein fernes Heulen und etwas später huschte ein weißer Blitz aus dem Wald heraus, an ihre Seite.
„Lyrael, zeige mir was du gesehen hast!“ Der Wolf und die Elbe sahen sich einige Sekunden lang direkt in die Augen, die Art wie Lyrael ihr das Gesehene vermittelte. Dann schloss sie die Augen, fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und seufzte.
„Es wird noch schwieriger, als ich dachte“, seufzte Rutaara und verzog genervt das Gesicht. „Am Rand der Feuersümpfe patrouillieren Feuergeister. Etwas scheint sie zu beunruhigen, denn Lyrael hat gesehen, dass sie systematisch die Grenze zum Wald bewachen!“ Rutaara machte eine kleine Pause, dachte kurz nach dann fuhr sie fort: „Das und dass sich die Feuer ausbreiten, verheißt nichts Gutes. Wie wollen wir nun weiter vorgehen?“
Catyua überdachte schnell das Gehörte. Sie konnte sich nicht wirklich einen Reim darauf machen. Die Feuer von Aanduu sollen sich ausbreiten? Das jagte ihr immer noch Schauder über den Rücken und ließ ihre Arme zittern. Das war unmöglich. Was war geschehen, dass die Höllenfeuer wuchsen? Und dessen noch nicht genug, sie hatten sich auch noch mit diesen Feuergeistern herum zu schlagen!
Diese kleinen Biester waren ebenso tückisch wie gefährlich. Flackernd wie eine Flamme verwirrten sie unaufmerksame Wanderer und hinterließen mit ihrer Schnelligkeit und Gewandtheit schmerzhafte und sehr langsam heilende Verbrennungen. Waren sie schon mehrere Jahrhunderte alt, bestand die Möglichkeit dass sich bei ihnen ein Zweig der Feuermagie ausbildete, durch den immer währender Kontakt mit einem lebenden Körper diese Magie sich in ihn hinein fressen konnte. Diese Geister mussten also etwas oder jemanden erwarten, wenn sie Streife flogen. Das war keineswegs eine natürliche Verhaltensweise.
„Was bedeutet das alles?“, flüsterte sie Cedrik zu.
Geheimnisse werden offenbart
„Moment mal!“, sagte Assasina mit einem Kopfschütteln. „Feuergeister patrouillieren dort? Was zum …?“ Assasina begann zu fluchen, was ihr einen überraschten Blick von Agenor eintrug.
„Was ist denn?“, fragte er kurz angebunden, wie es so seine Art war. Assasina, die sich nachdenklich und fluchend ein paar Schritte von den Anderen entfernt hatte, drehte sich wieder um.
„Feuergeister! Das ist es!“
Agenor blickte noch mehr verwirrter drein. Die Elfe atmete tief ein um in ihrem Kopf die Worte zu ordentlichen Sätzen zu schlichten und verarbeiten. Dann begann sie erneut:
„Feuergeister bewachen die Feuer von Aanduu! Das ist ja schön und gut und auch normal. Doch dieser Ausläufer von Aanduu gehört nicht hierher und kann noch nicht lange hier sein. Denn als ich vor einer Woche nach Ointaglig reiste, waren dort noch Bäume, Sträucher und Hasen. Diese Tatsache ist schon beunruhigend genug, aber dass JETZT schon Feuergeister hier sind, kann nur eines bedeuten! Die Ausbreitung war Absicht. Aanduu ist nicht nur so von alleine gewachsen. Jemand hat das geplant, aber vermutlich nicht wegen uns – zumindest nicht erst zu dem Zeitpunkt, als wir die Königlichen befreit haben.“
Assasina ging ungeduldig auf und ab. Alles was sie sagte, sagte sie eigentlich eher zu sich selbst und achtete darum auch nicht darauf, ob sie jemand beobachtete oder sie selbst jemanden bestimmten dabei ansah. Sie wurde nervös und dieses Gefühl ging auch von den anderen der Gruppe aus.
„Schsch!“, versuchte Cedrik Catyua statt einer Antwort noch zu beruhigen – sie zitterte immer noch – was Catyua nicht wirklich gefiel, doch das früher gut bekannte Gefühl der Verärgerung wollte sich nicht einstellen. Sie konnte ihm einfach nicht böse sein. Jetzt erschrak sie über Assasinas und Rutaaras kalte Worte.
„Geplant?“, rutschte es ihr heraus. „Aber wer? Und warum? Der Prinz? Was soll das alles bedeuten?“
War alles nur Fassade an den scheinbar endlich so bekannten Gefährten? Es schien wohl nicht nur so. Das war für sie mehr als verwirrend, das war sehr beängstigend.
Rutaara beobachtete die herumgeisternde Elfe. „Ob geplant oder nicht, daran können wir nun nichts ändern. Wenn ich ehrlich sein soll, sollten wir rasch zusehen, dass wir den Prinzen samt Gemahlin zu seinem Vater schaffen, wie es unsere Aufgabe ist“, meinte die Elbin genervt. „Für mich ist dann alles erledigt und wieso und weshalb Aanduu sich ausbreitet … ist mir schnurps, es betrifft mich nicht. Ich will endlich zum Ende kommen!“
„Sind wir dir denn alle egal?“, wollte Catyua entrüstet von der Elbe wissen. „Und von uns einmal abgesehen … kannst du dir nicht denken, dass es sehr wohl dich betreffen könnte? Überleg' was geschieht, wenn sich die Sümpfe weiter ausbreiten, wenn die Feuergeister übermächtig werden, wenn …!“ Catyuas Worte, die sie so abrupt unterbrochen hatte, schwebten unheilkündend über der Lichtung, wie der flackernde rote Schein.
„Nun, da du ja noch sehr jung bist, werde ich dir mal ein paar Sachen erklären: Aanduu kann sich von mir aus soweit ausbreiten, wie es will. Die Ebenen werden es zurück drängen, wie es vor Urzeiten schon einmal passierte. Und ihr seid mir nicht egal – zumindest nicht alle – doch es war mein Auftrag den Prinzen zu befreien und nichts anderes. Was soll ich denn – deiner Meinung nach – tun?“, fauchte die Elbe das Albenmädchen an. „Wir können alleine gar nichts unternehmen, wir würden in unser Verderben laufen. Ist dir schon einmal ein Feuergeist begegnet? Das ist kein Spass, meine Liebe!“ Rutaara entblößte ihren rechten Unterarm, auf dem man deutlich eine hässliche Narbe sehen konnte. „Drei Monde lang konnte ich den Arm nicht gebrauchen und die Heilbehandlung war schmerzhafter als alles, was ich bisher kannte und erlebt hatte!“
Cedrik hatte Rutaaras Ausführungen aufmerksam verfolgt. Als er der Narbe ansichtig wurde, konnte er noch im letzten Augenblick einen Schreckenschrei verhindern. Unwillkürlich zog er Catyua fester an sich.
„Was, erlaubt mir die Frage, wenn nichts und niemand imstande ist, die Feuergeister aufzuhalten und die Feuer von Aanduu wieder zu ihrem Ursprungsort zurück zu drängen? Falls dies möglich wäre. Und wenn wir nun wirklich diesen Weg dort gehen müssen, Sternenlicht würde nicht mit gehen. Er fürchtet die dunklen Mächte der Feuergeister. Sie haben ihn schon einmal schwer verletzt. Hätte er nicht seine Kraft und sein Horn …!“
Cedrik unterbrach sich erschrocken und wurde kreidebleich. Beinahe hätte er Sternenlichts Geheimnis verraten. Es war nicht schlimm, dass alle dachten, Sternenlicht wäre ein normaler Rappen, mit einem ungewöhnlich intelligentem Wesen eben. Aber wenn sie erfuhren, dass er in Wahrheit ein Einhorn war, dann würden sie Jagd auf ihn machen. So wie die Sippe der Einhörner einst den kleinen schwarzen Außenseiter aus ihrer Mitte verjagt und er in die Falle des Riesen gekommen war. Cedrik hatte ihn gefunden und gesund gepflegt. Es hatte lange gedauert, bis Sternenlicht zutrauen zu Cedrik gefunden hatte und ihm sein Geheimnis auf gedanklichem Bilderweg offenbarte. Cedrik hätte es beinahe voll Unvernunft und ohne nachzudenken innerhalb eines Augenblicks verraten und damit auch Sternenlicht und dessen Freundschaft.
Cedrik zuckte leicht zusammen, als Sternenlicht neben ihm auftauchte. Das böse Gewissen bedrückte Cedrik so sehr, dass er sich von Sternenlicht abwandte. Er würde diesem länger nicht in die Augen sehen können. Beinahe hätte sich Cedrik selbst einen Tritt gegeben. Er konnte nur hoffen, dass niemand ihm genau zugehört hatte.
Sternenlicht war inzwischen zu Rutaara getrabt, schnaubte leise und senkte den Kopf, als würde er sich die Narbe am Arm Rutaaras betrachten. Doch nur eine einzelne Träne lief aus seinem Auge und tropfte auf die Narbe, die sich wie durch Zauberhand verkleinerte und schließlich verschwand. Cedrik starrte genauso sprachlos auf Rutaaras Arm wie die anderen. Doch er war erschrocken, dass Sternenlicht von sich aus ein kleines Stück seines Geheimnisses gelüftet hatte. Warum hat er das getan? Und was sollte er – Cedrik – tun?
Die Elbe blickte erst auf ihren Arm, dann belustigt zu Cedrik, während sie Sternenlicht vertraut und liebevoll einen Arm um den Hals legte.
„Keine Sorge, Magier! Ich denke, keiner der hier Anwesenden wird es wagen deinem Einhorn ein Haar zu krümmen“, sagte sie laut und blickte jeden einzelnen an. „Und sollte es doch einer versuchen, bezahlt er dafür mit seinem Leben!“
Lächelnd schaute sie in die Runde. Die anderen standen staunend da und verfolgten das Geschehen.
„Jetzt sagt bloß, ihr habt nichts bemerkt? Mir ist schon eine Weile bewusst, was wir für einen kostbaren Schatz in unserer Mitte haben.“
Sternenlicht schnaubte leise und blies ihr ein paar Haarsträhnen ins Gesicht. Rutaara schob diese wieder hinter ihr spitzes Ohr zurück und fuhr an Cedrik gewandt fort:
„Und um deine Frage zu beantworten: wenn selbst die Elben es nicht schaffen, Aanduu an seinen angestammten Platz zurück zu drängen, dann schafft es niemand. Und wie Assasina schon sagte, sie kennt einen anderen Weg zum Königshof. Du wirst dich also nicht von Sternenlicht trennen müssen!“
Dass Sternenlicht ein Einhorn war, erklärte Assasina einiges, was ihr bis jetzt rätselhaft erschien, doch als ihr Name erklang, wandte sie sich wieder von dem „Pferd“ ab und blickte Rutaara mit schief geneigtem Kopf an.
„Ich befürchte, du hast etwas falsch verstanden! Dieser Weg, auf dem wir uns befinden, ist der andere Weg. Und um die Feuer zu umgehen, müssen wir weiter in Richtung Osten gehen. Dabei umgehen wir auch Aanduu und nicht bloß die Sümpfe. Aber wenn ich richtig gesehen habe und meine Berechnungen stimmen – wovon ich ausgehe – wird Aanduu ebenfalls immer weiter nach Osten wandern. Sie erwarten uns! Ich kann nur nicht mit Bestimmtheit sagen, wer diese SIE sind. Die Feuergeister, so befürchte ich, arbeiten nur für sie. Freiwillig oder nicht das ist eine andere Frage!“
Rutaara hob eine Augenbraue und in die Blicke der Anderen trat ein Hauch von Verzweiflung. Ein Gefühl, das auch sie selbst bereits seit dem Moment da sie Aanduu erblickte, erfüllte.
„Willst du damit sagen, dass uns keine andere Wahl bleibt, als Aanduu zu durchqueren?“, fragte Catyua und ihre Stimme war ein kleines bisschen höher und schriller als normal. Assasina nickte, was ein unbehaglichesSchweigen auszulösen schien.
„Na ja“, unterbrach Assasina nach gründlichem Überlegen die Stille. „Es gibt einen kleinen Funken
Hoffnung für uns.“ Wie auf Kommando sahen sie alle mit erwartungsvollen Augen an. „Also … wenn ich richtig gerechnet habe, geht jemand oder etwas davon aus, dass wir versuchen werden über den östlichen Weg zum König zu gelangen und versuchen werden, in Richtung Osten den Feuern auszuweichen.“
„Und?“, meinte Agenor ungeduldig, als Assasina wieder kurz schwieg. Diese warf ihm einen bösen Blick zu.
„Und … das bedeutet, dass er sehr viele Feuergeister zum Bewachen benötigt und je weiter sich die Feuer ausbreiten, desto mehr von den kleinen Dämonen muss er nach Osten schicken. Das würde bedeuten …!“
„... dass im Westen kaum Wachen sein werden!“, beendete Rutaara Assasinas lang ausschweifenden Erklärungen. Ein Grinsen breitete sich auf Rutaaras Gesicht aus. Assasina erwiderte dieses Grinsen und nickte.
„Wir können es versuchen. Schlimmer als im Osten wird es wahrscheinlich nicht werden. Aber wenn wir diesen Plan verfolgen, müssen wir schnell sein. Sehr schnell, Feuergeisterschnell! Was sagt ihr dazu?“
„Gut, dann lasst uns zusammen packen und aufbrechen! Wenn wir Glück haben, werden wir uns vielleicht nur auf einen oder zwei Kämpfe einstellen müssen“, sagte die Elbe und begann unverzüglich ihren Lagerplatz aufzuräumen und ihre Utensilien in den Reisesack zu verstauen. Lyrael beobachtete sie wachsam und teilte ihr freudig erregt mit, dass er es kaum erwarten konnte, von hier zu verschwinden.
'Ein Einhorn also …'
Das Mädchen hatte es sich nicht gedacht, aber irgendwie doch … gewusst. Als ob sie etwas übersehen hätte, so war es ihr immer vorgekommen. Nun wusste sie wenigstens was. Catyua grinste bei dem Gedanken. Geschockt über Rutaaras Worte dachte sie: 'Wie käme denn jemand dazu, einem Einhorn etwas anzutun?' Das war vollkommen unverständlich für sie. Ihre religiöse Erziehung ließ es nicht zu, auch nur den Gedanken einer Schandtat an einem so reinen Wesen zu verschwenden. Trotz ihres Berufes ging sie in ihrem Glauben an die Göttin der Nacht auf, die im Gegensatz zu dem Gott des Tages stand. Aber sie verabscheute die Anhänger Solias nicht mehr – sie verachtete diese nur noch. Es gab nichts anderes als Moxisia, die alle Alben und ihr Denken und Handeln erfüllte.
Catyua verzog angewidert das Gesicht, als sie an die Dämpfe dachte, durch die sie wandern müssen. Doch schnell überlagerte die Erleichterung darüber, möglicherweise einen ungefährlicheren Weg gefunden zu haben, den Ekel.
'Nur ein, zwei Kämpfe …', überlegte sie, zum weiß Gott wievielten Mal schaudernd; wobei sie an die lange schmale Narbe auf ihrem Bauch, die in einer knotigen Vertiefung an ihrer rechten Seite endete, dachte. Sie wusste mehr, als Rutaara annahm. Nur würde sie diese Narbe lieber nicht erwähnen. Sie hatte diese sich in einem mehr als illegalen Auftrag zugezogen, der politische Komplikationen mit sich geführt hatte, die beinahe Art übergreifend gewesen wären, hätte ihr damaliger Auftraggeber nicht vollkommenes Schweigen über diese Sache befohlen.
Das Lager war abgebaut, das Prinzenpaar hatte schweigend zugesehen. Agenor war dabei, die Reste des Feuers mit Sand und Erde zu bedecken und sie selbst stand nun wieder neben Cedrik und seinem Pferd … Einhorn … berichtigte sich Catyua innerlich.
Rutaara wartete ebenfalls schon ungeduldig neben ihrem Begleiter, am Rande der Lichtung. Deshalb kam der warnende Ruf aus ihrer Richtung, sie hatte sie zuerst bemerkt.
Drei kleine Feuergeister kamen rasend schnell in Angriffsstellung auf sie zugeflogen – sie schwärmten aus, trennten sich, um Rutaara, Assasina - die ihre Sachen aus den Händen fallen ließ und sich ihren Dolch griff – aber auch Agenor, der sie überrascht und etwas ängstlich ansah – zugleich anzugreifen.
Catyua hatte immer noch das Feuer ihres damaligen Angriffs vor Augen und stand, unfähig sich zu rühren, da. Erst als sie das surrende Geräusch des Schlagens der kleinen Flügel vernahm, fiel ihr wieder ein was zu tun war.
„Achtung!“ schrie Rutaara und musste gleich darauf dem ersten Feuerball ausweichen, der mit einer enormen Geschwindigkeit auf sie und Lyrael zu raste. Die Eiche, unter der sie stand, ging in loderndem Feuer auf.
„So ein verfluchter Mist! Was tun die denn hier?“ Rutaara konnte sich nicht erklären, warum diese Biester auf der Lichtung erschienen waren, doch es sah so aus, als ob sie nach einem genauen Plan handeln würden, denn sie griffen vorerst sie selbst, Assasina und auch Agenor an.
„Passt bloß auf! Die Viecher handeln nicht von alleine. Irgend etwas lenkt sie!“, rief sie. Das Flammenwesen, das sie angegriffen hatte, war nun direkt vor ihr und hatte eine Art Flammenschwert beschworen, womit es Rutaara jetzt attackierte. Schnell zog diese ihr Langschwert und parierte geschickt einen Schlag, der auf ihren Kopf gerichtet war.
Assasinas Augen weiteten sich, als die drei Feuergeister auftauchten, doch sie handelte gewohnt rasch. Wie ein Blitz hastete sie auf Agenor zu, von einem der Dämonen verfolgt, während sie ihre Hand in den Lederbeutel gleiten ließ, der an ihrem Gürtel hing.
„Eld!“, schrie sie, während sie die Asche, welche sie nun in der Hand hatte, gerade noch rechtzeitig zwischen zwei der Feuergeister und Agenor und sie selbst streute.
Während der Reise hatte sie die kleine Flamme genährt, ihr viel Holz zum Verzehr gegeben. Was dazu führte, dass nun eine gigantische Feuerwand hervor brach, dort wo sie die Asche hin geworfen hatte. Agenor sah sie überrascht und dankbar an, während Assasina die Zeit nutzte um die Feuergeister zu mustern. Diese waren zurück gewichen, als die Flammen auf loderten.
„Schon mal gegen solche Biester gekämpft?“, fragte Assasina Agenor und dieser nickte mit bleichem Gesicht. „Gut! Dann lasse ich dich mal mit einem allein!“ und schon sprintete sie los, während sie das Feuer wieder zu Asche werden und in ihre Hand zurück fliegen ließ.
Einer der beiden Geister huschte ihr nach, der andere stürzte sich auf Agenor. Der dritte schien mit Rutaara genug beschäftigt zu sein. Was hatten diese Dinger vor?
Assasina stürzte zu dem Prinzenpaar, dicht gefolgt von ihrem flammenden Gegner und warf, als sie nahe genug war, die Asche dem Prinzen zu. Dieser verstand und zeichnete damit einen Kreis um sich und seine Frau auf dem Boden.
Assasina schlug einen Haken und rannte nun auf den Magier, den Wolf und Catyua zu.
„Cedrik! Hilf Agenor! Lyrael! Versuche Rutaara zu unterstützen, indem du den Feuergeist ablenkst! Catyua! Dich brauche ich bei mir!“
Die beiden Kämpfer, Magier und Wolf, liefen los während Catyua angespannt da stand und all ihre Konzentration auf Assasina und das Wesen hinter ihr gerichtet hatte.
„Sobald ich bei dir bin, kämpfe gegen das Biest. Es darf mir auf keinen Fall nachkommen!“
Assasina kam bei Catyua an, lief jedoch weiter ohne langsamer zu werden oder sich nach hinten zu vergewissern, ob und wie Catyua den Geist bekämpfte. Aber die Flügelschläge, die schon so dicht an ihren Ohren zu hören waren, wurden nun leiser. Mit unbeschreiblichem Geschick kletterte die Elfe auf den nächsten Baum und betete, dass sie alle diesen unvorbereiteten Kampf überlebten.
Als das kleine Wesen fast an ihr vorbei war, ließ Catyua ihren Arm nach oben schnellen. Sie verfehlte es … allerdings sehr knapp. Doch die Albin hatte erreicht was sie gewollt hatte – es hatte die Verfolgung Assasinas aufgegeben und sich nun der neuen Bedrohung zu gewandt.
Auf das was jetzt kam, war Catyua allerdings nicht vorbereitet gewesen. Statt ihr Feuerkugeln entgegen zu schleudern, ließ er das Feuer wie brennenden Regen auf das Mädchen nieder prasseln. Erschrocken wich sie den feurigen Tropfen aus, die Löcher in den dicht mit Blättern und Farnen bedeckten Waldboden brannten.
Es fiel schwer und erforderte einige Sicherheit und Konzentration, sich während ihres ausweichenden Tanzes auf das kleine Biest zu konzentrieren. Mit ihrer freien Hand – in der linken Hand hielt sie noch immer ihren langen Dolch – zog Catyua einen der kürzeren ihrer Wurfdolche hervor, hielt ihn einen Moment abwägend in der Hand … um ihn dann mit einer kurzen, routinierten Bewegung auf das Feuerwesen vor ihr zu werfen.
Zur eigenen Überraschung traf er – nur schien das dem Feuerwesen nicht viel auszumachen. Sie konnte hören, wie das Metall schon im Flug schmolz – es war weich und unschädlich, als es traf, den Geist nur kurz nach hinten taumeln ließ, als hätte ihn ein Stein getroffen ohne weiteren Schaden anzurichten.
Bedauernd blickte Catyua das Klümpchen Metall an, zu dem ihre Waffe geworden war, danach schaute sie wütend auf das kleine Dämonenwesen. Was hatte sie früher Stunden- ja Jahrelang geübt und gelernt? Ruhig zu bleiben und den Geist frei zu machen. Sie versuchte es und ihre Wut kühlte merklich ab. Es war also noch nicht alles verloren.
„Na gut, mein Kleiner! Komm schon!“ Zynisch lächelnd war nun Catyuas Reaktion. Ihre Angst war immer noch vorhanden, doch jetzt war sie unter der Kontrolle und die Albin schaffte es sie endlich beiseite zu schieben.
Catyua kämpfte schnell und sie kämpfte gut, doch schaffte es nicht das feurige Wesen direkt anzugreifen. Dessen Attacken standen den ihren in nichts nach und seine Deckung schien unüberwindbar.
Irgendwann, als ihre Angriffe immer schneller und hitziger wurden, begriff sie. Plötzlich stand sie ruhig da und wartete ab. Verdutzt verharrte auch das Wesen.
„Da staunst du, was?“, murmelte Catyua triumphierend. Sie hatte wirklich verstanden. Ihr Blick glitt für einen Sekundenbruchteil zu Assasina, der sie diesen Kampf zu verdanken hatte.
Cedrik nickte. Jetzt war Einsatz und Tatkraft gefragt. Er lief zu Agenor und stellte sich neben diesen. Als der Feuergeist wieder eine erneute Attacke gegen Agenor und nun auch gegen ihn startete, schloss Cedrik die Augen, konzentrierte sich und riss seine Arme empor. Er hatte bereits öfters den Wasserzauber gemacht, darum wusste er dass er sehr effektiv, jedoch nicht oft machbar war. Cedrik vertiefte sich, während Agenor immer wieder abwehrte, in die umliegende Luftfeuchtigkeit und sammelte sie. Als er so viel gesammelt hatte, dass er es mit seinem Geist nicht mehr halten konnte, ließ er die Wasserkugel steigen. Der Feuergeist war durch das fort währende Abwehren seiner Attacken bereits so wütend, dass er nicht mehr auf seine Umgebung achtete.
Cedrik vollführte nun mit beiden Händen einen weiten Halbkreis und verteilte die Kugeln zu einem halbrunden Wasserbogen. Nun schloss er die Finger zur Faust und ließ mit seinem Geist los. Wie ein Wasserfall rauschte das aus Cedriks Magiekraft entlassene Wasser nieder und traf auch den Feuergeist. Dieser machte ein schrilles, verzweifelt klingendes Geräusch, dann stieg Dampf auf und wo eben noch ein wütender Feuerdämon gewesen war, zappelte nun ein kleiner Funken, der aussah als wäre er am Verlöschen. Ehe Cedrik reagieren konnte, trabte Sternenlicht heran und neigte den Kopf. Das noch immer magisch versteckte Horn berührte den nun nicht mehr gefährlichen Feuergeist und dieser verging in einer Funkentraube.
Cedrik öffnete die Augen und sah sich um. Eigentlich hätte er jetzt wieder einen Energieverlust spüren müssen, doch er fühlte sich genauso stark wie vorher. Ob dies ein Ergebnis der Seelenverbindung war? Oder hatte sich sein Energievorrat so vergrößert? Doch was auch der Grund war, jetzt war schnelle Hilfe gegen die restlichen Geister gefragt. Einen erneuten Wasserbogen würde Cedrik nun nicht mehr machen können, nicht weil ihm die Magie fehlte, sondern weil die restlichen Feuergeister gewarnt waren. Sie waren zwar klein, aber auch gefährlich intelligent. Und er wollte Catyua lieber nicht in Gefahr wissen. Auch die anderen nicht. Und Sternenlicht konnte nicht ohne eine enorme Schwächung der Geister sein Horn zum Einsatz bringen. Er war zwar ein magisches Wesen – aber kein allmächtiges.
Assasina war auf einem dicken, langen Ast angekommen und schlängelte sich nach vorne, bis sie direkt über Catyua und dem kämpfenden Geist stand. Das Mädchen schlug sich erstaunlich gut und während sie das Geschehen unter ihr beobachtete, suchte Assasina rasch in ihrer Tasche nach etwas bestimmtem.
Die Elfe zog ein Seil aus Stahl hervor, das nicht stärker als ein Haar, aber über 3 Meter lang war. Assasina schlang sich das Seil um ihre Hand, bis nur noch ein Meter nach unten hing dann machte sie sich bereit.
Catyua kämpfte noch, ungefähr 4 Meter unter ihr als diese plötzlich inne hielt. Der Feuergeist erstarrte ebenfalls und das Mädchen warf einen flüchtigen Blick zu ihr nach oben. Ein Lächeln huschte über Assasinas Gesicht, vor allem da der Geist sie auch vergessen hatte.
Assasina stieß sich nun vom Ast ab, glitt beinahe lautlos zu Boden und landete ohne ein Geräusch zu machen hinter dem kleinen fliegenden Dämon.
„Hast du Spaß?“, fragte Assasina und der Feuergeist wirbelte um seine eigene Achse zu ihr herum, doch ehe er etwas machen konnte ließ Assasina das Seil wie eine Peitsche durch die Luft sausen und das Eisen schlang sich mehrere Male um den dünnen Feuerhals und schnitt ihm damit in sein „Fleisch“. Die Elfe ließ den Dämon mit einer kleinen Handbewegung durch die Luft sausen und sie schleuderte das Ende des Seils mit dem Feuergeist daran gegen den nächsten Baum.
Kraftlos sackte das Wesen den Stamm entlang und blieb am Boden liegen. Assasina ging zu dem Wesen, dicht gefolgt von Catyua, kniete nieder und packte den Dämon am Nacken.
„Sei vorsichtig …!“, rief Catyua ängstlich.
„Er kann nicht mehr brennen. Er ist zu kraftlos“, unterbrach Assasina die besorgte Albin und begann den Feuergeist mit dem Metallseil an den Baum zu fesseln. Die Magie darin würde verhindern, dass sich der Feuergeist wieder erholen konnte.
„Du warst wirklich gut!“, sagte Assasina anerkennend, während sie sich nach den anderen umsah. So entging ihrem Blick die aufflammende Verlegenheit des Mädchens.
In den Feuersümpfen
Rutaara schrak vor der ihr entgegen schlagenden Hitze des Feuergeistes zurück und duckte sich erneut, um einen Streich des Flammenschwertes zu entgehen. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie Lyrael heran nahen, entschlossen sich dem Feuergeist an die Kehle zu werfen. Schnell konzentrierte sie ihr Elbenfeuer, ließ es aus sich und über ihr Schwert fließen. Sofort loderte das Langschwert in einem Blauen Feuer auf und wurde zur Heiligen Waffe.
„Bleib zurück, Lyrael“, rief die Dunkle ihm zu. „Ich habe alles unter Kontrolle! Geh und bewache die Königlichen!“
Der Wolf gehorchte widerwillig und wandte sich um, um an die Seite des Prinzenpaares zu eilen. Der Feuergeist war mitten in der Bewegung erstarrt und blickte zögernd auf Rutaaras Blau lodernde Schwert.
„Da staunst du, was?“, zischte die Elbin spöttisch, schob die Kapuze ihres Mantels zurück und zeigte ihm ihr dunkles Gesicht. „Nun sieh, mit wem du dich anlegst!“
Das blaue Flammenschwert hoch erhoben, sprang Rutaara auf das Wesen zu, drehte sich und traf es am rechten Arm. Der Feuergeist wurde durch die Luft geschleudert, doch er fing sich wieder und griff sie erneut an. Rutaara fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, die von der Hitze des Kampfes ganz trocken waren.
'Es wäre ja auch zu leicht gewesen' dachte sie lächelnd und entblößte dabei ihre scharfen, perlweißen Zähne. 'Ganz ruhig Rutaara. Du kennst die Antwort auf dieses Problem'
Die dunkle Elbin schloss für einen Moment die Augen und rief die Mächte der Ahninnen und des Mondes. Das Feuer auf dem Schwert fing an zu pulsieren, eine leise Melodie erklang und plötzlich schoss ein Strahl des Heiligen Feuers heraus und auf den Dämon zu.
Dieser kreischte laut und verzweifelt auf, wandte sich von ihr weg und versuchte dem Blauen Feuer zu entgehen. Doch es war zu spät. Rutaaras Feuer erreichte ihn, umhüllte seinen Körper und erstickte seine Lebensflamme. Mit einer letzten, bläulich leuchtenden Explosion verging er.
Als sich Catyua mit einem Ziehen in ihrem Bauch umsah, merkte sie erleichtert dass alle den Kampf unversehrt überstanden hatten. Der Geist, den Assasina soeben unschädlich gemacht hatte, war der letzte ihrer drei Angreifer gewesen, den sie besiegt hatten.
Durch das Hochgefühl des gewonnenen Kampfes hindurch drang nur langsam die Erkenntnis, was Feuergeister hier zu bedeuten hatten. Sie waren endgültig bemerkt worden.
In den Augen der Elfe konnte sie die gleiche Erkenntnis entdecken. Wie auf ein Wort liefen sie beide los, hin zu Rutaara um möglichst rasch zu überlegen, was nun zu tun war. Konnten sie es noch wagen, die Sümpfe zu durchqueren? Im kleinen Kreis versammelt, wollten sie erst beraten. Bis Agenor einwarf, dass sie ebenso gut im Laufen weiter beratschlagen konnten. Sie mussten zuerst einmal von hier weg!
Cedrik schnalzte mit der Zunge und Sternenlicht kam zu ihm getrabt. Cedrik griff zu seinem Stab mit dem Ambarin darauf und und sagte laut:
„Lauft zu, ich werde folgen! Doch vorher muss ich noch etwas machen. Ich hoffe nur, es gelingt mir etwas länger als beim letzten Mal!“
Er kümmerte sich nicht mehr weiter darum, was geschah. Als Catyua bei ihm bleiben wollte, schüttelte er den Kopf, legte seinen Arm um ihre Schultern und lehnte seine Stirn an die ihre. Doch gleich darauf ließ er sie wieder los und wandte sich beinahe brüsk um. Wenn er sich nicht beeilte mit seinem Vorhaben, waren er und die anderen verloren und sie hätten den Vorteil, den sie eben errungen hatten, wieder verloren.
Cedrik warf einen raschen Blick hinter sich und sah noch den letzten von Agenors Männer hinter seinem Pferd her laufen. Die Lichtung war so rasch geräumt worden, dass es beinahe aussah als hätte hier nie jemand gelagert. Cedrik atmete auf. Für sein Vorhaben benötigte er seine gesamte Kraft und Konzentration und durfte aber auch wollte nicht von den anderen abgelenkt werden.
Cedrik sammelte sich und senkte den Stab. Der Ambarin begann rötlich zu funkeln. Langsam steigerte sich das Rot und färbte sich zu einem harten Violett um. Cedrik hatte sich nun mit dem Ambarin verbunden und er versenkte sich in den Stein.
Die Lichtung, obwohl jetzt die Sonne wirklich aufging, war in ein unwirkliche violettes Strahlen getaucht. Cedrik senkte nun den Stab, bis dieser die Erde berührte. Ein leises Singen wurde hörbar und Cedrik wusste, tief in sich und weit entfernt von seiner mittelbaren Umgebung, jetzt arbeitete der Ambarin. Er tilgte die Kampfspuren und er tilgte auf auf übergeordneter Ebene, auf Magieebene die Spuren der Gruppe. Für wenige Stunden würde der Eindruck entstehen, als wäre die Lichtung und deren nähere Umgebung bereits lange verlassen gewesen. Das leise Singen begann Intervall artig zu schwingen und setzte abrupt aus.
Cedrik schwankte und diesmal bemerkte er den Energieverlust. Ja, er war stärker geworden, aber noch nicht genug. Cedrik öffnete die Augen und schnalzte erneut mit der Zunge. Sternenlicht schien nur darauf gewartet zu haben, er trabte sofort zu Cedrik, dieser hob den Stab und steckte ihn zurück an seinen Platz.
Noch einmal sah sich Cedrik um, doch nur seine Spuren waren noch zu erkennen. Der Zauber würde auch diese tilgen, sobald er von hier verschwunden war.
Mit einem schnellen Klimmzug schwang sich Cedrik auf Sternenlichts Rücken und folgte rasch den anderen nach, die bereits verschwunden waren.
Rutaaras Gedanken rasten, während sie den anderen voran durch den Wald eilte. Die drei Feuergeister waren nicht durch Zufall auf der Lichtung erschienen. Irgend etwas oder irgend jemand hatte sie angelockt. War sie es gar selbst unbewusst gewesen? Das Elbenfeuer war stark in ihr, möglich dass es die Wesen gespürt hatten. Doch wenn dem so war, konnte sie keine Möglichkeit erkennen, die Gruppe vor diesen Biestern zu schützen, denn sie würden sie überall finden.
Ein Knurren von Lyrael ließ sie aufhorchen. Vor ihr erklang der Schritt eines Pferdes – eines kleinen Pferdes wie sie hören konnte.
„Halt! Da kommt uns jemand entgegen“, warnte sie die anderen. „Es ist zwar nur einer doch versteckt euch sicherheitshalber. Ich werde das Empfangskomitee spielen!“
Sie blickte über ihre Schulter und sah gerade noch, wie Assasina Catyua in die Büsche zog. Von Agenor, seinen Männern und dem Königlichem Paar war bereits keine Spur mehr zu sehen.
'Gut' dachte sie. 'Mal sehen, wer da kommt!'
Rutaara zog ihr Langschwert und nahm ihren Schild vom Rücken. Lyrael stand vor ihr, bereit sie zu verteidigen sollte dies nötig sein.
Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis das kleine Pferd und sein Reiter in Sicht waren. Die Elbin war irritiert, als sie den Reiter erblickte. Aus der Entfernung sah es aus, als säße ein Kind auf einem Spielzeugpferd.
Nun hatte auch der Reiter sie erblickt und trieb sein Pony zu einer schnelleren Gangart an. Angespannt beobachtete Rutaara, wie er immer näher kam.
Nun erkannte sie ihn aber auch und lachte laut auf.
„Ihr könnt raus kommen, es droht absolut keine Gefahr“, sagte Rutaara laut, so dass die anderen sie hören konnten. Ob sie ihr jedoch auch glaubten, blieb ihnen überlassen. Rutaara steckte ihr Schwert weg, schob den Schild wieder an seinen Platz und ging auf den Reiter zu. Dieser hatte sie nun erreicht und sprang von seinem Reittier.
„Tjurre Silberzunge! Wie schön dich zu sehen“, begrüßte die Elbin den kleinen Reiter, dem man nun ansah, dass er zum Volk der Zwerge gehörte. „Was führt dich denn hier her?“
Der Angesprochene erwiderte nichts, sondern schoss auf sie zu, umarmte sie – was bei seiner Größe sehr ungewöhnlich aussah.
„Du bist am Leben, so ein Glück!“ meinte er dann und es hörte sich verdächtig nach einem Schluchzen an. „Ich hatte so ein Gefühl, dass etwas passiert sei. Mit Hilfe des Stabes von X'gul'dar habe ich dann deine Fährte aufgenommen und mich auf die Suche gemacht.“
Der Zwerg stockte, denn jetzt erblickte er die Anderen, die während der Begrüßung aus ihren verstecken gekommen waren. „Und wer sind die?“ fragte er.
„Das, mein alter Freund, sind meine derzeitigen Weggefährten. Assasina, Catyua und Agenor samt seinen Männern. Cedrik, der Vierte im Bunde müsste auch gleich auftauchen.“
Cedrik war so schnell als möglich den Weg entlang getrabt und Sternenlicht brauchte nicht einmal angetrieben werden. Er wurde nur langsamer, als sie vor ihnen die Gruppe auftauchen sahen, die einen Neuankömmling umringten. Dieser Fremde war von kleiner Statur und schien trotzdem riesig zu sein.
Cedrik glitt von Sternenlicht und gab ihm einen leichten Klaps auf die Hinterhand. Sternenlicht verstand und umging großräumig die Gruppe vor ihnen. Cedrik jedoch ging direkt darauf zu, fasste den kleinen Fremden fest ins Auge und blieb dicht vor ihm stehen. Er hatte bereits erkannt, dass er es mit einem Vertreter des gleichen Volkes der Zwergenbrüder – die leider einen allzu frühen Tod erlitten hatten – zu tun hatte. Er verneigte sich leicht und meinte:
„Mein Name ist Cedrik und mit wem habe ich das Vergnügen?“
Mittlerweile hatte Sternenlicht die Gruppe umgangen und kam nun in vollem Galopp angerannt. Dicht vor dem Zwerg bremste er und beugte das Knie. Nachdem er sich gleich wieder aufgerichtet hatte, begann er sich zu Catyua zu trollen, ohne das Reittier des unbekannten Zwerges eines Blickes zu würdigen. Cedrik musste grinsen, als er das erschrockene Gesicht des Zwerges sah. Doch dann kam er sich ziemlich unhöflich vor, wurde ernst und erklärte:
„Verzeiht wenn mein … Pferd Euch erschreckt hat. Aber er hat mir deutlich gemacht, dass von Euch keine Gefahr ausgeht. Im Gegenteil, er hat Euch respektvoll gegrüßt. Scheinbar kennt er Euch. Was mir noch nicht zuteil wurde, Euch zu kennen!“
Catyua hatte bereits einen ersten Eindruck des kleinen Mannes – er schien ihr recht freundlich, wenn auch verschlossen und nicht ganz vorbehaltlos ihnen gegenüber. Doch er gehörte zu Rutaara und so war er zumindest ihr willkommen.
Sie beobachtete amüsiert, wie Cedrik den Neuankömmling begrüßte und der junge Magier spürte wie immer das aufkommende Lachen in ihr. Er warf ihr daraufhin einen tadelnden Blick zu. Er hatte ja Recht, die Situation als solche ließ offensichtliche Bekundungen ihrer Freude nicht zu. Was sie auch gleich dazu brachte, die Gefährten – samt Zwerg – daran zu erinnern, dass sie ihren Weg nun fortsetzen sollten.
Tjurre Silberzunge sah das Mädchen ohne große Begeisterung an und gab eine beinahe abschätzige Erwiderung zurück, dass er auf kleine Mädchen prinzipiell nicht hörte.
Zu ihrer großen Erleichterung wurde Catyua von der Elbin verteidigt und der Zwerg nickte zögernd, nachdem Rutaara einige Dinge klar gestellt hatte.
Sie behielten ihr gemäßigtes, wenngleich zügiges Tempo bei, um es über längere Zeit aufrecht halten zu können, ohne Kampfunfähig oder vollkommen erschöpft zu enden.
Die stellenweisen Moore allein waren schon gefährlich genug und dazu hielten alle noch Augen und Ohren sowohl nach Feuergeistern, als auch nach den Yrgies – den kleinen heißen Wasserspuckern – offen, die einen unvorbereitet treffen und schlimm verbrühen konnten. Vor ihnen allerdings wurde man fast immer gewarnt, bevor man in riskante Nähe kam. Sie gaben ein penetrantes Zischen und Spucken von sich. Da bereiteten die Feuergeister Catyua die größeren Sorgen.
Sie fragte sich schon die ganze Zeit, was den Zwerg her geführt haben könnte und wieso er sich auf den gefährlichen Weg mit ihnen durch die Sümpfe begab. Doch es kam ihr vermessen vor, ihn zu fragen.
Er lief jetzt bereits seit längerem grummelnd neben Rutaara, es hörte sich beinahe an, als fluche er ununterbrochen. Ab und zu durchdrang die vertraute Stimme der Elbin sein Gebrabbel, woraufhin seine Rede nach und nach immer lauter wurde.
„Ich weiß nicht, was du dir von dieser Mission versprichst“, nörgelte Tjurre. „Du konntest dir doch von Anfang an denken, dass du hier nichts über die Dunklen erfährst. Wieso verlässt du die anderen nicht und wir gehen wieder auf die Suche?“
Die Elbin blickte ihn von der Seite an, zornig über seine ungerechten Worte.
„Wie kannst du das von mir verlangen? Ich habe diese Mission angenommen und werde sie mit den anderen beenden“, erwiderte sie. „und du musst mich ja nicht begleiten. Es hat dich keiner darum gebeten her zu kommen!“
„A … aber ich … das meinst du nicht ernst“ sagte der Zwerg, begann rot anzulaufen und Rutaara wusste, dass sie es übertrieben hatte. „Da mache ich mir extra die Mühe, dich zu finden und dies ist nun der Dank!“, polterte Tjurre los. „Und bevor ich mich vergesse, möchte ich dir noch eines sagen: dank dir empfängt mich mein Vater nicht mehr am Hofe von Gu ' lnur ' xa! Er ließ ausrichten, wenn du das nächste Mal in seinem Land auftauchst, werden sie dich jagen und zur Strecke bringen. Also sage mir – was hast du angestellt?“
Rutaara zischte erbost: „Ich habe gar nichts angestellt. Wenn du es unbedingt wissen willst … die Amme deines Vaters hat mir das 'Gewand der Ahninnen' gegeben, das deinem Volk vor langer Zeit als Friedensgabe von den Waldläufern erhalten hatte.“ Sie schüttelte leicht den Kopf. „Ich hätte wissen müssen, dass dein Vater nicht damit einverstanden war, dass sie es mir gab. Aber ich hatte auch das Gefühl, als sei es richtig und dass es mir seit Anbeginn der Zeit gehören würde …! Es tut mir sehr leid, dass du wegen mir Schwierigkeiten bekamst, treuer Freund!“, sagte sie entschuldigend. „Lass uns nicht weiter streiten. Wir müssen bei der Sache bleiben, damit uns nicht wieder etwas oder jemand unerwartet auflauert.“
Die Elbin blickte kurz über die Schulter und bemerkte Catyuas fragenden und nachdenklichen Blick, den sie dem Zwerg an ihrer Seite zuwarf.
„Ich glaube, da hat jemand einige Fragen an dich, Tjurre. Aus irgend einem Grund scheinst du mir das Albenmädchen nicht besonders zu mögen. Was ist los mit dir?“
„Es tut mir leid, wenn ich unhöflich auf sie gewirkt haben sollte. Ich bin bis jetzt nur einem Alben begegnet und irgend etwas ist bei diesem Mädchen anders. Sie ist keine reine Albe, nicht wahr?“
Rutaara lächelte, Tjurres erstaunliche Kenntnis über andere war sie gewohnt. Deshalb sagte sie nur:
„Warum fragst du sie nicht selbst? Und bei der Gelegenheit kannst du dich gleich persönlich bei ihr entschuldigen.“
Tjurre brummte nur eine Antwort und ließ sich zurück fallen. Als Assasina und Catyua ihn eingeholt hatten, gesellte er sich an des Mädchens Seite. Er schwieg eine lange Weile, warf ihr nur ab und zu einen wachsamen Blick zu.
„Verzeiht bitte“, sagte er schließlich förmlich und brach damit sein Schweigen. „Ich hatte vorhin nicht genug Zeit gehabt, mich richtig vorzustellen. Mein Name ist Tjurre Silberzunge, Zwergenmagister des 8. Grades vom Hofe Gu ' lnur ' xa! Gleichzeitig möchte ich mich bei Euch entschuldigen dass ich wohl etwas unhöflich auf Euch gewirkt habe. Das war nicht beabsichtigt!“
Überrascht lächelte Catyua, was ihm nicht zu gefallen schien, deshalb brachte sie ihre Mundwinkel schnell wieder unter ihre Kontrolle.
„Ich danke Euch, Tjurre Silberzunge und nehme mit Freuden Eure Entschuldigung an. Doch denkt bitte nicht, ich hätte Euer verhalten für unhöflich empfunden. Und verzeiht Euerseits mir, sollte ich Euch verärgert haben, ich hatte noch nicht so viel Umgang mit den Magistern des Hofes.“ Beinahe hätte sie wieder gelächelt. Nein, das stimmte wirklich. In der Vergangenheit hatte sie stets versucht, keinem der Magister zu begegnen. Es gab noch ein paar offene Rechnungen mit einigen von ihnen … sie konnte nur hoffen, dass dieser Zwerg hier davon nichts wusste. „Gestattet Ihr mir die Frage, wie Ihr zu uns gefunden habt und welche Beweggründe Eure Schritte zu uns lenkten?“, fragte sie, um das Gespräch nicht gleich wieder enden zu lassen. Denn irgendwie mochte sie diesen Kerl.
Tjurre schmunzelte über die Neugierde des jungen Mädchens und ließ sich Zeit mit der Antwort.
„Gefunden habe ich nicht euch, sondern Rutaara. Wie es mir gelang, verrate ich Euch gerne, denn im Gegensatz zu meinen Kollegen bin ich in Sachen Magie nicht so geheimnisvoll. Der Stab, den ich in meinen Händen halte, wurde von Rutaara in der Art der Baumsinger aus einem Baum aus dem Wandelnden Hain geformt.“ Sanft strich er nun mit seinem Daumen über das glatte, weiche Holz. „Er hat deshalb eine besondere Verbindung zu ihr und mit seiner Hilfe kann ich sie orten, egal wo sie sich befindet. Wie Ihr ja sicher wisst, sendet jedes Lebewesen eine besondere Energie aus. Der Stab reagiert auf Rutaaras Energie und so war es ein leichtes, sie zu finden.“
Catyua hörte aufmerksam zu und nickte.
„Und was meine Beweggründe angeht … nun ja, ich weiß selbst nicht so genau, was mich her geführt hatte. Ich hatte nur plötzlich das Gefühl, dass meine Freundin meiner Hilfe bedarf!“
„Ihr könntet recht haben“, gab Catyua zu. „Dass Rutaara Eure Hilfe benötigen könnte, auch wenn ich nicht glaube, dass dies der Fall tatsächlich ist. Nun, unsere Situation könnte besser sein was Ihr sicher schon bemerkt habt, doch bis jetzt schafften wir es, sie auch ohne Eure Hilfe zu meistern. Versteht mich nicht falsch, Tjurre Silberzunge! Ich bin wirklich hoch erfreut über Eure Anwesenheit. Und wenn Ihr Eure Magie zu unseren Gunsten einsetzen wollt, so bin ich diesem Vorhaben alles andere als abgeneigt!“ Catyua lächelte dem Zwergenmagister zu. „Habt Ihr Informationen, warum die Sümpfe von Aanduu sich ausbreiten?“, wollte das Mädchen dann wissen.
Tjurre schüttelte bedauernd den Kopf und seufzte.
„Nein, dafür haben selbst die Zwerge aus den Mondbergen keine Erklärung. Auch bei uns breitet sich Aanduu aus und meine Kollegen kommen kaum noch hinterher, all die Zerstörung rückgängig zu machen“, sagte er.
Erschüttert dachte Catyua über die Verwüstung nach, die die Feuer mit sich bringen würden. Was sollte nun werden, fragte sie sich.
Doch erst war ihre jetzige Situation wichtiger, rief sie sich selbst zur Ordnung. Es war natürlich wichtig, sich Gedanken über die Ausbreitung der Feuersümpfe zu machen, doch nicht in diesem Moment, wo sie alle dabei waren, selbige zu durchqueren. Sie wollte dieses furchtbare Gebiet schnellstmöglich verlassen, was nicht nur an der ständigen, lauernden Gefahr sondern auch an den unaufhörlichen Kopfschmerzen lag, die sie plagten seit die Dämpfe der Sümpfe die Gruppe eingehüllt hatten. Und zu allem Ärger waren sie noch im Randgebiet dieser Sumpflandschaft. Es würde noch schlimmer, viel schlimmer kommen wie sie wusste.
Assasina war, kurz ehe sie das Lager verließen und als die Aufmerksamkeit der anderen abgelenkt war, noch einmal zu dem von ihr gefesselten Feuergeist zurück gekehrt. Er war nicht tot. Sie war nicht in der Lage, einen Feuergeist ganz zu vernichten. Noch nicht! Die Halbelfe verfügte nicht über Magie, dem einzigen Mittel das diese Biester zur Strecke bringen konnte, doch sie verfügte über das nötige Wissen. Zuvor hatte sie sich noch ihr Feuer beim Prinzen abgeholt, was ihr einen angsterfüllten Blick der Prinzessin einbrachte. Nun kniete sie sich neben den Dämon und ließ die Asche zu einer kleinen Flamme werden. Der benommene Feuergeist zuckte zusammen, als er es sah doch er hatte nicht die Kraft sich zu wehren.
Langsam saugte das Dunkle Feuer die Flammen und damit die Lebensgeister dieses Wesens ein. Als der Feuergeist nun wirklich und endlich tot war, nahm sich Assasina das Seil, packte es weg und lief zurück zu den anderen. Diese waren schon bereit ihren Weg fortzusetzen.
Seit sie dem Zwerg, Rutaaras Freund, begegnet waren, war die Elbe stets in ein Gespräch mit ihm vertieft, so dass Assasina nicht dazu kam mit ihr alleine, wenn überhaupt zu reden. Doch als der Zwerg sich zurück fallen ließ um ein Gespräch mit der jungen Albin zu beginnen, sah sie ihre Chance.
„Du hast gut gekämpft“, meinte Assasina zu Rutaara, kaum hatte sie diese eingeholt. Die Elbe schenkte ihr ein Lächeln. „Du beherrscht die Magie über das Heilige Feuer sehr gut.“
„ich danke dir“, erwiderte die Elbe immer noch lächelnd.
„weißt du … ich frage mich, ob du mir eventuell einen Gefallen tun könntest ...“ Assasina hörte auf zu sprechen und sah die Dunkle, deren Lächeln jetzt verschwunden war, von der Seite her an.
„Welchen Gefallen …?“ meinte Rutaara mit hörbarer Skepsis in der Stimme.
„Könnte ich etwas von deinem Heiligen Feuer haben? Nicht viel, nur ein bisschen?“
Cedrik hatte sich etwas von der Gruppe zurück fallen lassen. Nachdem er nun neben Sternenlicht herlief und nicht auf ihm saß, drang der widerliche Geruch der Sümpfe auch ihm in die Nase. Er beobachtete, wie erst Rutaara mit dem Zwerg sprach und danach Catyua. Und er fühlte deren Not. Er spürte den stechenden Kopfschmerz, der sie plagte. Im Gedanken durchforstete er seine Kräuter nach einer Linderung dieser Kopfschmerzen. Hatte er nicht noch einige Fäden von Elfenkraut? Es war nicht viel, doch um die giftigen Dämpfe absorbieren zu können, sollte es ausreichen.
Während er also neben Sternenlicht herlief, griff er in den Beutel und zog das Lederbeutelchen mit den Kräutern hervor. Er öffnete die Verschnürung und schon der erste Geruch, der den Kräuterbeutel verließ, ließ ihn erkennen es war wirklich noch etwas vom Elfenkraut vorhanden. Er durchforstete mit den Fingern den Vorrat und als er die dünne, harte Knolle erwischte, nahm er sie heraus brach ein kleines Stück ab, den Rest packte er zurück und verschloss anschließend wieder den Beutel.
Nun beeilte er sich, den Anschluss zur Gruppe zu bekommen, da er während er nach dem richtigen Mittel suchte, zurück gefallen war. Er lief nun neben Catyua her und hielt ihr das Stück Elfenkraut hin. Sie sah ihn erst fragend an, dann das seltsam bleich wirkenden Stück Stängel in seiner Hand.
„Nimm dies in den Mund und kaue daran. Aber schlucke den Saft nicht hinunter. Sonst besteht die Gefahr, dass du in einen Traum eingesponnen wirst, aus dem du nur schwer erwachst. Spucke den Saft aus. Die ätherischen Öle, die durch das Kauen frei werden, werden von deinem Mund aufgenommen und an deinen Kopf weiter geleitet. Sie betäuben deinen Kopfschmerz. Es wird nicht gut schmecken und es wird deine Geschmacksnerven auch betäuben, aber immer noch besser als deine rasenden Kopfschmerzen. Und keine Angst, dies ist Elfenkraut. Rutaara kann dir die Wirkungsweise bestätigen. Auch Meister Silberzunge kennt sicher Elfenkraut und seine Wirkung!“
Cedrik atmete erleichtert auf, als Catyua nach dem Stück Elfenkraut griff und es sich in den Mund schob. Gleich darauf verzog sie das Gesicht. Ja, Elfenkraut schmeckte bitter und gallig und hatte auch sonst einen unangenehmen Geschmack, aber es war das einzige Mittel, das ihnen hier zur Verfügung stand. Haben sie erst dies gefährliche Umland verlassen, sah die Sache schon besser aus. Cedrik musste nur darauf achten, dass keiner von dem Wasser trank oder in eines der Wasserlöcher fiel.
Nun ließ Cedrik sich wieder zurück fallen, damit er den rückwärtigen Bereich der Gruppe sichern konnte. Kurz prüfte er, ob etwaige Spuren hinter ihm von ihnen zu sehen waren, doch er konnte nichts entdecken.
Cedrik wandte sein Augenmerk wieder nach vorne und ließ seinen Gedanken freien Lauf, während er so wie die anderen danach trachtete, die Ausläufer von Aanduu so rasch als möglich zu verlassen. Falls dies noch möglich war!
„Wie bitte?“, fragte Rutaara erstaunt. Um so etwas hatte sie noch niemand gebeten. „Dürfte ich dann bitte erst erfahren, wozu ich dir diesen Gefallen erweisen sollte?“
Die Gedanken der Elbin rasten. Sie hatte noch nie jemandem ihr Elbenfeuer übertragen, denn wie sie wusste war die Gefahr dabei immer, dass der Empfänger am ende immer starb. Und nun sollte sie es noch an jemanden übertragen, der keine Elbe war …?
Tjurre schwieg nun schon eine ganze Weile und lief nachdenklich neben Catyua her. Als der Magier erschienen war, hatte er so getan als würde er ihn nicht bemerken, denn ihn wollte er noch genauer beobachten.
'Irgendwie ist mir dieser Junge bekannt', dachte er bei sich und schüttelte leicht den Kopf, als er in seinen Erinnerungen nichts fand.
Catyua hatte diese Geste bemerkt und sprach ihn an:
„Ist irgend etwas nicht in Ordnung?“
„Nein, nein es ist nichts“, erwiderte er. „Ich habe nur das seltsame Gefühl, dass ich diesen jungen Magier kenne. Es will mir nur nicht einfallen woher!“
Assasina erriet Rutaaras Gedanken und musste lächeln.
„Nein, ich habe es nicht so gemeint, wie du es dir denkst. Ich will es nicht beherrschen und darüber gebieten – zumindest nicht in diesem Sinne, den du kennst. Ich besitze nicht einmal magische Fähigkeiten, aber ich kenne mich gut aus und weiß, dass auch Nicht-Magier in der Lage sind, unnatürliche Dinge geschehen zu lassen.“ Ihr Blick huschte kurz zur SOL I LAGOR. „Ich möchte etwas von deinem Feuer, um es nicht in – sondern an mir – zu tragen!“
„Das geht nicht“, meinte Rutaara, aber sie sagte es nicht geringschätzig oder abwertend. „Das Heilige Feuer ist eine Kunst und über sie zu gebieten eine Ehre. Du musst es in dir tragen und einen Nicht-Magier könnte es töten, wenn er so etwas versuchen würde!“
„Du würdest vermutlich lachen, wie simpel es ist Herr über das Feuer zu werden. - über alle Feuer, wenn es nicht eine gleichsam erschreckende Möglichkeit wäre.“
Assasina griff in ihren Beutel und holte ein klein wenig von der Asche hervor. Das zeigte sie Rutaara, schloss ihre Finger und als sie diese wieder öffnete, tanzte eine kleine Flamme auf ihrer Handfläche. Rutaaras Augen weiteten sich vor Schreck.
„Dunkles Feuer!“ flüsterte sie beinahe unhörbar.
„Ich konnte Votan etwas davon nehmen als er uns angegriffen hatte. Er hat mir einmal gezeigt, wie auch Nicht-Magier damit umgehen können. Bevor wir aufbrachen habe ich auch noch die Flammen des Feuergeistes aufgesogen. Und jetzt bitte ich dich um ein wenig von deinem Heiligen Feuer!“
„Warum sollte ich das tun? Das Heilige Feuer ist eine der reinsten Gaben und durch und durch nur für das Gute da! Warum sollte ich zulassen, dass du es mit schwarzer Magie beschmutzt und ausnutzt?“ Rutaara war entrüstet.
„Ich habe nicht vor, damit eine Superwaffe herzustellen – na gut, eigentlich doch - aber nur um mich und uns gegen diese Feuergeister zu schützen. Ich beherrsche keine Magie und ich werde bestimmt nicht tatenlos zusehen wenn wir angegriffen werden. Was – und da bin ich mir absolut sicher - auch der Fall sein wird. Ich kann Feuergeister fangen, ich kann sie schwächen aber ich kann sie nicht töten, was in einer Schlacht ein sehr großer Nachteil ist. Und erwarte bitte nicht von mir dass ich einfach da stehe, während ihr euch in Lebensgefahr begebt. Meine Mischung ist jetzt schon tödlich genug um einen Feuerdämon zur Strecke zu bringen, aber sie ist noch nicht sicher und es erfordert ungemein viel Kraft, sie zu benutzen. Bei kleinen Angriffen habe ich Zeit um sie auf mir bekannte Weisen zu töten die jedoch lange dauern. Bei einem Großangriff ... ?“ Assasina schaute nun direkt in Rutaaras Augen und wartete auf eine Antwort. Das Dunkle Feuer auf ihrer Handfläche brannte immer noch.
Rutaara hatte ihr schweigend zugehört und dachte nun genauestens über die Worte der Elfe nach. Sie betrachtete nachdenklich das Dunkle Feuer in Assasinas Hand.
„Und wie willst du das Feuer verwahren“, fragte sie dann. „Ich wüsste nicht, wie es brennen soll, wenn du es nicht durch Magie hervor bringen kannst. Das scheint mir unmöglich!“ Die Dunkle legte den Kopf schief und blickte Assasina an. „ich werde dir den Gefallen tun“, sagte sie nach einer eingehenden Musterung der Elfe. „Wenn du mir verrätst, wie wir das anstellen sollen.“
Nachdem das hämmernde Pochen in ihrem Kopf nachgelassen hatte, wofür sie sich mit einer kurzen Berührung bei Cedrik bedankte, war ihr Gespräch mit Tjurre Silberzunge auf angenehmere ja fast unterhaltsame Themen gefallen – bedachte man die Situation und Umstände.
'Vielleicht könnte ich ihn ja näher kennen lernen?' stahl es sich in die Gedanken des jungen Mädchens.
Und tatsächlich begann der Zwerg angeregt mit ihr zu plaudern, als ein Thema, das ihm wohl gefiel angeschnitten wurde. Gestikulierend, um das Erzählte zu untermalen, achtete er weniger und weniger auf den Weg – es blieb unbemerkt, denn Catyua und Cedrik an ihrer Seite waren von den Erzählungen des Zwerges gefesselt. Und so kam es, wie es wohl kommen musste: Der Zwerg strauchelte auf dem uneben gewordenen Boden, fand keinen Halt für seine in der Luft rudernden Arme und stürzte seitlich ins Moor.
In einem Reflex sprang Catyua auf ihn zu und bekam tatsächlich noch eine seiner Hände zu fassen, die er vergeblich nach Halt ausgestreckt hatte. Sie hatte allerdings nicht mit dem Gewicht des Zwerges gerechnet, denn trotz seiner geringen Körpergröße war dieses beachtlich.
„Meister Silberzunge!“, rief Cedrik, lenkte damit die Aufmerksamkeit aller auf das geschehene Unglück und sprang zeitgleich zu seiner Gefährtin, um zu verhindern dass diese ebenso im Sumpf landete.
„Festhalten!“ presste Catyua angestrengt hervor. Seine Antwort blieb unverständlich. „Hilf mir ...“, flehte das Mädchen immer weiter abrutschend. Tjurres Gestalt schien in den ekelhaft gelb und orange leuchtenden Dämpfen zu schweben, kurz über der brodelnden Oberfläche des Feuersumpfes.
Cedrik packte ebenso die Hand des Zwerges und merkte den Zug, dem Tjurre Silberzunge ausgesetzt war. Cedrik holte nun tief aus sich die letzten Reserven und endlich … langsam und beinahe nicht zu erwarten … kehrte sich der Zug um und er konnte, gemeinsam mit Catyua den Zwerg wenigstens soweit heraus ziehen, dass dieser keuchend und immer wieder Sumpfwasser spuckend sowie zwischendurch schimpfend, einatmen konnte. Doch ohne weitere Hilfe würden sie Tjurre nicht gänzlich an Land ziehen können. Denn der Sog war – obwohl nicht mehr so stark und nun gegenläufig – noch immer vorhanden. Kurz schien es Cedrik, als hörte er ein hämisches Lachen, doch er konnte sich auch getäuscht haben. Er hatte alle Hände voll zu tun, weder den Zwerg, der trotz seiner geringen Körpergröße aber das normale Gewicht eines ausgewachsenen Mannes aufwies, noch seine Catyua ebenfalls in den Sumpf stürzen zu lassen. Und so war er äußerst dankbar, als eine weitere Hand nach vorne fasste, den halb am Rand liegenden Zwerg beim Hosenbund packte und mit einem harten Schwung gänzlich heraus zog. Cedrik atmete auf und wandte sich um, um zu sehen wer da wohl so kräftig geholfen hatte.
„Ihr solltet besser aufpassen, wo Ihr hin tretet, Herr Zwerg! Das nächste Mal habt Ihr vielleicht nicht das Glück, so mutige Helfer zur Stelle zu haben.“
Assasina wischte sich ihre schlammigen Hände an einem Heidelbeerstrauch ab und würdigte den Zwerg keines Blickes mehr. Dass Zwerge und Elfen sich grundsätzlich nicht sehr gut verstanden, war allgemein bekannt. Aber Assasina war keine Elfe, die viel von Vorurteilen hielt, deshalb begegnete sie dem Zwerg auch nicht mit Misstrauen oder Verachtung. Aber seit seinem Erscheinen hatte er sie keines Blickes gewürdigt, im Gegensatz zu den anderen die er – wie Assasina aufgefallen war – genauestens gemustert hatte. Also wusste sie nicht, warum sie ihm nun dieses Zeichen der Höflichkeit entgegen bringen sollte. Ihm zu helfen war eine Sache, sich selbst zu einem unterwürfigen Hund machen, eine andere. Denn genauso kam es ihr vor, wenn sie jemanden anders behandelte, als dieser sie.
Was der Zwerg grummelte konnte sie nicht mehr hören, denn sie war wieder zu Rutaara aufgeschlossen, um ihr „Geschäft“ endlich zu erledigen.
„Es ist ganz einfach“, sagte sie, als sie die Elbe wieder erreicht hatte. „Dunkles Feuer kann jede andere Art von Feuer einfach aufsaugen. Du musst also nur eine Flamme herauf beschwören. In der Größe, die uns beiden am geeignetsten erscheint und die Flamme, die ich herauf 'zaubere' wird deine – im weitesten Sinne – auffressen. Es ist wirklich nicht schwer und du musst nichts machen.“
Rutaara schien skeptisch. Assasina war sich jedoch nicht sicher, ob wegen der Flamme oder wegen des Zwergs.
Rutaara dachte kurz nach, bedachte den verdreckten Zwerg mit einem spöttischen Blick und wandte sich dann wieder der Elfe zu.
„In Ordnung!“, sagte sie. „Aber ich sage dir, sollte ich jemals erfahren, dass du das Heilige Feuer zu üblen Zwecken missbrauchst, werde ich dich finden und vernichten! Auch wenn du mir eine gute Freundin geworden bist.
Die Dunkle schloss die Augen, holte einige Male tief Luft und ließ einen Funken in ihrer Hand erscheinen, der stetig größer und zu einer hellblauen Flamme wurde. Als die Flamme für Rutaara eine angemessene Größe erreichte, öffnete sie die Augen und blickte Assasina an.
„Ist es groß genug?“ fragte sie.
Tjurre saß auf dem Boden, über und über mit stinkendem Schlamm bedeckt und schimpfte lauthals über seine eigene Unachtsamkeit. Er nahm seinen Stab, grummelte etwas in seinen Bart und der Schlamm, der ihn bedeckte, wurde hart und bröckelte schließlich ab. Er stand auf, klopfte sich den restlichen Staub aus den Kleidern und verbeugte sich tief vor Cedrik und Catyua.
„Ich danke Euch, meine jungen Freunde. Ihr habt mir das Leben gerettet!“
Tjurre wandte sich um und wollte auch der Elfe danken, als er sah dass Rutaara ihr Heiliges Feuer rief und … schwieg. Er würde sich eben später bei Assasina bedanken. Nun wollte er erst einmal wissen, was da vor sich ging.
Besorgt redete Cedrik auf Catyua ein, ob es ihr auch wirklich gut ginge. Liebevoll lächelte sie ihn an.
„Es ist alles gut, mir fehlt wirklich nichts. Ich bin nur froh, dass unser kleiner Freund hier überlebt hat.“ Doch Cedrik war nicht wirklich überzeugt.
Das Feuer in Rutaaras Hand zog dann aber Catyuas Aufmerksamkeit auf sich. Erschrocken wirbelte die junge Albin herum, ihr Schwert schon in der Hand, da sie meinte, den Widerschein eines dieser entsetzlichen kleinen Biester gesehen zu haben und so in Erwartung eines Angriffs war. Erleichtert, aber doch ein wenig misstrauisch beobachtete sie das Treiben der Beiden.
„Gut, dann gebe ich dir hiermit sogar die Erlaubnis, wenn nicht den Befehl sollte es soweit kommen, dass ich das Heilige Feuer missbrauche, dass du mich tötest. Denn wenn es einmal so weit mit mir gekommen sein sollte, verdiene ich es nicht mehr zu leben und ich denke, es wird nicht viele geben die mich aufhalten könnten. Aber du wärst eine davon!“ Assasina neigte kurz ihren Kopf, als Zeichen ihrer Wertschätzung gegenüber der Elbe. „Und ja, es hat eine angemessene Größe. Allerdings möchte ich dich noch darauf hin weisen, dass mein Feuer in der Lage ist zu wachsen wenn ich es mit etwas Brennbarem nähre und wenn dein Heiliges Feuer dabei ist, wird auch dieses wachsen. Ich hoffe, dies ist in Ordnung für dich. Das Verhältnis der Mischung wird stets das gleiche bleiben!“
Ruttara schien kurz nachzudenken, nickte dann aber. Auch Assasina ließ ihr dunkles Feuer erscheinen und bewegte ihre Hand auf Rutaaras Blaue Flamme zu. Die Dunkle beobachtete wie gebannt wie langsam das Heilige Feuer auf Assasinas Hand und in ihre Flammen zu laufen schien. Auch die Elfe sah dem Spektakel aufmerksam zu. Es war von wunderschöner Majestät.
So bemerkten beide nicht wie von hinten eine kleine Gestalt angerannt kam und sich mit voller Wucht auf Assasina stürzte, die kopfüber nach vorne kippte und ihre Flamme auf den Waldboden fallen ließ. Binnen weniger Sekunden hatte das trockene Laub am Boden Feuer gefangen und breitete sich rasend schnell aus.
„Närrischer Zwerg!“ rief Assasina und wandte sich dem Feuer zu. Alle sahen sich erschrocken um, denn die Flammen schienen sie einzukreisen.
Die Elfe legte ihren Handrücken auf den Boden und die Flammen zogen sich zurück und wanderten in ihre Richtung, bis nur noch ein Häufchen Asche darauf lag.
„Dunkles Feuer!“, kreischte der Zwerg und Assasina konnte hören, wie hinter ihr laut die Luft eingesogen wurde.
„Närrischer Zwerg!“, presste sie nochmals zwischen den Zähnen hervor. Zum Glück waren sie und Rutaara mit der Übertragung beinahe fertig geworden und auf das kleine Flämmchen – nicht mehr als bei einer Kerze – konnte sie im Zweifelsfalle auch verzichten.
Rutaara funkelte Tjurre zornig an.
„Was fällt dir ein?“, zischte sie. „Kannst du dich nicht einmal heraus halten?“ Sie packte den Zwerg am Kragen und hob ihn hoch, sodass er mit den Beinen in der Luft hing. „Du wirst dich von nun an zurück halten, hast du mich verstanden?“
Tjurre nickte erschrocken. „Du schnürst mir die Luft ab“, keuchte er. „Ich werde alles tun was du sagst, nur lass mich bitte wieder runter!“
Die Dunkle blickte ihn noch einmal scharf an und ließ ihn zu Boden fallen. Der Zwerg landete unsanft auf der Erde. Er setzte sich auf, blickte voll Verachtung auf die Elfe und rieb sich dabei den Hals.
Voller Verwunderung sah Catyua Rutaaras verhalten zu. Was sollte das? Die Umgebung stimmte sie zwar alle gereizt aber dass die Elbin ihren Freund so behandelte … was war da nicht in Ordnung?
Mit größerer Vorsicht liefen sie alle nun weiter, der Zwerg merklich verstimmt. Schließlich hielt Catyua die drückende Stille nicht mehr aus.
„Gestattet Ihr mir die Frage, was dort zwischen Euch und meiner Gefährtin vorgefallen ist und weshalb Ihr das Ritual um jeden Preis unterbrechen wolltet? Hat sich meine Kampfgefährtin Euch gegenüber schon einmal so benommen? Ich kenne sie gar nicht so, nicht ihren Freunden gegenüber!“ Als der Zwerg nicht gleich antwortete sagte sie leise: „Entschuldigt, ich wollte Euch wirklich nicht zu nahe treten“, dann verstummte sie. Nach einiger Zeit schien er jedoch sprechen zu wollen und blickte ihr prüfend ins Gesicht.
Tjurre Silberzunge sah Catyua genau an, dann senkte er beschämt den Blick und nuschelte:
„Ich und meine unüberlegten Handlungen!“ Tjurre lachte kurz und trocken auf. „Wundert Euch bitte nicht über Rutaaras Verhalten. Solche Wutausbrüche bin ich von ihr gewohnt.“ Wieder lachte er. „Dass Ihr so überrascht darüber seid, ist ihr verhalten wohl in Eurer Nähe anders. Das ist typisch für sie. Sie zeigt nicht gerne ihre wahre Natur.“ Der Zwerg schwieg wieder eine Weile und blickte dabei immer wieder misstrauisch zu der Elfe. „Habt Ihr gewusst, dass dieses Wesen Dunkles Feuer benutzt?“, fragte er Catyua.
„Tut sie nicht. Ihr habt recht, denke ich. Und ja ich wusste es, wir alle wussten es. Doch nie hat sie es gegen uns verwendet.“ Das Mädchen spürte den Drang, die Elfe zu verteidigen. „Ich stehe dem Dunklen Feuer auch skeptisch gegenüber, doch dank Assasina hat es uns schon geholfen! Was lässt Euch das Feuer so vehement hassen?“ Sie blickte ihn erwartungsvoll an.
„Dunkles Feuer ist nun mal ein Übel“, brummte der Zwerg. Erinnerungen an die Zerstörung seines Hauses und die Ermordung seiner Frau blitzten in seinem Kopf auf. Überall waren Flammen, entstanden durch Dunkles Feuer. Tränen schossen Tjurre in die Augen und er wendete den Blick von dem Mädchen ab. „Ich möchte jetzt nicht mehr darüber sprechen!“
„Oh, entschuldigt … ich wollte nicht …!“
Da unterbrach sie Cedrik. „Lass es gut sein“, und schenkte ihr ein liebevolles Lächeln. Beschämt blickte sie zur Seite. Dann nickte sie zustimmend. „Du hast recht.“ Doch die Neugierde war stärker als die Einsicht. „Weißt du etwas über das Dunkle Feuer? Natürlich nur, wenn du darüber sprechen möchtest …!“, schränkte sie ein und sah bedauernd auf den Zwerg neben ihr.
Der junge Magier hatte die Neugierde seiner Gefährtin schon gespürt und hatte sich bereits eine Antwort zurecht gelegt.
Cedrik nickte. Seine Seelengefährtin hatte recht. Er kannte das Dunkle Feuer. Cedrik fuhr sich kurz durch sein Haare, ordnete seine Gedanken, dann begann er:
„Ich hatte einmal mit 'Dunklem Feuer' zu tun. Fulkhurx hatte wieder einmal eines seiner Experimente gemacht und dabei entstand Dunkles Feuer. Ich weiß nicht, was er gemacht hatte, aber es war furchtbar. Dunkles Feuer lässt sich weder durch Wasser, noch durch Zaubersprüche löschen. Es brennt sich bis tief in die befallene Materie. Befällt es lebendes Gewebe, Menschen, Elfen, Zwerge oder was alles, brennt es sich durch bis zum Knochengerüst. Es verbrennt Häuser aus Holz, aus Stein und selbst aus härtesten Edelgestein. Es verbrennt Fleisch und beinahe hätte es auch Fulkhurx verbrannt. Das einzige, das geholfen hatte war – dass mein Meister das Feuer in die Traumzeit gebracht hatte. Doch frage mich bitte nicht, wie er das geschafft hatte. Ich fühlte mich zu diesem Zeitpunkt ziemlich verlassen und es war kein tolles Gefühl so hilflos zu sein. Fulkhurx sagte mir damals, dass es großer Seelenkraft bedarf, Dunkles Feuer zu beherrschen und auch zu löschen!“
Cedrik fühlt das Erschrecken Catyuas, legte ihr einen Arm um die Schulter und drückte sie an sich. Wie gerne hätte er ihre weichen Lippen geküsst, doch die Zeit war zu diesem Zeitpunkt nicht richtig. So sandte er ihr einen liebevollen Blick und ein zärtliches Lächeln. Sein Blick fiel auf den ihn beobachtenden Zwerg und er runzelte die Stirn. Kurz sah sich Cedrik nach Sternenlicht um, doch dieser lief neben den Pferden mit dem Prinzenpaar einher und schien sich mit den beiden Pferden zu unterhalten. Kurz schüttelte Cedrik den Kopf, er musste sich täuschen.
Rutaaras Reaktion überraschte Assasina, aber ihr Mitleid für den Zwerg hielt sich in Grenzen. Er hätte sie alle umbringen können. Nachdem sie Rutaara noch einmal ihren Dank aussprach, ging sie nun etwas weiter hinten in der Gruppe, um den Zwerg im Auge behalten zu können. Wobei sie das Gespräch zwischen ihm und Catyua mit anhörte und auch zwischen der Albin mit Cedrik. Assasina lächelte hämisch und schloss dichter leise zu dem jungen Paar auf.
„Und weißt du auch, warum es 'Dunkles Feuer' heißt?“ Sie raunte diese Frage den beiden ins Ohr, die erschrocken zusammen zuckten, herum wirbelten und erleichtert lächelten, als sie die Elfe sahen. Cedrik warf ihr einen neugierigen Blick von der Seite zu, während sie den Weg weiter fort setzten. „Dunkles Feuer...“, begann Assasina und spürte die Aufmerksamkeit Agenors und dem Prinzenpaar. Darum sprach sie ein wenig lauter, als es nötig gewesen wäre. Auch Rutaara und der Zwerg schienen ihre Ohren zu spitzen. Lyrael lief nun dicht neben Catyua her.
„Dunkles Feuer hat seinen Namen nicht wie die meisten denken, von der dunklen Seite der Macht. Sondern es stammt aus jener Zeit, als der Große Krieg zwischen Elfen und Zwergen herrschte. Wenn ich mich recht erinnere, war es Giladoch – einer der besten Krieger der Elfen – der eines Tages von einem Zwerg gefangen genommen wurde.“
„Von Hurkess“, hörte Assasina den Zwerg grummeln und eine ihrerAugenbrauen wanderte nach oben.
„Ja, von Hurkess. Elfen waren immer schon bewandert mit den Künsten der Magie. Damals noch mehr als heutzutage. Hurkess, der Giladoch seinem Hauptmann vorwerfen wollte, fesselte diesen mit einer Eisenkette an einen Baum nahe der Schlacht, damit Hurkess schlafen konnte und Giladoch zusehen musste, wie sein Volk und seine Freunde abgeschlachtet wurden. In jener Nacht, mit Eisen gefesselt entwickelte Giladoch einen so gewaltigen Zorn gegen die Zwerge, dass es ihm auf unerklärliche Weise gelang, in seinen Händen Feuer entstehen zu lassen. Feuer, das alles verbrennen konnte. Somit konnte er sich von seinen Ketten befreien und getrieben durch den Zorn, begann er das gesamte Lager der Zwerge in dem er sich befand, nieder zu brennen. Am nächsten Morgen, an dem er das Ergebnis seiner Tat sah, wurde ihm klar was er mit dieser Waffe anstellen konnte und diese Vorstellung widerte ihn so an, dass er darüber schwieg und sich schwor, nie wieder Gebrauch davon zu machen. Aber als er nach dem Krieg sah, wie sein Volk misshandelt wurde, von Menschen, den Zwergen und auch den Elben, machte er wieder Gebrauch von ihr, um die Seinen zu beschützen. Doch er gebrauchte es nur bei Nacht. Nachts wurde er zum Dunklen Retter des elfischen Volkes. 'Blasse Haut und rote Flammen werden sich verbünden und nur die, die sterben werden, wissen die Nacht von der Dunkelheit zu unterscheiden. Ech na e. Od kem na sir doz brut. Wiach tefd un go se!' Ein elfisches Sprichwort. Aber irgendwann kamen die Dämonen dahinter, entführten Gildoch und folterten ihn. Sie entlockten ihm das Geheimnis, kurz bevor er starb. Giladoch hat nie jemandem verraten, dass er der Dunkle Retter war und auch niemandem, was das Geheimnis hinter dem Feuer ist. Deshalb hatten nach seinem Tod nur die Dämonen dieses Wissen und sie schleuderten es offensichtlich in die Welt, weshalb man bald vergaß, dass es einmal besseren Zwecken diente!“
Assasina schwieg – und der ganze Wald schwieg mit ihr.
„Den Krieg damals hatten nicht wir begonnen und die Erinnerung daran schmerzt mein Volk noch heute“, begann Tjurre nach längerer Zeit. „Es war Verrat von beiden Seiten. Hurkess wurde übrigens zur Strafe für seine grausamen Taten in atmendes Kristall eingeschlossen, wo er für alle Zeit bei vollem Bewusstsein gefangen bleibt!“ Der Zwerg schüttelte traurig den Kopf. „So viele starben damals, so sinnlos! Entschuldigungen werden nichts mehr ausrichten, unsere Völker werden immer mit dieser Schande leben müssen.“
Cedrik hatte seine Aufmerksamkeit von Sternenlicht wieder dem Gespräch zugewandt. Er konnte sich noch gut an das erschrockene Gesicht von Fulkhurx erinnern, als das „Dunkle Feuer“ ihn ergriffen hatte und außer Kontrolle geraten war. Dabei hatte der alte Magiermeister noch Glück im Unglück gehabt und nur zwei Finger verloren. Da musste ihm Cedrik mit einem der Heiligen Dolche, die Fulkhurx sonst immer für Zeremonienzauber benützte, die beiden Finger von der Hand trennen. Cedrik konnte danach vier Nächte nicht schlafen. Doch da war er noch ein Kind gewesen. Dieses Ereignis jedoch hatte Cedrik nicht nur die Gefährlichkeit und Heimtücke des Feuers vor Augen geführt, sondern ihm auch einen gewaltigen Respekt davor eingeflößt. Und eine Abneigung davor, solche Dinge leichtfertig zu entfachen und zu verwenden.
Als Cedrik die Kriegsgeschichte vernahm, nickte er geistesabwesend. Ja, viele Völker führten immer wieder Krieg. Cedrik verabscheute Krieg, doch ohne einen solchen hätte er nie seine Seelengefährtin kennen gelernt. Ob Fulkhurx dies wusste? Vielleicht hatte er es ja in dem Auge gesehen? Und hatte Cedrik geschickt, das Prinzenpaar zu befreien und zurück zu bringen, statt selber zu gehen.
Cedrik unterbrach seinen Gedankengang und wandte seine – diesmal ungeteilte – Aufmerksamkeit dem Gespräch zu.
„Ich habe nie gesagt, Herr Zwerg, dass ihr den Krieg damals begonnen habt. Und nein, es war nicht Verrat von beiden Seiten. Die Elfen haben den Krieg ganz alleine verschuldet, worüber aber kaum jemand mehr redet und was auch so gut wie niemand mehr weiß.“
„Ihr seid eine Elfe, wie könnt Ihr es verantworten, etwas derartiges zu behaupten?“
„Ich bin eine Halbelfe“, korrigierte Assasina Tjurre und sah ihm tief in die Augen. Irgend etwas irritierte sie an ihm.
Der Elbin gefiel die Entwicklung des Gesprächs nicht und sie schaltete sich ein.
„Wir haben keine Zeit, um über die Vergangenheit zu streiten. Unsere dringendste Aufgabe ist es, dass wir den Prinz und die Prinzessin ohne weitere Zwischenfälle zu König Rachnaul zu bringen!“ Sie schaute Assasina und den Zwerg an. „Wenn ihr zwei euch nicht vertragen könnt, ist dies nicht mein Problem. Doch solltet ihr die Gruppe durch euer Verhalten gefährden, bereite ich dem ein schnelles Ende“, meinte sie kalt und in ihren smaragdgrünen Augen schimmerte ein gefährlicher Glanz.
Cedrik runzelte die Stirn, als er die Schärfe in Rutaaras Stimme vernahm. Er hatte noch immer den Arm um Catyua liegen, jetzt beugte er sich zu ihr und meinte leise:
„Ich denke, wir sollten etwas schneller laufen, der Streitpunkt zwischen diesem Tjurre Silberzunge und Rutaara sind deren Sache und wir wollen nicht stören. Ausserdem habe ich ein seltsames Gefühl, wegen dem Prinzen. Es ist, als ob er etwas im Schilde führt!“
Cedrik beschleunigte etwas und zog Catyua mit sich. Sein Blick suchte den Rücken des Prinzen. Es schien sich wirklich etwas zusammen zu brauen. Das konnte keiner der Gruppe gebrauchen. Von Feinden umgeben und in den eigenen Reihen auch noch zu kämpfen müssen. Hinter Cedrik zwei, die streiten und vor ihm zwei, die etwas ausheckten und immer diese Bedrohung von neuen Feinden überrannt zu werden!
Catyua stolperte kurz und Cedrik verstärkte seinen Stützgriff. Unwillkürlich sahen sich beide in die Augen und das was Cedrik in Catyuas Augen sah, ließ sein Herz rascher schlagen. Nur leider war es dazu die falsche Zeit und – vor allem – der falsche Ort.
Rutaara hatte sich, um sich abzureagieren, etwas von der Gruppe zurück fallen lassen und bildete bald die Nachhut. Die Elbe war aufgebracht, brachte Tjurre's Anwesenheit doch mehr Schwierigkeiten mit sich, wie sie gedacht hatte. Anfangs hatte sie sich ja wirklich gefreut, doch dass der Zwerg und die Elfe sich nicht unbedingt mochten, damit hatte sie nicht gerechnet.
Assasina biss sich nervös auf ihre Lippe, eine schlechte Angewohnheit der sie schon lange nicht mehr huldigte, die jedoch jetzt wieder zum Vorschein kam. Irgend etwas stimmte nicht, sie konnte es fühlen. Doch es war keine Bedrohung von außen, eher etwas in der Gruppe. Sie sah sich um. Cedrik schien es auch bemerkt haben. Sie sah es in seinen Augen, als sie Blickkontakt zu ihm hatte. Sie ging nach rechts zu dem jungen Paar. Catyua war gerade in einem Gespräch mit Agenor, beendete es aber als Assasina auf sie zu kam.
„Du spürst es auch, nicht wahr?“
Cedrik nickte, schwieg jedoch. Die Elfe nickte ebenfalls und ging eine Zeit lang neben den beiden her, als sie das Schweigen wieder brach.
„Meinst du, es hat etwas mit dem Zwerg zu tun?“ Cedrik und Catyua blickten sie verdutzt an. „Ich meine, es ist irgend etwas anders, seit er hier ist und das hat nichts damit zu tun, dass er ein Zwerg ist. Du weißt, dass es es so ist. Seit er hier auftauchte, liegt mehr als nur eine komische Stimmung in der Luft.“
Cedrik verzog sein Gesicht zu einem grübelnden Ausdruck, sagte aber immer noch nichts.
„Kannst du mir bitte erklären, was hier los ist?“ Es war Catyua, die nun sprach. „Ich fühle, dass dich etwas schweres bedrückt. Etwas Schlechtes, aber ich sehe nicht, was es sein könnte. Was geht hier wirklich vor?“ Catyuas Blick ging zwischen Cedrik und Assasina hin und her. Die Elfe schüttelte den Kopf zum Zeichen, dass sie nichts sagen wollte und sah den Magier erwartungsvoll an.
Cedrik senkte den Blick. Wie sollte er Assasina und den anderen erklären, dass er zwar die Unruhe spürte, aber dass er sie nicht genauer erklären oder definieren konnte. Doch er stimmte nicht mit Assasina überein, die meinte der Zwerg wäre die Ursache dieser „komischen Stimmung“, wie sie sich ausdrückte – sondern dass es eher mit dem Prinzen und dem Dunklen Feuer zu tun hatte. Die Ankunft von Tjurre Silberzunge schien in mittelbarem Zusammenhang mit der Ausdehnung der Feuersümpfe zu stehen, doch Cedrik glaubte nicht ernsthaft daran. Es wäre zu viel Zufall. Er würde sehr beruhigt und froh sein, wenn sie diese Strecke hier endlich hinter sich gelassen hatten.
Kurz sah Cedrik auf, als er eine leichte Unruhe weiter vorne bemerkte. Einige Augenblicke lang schien es, als würde der Prinz und seine Angetraute schneller werden. Doch gleich darauf fielen ihre Reittiere wieder in den vorherigen Schritt. Cedrik hob eine Braue, als er daran dachte, sollten die beiden wirklich zu fliehen versuchen, hätten alle hier ein großes Problem. Sie hätten nichts mehr, das sie dem König bringen konnten, aber sie hatten dann auch die gefährliche Aufgabe, die beiden „Gäste“ wieder einzufangen.
Rutaara stieß einen Fluch aus. Was war da vorne los? Sie beschleunigte ihre Schritte um nicht den Anschluss zu verlieren, hielt sich aber weiterhin im Hintergrund, da sie ständig das Gefühl hatte, etwas würde demnächst passieren.
Erneut entstand Unruhe. Die beiden Pferde, bisher nebeneinander trabend und auf ihren Rücken das Prinzenpaar, begannen zu tänzeln, sich zu beißen versuchen und keilten immer wieder nach allen Seiten aus. Die Prinzessin stieß einen erschrockenen Laut aus, als ihr Pferd plötzlich begann den Weg schneller zu laufen. Das Pferd mit dem Prinzen folgte und Cedrik, der bis jetzt mit einer neuerlichen Kalamität, einer neuerlichen Schwierigkeit zwar gerechnet, jedoch nicht richtig daran geglaubt hatte, schrak zusammen.
Unwillkürlich stieß er ein: „He! Nicht doch!“ aus, doch seine Reaktion kam zu spät.
„Ich werde sie zurück holen, ehe ihnen etwas passiert!“ Cedrik schaute Catyua an, sah den Schrecken in ihren Augen aber auch dass sie ihn am liebsten zurück gehalten hätte. Er schüttelte schnell den Kopf, lächelte flüchtig und rief Sternenlicht mit einem grellen Pfiff. Sternenlicht jedoch schien die Situation bereits begriffen zu haben, denn er war schon auf dem Weg zu Cedrik. Dieser griff nach der Mähne Sternenlichts, schwang sich auf dessen Rücken und beugte sich tief über Sternenlichts Nacken. Sternenlicht sprintete los und hinter den beiden bereits ausser Sichtweite gekommenen Pferden her.
Cedrik sah sich trotz des raschen Rittes aufmerksam um, doch keine Spur von den beiden Ausreißern. Hin und wieder kam er an kleinen Feuerseen vorbei, aber diese schienen nur von unterirdischen Feuern gespeist zu werden. Und dann sah er sie!
Der Prinz setzte sich eben auf, er schien vom Pferd gefallen zu sein und rieb sich den Kopf. Die Prinzessin kniete am Rand eines kleinen Gewässers, das von seltsam aussehendem Gebüsch und kleinen, verkrüppelten Bäumen halb verdeckt wurde. Eines der Pferde trank eben aus dem Wasser, das andere schien weiter gelaufen zu sein. Cedrik konnte es nirgends sehen.
Eben wollte die Prinzessin ihre Hand ins Wasser tauchen, da fiel Cedrik dessen gelbliche Färbung auf und er rief, ehe er noch ganz bei den beiden Flüchtlingen angekommen war:
„Nicht trinken! Das ist reines Gift!“
Die Prinzessin zuckte weg und stieß einen erschrockenen Schrei aus, als das Pferd plötzlich anfing schaurig zu wiehern und sich zu krümmen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, da brach es in die Knie und immer wieder liefen Zuckungen über seinen Körper. Die Augen verdrehten sich so sehr, dass man das Weiße sehen konnte und Cedrik spürte innerlich den Todeskampf des Tieres. Schließlich lag es still da, das Maul etwas offen und die Zunge hing ihm aus dem Maul. Sie war schwarz und mit seltsamen Pusteln bedeckt.
Inzwischen war Cedrik heran gekommen, von Sternenlicht geglitten und zog die erstarrte Prinzessin vom Wasser weg.
„Das hätte Euch auch passieren können, wenn Ihr vom Wasser getrunken hättet, Hoheit! Warum seid Ihr geflohen?“
„Wir sind nicht geflohen!“, verteidigte sich die Prinzessin, schlug die Hände vors Gesicht und begann zu weinen. Cedrik ließ ihre Antwort auf sich beruhen und begab sich zum Prinzen, um ihn einer genauen Untersuchung zu unterziehen. Eine Wunde klaffte auf dessen Stirn, die er sich scheinbar beim Sturz vom Pferd zugezogen hatte. Cedrik schloss die Augen, legte eine Hand dicht über die Wunde und schloss sie, indem er seine Heilkräfte einsetzte. Kurz zuckte ein Blauer Schein zwischen den geschlossenen Fingern auf, dann war nur noch eine winzige Narbe zu sehen. Das Blut, das aus der Wunde geflossen war, langsam antrocknete und groteske Spuren auf der einen Gesichtshälfte zog, würde sich der Prinz bei passender Gelegenheit selbst entfernen müssen. Cedriks Blicke glitten von den Beiden zu seiner unmittelbaren Umgebung und dann zu Sternenlicht. Er würde die beiden „Gäste“ wohl oder übel auf seinem Rücken tragen müssen. Cedrik konnte ja laufen. Auch wenn ihn die beschädigte Rüstung etwas dabei stören würde.
Nachdem der Prinz seine Gemahlin tröstend in die Arme genommen und sich diese etwas beruhigt hatte, meinte Cedrik – seine Blicke immer noch schweifend lassen:
„Sitzt jetzt bitte mit Eurer Gemahlin auf und dann sollten wir schauen, dass wir zu den anderen kommen. Dort könnt Ihr noch immer erklären, warum Ihr plötzlich geflohen seid!“
„Wir sind nicht geflohen! Wir haben …!“
Doch Cedrik schüttelte nur den Kopf und meinte mit leichter Ungeduld in der Stimme:
„Bitte!“
Er zeigte zu Sternenlicht und der Prinz sah erst diesen, dann Cedrik an. Schließlich zuckte er mit der Schulter, hob seine Gemahlin auf Sternenlichts Rücken und schwang sich gleich hinter ihr ebenfalls hinauf. Er stutzte kurz, als er merkte dass Sternenlicht nicht gesattelt war, doch dann vertieften sich seine Finger in die Mähne des Einhorns. Cedrik sah sich noch ein letztes Mal aufmerksam um, dann nickte er seinem Einhorn zu und beide setzten sich gleichzeitig in Bewegung. Sternenlicht mit den beiden Hoheiten auf dem Rücken und Cedrik, der neben ihm lief.
Es dauerte nicht lange, so kam ihnen schon die Gruppe entgegen und Cedrik atmete auf. Sie waren wieder zurück und scheinbar hatte keiner der Dämonen den Ausbruchsversuch bemerkt.
Nur in der Gruppe hatten sie die Chance, diese gefährliche Gegend lebend zu durchqueren und auch wieder zu verlassen. Die beiden Ausreißer glitten von Sternenlichts Rücken und wurden von Agenors Kriegern in Empfang genommen. Was weiter mit ihnen geschah, darum kümmerte sich Cedrik nicht mehr. Er war froh, dass er unversehrt zu Catyua zurück gekehrt war und begrüßte seine Seelenpartnerin erst einmal mit einem schnellen, aber herzlichen Kuss.
Catyuas Meinung war der Kuss viel zu kurz, doch leider gab es wichtigeres als ihren Geliebten.„Was ist geschehen?“, wandte sie sich verstimmt an Cedrik. Solche Probleme hatten ihnen allen gerade noch gefehlt. Reichte den beiden Hoheitlichen dieses grausige Moor etwa noch nicht, dass sie auch noch Ausflüge auf eigene Faust unternehmen mussten? Was war denn in sie gefahren, so einfach die Hufe zu schwingen – und zwar im wörtlichsten Sinne?Catyua verbarg ihren Ärger geschickt, während sie auf die Antwort Cedriks wartete.
'Was um alles in der Welt war das gerade?' überlegte Assasina, die sich durch Agenors Männer drängte und schrie. Seit sie der Gruppe beigetreten war, hatte sie noch nie so laut und wutentbrannt geschrien. „Wurdet ihr von allen guten Geistern verlassen?“ Cedrik und Catyua sahen sie ob der Lautstärke dieses hervor geschrienen Satzes etwas vorwurfsvoll an, sagten jedoch nichts. Genauso wenig wie jeder aus der Gruppe. Sie wussten, dass es sich nicht gehörte, das Hochzeitspaar so zu behandeln, aber innerlich schienen auch sie das Verlangen zu verspüren, auf das Paar los zu gehen.Assasina trat noch etwas näher an den Prinzen heran und presste ihm den Zeigefinger an die Brust. „Jetzt reicht es. Mir egal, wer du bist und wenn du der König der ganzen bekannten und unbekannten Welt bist, aber jetzt ist Schluss mit lustig!“Die Elfe drückte den Prinzen immer weiter nach hinten und sie hörte die Prinzessin aufkreischen und rufen, sie solle ihren Gatten los lassen. Jemand brachte sie rasch zum Schweigen, denn als Assasina den jungen Mann so weit nach hinten gedrängt hatte, dass er gegen einen Baum stieß, war es komplett still im Wald. Selbst die Tiere schienen den Atem anzuhalten. „Warum wolltet Ihr verschwinden? Und wehe du versuchst mich in dieser Sache anzulügen! Du kannst froh sein, dass ich dich überhaupt so etwas frage.“„Wir … wir sind nicht geflohen! Die … die Pferde drehten durch!“ Die Stimme der Prinzessin klang schrill vor Angst. Der Zorn in Assasina stieg abermals und ihre Augen blitzten böse.„Mit dir habe ich nicht geredet, du verdammtes … Mistweib.“ Die Elfe wandte dabei keinen Blick vom Prinz ab und sah den Gesichtsausdruck der anderen nicht. Aber sie hörte, dass einige zischend einatmeten vor Schreck.„Assasina! Das reicht!“, ertönte Rutaaras Stimme, doch Assasina schüttelte nur langsam den Kopf.„Warum?“, presste diese zwischen den Zähnen hervor.Der Prinz schluckte schwer, sah sie aber weiter mit einem bewusst gleichgültigen Blick an.„Meine Gattin hat es doch gesagt. Die Pferde sind durchgedreht.“ Seine Stimme war genauso eisig wie sein Blick.„Nein! Ich kenne dich! Das Pferd,auf dem du sitzt wird IMMER das letzte sein, welches durchdreht und auch wenn es einmal der Fall sein sollte, dass es sich abnormal benimmt, dann … weil es ABSICHT ist! Also lüge mich nicht an!“„Ich würde dir ja liebend gerne antworten wie du es dir vorstellst, aber ich fürchte, ihr habt ein größeres Problem als einen … sagen wir … korrupten … Prinzen!“ Ein Grinsen huschte über das Gesicht des Mannes und er blickte auf einen Punkt hinter Assasina. Diese wirbelte herum und die anderen waren ebenso in erschrockener Bewegung. Zehn Feuergeister rasten mit höllischer Geschwindigkeit auf die Gruppe zu. „DU …!“, zischte die Elfe, ließ den Prinzen aber dann los und griff nach der Asche ihres neuen Feuers.„ZU DEN WAFFEN!“ schrie sie und machte sich bereit für den Kampf.
„Verdamme mich! Und diesen verfluchten Ort gleich mit!“, fluchte Catyua entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, als sie die Gegner auf sich zu rasen sah. Das „samt dem verräterischen Prinzen“ hatte sie gerade noch verschluckt. Assasinas Rede hatte ihrer Meinung nach vorerst gereicht. Und was zum Teufel sollte sie nun tun? Catyua wusste keine Waffe in ihrem Besitz, die gegen solche Biester etwas ausgerichtet hätte.Bis ihr der Beutel einfiel, gefüllt mit Weihwasser, den sie Dank ihres leisen Aberglaubens immer mit sich trug. Die Tatsache, dass es geweihtes Wasser war, schien ihr aber eher nebensächlich. Einfach Wasser würde wohl auch nicht viel weniger ausrichten. Cedriks Wasserzauber hatte doch bei ihrem ersten Kampf auch gewirkt – er hatte den Feuergeist in Rauch aufgehen lassen. Sie musste es versuchen.Jetzt hieß es alles oder nichts. Catyua würde warten müssen, bis ihr Gegner nahe genug war, um ihm mit dem Wasser schaden zu können. Doch sollte es keine Wirkung zeigen, dann würde dem eine sehr schmerzhafte Begegnung folgen.Mit einem leisen Summen rauschte eins der Wesen geradewegs auf sie zu, sie versuchte ihre Angst zu unterdrücken und … machte sich bereit.
Cedrik verdrehte kurz die Augen und seufzte ergeben. Wenn ein Unheil begann, konnte man meist damit rechnen, dass weitere folgten. Er sah zu den erneuten „Gästen“ hin und seine Augen wurden groß, als er einen der Feuergeister direkt auf Catyua zu rasen sah. Er konnte sich gerade noch zwischen ihn und seine Seelenpartnerin werfen, mit einer Hand ihr einen Stoß versetzen um sie aus der Gefahr zu bringen. Doch schon warf ihn der Zusammenprall um und der Feuergeist saß nun auf seiner Brust. Obwohl er klein und leicht aussah, lag dessen Gewicht schwer auf Cedriks Brust. Und das unheilige Feuer, das den Dämon beseelte, begann sich durch die Rüstung zu fressen. Kurz verlor Cedrik den Überblick und nur ein bedauernder Gedanke an Catyua huschte durch seinen Kopf, als er daran dachte, dass dies nun wohl sein Tod war. Doch so rasch wie das Gewicht auf ihn fiel, so rasch verschwand es wieder. Cedrik setzte sich auf und sah sich um, wer ihn wohl von seinem Angreifer befreit hatte, doch die anderen waren mit sich selbst und deren Angreifer beschäftigt. Somit konnte Cedrik niemanden seinen Dank abstatten und er stand auf. Noch wackelig auf den Beinen und diesem heißen Brennen auf der Brust. Er senkte den Blick und stieß ein erschrockenes Keuchen aus. Ein dunkel glühender Fleck war auf seiner Rüstung, dort wo der Feuerdämon gesessen hatte und davon ging auch die Hitze aus. Rasch öffnete Cedrik die Verschlüsse des Oberteils der Rüstung, die bereits zerstört worden war und nun auch noch glühte. Da seine Finger so zitterten, hatte er enorme Schwierigkeiten die Verschlüsse auf zu bekommen.Endlich löste sich das Rüstungsoberteil und fiel zu Boden. Doch die Hitze hatte nicht nachgelassen. Wieder senkte Cedrik den Blick und sah, dass er dort, wo vorher der Hemdvorderteil gewesen war, nur noch ein verkohltes Loch hatte und die Haut darunter ebenfalls versengt war. Kleinere Brandblasen hatten sich gebildet.Doch jetzt hatte er keine Zeit, sich darum zu kümmern. Cedrik dachte an den Wasservorhang, den er bereits einmal eingesetzt hatte und begann sich zu konzentrieren. Wieder sammelte er die umliegende Feuchtigkeit, die jetzt in Unmengen mehr war, da sie sich in einem Moor befanden, stellte sich die Positionen der diversen Dämonen vor, die er vorhin mit einem flüchtigen Blick erfasst hatte, ignorierte weiterhin den Schmerz auf seiner Haut und ließ das Gebilde aus geballten Wassermassen langsam zu dem Platz schweben, wo drei Dämonen gleichzeitig auf die Gruppe eindrangen.Wenn er sich richtig besann, kämpften dort Assasina und Rutaara Seite an Seite, um das Prinzenpaar zu beschützen. Cedrik spürte die Kraft, die er aufwenden musste, um den Wasserball zu formen und zu halten. Scheinbar hatte ihm der Zusammenprall mit dem Feuerdämon einen Teil seiner Kräfte geraubt. Er riss die Arme hoch und … entließ das Wasser aus seiner magischen Kraft. Ein kreischender Schrei ließ ihn zusammen zucken und er öffnete die Augen.Das Wasser rauschte auch wirklich auf die drei Dämonen nieder, zu denen sich nun ein Vierter gesellt hatte, doch es verdampfte über den Köpfen der Feuergeister. Diese lachten kreischend und einer meinte mit ätzendem Spott in der Stimme:„Glaubst du, dummer Magier, dass du deinen Trick zweimal anwenden kannst? Wir haben gelernt! Und jetzt werden wir auch euch etwas lehren!“Abermals griffen sie an und erneut rannte einer der Dämonen zu Cedrik. Dieser sah sich rasch um, bemerkte Sternenlicht der ebenso bedrängt wurde wie die anderen Pferde, lief hin und musste im letzten Augenblick einem Angriff ausweichen.Cedriks Hand griff nach dem Stab mit dem Ambarin. Dieser glänzte violett und so ein dunkles Violett hatte er noch nie gezeigt. Beinahe sah es Schwarz aus. Mit einem raschen Hieb schlug Cedrik nun den Stab nach einem neuerlichen Angreifer und dieser verging mit einem schauerlichen, schrillen Kreischen. Doch schon beim Nächsten hatte der Ambarin die Kraft verloren und Cedrik konnte ihn nur noch als Hiebwaffe einsetzen. Es dauerte nicht lange, da schmerzten ihm nicht nur die Blasen auf seiner Brust, sondern auch die Muskeln in den Armen. Diese Angreifer schienen einer anderen Klasse von Dämonen anzugehören. Und Cedrik hatte nur Defensivwaffen bei sich. Und noch lange nicht die volle Erkenntnis, wie und was er tun musste um die Gruppe und seine Seelenpartnerin zu unterstützen. Er merkte nur, wie die Wut und ein unverständlicher Vernichtungswille in ihm erwachten und bald sein gesamtes Denken ausfüllten.
Die aggressive Energie, die begann sich in Catyua aufzustauen, ging nicht nur von ihr aus. Einen Teil empfing sie von einer ihr verbundenen Seele. Sie hatte nach ihrer tollkühnen Rettung keinen einzigen Gedanken an sich selbst verschwendet – nur ihre Sorge um Cedrik wuchs. Ihr musste doch irgend etwas einfallen, was sie gegen die Dämonen machen konnte! Aber noch war sie – ebenso wie die anderen – ratlos.Diese Geister waren viel mächtiger als solche, mit denen sie bisher zu tun gehabt hatte, sie wichen allen Angriffen gekonnter aus. Und auch wenn es Cedrik, Assasina und Rutaara mittlerweile gelungen war, vier der Angreifer unschädlich zu machen, so wurden die schon etwas erschöpften Kämpfer immer noch von einem halben Dutzend flammender Wesen angegriffen, die keine Erschöpfung oder ähnliches zu kennen schienen. Die Waffen aus Metall waren sichtlich alle unbrauchbar, um großen Schaden zufügen zu können, doch zur Verteidigung reichten sie aus. Mit Mühe wehrte Catyua eben wieder einen Angriff ab, als ihr ein Gedanke kam. Wenn Eisen und Stahl, ja nicht einmal Silber etwas bewirken konnten, welche Waffe wäre dann dazu in der Lage? Wie viel konnte Feuer einem Stein anhaben? Wenn sie es schaffte, ihre ganze Kraft in den Wurf zu legen und der Stein schwer genug wäre, könnte sie damit vielleicht etwas ausrichten.„Liebster ...“, bat Catyua Cedrik. „ … kannst du sie mir für einen Moment vom Halse halten?“ Cedrik nickte überrascht, was sie mit einem Lächeln quittierte, während ihre Augen bereits den Boden in ihrer Nähe absuchten. Rasch hatte sie einen geeigneten Kandidaten gefunden, gleich darauf lag ein etwas mehr als Faustgroßer Stein in ihrer Hand.
Assasina die an der Seite Rutaaras vor dem Prinzenpaar kämpfte, sackte kurz zusammen, als einer der Feuerdämonen ihren Arm aufschnitt. Zum Glück war die Wunde nicht tief, doch es reichte um Assasina kurz die Luft aus der Lunge zu treiben.„Alles in Ordnung?“, keuchte Rutaara. Sie sah erschöpft aus.„Ja, alles Okay!“ Für lange Erklärungen blieb keine Zeit, denn die Biester schienen plötzlich noch aggressiver als noch vor wenigen Minuten vorher. Die Elfe sah sich um wie es den anderen erging und erblickte Catyua. Diese sah etwas ratlos auf einen Stein in ihrer Hand und Cedrik gab ihr Schutz vor den Dämonen. Assasina begriff das Vorhaben Catyuas und dachte kurz nach. Ein einfacher Stein würde nicht viel bewirken um einen Dämon auszuschalten, aber mit etwas Hilfe … ?Assasina versuchte so nahe wie möglich an das Mädchen heran zu kommen.„Catyua!“ Das Mädchen blickte auf. Assasina war erstaunt, dass ihre Stimme durch den herrschenden Kampflärm gedrungen war. „Wirf!“Der Blick der Albin war kurz verwirrt, dann sah sie wieder kurz auf den Stein und abermals zu der Elfe. Gleich darauf nickte Catyua jedoch, suchte sich einen der Feuerdämonen und … warf voller Wucht den Stein. Im selben Moment warf Assasina etwas von ihrem Feuer auf das Geschoss, das dieses völlig umschloss und als der Stein den Dämon traf und die Feuerarten aufeinander stießen, explodierte dieser und zerstob in Tausend Funken.Assasina lächelte dem Mädchen zu. Die anderen Dämonen schienen die Taktik nicht bemerkt oder verstanden zu haben und Assasina sah darin ihre Chance.„Noch einmal! Ziel jetzt aber auf die Äußeren, die nicht so sehr von den anderen beachtet werden!“ Catyua nickte und schon suchte sie flink nach weiteren Wurfsteinen.
Rutaara erkannte den Plan, der hinter dieser Aktion stand und musste grinsen. So etwas konnte auch nur einem jungen Ding wie Catyua einfallen. Sie hielt demnach nun ebenfalls nach Handgroßen Steinen Ausschau, um den beiden zu helfen und um den Feuergeistern keine Gelegenheit zu geben, sich gegen diese neue Kampfstrategie eine Verteidigung zuzulegen. Unweit vor ihr entdeckte sie einen Stein, der groß genug schien. Die Elbe hob ihn auf, konzentrierte ein wenig Elbenfeuer und ließ den Stein davon umschließen.„Hey, Assasina!“, rief sie um die Elfe auf sie aufmerksam zu machen. Diese wandte sich zu ihr um, erblickte das Flammengeschoß in ihrer Hand und lächelte.Für Rutaara war das das Zeichen zum Wurf. Sie brauchte nicht zu zielen, denn einer der Feuergeister in ihrer Nähe hatte sie ebenfalls bemerkt und kam auf sie zu, um sie aufzuhalten. Mit aller Kraft schleuderte die Elbe ihm den Stein entgegen, der im Flug von Assasinas Dunklem Feuer getroffen wurde. Kurz vermeinte Rutaara einen Anflug von Panik im „Gesicht“ des Feuerwesens zu erkennen … ehe es in Tausend Funken zerbarst.
Cedrik keuchte erschöpft und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass die restlichen vier Feuerdämonen ihren Brüdern folgen würden. Er fühlte sich so erschöpft wie noch nie in seinem kurzen Leben. Wenn er seine Blicke so über die derzeitige Situation schweifen ließ, so hatte jeder von ihnen vier hier einen Gegner vor sich. Ein Feuerdämon für einen jeden der Verteidiger.Cedrik sandte rasch einen Blick zu den Pferden und Sternenlicht, doch die befanden sich bei Agenor und dessen Männer. Diese wiederum kümmerten sich um die immer noch weinende Prinzessin und den etwas geschockt wirkenden Prinzen. Kurz überlegte Cedrik, wie ein Mensch so lange weinen konnte, doch dann ließ er diesen unfruchtbaren Gedanken fallen. Das störte nur. Tief in sich verspürte er den Zorn und die Wut stärker werden. Und etwas, das ihm wie eine dunkel strahlende Wolke vorkam, versuchte hoch zu steigen und aus ihm zu kommen. Kurz runzelte er die Stirn, denn er wüsste nichts, das dieses Bild in ihm auslösen könnte.Cedrik war froh, als er merkte, dass die Strategie mit den Steinen und dem Dunklen Feuer erfolgreich war und er war sehr stolz auf seine Catyua. Eine heiße Woge voll Liebe zu seiner Seelenpartnerin schlug über ihm zusammen und lenkte ihn von der Tatsache ab, dass sich eben einer der restlichen vier Feuergeister zu ihm auf den Weg gemacht hatte.Cedrik fuhr entsetzt zusammen, als sich dieser Dämon an ihn hängte, die Brandwunden auf seiner Brust berührte und den bis dato unterschwellig gefühlten Schmerz mit dieser Aktion grell aufflammen ließ. Cedrik warf den Kopf zurück und schrie seinen Schmerz heraus. Und … dann hatte die Dunkle Wolke in ihm sprunghaft zugenommen, füllte Cedrik aus und seine bisher braunen Augen mit den goldenen Pünktchen darin färbten sich schwarz.Er biss die Zähne aufeinander, sein Gesicht wurde bleich und spannte sich. Er legte die Arme um den ihn bedrängenden Feuerdämon und presste ihn mehr an sich. Zuerst sah er noch das spöttische Grinsen in dessen von Feuerzungen umflammten Antlitz, doch schnell löschte es aus und an seine Stelle trat Panik in die Rot glühenden Augen. Der Dämon begann sich in Cedriks Umarmung zu winden und zu treten. Schließlich begann er zu zappeln und zu kreischen. Doch unverrückbar hielt Cedrik ihn fest an sich gepresst. Seine Arme hatten sich mit großen und kleinen Brandblasen bedeckt und an manchen Stellen war die Haut verschwunden und der Feuerdämon berührte das dort offene Fleisch. Es verbreitete sich ein ekliger Geruch, doch Cedrik hielt unverrückbar fest.Cedrik spürte schon längst nur mehr diese Schwarze Wolke in sich und dass sie wuchs und immer mehr wuchs, ihn ausfüllte und … über ihn hinaus griff. Er stand unverrückbar fest mit beiden Beinen auf der Erde und um ihn herum begann die Feuchtigkeit zu verdampfen. Kleine Dampfwirbel kräuselten sich rund um Cedrik in die Höhe. Er verspürte den Schmerz, dem ihn die Brandwunden verursachten so weit und tief in sich, dass er beinahe nicht fühlbar war. Etwas Dunkle, Elementares hatte von Cedrik Besitz ergriffen. Vielleicht war es auch schon immer in ihm und es bedurfte nur noch eines Auslösers. Die Augen des Feuerdämons wurden dunkler, verloren das Glühen und … erloschen. Das Kreischen wurde leiser und verstummte schließlich ganz. Das Zappeln hörte schlagartig auf und mit einem beinahe unspektakulären „PLOPPOPP“ zerplatzte der Dämon.Winzige Funken liefen an Cedriks verbranntem Fleisch zur Erde, doch er presste immer noch die Arme an sich, als würde er noch nicht erkannt haben, dass er seinen Gegner erledigt hatte. Die dunkle Wolke hatte ihn noch nicht frei gegeben. Kurz „hörte“ er den Begriff „Elementarkraft“, doch er konnte damit nichts anfangen.Langsam zog sich die Wolke in Cedrik zurück, entließ ihn aus ihrer Umklammerung, seine Arme sanken nieder, das Dunkel seiner Augen verwandelte sich zurück und … der Schmerz sprang aus seinem Gefängnis gellend hart in Cedriks Bewusstsein.Cedrik verdrehte die Augen und stürzte wie ein nasser Sack ohne einen Ton von sich zu geben auf den Boden. Obwohl die Bewusstlosigkeit so rasch über Cedrik gekommen war, galt sein letzter Gedanke Catyua …!Langsam nur tauchte Cedriks Bewusstsein an die Oberfläche. Die letzten Sekunden sprangen in sein Gedächtnis und er öffnete den Mund, um den Schmerz heraus zu schreien – doch kein Schmerz war fühlbar. Er schien nur wenige Sekunden ohne Bewusstsein gewesen zu sein, denn der Kampflärm war noch immer zu hören. Und das Kreischen der Feuergeister. Er öffnete seine Augen und sah mitten in die dunklen, sanften Augen Sternenlichts. Dieser schnaubte leise und einzelne Spuckeflocken fielen aus seinem Maul auf Cedriks nackte Brust. Cedrik senkte den Blick und sah verschwommen, dass das bis vor kurzem verbrannte Fleisch und die Haut jetzt von unerklärlicher Gesundheit waren. Nur noch kleine und beinahe unsichtbare Narben konnte er erkennen. Als er den Blick wieder hob, fiel dieser auf den ihn immer noch beobachtenden Sternenlicht. Cedrik konnte nicht anders und er setzte sich auf, legte seine Arme um ein Bein Sternenlichts und drückte sein Gesicht daran. Er ahnte, dass sein Einhorn etwas mit der Heilung zu tun hatte. Nach wenigen Augenblicken ließ Cedrik los und Sternenlicht trabte wieder zu den anderen Pferden zurück.Cedrik fiel ein, dass die Prinzessin geweint hatte, also sah er zu ihr. Doch sie schien sich beruhigt zu haben. Unwillkürlich atmete er auf. Das lange Weinen war Cedrik doch etwas unheimlich vorgekommen.Langsam stand Cedrik nun auf und sah sich um. Er wollte wissen, wie es den anderen erging und ob er jetzt, wo es ihm wieder besser ging, vielleicht helfen konnte.
Catyua und Rutaara hatten es mit Assasinas Hilfe geschafft, noch einen dritten Dämon auf diese Weise auszulöschen, doch die beiden Letzten wichen ihren Geschoßen geschickt aus und gingen zu schnell zum Angriff über, als dass sie noch Zeit hätten erneut glühende Steine abzufeuern. Dazu kam, dass Catyua nicht anders konnte, als Rutaara und Assasina mit Agenor und seinen Männern allein gegen die Feuerwesen kämpfen zu lassen, denn nachdem diese nur noch zu zweit waren, siegte Cedrik über alle anderen Gedanken in ihrem Kopf und so stürzte sie zu ihm.„Was ist passiert?“ Dieser Frage folgten noch weitere, verwirrt gestottert – bis Cedrik sie in seine Arme schloss und ihr einen Kuss aufs Haar drückte.Sie presste ihr Gesicht an seine warme Brust und merkte kaum, dass ihr die Tränen über das Gesicht liefen. Der Kampf, die stinkenden Sümpfe, der König und sein prinzlicher Nachkomme, ...all das war vergessen. Bis Cedrik ihr besorgt ins Ohr flüsterte, dass sie den anderen zur Hilfe kommen müssten. Also erhoben sie sich, kamen langsam auf die Beine wobei Cedrik etwas schwankte. Wie sollte er denn so kämpfen, fragte sich Catyua voll Besorgnis. Was war da überhaupt geschehen? Es schien nicht so, als wüsste Cedrik selbst was ihm da gerade widerfahren war. Doch auch Catyua war da ebenso ratlos.
Cedrik spürte die starke Unsicherheit und die Sorge seiner Seelengefährtin. Einesteils konnte er es nachvollziehen, andererseits wirkte es ziemlich störend. Cedrik zog – trotzdem die Zeit drängte – Catyua an sich und flüsterte ihr ins Ohr, dass sie sich wieder beruhigen müsse. Es wären noch nicht alle Feuerdämonen geschlagen und der Weg noch nicht zu Ende. Cedrik schenkte ihr noch schnell ein kleines Lächeln und wollte sich danach dem Feind zuwenden. In diesem Moment sah er Catyuas Blick, der ihn bis ins Innere traf. Seine Seelengefährtin war beinahe krank vor Sorge. Die Schmerzen, die ihm diese Bewusstlosigkeit bescherte, waren verschwunden und daran hatte sicher Sternenlicht einen großen Anteil daran. Doch dass sich Catyua so ängstigte, war nicht gut. Cedrik legte seine Arme um sie und zog sie an sich. Sein Herzschlag glich sich an ihren an und er versuchte, diese untergründig schwelende Panik weg zu schieben. Unwillkürlich trafen sich ihre Lippen zu einem Kuss. Cedrik merkte an den zu ihm brandenden Schwingungen, dass einer der übrig gebliebenen Feuergeister zu ihm und Catyua schwebte. Cedrik streckte seinen Arm aus und löste sich von Catyua. Sehr ungern und relativ langsam. Der heiße Schmerz, der seine ausgestreckte Hand traf, brachte ihn wieder in die Gegenwart zurück. Er packte mit der anderen Hand den Feuergeist, biss die Zähne zusammen und überlegte sich, wie er nun wieder diesen Angreifer los bekam. In dem Moment kam Sternenlicht wieder heran und senkte den Kopf. Cedrik schlenkerte mit der Hand, damit versuchte er den Feuergeist von der anderen Hand los zu bekommen. Der Dämon verzog das Gesicht zu einem wahrlich dämonischen Grinsen und ließ Cedriks Hand los. Er wurde weg geschleudert und landete genau auf Sternenlichts versteckten Horn. Ein Ohrenbetäubendes Kreischen klang auf und gleich darauf erlosch das dämonische Leben in dem Feuergeist. Wie ein schwarzer, gläserner Brocken von verbranntem Stein klatschte er zu Boden. Jetzt war nur noch einer übrig. Aber dieser kurze Kampf hatte Cedrik erneut geschwächt und an den Rand einer neuerlichen Bewusstlosigkeit gebracht.
Die ganze Kämpferei machte Rutaara mürbe und ließ ihre Kräfte schwinden. Rutaara bemerkte, wie mit jedem weiteren Mal Rufen ihr Elbenfeuer schwächer und schwächer wurde.„Assasina!“, keuchte sie. „Bitte ich kann nicht mehr! Wir müssen etwas tun, damit wir endlich unseren eigentlichen Auftrag hinter uns bringen. Denn sonst kann ich nicht versprechen, euch lebend zu begleiten!“ So sprach sie und … fiel in Ohnmacht.
Ihr Herz schlug Catyua bis zum Halse, als sie ihren Geliebten dort sitzen lassen musste – verletzt und halb ohnmächtig. Aber sie konnte nicht mit ansehen, wie der letzte Angreifer einen ihrer Gefährten nach dem anderen ausschaltete. Waffen hatte sie keine. Aber in ihrem Kopf nahm ein tollkühner Plan Gestalt an. Unverhofft stellte sich wieder die altbekannte Begeisterung für eine lebensgefährliche Aktion ein. In Kampfstellung stehend schrie sie: „Hier drüben bin ich, du kleines dummes Biest! Komm und fang mich doch, wenn du kannst!“Erfreulicherweise waren die Feuergeister wirklich nicht ebenmäßig klug, weshalb Catyua ihre Chancen noch einmal neu abwog. So schlecht sah es doch gar nicht aus für sie. Das kleine surrende Biest kam sehr schnell näher – doch bevor es Catyua berühren konnte, sprang diese mit einem gewagten Manöver einfach über das nahe am Boden fliegende Wesen. Ein wütendes Zischen erklang, als es sich bewusst wurde, dass es die junge Albin verfehlt hatte.Ihr Sprung trug sie fast bis zu der ohnmächtigen Rutaara und Assasina, die etwas hilflos wirkend daneben stand. Auch sie war erschöpft. Catyua hatte gehofft, dass auf dem Schwert der Elbin noch ein Rest von ihrem magischen Feuer nachglühen würde – und sie hatte Glück. Rasch griff sie danach, da kam der Feuergeist auch schon wieder wütend auf sie zu geflogen. Angriffslustig wandte sich Catyua ihm zu und erhob das schwach magisch glühende Schwert. Das Wesen bemerkte zu spät, dass es in den eigenen Untergang raste und war bereits zu schnell, als dass es ihr noch hätte ausweichen können. Gekonnt und mit sicherer Hand führte Catyua die Waffe und trennte den kreischenden Feuergeist fast sauber in zwei Hälften. Schwer atmend ließ Catyua das Schwert sinken und lief, trotz ihrer eigenen Erschöpfung, zu Cedrik und schloss ihn in die Arme. Dann erst drehte sie sich wieder um, um sich zu erkundigen wie es ihren Gefährten ging.
Cedrik lehnte sich kurz an Catyua und genoss dieses Gefühl des absoluten Zusammengehörens. Aber dann fiel sein Blick auf die bleiche und bewusstlose Rutaara. Er nickte seiner Seelenpartnerin zu und erhob sich. Schwankend und mit enormen Kopfschmerzen, die in Wellen von seinem Nacken zur Stirn zogen und sich von dort über die Augen legten. Nach einigen tiefen Atemzügen wurde es besser. Cedrik sah sich um und nach längerem Suchen erblickte er jene Pflanze, die Elbin wieder ins Bewusstsein zurück zu holen. Mit langsamen und vorsichtigen Schritten ging er zu dem schmalen Grasband, wo mitten drin diese kleine, unscheinbare Blume mit den intensiv violetten Blüten und dem Sternförmigen Stempel in der Mitte steht. Er bückte sich und biss die Zähne zusammen, als er plötzlich von Schwindel erfasst wurde und kurz den Eindruck hatte, gleich Kopfüber auf die Erde zu stürzen. Doch Cedrik griff rasch nach der Blume, rupfte den Blütenkopf vom Stiel und zerrieb ihn zwischen den Fingern. Sofort breitete sich ein stechender Geruch aus.Cedrik begab sich zu Rutaara, kniete sich neben die Bewusstlose und hielt ihr seine Hand mit den stechend riechenden, zerriebenen Blütenblätter unter die Nase. Er konnte nur hoffen, dass ihm Rutaara wenn sie zu sich kam, nicht eine Ohrfeige verpasste, denn der starke und stechende Geruch der Brechwurzrose verursachte nicht nur ihm Übelkeit und tränende Augen. Aber ein anderes Mittel hatte er hier nicht zur Verfügung. Damit sich die Elbin dann noch weiter erholen konnte, würde er Sternenlicht bitten, Rutaara den Ritt auf dessen Rücken zu erlauben.Cedrik beobachtete genau, ob Rutaaras Lider endlich zu zucken begannen, denn dann hätte der grausame Geruch seine Arbeit getan. Kurz warf Cedrik einen Blick zu Catyua, die ihm interessiert zusah.
Sie war daheim … Rutaara sah die Mondberge, den Spiegelsee und Lyrael. Er saß – in seiner wahren Gestalt – an ihrer Baumschwester, eine Rotesche – gelehnt und sah sie voller Liebe an … sie wollte zu ihm laufen, ihn in die Arme schließen. Doch dann …!Dann drang ihr ein übler Geruch in die Nase und schlagartig war sie wieder in der Realität. Rutaara schlug die Augen auf, blickte in Cedriks besorgt wirkendes Gesicht und lächelte schwach.„Du kannst das Zeug wieder weg nehmen, ich bin wach!“, murmelte die Elbe und versuchte aufzustehen. Aber ihre Kräfte waren so aufgezehrt, dass sie sofort wieder zu Boden sank. Lyrael kam zu ihr und Rutaara musste an den kurzen Traum denken, den sie während der Bewusstlosigkeit hatte. Tränen liefen ihr über die Wangen und diesmal war es ihr egal, ob es alle sehen konnten.„Mein Geliebter!“, schluchzte sie und zog ihn zu sich heran, um ihren Kopf in seinem weichen Fell zu vergraben.
Cedriks Blick kehrte zu der noch immer ins Fell des Wolfes weinenden Rutaara zurück. Er ließ sich auf seine Fersen zurück sinken, hob den Arm und legte Rutaara leicht die Hand auf die Schulter. „Herrin! Ihr solltet Eure Kräfte schonen. Nehmt etwas Essen zu Euch und ich werde zwei der Blätter beisteuern, die Euch kräftigen werden. Ich glaube wir befinden uns schon zu lange hier. Wenn wir nicht weiter gehen, werden uns die nächsten Feinde finden!“Cedrik zog nun seine Hand zurück und seine Augen suchten Catyua. Insgeheim fragte er sich, wie wohl seine Eltern gehandelt hätten. Besonders sein Vater. Kurz erschien dieses edle Gesicht vor Cedriks geistigem Auge, doch dann schob er dieses Bild tief in sich hinein. Denn jetzt wurde die Zeit knapp. Er erhob sich und griff sich gleich darauf an seine Stirn. Der Schwindel hatte etwas nachgelassen, aber sein Kopf fühlte sich momentan noch an wie eine kurz vor dem Platzen gefüllte Gasblase. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob er es bis zu Agenors Standort schaffen würde, um diesem den Vorschlag zu unterbreiten, während sich der Zug wieder in Bewegung setzen könnte, den geschwächten etwas zum kauen und zum Trinken zu geben.Er selber, Cedrik, würde Ausschau nach dem Schattenmoos halten und sollte er etwas gefunden haben, die Moosfäden zu kauen. Und wenn er mit dem Saft dann seine grausamen Kopfschmerzen besänftigt hatte, sah wahrscheinlich die Welt gleich besser aus.
Assasina schwieg. Die ganze Zeit über hatte sie geschwiegen und es kam ihr nicht in den Sinn, irgend etwas zu sagen. Sie war müde, sie hatte Schmerz und – was das intensivste Gefühl in ihr war – sie war wütend. Wütend auf alles und jeden, aber vor allem auf sich selbst. Immer noch schweigend trat sie zu Rutaara, hielt ihr die Hand hin und half ihr auf die Beine. Die Elbin wollte etwas sagen, aber Assasina nickte ihr nur kurz zu, dann ging sie weiter. Sie benötigte Zeit um über alles nachzudenken.Während die anderen sich mit Speisen versorgten, ging die Elfe schon vor, um sich nach einem geeigneten Weg um zu sehen, der ihnen allen das Gehen nicht schwer machte. Ein leises Rascheln im Gebüsch veranlasste sie, stehen zu bleiben. Es raschelte abermals und Assasina griff nach einem ihrer Dolche.„Assasina?“ Catyuas Ruf drang an ihr Ohr und sie wandte sich um. Die anderen, die den Weg nun ebenfalls fortgesetzt hatten, blieben stehen denn sie sahen, dass Assasina in Verteidigungsstellung gegangen war. Einige von ihnen griffen nun ebenfalls nach ihren Waffen. Doch plötzlich, völlig unerwartet und wie aus dem Nichts schoss eine nicht sehr große, dünne Schlange aus dem Busch, vor dem Assasina stand, biss sie in die Hüfte und verschwand auf der anderen Seite des Weges wieder im wuchernden Gras. Die Elfe keuchte kurz auf, überrascht von dem was eben geschehen war und … sackte kraftlos zusammen.
Cedrik hatte sich in diesem Moment umgedreht, als die Schlange den Angriff auf Assasina startete. Er sah Assasina zusammen zucken und konnte sich denken, dass der Schlangenangriff erfolgreich war. Er sah noch ein kleines Stück des Schlangenendes im Gras verschwinden und die Elfe zusammen brechen. Er stürzte zu Assasina und sah ihr ins bleich gewordene Gesicht.„Was ist geschehen?“, fragte er und kam sich reichlich dumm vor. Er hatte gesehen was passiert war. Doch das in ihm entstehende Gefühl der Angst ließ ihn die dümmste Frage aller Fragen stellen. „Ich werde Euch helfen. Doch wir sind in einer Gegend wo es nur so vor Feinden wimmelt und auch nicht die rechten Kräuter wachsen. Auch kenne ich mich nicht so gut mit Schlangenbissen und eventuellen Giften aus!“Cedrik hockte sich neben Assasina und streckte zögernd die Hand aus. Ehe er helfen konnte, musste er die Bissstelle sehen. Er zog die Hand wieder zurück, doch ein neuerlicher Blick in Assasinas nun wächsern gewordenes Gesicht und die leichte Schweißspur auf ihrer Stirn veranlasste ihn erneut die Hand auszustrecken. Kurz dachte er an den Ambarin in seinem Stab, doch dieser war auf ihn persönlich geeicht und half der gebissenen Assasina überhaupt nichts. Cedrik schob die Kleidung etwas auseinander, dort wo die Schlange ihre Giftzähne hinein gestoßen hatte. Die Stelle hatte sich leicht bläulich verfärbt und die beiden winzigen Bisslöcher waren durch je einen dunklen Blutstropfen markiert. Der Atem Assasinas hatte sich beschleunigt, ihre Augen geschlossen und sie hatte scheinbar das Bewusstsein verloren. Cedrik ließ seinen Beutel von der Schulter rutschen und suchte darin nach dem Säckchen mit den Heilkräutern. Als er endlich die beiden letzten Blätter der Engelwurz gefunden hatte, ahnte er dass diese nicht ausreichen würden. Er steckte sie rasch in den Mund, kaute darauf herum und bemühte sich, den austretenden Saft nicht hinunter zu schlucken. Cedrik holte nun sein Messer hervor, ritzte vorsichtig die Haut bei der Bissstelle ein und holte den Blätterbrei aus dem Mund. Da es nur noch zwei Blätter gewesen waren, reichte es knapp für einen winzigen Spalt. Den unangenehmen Geschmack seines Speichels spuckte Cedrik danach ins Gras. Dann legte er seine Hände auf die mit dem Brei verschmierte Wunde und schloss die Augen. Er versenkte sich tief in sich und holte das restliche Quäntchen Magie aus sich heraus, das noch übrig war. Er fühlte, wie das Heillicht zwischen seinen Fingern aufflackerte und … erlosch.Cedriks geschlossene Augen füllten sich mit Tränen, er ließ sich auf die Fersen nieder und flüsterte erschüttert:„Es tut mir so leid! Es tut mir wirklich so leid!“Danach öffnete er wieder die Augen und sah auf die vor ihm liegende Assasina nieder. Ihr Gesicht hatte eine wächserne Starre angenommen und ihre Backenmuskeln traten hervor. Scheinbar hatte bereits der Krampf eingesetzt. Kurz schloss sich Cedrik an Assasinas flüchtige Gedanken an – doch da war … nichts! Nur eine kalte, stille Leere. Cedrik zog sich erschrocken zurück. Sein von Tränen getrübter Blick fiel auf die Wunde mit dem Brei. Etwas Schaum hatte sich dort gebildet, doch der winzige Breifleck hatte keine Kraft mehr, Assasina von dort zurück zu holen, wohin sie bereits gegangen war. Er achtete auf die Atmung der Elfe, doch nur einmal hob und senkte sich die Brust Assasinas und dann … nichts mehr.Cedriks Herz krampfte sich zusammen. Trotzdem ihn Assasina zu Beginn der Reise so schmählich behandelt hatte, er hatte sie doch sehr gemocht. Sie hatte nicht nur seine Sinne verwirrt, sondern auch indirekt für seine Seelenpartnerin gesorgt.Cedrik sah auf, als ein Schatten auf ihn fiel. Catyua stand neben ihm und er konnte den tiefen Schmerz fühlen, den seine Gefährtin über den Verlust der Freundin spürte. Wieder einmal hatte Cedrik das Gefühl, versagt zu haben. Er schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter, dann flüsterte er erneut:„Es tut mir leid! Das Einzige was ich eventuell noch tun kann, ist ihr ein würdiges Begräbnis zu geben. So viel Zeit könnten wir uns nehmen. Doch dazu würde ich etwas von deiner Kraft benötigen. Du brauchst nur deine Hände auf meine Schultern legen, die Kraft nehme ich mir selbst. Das heißt … wenn du mir so viel Vertrauen schenkst!“
Natürlich würde Catyua das tun. Wenn es ein Begräbnis für Assasina ermöglichte, dann war die junge Albin gerne bereit, einen Teil ihrer Kraft zu geben. Sie hatte es gewusst, noch ehe es geschehen war. Hatte ein Unheil geahnt und Assasina gefolgt. Aber sie hatte nichts gegen das Schicksal tun können. Trauer hielt sie fest im Griff, ließ sie schwach und zittrig werden – mehr noch als zuvor. Den Todeskampf der Elfe, den Cedrik hatte versucht abzuwenden, hatte sie ebenso wie erstarrt verfolgt. Tränen waren ihr in die Augen gestiegen und liefen nun langsam ihre bleichen Wangen hinab, blieben als schillernde Tropfen in ihrem Gesicht zurück. Wie nach Halt suchend ließ sie ihre Hände schwer auf die Schultern ihres Geliebten sinken.Vielleicht war es nicht klug, ihm von ihrer Kraft zu geben. Sie fühlte sich immer noch sehr schwach – doch sie tat es für Assasina. Es war das einzige, was sie ihr noch geben konnte. Wie die anderen Abschied nahmen, ob sie es überhaupt taten – sah Catyua nicht. Ihre Augen waren vom Gesicht der Toten gebannt.
Mit Entsetzen verfolgte Rutaara den Biss der Schlange und Assasinas anschließenden Todeskampf. Fassungslos stand sie da und sah, wie die Elfe den letzten Atemzug tat. Dann wich die Starre aus ihren Gliedern und mit einem Satz war sie neben Cedrik, stieß ihn grob zur Seite und nahm Assasina in die Arme.„Du verfluchte Elfe!“, schrie sie die leblose Frau an, ihre Stimme überschlug sich und Tränen rannen ihr erneut über die Wangen. „Das kannst du uns jetzt nicht antun. Das kannst du mir nicht antun! Hörst du?“ Wie von Sinnen schüttelte sie Assasina an den Schultern. „Verdammt noch mal … wach endlich wieder auf!“
„Ihr solltet euch besser eure Kraft sparen. Wir werden sie für lebende Feinde besser gebrauchen können!“Assasina trat zwischen den Büschen hervor, aus denen kurz zuvor die Schlange geschnellt war und blieb vor den anderen aus der Gruppe stehen. Alle starrten sie mit großen Augen und offenem Mund an.„Ich muss zugeben, ich bin ein wenig enttäuscht von euch. Dass keiner mitbekommen hat, dass ich nicht ICH bin, macht mich schon ein wenig traurig.“Ein Lächeln umspielte die Lippen der Elfe. Natürlich reagierten sie so, wie sie selbst es erwartet hatte und auch selber getan hätte. Die, die auf dem Boden kauerten sprangen auf und griffen nach ihren Waffen.„Wer bist du?“ Rutaaras Stimme klang hoch und schrill. Sie hatte immer noch Tränen in den Augen, aber sie musterte Assasina wütend und argwöhnisch. „Du hast sie getötet, nicht wahr?“„Nein“, meinte die Elfe mit ruhiger Stimme und schüttelte den Kopf. „Sie hat mich getötet. Oder zumindest wollte sie das – mich töten!“Ein Aufschrei von Catyua holte Assasinas Aufmerksamkeit zu sich. Die schwarze Schlange war zurück gekehrt und schlängelte gemütlich zwischen Catyua und Cedrik auf Assasina zu, wand sich an einem ihrer Beine hinauf bis zum rechten Armgelenk, um dieses herum und mit einem kurzen, hellen Aufstrahl versteinerte sie. Nun sah sie aus wie ein Silberreif, der Assasinas Handgelenk umwand. „Was soll das?“, keuchte Agenor. „Und warum sollen wir dir glauben, dass DU Assasina bist?“Er hatte recht. Sie sah nicht mehr ganz so aus wie vorher. Die Haare waren kürzer und flammend rot. Ihre Kleidung bestand nun nur aus einem knielangem, groben Leinen-Oberteil. Auch ihr Wesen hatte sich geändert, aber das konnte noch niemand sehen. Wenn jemand sie etwas genauer betrachtet hätte, wären ihm wahrscheinlich ihre unnatürlich dünnen, schwarzen Pupillen aufgefallen. Doch die anderen hielten Abstand.„Die da ...“, Assasina deutete auf die tote Frau am Boden, deren Haut langsam zu schmelzen schien. „... hat mich, während ich schlief, entführt. Das war vor drei Tagen. Sie nahm mir meine Kleider und mein Aussehen und ließ mich von ihrer Schlange beißen, um mich zu töten bevor sie zu euch an meiner statt zurück kehrte. Ich war schon tot, als Elyanga kam und mich zu den Lebenden zurück holte. Sie ist Priesterin der Schlangen. Sie meinte, ich wäre wieder HIER. Ich wäre auch wieder 'ich' mit meinen Gedanken, Fähigkeiten und Erinnerungen, aber es wäre nun nie mehr so wie es einmal war. Ich verstand sie anfangs nicht, aber bald wurde mir klar, was passiert war. Sie ließ mir Anaya hier, um mir beizustehen. Ich bin jetzt eine Herrin der Schlangen. Anders hätte ich nicht überlebt. Und diese Haarfarbe hatte ich schon als ich wieder erwacht bin.“Nun war alles gesagt was zu sagen war und Assasina, die neue Assasina wartete auf die Reaktion der anderen.
Cedrik, der sich bereits im Geist mit dem Assasinas Leichnam zugedachtem Begräbnis beschäftigte, spürte Empörung in sich aufsteigen, als Rutaara ihn so einfach beiseite stieß. Er spürte wie sich sein Herz verkrampfte, als er merkte wie die Elbe sich so verzweifelt gegen den Tod Assasinas wehrte. Er zuckte erschrocken zusammen, als die „andere“ Assasina zwischen den Bäumen hervor trat. Er stand auf und griff nach seinem Messer. Zweifelnd hörte er der Erklärung dieser Anderen zu. Ganz tief in seinem Unterbewusstsein akzeptierte er ohne Widerwillen die Erklärung. Ja, er hatte schon von solchen Dingen gelesen. Doch was passierte nun mit dem toten Körper jener Assasina, die noch immer zu seinen Füßen lag? Cedrik warf einen raschen Blick hinunter und im gleichen Moment kam ihm der irrwitzige Gedanke, dass er sich jedes Begräbnis ersparen konnte, denn der Körper der „toten“ Assasina schien zu verschwinden.Cedrik wandte sich zu Catyua um. Er sah die Tränen auf ihren Wangen glitzern und wandte seine Aufmerksamkeit nun seiner Seelenpartnerin zu. Mit zwei Schritten war er bei ihr, nahm sie tröstend in die Arme und ohne nachzudenken, küsste er ihr die Tränen von den bleichen Wangen. Sie schmeckten salzig, doch für Cedrik enthielten sie auch eine Süße. Er spürte das leise Zittern, das Catyuas Körper ergriffen hatte. Er wusste nicht, kam es von den voran gegangenen Kämpfen oder weil eine andere Assasina aufgetaucht war. Es war ihm egal, wichtig war ihm nur, dass dieses beängstigende Zittern so rasch als möglich aufhörte. Er zog Catyua enger an sich und flüsterte in ihr Ohr:„Beruhige dich wieder bitte. Ich werde nun deine Kraft nicht mehr benötigen, du solltest dich etwas ausruhen. Falls die 'neue' Assasina ein erneuter Versuch sein sollte, uns von unserem Auftrag abzuhalten, werden wir es früher oder später merken!“ Wobei Cedrik hoffte, als er das sagte, dass es früher sein sollte. Sein Blick ging zu Rutaara. Jetzt kam es auf sie an, was und wie sie auf die neue Situation reagieren würde.Cedriks Blick glitt weiter zum Prinzenpaar. Die Prinzessin war sehr bleich im Gesicht, doch sie weinte nicht – wofür ihr Cedrik insgeheim sehr dankbar war. Der Prinz machte ein erschrockenes Gesicht. Aber war da nicht auch ein amüsantes Funkeln in den Augen? Als Cedrik sich mehr anstrengte, den Gesichtsausdruck des Prinzen zu beobachten, konnte er jedoch nur noch den Schrecken erkennen. Hatte er sich getäuscht?Trotzdem beschloss er, die neue und irgendwie fremdartig wirkende Assasina und den Prinzen im Auge zu behalten. Soweit ihm dies möglich war.Nun kehrte Cedriks Blick zu Catyua zurück und verlor sich in deren Augen. Aber lange konnte er sich nicht damit beschäftigen, denn die Situation war dabei aus dem Ruder zu laufen.
Ungläubig starrte Rutaara zwischen dem verschwindenden Körper der Person in ihren Armen – die sich jetzt da sie tot war, in ihr ursprüngliches Aussehen zurück verwandelte – und die rothaarige, in seltsame Kleidung gehüllte Assasina. Dann spürte sie Erleichterung, aber auch Wut in sich aufsteigen.Achtlos ließ sie den reglosen Frauenkörper fallen und sprang auf. Blitzschnell war sie bei der Elfe und packte sie am Kragen.„Ach ja?“, zischte sie. „Und woher soll ich wissen, ob du diesmal ehrlich bist zu uns? Ich warne dich, Elfenweib! Verscherze es dir nicht mit mir!“ Danach ließ sie Assasina los und wurde schlagartig ruhig. Ihr Blick glitt hinüber zu Cedrik, der die zitternde Catyua fest im Arm hielt. Abermals wandte sie sich Assasina zu und ihr Blick wurde hart und ernst.„Da du jetzt weißt, was ich denke möchte ich dir noch eines sagen: Catyua verehrt dich wie eine große Schwester. Du solltest dich zumindest bei ihr für diese Aktion entschuldigen.“Nach diesen Worten wandte sich Rutaara um und lief zu den Pferden um sich zu beruhigen, denn diese gesamte Situation machte sie sehr nervös. Was Assasina nun von ihr halten würde, war ihr egal.
Catyua konnte gar nicht glauben, was da geschah. Assasina sollte nun doch nicht tot sein? Das war unmöglich … diese Geschichte schien ihr viel zu zwielichtig, als dass sie diese so leicht glauben konnte.Sie war froh über den Halt, den ihr Cedrik gab. Sie war nicht sicher, ob sie sich sonst allein auf den Füßen halten könnte.Bei Rutaaras Worten war Catyua ziemlich erschrocken. Woher kannte diese Elbin sie so gut?„Danke“, flüsterte Catyua Cedrik erschöpft zu. Beinahe glaubte sie, dass er gleich auf Assasina los gehen würde, falls er dachte dass sie deretwegen so schwach war.
„Für diese Aktion entschuldigen?“, schnaubte Assasina empört zu Rutaaras Rücken. „Also jetzt höre mir mal zu, Weib! Für Recht und Ordnung kämpfen ohne zu wissen was ich will? Habe ich es mir ausgesucht getötet zu werden? Habe ich es mir ausgesucht von den Toten wieder zurück zu kehren? Habe ich es mir ausgesucht von euch getrennt zu werden? Und wenn ich die da nicht getötet hätte – sei ehrlich, einmal ehrlich zu dir selbst – hättet ihr mir einfach so geglaubt? Ich sehe mir selber nicht mehr wie früher ähnlich, ich kann mit Schlangen reden und habe das Gewand einer Toten an. Hättest du mir geglaubt?“ Die letzte Frage schrie Assasina. Ihre Augen flammten in unheilvollem Dunkel. Rutaara war mittlerweile stehen geblieben.„Also gut ich entschuldige mich! Verzeih mir Catyua, dass ich nicht im Stande war nach 212 Jahren einmal mein Leben zu verteidigen. Verzeih mir, dass du mitansehen musstest, dass ich 'gestorben' bin, nur um weiter bei euch zu sein!“ Wieder an Rutaaras Rücken gewandt fügte sie noch hinzu: „Ich hätte auch einfach gehen können. Ich hätte zulassen können, dass sie euch tötet. Ich hätte euch einfach vergessen können. Aber ich habe dir versprochen, dass ich dich zu den Dunklen Elben bringe. Falls du das vergessen haben solltest!“Assasinas Stimme war wieder ruhig und hatte nun nichts bissiges mehr an sich. Tränen glitzerten in ihren Augen, wofür sie sich seltsamerweise schämte. Sie hatte die anderen vor der Gefahr beschützt. Sie konnte einfach gehen, wenn es ihr danach behagte. Aber so einfach, wie sie sich das dachte, war das nicht.
Rutaara hörte die Antwort der Elfe, doch sie war zu enttäuscht über sich selbst, um darauf eine Antwort zu geben. So sah sie die Elfe kurz an, sandte stumm eine Entschuldigung und wandte sich erneut den Pferden zu, damit die anderen nicht sahen, wie sehr sie sich grämte.
Cedrik merkte wohl Rutaaras Verwirrung. Kurz entschuldigte er sich bei seiner Seelengefährtin und löste sich nur sehr widerwillig von ihr. Doch er fühlte sich verpflichtet, sein Vorhaben gleich auszuführen. Er trat dicht an Rutaara heran, nickte Sternenlicht kurz zu und meinte leise, Rutaara sanft eine Hand auf die Schulter legend:„Nicht traurig sein, Herrin! Ich werde so lange es mir möglich ist, ein wachsames Auge auf Assasina oder vielmehr auf die 'neue' Assasina haben. Wenn Ihr eine Schulter zum Anlehnen benötigt, greift ruhig auf mich zurück!“ Kaum war der letzte Satz heraußen, erbleichte Cedrik, dann errötete er tief. Was hatte er sich dabei nur gedacht? In Erwartung eines sicher nachfolgenden Donnerwetters senkte er den Kopf. Seine Hand rutschte von Rutaaras Schulter und er schluckte. Wie kam er als unreifer Jüngling dazu, einer erfahrenen Elbenfrau so ein lächerliches Angebot zu machen? Doch er hatte es ernst gemeint. Denn er mochte die Elbe – nicht so wie er Catyua mochte und liebte – eher so, wie man eine wohlwollende Freundin mag.
Rutaara war von dem Angebot derart überrascht, dass sie den jungen Magier erst einmal verwirrt anblickte. Sie wollte schon zu einer spöttischen Bemerkung ansetzen, doch dann nahm sie seinen Blick wahr und sah, wie ernst es ihm war.„Ich danke dir mein Freund“, sagte sie. „Ich weiß selbst, dass mein Verhalten nicht richtig ist, aber zur Zeit ist alles so wirr. Der Tod der Zwerge, Tjurre Silberzunges so plötzliches Auftauchen und Verschwinden, die ständigen Angriffe. Auch wenn ich eine Elbe bin, das alles macht mir zu schaffen!“ Ihr Blick wurde trüb und sie sah zu Boden. „Ich schäme mich so, dass ich Assasinas Verschwinden nicht bemerkt und uns so alle in Gefahr gebracht habe!“
Cedrik war erst überrascht, dass er ernst genommen wurde. Er nickte leicht und meinte dann leise:„Macht Euch keine Vorwürfe, Herrin. Keiner von uns konnte ahnen, was geschehen würde. Ich nicht, weil ich in dieser Hinsicht unbedarft bin. Und Ihr nicht, auch wenn Ihr sicher schon vieles erlebt habt. Ich …!“ Cedrik unterbrach sich schluckte kurz, dann legte er vorsichtig seine Arme um die Schultern der Elbe. Er spürte den Zorn und die Verwirrung, doch er konnte nur in dieser Art Trost spenden. Als er Rutaaras Blick bemerkte, mit dem sie ihn ansah, schluckte er erneut. Er ließ sie so rasch wieder los, als hätte er etwas Verbotenes getan und senkte die Augen. Mit beinahe versagender Stimme meinte er:„Verzeiht, ich will nicht ungebührlich erscheinen. Doch ich denke, das war jetzt wichtig!“ Cedrik hob den Blick und senkte kurz seinen Gedankenschirm, um der Elbin zu zeigen, dass er es wirklich so meinte wie es sich anhörte. Cedriks Blick fiel auf den ihn aufmerksam beobachtenden Wolf. Er verneigte sich leicht vor diesem, danach vor Rutaara und hoffte, dass ihn seine Umarmung Rutaaras nicht in Schwierigkeiten brachte. Er hatte jedoch den Eindruck, dass sie die Geste sehr wohl verstanden hatte.
Die Sehnsucht nach Cedrik zog sie in seine Richtung, aber trotzdem machte sie einige Schritte auf Assasina zu. Sie sah die Tränen in ihren Augen, die Verletztheit, aber auch die Wut dahinter, so dass sie sich fast nicht getraute weiter zu gehen.„Sie meint es nicht so“, sprach sie leise zur Elfe. „Es tut mir leid, dass sie das sagte. Ich bin froh, dass du wieder da bist!“ Zu fragen, wie es ihr ging, kam Catyua jedoch reichlich dumm vor.Cedrik schwamm die ganze Zeit durch ihre Gedanken und sie war sich sicher, dass er jeden Moment zu ihr her stürmen würde, weil er sich um sie so sorgte. Überzeugt hatte Assasina ihn noch nicht. Auch Catyua hatte noch Bedenken, aber sie schob diese beiseite. Sie wollte Assasina nicht damit verletzen.Assasina hatte bisher noch nichts zu ihren Worten gesagt und um den unangenehmen Moment zu überwinden, wollte die junge Albin ihre Hand vorsichtig auf Assasinas Arm legen. Bevor sie jedoch dies tun konnte und damit die Elfe womöglich noch mehr verärgerte, vermeinte sie hinter sich Schritte zu vernehmen und ließ ihre halb ausgestreckte Hand rasch sinken.
Cedrik begab sich wieder zu Catyua zurück und bemerkte im letzten Moment die Handbewegung, die Catyua ausführte. Er runzelte die Stirn und dann spürte er die Verwirrtheit und den Kummer seiner Seelengefährtin. Er trat hinter sie, legte seine Arme um ihre Mitte und seine Wange an ihr rechtes Ohr. Er spürte, dass sie sich an ihn lehnte und seine Augen schlossen sich. Ja, er würde für dieses geliebte Wesen selbst bis in den Tod gehen. Wenn dies nicht auch den Tod von ihr nach sich ziehen würde.„Ich liebe dich!“, flüsterte er Catyua ins Ohr. „Mehr als du vielleicht ahnst. Und ich bin traurig, dass ich es erst so spät erkannte!“Cedrik wusste, woher auch immer, dass er ein ganzes Jahr warten musste ehe er für immer den Bund der Vereinigung mit Catyua eingehen durfte. Doch bis dahin hatten sie sicher den Auftrag erledigt, das Prinzenpaar an deren Bestimmungsort gebracht und – so hoffte Cedrik – auch den Krieg so weit beendet, dass jeder einzelne von ihnen die zugesagte Belohnung erhielt.Cedrik konnte es nicht lassen, mit seinen Lippen an Catyuas Ohr zu knabbern. Obwohl es jetzt nicht die rechte Stunde und noch weniger der rechte Ort war. Es fiel ihm schwer aufzuhören. Doch bevor er sich von Catyua löste und wieder in den Ernst der Sache eintauchte, steckte er noch schnell die Nase in Catyuas Haare und sog mit geschlossenen Augen ihren Duft in sich ein. Sein Herzschlag beschleunigte sich und er schluckte. Tief in sich ahnte er, dass er sich momentan auf für ihn verbotenes Gebiet begab. Als ein leiser, wehmütiger Seufzer aus seinem sich leicht öffnenden Mund stahl, ließ er Catyua abrupt los. Sein Blut jagte beschleunigt durch die Adern und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Finger zitterten und er getraute sich nicht, Catyua anzusehen.Erst als er mit Gewalt den Herzschlag wieder zum normalen Takt herab senkte und einige Male tief durch atmete, ging es Cedrik besser. Und jetzt wagte er auch wieder einen raschen Blick zu seiner Seelenpartnerin neben sich zu werfen.
Catyua spürte deutlich wie ihre Nähe auf ihn wirkte und sofort fragte sie sich, wieso es ihr nicht auch so ging. Eine Veränderung ging auch in ihr vor, langsamer als bei Cedrik aber doch spürbar. Und auf verschlungene Art wunderschön. Ob Assasina ihr antwortete oder nicht, daran dachte Catyua überhaupt nicht mehr. Sie konnte ihren Geliebten ganz dicht neben sich fühlen, sie hörte seinen flachen Atem, seinen beschleunigten Herzschlag, der sich langsam wieder beruhigte und hatte seinen unbeschreiblichen Geruch in der Nase, den der Wind zu ihr trug und der sich wie ein Zauber über den Gestank des Moores legte. Sehnsüchtig suchte ihre Hand den Weg zu seiner und als sich seine schmalen Finger mit ihren zitternden verschränkten, war ein klares Denken unmöglich. War es normal, dass sie so auf seine Nähe reagierte? Nun, ob normal oder nicht, vor allem war es real und in dieser Situation mehr als unpassend. Sie konnte sich nicht dazu durchringen, die Verschränkung zu lösen, doch immerhin schaffte sie es ihre Augen von den seinen zu lösen – sie hatten wie von selbst zueinander gefunden. Als sie ihre Umgebung wieder einigermaßen klar wahrnahm, spürte sie Agenors missbilligenden Blick auf sich und Schuldgefühle überkamen sie. Wie sollte sie diesen unangenehmen Augenblick überwinden? Ihr wollte – zu ihrer Schande und ihrem Bedauern – nichts einfallen.
Cedrik hatte wohl gemerkt, dass auch er eine Wirkung auf seine Catyua hatte. Doch er verschloss sich so weit ihm dies möglich war und sah zu Assasina hin. Dann trennte er sich von Catyua und ging langsam hin zu Assasina. Er stellte sich vor diese hin und musste kurz schlucken, als er ihr in die Augen sah. Sie hatte die Gefühllos wirkenden Pupillen einer Schlange und obwohl sie längst nicht mehr so aussah, wie sie vorhin auf ihn gewirkt hatte, war noch immer etwas in dieser Fremden von der Assasina die ihn zu Beginn so durcheinander gebracht hatte.„Was erwartet Ihr nun von uns?“, fragte er sie und dachte gleichzeitig daran, dass sie noch längst nicht alles hinter sich gebracht hatten. Dass es noch genug Gefahren gab, ehe sie zum Abschluss gekommen waren.Cedriks blick senkte sich auf die Schlange auf Assasinas Arm. Vorsichtig streckte er die Hand aus und strich dem kühlen Schlangenkörper sacht mit einem Finger über den Rücken. Kurz zuckte die Schlange, doch Cedrik biss die Zähne zusammen. Er drückte seine Furcht tief in sich und auch den kurzen Schauder, der ihm über den Rücken lief. Gleich darauf war der Schlangenkörper so reglos wie er bisher gewesen war. Cedrik hob nun erneut den Blick und hoffte, dass ihm Assasina oder das Wesen, das sie geworden war, eine halbwegs akzeptable Antwort geben konnte.Hinter sich hörte er, dass die Prinzessin abermals zu weinen begann. Er musste wirklich diese Ausdauer an Weinen und Tränen bewundern. Unwillkürlich seufzte er. Wenn sie noch länger hier verharren würden, könnten abermals Feuerdämonen die Gruppe finden. Und diesmal würden sie nicht so glimpflich davon kommen. „Also?“, fragte Cedrik erneut und musste sehr an sich halten, um nicht diesen kalt wirkenden Frauenkörper zu packen und so lange zu schütteln, bis die Antwort aus ihm heraus fiel. Kurz dachte Cedrik daran, wie Assasina – die damals noch lebende Assasina – ihn gepackt und gegen die Mauer des Schlosses gedrückt hatte. Solange, bis er das Bewusstsein verloren hatte. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte er noch keine Augen und auch noch kein Herz und Seele für Catyua gehabt.Cedrik spürte Ungeduld in sich hoch steigen. Wie lange musste er noch auf wenigstens eine kurze Antwort warten?
Assasina musterte Cedrik. Sie sah die Ungeduld in seinen Augen und spürte seinen Tatendrang. „Du solltest ein wenig mehr Abstand zu Catyua halten, solange wir unterwegs sind. Es ist gefährlich wenn man seinen feinden zeigt, wen und was man liebt!“Assasina legte den Kopf schief und musterte Cedrik weiterhin. Die Goldpunkte in seinen Augen, das dunkle Lockenhaar und das edel wirkende Gesicht mit den leichten Spitzohren. Sein Gesicht war schmaler geworden, wirkte irgendwie erwachsener. „Wir sollten einfach mal los gehen. Egal wohin. Von mir aus auch wieder zurück, aber endlich gehen, in Bewegung sein!“„Zurück?“ Es war Catyua die diese Frage mit leicht erschrocken wirkender Stimme stellte. Sie war wieder an Cedriks Seite gekommen und griff liebevoll nach seiner Hand.„Das mit dem Abstand-halten gilt für dich ebenfalls!“ Die Stimme der Elfe klang forsch und kalt, aber Assasina hatte weder Zeit noch Lust darüber nachzudenken, wie sie sprach.Das Wetter machte ihr Sorgen. Es sah aus, als würde sich ein Unwetter zusammen brauen, was zu dieser Jahreszeit in diesem Teil des Landes alles andere als normal war. „Los!“ rief sie und begab sich ohne Verzögerung an die Spitze der noch stehenden Gruppe. Sie beachtete nicht, ob ihr die anderen folgten …!
Cedrik war Assasinas Blick zum Himmel gefolgt und runzelte die Stirn. Seltsame rote, schwarz umrandete Wolken waren aufgetaucht und zogen sich über ihren Köpfen zusammen. Es sah aus, als würde ein Gewitter oder ein Sturm bevor stehen. Aber zu dieser Jahreszeit? Und hier? Cedrik senkte den Blick und mitten in Catyuas Augen. Kurz schluckte er, dann meinte er:„Assasina hat recht, Liebste! Wir müssen etwas Abstand halten. Auch wenn mir dabei das herz bricht!“, fügte er hinzu, als er den schrecken in Catyuas Augen bemerkte. Er löste sich nur unter größter Anstrengung von diesen Augen und sah zu der Prinzessin hin, die sich wieder beruhigt hatte und in den Armen ihres Gatten getröstet wurde. Cedrik nickte. Mit einem hatte Assasina recht, sie sollten hier so rasch als möglich verschwinden. Cedrik sah Assasina nach und nickte. „Wir sollten weiter!“, rief er und zog Catyua mit sich. Auch die anderen setzten sich mehr oder weniger rasch in Bewegung. Cedrik beschleunigte seine Schritte und als er neben Rutaara angekommen war, meinte er zu dieser:„Erlaubt mir, Euch meine geliebte Catyua anzuvertrauen. Mit einem hat Assasina recht. Wir sind hier noch immer in Feindesland und über uns entwickelt sich eine neue Gefahr. Ich muss jetzt mein gesamtes Sinnen daran verwenden, und sicher oder so sicher als möglich durch diesen teil der Welt bringen!“ Dann wandte er sich an Catyua, löste seine Hand von ihrer, strich ihr liebevoll über die Wange und meinte:„Ich weiß, dass du dich selbst verteidigen kannst, aber ich vertraue dir hiermit auch Rutaara zum Schutz an. Keiner von uns kennt die wahren Absichten Assasinas oder was uns diese Unheilschwangeren Wolken dort oben bringen. Und ich muss mich jetzt um das Prinzenpaar kümmern. Es ist seltsam, aber ich habe das ungute Gefühl, als würde in den nächsten Stunden wieder etwas mit ihnen passieren. Vielleicht wollen sie fliehen, oder unbekannte Feinde überfallen uns. Ich denke, ich werde mit Sternenlicht die Umgebung beobachten!“ Cedrik küsste Catyua rasch auf die Wange, dann verließ er sie, beschleunigte seine Schritte und schwang sich auf Sternenlichts Rücken. Er gab ihm einen kurzen Schenkeldruck und sprengte mit Sternenlicht an die Spitze der sich nun wieder in Bewegung gesetzten Gruppe.Cedrik hatte die mit festen und raschen Schritten vorwärts stürmende Assasina erreicht – und auch schon überholt. Kurz warf er noch einen raschen Blick zurück, dann war die Gruppe hinter beginnendem Buschwerk verschwunden.Cedrik wandte seine Aufmerksamkeit wieder der Umgebung zu und holte seinen Stab mit dem noch immer wie erloschen wirkenden Ambarin hervor. Er verschloss seine Gedanken an die Gruppe und an Catyua tief in sich und richtete sein gesamtes Augenmerk auf die Umgebung. Ein rascher Blick zum Himmel zeigte ihm, dass sich die Wolken verdichtet hatten und es war kühl geworden. Ein leichter Wind trieb kleinere Sandhosen vor sich her.Cedrik runzelte die Stirn. War nicht noch vor wenigen Augenblicken hier ein Moor zu finden?
Rutaara nahm ohne Widerworte Catyua unter ihre Fittiche und beobachtete die kleine Abschiedsszene, die die beiden lieferten. Dann schwang sich Cedrik auf Sternenlichts Rücken und ließ sie mit dem Mädchen am Ende der Gruppe zurück.Die Elbe blickte Catyua an und meinte:„Gut, gehen wir. Lyrael – du und ich bilden die Nachhut!“ Dabei beließ sie es, hüllte sich ab sofort in Schweigen und folgte der voraus eilenden Gruppe im Laufschritt.Dass sie die aufziehenden Wolken für unnatürlich und beunruhigend empfand, wollte sie dem Mädchen neben sich nicht zeigen, hatte sie doch schon in den vergangenen Wochen genug durchmachen müssen.Rutaara seufzte leise, schüttelte den Kopf kaum merklich und konzentrierte sich weiter auf die Gruppe vor ihr und die Umgebung um sie herum.
Cedrik zügelte Sternenlichts Tempo etwas und zuckte erschrocken zusammen, als dicht neben ihm ein Blitz in den Boden schlug. Es roch scharf nach Ozon und Cedrik konnte den nachfolgenden Donnerschlag bis in seine Zähne spüren. Sternenlicht wieherte erschrocken auf und da er sich hoch bäumte, hätte er beinahe Cedrik abgeworfen. Es kostete diesen all seine Kraft, sich sowohl auf Sternenlichts Rücken zu halten, als auch diesen so weit zu beruhigen, dass das Einhorn zwar schließlich mit bebenden Flanken und nervösem Schnauben, aber doch soweit beruhigt Cedrik auf sich weiter reiten ließ. Cedrik sah wieder kurz zum Himmel, der sich bereits mit den jetzt dunklen Wolken zugezogen hatte. Immer wieder zuckten Blitze durch die Wolken, doch keiner davon berührte die Erde. Cedrik sah zu der stelle hin, wo der Blitz eben in den Boden gefahren war. Die Stelle wies einen Brandfleck auf und eine kleine Rauchsäule stieg dort auf. Cedrik überlegte kurz, ob er die Stelle näher untersuchen sollte, doch er hörte bereits das leise Keuchen der nachfolgenden Gruppe. Er sah sich kurz um, dann gab er Sternenlicht wieder etwas Freiheit, indem er diesem die Hand zwischen den Ohren auf den Kopf legte. Sternenlicht schnaubte noch einmal kurz, dann setzte er sich wieder in Bewegung.Cedrik bedauerte es, dass er kein Seher war. So konnte er nicht sagen, wo und ob der Feind sie alle belauerte. Doch dass sie sich in permanenter Gefahr befanden, das konnte Cedrik auch so sagen, ohne dass er Seher war.Abermals zuckte ein Blitz auf und beinahe sofort begann es so stark zu regnen,als hätte der Himmel beschlossen, Cedrik und dessen Gefährten noch in der nächsten Stunde zu ertränken. Etwa zwei Pferdelängen vor Cedrik zischte abermals ein Blitz zu Boden und Cedrik spürte die Erschütterung, die die gequälte erde erzeugte. Durch den Regen, der wie ein dichter Wasservorhang nieder rauschte, entstand nun keine Rauchsäule. Als Cedrik die Stelle passierte, fiel sein Auge auf einen seltsamen Gegenstand. Er hielt Sternenlicht an, stieg ab und bückte sich. Vor ihm lag ein seltsam milchig weißer Stein, der sanft glimmte. Cedrik streckte die Hand aus und hob den Stein auf. Ein warmes und tröstliches Gefühl durchzog Cedrik und kurz hatte er den befremdlichen Eindruck, als würde der Stein Zufriedenheit ausströmen. Doch dieser Eindruck hielt nur wenige Augenblicke, sodass sich Cedrik nicht ganz sicher war, ob er richtig gefühlt hatte.Nun wollte Cedrik den Stein wieder weg werfen, doch ein starkes Bedauern ließ seine Hand zögern. Ohne nachzudenken, legte Cedrik den Stein an den Ambarin und seine Augen weiteten sich, als dieser wieder in seinem sanften, blauen Licht zu glühen begann. Mit noch immer erstaunten Augen sah Cedrik auf den Stein in seiner Hand, dann steckte er ihn ein. Er schwang sich wieder auf Sternenlicht und wischte sich den Regen aus dem Gesicht. Was jedoch ein sinnloses Unterfangen war, denn er war bereits bis auf die Haut nass und das Wasser lief ihm bereits aus den Schuhen. Sternenlichts Hufe schlugen kleine Dellen in den Wasserteppich, der sich aus dem Regenvorhang auf dem Boden gebildet hatte.
Catyua hatte die Blitze selbst durch den dichten Regenvorhang einschlagen sehen, der Donner war ihr in die Brust gefahren wie ein dröhnender Hammerschlag und sie lief ohne weiter nachzudenken, oder auf Rutaara zu hören, nach vorne. Cedrik!Dabei überholte sie vor Sorge verrückt rasch die verärgert blickende Assasina und Agenors Männer auf ihren Pferden.„Catyua!“, rief Rutaara hinter ihr. Sie überhörte es geflissentlich und lief weiter. Ihre dunklen Vorahnungen wurden von dumpf erklingendem Hufschlag weg gewischt. Sternenlicht war noch auf den Beinen … auch Cedrik dürfte nichts geschehen sein!In ihrem Kopf drehte sich alles. Was war denn plötzlich los mit ihr? Der Regen prasselte aus den schwarzen Wolken am Himmel so dass sie nicht mehr sicher war, ob nur schwere tropfen über ihre Wangen liefen oder ob es Tränen waren. Ihr Atem ging schwer, als sie endlich neben dem leichten Hufes durch den regen trabenden Einhorn angelangt war. Sie traute ihren Augen nicht, weshalb sie die Hand ausstreckte um die ihres Geliebten berühren zu können. Erst jetzt sah Cedrik sich nach ihr um und sie blickte in seine weichen, braunen Augen. Jetzt waren sie nicht mehr hell und freundlich und schimmerten golden wie sie es taten wenn er in die Sonne sah, sondern dunkel und Angst blitzte darin.Es schien unmöglich, dass der Regen noch stärker werden konnte, doch genau das geschah nun. Die schweren, vom Wind hin und her gepeitschten Tropfen schlugen Catyua ins Gesicht, dass es schmerzte. Ihr Umhang hielt leichteren Schauern stand, aber gegen diese Sturzbäche hätte wohl nicht einmal ein mit Trockenzauber versehener Mantel geholfen. Catyua versuchte gegen das Unwetter anzuschreien, aber der Wind riss ihr die Worte von den Lippen. Sie taumelte leicht und griff nach Sternenlichts Flanke, der nervös zusammen zuckte und kurz wieherte. Cedrik blickte besorgt zu ihr und zog sie dann mit einer Kraft, die sie ihm beinahe nicht zugetraut hätte, hinter sich auf Sternenlichts Rücken. Catyua wunderte sich, dass sein treues Reittier in diesem Sturm festen Tritt fand und nicht einfach davon geweht wurde. Wo es doch eine viel größere Angriffsfläche für den heulenden Wind bot.
Cedrik hätte es wissen müssen, dass Catyua um ihn Angst haben würde. Und dass nichts sie halten könnte, auch wenn es eine Dummheit war, dass sie ihm nachkam. Er spürte das Beben ihres durchnässten Körpers und hörte trotz Sturm und Regengeräusch das Klappern ihrer Zähne. Jetzt wäre eine Höhle oder ein anderer trockener Unterschlupf nicht übel, wo man ein wärmendes Feuer anzünden könnte, um die Kleidung und die bereits erkaltenden Körper zu trocknen und das Unwetter abzuwarten. Doch das alles war vergebene Hoffnung.„Du hättest das nicht tun sollen!“, rief Cedrik gegen den jetzt beinahe ununterbrochen grollenden Donner an, doch ob seine Worte ans Ohr Catyuas gelangten, konnte er nicht erkennen. Immer wieder trieben Böen die auf Cedriks Stirn klebenden nassen Locken ihm in die Augen. Sternenlicht machte plötzlich einen heftigen Schlenker nach vorne und hätte beinahe seine Last abgeworfen. Cedrik richtete sein Augenmerk auf das Einhorn und sprang schnell ab. Er bedeutete Catyua sitzen zu bleiben und bückte sich.Sternenlichts linker Lauf steckte bis zur halben Fessel in einem mit aufgeweichter Erde bedecktem Loch. Cedrik half Sternenlicht beim herausziehen des Beines und untersuchte es rasch. Außer einer leichten Zerrung schien nicht viel passiert zu sein. Doch Cedrik würde die nächste zeit nicht wieder aufsteigen. Ehe er es Catyua sagen konnte, schlug erneut ein Blitz in einem in der Nähe stehenden Baum ein. Der nachfolgende Donner ließ Cedriks Zähne wieder aneinander schlagen. Das aufzüngelnde Feuer wurde sofort von dem no0ch immer nieder rauschenden Regen erstickt. Selbst die Rauchfahne erlosch und Sternenlicht setzte sich – zwar etwas humpelnd – doch mit einem leichten Schnauben in Bewegung. Diesmal lief Cedrik neben ihm her und hoffte, dass Catyua sitzen blieb. Und er hoffte, dass der Sturm der alle Spalten in der Kleidung fand, niemand krank machte. Das konnte niemand von der Gruppe brauchen, dass Fieber und Lungenkrankheit schwächen würden. Dass jemand der Gefährten womöglich auch noch das gefürchtete Sumpffieber bekam, daran mochte Cedrik auf keinen Fall denken. Die anderen Krankheiten konnte er heilen – vorausgesetzt er bekäme die nötige Zeit dazu – doch bei einem Sumpffieber sah es anders aus. Und wenn das Unwetter und diese kalte Sturm noch länger anhielten, würde die Gefahr dazu größer.
Nachdem Sternenlicht gescheut hatte, weil seine Fessel in ein schlammiges Loch gesunken und Cedrik abgesprungen war um seinem freund zu helfen, zitterte die junge Albin. Auch wenn sie versuchte, ihre verbliebene Wärme in ihrem innersten zu bewahren. Der kalte Wind ließ die tropfen immer noch wie Schläge von Riesenhand auf sie niederprasseln. Obwohl es doch erst später Nachmittag sein sollte, war der Himmel schwarz und Catyua konnte ihre Umgebung nicht mehr richtig erkennen. Sie hatte stets das Gefühl, sich zu weit vom Rest der Gruppe zu entfernen. Und der Regen, der jedes Geräusch außer dem dröhnenden Donner im Keim erstickte, schnitt sie von einander ab. Der junge Seelenverwandte neben ihr war immer noch nicht aufgestiegen und kämpfte sich an der Seite seines treuen Gefährten durch den Sturm. Hatten sich denn alle hohen Mächte gegen sie verschworen?Erst verschluckte sie dieses verdammte Moor, nun mussten sie auch noch diesem Unwetter trotzen. Bei allen Höllenfürsten …!Die deftigen Flüche, die ihr in den Sinn kamen, hörte sowieso niemand durch den Regen, doch dann beließ sie es dabei. Es brachte nichts den Sturmwind anzuschreien. Catyua zog ihren durchweichten Umhang fester um die Schultern und murmelte einige Worte in der alten Sprache, die ihr gerade in den Sinn kamen: SONNE, WÄRME, LICHT!Und sie versuchte aus den Gedanken daran etwas Kraft und Wärme zu ziehen. Mit einem Mal schien es ihr tatsächlich so, als sei es wärmer geworden. War sie nun schon so verwirrt, dass sie beim Gedanken an Feuer selbiges zu sehen glaubte? Dort vor ihr war aber doch Feuerschein? Sie berührte Cedrik leicht an der Schulter und deutete nach vorne.
Cedrik spürte die sachte Berührung und strich sich erst eine der Locken aus den Augen, dann sah er hoch. Dabei erkannte er dass Catyua auf etwas vor ihnen liegendes deutete. Er folgte mit dem Blick dem zeigenden Finger und wäre beinahe vor Überraschung über seine eigenen Füße gestolpert.Weiter vor ihnen blinkte Feuerschein durch den nun etwas nachlassenden Regen. War dort vorne ein Brand? Doch das konnte wegen dem Regen nicht gut sein. Aber es brannte dort unmissverständlich. Zumindest gab es Feuer und dadurch auch Wärme. Abermals grollte der Donner, doch die Blitze wurden bereits weniger und Cedrik atmete erleichtert auf.Erneut sah er zu Catyua hoch und meinte, versucht den Regen zu übertönen:„Reite weiter darauf zu. Ich sage eben nur schnell den anderen Bescheid. Ich komme sofort wieder. Und keine Angst, Sternenlicht wird dir gehorchen!“Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Cedrik beinahe im schritt um und lief die Strecke zu den anderen zurück. Es war nicht weit und er merkte an Rutaaras Gesicht, dass er nichts mehr sagen musste, denn sie schien den Feuerschein ebenfalls bemerkt zu haben. Also konnte er getrost wieder Sternenlicht und Catyua folgen. Kurz dachte Cedrik daran, wenn er noch lange hin und her laufen sollte,m benötigte er kein wärmendes Feuer mehr, denn dann würde er selbst genug Wärme in sich aufgebaut haben. Ein kurzes Grinsen lief über sein tropfnasses Gesicht und ließ die an seinen dunklen Wimpern baumelnden Regentropfen zittern. Dann jedoch beschleunigte er seine Schritte und passte sich wieder soweit als möglich Sternenlichts Lauf an.Der Regen ließ weiter nach, auch der Sturm war zu einem kräftigeren Wind abgeflaut. Ein bunter Regenbogen setzte sich plötzlich über den Köpfen der Gruppe in den Wolken fest. Cedrik bewunderte kurz den Bogen, dann richtete er sein Augenmerk auf das Feuer.Und es war tatsächlich Feuer. Gebändigt und unter einem Felsvorsprung, der am Fuß eines Baumes war. Dessen Wurzeln hatten sich schon vor langer Zeit zwischen den Steinen fest gesetzt und hielten ihn so an deren Platz. Ein kleiner Haufen gehackter Äste lagerte etwas weiter entfernt vom Feuer und Cedrik versuchte den Regen zu durchdringen auf der Suche nach jenem, der das Feuer entzündet hatte. Doch da war niemand, außer Cedrik, Catyua und die langsam näher kommenden Gefährten. Sternenlicht schnaubte, fiel in einen langsamen Trab und blieb endlich stehen. Cedrik lief näher und breitete die Arme aus, um Catyua – wenn sie von Sternenlichts Rücken rutschte – sicher aufzufangen. Aber waren auch die Anderen mit dieser Stelle hier als Übernachtungsplatz einverstanden?
Die Elbin sah wie sich alle, bis auf Assasina und sie selbst, über die verlassene Feuerstelle freuten. Das Feuer brannte noch nicht sehr lange und das machte ihr Sorgen. Aufmerksam sah sie sich um. Doch etwas schien ihre Elbensinne zu stören, denn sie konnte nichts entdecken, das auf feindliche Aktivitäten schloss.Irritiert ging Rutaara zu der Feuerstelle und kniete sich vor das flackernde Feuer. Die Augen geschlossen und die Hände ausgestreckt, so dass die Innenflächen beinahe die Flammen berührten, so saß sie einige Sekunden da. Plötzlich stoben orangerote Funken in die Luft, wurden eisblau, sammelten sich über dem Feuer und bildeten eine leuchtende Kugel. Nun erst öffnete die Elbe die Augen, nahm die Hände herunter und holte tief Luft. Angespannt beobachtete sie die Kugel und nach einer Weile bildeten sich auf ihrer Stirne Falten der Besorgnis. Rutaara schnippte kurz mit den Fingern und die blaue Leuchtkugel verschwand. Dann sah sie die anderen an, die sich in der Zwischenzeit um sie herum versammelt und sie aufmerksam beobachtet hatten.„Entweder sind wir vorerst wirklich sicher und können hier eine Rast einlegen, oder aber es ist eine hervorragende Falle“, meinte sie. „Jedenfalls kann ich nichts entdecken, das auf Feinde hin weist. Doch seid auf der Hut! Eine verlassene Feuerstelle direkt auf unserem Weg – das ist mehr als eigenartig!“
Assasina kaute nachdenklich auf ihren Lippen herum. Ihre neuen „Fähigkeiten“ hatten eine gute Eigenschaft. Sie konnte sich der Temperatur ihrer Umgebung anpassen, weshalb sie auch nicht fror.„Ich werde mich etwas umsehen und nach gefahren Ausschau halten!“, flüsterte sie Rutaara zu, der sie bereits erklärt hatte, dass sie sich nicht wärmen musste. Ein wenig erleichtert nickte die Elbin mit dem Kopf. So sehr sie auf Gefahr oder eigentlich keine Gefahr witterte, schien die Dunkle doch froh darüber, sich am Feuer wärmen zu können. Assasina nickte ebenfalls und verschwand zwischen den Bäumen.Die Elfe hatte schon immer die Einsamkeit genossen, doch seit sie sich so verändert hatte, war sie froh, wenn die Schlange an ihrem Arm – die ihr tierisches ICH körperlich repräsentierte – zum Leben erwachte. Sie strich sanft mit dem Zeigefinger ihrer linken Hand über den schwarz schimmernden Körper, der gleich darauf von einem leichten Beben erfüllt wurde. Die Schlange, vorher so unbeweglich und starr wie ein Armreif wandte sich nun, kroch Assasinas Arm hinauf und legte sich um ihren Hals.„Wir müssen ein wenig Wache stehen“, flüsterte die Elfe dem Tier liebevoll zu und bekam ein zischen zur Antwort, das durch den Wind und den Regen, die nun wieder etwas heftiger wurden, kaum zu hören war.Assasina richtete sich stocksteif auf und ihre Pupillen verengten sich. Die Elfe sah nun nicht mehr normal wie gewohnt, sondern sie nahm Wärmestrahlen nur noch bildlich wahr, was bei diesem Wetter mehr als leicht war. Sie wandte sich um. Die Wärme eines Feuers, die Wärme von Körpern die um das Feuer gingen oder daneben saßen und … ihr stockte der Atem. Die Wärme von Tieren – von fünf großen Tieren – die ganz langsam einen immer enger werdenden Kreis um das Feuer zogen. Dicht gefolgt von der Körperwärme dreier menschlicher Wesen.
Sternenlichts ängstliches Schnauben ließ Catyua aufblicken. Alarmiert nahm sie flackernde Schatten wahr, die über die umliegenden Wände tanzten und die unmöglich von einem von ihnen stammen konnte, denn alle ihre Gefährten saßen ruhig am Feuer. Sie kniete etwas abseits bei den Pferden und ihren wenigen Habseligkeiten.„Habt acht!“, rief sie den Gefährten warnend zu, wobei sie versuchte herauszufinden was sie eigentlich da so bedrohlich umkreiste. Der beißende Geruch eines großen Tieres stieg ihr in die Nase und Catyua versuchte ein Geräusch zu vernehmen, dass ihr bestätigen würde dass dies hier die Wohnstätte von Bergwölfen, den großen Bären der Steppe oder anderen Großkatzen war. Doch der nieder rauschende Regen übertönte jedes andere Geräusch, so dass die junge Albin nicht sicher sein konnte, was sie hörte oder wovon sie das nur glaubte.Ihr gingen viele Gedanken durch den Kopf in diesem Moment, auch wenn sie bemüht war, sich zu konzentrieren. Wütend pochte es in ihrem Kopf. Cedrik darf nichts geschehen. Cedrik … und zwischendurch die Frage, wo Assasina war. Ihr eigenes Leben rückte seltsamerweise in den Hintergrund. Der Gedanke, dass ihr selbst etwas zustoßen könnte, war in den letzten Wochen verblasst und unwichtig geworden.
Rutaara hatte die Gruppe, die sie umstellt hatte und nun den Kreis immer enger zog, schon vor drei Tagen bemerkt. Gesagt hatte sie deshalb nichts, weil die Verfolger keinerlei Anstalten machten, anzugreifen oder den bestehenden Abstand zu verringern.Nun allerdings war sie in erhöhter Alarmbereitschaft. Die Hand am Dolch an ihrem Gürtel erhob sie sich, wandte sich zu ihren Gefährten und sagte leise, aber deutlich:„Einige von euch werden wohl sicher bemerkt haben, dass wir von Unbekannten eingekreist wurden. Diese folgen uns schon einige Zeit und bestehen aus drei Leuten und fünf Sengara-Raubkatzen!“Sie wartete ab, ob die anderen ahnten, was da auf sie zukommen könnte, doch erhielt sie als Antwort nur leicht verwirrte Blicke. Die Elbe seufzte.„Damit ihr wisst, was dies nun bedeutet und euch bevorsteht, versuche ich es euch zu erklären. Zuerst worum es sich bei den Sengara-Raubkatzen handelt. Jeder von euch hat sicher schon einen gewöhnlichen Puma gesehen. Nun stellt euch diesen so groß wie Sternenlicht vor, Krallen so lange wie die Länge meiner Hand und Zähne, die – wenn sie euch auch nur leicht erwischen – ein tödliches Gift absondern, dass euch innerhalb weniger Tage ein qualvoller Tod ereilt.“Rutaara machte eine Pause um die Worte in ihre Gefährten sickern zu lassen und fuhr dann mit bestimmter Stimme weiter fort:„Verhaltet euch also ruhig. Bisher haben sie keine Gewalt gegen uns angewandt. Lasst uns also erst einmal abwarten, was sie von uns wollen!“
Cedrik war Rutaaras Erklärung mit größer werdenden Augen gefolgt. Sein Blick huschte zu Sternenlicht, der den Kopf gesenkt hatte und scheinbar an kleinen Gräsern, die in der Nähe des Feuers wuchsen, knabberte. So groß wie Sternenlicht? Und noch dazu mit giftigen Krallen? Was stand ihnen allen noch bevor, ehe sie ihren Auftrag als beendet ansehen konnten? Mit kleinen Schritten begab sich Cedrik in die Nähe Catyuas und setzte sich neben sie. Tief in sich hatte er schon geahnt, dass niemand ein Feuer für sie alle entzünden würde. Doch er wollte es nicht so recht wahrhaben. Als Rutaara den Puma erwähnte, musste er kurz an Mustie denken. Mustie war in eine Falle geraten und Cedrik hatte ihn bei einem seiner ausritte mit Sternenlicht gefunden. Drei Tage hatte der kleine Puma, der noch ein halbes Baby war, um sein leben gekämpft. Dann hatte Cedriks Heilkunst gesiegt und Mustie war gesund geworden.Mit zunehmendem Alter waren auch die Spiele, die Mustie spielte immer grober und schließlich gefährlich geworden. Schließlich wurde Cedrik ans Herz gelegt, er solle sich von Mustie trennen und diesen in die Wildnis zurück entlassen. Es war Cedrik sehr schwer gefallen, doch hatte er es eingesehen, als Mustie ihm bei einem seiner Kampfspiele fest in den Oberschenkel biss. Doch diese Sengar-Raubkatzen würden wohl gleich das ganze Bein weg beißen. Oder Cedrik als Appetithäppchen verspeisen.Cedrik war nicht bewusst, dass sich sein Mund zu einem breiten Grinsen verzog, als er daran dachte. Kurz kämpfte er gegen ein in ihm aufsteigendes Lachen an, doch er verlor den Kampf und begann erst leise, dann lauter zu lachen. Schließlich lachte er so laut, dass er sogar den starken Regen übertönte. Seine Hände umfingen den schmerzenden Bauch und obwohl er nach wenigen Augenblicken aufhören wollte – vor allem als er den Blick Rutaaras bemerkte – er konnte es nicht. Es war, als würde ihn etwas oder jemand zu diesem Lachen zwingen. Schließlich traten ihm Tränen in seine Augen und während er zwischen dem Lachen nach Atem rang und beginnende Verzweiflung in sich hoch steigen spürte, vermischten sich die über Cedriks Gesicht laufenden tränen mit dem Regen, der nun etwas schräg unter die Baumwurzeln von dem wieder stärker werdenden Wind getrieben wurde. Das Feuer flackerte und knisterte, als die Wassertropfen hinein fielen.„Hi … hi … hilf mir!“, stammelte Cedrik und erneut begann er sich zu krümmen, als ein weiterer Lachanfall ihn auf den Rücken warf. Tief in sich und vorerst noch unerkannt, verwandelte sich diese unnatürliche Heiterkeit in Ärger und schließlich schob sich wieder diese dunkle Wolke über Cedriks Seele. Das Lachen war in den letzten Augenblicken nicht mehr erheiternd und wild, sondern hatte sich zu einem verzweifelten Weinen gewandelt. Doch noch immer konnte Cedrik nicht aufhören. Noch immer wälzte er sich am Boden in sinnlosem Gelächter, das ein Weinen ein Wehklagen geworden war. Und die dunkle Wolke in seinem Inneren gewann an Kraft und begann sich auszubreiten. Sie erstickte seinen gedanklichen Hilferuf, sie bedeckte den Ursprungsort dieses Lachens, das längst keines mehr war. Sie stieg höher und höher, breitete sich aus und schließlich ...
Cedriks Laute verstummten als hätte jemand sie mit einem scharfen Schwert beschnitten. Er setzte sich auf und wieder einmal war diese Schwärze in seinen Augen. Das Gesicht, noch bis eben gerötet vom Lachen, war beinahe schneeweiß geworden. Seine Lippen pressten sich zusammen, so wie sich nun auch noch seine Augen verengten. Die Ohren vernahmen weder den Regen, noch den Wind. Er bemerkte ebenso wenig den alarmierten Blick von Rutaara oder das erschrecken Catyuas. Er bemerkte nicht einmal, dass die in seiner Nähe sitzende Prinzessin sich ganz dicht an ihren Gatten presste und in ihren weit aufgerissenen Augen Grauen flackerte. Ja nicht einmal die angespannte Haltung von Agenor und seinen verbliebenen Männern fiel ihm auf.Ebenso wenig bemerkte er, dass Assasina von irgend woher erschienen war. Cedrik stand langsam auf und seine Wangenmuskeln malten. Seine Finger ballten sich zu Fäusten und er riss ohne Übergang die Arme hoch, öffnete den Mund und stieß einen seltsam lang gezogenen Schrei aus.
Das Feuer zuckte mit einer Stichflamme auf und das Prinzenpaar sprang mit einem lauten Schreckensschrei hoch und brachte sich etwas weiter weg in Sicherheit. Cedrik schrie noch immer. Er streckte den rechten Arm weiter weg von sich, die Faust öffnete sich und mit dem Zeigefinger deutete er gegen den dunklen Wolken- und Regenhimmel.
Als würde ein dunkler Blitz aus dem Finger zucken, zu den Wolken rasen und mit einem Atemzug … hörte der Regen schlagartig auf und der Wind legte sich. Cedrik senkte die Arme und bezeichnete mit ihnen einen Kreis. In diesem schloss er seine Gefährten, das Feuer – welches nun wieder normal brannte – die nähere Umgebung und sich selbst mit ein. Kurz schien es, als würde ein undeutliches Wallen erscheinen, doch konnte es sich auch nur um eine Sinnestäuschung gehandelt haben.Sternenlicht und auch die anderen Pferde waren ebenso in diesem angedeuteten Kreis einbezogen, wie auch jene Wesen die sich noch immer näherten. Doch nun blieben diese stehen, verunsichert und seltsam erregt.Das Dunkel in Cedrik verminderte sich wieder, doch es verschwand nicht. Seine Arme sackten herunter und er blieb stumm stehen. Seine Augen starrten in die Ferne und sein Gesicht bekam wieder etwas Farbe. Vom feuchten Boden stiegen plötzlich winzige, leuchtende Funken auf doch sie waren weit genug von Feuer entfernt, sodass jeder erkennen konnte, es waren keine Feuerfunken. Sie stiegen über die Köpfe und sanken wieder nieder. Die meisten erloschen, doch drei sanken auf Cedriks Haare und verschwanden darin. Kurz zuckte Cedrik zusammen, ob aus Schmerz oder schrecken, konnten die anderen nicht erkennen.Es dauerte nur wenige Sekunden, da schlossen sich Cedriks Augen, er warf den Kopf nach hinten und … fiel wie ein nasser Sack zu Boden.
Cedrik wusste nicht wie lange er so gelegen hatte. Die Welt um ihn hatte einen unheimlichen, dunklen Schimmer angenommen. Stille war eingetreten.Weit in seinem Kopf hatte er den Eindruck, dass der Regen schon vor langer Zeit aufgehört hatte und er irgendwie alleine auf dieser Welt war. Er setzte sich auf und sah zu Sternenlicht hin. Dieser war, während Cedrik ohne Bewusstsein gewesen war, näher gekommen. Er senkte nun seinen Kopf zu Cedrik nieder und dieser griff nach Sternenlichts Mähne und zog sich hoch.Kurz wankte er und atmete einige Male tief durch. Noch immer kam er sich vor, als wäre ein abschirmender Vorhang zwischen ihm und seinem Einhorn sowie der übrigen Welt. Kurz schloss er seine Augen, dann schwang er sich auf Sternenlichts Rücken und ohne einen weiteren Blick zu den bisherigen Gefährten zu werfen ritt er auf Sternenlichts Rücken in die beginnende Dunkelheit. In seinem Kopf herrschte Leere und er hatte alles bisherige, was er erlebt hatte, vergessen. Seinen Auftrag, die Gefährten, seinen Meister, ja selbst … seine Seelengefährtin! Cedrik hatte unbewusst mit seinem alten Leben gebrochen.
Das Dunkel wirft seinen Schatten ...
Cedrik schrie Catyua panisch vor Angst. „Liebster!“ Ihre Stimme schlug in ein Schluchzen um. Doch er hörte sie nicht und ritt einfach weiter. Als sie versuchte, ihm nachzulaufen, hinderten die unheimlichen Wesen sie daran.„Ja, wollt ihr denn gar nichts tun?“, rief sie den Gefährten verzweifelt zu. Sie bekam jedoch nur mitleidige Blicke als Antwort. Wut auf ihre tatenlos dastehenden freunde erfüllte sie, gesellte sich zur Angst um den Geliebten. Niemand würde ihr also helfen aber auch niemand würde sie aufhalten …! „Was wollt ihr eigentlich von uns?“, schrie sie die Gestalten an. „Lasst mich gehen!“, verlangte sie dann wutentbrannt.Cedrik war währenddessen hinaus ins Dunkel geritten und Sternenlicht brachte ihn mit jedem Schritt ein Stück weiter weg von Catyua. Das Mädchen spürte die Entfernung ihres Seelenverwandten nicht nur beinahe körperlich. Es war, als würde ein Teil von ihr gewaltsam heraus gerissen und davon geschleppt. Das konnte er doch nicht freiwillig tun! Das konnte er nicht … Catyua wurde in ihren Gedanken unterbrochen. „Es steht dir nicht zu, uns das zu fragen noch so etwas zu fordern!“Verwirrt sah sich das Mädchen um. Woher kam diese Stimme? Und warum hatte sie kein Recht dazu? Das hatte sie sehr wohl!„Warum?“, fragte sie bissig zurück.
Dunkelheit umgab Cedrik. Sie war außen und sie war tief in ihm drinnen. Sein bewusstes Denken war darauf beschränkt, nicht von Sternenlichts Rücken zu fallen.Kurz nur hatte er gezögert, als die Stimme seiner Seelengefährtin an sein Ohr brandete und diese Dunkelheit um ihn sekundenlang zerriss. Doch ehe er etwas erwidern konnte oder reagieren, hatte sich der Riss geschlossen und er war weiter geritten. Wäre er nicht auf Sternenlicht gesessen, wäre er sicher bei seiner derzeitigen Blindheit gegen irgend welche Hindernisse geprallt. Doch sein Einhorn nahm immer wieder Umwege, um ihn sicher weiter zu bringen.Aber wohin brachte ihn Sternenlicht? Was war das Ziel der Dunkelheit, die ihn immer weiter weg von den Gefährten führte? Weg von seiner Pflicht auf das Prinzenpaar zu achten, weg von Catyua seiner Liebe und Leben. Was geschah mit ihm? Warum geschah es? Hing es zusammen mit diesen komischen Feuermachern und deren Begleitern? Wie hatte Rutaara sie genannt? Sengara Katzen … ja, das war wohl der Name. Cedrik stöhnte auf und versuchte erneut diese Dunkelwand um und in ihm zu durchbrechen. Unbewusst spürte er, dass Sternenlicht angehalten hatte. Doch obwohl Cedriks Augen weit aufgerissen waren, konnte er das Dunkel mit keinem Blick durchdringen. Seine Gedanken waren in Aufruhr und hätte er nicht plötzlich Assasinas spöttische Stimme im Ohr gehabt, wer weiß ob er nicht in Tränen der Angst und des Schreckens ausgebrochen wäre.Es waren aber auch unheimliche Dinge passiert! Erst diese Feuerdämonen, dann die zweimalige Verwandlung von Assasina. Seine Berührung mit der stark magischen Elementarkraft und der ungewöhnlich heftige und irgendwie seltsame Regen, oder dieser Sturm. Dann die Feuerfundstelle und die neuerliche Bedrohung durch unbekannte Feinde und deren Begleiter. Schließlich sein ihm noch immer Kopfzerbrechen bereitender Lachanfall, der Cedrik erst in Bewusstlosigkeit brachte und ihn nun – umgeben von Dunkelheit – von den Gefährten getrennt hatte.
Rutaara war aus unerfindlichen Gründen während der gesamten Situation nicht in der Lage sich zu rühren. Fassungslos musste sie mitansehen, wie Cedrik erst in Ohnmacht fiel und nun – ohne sich auch nur einmal nach ihnen umzudrehen – in der Dunkelheit verschwand. Schließlich aber fand sie ihre Worte wieder.„Lyrael, schnell!“, rief sie ihrem Gefährten zu. „Lauf ihm nach! Folge ihm unauffällig und achte darauf, wohin ihn Sternenlicht trägt!“ Kaum waren ihr die letzten Worte von den Lippen geschlüpft, war der Wolf schon unterwegs. Ihre Angreifer hier machten keine Anstalten, ihn daran zu hindern und so sah man nur noch einen hellen Schatten zwischen den Bäumen verschwinden.
Die Dunkelheit lichtete sich etwas und nun konnte Cedrik so etwas wie graues Dämmerlicht erkennen. Er war in einer Höhle, von deren Decke seltsame grau-rote Lianen hingen. Wo immer sie seinen Körper berührten, hinterließen sie ätzende Spuren. Der Schmerz war nicht so stark, dass er stöhnen oder schreien musste aber auch nicht so schwach, um ihn nicht zu verspüren. Aus dem Dämmerlicht kamen auch Fratzen auf ihn zu und umringten ihn, um gleich darauf wieder zu verschwinden. Der Boden schaukelte umher und es dauerte ziemlich lange, bis Cedrik erkannte dass er auf Sternenlichts Rücken saß und durch einen dichten Wald ritt und sich nicht in einer Höhle befand. Die Lianen, die ihm Schmerz bereiteten waren keine Lianen im eigentlichem Sinne, sondern die tief hängenden Äste die durch sein Wams die Haut ritzten.Die Dunkelheit vor Cedriks Augen hob sich mehr, doch trotzdem blieb es Nacht. Mit einem kurzen Ruck an Sternenlichts Mähne hielt Cedrik diesen an und sah um sich wie ein aus tiefstem Albtraum erwachter Schlafwandler.Was war passiert? Wie kam er hier her? Und was war mit seinen Gefährten? Cedrik schüttelte den Kopf, denn die vielen Fragen konnte er nicht so alleine beantworten. Tief in sich fühlte er etwas erwachen, das ihm Angst aber auch zugleich Kraft einflößte. Es war noch ziemlich undeutlich, trotzdem es ein schwaches Gefühl von Ahnung verbreitete. Cedrik glitt von Sternenlichts Rücken und hielt sich an dessen Mähne fest. Momentan hatte er Pudding in den Beinen. Es war, als hätte Cedrik seine Beine und deren Muskeln so stark beansprucht, dass sie keinerlei Kraft mehr hatten. Ein schwaches Mondlicht beleuchtete die nächsten Baumstämme und Cedrik fragte sich, wie er je wieder aus diesem dichten Waldbestand kommen sollte. Ein keuchendes Geräusch ließ ihn aufmerken. War einer der Gefährten ihm gefolgt, um ihn wieder zurück zu holen? Doch dann hätte dieser sicher seinen Ruf nach Cedrik erschallen lassen. Nun ließ Cedrik Sternenlichts Mähne los und sackte mit einem leisen Weh-laut zu Boden. Wieder dieses unheimlich wirkende Keuchen und zwischen den Bäumen erschienen zwei in dem ungewissen Mondlicht glitzernde Augen. Ehe Cedrik an Abwehr denken konnte, war das Keuchen dicht bei ihm und eine dunkle Masse, die stark nach Wolf roch, schob sich an ihn heran. Ergeben schloss Cedrik die Augen, erwartete den ersten Biss an seiner Kehle und sandte einen bedauernden Gedanken an Catyua. Doch als nichts weiter geschah, als dass ihn der Wolfsgeruch einhüllte und er eine leichte Berührung neben sich verspürte , öffnete er wieder vorsichtig seine Augen. Der Wolf, der scheinbar einen weiten Weg hinter sich gebracht hatte – seinem Hecheln nach – lag neben ihm und starrte Cedrik an. Cedrik starrte verwundert auf den Wolf hinunter und überlegte eben, was das ungewöhnliche Benehmen eines solchen Wildtieres zu bedeuten hatte, als ihm einfiel, dass dies ein bestimmter Wolf sein könnte.Überraschung ließ Cedriks Herzschlag schneller werden. Hatte Rutaara ihm ihren Gefährten gesandt, um auf ihn aufzupassen, ihn gar zurück zu geleiten? Er sah auf, als Sternenlicht seinen Kopf zu dem Wolf niedersenkte und mit einem leisen schnauben begrüßte. Erleichterung durchflutete Cedrik und er ließ sich zurück fallen. Dann schlossen sich seine Augen und er sank in einen Totenähnlichen Schlaf.
'Ich habe ihn gefunden!' hallte es durch Rutaaras Gedanken. Die Gedankenstimme Lyraels klang erleichtert und besorgt zugleich. 'Gut! Bleib bei ihm in seiner Nähe und bringe ihn zurück. Sollte er sich wehren, zerre ihn von Sternenlicht und schlepp ihn her!' sandte die Dunkelelbe zurück. Dann richtete sie sich zu ihrer vollen Größe auf und blickte den Fremden entschlossen entgegen.„Was wollt ihr von uns?“, fragte sie mit lauter Stimme. Friedlich hob sie die Arme und streckte sie aus. „Wir sind Reisende, die nur einen Platz zum Ruhen gesucht haben. Und als Unterstand. Ihr habt kein Recht, uns so zu behandeln!“
Cedrik befand sich in einer großen, unterirdischen Grotte. Ein See befand sich in dieser Grotte. Ein See, der in einem seltsam überirdisch blauem Licht strahlte und in dem sich Schlangen ähnliche Körper bewegten. Cedrik lag am Ufer des Sees und starrte selbstvergessen hinein. Ein seltsamer Geruch hing in der Luft. Nach nassem Fell und heißen Kartoffeln roch es. Unwillkürlich hörte Cedrik seinen Magen knurren. Obwohl er keinerlei Hunger verspürte. Einer der Schlangenkörper durchstieß die Wasseroberfläche, klappte seitliche Flügel aus und flog davon. Cedrik schaute verwundert hinterher. Der Geruch nach nassem Fell verstärkte sich und brachte Cedrik zum Niesen. Die Luft veränderte sich und der See verlor seine Farbe und wurde dunkel. Ein unwiderstehlicher Drang nach Ruhe und Schlaf überfiel Cedrik und ließ ihn einschlafen …
Er schlug die Augen auf und starrte nach oben – in einen blauen Himmel. Keine Wolke trübte dieses strahlende Blau. Über ihm, weit oben im Himmelsblau rüttelte ein ziemlich großer Vogel. Gleich darauf ließ er sich im Sturzflug fallen, fing sich und stieg erneut nach oben. Das grelle Blau trieb Cedrik die Tränen in die Augen und er schloss diese wieder. Kurz vernahm er neben sich ein seltsam vertrautes Schnaufen, doch er sah nicht hin. Er lag ganz ruhig da und ließ seine Gedanken frei und ohne sie zu halten oder intensiv zu denken, durch seinen Kopf ziehen. Er spürte eine tiefe Ruhe und Zufriedenheit in sich. Dieses Gefühl konnte auch der Käfer, der über sein Gesicht marschierte, nicht beeinträchtigen. Langsam entglitt Cedrik wieder in den Zustand völliger Stille. Doch diesmal war es eine Stille jener Sorte, die man als Genesungsschlaf kannte. Ehe Cedrik von diesem Schlaf übermannt wurde, fragte er sich noch, ob er etwa krank gewesen war. Doch gleich darauf glitt er erneut beinahe schwerelos ins Traumland.
Es schien nicht allzu viel Zeit vergangen zu sein, seit Cedrik eingeschlafen war, als er wieder aufschreckte. Es war noch immer dunkel und er fühlte sich immer noch schwach. Irgendwie nicht von dieser Welt. Als er sich etwas zur Seite wandte, in die glitzernden Augen des Wolfes blickte, bemerkte er gleich neben diesem Sternenlicht, der ebenfalls ruhte.Cedrik griff sich an die schmerzende Stirn. Etwas war mit ihm passiert, doch er konnte nicht genau sagen, was. Langsam setzte er sich auf und legte den Kopf schräg, als Sternenlicht wieder einmal sein Lied erschallen ließ. Kaum war es zu Ende, erhob sich Cedrik und war nicht sehr erstaunt, als sich auch die beiden Tiere erhoben.„Ich denke, ich kehre wieder zurück. Irgend etwas sagt mir hier drinnen ...“, Cedrik legte eine Hand auf seine Brust, „ … es ist wichtig, jetzt und sofort zu gehen!“Nun griff Cedrik nach Sternenlichts Mähne, schwang sich auf dessen Rücken, winkte dem Wolf ohne weiter nachzudenken und überließ es Sternenlicht, den rechten Weg zurück zu finden.
Catyua fühlte sich noch immer umringt von den Wesen und so schrecklich allein und hilflos, weil Cedrik sie verlassen hatte. Ja! Das hatte er! Einfach so! Auf ewig! Gebrochen!Und sie konnte ihm nicht folgen, weil sie sich nicht getraute, den Kreis dieser Unbekannten zu durchbrechen. Es war alles ihre Schuld! Heiße tränen liefen über ihr Gesicht, ohne dass sie dies auch wirklich merkte. Es war ihr egal, was die anderen jetzt von ihr dachten. Es war ihr egal, dass sie vielleicht ihr Leben aufs Spiel setzte, wenn sie einfach los rannte. Es war ihr auch egal, ob Cedrik sie überhaupt noch mochte und wollte. Sie musste zu ihm! Sehen, ob ihm etwas passiert war. Er musste dies doch auch einfach fühlen, diese grausame Zerrissenheit als wäre man nur halb, ein Schatten seiner selbst. Also rannte Catyua, sie rannte wie nie zuvor in ihrem Leben. Hinter sich hörte sie ein Fauchen und besorgt wirkende Rufe, aber dann hatte sie die Höhle verlassen und lief unter einem schwarzen Nachthimmel. Einfach weg, dorthin wo es ihr Herz hinzog!Dass sie ihre Gefährten zurück ließ, allein mit den potentiellen Angreifern kümmerte sie weniger als wenig. Nur Cedrik zählte! Was kümmerte sie ein Auftrag, wenn sie ihn – ihre Liebe – verloren hatte?Kurz schwebten ihre Eltern durch diese Gedanken, doch das glühend heiße Verlangen nach ihrem Geliebten ließ die beiden verschwimmen wie die Sonne zwei klitzekleine Schneeflocken taut.Catyua war so intensiv in ihre Gedanken verstrickt, dass sie nicht auf den Boden achtete und über eine Wurzel stolperte. Sie STOLPERTE! Wann war ihr so etwas zum letzten Mal passiert, fragte sie sich ungläubig. Sie spürte etwas Großes über sich hinweg setzen und vernahm ein wütendes Fauchen.
Cedrik war mit seinen Gedanken weit weg. Er achtete nicht darauf, wohin ihn Sternenlicht brachte. Auch achtete er nicht darauf, ob ihnen Rutaaras Wolf folgte. Es war ihm egal, wie seine Umgebung beschaffen war und es war ihm auch egal, ob Sternenlicht den richtigen Weg einschlug oder ihn einfach ins Blaue führte.Dann jedoch krampfte sich Cedriks Herz zusammen. Eine immense Angst griff nach ihm und brachte ihn zum Keuchen. Was war das denn? Er verspürte Angst, doch seltsamerweise war es nicht die seine. Ein liebliches Gesicht mit Tiefgründigen Augen tauchte vor seinen inneren Augen auf. Und er wusste auch den Namen zu diesem Gesicht. Unwillkürlich zog er an Sternenlichts Mähne. So stark war sein Griff, dass Sternenlicht sich kurz aufbäumte und ein helles Wiehern ausstieß. Cedrik, der auf diese Reaktion seines Einhorns nicht gefasst war, rutschte über dessen Hinterhand nach hinten und plumpste ziemlich schmerzhaft auf den Boden. Zu allem Überfluss biss er sich auch noch in die Unterlippe deshalb und spürte gleich darauf, wie ihm warmes Blut über das Kinn lief und auf sein Knie tropfte, wo sein Beinkleid seltsamerweise ein Loch aufwies. Er hätte nicht sagen können, wie und wo dies passiert war.Er biss die Zähne zusammen und stand auf. Ein scharfer Schmerz zuckte über seinen Rücken. Hatte er sich seine Rückenmuskulatur gezerrt? War er doch noch jung – erst siebzehn Sommer, dass ihn sein Meister Fulkhurx oft genug mit Jüngelchen oder Kind titulierte. Aber was es auch war, er spürte diesen seltsamen Zug, der ihn beunruhigte. Kurz massierte sich Cedrik die schmerzende Stelle, dann humpelte er zu Sternenlicht der zwei Schritte weiter gelaufen war. Vielleicht hatte er sich so erschreckt.„Wir müssen zurück!“, sagte Cedrik, weniger zu den beiden Tieren, als mehr zu sich selber. Dann stieg er wieder auf Sternenlichts Rücken und schloss kurz die Augen. Ja, jemand rief ihn! Und er sollte diesen Ruf kennen. Doch woher? Sein Mund flüsterte einen Namen, der von Cedriks Herz eingeflüstert wurde, doch das Bewusstsein Cedriks kannte diesen Namen nicht: „Catyua!“ Abermals erschien dieses aparte Gesicht vor dem geistigen Auge und trieb Cedriks Herz zu raschem Schlag.
Rutaara bekam keine Antwort von den Fremden, es erklang nur ein leises Wispern. Sie strengte sich an um zu verstehen, welche Worte sie sprachen, doch auch ihre scharfen Elbenohren vernahmen nur dieses leise, unheimliche Flüstern. Plötzlich wurde ihr kalt und es war ihr, als würden sich eisige Finger um ihr Herz legen. Sie schüttelte sich um den eisigen Hauch abzuwehren und hörte dann, wie Lyrael sie rief.'Ruuta, was ist mit dir?' erklang es besorgt in ihrem Kopf und sie wusste, ihr Gefährte hatte das Selbe gefühlt wie sie. 'Mir geht es gut, es war nur ein kurzer Moment!' sandte die Dunkelelbin zurück. 'Mach dir keine Sorgen. Sag mir lieber, ob du mit Cedrik auf dem Retourweg zu uns bist!' 'Ich glaube … ja. Wir haben zumindest einmal schon die Richtung gewechselt und laufen auf euch zu' kam die sofortige Antwort.
Rasch reagierte Catyua, sprang erschrocken über ihre Unachtsamkeit und die neu – alte Bedrohung auf und zog ihre Waffe. Mit dem Rücken presste sie sich an den rauen Baumstamm, so dass ihr einige Äste in den Rücken stachen.Das Fauchen wurde zu einem wütenden Knurren. Catyua kniff die Augen zusammen. Sie hatte Glück es war noch nicht alles alte vergessen, was sie damals gelernt hatte. Allerdings hatte sie auch noch nie einen Kampf gegen solche Gegner gefochten. Als sie den Luftzug spürte – sie konnte noch nicht wirklich viel erkennen, doch es wurde besser, sie gewöhnte sich langsam – riss sie aus einem Reflex heraus ihre Waffe in die Höhe. Der Schlag ließ ihren ganzen Körper erzittern und es ertönte ein gellendes Fauchen, diesmal jedoch Schmerzlich. Catyua konnte nicht einmal einen Ausfallschritt machen, der Baum in ihrem Rücken schränkte ihre Bewegungen ein. Schemenhaft erkannte sie nun etwas großes vor sich, dann bewegte es sich wieder und Catyua ließ sich flach auf den Boden fallen, um sich unter einem Hieb der riesigen Pranken weg zu ducken.„Aaaah!“, schrie das Mädchen. Sie war zu langsam gewesen, eine Kralle hatte einen brennenden Kratzer an ihrer Seite hinterlassen. „Hilfe!“, flüsterte sie schwach, dann sackte sie zu Boden.
Rutaara bemerkte, wie Catyua von einem Tierwesen der Fremden verfolgt und eingeholt wurde. Ohne nachzudenken rannte sie los, zog ihr Langschwert und sauste ihnen nach. Dann erkannte sie plötzlich das Tier, welches das Mädchen angriff - eine Sengara – Raubkatze.'Verflucht!', dachte die Dunkelelbin und lief nun noch schneller. Mit voller Wucht rannte sie in die Seite der Raubkatze, die mittlerweile über der am Boden liegenden Catyua stand und schleuderte sie so von ihr herunter.„Weg von ihr, du verdammtes Monster!“, schrie Rutaara und stellte sich mit erhobenem Schwert vor Catyua. Die Sengara – Raubkatze stand nun knapp vor ihnen und begann mit peitschendem Schwanz und knurrend und fauchend auf und ab zu laufen. Die Dunkelelbe bleib dennoch ruhig, bewahrte einfach einen kühlen Kopf und … wartete ab.
Assasina hatte sich stets im Hintergrund gehalten. Sie wusste nicht, ob sie die Fremden bereits gesehen hatten. Doch als das leise, eisige Wispern ertönte, durchfuhr sie ein Schauder. Assasina sah sich um. Die anderen hatten scheinbar nicht erkannt, was die Unbekannten gesagt hatten. Sie selbst hatte auch nicht alles verstanden, aber zumindest erkannte sie, dass die fremden die Sprache des Nordens sprachen.Nordländer! Schoss es ihr durch den Kopf. Seelenlose Menschen, die mordeten um des Mordes Willen. Sie töteten um den Auftrag ihres Obersten zu erfüllen. Ihres Dämons der sich zu einem Gott machte. Stets nur auf der Suche. Auf der Suche nach der einzig wahren Tötungsmethode. Schneller, aber auch schmerzhafter als alles andere. Und um dies zu finden, mussten sie probieren. Und probieren, probieren …!„Aich!“, schrie Assasina und sprang zwischen Catyua und Rutaara und die Raubkatze. „Aich!“, wiederholte sie. Eines der wenigen Worte, das sie auf nordisch konnte. Die Menschen wandten sich alle etwas verwundert zu ihr um. Offenbar waren sie es nicht gewohnt, von einer fremden Frau den Befehl zu erhalten, aufzuhören. Die Sengara – Katze wich unentschlossen zurück. Assasina bückte sich und legte Catyua eine Hand auf die Wunde. Das Mädchen stöhnte. „Keine Sorge“, meinte die Schlangenelfe. „Sobald Cedrik hier ist, wird er dich heilen. Er kann das!“Sie warf Catyua noch einen Blick zu, der dieser versicherte, dass sie nicht zulassen würde dass man sie tötete und falls das Schicksal eben dies mit dem Mädchen vorhatte, dann nicht ohne vorher noch einmal Cedrik gesehen zu haben. Danach stand Assasina auf und wandte sich den Fremden zu.„Wes ki vorchek?“, fragte sie und ein fieses Grinsen umspielte die Lippen der Elfe. Es war ein altes, von den Nordländern gerne benutzter Satz: reden oder sterben? Wobei ersteres so gut wie nie zustande kam …
Nur verschwommen nahm Catyua ihre Rettung wahr. Dass Rutaara und Assasina da waren beruhigte sie, aber trotzdem murmelte sie die ganze Zeit nur einen Namen: Cedrik!Wenn er nur endlich käme … sie war so allein. Ab und zu stöhnte sie schwach, wenn sie merkte dass ihre Wunde eine neuerliche Schmerzwelle aussandte.„Cedrik mein Liebster“, kam es wie ein winziger Windhauch über ihre Lippen. Was die anderen machten, war ihr egal. Nur Cedrik sollte zu ihr kommen. Und wenn er sie nun nicht mehr wollte? Wenn er deswegen gegangen war? Dann wollte sie lieber hier und jetzt sterben, als ohne ihn weiter leben.
Cedrik hielt mit einem starken Ruck Sternenlicht an und seine weit aufgerissenen Augen starrten in die vor ihm liegende Dunkelheit. Ein so starker Ruf nach ihm, der inzwischen ahnte wer dieser „Cedrik“ war – nämlich er selbst – erschien in seinem Kopf. Es war ein Schrei voll Schmerz und Qual. Sekundenbruchteile, nachdem dieser Schrei in seinem Kopf verhallt war, setzte sich Sternenlicht wieder in Bewegung. Cedrik hatte nicht die geringste Ahnung, was ihn zu dieser Eile, die ihn vorwärts zog, veranlasste.Er wusste nur – und das mit Gewissheit – er musste sich beeilen, zurück zu jenem Platz zu kommen, ehe sein eigenes Leben keinen Wert mehr hatte. Es dauerte dann auch nur noch wenige Minuten, bis Cedrik zwischen den letzten Bäumen einen Feuerschein wahr nahm. Doch dieses Zerren und Rufen kam seitlich von ihm. Kurz wandte er sich nach dem Wolf um, doch dieser war bereits irgendwohin verschwunden. Cedrik folgte diesem Dringlichkeitsgefühl und erkannte einige Schatten die neben einem knorrigen und alten Baum standen und einer der Schatten lag am Boden. Von diesem kam der Ruf.Cedrik rutschte von Sternenlichts Rücken, warf einen Blick zu dem einen Schatten, dessen Konturen ihm genau sagten, dass es sich um eine Frau handelte. Und tief in ihm wusste er auch, dass sie Assasina hieß. Doch es drang noch nicht nach oben. Wichtiger war der Schatten, der jetzt vom erscheinenden Mond beleuchtet wurde und auch am Boden lag.„Catyua!“, drängte abermals dieser Name auf Cedriks Lippen. Und plötzlich wusste er wieder, was geschehen war! Diese Energie, die ihn durchströmte! Diese Kraft, die sich in ihm breit machte! Es war etwas, das bis jetzt in ihm geschlummert hatte und durch unbekannte Umstände erwacht war. Weil er es nicht wusste und auch nicht mit dieser unbekannten Kraft umgehen konnte, sie nicht einzusetzen wusste, hatte sich sein Gehirn kurz geschaltet. Hatte ihn mit Dunkelheit vor dem Wahnsinn bewahrt. Cedrik kniete sich neben Catyua und seine Hand glitt dicht über ihren reglosen Körper. Er spürte die Verletzung, die scharfe Krallen gerissen hatten und er spürte den Kampf, den das eingedrungene Gift mit Catyuas Immunsystem und ihrem Lebenswillen ausfocht. Er spürte aber auch, dass seine Seelengefährtin schwächer und schwächer wurde und dass sie sich von ihm zu entfernen begann. Ohne weiter nachzudenken, nahm er sie in die Arme und drückte sie an sich.„Nein, nein, nein! Bleibe bei mir! Kämpfe dagegen an! Ich liebe, ich benötige dich doch!“Cedriks Blick fiel auf die Raubkatze, die sich heranzuschleichen begann. „Dich nehme ich mir gleich vor!“, sagte Cedrik mit zusammen gebissenen Zähnen, dann ließ er Catyua vorsichtig zu Boden gleiten und konzentrierte sich. Er legte seine Hände über die tiefe Wunde und das blaue Heillicht erschien zwischen seinen Fingern. Doch so grell und kräftig, wie noch nie zuvor. Die bereits sehr nahe gekommene Katze hielt erschrocken inne und stieß ein Fauchen aus. Die Wunde schloss sich beinahe so schnell, wie Cedrik zwei Atemzüge machen konnte. Das eingedrungene Gift der Krallen neutralisierte sich und der schnelle Atem Catyuas verlangsamte sich. Cedrik öffnete die Augen und fühlte ein mächtiges Glücksgefühl in sich aufzusteigen, als er sah, dass Catyua bereits auf dem Weg der Besserung war. Er stand auf und streckte seine Hand in Richtung der bereits wieder auf dem Vormarsch befindlichen Raubkatze. Sein Zeigefinger stach ebenfalls in ihre Richtung und es schien, als würde sie etwas zusammen zucken und zu zaudern beginnen, weiter sich an zu schleichen.„Und nun zu dir!“ Cedriks Stimme, die sonst meist ruhig und auch schon mal bebend vor Leidenschaft oder auch Angst war, hatte einen harten, metallischen Klang bekommen. Die Raubkatze erstarrte. Cedrik ließ die Hand sinken und starrte das Tier nur an. Obwohl der Mond nicht so viel Helligkeit verbreitete, als am Tag die Sonne, krallte sich Cedriks Blick trotzdem in die Augen des vor ihm leise fauchenden Tieres. Unerkannt von den Anderen entspann sich zwischen Cedrik und der riesigen Raubkatze ein stummer Kampf um die Vorherrschaft des Willens. Wäre bei Cedrik nicht diese Elementarkraft erwacht, hätte er diesen Kampf um Längen verloren. So aber brach er trotz des starken Widerstandes der Raubkatze deren Willen und sie senkte ergeben den Kopf, legte sich auf den Rücken und bot ihm die Kehle dar. Cedrik ging hin und kniete sich neben das Tier. Dann öffnete er den Mund und biss etwas in die schutzlose Kehle des Tieres. Er spürte den raschen Herzschlag der Katze und spürte die Todesangst. Aber auch, dass sie sich ihm unterwarf. Cedrik drückte noch etwas mehr seine Zähne in das dichte Fell der Katze und zog sich, nachdem diese anfing zu röcheln, wieder zurück. Er stand auf und wandte sich ohne ein weiteres Wort um. Cedrik ging zu seiner Seelengefährtin, die sich bereits so weit erholt hatte, dass sie sich an den Baumstamm lehnte. Er hockte sich vor sie, legte seine Finger um ihr Gesicht und seine Finger berührten liebevoll und ganz sanft die ihren. Nur am Rande bekam Cedrik mit, dass die unterlegene Katze näher gekommen war, sich neben ihm legte und leise unterwürfig winselte.Doch er beachtete sie nicht. Sein Mund und seine Gedanken waren mit Catyua beschäftigt.
Wie durch einen starken Schleier hatte Catyua gemerkt, dass er da war. Und da erwachte in ihr wieder der Wille, zu leben und ihn nicht aufzugeben. Er hatte sie gerufen, hatte sie angefleht nicht zu gehen und ihr Leben, ihre Existenz hatte sich aufgebäumt. War nicht bereit zu gehen, ihn zurück zu lassen. Er hatte sie gerettet, hatte sie aus dem Tod wieder geholt! Catyuas Seele schien aus ihr heraus zu fließen, hin zu ihm. Sie bebte vor Sehnsucht, alles was sie jetzt noch zum Leben benötigte, war er! Sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle und als er sich vorsichtig neben ihr zu Boden kniete, zog es sie wie in einem Wahn zu ihm hin.Dass die beiden Frauen überrascht den stummen Kampf zwischen Cedrik und der Sengara-Katze mit an gesehen hatten, bekam sie nicht einmal am Rande mit. Auch was die beiden nun vor hatten, blieb ihren Augen verschlossen.
„Wenn ich dich je wieder allein lassen sollte, dann halte mich bitte zurück, Liebste! Ich bitte dich darum!“, sagte Cedrik zwischen zwei Küssen und plötzlich füllten sich seine Augen und gleich darauf liefen die Tränen über seine Wangen und benetzten auch Catyuas Gesicht. Erst jetzt ging ihm auf, dass er beinahe sein Leben vergessen und seine Liebe verloren hätte. Wenn er nicht so schnell zur Vernunft gekommen wäre, hätte es böse ausgehen können. Erst langsam merkte Cedrik die dicht hinter ihm liegende Sengara-Katze, doch achtete er nicht besonders auf sie. Sein Hauptaugenmerk lag immer noch auf Catyua. Ohne seinen Blick von ihr zu nehmen, meinte Cedrik:„Und Euch, Herrin Rutaara, möchte ich danken, dass Ihr mir Euren Begleiter nach geschickt habt, der mich wieder zu meiner Catyua brachte. Ich glaube, in diesem Moment wäre ich zu nichts imstande gewesen!“ Cedrik hob die Hand und strich liebevoll über Catyuas immer noch etwas bleiche Wange.
Rutaara war nun völlig verwirrt. Dass Cedrik zurück gekehrt war, war großartig. Doch was er mit der Raubkatze angestellt hatte, verunsicherte sie. Wahrlich, Cedrik entwickelte sich zu einem mächtigen Magier. Die Fremden um sie herum vergessend, kniete sie sich neben die Beiden, schaute Catyua sorgenvoll an und richtete dann das Wort an Cedrik.„Bitte lass doch dieses 'Herrin' weg. Dass ich Lyrael hinter dir her geschickt habe, war selbstverständlich, schließlich gehörst du zu unserer Gesellschaft!“ Die Dunkelelbin lächelte schwach und wandte ihren Blick nun zu Catyua. „Ausserdem hätte ich es mir nie verziehen, wenn dir etwas passiert wäre. Ich habe eure Seelen vereint und wärst du gestorben, wäre auch Catyua nicht mehr am Leben. Das kann und will ich nicht auf mich nehmen.“
Catyua lächelte die beiden schwach an. Sie fühlte sich immer noch angegriffen, wahrscheinlich könnte sie nicht einmal alleine laufen. Wie einen Rettungsanker umklammerten ihr Finger die Cedriks, doch ihre Augen suchten Rutaara.„Danke dass du ...“, sie stockte und holte Luft, um den Satz zu beenden „ … da bist!“Es war keine große Sache, Cedrik wäre ja trotzdem noch da gewesen, aber erst jetzt bemerkte Catyua, wie viel ihr die einzelnen Mitglieder ihrer Gemeinschaft eigentlich bedeuteten. Sie hatten zusammen gekämpft, gegessen, gelacht und geweint, hatten sich gefürchtet und erleichtert aufgeatmet, wenn sie einer Gefahr entkommen waren. In was für eine melancholische Stimmung war sie da nur gefallen?
Assasina, die die ganze Situation ja sehr rührend fand, stieß mit ihrer Fußspitze stark gegen Rutaaras Hintern. Die dunkle Elbe sprang entrüstet auf und wollte anscheinend eine Beschimpfung hervor stoßen, doch Assasina packte ihren Oberarm und drehte sie etwas nach links.„Fluchen und schimpfen kannst du später, jetzt sollten wir erst einmal sehen, was wir mit denen da machen!“Die beiden Frauen schauten auf die mit gezückten Waffen näher kommenden Männer und versuchten ihre Lage einzuschätzen. Assasina hatte noch nicht erkannt, was die Waffen in den Männerfäusten darstellten. Schwerter waren es nicht und auch keine Morgensterne. Doch was immer es war, es gefiel ihr ganz und gar nicht. Die Katze, der Cedrik in den Hals gebissen hatte kam ebenfalls röchelnd ein paar Schritte näher. Die Elfe wusste nicht, ob dieses Biest nun zu ihnen half oder zu den Nordmenschen. Sie hatte jedoch auch nicht die Nerven dazu, sich darüber Gedanken zu machen. Mit einem gewaltigen Tritt stieß sie die Raubkatze zur Seite. Diese landete auf ihrer Hinterbacke und rutschte noch einige Meter über das Laub. Die Nordmenschen schienen verdutzt zu sein. Sie waren es nicht gewohnt, Frauen kämpfen zu sehen und in ihren Augen hatten weibliche Wesen auch kein Recht dazu.Assasina kniff Rutaara kurz in den Arm, rannte nach hinten – einen Baum hinauf – stieß sich ab, flog einige Meter durch die Luft und landete knapp hinter den Männern lautlos am Boden. Diese wandten sich nun erschrocken jedoch mordlustig um. Wenn sie aus zwei Seiten angriffen, hatten sie bessere Chancen, dachte Assasina und bleckte ihre Zähne. Kampfbereit erhob Assasina ihre Fäuste und stellte sich heraus fordernd hin.
Cedrik schluckte. Er war glücklich, dass er seine Catyua wieder ins Leben zurück geholt hatte, dass er ihre tiefe und gefährliche Wunde heilen hatte können. Dass ihn Rutaara so ohne irgend etwas zu verlangen, praktisch als vollwertiges Mitglied der Gruppe anerkannte, machte ihn froh und stolz, aber auch ziemlich sprachlos. Dass sie wieder einmal alle von Feinden bedroht wurden und dass Assasina sich zwischen den anrückenden Feind und die Gruppe stellte, war Cedrik bereits klar. Kurz runzelte er die Stirn, als er merkte, dass Assasina der von ihm besiegten Katze einen Tritt verpasste, doch er konnte ihren Beweggrund schon verstehen. Und schließlich betrachtete er die Fremden genauer. Sein Blick fiel auf deren Waffen. Eine Erinnerung, weit entfernt und ziemlich flüchtig, zuckte in ihm auf. Er hatte solche Waffen schon einmal gesehen. Doch wo und wann? Wahrscheinlich in einem Buch seines Meisters. Oder eine Zeichnung davon. Aber je mehr er versuchte, dieser Erinnerung auf den Grund zu gehen, desto mehr entzog sie sich ihm. Cedrik bemühte sich langsam hoch und zog Catyua mit sich. Wieder sah er zu den Männern hin, die sich nun wieder etwas genähert hatten und dann zu Assasina, die mit kampfbereit erhobenen Fäusten vor dem Feind stand. Und plötzlich war die gesuchte Erinnerung so klar in Cedriks Gedanken, wie es seine Mitgefährten und der Baum neben ihm waren. Er hielt erschrocken den Atem an. Ja, er hatte Bilder von diesen Waffen schon gesehen. Und sie waren auch wirklich in einem Buch. Es beinhaltete die Aufzählung von magischen und nicht magischen Waffen. Und nun wusste er auch, dass es sich um halb-magische Waffen handelte. In der Hand eines guten Kämpfers waren sie genauso gefährlich und unter Umständen tödlich, wie in der Hand eines Magiers.„Haltet Euch etwas bedeckt, Assasina, ich bitte Euch!“, rief Cedrik und hoffte nur, sie würde diesmal auf seine Meinung etwas geben. „Sie tragen Gaiaklingen!“ Gleich darauf versuchte er eine direktere Beschreibung zu liefern, soweit Cedriks Erinnerung an die Bilder dieser Waffen reichte. „Sie wirken wie Schwerter, doch in den Breitklingen befinden sich kleinere Klingen, die auf Druck auf den Griffknauf heraus springen. Diese Klingen sind nicht starr, sondern drehen sich wie ein Messerrad!“Cedrik schob sich etwas seitlich an Catyua vorbei, sodass seine Gefährtin von seinem Körper etwas bedeckt wurde. Sein Blick glitt zu Rutaara. Sollte er sich in den Kampf, der sich schon abzeichnete, einmischen? Doch er konnte den Gaiaklingen nichts Gleichwertiges entgegen setzen. Und dann war da noch das Prinzenpaar. Für dessen Sicherheit er eigentlich zuständig war. Was sollte er tun?Doch tief in sich hatte Cedrik bereits den Entschluss gefasst, sollte es nötig sein, würde er Assasina selbstverständlich zu Hilfe eilen. Auch wenn er darum betete, dass es nicht dazu kommen sollte. Er konnte zwar mit den Fäusten und auch mit seinem Messern zuschlagen. Auch konnte er den Stab mit dem Ambarin drauf einsetzen. Doch das alles war zu wenig bei diesen Gaiaklingen. Und so harrte er der Dinge, die da mit Bestimmtheit passieren würden.
Agenors Männer, die sich schützend um das Prinzenpaar gestellt hatten, machten sich zum Kampf bereit. Mit Schwertern bewaffnet und stolz wie immer, standen sie da. Doch hatte Cedrik nicht etwas von halb magischen Waffen gesagt? Waffen mit drehenden Messerrädern?Agenor stellte sich vor, wie sie einen Menschen zerhacken können. Ein Schauder lief über seinen Rücken. Sofort gab er den Befehl an seine Krieger. Doch war es ein lautloser Befehl mit der Hand. Die Gruppe wechselte sofort auf Bögen um. Mit Pfeilen, die sie an den Abenden geschnitzt hatten. Die Bögen wurden gespannt und … nun warteten sie auf den entscheidenden Befehl …!
Assasina wollte eben los stürmen, doch als sie Cedriks Warnung hörte, blieb sie für einen Augenblick stehen. Doch wie tapfer sie war, lief sie trotzdem gleich darauf wieder auf die Feinde zu. Froh darüber, endlich wieder töten zu können. Um ihre erneut einsetzende Mörderlust zu befriedigen. In diesem Moment rasselten die Pfeile von Agenors Männern auf die Gegner zu. Die Halbelfe schaute mit spöttischem Blick zu Agenor. Verärgert sich nicht mit den ersten auf sie zukommenden Raubkatzen zu messen, doch ganz froh darüber, sich nicht mit so vielen allein anlegen zu müssen. Die erste der Raubkatzen sank zu Boden. Verärgert über die unfaire Strategie und über den Tod deren Freunde, fauchten die anderen Katzen so laut, dass die Vögel erschrocken zum Himmel unter lautem Kreischen stoben. Die Angst einflößende Kälte, die diese Biester ausstrahlten wurde noch größer. Mit den Gaiaklingen bewaffnet gingen sie nun rascher der Gruppe entgegen. Agenor, der nun neben Assasina stand hob den Bogen, kniff ein Auge zu und wartete. Auch wenn es ihm nicht leicht ankam. Catyua wegen ihrer Verletzung unfähig zu kämpfen, geschweige denn zu gehen, war von Cedrik sicherheitshalber zu einigen Kriegern gebracht worden, die sich in den Kampf nicht einmischten. Die restlichen von Agenors Männer hatten frische Pfeile auf die gespannten Sehnen gelegt und erneut abgefeuert. Nun war die Reihe wieder an Agenor. Er hatte den Bogen mit seinem Schwert vertauscht und konnte damit eine ihn anspringende Katze enthaupten. Um einen heimtückischen Hieb zu entgehen, sprang er rasch zur Seite. Gleich darauf traf sein nieder sausendes Schwert eine Hand und trennte sie vom Körper. Doch dies war ein Nachteil, denn die Gaiaklinge, die diese Hand hielt bohrte sich in Agenors Arm und fügte ihm eine tiefe und vor allem schmerzende Wunde zu. Zerfetzte Stücke seiner Kleidung und bohrte sich endlich in den Boden. Ein Trick rettete den tapferen Krieger vor dem sicheren Tod. Er ließ sich zu Boden fallen und machte auf hilflos. Die Falle schnappte zu, eines der Biester hielt ihn für eine leichte Beute und holte zum tödlichen Prankenhieb aus. In diesem Moment rollte er sich zur Seite und attackierte den Feind mit der unverletzten Hand. Er legte alle Kraft in diesen Schlag in die Seite der Katze. Zwei weitere kamen hinzu und wäre Assasina nicht in eben diesem Moment herbei gelaufen, wer weiß ob Agenor nicht hier in dieser unwirtlichen Gegend seinen letzten Atemzug getan hätte. Assasina hatte weder Skrupel noch war sie verletzt und so machte sie den beiden Raubkatzen den Garaus. Dass die Halbelfe nicht ganz allein war, merkte Agenor erst, als er sich unter dem Knirschen seiner zusammen gebissenen Zähnen erhob. Rutaara war ebenfalls an seiner Rettung beteiligt gewesen. Den Rest der Angreifer wurde von Cedrik mittels seiner Zauberkraft erledigt.Es dauerte nicht lange, so war der Boden mit erledigten Feinden bedeckt und ein ungesunder Geruch legte sich über das Schlachtfeld. Agenor hielt sich seinen verletzten Arm und schaute sich um wie erwachend. Dieser Kampf würde sicher nicht lange unentdeckt bleiben und wer weiß, wie viele noch kommen würden. Es war Zeit, von hier zu verschwinden. „Los Leute, wir müssen hier weg, die Zeit drängt! Mit noch einer Truppe können wir es nicht mehr aufnehmen. Dazu sind zu viele geschwächt oder verwundet. Wir verschwinden sofort!“, rief Agenor und ließ sich rasch von einem seiner Männer den verletzten Arm verbinden.
Rutaara hatte Cedriks Warnruf an Assasina gehört und stutzte. Gaiaklingen? Diese Waffenart war uralt und den Elben verboten worden. Konnte sie gegen diese mächtigen Waffen etwas ausrichten? Egal! Sie musste Catyua und Cedrik schützen. Rutaara warf den beiden einen Blick zu und bemerkte, wie der Magier sie beobachtete. Aufmunternd lächelte sie ihnen zu, rief Lyrael zu sich und stürmte zum Angriff vor. Wie im Rausch flog sie den Feinden entgegen und bekam nur am Rande mit, wie Agenor und seine Männer anfingen, Pfeilsalven abzufeuern. Dann ging alles unglaublich schnell. Agenor und seine Männer hatten ganze Arbeit geleistet und auch Assasina und Cedrik stachen durch ihre Fähigkeiten erneut hervor. Es kam der Elbin vor wie erst wenige Minuten als der verletzte Agenor sie alle zum Aufbruch drängte und Rutaara musste ihm recht geben. Noch einen Angriff würde keiner von ihnen überstehen.
Cedrik war mit Agenor einer Meinung, sie mussten von hier so schnell als möglich verschwinden. Kurz bedauerte er den Tod der riesigen Katze, die er durch Willensstärke besiegt hatte. Aber wahrscheinlich war es gut so. Er schnippte kurz mit den Fingern und Sternenlicht kam heran getrabt. Cedrik begab sich zu Catyua, die ziemlich unsicher bei einigen Kriegern Agenors stand und umfasste die Mitte seiner Gefährtin, darauf achtend nicht auf die sicher noch schmerzende Stelle der Verwundung zu kommen und hob sie auf Sternenlichts Rücken. Dann lief er dem voran stürmenden Agenor nach und legte diesem eine Hand auf die Schulter.„Wartet! Bitte!“, bat Cedrik und sah wohl den ärgerlichen Ausdruck im Gesicht des Kämpfers Agenor. Doch ohne dass die Wunde versorgt worden war, würde es nicht weiter gehen. Trotz des Widerstandes Agenors nahm Cedrik den verletzten Arm, befreite ihn von dem bereits stark durchbluteten Notverband und konzentrierte sich. Wieder strahlte die verstärkte Version des Heillichts auf. Noch spürte Cedrik keinen Kraftverlust. Doch das würde noch kommen, sollten noch mehr so gefährlich tiefe Wunden zu heilen sein. Man konnte beinahe zusehen, wie sich die verletzten Adern und Fasern schlossen und die Muskeln regenerierten. Die Haut, blutverschmiert, schloss sich und Cedrik öffnete die Augen. Er sah Agenor kurz an, verneigte sich leicht und warf einen raschen Blick zu Catyua, die ziemlich unruhig auf Sternenlicht saß. Ein weiterer Blick zu Assasina zeigte ihm, dass auch diese bereits im Aufbruch begriffen war.„Also los!“, rief Cedrik und setzte sich ebenfalls nun in Bewegung. Agenor und seine Männer, die das Prinzenpaar wieder auf zwei Pferden untergebracht hatten, waren bereits weiter gelaufen. Sternenlicht und Assasina setzten sich beinahe gleichzeitig in Marsch. Als Rutaara folgen wollte, trat Cedrik rasch zu ihr, nahm ihre Hand und hauchte einen ehrfürchtigen Kuss darauf. Ehe sie reagieren konnte, ließ er die Hand los, wandte sich um und … folgte im Laufschritt seinem Einhorn und Catyua seiner Seelengefährtin drauf, so rasch er konnte.
Agenor war während seines raschen Schrittes hin und her gerissen. Einesteils schämte er sich, dass er dem Drängen Cedriks nachgegeben hatte und sich heilen ließ, während der Großteil seiner Männer mehr oder weniger Wunden aufwies. Andererseits jedoch wer sollte sie anführen und vom Heldentod all der Kameraden berichten und die Familien benachrichtigen, wenn er, der Anführer am großen Blutverlust starb? Es war so rasch geschehen, dass er nicht einmal mehr dazu gekommen war, dem jungen Magier zu danken. Andererseits war es dessen Pflicht, die Gruppe einigermaßen gesund zu halten. Nun lief Agenor, sich immer wieder umschauend. Ob da eventuell ein Feind lauerte, der sie aus den Tiefen des Waldes angriff. Und bald würden sie ein Versteck für die Nacht benötigen, um zu überleben. Die Kreaturen würden mit Sicherheit erneut angreifen. Spätestens wenn sie von der Niederlage erfuhren, die man den Genossen bereitet hatte. Da waren sich alle einig.
Verdutzt blickte Rutaara dem jungen Magier hinterher. Was sollte das denn schon wieder? Sie wurde aus ihm einfach nicht schlau. Kopfschüttelnd setzte er sich in Bewegung, Lyrael dicht an ihrer Seite. Seine Nähe gab ihr Kraft und wie immer flog plötzlich alle Last von ihr ab. So beflügelt schloss sie zu ihren Gefährten auf und lief dann im Laufschritt neben Agenor her.
Agenor, dem es ein glückliches Gefühl einbrachte, in dieser schrecklichen Nacht einen Wolf zu sehen mit funkelnden Augen und dem untrüglichen Instinkt jeder Gefahr gegenüber, sah sich nach einer geeigneten Übernachtungsmöglichkeit um.Nach wenigen Minuten fanden sie eine geeignete Stelle, einen schmalen Spalt in einem Felsblock, der jedoch groß genug war, die vielen Menschen und auch einen großen Teil der Pferde aufzunehmen. Auch wenn der Spalt so niedrig war, dass man sich bücken musste, um in die dahinter gelegene Höhle zu gelangen. „Los, alle da rein! Ich übernehme die erste Wache!“ flüsterte Agenor. Die anderen waren so müde, dass keiner widersprach. Kein Cedrik, der ihn überreden wollte, selber Wache zu schieben. Keine Assasina, die wach blieb und mit ihm über die heutigen Ereignisse sprechen wollte. Keine Catyua, die mit ihrer zwar kindlichen aber auch erfahren wirkenden Art mit ihm über sein Leben und die Liebe reden wollte. Alle viel zu müde, viel zu erschöpft. Und das war ihm ganz recht. So konnte Agenor ganz allein mit sich und dem Himmel über sich das Amt der Wache erledigen.
Catyua war furchtbar erschöpft, befand sich aber auf dem Weg der Besserung. Aber trotz dieser Müdigkeit in ihren Gliedern konnte sie nicht schlafen, das Adrenalin pumpte immer noch durch ihren Körper und sie fragte sich, wie Cedrik so ruhig neben ihr träumen konnte, wo sie doch zitterte. Doch so ganz fest schlief er wohl doch nicht, denn plötzlich bewegte er sich ganz vorsichtig und legte einen Arm um sie. Glücklich kuschelte sie sich an ihn und versuchte die furchtbaren Bilder dieses Tages und der darauf folgenden Nacht zu vergessen. Agenor saß einsam vor der kleinen Spalte, als die ersten Sonnenstrahlen auf ihn fielen. Wie lange waren sie nun schon hier? Sicher schon einige Stunden. Die Zeit war so schnell vergangen und langsam fielen auch Catyua, die nun endlich etwas ruhiger wurde, die Augen zu. Es war bewundernswert, dass der Krieger so wenig Schlaf benötigte und auf sie alle hier acht gab. Wirklich gut, ihn dabei zu haben dachte Catyua. Sie hatte ihn in der letzten Zeit zu wenig geschätzt, das würde sich jetzt aber ändern.
Obwohl Agenor Wache hielt hatte sich Rutaara in der Nähe des Spalts einen Platz gesucht. Den Kopf auf Lyrael gebettet, starrte sie mit offenen Augen in die Dunkelheit und an die Decke der Höhle. 'Rutaa?' erklang nun die sorgenvolle Gedankenstimme Lyraels. 'Warum schläfst du nicht etwas? Agenor hält doch Wache und ich bin auch noch da. Schlaf Liebste, du musst wieder zu Kräften kommen!' Den Worten folgte eine summende Melodie und Rutaara erkannte ihr Verbindungslied. Sie lächelte leicht, da sie wusste, dass Lyrael ihr dies nur sendete, damit sie einschlief. Und die Melodie tat ihre Wirkung. Langsam wurden ihre Lider schwer und sie fiel binnen weniger Sekunden in einen tiefen Schlaf.
Cedrik erwachte, blieb jedoch mit geschlossenen Augen liegen. Hielt ganz still. Neben sich im Arm spürte er Catyua leise atmen. Es war ihm wohl bewusst gewesen, dass die vergangenen letzten Nachtstunden Seine Gefährtin besonders aufgeregt hatten. Er hatte es bis in seinen Albtraum gespürt. Ihr Zittern, ihre Erregung und auch ihre Unruhe. Also hatte er schützend den Arm um Catyua gelegt, um ihr wenigstens einen Teil der Nacht Ruhe zu verschaffen. Und es hatte gewirkt. Cedrik kniff mehr die Augen zusammen, als ein verirrter Sonnenstrahl sein Gesicht traf. Sternenlicht stand oder lag etwas schräg hinter ihm und Cedrik hätte für alle Ewigkeit hier so sein Leben verbringen können. Im Arm seine Liebe, die mit ihm durch Äonen verbunden war, hinter ihm sein treuer Weggefährte, der ebenso wie er selbst ein Außenseiter seiner Spezies war. Freunde, die über alles wachten und auf die man sich verlassen konnte.Cedrik wäre wohl wirklich noch länger liegen geblieben, hätte nicht sein leerer Magen ein Protestknurren ausgesandt. Unwillkürlich errötete Cedrik, öffnete die Augen … und gleich darauf den Mund, als sein Blick auf die Innenwand der Höhle fiel. Beleuchtet von den jetzt bereits zahlreichen Sonnenstrahlen glitzerte diese als wären Tausende von Glassplittern darin eingearbeitet. Doch war es kein helles, durchsichtiges Glitzern, sondern hatte einen intensiven Blauton. Cedrik schluckte. So wie es aussah, befanden sich er und seine Begleiter in einer der äußerst seltenen Ambarindrusen. Bisher hatte Cedrik immer gedacht, dass der Ambarin nur in einer weit entfernten Drachenhöhle im Drachental zu finden wäre. Und dieses Tal befand sich – den Aufzeichnungen nach, die Cedrik gelesen hatte – beinahe am anderen Ende dieser Welt. Cedrik wandte den Blick vom Glitzern zu Catyua, die noch immer schlief. Sie hatte ein winziges Lächeln im rechten Mundwinkel und Cedrik konnte nicht widerstehen, sich leise aufzurichten und dieses Lächeln zu küssen. Dann zog er vorsichtig seine Arm unter Catyuas Kopf hervor, stand auf und warf einen Blick zu Agenor, welcher immer noch unverrückbar am Eingang saß. Rutaara lag in einer Nähe, den Kopf auf ihrem Wolfsgefährten. Kurz überzog ein sanftes Lächeln Cedriks Gesicht. Er mochte diese Dunkelelbin von mal zu mal mehr. Dann jedoch riss er sich von diesem Anblick los und schnalzte leise mit der Zunge. Irgendwo tiefer im Hintergrund schnaubte Sternenlicht. Unter tausenden von Einhörnern und Pferden hätte Cedrik dieses Schnauben immer wieder erkannt und Sternenlicht zugeordnet. Leise ging Cedrik in die Richtung, stolperte beinahe über einen Arm von dem er nicht sagen konnte, wem er gehörte und atmete erleichtert auf, als er endlich Sternenlicht erreichte. Neben diesem lehnte der Stab mit dem erloschenen Ambarin. Cedrik schaute kurz darauf nieder, ergriff dann den Stab und ging wieder nach vorne. Er hatte keine Ahnung wie er nun den Austausch vornehmen sollte. Der tote Stein war durch Magie an den Stab angebracht worden. Dieser sollte jetzt weg und ein frischer Stein aus der Druse, in der sie heute genächtigt hatten, darauf kommen. Cedrik blieb ratlos stehen. Er zuckte erschrocken zusammen, als sich der Stein vom Stab löste und kaum war er zu Boden gefallen, wurde er zu grauem Staub. Cedrik sah erst den Steinstaub am Boden an,dann den nun fremd wirkenden Stab und runzelte seine Stirn. Hätten sie einen mächtigen Magiermeister oder Zwerge in der Gruppe, würde sicher eine Lösung gefunden werden. Doch er allein? Er war weder der rechten Worte, noch der benötigten Magiekraft mächtig. Den jetzt ledigen Stab konnte Cedrik zwar zur Not als Stoßwaffe benutzen, oder als Speerersatz. Irgendwo seitlich erklang ein heller, zittriger Ton, als würde Glas zerspringen. In Cedrik baute sich ein schwacher Zug auf. Als er ihm nachgab, zog es ihn wieder in Sternenlichts Richtung. Dieser stand nun mit seinem Horn an der Wand und die Spitze drückte einen der kleineren Ambarinsplitter aus dem Bett. Eher der Splitter zu Boden fallen konnte, fing ihn Cedrik und setzte ihn auf die Stabspitze. Als er los ließ, rutschte der Stein mit weg. So ging es also nicht! Vielleicht sollte er warten, bis Rutaara erwachte? Vielleicht wusste diese Rat, wie er Stab und Ambarinsplitter verbinden konnte. Er würde diesen momentan in sein Beinkleid stecken. Er steckte den Stein ein und stellte den Stab zurück. Sternenlicht sah ihn neugierig an und schnaubte leise. Cedrik strich seinem Einhorn liebevoll über dessen Stirn, dort wo der weiße Stern das noch immer das unsichtbare Horn im Beutel zierte. Dann begab er sich zurück zu Catyua. Er legte sich wieder nieder und zog seine schlafende Gefährtin wieder zu sich heran. Dabei kam seine Nase mit ihren Haaren in Berührung und er sog Catyuas Duft tief ein. Kurz schloss Cedrik die Augen und schluckte. Er würde selbstverständlich die Prüfungszeit ehrenvoll abwarten, doch gegen den schneller werdenden Herzschlag und die anderen Reaktionen seines Körpers konnte er nichts machen. Er konnte nur lernen sich zu beherrschen.
Rutaara erwachte zugleich mit Cedrik. Um jedoch nicht seine Aufmerksamkeit zu erregen, blieb sie mit geschlossenen Augen liegen, als der junge Magier durch die Höhle lief. Den Geräuschen nach zu urteilen war ihm nun aufgefallen, in was für einer Höhle sie sich befanden. Unwillkürlich musste sie lächeln. Würde der Jungmagier es schaffen, einen der Ambarine an seinen mittlerweile „nutzlosen“ Stab anzubringen? Ohne die Zwerge würde es sich wohl als äußerst schwierig erweisen. Seufzend öffnete sie die Augen, setzte sich auf und blickte sich um. Cedrik lag bereits wieder neben Catyua, einen Arm um sie gelegt und die Augen geschlossen. Schlief er etwa wieder? Rutaara zuckte leicht die Schultern, lief zu den Beiden hinüber, kniete sich neben Cedrik und berührte ihn leicht an der Schulter. „Cedrik? Bist du noch wach?“, fragte sie leise.
Cedrik zuckte erschrocken zusammen. Unwillkürlich presste er die Augen zusammen und ehe er es verhindern konnte, kamen die Worte:„Ich habe nichts getan! Ich habe mich am Riemen gerissen und nur bemerkt, wo wir …!“ aus seinem Mund geschossen. Erschrocken schlug er sich mit der anderen Hand auf den Mund und öffnete die Augen. Die Sonne war inzwischen etwas weiter gewandert und beschien nun Rutaaras Gesicht von der Seite. Cedrik runzelte die Stirn und fragte sich, ob die Dunkelelbe von ihm geweckt worden war. Ihm wollte ihr teils heiterer, teils spöttischer Gesichtsausdruck überhaupt nicht gefallen. Doch ehe er etwas sagen konnte, erwachte Catyua, streckte sich kurz und öffnete ihre Augen. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, sie hob einen Arm und legte ihn um Cedriks Nacken. Mit einem Nachdruck, der Cedrik erstaunte, zog Catyua ihn zu sich hinunter und Cedriks Gedanken zerstreuten sich in alle Richtungen, als seine Lippen auf Catyuas Mund landeten. Erst wollte er sich sträuben, doch dann gab er diesem süßen Zug nach und fand, es war die passende Begrüßung des neuen Tages. Viel besser als die Entdeckung der Ambarindruse.
Schmunzelnd beobachtete Rutaara die Szene zwischen den Beiden. Dann räusperte sie sich und meinte:„Entschuldigt, wenn ich euch unterbreche. Cedrik kommst du kurz mit mir?“ Als der junge Magier sich von Catyua widerwillig löste, stand sie auf und bedeutete ihm, ihr zu folgen.„Wie ich bemerkt habe, ist auch dir aufgefallen, welche Höhle wir zu unserem Nachtlager gewählt hatten und bist darüber genauso erstaunt wie ich“, sagte sie, kaum standen sie beide neben Sternenlicht. Kurz stand sie einen Augenblick schweigend da. Die dunkle Hand der Elbin strich beinahe zärtlich über die Höhlenwand und verspürte jeden noch so kleinen Ambarin darin auf. „Es ist wohl eine glückliche Fügung dass uns unser Weg hier her geführt hat.“, sagte sie leise, mit geschlossenen Augen. Dann öffnete sie diese, blickte Cedrik lächelnd an und zog aus einem kleinen Beutel an ihrem Ledergürtel den Amethyst der Zwerge.„Ich bin zwar kein Zwerg, aber vielleicht kann ich dir bei deinem Problem trotzdem helfen, deinen Stab wieder herzustellen“, meinte sie dann und hob den Amethyst in die Höhe. Mit traurigem Blick betrachtete sie kurz den zart Lila farbigen Edelstein und dachte an Messino und seine Brüder. „In diesem Stein lebt etwas von unseren Zwergen fort und auch einen Teil ihrer Magie kann ich klar und deutlich spüren. Es mag sein, dass wir durch ihn etwas bewirken können!“
Cedrik sah erst Rutaara und den Stein zwischen ihren Fingern, dann die Wand neben sich zweifelnd an.„Du meinst, dieses Vermächtnis ...“, damit deutete er auf den Amethyst „ … könnte den Ambarinsplitter an den Stab … was ? Schweißen? Kleben? Anwachsen lassen?“Cedrik schüttelte den Kopf. So etwas konnte nicht funktionieren. Und auch wenn es ginge, welche Worte mussten gesprochen werden? Woher diese enorme magische Kraft nehmen, die Splitter und Stab miteinander verband? Benötigte man dazu nicht einen Magiermeister jedoch nicht einen noch ziemlich unzulänglichen Magierschüler der Zweiten Stufe? Cedrik dachte nach, doch wie er es wendete und drehte, es wollte ihm keinerlei Lösung einfallen. Sternenlicht war die ganze Zeit irgendwie unruhig gewesen. Hatte geschnaubt, mit den Hufen gescharrt und immer wieder mit den Nüstern Rutaara angestupst. Cedrik war erst so mit seinen Überlegungen beschäftigt, dass er erst auf das seltsame Gebaren seines Einhorns aufmerksam wurde, als dieses mit einer unwilligen Kopfbewegung den das Horn verbergenden Magiebeutel von sich warf und das seltsam strahlend weiße Horn einen der Sonnenstrahlen einfing und nun selbst wie eine weiße Flamme auf strahlte. Cedrik schrak zusammen, als das sonst schwarze Einhorn mit diesem grell leuchtenden, sanft gedrehten Horn in der Höhle stand, vor einem der Hufe der herab gebeutelte Beutel. Da Sternenlicht wieder den Kopf schüttelte, das leuchtende Horn seltsam aufstrahlte, fiel auch ein kleiner Lichtfunke auf den Amethyst zwischen Rutaaras Finger. Dieser begann plötzlich zu funkeln und es schien, als würde ein inneres Feuer, welches schon immer in ihm geschlummert hatte, durch die Verbindung von Horn und Sonnenlicht frei gesetzt werden. Und in diesem Moment fiel es Cedrik wie Schuppen von den Augen dass Sternenlicht, Rutaara und der Amethyst der Zwerge wirklich genug magische Kraft zusammen besaßen, den Ambarinsplitter mit dem Stab zu verbinden. Cedrik griff in den Sack seines Beinkleides, holte rasch den Stab und da Rutaara und Sternenlicht noch immer so standen wie bisher, konnte das Experiment beginnen. Cedrik setzte nun den Ambarin, der seltsam auf die Spitze des Stabes passte als wäre er dafür gemacht worden und schloss die Augen. Er ließ alle Gedanken und auch alle Gefühle, die ihn ablenken könnten, aus sich heraus fließen. Er stellte sich vor, wie es aussehen sollte, der Ambarin als Einheit mit dem Stab. Nur im Hintergrund seines Kopfes hatte Cedrik das Wissen, dass der Stab auch eine eigene Magie in sich hatte. Denn im Drachental gab es nicht nur Ambarine sondern auch Drachenbäume und der Stab war ein Stück dieser uralten Baumart. Aber Cedrik dachte nicht bewusst daran und als er die Magie des Stabes, des Ambarins in seinen Händen, das Rufen und Locken des Amethysts in Rutaaras Fingern, die Magie welche die Dunkelelbe gesteuert auf diese Verschmelzung richtete und Sternenlichts Hornkraft verspürte, war er überrascht über diese Kraft und Wucht, die ihn zu durchströmen begann. Er öffnete die Augen, doch nahm sein Blick nur den Stab und den Splitter bewusst wahr. Langsam führte er den Splitter in die unmittelbare Nähe des Amethysts und der Ambarin begann in einem intensivem Dunkelblau zu glühen. Auch die Zartviolette Farbe des Amethysts gewann so an Kraft, wie Cedrik es nie für möglich gehalten hätte. Sternenlicht trat einen Schritt näher, schnaubte kurz, dann berührte sein – noch immer voll im Sonnenlicht strahlendes Horn - den Ambarin. Dieser begann sich wie lebendig geworden zu wellen und der Stab in Cedriks Faust erhitzte sich. Kurz schien der Ambarin weich und extrem heiß zu werden, doch keinerlei Rauch stieg davon auf. Jetzt wurde der Ambarin wie durchsichtig und man konnte den dicken Zacken sehen, der sich von selbst in den Stab bohrte.Der Stab wurde wieder kälter, Sternenlicht trat einen Schritt zurück und schüttelte seine Mähne. Die Blaue Ambarinfarbe kehrte zurück und – obwohl Cedrik es nicht ausprobiert hatte – wusste er, dass der Ambarinsplitter mit dem Drachenstab eine Einheit eingegangen war.Als würde Cedrik aus tiefem Traum erwachen, war er kurz verwundert, wieso er da stand und warum Sternenlichts Horn nicht mehr von dem Beutel versteckt war. Schnell bückte er sich und zog den aufgehobenen Magiebeutel wieder über das Horn. Der Sonnenstrahl war inzwischen weiter gewandert und auch die anderen waren inzwischen erwacht. Cedrik stellte den Stab neben sich und ergriff Rutaaras Hände, die immer noch den Amethysten hielten. Er führte Rutaaras Handrücken an seine Stirn, dann küsste er sie zart und vorsichtig, nahm danach wieder den Stab und wandte sich zu seiner Gefährtin, um sie nicht länger allein zu lassen. Immer noch fühlte er sich seltsam Orientierungslos und benebelt. Er hoffte nur, dass dieser Zustand nicht mehr lange anhielt.
Agenor hatte bemerkt, dass die Gruppe erwacht war und auch gemerkt, dass in der Höhle etwas Unerhörtes vor sich ging. Doch ganz der besorgte Krieger, ganz der Wächter achtete er nicht weiter darauf. Wenn ihm einer irgendwann die Sache erzählen wollte, würde er es sicher erfahren. Da niemand ganz genau auf ihn achtete, war er mehr als erleichtert, denn so musste er für seine Sorge keine Rechenschaft ablegen. Die Gruppe hatte noch nicht gemerkt, dass er seinen Wächterposten aufgab und so machte er sich ohne weitere Worte auf den Weg, die Gegend zu erkunden um einen sicheren Weg der Gruppe gewährleisten zu können. Mit wenigen Schritten verließ er den Höhleneingang und atmete mit tiefen Zügen die frische Morgenluft in sich.
Catyua hatte das Schauspiel interessiert beobachtet, aber nicht gestört. Auch sie hatte die starke Magie gespürt. Es wunderte sie nicht im geringsten, dass Cedrik ein wenig blass aussah, angesichts der Magie, deren Lenker er gewesen war. Ihr Interesse konnte sie jedoch nicht davon abhalten, sich jetzt weniger um ihn zu sorgen als sie es ohnehin schon tat. Sie war froh, dass er sich unbeschadet zu ihr begab und sie ihn in die Arme schließen konnte.„Wohin macht sich denn Agenor jetzt auf den Weg?“, fragte sie ihren Geliebten, der ihrem Blick gefolgt war und dem eben aus dem Spalt verschwindenden Mann hinter her sah.
Cedrik runzelte die Stirn. Sein Blick hing am Ausgang der Ambarindrusenhöhle, aber er war noch immer mit seinen Gedanken bei den vergangenen letzten Minuten. Nur langsam kehrte er zurück. Noch immer sah er zum Spalt, durch den vor wenigen Augenblicken Agenor verschwunden war. Noch immer glaubte Cedrik diese unglaubliche magische Kraft zu verspüren, doch Catyuas Frage holte ihn endlich zurück. Cedrik löste seine n Blick vom Spalt und sah Catyua an. Eine Welle von Zärtlichkeit überflutete ihn, doch er gestattete sich nur ein winziges Lächeln.„Ich denke, dass er den weiteren Weg kurz überprüfen wird um zu sehen, ob uns irgend welche Feinde oder Angreifer verfolgt haben.“Hatte Cedrik früher meist das Gesagte noch einmal durchdacht, verschwendete er keinen Gedanken nun daran. Tief in sich verspürte er Angst vor seiner eigenen Kraft empor steigen. Wenn sich nun diese Magie oder Macht oder Kraft oder wie auch immer man dies nennen wollte, in ihm fest setzte? War sie für ihn oder seine Umgebung gefährlich? Oder für die Gefährten? Was geschah wenn nun diese neue Kraft einen Kurzschluss verursachte? Und er zu einer permanenten Gefahr wurde? Würde er Catyua auch in Gefahr bringen, ohne Sinn und Verstand? Es machte ihm Angst, das was bisher geschehen war. Diese Sache mit der Elementarkraft und jetzt mit dem neu adaptierten Ambarin auf dem Drachenholzstab war Cedrik reichlich suspekt. Gut, er hatte es nicht allein aus eigener Kraft geschafft, sondern mit Rutaara und auch Sternenlicht. Er machte sich ja nicht nur Gedanken darüber, dass er für alle hier zur Gefahr werden könnte, sondern auch um sich selbst. Dies jedoch würde er weder seiner geliebten Catyua zeigen, noch den anderen eröffnen. Cedrik senkte kurz den Blick, dann stand er auf und hielt Catyua die Hand hin, um ihr hoch zu helfen. Selbstverständlich mit dem Hintergedanken, sie schnell und nebenbei in die Arme zu nehmen.
Agenor schlich durch die Wälder. Seine Fußabdrücke verwischend suchte er nach Anzeichen von Feinden. Wenn er etwas von seiner Gruppe gelernt hatte, dann waren es Fußabdrücke zu lesen. Er suchte und … fand schließlich auch welche. Dies waren aber keine Raubkatzenabdrücke. Dies waren eindeutig Menschenfüße gewesen. Er untersuchte sie und kam nach kurzer Zeit zu dem Verdacht, es könnten nur Banditen sein. Agenor ging nun den Fußabdrücken nach, die immer tiefer in den Wald führten. Zwischen zwei riesigen und überaus dicken Bäumen trat er auf eine freie Grasfläche hinaus. Und hier musste er feststellen, er war auf einem Schlachtfeld gelandet. Leichen von Banditen mit menschlichem Aussehen und Riesenkatzen lagen herum. Eine dichte Wolke von schwarzen Fliegen summte durch die Morgenluft und ein Gestank nach Tod und Verderben lag über der Graslichtung. Agenor analysierte noch rasch den möglichen Schlachthergang.„Vermutlich der Suchtrupp der uns finden wollte“, sagte er leise zu sich selbst. Eindeutig jedoch waren es die Banditen, die gesiegt hatten. Auch wenn ihre Verluste sicher stark gewesen waren. Immerhin waren zweimal so viele Räuber gestorben. „Es muss eine große Gruppe Banditen umher gestrichen sein, sonst lägen nicht so viele der Raubkatzen in ihrem Blut!“ Es fiel Agenor nicht auf, dass er seine Beobachtung halblaut vor sich hin sagte. Diese Schlacht hatte eindeutig vor Stunden statt gefunden. Agenor musste seine Leute und die Gruppe dringend warnen!Und so lief er so rasch er nur konnte und kam sich dabei wie ein fliegender Vogel vor. Bald erreichte er das Lager ...
Catyua eilte besorgt zu Agenor, der völlig aus der Puste war.„Agenor! Was ist denn geschehen?“, fragte sie ihn nervös nach draußen blickend. Wenn Agenor so beunruhigt war, dass er schnell wieder zu ihnen zurück sprintete, musste es etwas wirklich beängstigendes sein.
Agenors Ausdauer war zwar gut, doch er war ziemlich schnell unterwegs und schnappte nach Luft, als er bei der Gruppe ankam.„Wir müssen sofort von hier verschwinden! Ich habe Spuren von Banditen gefunden und die müssten hier ziemlich nahe herum streifen. Um die Raubkatzen müssen wir uns jetzt keine Sorgen machen, die wurden von diesen Banditen scheinbar erledigt. Nehmt alles mit, das ihr hier gelassen habt. Ich denke, dass es die Banditen – wer immer es auch ist – nicht auf uns abgesehen haben. Aber es wird ihnen sicher seltsam vorkommen, von Raubkatzen angegriffen zu werden, die sonst hier nicht vorkommen oder gerade oft hier unterwegs sind. Sie werden sicher mit allem rechnen. Und wenn wir in ihre Fänge tappen, werden sie uns entweder töten oder gefangen nehmen und uns den Raubkatzen gegen Gold austauschen. Wir müssen und sollten ihnen also nicht in die Quere kommen. Also rasch mir nach!“
Cedrik wurde durch den Alarmruf Agenors aus seinen Gedanken gerissen. Was war geschehen, rief der Krieger da? Banditen und Raubkatzen? Gab es hier ein Nest, das so viele Kalamitäten produzierte? Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, nickte Cedrik der ebenfalls ziemlich verwirrt dreinblickenden Catyua zu, lief nach hinten zu Sternenlicht und seinem Stab. Kurz warf er einen prüfenden Blick auf den Ambarin. Dieser aber saß so fest, auch als Cedrik ihn packte und zu rütteln versuchte, wie der andere gesessen hatte. Cedrik nahm seinen Beutel auf die Schulter und den Stab fester in die Hand. Er griff nach Sternenlichts Mähne und führte ihn nach vorne. Dann packte er Catyua um die Hüften, um sie auf Sternenlichts Rücken zu setzen, doch Rutaara meinte, ihm einen Arm auf die Schulter legend, dicht an seinem Ohr:„Beleidige sie nicht, indem du deine Gefährtin zu einem dummen Mädchen degradierst, Magier. Lass ihr die Freiheit, auf ihren eigenen Beinen zu laufen!“Cedrik hatte bereits eine Erwiderung auf den Lippen, doch er sah ein, dass die Dunkelelbin recht hatte. Er ließ seine Hände sinken, trat einen Schritt zurück und beiseite und ließ Rutaara, den Wolf und Catyua den Vortritt. Cedrik selbst bildete den Abschluss, sah noch ein letztes Mal zurück in das dunkler gewordene Funkeln und Gleißen der Druse, dann seufzte er leise und sein Blick suchte das Prinzenpaar. Als er es nicht entdecken konnte, ahnte er, dass es bereits weg war. Also führte er sein Einhorn an dessen Mähne aus dem Spalt, duckte sich unter dem Vorsprung im letzten Moment, sonst hätte er sicher seine Stirnhaut am Felsen gelassen und blinzelte gegen die Sonne.Endlich erblickte er das Paar und schwang sich mit einem schnellen Satz auf Sternenlichts Rücken. Mit einem Schenkeldruck leitete Cedrik Sternenlicht neben den Prinzen und sah ihm ernst ins Gesicht. Dann schaute er zu dessen Gattin. Kurz huschte ein seltsames Lächeln über deren Gesicht, jedoch wurde sie sofort wieder ernst. Ehe Cedrik sich nach dem Befinden erkundigen konnte, gab einer von Agenors Männern seinem Pferd ein Zungenschnalzen und zog die beiden Pferde des Prinzenpaares am Zügel mit sich. Cedrik zuckte kurz mit seiner Schulter, dann riss er sich zusammen und folgte als Schlusslicht der in raschen Trab fallenden Gruppe. Seine Augen suchten die nähere Umgebung ab, doch er bemerkte ausser dem Buschwerk und Bäumen nichts besonderes. Und doch lag Gefahr in der Morgenluft.
Assasina öffnete die Augen. Irgend etwas stimmte nicht. Sie hatte sich zum Schlafen in eine Schlange verwandelt und in einer kleinen Felsspalte zusammen gerollt übernachtet. Vorsichtig kam sie hervor gekrochen. Sie hörte Stimmen – was normal war, denn es schien bereits die Sonne. Aber es waren nicht die Stimmen ihrer Gefährten. Sie suchte Deckung hinter den Kleidern, die sie bei ihrer Verwandlung abgeworfen hatte. In der Höhle befanden sich etwa ein Dutzend Männer. Alle trugen Kleider, die ihnen zu groß oder zu klein waren und nichts schien wirklich zusammen zu passen. Sie trugen auch herunter gekommene oder einfach gar keine Schuhe, Haare und Haut waren mit Schmutz überzogen. Nur ihre Waffen schienen zu passen. Diese glänzten im Sonnenschein und der Ambarine. Sie schienen schärfer als ein Schwert geschliffen zu sein, das frisch aus der Schmiede kam. 'Banditen!' schoss es Assasina durch den Kopf. Sie züngelte um den Geruch in der Höhle wahr zu nehmen. Es roch immer noch nach ihren Gefährten, aber nicht mehr so stark, als wären diese noch anwesend. Vermutlich waren diese verschwunden, bevor die Banditen diese Höhle gefunden hatten. Assasina seufzte innerlich erleichtert auf, bis ihr plötzlich bewusst wurde, dass die Gruppe eigentlich ohne sie aufgebrochen war. Wut schoss durch ihren langen, schmalen Körper und ein wenig Gift spritzte aus ihren Zähnen. Doch schon im nächsten Moment überkam sie so etwas wie Verzweiflung. Sie musste hier raus! Aber wie? Als Schlange konnte sie zwar entkommen, doch musste sie dabei all ihr Hab und Gut zurück lassen. Immer noch nachdenkend bewegte sie sich sacht und lautlos hin und her. Ihr Blick streifte durch die Höhle und blieb dann auf Venin, der Schlange die stets wie ein Armreif um ihr Handgelenk gewunden war hängen. Diese lag etwas seitlich von Assasina wie ein lebloser Ziergegenstand am Boden. Hätte sie ihre Menschengestalt gehabt, hätte Assasina gelächelt und man hätte in ihren Augen das Wort „TOD“ lesen können. Sie kroch auf Venin zu und leckte leicht über den kalten, starren Körper. Sofort erwachte diese zum Leben. Nach einem kurzen Zischen kroch die Schlange zum anderen Ende der Höhle. Es vergingen nur wenige Augenblicke, ehe ein gellender Schrei eines Mannes ertönte und er kurz darauf zu Boden fiel. Die anderen Männer stürzten zu ihm und Assasina hatte Gelegenheit ihren Schlangenkörper zur menschlichen Assasina zu wandeln. Venin kehrte wieder zurück, schlängelte sich an Assasinas Körper hoch und erstarrte an deren Arm. Einer der Männer wandte sich zu ihr um, schaute kurz nach links und rechts, wandte sich dann jedoch wieder dem Toten am Boden zu. Assasina, immer noch wütend, weil man sie zurück gelassen hatte, befand sich jedoch in diesem Moment etwa drei Meter über dem Boden, an die Felswand und dem dort befindlichen Vorsprung geklammert. Die Ambarine boten ihr gute Haltegriffe. Während die Männer rätselten, was mit ihrem Kameraden geschehen war, glitt Assasina lautlos auf einen außerhalb der Höhle stehenden Banditen zu, schlang ihre Beine um dessen Nacken und wartete einige Sekunden, bis dieser leblos zu Boden sank. Die restlichen Banditen wurden nun auf dieses neuerliche Opfer aufmerksam und wandten sich erschrocken ihm zu. Die Elfe roch die Angst der Männer und … genoss es. Sie hing nun wieder ganz oben an der Decke, etwa sechs Meter über deren Köpfen. Da sie immer noch nicht bekleidet war, hatte sie auch keinen ihrer Dolche bei sich. Sie kletterte so lautlos wie möglich – was bei dem erregten Stimmengewirr der Banditen eine Leichtigkeit war – zu der Rückseite der Höhle, dort hinunter und näherte sich wieder dem Eingang. Dort stand einer der Banditen und stocherte sich ausgiebig in den Ohren herum. Ihm versetzte Assasina mit dem Ellbogen einen Schlag in den Nacken. Noch bevor er zu Boden gesunken war, befand sich die Halbelfe bereits abermals zum Rückwandteil der Höhle. Eine Welle von Panik machte sich zwischen den Männern breit und einer nach dem anderen floh schließlich aus der – in ihren Augen – verwunschenen Höhle.„Das ist ein Zimmer des Teufels!“, drang es von draußen noch an Assasinas Ohr, die lachend zu Boden gesprungen war. Sie kleidete sich nun endlich an und verließ nun vorsichtig nach allen Seiten sichernd den großen Raum. Nicht ohne vorher noch einen der Ambarine eingesteckt zu haben.Als sie in das gleißend helle Sonnenlicht trat, atmete sie tief durch. Kurz darauf verengten sich ihre Augen und eine gespaltene Zunge kam zwischen den Lippen hervor. Zum Glück hatte sie sich nach langer Zeit den Geruch der Gruppe einprägen können und so lief sie sofort los, um die Anderen einzuholen. Sie hoffte nur für ihre Gefährten, dass diese schon weit voraus waren und ihre rasende Wut, die erneut hoch züngelte, darüber dass man sie einfach so zurück gelassen hatte, abgeklungen war bis sie sie eingeholt hatte.
Während Rutaara schützend neben Catyua her lief, fiel es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen.„Assasina!“, entfuhr es ihr und sie stoppte in vollem Lauf, was auch die ganze Gruppe zum Halten brachte. Mehr oder weniger unfallfrei. „Verflucht! Wo ist Assasina?“ Sie schaute den Weg zurück, den sie so Hals über Kopf genommen hatten in der Hoffnung, die Elfe würde ihnen gefolgt sein. Doch Rutaara sah sich enttäuscht und so blickte sie ihre Gefährten – einen nach dem anderen – fragend an. „Hat jemand von euch sie während all dem gesehen?“
Catyua hätte sich am liebsten eine Hand an den Kopf geschlagen. Wie hatte sie nur so unaufmerksam sein können? Zumindest von Rutaara, Cedrik und auch Agenor hätte sie mehr erwartet, als von sich selbst. Aber ihre Flucht hatte ihnen allen scheinbar die Aufmerksamkeit genommen.„Sie ist bereits auf dem Weg“, teilte Catyua den anderen dann aber mit, nachdem sie die Schwingungen gespürt hatte, die Assasina aber auch der Ambarin, den sie bei sich trug, aussandten.
Cedrik schrak aus seinen Gedanken auf, als Rutaara plötzlich rief: „Verflucht! Wo ist Assasina?“ Assasina? War sie nicht bei der Gruppe? Er hätte sich am liebsten nun selbst einen Tritt in den Allerwertesten gegeben, wenn er es gekonnt hätte und nicht mit eben diesem Teil seines Körpers auf Sternenlichts Rücken gesessen hätte. „Sie ist bereits auf dem Weg“ meinte in diesem Moment Catyua. Cedriks Kopf flog überrascht in ihre Richtung. Wie konnte sie das so mit Bestimmtheit sagen? Hatte seine Gefährtin verborgene Talente, die sich ihm bisher noch nicht enthüllt hatten? „Woher weißt du das?“, fragte Cedrik Catyua und ehe er noch etwas weiter sagen oder fragen konnte, fühlte er tief in sich ein bekanntes Zupfen. Es war so wie das Gefühl, das sein Ambarin aussandte, wenn er diesen einsetzte. Doch es war nicht jener, der den Stab nun wieder abschloss. Dieses Zupfen kam von weiter her, bewegte sich jedoch rasch in ihre Richtung. „Wartet! Ich glaube, wir werden verfolgt!“, meinte Cedrik, hielt an und wendete Sternenlicht so dass er in die Richtung sah, aus der sie gekommen waren. Während die Anderen weiter ritten und auch liefen, stand Cedrik stumm und harrte des Verfolgers, der eindeutig im Besitz eines Ambarins war. Bisher hatte Cedrik immer geglaubt, nur besondere Wesen konnten Ambarine besitzen. Und dass sich ein Ambarin seinen Besitzer selbst aussucht. Scheinbar entsprach dieses jedoch nicht den richtigen Tatsachen.Ein dunkler Punkt bewegte sich ziemlich schnell auf ihn zu, doch schon Sekunden später fühlte Cedrik eine ihm bekannte Schwingung. Auch ziemlichen Zorn fühlte Cedrik und er seufzte. Ja – dieser Zorn und die Wut, die ziemlich hoch wallten in Assasina, denn um diese handelte es sich, waren wohl berechtigt. Auch ihn selbst traf wohl ein großer Teil der Schuld, diese Wut und den Ärger ausgelöst zu haben. Cedrik stieg von Sternenlicht und wartete auf Assasina und ihre ihm klar gewordenen Aggressionen, die sie besser an ihm ausließ, als an den anderen. Es dauerte nicht lange, da war Assasina heran und ihre Augen blitzten. Nicht weil sie so schnell gelaufen war, oder weil sie sich freute, ihn hier zu sehen, sondern weil sie so großen Ärger und Zorn in sich aufgestaut hatte, weil man sie einfach „vergessen“ hatte.„Ich weiß, es ist nicht zu entschuldigen und auch nicht damit abgetan, wenn ich jetzt sage: 'es tut mir leid, dass ich nicht mehr auf Euch gewartet habe, oder die anderen es haben', aber es ist nun einmal so. Wenn Ihr jemanden zur Verantwortung ziehen müsst oder auch einfach nur bestrafen – so nehmt mich!“Cedrik kam sich kein bisschen edelmütig oder gar tapfer vor als er dies sagte, sondern in ihm wuchs wieder einmal diese schwarze Angst, Assasina könnte wirklich auf sein Angebot eingehen und ihren Zorn an ihm kühlen. Dennoch war er bereit, für seine Vergesslichkeit, die er sich immer noch nicht selbst verzieh, die Konsequenz zu tragen. Wenn Assasina ihn töten wollte, sollte sie es tun. Wenn sie ihn als Ersatz für die anderen nahm, war es nur gut und billig. Denn auch er hatte nicht mehr an sie gedacht. Dabei hatte sie vor der Seelenverbindung von ihm und Catyua eine wesentliche Rolle in seinem Gefühlsleben gespielt. Cedriks Augen weiteten sich unwillkürlich, als Assasina Anstalten machte, seine Worte in die Tat umzusetzen und mit diesem flammenden Blick dicht an ihn heran trat und nur ein einziges Wort in sein erbleichendes Gesicht zischte: „Du …!“
Agenor, der mitbekommen hatte, dass die Gruppe stehen geblieben und sich Assasinas Anwesenheit bewusst geworden war, wandte sich zur Gruppe um. Er dachte bei sich ärgerlich: 'Zuerst Rutaara, dann Catyua und wie immer dabei der tapfer scheinende Cedrik, die sich lautstark über Assasinas Fehlen empörten. Aber dem nicht genug! Dann kommt noch Assasina voller Zorn herangebraust und geht dann auch noch auf den armen Cedrik los! Was …?' „Ruhe jetzt! Ihr macht mit diesem Geschrei alles im Umkreis von 150 Meter auf uns aufmerksam! Wir können das auch später ausdiskutieren! Assasina, es tut mir leid – aber jetzt nicht. Unser Auftrag hat Priorität und der Auftrag lautet: das Prinzenpaar in Sicherheit zu bringen und ungefährdet und wohlbehalten zurück zu bringen. Banditen streifen herum, darum also gebt acht!“, richtete er sich mehr zu Assasina. Mit Zorn in den Augen wandte er sich aber auch etwas an die Gruppe – dann jedoch hielt Agenor es für wichtiger sich wieder umzuwenden und die Gruppe anzuführen. Auch wenn Assasina die Drohung nicht sehr ernst nahm und weiterhin der Gruppe die Schuld gab. Immerhin gab sie diese leise und machte sich wie die anderen bereit ihm zu folgen.
Catyua überlegte, ob Agenor nicht vielleicht etwas zu weit gegangen war, dass er Assasina beleidigt hatte. Dass sich deren Wut nun auf ihn richtete. Doch besser als an Cedrik, kam ihr der Gedanke. Nein, Assasina sollte sich wieder beruhigen! Auch Agenor hatte dies nicht verdient. Die Elfe war doch um so viel älter als sie alle zusammen, da konnte sie doch gut auf sich selber aufpassen, oder etwa nicht? Warum dafür Cedrik zur Rechenschaft ziehen? Deshalb war sie Agenor für dessen mahnende Worte doch sehr dankbar.„Kommt schon!“, rief sie dem jungen Magier und Assasina zu, die immer noch wütend vor ihm stand. „Cedrik, ich bitte dich! Nun komm!“
Assasina war sehr knapp vor Cedrik stehen geblieben und brachte doch nicht mehr als „Du!“ hervor. Sie hatte sich nicht überlegt, was sie wohl machen würde, wenn sie wieder zu den anderen gestoßen war. Eben wollte sie anfangen zu schreien, als Agenor ihre Worte im Keim erstickte. Ihr Blick wurde immer finsterer und sie spürte das Rasen ihres Herzens, als Agenor herum wirbelte, um weiter zu marschieren. Die anderen hatten sich noch nicht in Bewegung gesetzt, anscheinend unsicher ob sie ihr – Assasina – den Rücken zu kehren konnten.Die Elfe spannte sich und ihr Atem wurde ruhiger. Warum war sie denn so wütend? Sie war es doch eigentlich gewohnt, alleine zu sein und konnte, wie sie sich heute wieder selber bewiesen hatte, gut mit mehreren Feinden gleichzeitig fertig zu werden. Nicht dass man sie alleine ließ, störte sie so sehr. Es war eher die Tatsache, dass man sie in der Gruppe scheinbar nicht mehr richtig ernst nahm. Man nahm sie nicht einmal mehr wahr! Und warum sollte sie ihr Leben für Leute geben, denen sie weder mehr auffiel, noch die sie vermissten? Offenbar war es eine Realität, dass alle Lebewesen nur noch von Angst getrieben wurden. Als sie noch eine unbekannte, mögliche Gefahr war, hatte man sie noch mit Respekt behandelt. Aber jetzt …? Die Wut verrauchte an deren Stelle trat Abscheu, die wie Gift durch ihre Adern pulsierte. „Sechsundvierzig!“, rief sie Agenor nach. Er blieb abrupt stehen und wirbelte herum. Offenbar war ihm nicht bewusst, dass ihm noch niemand gefolgt war.„Was?“, fragte er verwirrt.„Deine Banditen! Die vor denen du dich offenbar so fürchtest. Es sind sechsundvierzig – nein, warte! Mittlerweile sind es nur noch dreiundvierzig!“Die Abscheu, welche durch Assasinas Körper strömte, schmeckte bitter auf ihrer Zunge und sie wusste nicht, ob die anderen es hören konnten. Es kümmerte sie auch nicht sonderlich. „Dreißig von ihnen haben Pferde, die anderen sind zu Fuß unterwegs. Ich denke nicht, dass sie im Zweifelsfalle auf einander warten.“ Bei den letzten Worten zuckten ihre Mundwinkel böse. „Haben sie die Spur gewittert, werden die Reiter voraus eilen. Der Rest kommt nach. Sie sind auf alle Fälle schneller als wir. Die Männer und ihre Rösser sind ausgeruht Nach den … Ereignissen in der Höhle … werden sie zwar kurz abgelenkt gewesen sein, doch mittlerweile haben sie sicher gemerkt, dass sie es mit einer Gruppe von humanoiden Wesen zu tun haben und sind sicher schon auf den Weg hierher. Weglaufen wäre eine ganz schlechte Option, die holen uns auf alle Fälle rasch ein. Nein! Sie holen EUCH ein. Ich gehe...!“Assasina trat einige Schritte auf den Prinzen zu und spuckte ihm vor die Füße. „Das kannst du deinem Vater ausrichten!“ Danach wandte sie sich ohne ein weiteres Wort um und ging beinahe schlendernd vom Weg ab, durch das Gebüsch und in den Wald hinein.
So viel zum Thema, Agenors Worte würden die Gruppe zusammen halten können. Catyua verdrehte die Augen.„Na wunderbar ...“, murmelte sie und stürmte hinter Assasina her. „Hey! Warte mal!“, rief sie hinter ihr ehe sie diese einholte. „Bitte, geh nicht. Wir brauchen dich doch! Weißt du das denn nicht? Willst du uns wirklich einfach so alleine lassen? Sei doch bitte nicht mehr böse wegen so etwas. Hörst du mir überhaupt zu? Hallo? Assasina?!“
Zuerst ging Assasina unbeirrt weiter, doch als sie merkte, dass das Mädchen immer noch ihr folgte, blieb sie stehen. Eine Zeitlang stand sie still da, dann jedoch wandte sie sich zu Catyua um.„Wie alt warst du, als deine Eltern starben?“ Trauer lag im Blick der Elfe.
„Ich … was?“, fragte das Mädchen völlig überrascht. Assasina sah sie weiterhin fragend an und tiefe Trauer spiegelte sich in deren Blick. „Ich … ich weiß nicht so genau … jung. Viel zu jung!“, antwortete Catyua dann nach einigem Zögern. „Aber … wieso interessiert dich das? Bleibst du nun bei uns?“
„Na gut … dann ein anderes Beispiel. Weißt du noch, wie es sich angefühlt hatte, als Cedrik vor einigen Tagen ging?“ Catyua nickt und versuchte einen Kloß hinunter zu schlucken. Assasina lächelte bitter. „Du bist nicht das einzige Wesen auf dieser Erde, das schon einmal verlassen wurde. Und wenn du nicht nur einmal verlassen wurdest sondern viel zu oft, dann hältst du es irgendwann nicht mehr aus. Dann ist es leichter allein zu leben!“ Tränen liefen nun Assasinas Wangen hinunter und auch Catyua hatte feuchte Augen. Offenbar hatte sie verstanden.
Cedrik sah erschrocken erst Assasina an, dann wurde er von Agenors Worten überrumpelt und seinem abrupten Weiterverfolgen des Weges. Schließlich schien Assasina sich vorgenommen zu haben, die Gruppe ein weiteres Mal zu verlassen, diesmal aus eigenem Willen. Danach Catyua, die der davon schreitenden Elfe nachsah und ihr schließlich nach lief. Cedrik warf einen raschen Blick auf den Rest der Gruppe, dann lief er Catyua nach. Als er sie endlich erreicht hatte waren die beiden Frauen stehen geblieben und es schien, als würde Assasina seiner Catyua etwas entsetzlich trauriges oder schreckliches erzählen, denn Cedrik verspürte deren unterschwellige Angst aber auch Trauer, die von Catyua zu ihm zog. Die letzten Worte hörte Cedrik und blieb abrupt stehen. Unwillkürlich füllten sich auch Cedriks Augen mit Tränen. Oh ja, dieses Gefühl kannte er nur zur Genüge. Seine Eltern waren gestorben, ehe er sie kennen gelernt hatte. Aber wenn sie wirklich von so vielen Banditen verfolgt wurden, war es besser wenn niemand die Gruppe verließ. Cedrik trat zwei Schritte näher und die beiden Frauen wurden nun auf ihn aufmerksam. Cedrik schenkte Catyua ein flüchtiges, doch herzliches Lächeln, doch seine Aufmerksamkeit galt Assasina. Er trat vor sie hin und sah ihr ins Gesicht.„Ihr möchtet uns also verlassen? Euch von dieser nervenden Gruppe unterschiedlicher Geschicke und Leben zurück ziehen? Ja, ich denke das kann ich verstehen. Ich selbst habe es bereits zweimal getan. Wisst Ihr noch, wie es war, als ich zu Euch gestoßen bin? Ihr habt mit mir und meinen Gefühlen gespielt. Ich war in Euren Augen der Dummkopf, den man leicht manipulieren kann. Der alles glaubt, was man ihm erzählt. Und doch wart Ihr die Erste und damals Einzige, die mit trotz allem akzeptiert hatte. Wenn auch mit Zähneknirschen!“ Nun huschte ein rasches Lächeln über Cedriks sonst ernstes Gesicht. Er trat einen weiteren Schritt näher und nun stand er so knapp vor Assasina, wie sie damals vor ihm gestanden hatte. Ehe sie beinahe seinen Verstand mit dem nachfolgenden Kuss verdreht hatte. Er streckte seine Hand aus, führte seinen Zeigefinger zart über ihre Wange und sah ihr in die Augen. In diesem Moment hatte er weder Angst vor Assasinas Zornausbruch, noch vor ihrem veränderten Leben. „Lasst Euch sagen …!“ Cedriks Augen füllten sich abermals mit Tränen und diesmal verließen sie diese und liefen ihm über die Wangen. „Assasina! Wir alle brauchen dich! Unser aller Schicksal ist so eng mitsammen verwoben, dass wenn einer aus dem Verband ausscheidet, egal ob absichtlich oder durch widrige Umstände, das es ist als würde man einen Teil seines Körpers verlieren. Einen wichtigen Teil. Einen der zum Leben gehört. Ich weiß, ich bin jung an Jahren und auch so mancher wird mir mein Urteilsvermögen absprechen. Doch nun bin ich an der Reihe, dich zu bitten weiterhin mit uns zu ziehen. Ich spreche jetzt nicht von Ehre oder Pflicht. Ich weiß auch, dass es beinahe unverzeihlich ist, dass wir dich – Assasina – vergessen haben, ja dich nicht einmal vermisst hatten. Ich denke, die richtigen Worte kenne ich nicht, um einen Gesinnungswandel herbei zu führen. Doch bitte ich Euch, bleibt bei uns, meiner Catyua gesonnen und mir …!“ Cedrik unterbrach sich und schluckte. Es war ihm nicht aufgefallen, dass er die Elfe geduzt hatte. Nach etwa zwei Sekunden Überlegung trat Cedrik noch einen halben Schritt näher, fasste Assasinas Gesicht zwischen seine Hände, beugte sich etwas vor und küsste die Elfe sanft mitten auf den Mund. Kurz spürte er ihre Überraschung, dann jedoch versteifte sie sich. Cedrik ließ Assasina los, senkte die Augen und während er tief errötete, hauchte er:„Verzeih Assasina, doch das war lange schon fällig. Und ich möchte mich auch entschuldigen, dass ich dich … Euch … Verzeihung!“Cedrik wandte sich zu Catyua um, sah den Schmerz in ihren weit aufgerissenen Augen und kam sich wie ein Verbrecher vor. Ein sehr verwirrter Verbrecher. Er trat zu ihr, fasste ihre Finger zwischen die seinen und wartete auf Assasinas Reaktion. Er hoffte nur, dass seine Worte die richtigen gewesen waren, um sie von ihrem Vorhaben die Gruppe zu verlassen abzubringen. Wenn ihn jemand jetzt gefragt hätte, was er eigentlich in Assasina sah, müsste er antworten, dass sie wie eine Schwester für ihn ist. So wie er in Rutaara liebend gerne eine mütterliche Freundin sah. Wobei Agenor der strenge Vater der Gruppe war. Nur Catyua war eine Ausnahme, denn sie war sein Herz, seine Seele, sein Leben.
Auch wenn Catyua wusste, dass es in diesem Moment furchtbar unangebracht war, konnte sie nicht anders. Es hatte sich angefühlt, als würde ihr Herz aussetzen, als Cedrik – IHR Cedrik – Assasina geküsst hatte. Er hatte sie g-e-k-ü-s-s-t! Um sie herum begann sich alles zu drehen. War sie eben noch hinter der Elfe her gelaufen, um sie zum Bleiben zu überreden, wollte sie jetzt, dass diese so rasch wie möglich verschwand, nur um dies nicht mitansehen zu müssen. Warum hatte Cedrik das getan? Wieso? Diese Frage brannte so sehr in ihrem Kopf, dass Cedrik es sicher in ihren Augen lesen konnte.
Auch wenn Agenor am liebsten etwas erwidern wollte, er ließ es bleiben. In einer Armee hatte man zu akzeptieren, wenn ein höher rangiger Soldat etwas sagte, doch hier in einer Gruppe galten andere Regeln. Agenor, der Assasina deren Verhalten nicht zugetraut hatte, war doch empört von der Aussage, die Gruppe zu verlassen, das Prinzenpaar alleine zu lassen und damit eine königliche Beleidigung zu begehen. Er hätte zwar erwartet, dass sie ihn angreifen oder gar verletzen würde, aber die Gruppe zu verlassen, war ihm nicht einmal von ungefähr in den Gedanken gekommen. Vielleicht hatte ihn sein Anführerinstinkt überrumpelt. Aber sie hatte recht, denn davon laufen war jetzt nicht das Beste. Besonders wenn die Banditen sie alle bereits bemerkt hatten.„Wir müssen jetzt rasch eine gute Verteidigungsanlage aus Holz bauen!“ Sagte Agenor nachdem ihm dieser Gedanke durch den Kopf geschossen war. ' Und Pfeile schnitzen!'
Rutaara hatte während all dem schweigend da gestanden und hatte sich das Schauspiel eher belustigt angesehen. Als nun Agenor wieder das Zepter in die Hand nahm, stieß sie erleichtert den Atem aus. Ihr behagte ein weiterer Kampf zwar nicht, aber es blieb ihnen wohl keine andere Wahl. Sie richtete einen stummen Blick zu Lyrael, worauf dieser sich neben die Pferde des Prinzenpaares begab. Danach wandte sie sich an die Gruppe und meinte zu Agenor gerichtet:„Werden wir für so etwas überhaupt Zeit haben? Und wie wollt ihr das Holz für eine Barrikade her schaffen?“
„Es liegen hier genug gefällte und abgeholzte Bäume herum, die nehmen wir und bauen eine Barrikade!“, erwiderte Agenor mit einer weit umfassenden Handbewegung. Obwohl ihn die Vorstellung von den plötzlich auftauchenden Banditen nicht sehr behagte, so war er doch nicht unsicher. Wenn er eines gelernt hatte, dann war es klar und positiv zu denken. Maßnahmen mussten ergriffen werden, welche möglich sind um dem Feind einen Nachteil zu verschaffen, auch wenn dies das eine oder andere Opfer forderte. Darum entsandte er zwei Krieger mit Pferden als Späher. Einen kleinen Teil seiner restlichen Krieger stellte er dazu ab, die dünneren Bäume anzuspitzen und in gleichmäßige Größen zu stutzen. Vier der Krieger bekamen den Auftrag, die Rinde der Bäume abzuziehen und zu kochen. Dies würde einen ganz zulässigen Kleber geben. Danach wandte er sich gänzlich zu Rutaara um, die in ihren Gedanken versunken schien. Jetzt sah Rutaara auf und ihn aufmerksam, aber auch sorgenvoll an.„Wir können uns wenigstens einige Pfeile schnitzen, auch wenn wir mit den Barrikaden nicht so rasch wie gewünscht vorwärts kommen!“
Cedrik hatte Catyuas schmerzlichen Blick wohl bemerkt, doch er hatte weder Lust noch die Absicht, sein Verhalten von eben zu erklären. Kurz runzelte er die Stirn, denn Catyua hatte nicht zu befürchten, dass er sie je wieder alleine im Leben lassen würde. Das sollte sie wissen. Sie beide hatten sich verbunden und ihrer beider Seele war erst getrennt gestorben und dann mitsammen verbunden wieder auferstanden. Cedrik war mit Catyua für alle Zeiten verbunden. Das konnte dieser kleine Kuss sicher nicht trennen. Auch wenn seine Catyua momentan versuchte, ihre Finger aus seinem Griff zu entwinden. Er würde es nicht zulassen, dass sie sich zurück zog. Cedriks Blick fiel auf Agenor, der ihm scheinbar gefolgt war. Dem Gesicht des Recken nach zu schließen, überlegte sich dieser eben, wie er wohl die Gruppe vor den näher kommenden Banditen schützen konnte. Cedrik fühlte ihn sich eine starke Ungeduld hoch steigen. Aus diesem Gefühl heraus meinte er, sich wieder halb zu Assasina wendend und auch Catyua einbeziehend:„Je länger wir hier stehen und uns unterhalten, desto enger wird der Spielraum zwischen den Angreifern und uns. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, doch denke ich, wir sollten jetzt entweder wirklich die Barrikaden errichten oder schon mal die Beine in die Hand nehmen und zuschauen, dass wir diese Gegend verlassen. Wir haben noch ...“ Cedrik hob den Kopf und blinzelte in die Helligkeit des Morgenhimmels. „ … viele Stunden Licht und sollten den schönen Tag nutzen. Bitte missversteht mich jetzt nicht ...“, wandte er sich an Agenor. „Ich möchte Euch wirklich keine Vorschriften machen oder unhöflich wirken. Aber wir sollten den Weg so rasch wie möglich verfolgen, das Prinzenpaar endlich abliefern und …!“Cedrik zuckte zusammen, als plötzlich hinter ihm Lärm entstand. Als er sich umwandte, sah er eben noch wie einer von Agenors Männern das Pferd, auf dem die Prinzessin saß, beim Zügel packte und dieses hoch stieg. Wollte sie schon wieder flüchten? Oder was passierte dort? Es schien den Prinzen nicht sehr zu überraschen, denn er sah dem Krieger nur gelangweilt zu. Cedrik war nicht sehr erstaunt, als Agenor zu der Stelle zurück kehrte. Langsam setzte sich auch Assasina in Bewegung, jedoch so langsam als würde sie mit jedem Schritt überlegen, ob sie sollte oder nicht.In dem Moment, wo Cedrik allein mit Catyua war, ließ er ihre Hand los, legte seine Hände auf ihre Schultern und sah ihr tief und intensiv in die Augen. Wieder einmal versank er in deren Tiefe. Aber dies war ihm derzeit ganz recht. „Ich werde immer zu dir gehören, Geliebte meiner Seele! Bitte sei nicht mehr traurig oder wütend auf mich. Der Kuss, den ich Assasina gab, hat nicht diese Bedeutung, die du ihm vielleicht geben willst. Ich liebe dich mehr, als du dir vorstellen kannst und das wird immer so bleiben. Ich weiß, ich habe schon zweimal dich und auch mich vergessen. Beim ersten Mal war ich noch nicht so gewiss, wie ich es mir jetzt bin. Beim zweitenmal war es die Kraft, die in mir entstanden war oder vielleicht auch waren es die Katzen und deren Führer. Ich weiß es nicht. Du jedoch bist für alle Zeiten in meinem Herzen, meiner Seele und meinem Leben. Egal in welcher Dimension, ich werde dich immer erkennen und lieben!“ Cedrik sah Catyua ernst an, dann legte er die Arme um sie, zog sie an sich und seine Lippen suchten und fanden ihren Mund. Die Sekunden flossen dahin, während Cedrik sich bei diesem Kuss mit Catyua vergaß. Erst langsam wurde er sich wieder seiner Umgebung bewusst und sofort fühlte er Bedauern in sich hoch steigen. Doch er durfte jetzt die Gruppe nicht aufhalten, nachdem er vorhin so gedrängt hatte.
Neue Feinde hemmen den Weg ...
Assasina, die überrascht war von Cedriks Kuss, wusste nicht wirklich was sie erwidern sollte. Sie wusste nicht einmal, was sie tun sollte. Schließlich kam sie zu der Entscheidung, dass sie warten würde. Warten und schweigen. Selbst als Agenor zu ihnen stieß, wollte sie noch warten. Wenn sie jetzt ging, würde sie den anderen genau das antun, wovor es ihr so graute. Gerade als Assasina beschlossen hatte, es wäre doch das Beste für alle, wenn sie nun gehen würde, ertönte ein Lärm aus der Richtung der anderen. Es war das Pferd der Prinzessin. Vermutlich hatte es ein kleines Tier am Boden gesehen. Die Elfe wollte sich eben wieder abwenden, als sie dem Blick des Prinzen begegnete. Gleichgültigkeit spiegelte sich in dessen Augen. Aufgesetzte, verfälschte, überhebliche Gleichgültigkeit, die ihr so bekannt vorkam. Langsam machte sie einige Schritte in seine Richtung. Sein Blick folgte ihr. Sie hörte, wie Cedrik und Catyua sich hinter ihr bewegten, hörte das Rascheln welches deren Füße am Waldboden verursachten. Doch kam es ihr so vor, als wäre alles weit weg oder hinter einem abschirmenden Vorhang. Immer noch vorsichtig und skeptisch ging Assasina weiter auf den Weg zu. Sie kam an Rutaara vorbei, die den Mund öffnete um etwas zu sagen, aber die Elfe ignorierte dies. Etwas wie ein Bann hatte sich über Assasina gelegt. Machte sie ignorierend allem und jedem gegenüber und auch gegen alles was um sie geschah. Das Pferd der Prinzessin trippelte immer noch nervös hin und her – doch der Prinz rührte keinen Finger um ihr zu helfen. Assasina hatte beschlossen, die Gruppe zu verlassen und das war ihr fester Entschluss. Doch das hieß nicht, dass sie die anderen nun allein einer noch nicht erkennbaren Gefahr aussetzen würde. Eine Gefahr die niemand wahr nahm und wahr nehmen wollte. Ihre Schritte wurden schneller und sie verfiel schließlich in einen leichten Laufschritt, bis sie schlussendlich sprintete. Unterbewusst erkannte sie, dass ihr die anderen folgten, doch es kümmerte sie nicht. Erneut wallte Zorn in ihr hoch. Ein unbändiger Zorn, der sich auch gegen sie selbst richtete. Kurz ehe sie den Weg erreichte ging sie, immer noch in diesem Tempo unterwegs, in die Hocke und stieß sich vom Boden ab. Noch während sie in der Luft war griff ihre Hand in den Beutel am Gürtel und holte eine Faust voll der Asche des Dunklen Feuers, welches mit Rutaaras Flammen gemischt war, hervor. Ihr Flugsprung war auf den Prinzen gerichtet, der sie zu spät bemerkte und zum Ziehen seines Schwertes keine Zeit mehr hatte. Assasina prallte gegen ihn, stieß ihn vom Pferd und beide rollten in einem Menschenknäuel ein paar Meter über den Boden. Assasina sprang auf, sobald sie wieder wusste, wo oben und unten war und streute die Asche wutentbrannt in einem Kreis um sich und den Prinzen. Rutaara konnte gegen die Flammen nichts ausrichten, denn das Dunkle Feuer nahm ihr die Macht über ihre eigenen Flammen. Cedrik und Catyua waren noch zu unerfahren um mit Dunklem Feuer umzugehen. Ein Schrei ertönte, doch Assasina reagierte nicht. Sie starrte weiterhin den Prinzen an, der sich nun ebenfalls aufgerafft hatte. „Versuche es erst gar nicht!“, rief sie Cedrik zu, der hinter ihrem Rücken sicher versuchte, die Flammen zu überbrücken. „Glaubst du wirklich, dass du damit durchkommen wirst?“, wandte sie sich an den Prinzen. Durch diese Wut die Assasina in sich fühlte klang ihre Stimme so verzerrt, als käme sie nicht aus deren Kehle. „Ja“, meinte der Prinz und ein spöttisches Grinsen huschte über sein Gesicht. Assasinas Herzschlag beschleunigte sich noch ein wenig mehr. „Um ehrlich zu sein, bin ich doch sehr enttäuscht von dir, mein Täubchen! So lange hast du gebraucht. So blind für alles. Nur weil du dachtest, nun endlich Freunde fürs Leben gefunden zu haben!“„Assasina!“, ertönte eine fast ängstliche Stimme von weit her an ihr Gehör. Doch es war nur Catyua, die doch nur wenige Meter hinter ihr stand.„Dies ist eine Sache zwischen mir und dem hier!“, zischte Assasina.„Ja“, gurrte der Prinz. „Sie will sich nur rächen, weil sie verlassen wurde. Aber ich habe dich nicht verlassen, nicht wahr? Ich war immer bei dir. In deinen Gedanken, nachts wenn du nicht schlafen konntest, weil du nicht schlafen wolltest. Dann hattest du Gesellschaft von den Erinnerungen an mich.“„Halte den Mund!“ Assasina schrie laut und schrill. Tränen liefen über ihr vor Wut und Schmerz verzerrtes Gesicht. „Was willst du jetzt tun?“, fragte der Prinz und deutete auf den Feuerkreis um sie herum. „Kämpfen?“„Ja!“, zischte Assasina und ging in die Hocke. Ihre Hand fuhr zur SOL I LAGOR. „Ja, ich will kämpfen. Und ich werde dich vernichten – VOTAN!“
Cedrik war verzweifelt. Nicht nur, dass sich Banditen näherten, wie Assasina bemerkt hatte. Nun war der Feind auch noch in den eigenen Reihen. Assasina hatte sich und den Prinzen hinter diesem Kreis aus Dunklem Feuer versteckt. Das Feuer, das Cedrik enorme Angst machte. Er hatte zwar vorhin versucht, den Kreis zu überwinden, doch dazu reichte seine Kraft und seine Gegenmagie nicht.Als Cedrik nun merkte, dass sich Assasina bückte um sich wahrscheinlich intensiver um den Prinzen zu kümmern, ahnte er etwa was sie vorhatte. Er wollte noch eine kurze Warnung rufen, doch er wusste, wenn die Elfe einmal einen Entschluss gefasst hatte, ließ sie sich nicht mehr so leicht umstimmen. Nur dass sie den Prinzen „Votan“ genannt hatte, gefiel ihm so wenig, wie sie sich eben in Blutrausch bringen wollte. Doch an diesem Punkt war ihm das Handeln aus der Hand genommen worden. Er hatte noch gehofft, dass die Gefahr nicht so groß war, doch als der Name gefallen war, den Cedrik mehr fürchtete, weil er bereits mit dem Träger desselben zu tun gehabt hatte, wusste er definitiv, sie mussten erst die Gefahr aus dem Inneren der Gruppe beseitigen oder wenigstens neutralisieren, ehe sie sich der schon nahe befindlichen anderen Gegner zuwenden konnten.
„Votan?“, wollte Catyua aufgebracht wissen. „Wieso Votan?“ Und plötzlich verstand sie … jedenfalls so weit sie es konnte. Wutentbrannt wollte sie zu Assasina und dem Dämon. Wollte kämpfen, wollte ihn töten. Doch zum Glück gab es Cedrik, der sie davon abhielt, sich in die Flammen zu stürzen. Natürlich war es auch gut, dass er sie davon abhielt gegen Votan zu kämpfen. Doch gegen das Feuer hätte sie eine noch geringere Chance gehabt. So blieb ihr nichts weiteres zu tun, als zu beobachten, was sich im Inneren des Feuerkreises abspielte.
Cedrik konnte die Verwirrung seiner Seelengefährtin nicht nur fühlen, sondern auch verstehen. Momentan waren ihnen allen das Heft aus der Hand genommen worden und Assasina war am längeren Hebel.Cedrik versuchte seine beginnende Ungeduld in den Griff zu bekommen. Immer wieder warf er aufmerksame Blicke in die Umgebung und er hoffte, dass die Gefahr die sich näherte, noch etwas länger benötigen würde, hier einzutreffen. Zumindest so lange, bis Assasina ihre Rache - und Mordsucht wieder in den Griff bekam.
Als Assasina sich auf den Prinzen stürzte, hätte sich Agenor am liebsten ebenso verhalten. Doch dann kam sie mit dem Flammenkreis, den man niemals durchbrechen konnte ohne zu verbrennen, außer man hatte mächtige Zauberkräfte. Für den Prinzen hatte die Gruppe alles gemacht, ihr Leben geopfert und jetzt war hier ein Kampf, der vermutlich dem Prinz das Leben kosten könnte. Und wofür? Für nichts? Besser eine Strafe zu bekommen als der Wunsch, verbannt zu werden vom Königreich … auch umsonst?Der Prinz war Agenor gleichgültig, doch er wollte diesen sicher zum König bringen. Assasina war Agenor im Gegensatz wichtiger. Sie war ein Puzzlestück seines Lebens, wie auch die restliche Gruppe. Aber als Assasina „Votan“ rief, war er völlig verwirrt. Votan hier? Als Prinz? Assasina verlassen von ihm, innerlich verletzt von diesem? Warum hat sie ihn denn nicht schon früher bekämpft, wenn sie wusste, dass er den Prinz spielte? Die Gruppe konnte nichts weiter tun, als dem Spektakel zu zu sehen und abzuwarten. Und dieses Abwarten war nicht wirklich Agenors Stärke. Doch alle wussten, wenn Assasina einmal ihre Grenzen überschritt war sie zu allem bereit und mit Gerede war da nicht viel anzufangen …!
Der Kampf mit dem Prinz war hart. Sehr hart! Unter normalen Umständen wäre Assasina bereits vor Erschöpfung und den Verletzungen zusammen gebrochen, doch „Dank“ der SOL I LAGOR spürte sie nichts von ihrem Schmerz. Weder den Innerlichen, noch den Äußerlichen. Es war ihr alles egal, sie wollte nur töten! Nein, sie wollte nicht den Prinzen töten. So weit hatte sie sich unter Kontrolle. Der Prinz musste am Leben bleiben, aber Votan musste sie aus ihm heraus treiben. Es war ihr völlig klar, dass – selbst wenn sie siegen würde – Votan nicht starb. Er wäre nur verschwunden und würde irgendwo dort draußen auf sie warten. Assasina spuckte Blut. Der besessene Prinz hatte sich auf sie gestürzt und sein Schwert bis zum Heft in ihren Bauch gerammt.„Du musst ihn töten! Du weißt es, mein Täubchen! Wenn du mich los werden willst, musst du ihn töten. Und dann ist alles vorbei. Der König wird dich hinrichten lassen – menschlicher Aberglaube hin oder her. Traust du dich das? Willst du wirklich ehrlos auf einem Scheiterhaufen sterben oder eher hier im Kampf?“Die Wirkung der SOL I LAGOR war bereits dabei nachzulassen und Votan merkte es. Er drehte das Schwert in Assasinas Körper und sie keuchte auf vor Schmerz. Der Dämon verzog die Lippen des Prinzen zu einem teuflischen Grinsen und nickte. Doch so wie der Blutrausch verging, kamen ihre Gefühle wieder zurück. Mit letzter Kraft griff sie zu einem kleinen Dolch, welcher mit Lederriemen an ihrem Arm befestigt war und stach in die Brust des vor ihr stehenden und noch immer grinsenden Prinzen – direkt dorthin, wo bei ihm das Herz sitzen musste. Der Prinz sah sie erschrocken an. Kurz verschwand Votan aus dessen Augen – doch gleich darauf war er wieder da. „Es gibt etwas wovon du nichts verstehst, Geliebter!“ Assasinas Atem ging keuchend und wurde rasselnd. Immer wieder spuckte sie Blut und langsam wurde es mehr. „Es gibt Wesen, für die lohnt es sich, hingerichtet zu werden!“ Assasina stieß den Prinz von sich, dieser fiel mit einem gellenden Schrei zu Boden, als Votans Geist ihn nun endgültig verließ. Sie fiel auf die Knie und hatte noch gerade Kraft genug, um den Feuerkreis verschwinden zu lassen. Dann fiel sie nach rückwärts … doch ehe sie am Boden aufschlug, fing sie ein kräftiger Arm. Es war Rutaara.„Du dummes Elfenweib!“, fluchte diese und Assasina konnte Tränen in ihren Augen erkennen. Cedrik, Catyua und auch Agenor kamen nun heran gelaufen. Cedrik drängte sich zu ihr durch um sie zu heilen. Doch Assasina schüttelte schwach den Kopf.„Der Prinz ...“, flüsterte sie. „ … rette ihn, er muss überleben, damit der König seine Versprechen euch gegenüber einhaltet!“ „Warum hast du das getan?“, flüsterte Catyua.Assasina lächelte mühsam. „Ich habe einmal in einem Buch gelesen, dass man so etwas macht. Für Menschen, die man … liebt!“ Ihre Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern und ehe sie ihre Augen schloss, bedeutete sie Cedrik endlich den Prinzen zu retten, bevor es für ihn zu spät war. Noch immer lag dieses schwache Lächeln auf ihrem Gesicht, als sie in dunklere Gefilde abglitt.
Cedrik war sekundenlang hin und her gerissen zwischen seiner Pflicht und Assasinas Auftrag an ihn. Schließlich fiel ihm eine Lösung ein. Er wandte sich an Rutaara, packte sie beim Arm und stieß mit heiserer Stimme hervor:„Sie trägt einen Ambarin bei sich! Ich fühle dessen Kraft! Es ist ein Elfenstein. Er wird ihr die Kraft geben, sich dem Tod zu widersetzen. Ambarine sind Elfenheiler. Er kann sie heilen. Bei dieser Wunde wird es allerdings etwas dauern, doch Ihr solltet Assasina den Ambarin auf die Wunde legen und fest binden. Agenor oder einer seiner Männer kann eine Bahre machen, zwei Pferde können sie ziehen. Ich muss mich nun um den Prinzen kümmern!“ Und zu Assasina gewandt meinte er, obwohl sie die Augen geschlossen hatte und ihr Gesicht wächsern war:„Wenn du denkst, dass ich dich jetzt sterben lasse, dann kennst du mich nicht gut genug, Schwester! Meine Catyua benötigt dich und Rutaara braucht deine Freundschaft und ich … ich brauche dich auch … Schwester!“ Cedrik sah auf das bleiche Gesicht Assasinas nieder. Er wusste nicht, ob sie die letzten Worte gehört hatte, ehe sie das Bewusstsein verlor. Aber ehe er sich erhob, merkte er noch, wie Rutaara in Assasinas Kleidung nachsah und mit einem triumphierenden „HAH!“ den Stein in die Höhe hob. Sie schaute zu dem immer noch zögernden Cedrik und legte den Ambarin, der die richtige Größe wie die Wunde hatte, Assasina darauf und meinte scharf:„Worauf wartest du noch, Magier?“Cedrik zuckte zusammen, nickte dann und lief zu dem am Boden liegenden Prinzen hin und kniete neben ihm nieder. Die Prinzessin wurde von einem Krieger Agenors daran gehindert, sich ebenfalls zu ihrem Gemahl zu begeben und eventuell die Heilung zu verzögern. Ihr blieb nur die Freiheit, nervtötend zu weinen. Kurz konzentrierte sich Cedrik und wollte schon beginnen, den Prinz wieder ins Bewusstsein und Leben zu holen – doch er erhob sich nochmals, begab sich rasch zu Sternenlicht und holte den Stab, der in einer Schlaufe des Sattels hing. Hier und jetzt benötigte er kräftigere Unterstützung. Kaum hatte Cedrik den Stab in seiner Hand, lief er auch schon wieder zum Prinzen und mit einem flüchtigen Blick sah er, dass sein Vorschlag eine Bahre für Assasina zu bauen, bereits in die Tat umgesetzt wurde. Nun konnte er sich ganz der Heilung des Prinzen widmen. Mit dem Ambarin fuhr er dicht über die Wunde und das Blut hörte auf, den Körper des Schwerverletzten zu verlassen. Schließlich legte Cedrik den Stab auf den Bauch des Prinzen, der immer noch ohne Bewusstsein war, legte seine Hände quer über den Stein, der genau in der Wunde zu liegen kam und gleich darauf erschien zwischen den Fingern das Heillicht. Irgend etwas störte und Cedrik brauchte länger als je zuvor mit der Heilung. Auch fühlte er, wie etwas Kraft aus ihm sog. Wahrscheinlich, weil bis eben noch ein Dämon diesen Menschenkörper besetzt hatte. Doch so schnell gab Cedrik nicht auf. Endlich wurden seine Bemühungen belohnt und der Heilungsprozess setzte ein. Aber er verlangte Cedrik so viel Kraft ab, dass er es beinahe nicht erwarten konnte, den Prozess abzuschließen.Endlich nach gefühlten Ewigkeiten hatte sich die Wunde geschlossen, Cedrik hob den Ambarin hoch und der Atem des Prinzen wurde stärker.Cedrik sackte auf seine Fersen zurück, wischte sich mit schwacher Handbewegung über seine Schweiß nasse Stirn und bemerkte, dass Catyua neben ihm kniete und etwas fragte. Cedrik fühlte Schwindel in sich hoch steigen, ihm wurde schwarz vor Augen und …!
„Cedrik!“, schrie Agenor, als dieser zu Boden stürzte. Agenor, der einen noch nicht fertig geschnitzten Pfeil in der Hand hielt, warf diesen zu Boden und kniete sich nun neben Cedrik. Er fühlte dessen Puls – flach, doch gleichmäßig. Rutaara hatte eben auch ihre Heilarbeit beendet und ließ nun den Stein seine Arbeit machen … Assasina zu regenerieren.
„Nicht schon wieder!“, jammerte Catyua, als sie Cedrik fallen sah. Cedrik fiel für ihre Verhältnisse viel zu oft in Ohnmacht. War dies nicht eigentlich Sache von Mädchen? Dass deren Liebster sie dann auffing? Und nicht anderes herum?Mittlerweile waren die beiden Schwerverletzten einigermaßen wieder hergestellt und Catyua hoffte, dass sie nicht gleich wieder angegriffen wurden. Sie waren viel zu wenige, um gut kämpfen zu können!
Cedrik öffnete die Augen und sah mitten in Agenors besorgtes Gesicht. Er fühlte sich ziemlich schlapp, doch es ging nicht an, dass er weiter hier herum lag, während …„Es geht mir gut, danke. Das war nur eine winzige Schwäche!“, sagte Cedrik und setzte sich auf. Sein Blick fiel auf Catyua und ihren zwar besorgten, aber auch eher ärgerlichen Blick. Er schluckte. Langsam schien es sich zu einer Manie bei ihm auszuwachsen, sich in eine Ohnmacht zu verdünnisieren. Und meist, wenn Not am Manne war. Doch die Heilung hatte ihm tatsächlich viel Kraft abgenötigt. Kurz sah er zu Rutaara und Assasina. Aber beide waren noch miteinander beschäftigt. Langsam erhob sich Cedrik und traute sich keinen weiteren Blick zu seiner Gefährtin zu werfen. Er könnte jetzt keine Vorwürfe oder ärgerlichen Worte gebrauchen. Und dann … fühlte er es. Gefahr war schon so nahe, dass die Wiederherstellung Assasinas sich sehr beeilen musste. Aber er fühlte und wusste momentan, dass er keine richtige Kraft dazu hatte. Als Catyua an ihm vorbei wollte, hielt er sie sanft an der Hand zurück und meinte leise, dass die anderen nichts hören konnten:„Sollte mir etwas passieren, hilfst du bitte den Auftrag zu erfüllen. Sternenlicht wird dir folgen. Und keine Sorge, Geliebte, wir sehen uns wieder. Irgendwann und irgendwo. Wenn mir etwas passieren sollte!“ Cedrik ließ Catyuas Hand los und stellte sich bereit, nachdem er sich den Stab mit dem Ambarin wieder genommen hatte. Er begann den Stab einige Male horizontal zu drehen und knickte leicht in den Knien ein.Ehe Catyua etwas erwidern konnte, erschienen zwischen den Bäumen, die hier vereinzelt standen, die ersten Angreifer. Umringt von deren Katzenbegleitern machten sie sich zum Kampf bereit. Cedrik verengte die Augen und sandte ein Stoßgebet zum Himmel. Er war bereit. Bereit zu kämpfen, bereit zu siegen und auch bereit hier und jetzt zu sterben, wenn es das Schicksal so wollte.
Einige Augenblicke standen sich beide Parteien gegenüber, dann ertönte ein scharfer Pfiff und die Katzen wandten sich, verschwanden dorthin, woher sie gekommen waren. Die menschlichen Angreifer sahen sich kurz erstaunt und eine winzige Sekunde erschrocken und ungläubig um. Aber als ein weiterer Pfiff ertönte, verschwanden auch sie. Gleich darauf lag das Fleckchen so da, wie es vor wenigen Minuten war. Der Prinz war neben seine Gattin getreten und schien noch immer etwas unter den Nachwirkungen der Dämonenübernahme zu leiden. Assasina war aufgestanden und murmelte mit einem wilden Ausdruck im Gesicht etwas in sich hinein, wobei Cedrik ganz froh war, es nicht zu verstehen.„Ich denke, wir sollten zusehen, von hier zu verschwinden“, meinte Cedrik und warf einen raschen Blick zu Catyua. Langsam fühlte er sich wieder besser. Die Kraft kehrte zurück und er froh, dass es nicht zum Äußersten gekommen war. Agenor hatte sich bereits mit seinen restlichen Männern zum weiter marschieren gerichtet. Rutaara stand ebenso wie Assasina zum Abmarsch bereit. Cedrik dachte daran, seit Assasina diese Verwandlung durchgemacht hatte, hatte sie auch viel Kraft gewonnen. Als sein Blick mit dem Catyuas zusammen fiel, wurde er verlegen. Seine Gefährtin sah noch immer mit diesem zornigen Blick zu ihm. Etwas hatte er falsch gemacht. Doch war ihm keineswegs klar, was das gewesen sein konnte. Er ging zu Catyua und nahm ihre Hände in die seinen. Cedrik drehte die Handflächen nach oben und küsste jede von ihnen. Dann ließ er Catyuas Hände wieder los und legte seine Arme um ihre Schultern. Kurz schaute er Catyua tief in die Augen, dann sagte er leise zu ihr:„Bitte, nicht mehr böse sein Liebste!“Ohne eine Reaktion ihrerseits abzuwarten, ließ er Catyua los und schnalzte mit der Zunge. Sternenlicht schnaubte kurz, dann setzte er sich in Bewegung. Immer mit einem Schritt Abstand zu den anderen Pferden trabte er weiter. Noch einmal warf Cedrik einen raschen Blick in die Umgebung, doch ausser einem Adler, der hoch über ihnen seine Kreise zog und seinen lang gezogenen Katzenschrei ausstieß, waren sie alleine.
Catyua schob ihre Finger verstohlen zwischen die von Cedrik. Er sollte sie nicht immer so alleine lassen …„Cedrik? Vielleicht, vielleicht kann ich das nicht mehr sein, aber geh nicht immer fort von mir!“ Sie spürte dass er lächelte und seine Hand umschloss ihre fester. Doch gleich darauf war dieses Gefühl der Zweisamkeit und des Verständnisses vorbei – Cedrik hatte sie los gelassen um seiner Aufgabe weiterhin gerecht zu werden. Das Mädchen sah sich nun wachsam um, wobei ihr Blick an Assasina besonders lange hängen blieb. Diese hatte ihre Verletzung erstaunlich gut überstanden. Der Prinz schien sich ebenfalls auf dem Weg der Besserung zu befinden und die junge Albin atmete erleichtert auf, als sie merkte dass auch Cedrik wieder seine Kraft gefunden hatte. Nach ihrer eingehenden Musterung ihrer lieben Gefährten wandte sie die Aufmerksamkeit wieder der Umgebung und den möglichen Ereignissen zu. War es nun ihre Einbildung oder Angst oder knackte es tatsächlich um sie herum? Es waren wahrscheinlich sicher nur die Nerven, die überspannt waren sagte sich Catyua.Nein! Dort … war etwas … Catyua wurde es kurz heiß, dann kalt aber gleich darauf hatte sie sich wieder unter Kontrolle. Wenn selbst die Sengala Katzen davor zurück wichen … was musste dieses neue Übel schreckliches sein?
Cedrik spürte Catyuas Unruhe. Aber auch er konnte ein seltsames Gefühl tief in sich nicht verleugnen. Und das hing nicht nur mit dem geheimnisvollen Verschwinden der Nordmenschen und deren Katzenbegleitern zusammen. Etwas lag in der Luft. Ein geheimnisvolles Raunen, ein seltsames Ahnen, als ob im nächsten Moment oder hinter der nächsten Wegbiegung etwas oder jemand lauerte. Darauf wartete, dass die Gruppe diesem in die Arme lief. „Wenn wir unseren Auftrag erledigt haben, werde ich erleichtert sein“, sagte Cedrik zu der neben ihm gehenden Catyua und seine Augen beobachteten während sie so dahin liefen die Umgebung.
„Assasina! Was war das für ein Pfeifen?“, rief Agenor hinter der Elfe her, als diese sich eben zu Rutaara wenden wollte. Nach wenigen Augenblicken wandte er sich an Cedrik, da er nicht so lange warten wollte um eine einigermaßen vernünftige Antwort zu bekommen und ging nun auf diesen zu.„Cedrik! Weißt du vielleicht etwas darüber? Es muss etwas Machtvolles gewesen sein, dass uns die Feinde nicht noch einmal angriffen. Etwas wovor sie Angst hatten.“„Ich kenne dieses Signal“, sagte eine Stimme hinter ihm. Es war Rutaara. „Es ist das Zeichen der Interesen. Es gibt Legenden von ihnen. Sie sind bewaffnet wie Elfen und Zwerge und schauen Waldläufern ähnlich. Die meisten Menschen wissen nicht was ihr Clanname bedeutet. Doch ich schon. Der Name 'Interesen' leitet sich vom Intrepidus, der Gott der Zwerge ab – was übersetzt wohl 'der Furchtlose' bedeutet.“ Geheimnisvoll sprach Rutaara und ihr Blick war eigentümlich in ihr Inneres gerichtet. Es klang, als würde sie ein Märchen erzählen. Als Agenor den Mund öffnen wollte, fügte sie hinzu: „Es ist zu spät um zu entkommen …! Sie sind bereits da!“ Und sie zeigte die Stelle an, wo vorhin die anderen Gegner gestanden hatte. Wenn man die Neuankömmlinge nicht kannte, würde man sie tatsächlich für Waldläufer halten. Grüne oder erdbraune Kleidung, Sandalen an den Füßen und einen grünen oder dunkelblauen Hut auf dem Kopf, unter dessen Krempe längeres Haar hervor schaute. Einige hatten Spielhahnfedern darauf oder auch blitzende Wassersteine. Die ziemlich starke Bewaffnung und die hier und dort unter der Kleidung hervor blitzenden Kettenhemden und auch Lederkleidung waren von anderer Art. Es war zum Schutz vor schwächeren Hieben. Die meisten hatten Pfeil und Bogen am Rücken hängen, Schwerter in den Händen und waren mit einem Dutzend Dolchen am Körper verteilt bestückt. Und wer genauer hin sah, konnte auch einen Hammer an einem der Rücken erblicken. Die Sonne beschien das Szenario und erhellte die furchtlosen, doch gefährlich genug aussehenden Interesen. Ihre Schwerter waren mit frischem Blut besudelt.'Die Gegner hatten wohl keine Fluchtmöglichkeit', dachte Agenor und wohl auch der eine oder andere der Gruppe. Hier und da versuchten noch vereinzelte Nordmänner zu fliehen, doch die Interesen machten kurzen Prozess mit ihnen. Die Gruppe, die diesem Gemetzel nur ungern zusah, machte sich bereit zu kämpfen. Sie stellten sich auf, bereit ihr Leben so teuer als möglich zu verteidigen – doch alle ahnten, dass sie nicht den Hauch einer Chance hatten. Es ahnte keiner was passieren würde und doch …!Man konnte nur raten, wie viele es waren, denn ein großer Teil der Interesen hatte sich hinter den Bäumen versteckt oder waren noch in dem kleinen Wäldchen. Die, die man erkennen konnte waren zu siebent. „Unterschätzt auf keinen Fall diese Leute! Und lasst euch nicht von deren Minderzahl verwirren. Alleine fünf von ihnen können einen Magier töten – egal wie stark dieser auch ist!“, rief Rutaara der Gruppe zu. Es waren nur noch wenige Meter, als die sechs stehen blieben und einer auf die Gruppe zu ging. Es war ein schlanker und muskulöser Mann, mit braunem Haar bis fast auf die Schultern und hellen Augen. Doch schien er keinerlei Kampfwillen zu zeigen. Eher eine milde Neugierde. Keiner gab einen Laut von sich. Nur hier und da schnaubte eines der Pferde oder scharrte nervös mit den Hufen. Stachel bewehrte Alptraumfliegen schwirrten mit einem hohen Summen über die Lichtung. Hier und dort stampfte eines der Pferde mit dem Hinterfuß, wenn eine der Fliegen sich einen Stachelrüssel voll Blut stahl. Der Gruppe war bewusst in welcher Gefahr sie schwebte. Jener, der nun dicht vor den Verteidigern stand, sicherlich der Anführer, sah jeden genau und aufmerksam an. Doch die längsten Augenblicke verbrachte er bei Assasina und Rutaara.
Schließlich begann er zu sprechen.„Wen haben wir denn da? Eine Elbe, eine Halbelfe, eine Halbalbin und einen Magier. Beinahe noch ein Kind. Und … Menschen. Für meinen Geschmack zu viele.“ Die Stimme war dunkel wie schwarzer Samt und doch so scharf wie ein gut geschliffenes Schwert. Nach einer kurzen Pause fuhr er fort. „Was für Manieren habe ich denn? Ich bin Gu'ald. Die Menschen, die mich kennen sagen wohl 'Interese' zu mir.“ Ein Lächeln huschte über sein vernarbtes Gesicht. Doch trotz dieser Narben war es beinahe als schön und edel zu bezeichnen. „Darf man fragen, warum eine solche Gruppe, gemischt mit verschiedenen Volksrassen in dieser verlassenen Gegend herum spaziert und von Banditen und Raubkatzen gejagt wird? Das hat doch sicher einen bestimmten Grund, nehme ich an?“
Cedrik hatte sich beim Auftauchen der Fremden etwas vor Catyua geschoben, um sie mit seinem Körper vor eventuell anfliegenden Pfeilen zu schützen. Dann fiel ihm ein, dass sie sich bisher meist selbst beschützt hatte und trat wieder einen halben Schritt beiseite. Er beobachtete verwundert das seltsame Gebaren des einen, der jedem genau ins Gesicht sah. Er bemerkte das kurze Zögern bei Assasina und Rutaara und gewann den Eindruck, die beiden waren dem Fremden, der sich selbst 'Gu'ald' nannte, nicht ganz fremd. Er machte sich sogar über sie lustig. Aber als er dann auch noch die restlichen Mitglieder der Gruppe nannte und erkannte wen er da vor sich hatte, wurde Cedrik misstrauisch. Er machte zwei Schritte auf Gu'ald zu und neigte leicht den Kopf. Dann meinte er, während sich seine Augen zusammen zogen und er unbewusst tiefer zu sprechen begann:„Wer sagt Ihr, seid Ihr? Ich habe bemerkt, Euch sind Assasina und Rutaara nicht ganz so fremd, wie sie es eigentlich sein müssten. Schön, die beiden leben auch schon länger als ich. Doch woher nehmt Ihr die Gewissheit, dass der Rest aus einer Halbelbin, einem Magier – nämlich mir – und Menschen besteht? Schön, bei den Menschen habt Ihr recht. Doch sind dies auch keine normalen Menschen, sondern extrem starke und loyale Krieger. Ihr Anführer ist ein sehr mächtiger und integrer Mann. Nun sagt mir, wie kommt Ihr auf den Verdacht, denn Beweis habt Ihr keinen, dass wir beide nicht auch Menschen sind?“Cedrik verspürte wohl die Gefahr, die von diesem Interesen ausging. Aber er war auch sehr überrascht. Woher konnte dieser Gu'ald wissen, dass Catyua eine Halbelbe und er ein Magier war? Hatte dieser sie alle hier schon so lange verfolgt? Oder hatte man ihn und seine Kumpane auf die Spur der Gruppe gesetzt?Es schien, als ob keiner der anderen dies so sonderbar fand wie er selbst. Selbst Agenor, der doch sonst in allem und jedem eine potentielle Gefahr sah, nahm die Erklärungen des Fremden ohne Zweifel hin. Cedrik beschloss, ein wachsames Auge auf diesen seltsamen Mann zu haben.
„Nun Magier“, erwiderte Gu'ald. „Ich denke, Ihr meint mit 'Assasina' und 'Rutaara' die Halbelfe und die Elbe. Auf welchen Gedanken stützt Ihr Eure Vermutung, Magier? Woher ich weiß, mit welchen Rassenarten Ihr unterwegs seid? Ich bin nicht dumm und schon lange genug auf dieser Welt. Unsere Gemeinschaft kennt viele Arten und weiß, wie man sie erkennt. Eine Halbalbin hat meist ganz helle Haut und spitze Ohren – doch nicht so spitz wie die einer Elfe.“ Nun sah er Rutaara an. „Grau-bläulich dunkle Haut, sicherlich ausgestoßen vom eignen Volke, bewaffnet mit einer Einhand – und einer Zweihandwaffe deutet stark auf eine Dunkelelbe hin. Sogar ein Wolf begleitet sie – diese beiden sind ein so ungewöhnliches Gespann, dass unsere Nachkommen ihre Geschichte schon in der Nestlingszeit erzählt bekommen. Dies ist so interessant, dass man es nicht jeden Tag sieht.“ Erneut entstand eine Pause. „Und da nun die Halbelfe – dunkle Augen, das Alter und die Weisheit, die aus ihnen blitzen. Bewaffnet mit Dolchen und sonst keinerlei Waffen. Zu stolz um mit einem Schwert zu kämpfen und hat ihren Körper perfekt unter Kontrolle. Nehme ich doch an.“ Gu'alds Blick wanderte nun zu Cedrik. Sein durchdringender Blick schien direkt in Cedriks Seele zu schauen. „An deiner Stelle käme ich nicht zu nahe an mich. Mancher könnte dies missverstehen und dich angreifen – mit Pfeilen. Und es wäre schade, wenn du so jung schon sterben müsstest. Nur damit du es weißt, Magier … man erkennt euch Magier und auch Hexenmeister schon von weitem. Euer Stab und vielleicht auch noch so mancher Dolch, den ihr versteckt habt. Ich sehe es an deinen Augen und deiner Stirn. Dass du noch jung bist erkenne ich daran, dass du etwas unsicher wirkst. Darum erwarte jetzt keine ehrenvolle Anrede mehr von mir, Magier!“
Cedrik biss sich auf die Unterlippe. Der Fremde hatte ungewöhnlich tief recherchiert oder aus dem Offensichtlichen geschlussfolgert. Wäre Cedrik älter gewesen, hätte er sicher auch so forsch sprechen können. So aber war er wohl auf dem besten Weg ein starker Magier zu werden – aber vorläufig befand er sich noch in der Ausbildung. Vielleicht würde er in zehn Sonnenumläufen ein guter Magier sein. Momentan fühlte er sich eher als junger Versager.Cedrik hob seine Hände und trat zwei Schritte zurück. Wenn man es von der Seite Gu'alds rechnete, konnte Cedriks näher gehen tatsächlich als Angriffsabsicht gewertet werden. Cedriks Blick glitt zu Agenor. Er erkannte wohl dessen Angespanntheit, doch das war auch schon alles. „Nun, da Ihr meinen Stab ansprecht … was würdet Ihr sagen, wenn ich Euch verrate, dass es sich um einen Wanderstab handelt?“ Ob der Neuankömmling diese Erklärung als gegeben nahm?„Dolche? Nun ja, so könnte man meine Messerchen auch nennen“, fuhr Cedrik weiter fort und wusste nicht, sollte er sich ärgern oder die Situation mit Humor nehmen. Warum wurde er auch immer in solche Situationen gedrängt, die von ihm ein handeln verlangten, dessen Konsequenz die gesamte Gruppe zu spüren bekam? Doch er konnte von seiner Seite her diesem Gu'ald weder verbieten mit ihnen zu kommen, noch es gestatten. Die Macht dies zu tun lag nicht bei ihm – Cedrik. Cedriks Augen suchten den Blick Catyuas und als er bemerkte, mit welchen Blick sie diesen Gu'ald beobachtete, verspürte er wieder einmal diesen scharfen Stich im Herzen. Eifersüchtige Magieschüler waren jetzt wirklich das Letzte, das alle hier brauchen konnten. Aber obwohl Cedrik diesen Gedanken hatte, konnte er gegen das Gefühl in seinem Inneren nichts machen. Und da half auch nicht das Wissen, dass Catyua und er sich ihrer beider Seele teilten und dass sie beide zusammen gestorben und wieder geboren waren. „Nun, ich möchte Euch nicht zu nahe treten und ein unsinniger Angriff liegt mir nicht!“, sagte Cedrik und verdrehte innerlich die Augen. Vielleicht half es doch etwas, dass sich die Gruppe verstärkt hatte. Vorausgesetzt die Fremden würden in die Gruppe integriert. Es wurde wirklich Zeit, das Prinzenpaar endlich abzuliefern – es los zu werden.
„Ihr seid ein Narr, wenn Ihr nur mit einem Wanderstab bewaffnet wärt! Bei so einer Gruppe aus mittel stark bewaffneten Kriegern und Kriegerinnen wäre es töricht von dir, nur Dolche mit dabei zu haben! Aber ihr habt mir noch nicht verraten, was euch hierher getrieben hat!“
Agenor wusste nicht, was er sagen sollte. Es wäre sicher jetzt unklug von ihm etwas zu erwidern. Vor allem, weil Gu'ald noch immer ein Geheimnis daraus machte, wer oder was er selber war. Welche Absichten hatte er überhaupt. Agenor war noch nie so unsicher gewesen wie in diesem Moment. Und das als altgedienter Krieger. Nun ja, Reden war noch nie seine Stärke gewesen. Er überließ lieber den anderen das Sprechen, wobei sich Cedrik zwar mutig aber auch ziemlich tolpatschig anstellte.
„Warum hast du uns nicht angegriffen?“ Als Assasina merkte, dass Cedrik den „Rückweg“ antrat, hatte sie beschlossen, sich des Intresen anzunehmen.„Wir duzen uns bereits?“ Der Mann hob die Brauen, sah jedoch amüsiert aus. „Falls IHR nun Respekt von mir verlangt, seid IHR hier an der falschen Adresse!“, meinte Assasina schnippisch und kam nun zwei Schritte nach vorne. Das Wort „IHR“ zog sie unnötig in die Länge und betonte es abfällig.Der Mann schürzte die Lippen, öffnete den Mund, schloss ihn wieder und lächelte abermals schmierig. Dann jedoch öffnete er erneut den Mund.„Wir töten doch nicht alles, was uns über den Weg läuft. Die dort griffen wir an, weil es Banditen waren. Ich erkannte das daran, weil …!“„Schon gut“, unterbrach ihn Assasina. „Mittlerweile haben wir schon mit bekommen, dass du wahnsinnig tolle Augen hast. Doch wollte ich wissen warum ihr UNS nicht angegriffen habt!“„Wir wollten euch nur helfen – mit den Banditen. Und ich möchte gerne wissen, was ihr hier wirklich macht.“„Aber ich habe zuerst gefragt!“, äffte Assasina spöttisch, wurde jedoch gleich darauf wieder ernst. Dieser Mensch – sollte er einer sein – raubte ihr den letzten Nerv. „Ich hasse es, Verhandlungen zu führen, bei denen man schon zu Beginn weiß, dass sie ins Nichts führen. Wir haben keine Zeit für so etwas. Wir sind auf dem Weg zum König!“„Zu DEM König? Was wollt ihr dort?“„Wie viele Könige kennt Ihr denn?“ Die Elfe verdrehte nun schon ziemlich genervt die Augen. Dieser Kerl war ja noch anstrengender als Cedrik! „Wir wollen sein Schloss erobern und einen Monat lang seinen Thron besetzen und Prinzessin spielen!“Gu'ald machte erst große Augen, dann jedoch ahnte er, dass er eben einem Scherz begegnet war. „Wir sind euch nicht feindlich gesinnt. Wir wollen euch nichts tun, doch wissen wir nicht, wie es mit euch steht. Vielleicht seid ihr ja eine Gefahr für euch und uns und diese Gegend hier.“Plötzlich mischte sich wieder Cedrik ein. „Wir wollen auch nichts böses, nur unsere Reise fortsetzen. Wir sind auf dem Weg in die Hauptstadt um den Prinzen …!“Assasina trat ihm – hoffentlich – unbemerkt auf seinen Fuß. Danach fuhr sie fort:„ … unsere Dienste anzubieten. Als Geschenk, nachdem er ja aus der Gefangenschaft befreit wurde.“Assasina hielt es nicht für sehr klug, den Fremden zu sagen, dass sich das Prinzenpaar unter ihnen befand.„Ach … der Prinz und die Prinzessin wurden bereits befreit?“ Gu'alds Blick wurde nachdenklich. „Gut! Wir werden euch begleiten!“ Und seine Stimme ließ keinen Protest mehr zu.
„Schön“, murmelte Catyua. „Und wer garantiert uns Eure ehrenhaften Absichten?“ Sie war sich sicher, es so leise gesagt zu haben dass es Gu'ald nicht gehört haben konnte. Und trotzdem wartete sie auf eine Antwort. Wer wusste schon, welche Geheimnisse dieser seltsame Kauz noch beherbergte.
Cedrik knirschte mit den Zähnen, als Assasina mit einem Schritt seinen Fuß in den Staub des Weges drückte. Man sah dieser Elfe ihre Kraft nicht an, doch seine Zehen konnten nun ein anderes Lied davon singen. Kurz hatte er das unangenehme Gefühl, sie würden innerhalb von Sekunden anschwellen und den Schuh sprengen. Doch als sie nichts dergleichen machten, konzentrierte er sich wieder auf das Gespräch. Cedrik vernahm wie Assasina seinen dummerweise begonnenen Satz beendete und konnte sich eines leisen Lachens nicht erwehren. Sie besaß zwar einen bizarren Humor, aber trotzdem Humor.Aber langsam fragte sich Cedrik, was Gu'ald davon hatte, sie alle hier diesem sonderbaren Verhör zu unterziehen. Cedrik wischte sich das Lachen aus dem Gesicht, dann verengten sich seine Augen und er öffnete den Mund … schloss ihn gleich darauf wieder, als Catyua ihre Frage stellte. Aber kaum war diese von deren Lippen geschlüpft, öffnete Cedrik erneut den Mund und fragte:„Warum ist Euch das so wichtig, was oder wer wir sind und was unser Vorhaben ist? Seid Ihr mit Euren Männern hier, um Wegezoll zu verlangen? Oder gehört euch dies Stück Land, durch das wir hier – spazieren?“Obwohl Cedrik diese Fragen stellte, erwartete er eigentlich keine wahrheitsgemäße Antwort. Und dass sie diese Intresen begleiten wollten verursachte ihm gelinden Schauder. Cedriks Blick glitt zu Sternenlicht, der sich wieder zu den anderen Pferden gesellt hatte und neben der braunen Stute stand, auf deren Rücken die Prinzessin saß und scheinbar im Gedanken versponnen schien. Da Sternenlicht keinerlei Interesse an den Neuankömmlingen zeigte, konnte die jetzige Situation nicht allzu gefährlich sein. Cedrik wusste nicht viel über die Gefühle seines Einhorns „normalen“ Pferden gegenüber, doch er konnte sich erinnern, dass Sternenlicht schon öfters in der Nähe dieser Stute gewesen war.
Gu'ald sah nach hinten zu seinen Leuten und gab ihnen ein Zeichen, nicht zu schießen. Denn als Assasina zwei Schritte auf ihn zu machte, begann die Aktion gefährlich zu werden. „So ist das also? Skrupellos auch noch. Wieso wir euch nicht angegriffen haben? Weil ihr für uns eigentlich keine Gefahr darstellt. Und … warum sollten wir unsere Pfeile und Schwerter mit eurem Blut tränken?“, erwiderte Gu'ald forsch. „Und für uns ist auch klar, dass ihr uns nichts 'böses' wollt. Wir haben euch Dienste erwiesen, indem wir eure Feinde – die hinter euch her waren – vernichtet haben. Wir hätten euch auch ebenso gut gefangen nehmen können und dann an sie ausliefern. Dass wir uns bereits duzen, ist mir klar. Doch wollen wir höflich bleiben – oder nicht Rutaara … Assasina?“
Bald fühlte Cedrik, wie Ungeduld in ihm hoch stieg. Was wollte dieser Gu'ald wirklich von ihnen? Wollte er sie wirklich vor Banditen und anderem Gesocks schützen? Oder kochte er nur sein eigenes Süppchen unter dem Vorwand der Hilfsbereitschaft? Doch was auch immer die Tatsächlichen Beweggründe waren, Cedrik gedachte diesem Spiel nun ein Ende zu machen. Er hatte schon einmal einen Schutzzauber gewoben. Damals, als dieser Dämon Votan Assasina und auch eigentlich sie alle bedroht hatte. Und einen Naturzauber zu weben erforderte nicht mehr Können, als die Magiehülle damals.Cedrik hielt inne. War das wirklich schon so lange her? Waren es nicht erst wenige Wochen? Was war dazwischen schon alles passiert? Cedrik gab sich einen gedanklichen Stoß, dann überschlug er rasch die Chancen die sie hatten, wenn er seinen zauber wob. Diese standen nicht schlecht. Außer Gu'ald hatte die Absicht, seine Männer auf sie zu hetzen. Nun der Zauber würde es ans Licht bringen.Kurz überlegte Cedrik welchen Zauber er wohl anwenden könnte. Nach seiner gefühlten Kraft, die sich scheinbar vollständig regeneriert hatte und nach seinem Wissensstand könnte er sowohl Wind, als auch Nebelzauber weben. Wobei der Nebel noch die leichteste Übung war. Dazu musste er bloß …!Cedrik hielt sich nicht weiter mit dem Gedanken daran auf. Er hob den Kopf und sah dem Intresen ins Gesicht. Dann stellte er seine für alle in der Gruppe wichtige Frage:„Was wollt Ihr wirklich? Denn dass Ihr uns vor unseren Feinden schützen wollt, ist nicht der wirkliche Grund. Wollt Ihr und Eure Männer dort uns begleiten? Um … was zu tun?“Du bist also doch misstrauisch, Magier. Gut! Nein, meine Männer folgen euch und mir in so großem Abstand, dass sie nicht weiter relevant sind. Sie sind für uns … und dazu zähle ich auch jetzt mich … sozusagen die Rückenverstärkung. Zufrieden?“Nun, Cedrik war dies ganz und gar nicht, doch er nickte. Dass dieser Gu'ald nicht die Wahrheit gesagt hatte, erkannte Cedrik an Kleinigkeiten der Mimik und Körpersprache des Anderen. Aber das war Cedrik schon vorher klar gewesen. Wieder einmal ärgerte er sich, dass er nur Gefühle verspüren konnte und keine Gedanken. Dann wäre es ein Leichtes, den Mann unter Aufsicht zu halten. Doch dass die Männer von Gu'ald der Gruppe folgten, das wenigstens würde Cedrik verhindern. So trat er einen Schritt zurück und begann sich zu konzentrieren. Am Rande bekam er mit, dass sich Assasina mit Gu'ald zu unterhalten begann. Nach wenigen Sekunden hörte es sich allerdings nach beginnendem Streit an. Das war das Letzte, das sie alle hier gebrauchen konnten. Cedrik begann den Zauber zu verstärken. Seit der Erweckung dieser Elementarkraft in ihm standen ihm komplexere Kräfte zur Verfügung. Und so dauerte es auch nicht lange, bis sich die Sonne verdüsterte und sich Nebel zwischen den Bäumen erhob. Erst waren es nur wenige Fetzen und so dünn wie ein Gespinst. Doch er verdichtete sich rasch und Cedrik bemerkte trotz seiner Konzentration, dass die anderen sich unruhig bewegten. Abermals wurde er etwas in seiner Konzentration gestört, als Gu'alds Stimme sie durchbrach.„Na, nun macht euch nicht gleich in eure Rüstungen, ist doch bloß Nebel! Der kommt hier alle Naselang vor. Und meinetwegen könnt ihr eure Reise fortsetzen! Meine Leute, wie gesagt, bleiben weit hinter euch!“Cedrik verstärkte erneut die Nebelwand. Er konnte sich ein belustigtes Grinsen gerade noch verkneifen. Woher sollte dieser Intrese Gu'ald auch wissen, dass Cedriks Nebelwand hinter der Gruppe eine starke Kompaktheit erhalten hatte und die Gruppe einhüllte, mit ihr kam und so die restlichen Intresen von Gu'ald trennte. Denn sie würden, wollten sie trotz des Nebels folgen, nichts mehr von der Gruppe sehen oder hören.Cedrik hoffte nur, dass genug Boden- und Luftfeuchtigkeit vorhanden war, die den Nebel speisen konnte. Und bis man den Wüstenstreifen „Sol - Mare“ erreichte, sollten die Nachfolger bereits die Gruppe aus den Augen verloren haben. Wenn alles gut ging und die Feuchtigkeit so weit reichte. Und nicht wieder diese lästigen Feuerdämonen dazwischen kamen, oder gar schlimmeres. Dämonendrachen – eventuell! Obwohl diese sicher ins Reich der fabeln gehören. Seit tausenden von Jahren hatte man von keinem Gerrek mehr gehört oder gar einen gesehen. „Lasst uns von hier verschwinden. Sonst finden wir im Nebel unseren Weg nicht“, konnte sich Cedrik nicht verkneifen zu sagen. Er sah den Nebel als leuchtende Spirale, die sich langsam um die Gruppe drehte. Seltsamerweise war der Nebel dort, wo die Gruppe und auch Gu'ald und die Pferde waren, überhaupt nicht vorhanden. Doch niemand fiel dies auf. Cedrik grinste. Wie gesagt … eine der leichtesten Zauberübungen.
Catyua wollte sich in diese „Gu'ald – Geschichte“ nicht noch weiter einmischen. Nachher würde sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden, weil jemand – womöglich der Intrese selbst – der Ansicht war, ein junges Mädchen sollte sich aus solcherlei Angelegenheiten nicht einmischen und heraushalten. Aber sie machte sich so ihre Gedanken.Natürlich war sie froh, wenn er sie unterstützen wollte und sie war auch bereitwillig dazu es zu glauben, denn genau wie Agenor gab Gu'ald ihr ein Gefühl von Vertrauen und Sicherheit. Bei Cedrik war dieses Gefühl natürlich ebenso vorhanden, doch dies war etwas anderes. Denn in diesen Momenten, wo sie nicht in seiner Nähe war, spürte sie seine Abwesenheit nicht nur beinahe körperlich, sondern fühlte ein Ziehen. So, als würden Haken unter ihre Haut getrieben, die sie kräftig in seine Richtung zogen. Dann kam der Nebel! Gu'ald, der sie nun begleitete, riet ihnen allen doch wohl Ruhe zu bewahren. Der Nebel käme hier öfter vor. Doch dies war alles andere als eine natürliche Erscheinung – das Mädchen war sich sicher, dass er magischen Ursprungs war. Vielleicht vermittelten ihre Sinne ihr diese Eingebung – doch sie war sich nicht sicher. Jedenfalls machte sie sich erst einmal auf in die Richtung ihres Geliebten, um ihn danach zu fragen.Er blickte überrascht auf, als sie dicht an ihn heran trat und dann legte sich ein Lächeln auf sein Gesicht.
Assasina beschloss zu schweigen. Der Streit mit diesem Mann brachte ihr genauso viel wie der Kampf gegen eine Windmühle. Er war stur, egoistisch, überheblich, arrogant, eingebildet und absolut nicht diskussionsfähig – also ungefähr so wie sie. Und dies veranlasste sie zu schmollen. Während sie weiter gingen, grinste sie über den Nebel. Zwar hatte sie Cedriks Zauber nicht gesehen, aber die Art wie Catyua mit ihm sprach, verriet ihr einiges.„Wie seid Ihr zu dieser Gruppe gestoßen?“ Gu'ald, der sie nun plötzlich wieder ansprach, wählte jetzt einen sanfteren Tonfall. Doch dieser machte ihn ihr nicht sympathischer. Assasina verdrehte die Augen, antwortete nicht und beschleunigte ihre Schritte. Gu'ald ließ sich nicht abschütteln. Offenbar hatte er es darauf abgesehen, sie zu nerven. „Habt Ihr Angst davor, mit mir zu reden?“'Als wäre ich ein kleines Kind' schoss es Assasina durch den Kopf und sie schürzte die Lippen. Immer noch bemüht diesen Menschen zu ignorieren. Nur noch einige Schritte trennten sie jetzt noch von Cedrik und Catyua. „Die Beiden sind ein nettes Paar!“ Seine Stimme war nur knapp hinter ihrem Ohr und Assasina, die nun endgültig ihre Nerven verloren zu haben schien, wirbelte herum.„Entschuldige, aber ich versuche gerade in Frieden zu atmen. Falls dein Mitteilungsdrang wirklich so unbezwingbar ist, dass du es nicht einmal fünf Minuten aushältst, ohne ein Geräusch von dir zu geben, dann versuche dich doch mit dem Pferd dort zu unterhalten! Das wird auch bestimmt mehr Interesse für dich an den Tag legen, als ich!“ Die Elfe warf ihm noch einen giftigen Blick zu, dann wandte sie sich wieder um und ging weiter. „Ja, vermutlich, doch bei Euch habe ich immer noch die Erwartung, dass ich früher oder später doch noch zu einer Antwort komme!“Assasina konnte sein schmieriges Grinsen beinahe hören, machte einen großen Schritt nach vorne, packte Catyua am Handgelenk, zog sie nach hinten und stieß sie in Richtung Gu'ald.„Jetzt bist du an der Reihe, dich mit ihm herum zu schlagen“, flüsterte sie ihr noch kurz ins Ohr und machte danach zwei schnelle Schritte vor zu Cedrik, der sich gerade zu seiner Geliebten umgewandt hatte. „Keine Sorge, ihr passiert schon nichts. Aber ich werde sicher nicht alleine Babysitter spielen. Also … schönes Wetter heute nicht wahr? Schade nur, dass es derzeit etwas neblig ist!“ Die Elfe grinste und hakte sich bei dem Magier ein.
„Äähh … was?“, stammelte Catyua, als sie sich plötzlich dem redefreudigen Neuzugang gegenüber sah. „Ich ...“, wandte sie sich hilflos nach Cedrik um, aber den hatte Assasina bereits weg geschleppt. Um nicht allzu unhöflich zu erscheinen, wandte sie sich wieder zu Gu'ald, der sie erwartungsvoll ansah. Dann begann er:„Ich wusste gar nicht, dass sie heute schon so junge Mädchen in ihre Gruppen aufnehmen, das ist ja wirklich … beeindruckend!“ Catyua hatte kurz den Eindruck, er wollte etwas anderes sagen, doch sie antwortete nur mit:„Schön!“„Und dann auch noch solche, die bereits versprochen sind. Nein wirklich, das hätte ich nicht gedacht.“„So...?“„Würde es dir etwas ausmachen ...“, fragte er leicht pikiert, „ … mir in vollständigen Sätzen zu antworten?“„Ja?“ Stumm flehte Catyua um Hilfe bei diesem ihr so unerwünschten Gespräch, lief aber geduldig weiter neben dem redenden Intresen her.
Cedrik musste gegen seinen Willen grinsen, als Assasina das 'schöne Wetter' erwähnte und im gleichen Atemzug sich über den Nebel mokierte. Diese Elfe war ein besonderes Wesen. Sie hatte bisweilen zwar einen bisswütigen Humor an sich, doch konnte sie auch sehr lustige Aussagen machen. Kurz spürte Cedrik ein Lachen in sich hoch steigen, doch er unterdrückte es sofort, als er an sein Lachen dachte, das ihn in die Bewusstlosigkeit getrieben hatte. Cedrik nickte nach einigen Sekunden und meinte dann, noch immer mit Grinsen in seinem Gesicht:„Ja, ohne den Nebel könnte man wirklich die schöne Gegend bewundern!“ Und nun konnte er nicht mehr anders, das Lachen perlte aus seinem Mund, obwohl er sich sofort die Hand drauf schlug. Er warf einen raschen Blick zu Catyua nach hinten und deren Begleiter. Er bemerkte ihr unglückliches Gesicht und den Eifer Gu'alds, der seine unfreiwillige Begleiterin in Grund und Boden zu reden schien. Unwillkürlich wollte sich Cedrik aus Assasinas Griff befreien, doch diese fasste fester zu und ließ ihn nicht von ihrer Seite. Noch immer drehte sich die Nebelspirale langsam und fein leuchtend um die bewegliche Gruppe. Cedriks nächster Blick galt dem Prinzenpaar. Der Prinz hielt seinen Kopf gesenkt und seine Gattin sah sich immer wieder äußerst unruhig um. Hatte sie Angst oder gar die Hoffnung verfolgt zu werden? Oder machte ihr nur der Nebel so eine Besorgnis? Weil er um die Gruppe herum war und nicht auch mitten unter ihnen?Cedrik sah sich nach Rutaara um, doch die ging in Begleitung ihres Wolfes etwas schräg hinter Agenor und damit vor Cedrik. Rutaara schien der Nebel nicht zu besorgen. Im Geheimen beglückwünschte sich Cedrik dazu, gerade den Nebel als Schutz gewoben zu haben. Er war einfach zu erstellen und fiel nicht als Zauber auf. Zumindest nicht allzu sehr. Cedrik dachte kurz an seinen Meister. Er vermutete, wenn dieser ihn jetzt hier so sehen könnte, würde er sicher stolz auf seinen Ziehsohn und Schüler sein.Nach Beendigung dieses Abenteuers würde Cedrik ohne Verzug den Abschluss machen und die nächste Magiestufe erklimmen. Schlimmer als die Herausforderungen denen er hier ausgeliefert war, konnte diese Prüfung auch nicht mehr sein.
„Gut, so dankt man also einem Mann, der euch allen das Leben gerettet hatte!“, rief der Intrese vor sich hin. „Und wird außerdem noch abgewiesen und Fragen werden nicht beantwortet!“ Dabei schaute Gu'ald Assasina an. Bewusst, dass sie gemeint war verfestigte sie unbewusst den Griff an Cedriks Arm bis es ihn schmerzte. Sie murmelte auch etwas in dem Sinne: „Du kannst uns gerne verlassen“ und „Niemand schert sich um dich“. Mit einem Seufzen ging Gu'ald nun einige Minuten schweigsam daher. Assasina, die nun zufriedener wirkte, dass Gu'ald endlich mal still war, wurde gleich darauf enttäuscht, als er erneut begann eine Frage zu stellen.„Wohin soll denn eigentlich die Reise der werten Herrschaften gehen?“
Unwillkürlich nickte Cedrik, als er bei diesem Gedanken angekommen war. Er sah sich verwundert und wie erwachend um, als der neue Begleiter plötzlich schwieg. Sollten diesem etwa die Worte ausgegangen sein?Aber es dauerte nicht lange, da begann er erneut zu fragen. Und Cedrik verdrehte – langsam leicht genervt – die Augen. Das konnte ja noch heiter werden mit diesem Plaudertäschchen. Da sonst keiner etwas sagte, meinte Cedrik endlich, nachdem er seine beabsichtigte Antwort lange hin und her gedreht hatte:„Warum so neugierig? Ihr kommt ja schon mit uns mit. Dann werdet Ihr sehen, wo unser Ziel liegt!“Es schmeichelte Cedrik etwas, dass Gu'ald, der scheinbar mit vielen verschiedenen Volksstämmen schon zusammen getroffen war – sonst könnte er nicht diese Bestimmtheit an den Tag legen, wer was von ihnen war – ihn als vollwertigen Magier tituliert hatte. Nun ja, auf den ersten Blick sah man einen echten und ausgebildeten Magier auch nicht sein wahres Alter an. Jeder konnte es mehr oder weniger verbergen. Es belustigte Cedrik nun etwas, dass der Intrese das auch von ihm annahm. Was würde Gu'ald wohl machen, wenn er wüsste, dass Cedrik nicht bloß wie siebzehn Lebensjahre aussah, sondern auch so alt war? Cedrik würde ihn sicher nicht darüber aufklären, denn dies wäre eine zu große Gefahr für die Gruppe. Soweit konnte Cedrik sich das vorstellen. Und wie er Gu'ald einschätzte, würde dieser sofort auf die Tatsache zurück greifen, dass Cedrik noch im Lernen begriffen war.
„Ich weiß jedoch im Allgemeinen gerne genau, wohin mich meine Reise führt“, sagte Gu'ald mit dieser enervierenden, langgezogenen Stimme und Assasina krallte sich noch tiefer in Cedriks Arm, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Doch das nutzte nichts. „Wir gehen direkt zur Hauptstadt, Richtung Osten. Es sei denn, die Stadt hat plötzlich eine Atemwegserkrankung bekommen, sich sechs Beine wachsen lassen und ist Richtung Meer spaziert. Wegen der guten Luft dort. Dann müssen wir uns wohl eher etwas mehr gen Süden richten!“Assasina war stehen geblieben, was Catyua zum Anlass nahm sich von Gu'ald los zu reissen und zu Cedrik zu eilen. Ein Zischen drang aus Assasinas Mund. Natürlich war es wieder mal an ihr hängen geblieben, die Drecksarbeit zu machen. Wo war Rutaara eigentlich?Gu'ald hakte sich plötzlich bei der Elfe ein und zog sie mit festem Griff neben sich her. Während er ihr etwas von Respektlosigkeit erzählte – oder sprach er von einem Gemüseeintopf - begutachtete Assasina seinen Hals und überlegte sich wie es wohl sei, ihre Schlangenzähne in sein Fleisch zu rammen. Diese Idee schien ihr gar nicht so abwegig, wie sie anfangs dachte …Der Schrei eines Falken holte sie aus diesen Gedanken zurück und ihr fiel erst jetzt auf, dass der Nebel um sie herum dichter geworden war. Und das war nicht allein Cedriks Werk, denn das dichte Weiß breitete sich nun auch zwischen der Gruppe aus.
Cedrik biss die Zähne zusammen. Dann meinte er leise zu Assasina:„Noch ein wenig mehr und Ihr steckt in mir!“ Doch zu einer Antwort kam es nicht mehr, als Gu'ald sich plötzlich in die Elfe einhakte, sie von Cedriks Arm zog und etwas zu ihr sagte mit einer seltsam hoch gezogenen Stimme. Was es war konnte und wollte Cedrik nicht hören. Er atmete erleichtert auf, als er von Assasina Klammergriff befreit wurde und sich nun Catyua an ihn schmiegte. Unwillkürlich legte er ihr den Arm um die Schultern und zog sie eng an sich.„Geht's dir gut?“ fragte er sie und hauchte einen zarten Kuss auf ihre Stirn. Sie hob den Kopf und ließ ihn wieder einmal in ihren Augen versinken. Doch dieses stille Glück dauerte nicht lange. Irgendetwas wurde …. anders!Wie ein Erwachender sah sich Cedrik um, nachdem er sich von Catyuas Augen gelöst hatte. Er bemerkte den Nebel, der sich zwischen die einzelnen Mitglieder der Gruppe drängte. Das Leuchten der magischen Nebelspirale hatte nachgelassen und war beinahe nicht mehr zu sehen. Das was wie Fetzen zwischen den Füßen von Wesen, Pferde und Einhorn drängte, war echter Nebel. Wo kam dieser denn so plötzlich her?„Zusammen bleiben! Der Nebel wird dichter!“, rief Cedrik und war sich sicher, dass es ihm eigentlich nicht zustand, diese Worte zu sagen. Agenor war der Führer der Gruppe. Doch dieser ging weiter, ohne etwas dagegen zu sagen. Wahrscheinlich war es selbstverständlich für ihn und seine Krieger, dass die Gruppe zusammen blieb. Cedrik jedoch hatte den fatalen Eindruck, als wollte der bereits dichter werdende Nebel die einzelnen Gruppenteile voneinander trennen. Langsam stiegen die Nebelschwaden höher und umhüllten nun schon jeden einzelnen. Der Hufschlag der Pferde wurde gedämpfter und unwirklicher. Cedrik sah sich wachsam um, doch sein Magienebel war erloschen. Dies hier … war echter Nebel. Eigentlich hätte er gar nicht erscheinen und durch den von Cedrik kreierten Nebel zwischen die Gruppe eindringen dürfen. Es sei denn …!
'Ouh – ohhh', dachte sich Gu'ald. Nicht etwa ein …! Er erkannte, dass auch der Magier beunruhigt wurde. ' Er weiß es also auch. Ist doch klar, als Magier!' ging der Gedanke des Intresen weiter. Ob er das der Gruppe sagen würde? ' In welcher Magiestufe er wohl sein mag? Und wie alt er wohl war?', dachte er sich. Aber jetzt war definitiv nicht die Zeit, um sich darüber Gedanken zu machen. Seine Krieger waren ihnen auf der Spur, sie würden sie allerdings nicht mehr finden können, da der Nebel immer dichter wurde. Und was die Gruppe noch nicht wusste war, dass weiter vorne der Nebel so dicht war, dass sie nichts mehr sehen konnte. Ihm kam eine Blitzidee. Wenn der Magier die Magiestufe Fünf erreicht haben sollte, war er imstande, dem Nebel Einhalt zu gebieten und ihn sogar gänzlich verschwinden zu lassen. Dies wollte er gleich erwähnen, sobald der richtige Augenblick gekommen war.
Agenor nahm das Anführen der Gruppe nun selber in die Hände, man könnte sich ja abwechseln. Doch jetzt war wohl die beste Entscheidung, wenn er sie anführte. Da er ein ausgebildeter Krieger war und sich im Nebel wesentlich besser auskannte als einige andere. Das war seine Meinung und keiner hatte bisher Einspruch dagegen erhoben. Agenor, der Gu'ald nicht so richtig traute, ließ es aber den anderen überlassen, ein wachsames Auge auf ihn zu behalten. Er hatte ja schließlich inzwischen noch nichts böses angerichtet. Auch wenn sich alle einig waren, dass er eine Gefahr für sie sein könnte, mussten sie sich alle eingestehen, dass sie jetzt wohl tot wären wenn er mit seinen Kriegern nicht gekommen wäre. Selbst Agenor musste sich eingestehen, dass die Gruppe einen riesigen Vorteil hätte, wenn sie angegriffen würde und einen Intresen als Verbündeten hatte. Einen strategisch starken Vorteil! Noch dazu, wenn Gu'ald ein Anführer war. Agenor überlegte, was Gu'ald wohl von der Gruppe brauchen würde. Die Gruppe besaß nichts kostbares – ausser vielleicht das Prinzenpaar. Doch er würde sicher nicht auf die Idee kommen, dass sie den Prinzen samt seiner Gattin zum Talkönig bringen wollten. Auch wenn – Agenor würde lieber mit seinem Leben zahlen, als Gu'ald das Prinzenpaar zu übergeben. Kurz dachte Agenor hartnäckig daran, dass andere Intresen kommen könnten, doch diese Idee verschwand sofort wieder aus seinem Kopf.
Assasina blieb abrupt stehen, was auch den Intresen dazu zwang, ebenfalls anzuhalten.„Was denn?“, zischte er. Er machte jedoch keine Anstalten sich von ihr zu lösen.„Hörst du das?“, flüsterte Assasina und spitzte die Ohren. Der Mann neben ihr machte es ihr gleich.„Ich … höre nichts“, meinte er gleichgültig und wollte wieder weiter gehen, aber Assasina hielt ihn auf.„Eben! Es ist NICHTS zu hören. Keine Schritte, kein Hufschlag, keine Stimmen, keine Vögel … einfach NICHTS!“Der Intrese horchte nun noch einmal auf, diesmal jedoch aufmerksam. Zum ersten Mal schien sich Ernst in seinem Gesicht zu spiegeln und zum ersten Mal war er endlich einmal still.„Hier entlang“, sagte Assasina bestimmt und zerrte den Mann nach rechts, was sie jedoch zwei Sekunden später für ziemlich dumm von sich hielt. Sie hätte ihn doch einfach im Nebel, mitten auf dem Weg stehen lassen können. Aber sie zog ihn weiter mit sich – in Richtung der Bäume. Diesmal war er es, der abrupt stehen blieb und sie so zum Anhalten zwang.„Seid Ihr wahnsinnig? Solange wir auf dem Weg bleiben, können wir die anderen nicht verlieren. Einfach geradeaus … irgendwann lichtet sich der Nebel schon – und alles ist wieder in Ordnung!“Assasina widmete ihm einen herablassenden Blick.„Dir ist schon klar, Intrese, dass deine Männer uns nicht mehr folgen? Die haben unsere Spur schon vor einigen Meilen verloren. Ich wollte dich nur darüber informieren, falls du die Hoffnung gehegt hattest, dass sie dich aus einem etwaigen Hinterhalt erretten könnten!“„Und jetzt erklärt mir, warum ich Euch nun folgen sollte?“„Gut! Dann nicht! Wunderbar!“ Die Elfe wollte sich eben aus dem Griff des Mannes befreien, als ein Pfeil nur knapp an ihrem rechten Ohr vorbei flog. Keiner der beiden hatte ihn kommen hören. Nun sahen sie sich kurz entgeistert an, bevor sie gleichzeitig los liefen. Direkt in den komplett mit dem Nebel eingehüllten Wald. Sie hielten sich wie erschrockene Kinder an den Händen, um sich nicht aus den Augen zu verlieren. Was zweifellos passiert wäre, denn obwohl der Mann verflixt schnell laufen konnte, konnte er doch nicht mit der Geschwindigkeit einer – wenn auch nur halben – Elfe mit halten.
Obwohl Cedrik seiner Umgebung mehr Aufmerksamkeit widmete als Catyua neben sich, wurde er vom plötzlichen Verschwinden Assasinas und des Intresen völlig überrascht. Ehe er etwas sagen konnte, waren die beiden im Nebel verschwunden. Cedrik runzelte seine Stirn. Was hatte die Elfe wieder vor? Und wieso – bei den Göttern – war der Nebel schon wieder dabei, dichter zu werden?Cedrik schrak zusammen, als dicht zwischen ihm und Catyua ein Pfeil vorbei zischte und in der Hinterhand eines der Pferde stecken blieb. Dieses wieherte schrill auf und stieg in die Höhe. Dann raste es davon und mitten in den Nebel hinein. Unglücklicherweise war es eben dieses Pferd, welches die Vorräte trug. Was sollte Cedrik machen? Er hatte noch nicht die Magiestufe erreicht, die es ihm erlaubte, den Nebel zu vertreiben. Doch er konnte …Cedrik schloss kurz die Augen – aber dies war keine so gute Entscheidung. Denn er stolperte gleich darauf über eine aus dem Weg ragende Wurzel. Also musste er seine Konzentration ohne geschlossene Augen finden.Er schloss die bewussten Eindrücke um sich herum aus und konzentrierte sich auf die umgebenden Luftströmungen. Langsam versuchte Cedrik sie in Bewegung zu setzen. Da er seine neue Kraft noch nicht so gut beherrschte, dauerte es für sein Gefühl endlos lange, bis sich wenigstens ein kleines Lüftchen erhob und den Nebel in seltsame spiralige Formen trieb. Doch statt lichter zu werden, schien er sich noch weiter zu verdichten. Selbst als das Lüftchen zu einem leichten Wind anschwoll und schließlich mit mehr Kraft in den Nebel fuhr. Der Nebel wich nicht – im Gegenteil – er zog sich dichter zusammen. Aber so sehr Cedrik auch Wind erzeugte, der Effekt wurde umgekehrt. Aber dass Magie hinter dem Nebel steckte, konnte Cedrik nicht erkennen.Wieder zischte ein Pfeil zwischen ihm und Catyua vorbei und diesmal blieb er zitternd in einen Baumstamm stecken. Cedrik packte Catyua bei der Hand und rief:„Runter vom Weg und hinter die Bäume!“ ob ihn jemand gehört hatte, das wollte er lieber nicht abwarten darum lief er gleich los. Der dichte Nebel hätte Cedrik sowieso die Sicht auf die Anderen verwehrt. Zu allem Übel begann der Nebel nun auch noch seine Feuchtigkeit zu verlieren. Innerhalb kurzer Zeit spürte Cedrik wie ihm der leichte Nieselregen über den Rücken lief. Mit Bedauern dachte er an seine Rüstung, die ihn jetzt wohl geschützt hätte. Doch diese war schon seit längerer Zeit zerstört und verloren.
Agenor führte die Gruppe an, bis er mehrere Pfeile auf sich zufliegen hörte. Einer seiner Krieger schien getroffen worden zu sein, denn er fiel mit einem dumpfen Ton zu Boden. Die Krieger schlossen sich nun enger um das Prinzenpaar, nahmen es mehr in ihre Mitte und rannten zu den Bäumen. Je einer hielt die Zügel fest und zwangen das Paar auf ihren Pferden mit sich zu kommen. Ein scharfer Schmerz durchzuckte Agenor, als einer der Pfeile ihn an der rechten Schulter traf. Seinem Befehl folgend schützten die Krieger das Prinzenpaar ohne sich um ihren Anführer zu kümmern. Er war jetzt erst auf sich gestellt. Allein – im Nebel. Der Feind näher als ihm persönlich recht war. Wobei Agenor keine Ahnung hatte, wer oder was dieser Feind war. Agenor stürzte und kurz zuckte der Gedanke durch seinen Kopf, dass dieser Pfeil vergiftet sein könnte. Er schüttelte diesen Gedanken ab und atmete einmal tief durch. Was ein großer Fehler war. Der Schmerz sprang ihn an wie ein Tiger die beute. Agenor biss die Zähne zusammen bis sie knirschten. Langsam kroch er vorwärts in die Richtung, in der er die Bäume vermutete. Er hatte keine Ahnung wo genau er sich befand. Er hatte jegliche Orientierung verloren, was ihn seines Wissens nach noch niemals passiert war. Er wusste nicht ob er zu den Bäumen kroch oder gar in Richtung des unbekannten Feindes. Dass er doch noch seiner Orientierung trauen konnte, merkte er als er einen Baumstamm spürte. Agenor versuchte sich am Stamm hoch zu ziehen. Im Falle eines Angriffs könnte er so besser Widerstand leisten.
Gu'ald erschrak innerlich, als Assasina seine Hand ergriff und ihn Richtung der Bäume zog. Doch war er von dieser Berührung nicht sehr begeistert. Da die Elfe jedoch ihre Kraft einsetzte und er selber auch etwas in Panik war, folgte er ihr beinahe freudig.'Ich dachte, sie sei zu egoistisch um so etwas zu tun. Aber sie hat doch Gruppeninstinkt!' zuckte es durch Gu'alds Kopf, während er hinter Assasina herlief. Er war sich ziemlich sicher, dass sie ihn nicht verlieren wollte, denn das hätte auch fatale Folgen für ihn als Intresen gehabt, wenn man angegriffen wurde. Das war wohl auch der Grund, dass Assasina seine Hand ergriffen hatte …!
Unter den Bäumen angekommen, entglitt Catyuas Hand aus der von Cedrik. Sie verschwand dadurch mitten im auch hier dichten Nebel. Erneut zu rufen wollte cedrik nicht wagen. Wo die anderen waren, wusste und sah er nicht. Derzeit kam er sich vor, wie ein einsamer Wanderer, der auf einer vom Nebelmeer umfluteten Insel war. Wodurch er nicht erkennen konnte, wie groß diese Insel war und ob nicht zwei Schritte vor ihm ein Abgrund klaffte.Kurz verspürte Cedrik einen scharfen Schmerz in seiner Schulter und sein erster Gedanke war, dass ein Pfeil auch ihn getroffen hatte. Doch so sehr er sich auch an die schmerzende Stelle griff und seine Hand wieder unter die Augen hielt, ausser Feuchtigkeit die vom Nebel stammte, konnte er keinerlei Blut entdecken.Sollte diese der Schmerz von jemand anderem sein? Aber wer war hier verletzt? Cedrik konzentrierte sich unwillkürlich auf diesen Schmerz und ein sanfter Zug nach links machte sich bemerkbar. Vorsichtig – die Hände vor sich gestreckt – machte er sich langsam auf den Weg, immer diesem Zug nach. Ging er in die richtige Richtung, verstärkte sich der Zug und auch der Schmerz. Wich er von der Spur ab, wurde dieser seltsame Schmerz leichter. Kurz wunderte sich Cedrik, dass er momentan wie eine lebende Schmerzfährte wirkte. Dann jedoch hatte er den Grund des Schmerzes erreicht. Am Fuß eines in etwa Kopfhöhe abgebrochenen Baums saß Agenor und hielt sich die rechte schulter. Zwischen seinen Fingern, die Cedrik seltsamerweise trotz des Nebels erkannte, quoll Blut hervor und tropfte in rascher Folge auf die Beinschienen von Agenors Rüstung. Cedrik ließ sich vor dem Verletzten auf die Knie sinken und untersuchte ihn mit raschem Blick. Als er den aus dem Rücken ragenden Pfeilschaft sah, biss er sich unbewusst auf die Lippen.Obwohl Cedrik Agenors Gesicht den Schmerz ansah, weil es hin und wieder zuckte und auch seine Farbe in etwa dem umgebenden grau des Nebels glich, sagte Agenor keinen Ton des Schmerzes. Er lehnte nur ruhig und mit geschlossenen Augen an dem Baumstamm und presste seine Hand auf die blutende Wunde. Kurz fragte sich Cedrik, wenn der Pfeil im Rücken steckte, warum blutete dann der vordere Teil der Schulter? Erst als er Agenors Hand von dessen Schulter zog, bemerkte er dass die Pfeilspitze vorne heraus sah. Und er sah die garstigen Widerhaken daran.„Ich muss Euch den Pfeil aus der Schulter ziehen. Das wird starke Schmerzen geben. Denn ich muss ihn nach vorne ziehen. Wenn ihr also schreit – dann bitte leise!“Cedrik kam sich seltsam dumm vor, als er dies sagte, doch musste er rasch handeln. Und sollte Agenor schreien, würden die Angreifer wissen, sie hatten ihr Opfer verletzt und die Gruppe geschwächt.Cedrik griff hinter Agenors Rücken, packte den Schaft, der ebenso kleine Widerhaken aufwies und Cedrik sich einen in die Finger spießte und schob ihn etwas nach vorne. Agenor saß nur da, schrie und stöhnte nicht. Nur sein graues Gesicht wurde nun bleich. Cedrik verspürte in sich eine große Hochachtung aufsteigen. Was war dieser Agenor doch für ein tapferer und ungewöhnlicher Mann! Mit einem kräftigen Ruck schob Cedrik den Widerhaken bestückten Schaft nach vorne, griff sich die Spitze des Pfeils und zog sie mit einem schnellen Ruck vorne aus Agenors Körper. Noch immer kam kein Ton von dessen Lippen. Sein Gesicht fiel nun etwas ein. Wie Feuer durchfuhr nun Cedrik ein neuer Gedanke. Sollte der Pfeil vergiftet sein? Oder waren es nur diese enormen Schmerzen, die Agenors Gesicht so stark veränderten? Cedrik legte den Pfeil neben sich auf den Boden, konzentrierte sich und legte seine Hände nun auf die stark blutende Wunde. Nun, sollte wirklich Gift auf dem Pfeil gewesen sein, wurde es jetzt aus Agenors Körper geschwemmt. Allerdings auch sein Leben. Zwischen Cedriks Fingern erschien das blaue Heillicht und er konnte direkt spüren, wie sich die Wunde schloss. Innen und außen. Sich die zerfetzten Fasern wieder verbanden und die zerstörten Blutgefäße schlossen. Wie sich zuletzt das Fleisch generierte und neu gewachsene Haut die Wunde verschloss. Einmal mehr würde eine Narbe zurück bleiben. Doch das würde einen Mann wie Agenor nicht stören. Trotzdem die Wunde geschlossen und Agenor jetzt scheinbar ausser Gefahr war, hielt er weiterhin die Augen geschlossen, war er weiterhin stumm. Nur sein Gesicht hatte nun etwas mehr Farbe bekommen. Und sollte tatsächlich Gift auf dem Pfeil gewesen sein, hatte es Cedriks Heilmagie garantiert neutralisiert. Warum saß Agenor weiterhin, gelehnt an den Baumstamm, schweigend mit geschlossenen Augen?
Agenor war nicht tot. Oder war er das? Er wusste es nicht. Er verspürte nur ein schmerzendes Gefühl, als würden sich Klauen tief in seine Haut bohren. Dann kam er zu sich. Er war von einem Pfeil getroffen worden. Und wer war das? Agenor wollte zu seinem Schwert greifen, aber in diesem Moment zuckte sein Arm. Sein Arm war blutig, doch es gab keine Wunde. Obwohl – im Unterbewusstsein fühlte er den Schmerz und griff sich auf die Wunde. Verheilt! Sie war verheilt, musste er erschrocken feststellen. Agenor schaute zu dem Jungen, der ihn geheilt hatte. „Cedrik? Cedrik!“, sagte er heiser. „Wo sind die anderen?“, fragte er dann. „Sie sind beim anderen Waldrand. Agenor geht es dir gut?“„Wieso bist du nicht bei ihnen geblieben, Cedrik? Sie sind wichtiger. Das Prinzenpaar ist wichtiger!“ Doch es war nicht angemessen, ihm jetzt Vorwürfe zu machen. Obwohl Cedrik es sicher gut gemeint hatte. „Gut, komm Junge! Und ja danke, es geht mir gut.“ Agenor wies mit einer Hand zum anderen Waldrand. Dann flüsterte er Cedrik ins Ohr:„Auf mein Kommando … JETZT!“Sie liefen auf die andere Seite. Blind. Im Nebel verloren. Doch dann vernahm Agenor leise Stimmen, die flüsterten. Agenor dicht bei Cedrik laufend, krachten zusammen mit Assasina und Gu'ald, die sich immer noch an den Händen hielten.„Was zum …!“, begann Assasina. Gu'ald war etwas verwundert von dem Auftritt. Agenor bewunderte unbewusst dessen Beherrschung in einer so ungewöhnlichen Situation. Er selbst wäre sicher nicht so ruhig geblieben. Doch Gu'ald hatte ein Lächeln auf seinem Gesicht, bei dessen Anblick Assasina sicher wieder einmal ausgerastet wäre. Doch sie bemerkte es augenscheinlich nicht. Ungewöhnlicherweise wurde Agenor an den Ausspruch eines sehr alten Freundes bei diesem Lächeln erinnert: 'Wer ohne jede Narrheit lebt, ist weniger weise, als er glaubt.'
Cedrik wurde etwas von Agenors Aktion überrascht, doch er reagierte sofort, beinahe ohne nachzudenken. Kurz dachte er daran, dass Agenor ihn ja wirklich zur Aufsicht über das Prinzenpaar abgestellt hatte. Doch der Krieger war verletzt und auch vergiftet worden. Gut, Cedrik hatte diese Gefahr noch im rechten Augenblick abgewendet. Hatte geheilt.Cedrik presste die Zähne in die Unterlippe, als er gegen einen weichen Körper prallte. Unwillkürlich streckte er die Finger aus, um sich abzufangen und berührte warmes, weiches Fleisch, welches nachgab. Ein Gefühl, das vor seinem geistigen Auge eine bestimmte Form dieses Fleisches entstehen ließ. Als hätte er sich die Finger verbrannt, riss er seine Hände zurück. Gleichzeitig spürte er, wie etwas warmes über sein Kinn lief. Als er kurz darüber wischte und dann die Hand dicht – ob des Nebels – vor die Augen hielt, erkannte er Blut daran. Und gleich darauf bemerkte er den seltsamen Gesichtsausdruck Agenors. Cedrik folgte dem Blick des Kriegers und seine Brauen glitten überrascht in die Höhe. Gleichzeitig errötete er tief, als er Assasinas Blick bemerkte, mit dem sie ihn bedachte. Und den bemerkte er seltsamerweise trotz des dichten Nebels.Er räusperte sich und setzte zu einer Entschuldigung an. Doch er fühlte sich so elend, dass seine Stimme erst einmal versagte. Er hatte seine Finger nicht mit Absicht auf den Körperteil der Elfe gelegt, sondern nur weil er sich abstützen wollte. Noch einmal verdunkelte sich Cedriks Gesicht mit tieferer Röte, dann senkte er den Blick und brachte unter Anstrengung hervor:„Es tut mir leid, ich wollte Euch nicht verärgern. Es war … ein … ein Unfall! Entschuldigung!“Und nun war Cedrik froh, als sich die Nebelschlieren wieder etwas verdichteten und dieses tödliche Starren Assasinas in Cedriks Augen verdeckte.Um seine tödliche Verlegenheit und auch um sein Gewissen, das sich eingeschaltet hatte, als er an Catyua dachte, abzulenken, sah er sich nach den anderen um. Irgendwo im Nebel hörte er die Pferde. Und irgendwo in dieser trüben Nebelsuppe vernahm er seltsame Geräusche, die sich kurz darauf als verzerrtes Echo von schnellen Pferdehufen entpuppte. Gefahr, die kam … oder war das Prinzenpaar wieder einmal auf der Flucht?
Seit Catyua Cedriks stützende Hand verloren hatte, war sie irgendwie orientierungslos durch den Nebel geirrt. Ihre vorsichtigen Schritte lenkten sie in keine bestimmte Richtung und die Pfeile, die den Nebel unvorhersehbar durchstreiften, hatten sie gezwungen, sich flach gebückt über den Boden fort zu bewegen. Alles war nass und kalt und Catyua schüttelte sich. Ausserdem musste und wollte sie wissen, was mit Cedrik war. Wo war er? Ging es ihm gut? Lebte er überhaupt noch? Und woher kamen diese tödlichen Geschoße?Sie kroch weiter und stieß plötzlich gegen etwas. Oder jemand. Erschrocken sah sie hoch …
Die Atlekas
Auszug aus den Chroniken:
Es war unter der Leitung der Feldheere des Südens, gegründet von General Enax dem Weisen, um den Durchgang der Flussregionen zu bewachen. Ziel war es, Feinde von den umliegenden Dörfern fern zu halten, da diese häufig von Banditen heimgesucht wurden.
Die einzig bekannte Waffe waren Bögen. Schwerter und Äxte waren ihnen fremd. Doch wussten sie, wie diese aussahen da sie häufig auf Widerstand stießen. Bögen waren ihrer Meinung nach am effektivsten und brachten auch wenige bis keine Verluste. Trotzdem waren sie keine Feiglinge. Sie waren stolze und anmutige Menschen, doch hielten sie nichts von blutigen Kämpfen oder Verluste, da sie das Leben eher sehr schätzten. Ihr Mottospruch war: „Das ganze Geheimnis, sein Leben zu verlängern besteht darin – es sich nicht verkürzen zu lassen!“
Da sie oft von Einwanderer und Fremde ausgenutzt worden waren, als die eigentlich hilfsbereiten Atlekas sie aufnahmen, wurden sie immer misstrauischer. Bis sie sich schließlich von der Aussenwelt isolierten und in ihren eigenen Gebieten lebten. Diese Geschehnisse lagen noch nicht lange zurück und hinterließ frische Narben bei den meisten. In dieser Zeit drang eine größere Gruppe der verwandten Intresen in das Gebiet der Atlekas und stieß auf heftigen Widerstand, ohne es beabsichtigt zu haben. Die Atlekas ahnten nicht, dass ihr Brudervolk der Intresen sie zwar hassten, jedoch nicht grundlos töteten. Der Grund dieses Hasses liegt in so grauer Vorzeit, dass er nicht einmal mehr in den ersten Seiten der Chroniken aufgeführt werden konnte. Nur noch Bruchstücke davon sind in den Genen der Nachkommen verankert. Dies war wahrscheinlich auch der Grund, dass zum Kampf nur Bögen und Pfeile, die meistens auch vergiftet wurden genommen wurden.
Zum Gegensatz zu den Atlekas bildeten einige der Intresen auch Magier aus. Diese stiegen in der Hierarchie oft hoch hinauf und wurden in der ersten Machtzeit sehr hoch verehrt. Meistens waren diese Magier männlich, es gab allerdings auch die eine oder andere Magierfrau. Beim ersten sogenannten MAGIERKRIEG wollten die Zauberer und echten Magier die Herrschaft übernehmen. Nur mit dem Zusammenhalt des gesamten Volkes gelang es, diesen Krieg so weit wie möglich zu beenden, ohne dass sich das Volk der Intresen ausrottete. Gerüchten zufolge war ein ausgestoßener Atlekas der Grund dafür, dass sich die Magier über ihr eigenes Volk erhoben. Es dauerte einige Jahrzehnte, bis sich das Volk wieder soweit erholt hatte, um die Verluste auszugleichen und ihr Vertrauen in die Magie wieder zu gewinnen. Seither werden Magier und Zauberer von einem weisen Atlekas, der dafür gefangen genommen worden war, überwacht und von einem Weisen des Brudervolkes der Intresen ausgebildet.
Immer wieder flammten kleinere Kriege und Kriegshändel zwischen Intresen und Atlekas auf. Krieg zwischen ihnen wären nach mancher Meinung von Vorteil und würde mit der Auslöschung einer von beiden Existenzen beendet gewesen. Dies könnte auch der reale Grund sein, dass die Atlekas starke Hassgefühle für die Intresen empfanden, denn dies würde ihrem Wissen nach die Verluste hoch halten und vielleicht sogar mit Auslöschung einher gehen.
Gu'ald, belustigt von der Rechtfertigung Cedriks wurde nun doch ernster. Agenor, der auch bemerkte dass etwas näher kam, versuchte seinen Bogen zu nehmen und einen Pfeil darauf zu spannen. Gu'ald vertraute auf sein Gefühl und entschied sich für seinen Hammer. Der Nebel löste sich allmählich auf und man konnte nun die Gesichter der anderen sehen. Auch Assasina und Cedrik wurden nun ruhiger und verstummten. Cedrik, der seinen Wanderstock - so bezeichnete ihn Gu'ald – so fest hielt, dass seine Knöchel der einen Hand bleich wurden, fuchtelte ziemlich hastig mit der anderen in seinen Taschen, als suchte er etwas. Etwas das er brauchte, aber nicht finden konnte. Hektisch sah er sich um und schaute zu Catyua, die er in den Nebelresten scheinbar nicht sehen konnte. Gu'ald bemerkte die beginnende Panik in den Augen des jungen Magiers.
Agenor hatte diese kurze Szene mit einem Stirnrunzeln beobachtet und folgte nun mit seinem Blick dem Blick Cedriks. Er ahnte, wen der Jungmagier so hektisch vermisste. Er konnte von seinem Standort Catyua sehen. Diese war mit der restlichen Gruppe weiter links. Dort kroch sie am Boden aber ansonsten war alles in Ordnung mit ihr – soweit dies Agenor erkennen konnte. Im Augenwinkel bemerkte er, dass Catyua zu Rutaara kroch und bei deren Beinen schließlich ankam. Als sie erkannte, dass es Rutaara war, entspannte sich das Gesicht der Albin etwas. Agenor richtete nun seinen Blick zu Cedrik und bemerkte dessen Nervosität und die besorgte Mine. Er war sicher nicht bereit, Catyua noch einmal zu verlieren. Agenor trat zu dem Jungmagier hin und packte ihn beim Arm, um ihn gleich darauf mit sich zu ziehen. Den Bogen samt Pfeil hielt er etwas zu Boden gerichtet mit seiner anderen Hand und war insgeheim dankbar, dass diese geheilt war. „Agenor, weißt du wo …?“, flüsterte Cedrik heiser, doch Agenor unterbrach ihn und wies mit dem Kinn in die Richtung, wo er die Albin vorher erblickt hatte. Cedrik konnte ein Seufzen nicht verhindern, als sich die Erleichterung in ihm Bahn brach, weil seine Liebe in Sicherheit war und es ihr gut ging.
Gu'ald stellte sich nun zu Assasina. Er schaute sie kurz an und als sie zu ihm hoch sah, schaute er weg. Ein Lächeln auf den Lippen, das ihr sicher auffiel. Er ahnte, dass die Elfe ihn sicher hasste, doch jetzt war nicht der Zeitpunkt, so niederen Gefühlen nachzugeben. Im gleichen Moment hatte sich der Nebel so weit gelichtet, dass Gu'ald und auch allen anderen die dunklen Punkte auffielen, die auf sie zu kamen. Auch aus dieser Entfernung sah man, dass sie mit Langbögen bewaffnet waren.
Catyua und Rutaara halfen sich gegenseitig auf die Beine. „Verfluchter Nebel“, murmelte die Elbin und das Mädchen stimmte ihr halblaut zu. Gott sei gedankt, als er sich endlich lichtete, dachte Catyua. Jetzt konnte sie endlich wieder etwas sehen. Bald hatte sie in den faserigen Schwaden die Gruppe, die noch immer in vereinzelten Grüppchen herum stand ausgemacht. Einer von ihnen kam auf sie zugelaufen.„Cedrik!“Fast von selbst hatte sie seinen Namen gerufen und schloss ihn nun glücklich in die Arme.„Halt!“, rief sie, da keiner der anderen Anstalten machte, etwas gegen die immer noch heran fliegenden Geschoße etwas zu unternehmen. „Feuereinstellen! Wir haben keine bösen Absichten!“ Wo befanden sie sich hier überhaupt? In dem dichten Nebel hatten sie sicher den Weg verloren. Und neue Feinde hatten sie gefunden. Keiner der weiter heran kommenden Krieger reagierte auf Catyuas Worte und langsam spürte diese, dass sie wütend wurde. Was sollte das denn alles?
Cedrik atmete erleichtert auf, als sich Catyuas Arme um ihn legten. Es war ihm, als hätte sich ein unsichtbarer Kontakt geschlossen und ihn wieder ins Leben entlassen. So seltsam hatte er sich gefühlt, weil seine Seelenpartnerin nicht in seiner unmittelbaren Nähe gewesen war. Er senkte den blick und ein inniges Lächeln glitt über sein Gesicht, als er wieder einmal in Catyuas Augen versank.Doch dieser Augenblick, dieses Stillstehen der Sekunden und das Ausblenden der nahenden Gefahr war nur von winziger Dauer. Catyua versuchte die anderen mit ihrem Ausruf – der nur am Rande von Cedrik wahrgenommen wurde – aufzurütteln und den schon gefährlich nahe gekommenen Langbogenmännern zu erklären, dass die Gruppe harmlos war.Abermals sah Cedrik zu Agenor, doch dieser schaute nur mit zusammen gepressten Augen der neuerlichen Bedrohung entgegen. Hatte der Krieger eine Ahnung, wer diese Männer waren? Oder war er immer noch durch den Nebel durcheinander? Aber diese Überlegung wischte Cedrik mit einer harten Bewegung beiseite. Jeder andere vielleicht, nicht aber Agenor!Und was war mit diesem Gu'ald? Cedrik sah ihn neben Assasina stehen und den Fremden ebenfalls entgegen sehen. Kurz sahen sich die Beiden an und Cedrik hatte den seltsamen Eindruck, als würde Gu'ald am liebsten Assasina den Arm um die Elfenschulter legen. Nicht aus Zuneigung, sondern eher um sie daran zu hindern … was zu tun? Und was war eigentlich mit Rutaara? Vor allem, wo war sie? Hatten sie sie im Nebel verloren? Doch ehe Cedrik noch mehr Fragen stellen konnte, die keine einzige über seine Lippen kam, bemerkte er sie. Die Gruppe war also noch vollzählig. Oder – genauer gesagt – überzählig. Denn etwas weiter rechts neben Rutaara … stand Rutaara!
Rutaara lächelte trotz der brenzlichen Situation über die Umarmung der beiden Liebenden und sah sich dann nach Lyrael um. Dieser stand steif da – irgendwie seltsam abwesend – und hatte seine Lippen von den Zähnen gezogen. Er knurrte leise warnend Rutaara an. Oder eher etwas neben ihr. Rutaara folgte dem Blick des Wolfes und sog überrascht die Luft ein. Sie stand neben einem Spiegelbild von sich und spürte eine leise Unruhe in sich aufsteigen. Der einzige Unterschied zu ihr war dieser, dass die Spiegelrutaara keinen Wolf an ihrer Seite hatte. Rutaara konnte nicht sagen, ob dies auf den Nebel zurück zu führen war oder mit der fremden Umgebung zusammen hing. Vielleicht aber war es auch von diesem Gu'ald herbei geführt worden. Trotz ihrer Unsicherheit und dem Eindruck von Verrücktheit wandte sich Rutaara an das Spiegelbild und fragte es:„Na, geht’s gut?“„Sag du es mir!“, erwiderte die zweite Rutaara und grinste. Rutaara knurrte leise, dann sah sie sich nach den anderen um. Beinahe jeder der Gruppe hatte ein Spiegelbild. Bis auf Gu'ald und Cedrik.
Agenor hatte den Bogen sinken gelassen und seine aufgerissenen Augen waren unverwandt auf den Agenor neben sich gerichtet. Was hatte das zu bedeuten? Wieso stand er zweimal hier herum? Auch der andere Agenor hatte einen Bogen in der Hand und einen Pfeil eingelegt. Doch sein Blick flackerte irgendwie seltsam, als wäre er ängstlich oder einfach nur Zauberspuk. Agenor nahm nun den Blick von seinem Ebenbild und schaute zu seinen Kriegern. Diese hatten sich ebenfalls verdoppelt. Und so mancher seiner Männer war bleich wie der Rest des Nebels. Da Agenor auf dieser Reise bereits viele Dinge erlebt hatte, die ihm nicht ganz geheuer waren, empfand er diese Situation der „wundersamen Verdopplung“ aller schon beinahe als normal. Er hob den Bogen und sein Doppelgänger machte es ihm nach. Agenor schaute dem anderen Agenor in die Augen und beide nickten sich zur gleichen Zeit zu.
Assasina schaute beinahe gleichgültig drein, als sie die Doppelgänger der anderen bemerkte. Auch als sie ihre eigene Doppelgängerin sah, huschte nur ein verächtlicher Ausdruck über ihr Gesicht. Da steckte sicher Gu'ald dahinter. Davon war die Elfe fest überzeugt. Sie würde nur gerne wissen, was er damit bezweckte. Sollte sie nun beeindruckt sein? Es dauerte einige Sekunden, ehe sie bemerkte, dass Gu'ald alleine neben ihr stand. Ohne einen Doppelgänger. Und auch Cedrik schien davon verschont worden zu sein. Und bei Tieren schien dieser seltsame Zauber auch nicht zu wirken. Denn die Pferde waren genauso Einzelwesen wie Rutaaras Lyrael. „Und jetzt kommst du dir gut vor, oder?“, fragte Assasina Gu'ald und wandte ihre Aufmerksamkeit diesem wieder zu. Dieser grinste sie an, antwortete jedoch nicht.
Cedrik machte große Augen, als neben ihm nun statt einer Catyua eine weitere stand. Sein Blick huschte zwischen den beiden Mädchen hin und her und wenn er nicht den Arm um „seine“ Catyua gelegt hätte, hätte er nicht mit Sicherheit sagen können, welche nun die echte war. Beide hatten diese faszinierenden Meeresaugen, in beiden versank er und hatte gleich darauf ein furchtbar schlechtes Gewissen, denn nur mit einer hatte er seine Seele verbunden. Und dies war … auch gleich der rettende Gedanke. Er schloss kurz die Augen, ließ den Arm von Catyua gleiten und versuchte allein durch die Seelenverbindung die richtige zu erkennen. Es dauerte etwas, dann öffnete er die Augen und sah erst die eine Catyua an, dann die andere. Vom äußeren Anblick her würde er nicht sagen können, wer nun die echte war. Also legte er eine Hand auf die Schulter jener Catyua, die direkt vor ihm stand. Er lauschte in sich hinein, doch alles blieb still. Er ließ seine Hand wieder sinken und legte nun der anderen Catyua, die jetzt neben ihrem Ebenbild stand die Hand auf die Schulter. Sofort begann es tief in ihm zu summen und zu vibrieren. Ein Lächeln huschte über Cedriks Gesicht, er hatte „seine“ Catyua erkannt.
Catyua war so froh, dass sie sich an Cedrik schmiegen konnte. Erst als sie bemerkte, dass die Gruppe sich vergrößert hatte. Erstaunt sah sie sich um. Beinahe jeder der Freunde hatte einen Doppelgänger bekommen. Selbst sie. Nur gut, dass Cedrik so dicht neben ihr stand. Was würde passieren, wenn er sich entfernen würde und die andere Catyua als seine Geliebte in den Arm nahm? Sie würde sich sicher wieder so ausgestoßen fühlen, wie zu dem Zeitpunkt, als Cedrik Assasina küsste. Catyua schüttelte sich unwillkürlich. So verletzlich wollte sie sich wirklich nicht mehr fühlen. Und dann trat das ein, was sie so gefürchtet hatte. Cedrik nahm den Arm von ihr und schloss die Augen. Im gleichen Moment packte die andere Catyua das Mädchen beim Arm und zog es zu sich heran, drehte sich etwas seitlich und zog Catyua mit sich. So kam es, dass die andere Albin dicht vor Cedrik zu stehen kam und Catyua nun dort stand, wo die andere eben noch gewesen war. Tief in sich dachte Catyua, dass entweder der Nebel oder eher Gu'ald an diesem Horror schuld war. Doch wer oder was es auch immer war, ändern konnte sie jetzt sowieso nichts daran. Man konnte nur das Beste aus dieser Situation machen. Catyua zuckte leicht zusammen, als Cedrik seine Augen wieder öffnete und seine Hand auf die Schulter der anderen Catyua legte. Kurz sah er aus, als horche er in sich hinein und das Mädchen spürte bereits den Anflug einer beginnenden Eifersucht, aber auch Trauer. Doch diese Berührung dauerte nicht lange und Cedrik legte nun auch ihr die Hand auf die Schulter. Die unterschwelligen Gefühle machten einer so großen Erleichterung Platz, dass dem Mädchen die Tränen in die Augen traten. Denn sie spürte ganz deutlich, dass sie die Seelen von Albin und Magier erkannten. Die goldenen Pünktchen in den braunen Augen Cedriks begannen zu tanzen und Catyua hätte am liebsten hier und jetzt ihn geküsst. Doch sie sah ein, dies war nicht der rechte Augenblick. So erwiderte sie nur Cedriks Lächeln und atmete auf. Es war alles gut!
Der Prinz hatte immer noch in seinem Kopf Fluchtpläne. Hin und wieder schaute er zu seiner Gattin hin, doch diese war sichtbar mit ihren Gedanken wo anders. Er zuckte etwas zusammen, als neben ihm wie aus dem Nichts ein weiteres Pferd auftauchte und darauf saß – er! Und neben dem Pferd schälte sich ein weiteres aus dem Nebel und darauf befand sich seine Gattin. Oder eigentlich das Spiegelbild davon. Kurz stutzte der Prinz, dann jedoch sagte er sich, dass es keinen Augenblick besser gab, als jetzt zu verschwinden. Also setzte er sich langsam mit seinem Pferd in Bewegung, jedoch das gleiche machte auch sein Spiegelbild. Eine Stimme neben ihm sagte:„Ich würde nicht einmal daran denken, Hoheit!“ Als der Prinz sich nach dem Sprecher umsah, bemerkte er einen der Krieger Agenors neben sich. Ein großer und etwas bulliger Mann mit verbeulter Rüstung, aber glänzenden Waffen. Sein Gesicht war gerötet, als würde er sonst dem Alkohol gerne zusprechen. Über seiner Oberlippe hatte er einen gewaltigen Schnurrbart, dessen Spitzen himmelwärts gedreht waren. Seine hellen Augen waren sehr wachsam und der Prinz sackte etwas zusammen. Nun ja, es wäre auch zu schön gewesen. Sein Blick suchte die Gattin, doch auch neben dieser befanden sich zwei identische Krieger. Der Doppelgänger seines eigenen Aufpassers würde auch nicht sehr weit weg sein und so fügte sich der Prinz in sein Schicksal. Erst einmal!
Die Verfolger waren inzwischen auf Rufweite heran gekommen doch jetzt wurden ihre Schritte langsamer. Sie warfen unruhige Blicke um sich und konnten sich scheinbar über irgend etwas nicht einigen. Gu'ald nutzte die Gunst dieser Tatsache und wandte sich an die Gruppe.„Folgt mir so rasch als möglich durch den Spiegelwald. Sobald wir im Dorf sind, sind wir in Sicherheit. Unsere Abwehr lässt niemand Fremden durch.“ Gleich darauf wandte er sich um und begann mit raschen schritten den Wald zu durchqueren. Obwohl er sich nicht umwandte, wusste er doch, dass ihm die Gruppe folgte.
Rutaara hatte sich damit abgefunden, dass sie nun zweimal vorhanden war. Sie fühlte sogar eine leichte Heiterkeit über diese Tatsache. Sie hatte genickt, als sie hörte, wie Gu'ald diesen Wald „Spiegelwald“ nannte. Nun wusste sie, dass es nicht mehr so weit war, bis sie das Ziel erreicht hatten. Allerdings mussten sie noch die Wiese der Träume überwinden, doch dann waren sie im Bereich des Talkönigs und sie konnten endlich die Verantwortung über den Prinzen samt dessen Gemahlin in andere Hände legen. Sie vernahm den Ruf Gu'alds, nickte Lyrael zu und machte sich in Begleitung der zweiten Rutaara auf den Weg. Kurz bemerkte sie, dass sich der Nebel soweit gelichtet hatte, dass sie nun im Blickfeld der Verfolger ganz deutlich waren. Doch schienen auch diese etwas Schwierigkeiten mit dem Umfeld zu haben. Rutaaras Mitleid mit ihnen jedoch hielt sich in Grenzen.
Agenor ließ den größten Teil der Gruppe an sich und seinem Doppelgänger vorbei ziehen. Er selbst blieb mit dem zweiten Agenor bis zum Schluss, um die Gruppe nach rückwärts abzusichern. So merkte er, dass die Verfolger ihre eigenen Schwierigkeiten hatten aber er fühlte kein Mitleid, allerdings auch keine Schadenfreude darüber. Seine Sorge galt eher der Gruppe, auch wenn er Gu'ald weniger zu seinen Schutzbefohlenen zählte. Kaum war der letzte an Agenor vorbei gezogen, wandten sich beide Krieger um und liefen hinter den anderen her. Hin und wieder hörten sie eines der Pferde etwas straucheln oder mit den Hufen gegen Bäume oder aus dem Boden ragende Wurzeln treten, ansonsten verlief der Lauf in Stille. Am Rande bemerkte Agenor dass sich der Nebel etwas gelichtet hatte, doch vergaß er es gleich darauf wieder.
Cedrik lief neben Catyua über den leicht federnden Waldboden. An einer Hand „seine“ Catyua, an der anderen den Stab. Die zweite Catyua hatte sich bei ihm eingehängt und hielt scheinbar mühelos mit ihm Schritt. Einige Male schlug ihm der Stab gegen das rechte Schienbein und brachte ihn zum Stolpern. Scheinbar hatte er sich noch nicht ganz an die Situation angepasst. In seinem Kopf hallten bei jedem Schritt immer wieder Gu'alds Worte wider: dies war der Spiegelwald. Natürlich hatte Cedrik schon von diesem Magieort gehört, doch bisher hatte er es immer ins Reich der Fabeln geschoben. Aber hätte er es je geglaubt, wenn ihm jemand gesagt hätte, eines Tages würde er ein Einhorn als Freund haben? Oder mit einer Albin Seelenverbindung?
Catyua war hin und her gerissen, als sie merkte, dass sich die andere bei Cedrik einhängte. Doch sie hatte genug zu tun um die vielen Wurzeln zu beachten, die immer wieder aus dem Waldboden sahen. Ein gebrochenes Bein wäre gerade noch genug, wenn sie an einer davon hängen blieb. Cedrik würde sie zwar heilen können, doch er sollte sich besser seine magischen Kräfte aufsparen, wer weiß was sie alles noch erlebten! Kurz glaubte Catyua jemand rufen zu hören, doch sie schüttelte nur kurz den Kopf. Vielleicht war das nicht nur ein Spiegelwald, der Doppelgänger erzeugte, sondern auch ein Echowald, der Stimmen hatte.
Obwohl der Nebel noch immer mit leichten Schlieren dicht am Waldboden lag, die Verfolger scheinbar mit der Situation endlich zurecht kamen und ihre Verfolgung wieder aufgenommen hatte, langsam aber sicher näher kamen, lief Assasina leicht und so lautlos wie immer durch die Stille. Wenn sie in dem Dorf, das Gu'ald erwähnt hatte, erst einmal ankamen, konnte sich dieser Intrese auf etwas gefasst machen.Sie griff kurz nach ihren Waffen und grinste böse. Oh ja, das konnte er sich wirklich!
Gu'ald war nicht so heiter zu mute, wie es den Anschein hatte. Er wusste genau, wer sie da verfolgte. Die Atlekas waren alles andere als angenehme Zeitgenossen. Doch sobald er und diese Gruppe die Grenzen des Dorfes erreicht und überschritten hatten, würden sie in Sicherheit sein. Dafür sorgten schon die vielen Abwehrzauber und das Magietor. Dieses Magietor war von den ALTEN erschaffen worden um das Böse vom Dorf abzuwenden. Die Überlieferungen dazu sind zwar im Laufe der Zeit verschwunden, doch es war so gut gemacht worden, dass es weder Wartung noch Zusatzzauber benötigte. Es versorgte sich scheinbar selbst. Es sah zwar von außen wie ein normales, hohes Holztor aus, doch öffnen konnten es nur Mitglieder der Hochzauberer. Von diesen geht die Sage, sie seien einst vor grauer Zeit von einer geheimnisvollen Insel gekommen, die am Himmel flog. Ein Boot, geformt wie ein Drache hat sie gebracht und sie hatten die Insel über den Weltenfall verlassen. Allerdings nicht freiwillig, sondern unter dem Druck von deren Kriegsgöttern. Was daran Sage und was daran Wahrheit war, wusste Gu'ald nicht, es interessierte ihn auch nicht sonderlich. Er war nur ausgesandt worden, um neue Zauber zu finden und einen Nachfolger für den STEINALTEN, dem Zauberermeister zu suchen aber auch zu finden. Gu'ald gratulierte sich, denn er schien Erfolg in dieser Sache gehabt zu haben. Kurz schaute er sich um nach Cedrik und fragte sich wieder, wie alt dieser wohl sein könnte. Wenn dieser Cedrik tatsächlich in die Fußstapfen des STEINALTEN trat, könnten die anderen Gruppenmitglieder ihren Weg fortsetzen. Sollte er das Albenmädchen bei sich haben wollen, konnte Gu'ald dies auch möglich machen.
Manchmal braucht es einen Umweg …
Wäre die Situation anders gewesen, hätte Catyua es sicher spannend oder doch wenigstens interessant gefunden als sie den Wald verließen und vor sich ein Stück freies Feld sah. Dieses Feld wurde begrenzt von einem hohen Steinwall und dieser von einem ebenfalls hohen, doch nicht sehr stabil aussehenden Holztor unterbrochen. Es dauerte etwas, bis Catyua erkannte, dass der Steinwall wohl so etwas wie eine Stadtmauer oder Dorfmauer darstellen sollte. Kurz wandte sie sich um und musste einen leisen Schreckensruf unterdrücken. Die Verfolger waren näher heran gekommen und sie konnte auf den Gesichtern Malereien erkennen. Der nächste Blick sagte ihr, dass auch Cedrik etwas bemerkt hatte, denn er beschleunigte noch etwas seine Schritte. Auch Gu'ald hatte sich umgewandt, doch schien er sich die Chance auszurechnen, noch rechtzeitig das vor ihnen liegende Ziel - den Steinwall – rechtzeitig zu erreichen. Was mit ihnen passieren würde, sollte seine Rechnung nicht aufgehen, konnte sich Catyua lebhaft vorstellen. Wie um ihnen allen Angst zu machen, begann Gu'ald nun anzutreiben. Und so dauerte es nicht lange, bis sie nicht mehr rasch gingen, sondern regelrecht liefen. Catyua war ja nur froh, dass sie so fit war.
Assasina machte eine etwas verächtliche Schnute, als die anderen alle zu laufen begannen. Na, wenn die Verfolger sie erreichten, dann gab es eben Tote unter ihnen. Die Elfe würde ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. Sie warf einen Blick zu Gu'ald, der ihnen das hier alles eingebrockt hatte und bemerkte seine Unsicherheit. Sie freute sich bereits auf den Moment, wo sie diesem Intresen alles zurück zahlen konnte. Jetzt etwas zu unternehmen wäre etwas vorschnell und konnte fatale Folgen haben. So ganz lebensmüde war sie dann doch nicht. Aber – kommt Zeit, kommt Rat. Assasina passte sich mit ihrer Laufgeschwindigkeit den anderen an und schon nach wenigen Schritten hatte sie den Waldrand verlassen. Nun ging es über offenes und freies Gelände. Wenn die Verfolger ihre Bögen spannen sollten, bekämen einige von ihnen hier hübsche Pfeile in den Rücken. Kurz gedachte Assasina ihre SOL I LAGOR zu aktivieren, ließ es aber dann sein, denn sie fürchtete insgeheim, dass sie sich dann nicht mehr bremsen konnte. Es gab sicher bessere Gelegenheiten dazu.
Rutaara achtete mit keinem Blick auf ihre Doppelgängerin. Sie folgte so dicht wie möglich Lyrael, der sich immer wieder dazu hinreißen ließ, erst sie, dann die zweite Rutaara zu betrachten. Beinahe schien es, als würde er sich nicht entscheiden können, welche von ihnen nun seine Geliebte war. Wäre es nicht so traurig, hätte sich Rutaara bestens amüsiert. Sie sah kurz zu Catyua und deren zweites ICH, die beide Cedrik in ihre Mitte genommen hatten und nun auch liefen, so rasch es ihnen das Gelände erlaubte. Rutaara zögerte kurz, als sie aus dem Wald trat und die freie Fläche vor sich sah. Dann jedoch folgte sie den anderen, so rasch sie konnte.
Agenor war bei den Letzten, die den Wald verließen und er lief rasch mit gespanntem Bogen und einem Pfeil in der Hand über die mit trockenem Gras, das wie verbrannt aussah und mit größeren Steinen übersätes Gelände. Immer wieder warf er kurze Blicke hinter sich und jedesmal schienen die Verfolger näher gekommen zu sein. Er konnte schon die Kriegsbemalung auf ihren Gesichtern erkennen und fühlte unwillkürlich einen Schauder seinen Rücken hinunter rinnen. Sie schienen wie Dämonen aus dem Dunkelreich und er ahnte, dass es nicht gut war, wenn sie einen von ihnen erwischten. Agenor war meistens sehr tapfer, doch diesmal konnte er sich selbst einer unterschwelligen Furcht nicht erwehren. Er mochte lieber den Kampf mit anderen Soldaten oder Kriegern, Dämonen waren da nicht so sein Ding.
Cedrik lief, so rasch es ihm möglich war. Er war froh, als die Hand der unechten Catyua aus seiner Armbeuge rutschte und er nur noch die richtige Catyua an der Hand hielt und sie mit sich zog. Weit vor ihm jagte Sternenlicht wie von Furien verfolgt hinter den anderen Pferden her und manchmal glaubte er, dass der Prinz einfach von seinem Reittier fiel, so sehr schwankte dieser auf dessen Rücken. Aber immer wieder fing er sich auch wenn er wie eine Puppe hin und her schüttelte. Leise murmelte Cedrik einen Aufhaltezauber. Lange würde dieser nicht vorhalten, dafür hatte Cedrik zu wenig Zeit gehabt, ihn aus sich heraus zu fühlen. Aber es gab ihnen immerhin genug Zeit, die Steinmauer zu erreichen. Und wenn der sicher vorhandene Wächter nicht schlief, musste sich dann bald das Tor öffnen um sie einzulassen. Was passieren würde, wenn sich das Tor nicht öffnete, darüber wollte der junge Magier nicht nachdenken.
Gu'ald war erleichtert als er sah, dass sich ein Spalt zwischen den beiden Torseiten geöffnet hatte und trieb nun noch einmal zur Eile an. Die Pferde hatten scheinbar schon bemerkt, dass es hinter dem Wall und dem Tor Sicherheit gab, die musste er nicht antreiben. Wenn er und die Gruppe dann hinter den Mauern in Sicherheit war, würde er versuchen das schwarze Pferd, auf dessen sein Auge immer wieder mit Freude ruhte, einzufangen und es sich – sozusagen – unter den Nagel reißen. Die anderen Reittiere waren sicher auch gut, doch dass dieses Tier wertvoll war, das sah ein Blinder. Und sobald die Gruppe im Dorf verschwunden war, benötigten sie die Tiere ja nicht mehr.
Das freie Feld war rasch überquert und das Tor hatte sich soweit geöffnet, dass die ersten der Gruppe samt den Pferden bereits begannen es zu durchlaufen. Am Waldrand hatten sich inzwischen die Männer mit den Langbögen und den Gesichtsmasken nieder gekniet, nachdem sie erkannten, dass sie nicht weiter konnten. Einer meinte noch dass hier wohl Dämonenwerk und Zauberspuk angewandt worden sei, doch er gab ebenso wenig auf, wie seine Brüder. Pfeile wurden auf die Bogensehnen gelegt, diese gespannt und mit einem wimmernden Laut abgeschossen. Gleich darauf lagen die Männer flach am Boden, denn die Pfeile waren mitten in der Luft gegen ein unsichtbares Hindernis geprallt, hatten sich gedreht und waren zurück gekehrt. Und gegen das Gift der eigenen Pfeile waren auch die Schützen nicht immun. Kaum steckten die Pfeile im Waldboden und in den Baumstämmen, erhoben sich alle wieder und schüttelten drohend die Fäuste. Im gleichen Moment, wie das Tor sich wieder zu schließen begann, erlosch das Hindernis und die Bogenschützen stürzten laut schreiend und voll Zorn aus dem Wald, über das Feld und hier und da versuchte sogar der eine und andere seinen Vordermann beiseite zu stoßen, um selbst schneller zu sein. Mit einem dumpfen Ton schloss sich das Tor endgültig und der erste, der gegen seine Außenwandung prallte verzog schmerzhaft das Gesicht. „Öffnet das Tor! Wir Atlekas wollen mit euch sprechen!“, rief einer und wurde durch die Anstürmenden überschrien. Es dauerte etwas, bis alle heran gekommen waren und endlich Ruhe eingekehrt war. Erst jetzt bemerkten einige, dass das Tor nicht ganz so stabil war, wie es von der Ferne den Anschein gehabt hatte. Einer versuchte das Tor aufzudrücken und war überrascht, wie leicht es ging. Sofort drängten sich auch seine Kameraden durch den Eingang und erstarrten mitten im Schritt. Hinter dem Tor gab es ein weites freies Feld mit totem Gras und Steine darauf. Am Ende des Feldes befand sich ein Steinwall mit einem Tor darin. Kurz gab es bei diesem Anblick einen kleinen Kuddelmuddel, der jedoch bald aufgelöst wurde und jene, die sich „Atlekas“ genannt hatten begannen das Feld zu überqueren, das Tor aufzustoßen und … vor ihnen lag ein weites Feld mit totem Gras und Steinen darauf …!
Kaum hatte die Gruppe das Innere der Dorfmauer erreicht schloss sich das Tor auch schon wieder. Assasina sah sich um. Ihr Ebenbild war verschwunden. Sie zuckte die Schultern, ihr konnte das nur recht sein. Vor ihr sah sie mehrere runde Hütten auf die Gu'ald zu ging. Einige Dorfbewohner kamen aus einer der Hütten und nahm sich der Reittiere an. Cedriks Einhorn folgte ihnen und einer half dem Prinzenpaar von den Tieren zu steigen. Assasina sah sich weiter um. Wenn sie von hier wieder weg wollten, war es besser, wenn sie wusste wie sie das anstellen sollte. Gu'ald öffnete die Türe einer Hütte, die ziemlich am anderen Ende des kleinen Dorfes lag und winkte ihr. Assasina vergewisserte sich, dass ihre Waffen griffbereit waren und folgte dem Winken.
Agenor fühlte sich nicht so toll. Nicht nur weil er scheinbar immer noch etwas an den Nachwirkungen des Giftes litt, sondern weil ihm derzeit die Entscheidung aus den Händen genommen worden war. Wenn man sie in diese Hütte bringen sollte, dann würde es wahrscheinlich schwer werden, diese Umgebung wieder zu verlassen, ohne dass sie jemand aufhielt. Schon wollte er den anderen und Gu'ald folgen, da kam einer der Dorfbewohner heran und deutete auf eine andere Hütte. Er und seine Männer wurden mit ziemlich nachdrücklicher Handbewegung darauf zu gewiesen. Man trennte sie also voneinander. Schwieriger würde es jetzt auf alle Fälle werden. Doch sie hatten ja alle noch ihre Waffen.
Rutaara sah sich um und zuckte zusammen, als sich Lyrael dichter an sie schmiegte. Nicht weil er Angst hatte oder zeigen wollte, sondern um ihr etwaigen Schutz zu bieten. Die Elbe strich ihm kurz über den Kopf und meinte leise:„Es geht mir gut, Geliebter! Hier wird uns sicher nichts unangenehmes passieren.“ Nun ja, man konnte das so und … so sehen. Sie hoffte nur, dass sie recht damit hatte. Ihr Blick suchte die anderen und sie presste kurz die Lippen zusammen, als sie merkte, dass man Agenor und seine Männer zu einer anderen Hütte führte. Sie wurden sogar darin eingesperrt. Nicht dass man diese mit einem Schlüssel abschloss, sondern zwei große und Muskelbepackte Männer stellten sich davor. Rutaara seufzte leise. Es würde etwas Mühe machen, die Krieger wieder aus diesem Gefängnis zu holen. Doch würde sie sich dabei etwas Zeit lassen, denn alle waren müde und hatten Hunger und Durst. Die Batterien wurden hier sicher wieder aufgeladen und wer wusste schon, was sie noch alles erleben würden. Da war es wichtig, wieder etwas zu Kräften zu kommen.
Catyua sah sich auch um, denn sie fühlte sich nicht so wohl, wie sie sich eigentlich fühlen sollte, wo sie doch jetzt in einem sicheren Dorf zu sein schien. Nur dass man Agenor und seine Krieger von ihnen trennte, schmeckte dem Mädchen absolut nicht. Aber solange Cedrik bei ihr war und sie ihre Waffen trugen, würde sie ihr Leben so teuer wie möglich verkaufen. Ihre Nase fing den Duft von Braten und einer würzigen Suppe ein und sofort begann ihr Magen zu knurren. Sie wusste nicht mehr, wann sie das letzte Mal etwas zu sich genommen hatte. Wenn sie einige Stunden hier im Dorf verbringen mussten, sollte sie doch wenigstens etwas essen. Catyua musste schlucken. Ihr Blick glitt zu dem neben ihr gehenden Cedrik und sie musste unwillkürlich lächeln, als sie sah, dass sich dieser über die Lippen leckte. Kurz riss sie ein Wiehern aus dieser Betrachtung und so sah sie, dass man die Pferde und auch Sternenlicht in einen seitlich gelegenen Choral brachte. Es gab Grünfutter darin und eine Wanne, die unter einem Rohr bei einer schmalen Quelle stand fing Wasser darin auf. Einige der Pferde machten sich bereits daran, ebenfalls ihren Hunger und Durst zu stillen. Nur Sternenlicht stand etwas abseits und machte auf unbeteiligt. Zu mehr kam Catyua nicht, denn Gu'ald war zu ihr getreten und stieß sie und Cedrik in eine der Hütten. Mit einem leisen Aufschrei stolperte sie in das Halbdunkel und gegen einen weichen Körper. „Lehne dich an jemand anderen an“, sagte die Stimme Assasina und drückte das Mädchen von sich. Mit einer gemurmelten Entschuldigung machte sie einige Schritte beiseite und kam sich recht töricht vor.
Cedrik hatte mit wenigen Blicken erkannt, dass es nicht so leicht war, wieder von hier zu verschwinden. Nicht nur, weil er Magie spürte, die regelrecht die Luft im Dorf durchzogen hatte, sondern auch weil das Tor durch das sie ins Dorf gekommen waren wieder geschlossen war und scharf bewacht wurde. Er wurde von seinen Betrachtungen abgelenkt, als er zu einer der weiter rückwärts gelegenen Hütten gezogen wurde und mit einem Stoß in den Rücken hinein befördert wurde. Mit einem Knall schloss sich die Türe hinter ihm und kurz dachte der Jungmagier, er wäre in einen total finsteren Raum gekommen. Doch nachdem sich seine Augen an das düstere Halbdunkel gewöhnt hatten, bemerkte er, dass es nicht ganz so dunkel war wie er gedacht hatte. Es waren zwar keine Fenster in der Hütte zu bemerken, doch sie hatte genug Ritzen und Spalten, in denen Licht sickerte. Mit wenigen Schritten war er bei Catyua und legte den Arm um sie. Kurz überdachte Cedrik, was für Hilfsmittel ihm zur Verfügung standen. Er hatte seinen Stab, die beiden Dolche und das Schwert am Gürtel. Dass ihnen die Waffen blieben glaubte er zwar nicht, aber ansonsten konnte er immer noch Magie anwenden. Kurz schnippte er mit den Fingern und … nichts geschah! Eigentlich müsste jetzt eine kleine Flamme aufzüngeln, doch es blieb dunkel. Nicht einmal der winzigste Funke war zu sehen. Also doch nichts mit Magie? Vielleicht vertrugen sich seine Magie mit der Magie des Dorfes nicht. Nun, man würde sehen. Er setzte sich auf den Boden und zog Catyua mit sich. Seine Augen folgten dem Schatten, bei dem er Assasina erkannte, die die Wände der Hütte abtastete. Erwartete sie etwa, dass die Wände nachgaben?
Niemand der Eingeschlossenen wusste wie viel Zeit vergangen war, als sich die Türe öffnete und ein helles Licht die bisher dunkle Hütte in warme Helligkeit tauchte. Zwei Dorfbewohner traten ein, einer hielt in seinen Händen einen längeren Tisch und der andere hatte neben einer großen Fackel auch noch einige Kissen. Hinter diesen beiden Männern betraten auch drei Frauen den Raum und stellten einige Schüsseln und einen großen Krug auf den zwar langen, aber niedrigen Tisch. Kaum hatten sie alles abgeladen, verschwanden sie auch wieder aus der Hütte. Einer der Männer, jener der die Kissen auf den Boden verteilt hatte, stellte die Fackel in den Halter an einer der Wände und das blackende Feuer warf zuckende Schatten in den Raum. Niemand sagte ein Wort nur der zweite Dorfbewohner streckte seine Hände aus und winkte mit den Fingern. Da keiner der „Gäste“ darauf reagierte, verzog er sein Gesicht und meinte dann mit tiefer, knurriger Stimme:„Waffen!“
Erst wollte Rutaara nicht auf den „Besuch“ reagieren, doch dann fing ihre Nase den Duft von Essen ein und sie wurde schwach. Sie trat vor, nahm eines der Kissen und legte es nahe zu dem Tisch, den sie jetzt im Fackellicht besser sehen konnte. Außer dem Tisch, den Kissen und den Schüsseln samt Krug war die Hütte leer.Nicht einmal ein noch so tristes Strohlager befand sich darin. Sie sah überhaupt nicht sehr bewohnt aus. Lyrael ließ sich neben ihr nieder und kein Auge von den Männern. Kurz wurde er abgelenkt, als der starke Geruch nach heißem Essen zu ihm drang und er zwinkerte kurz. Seine Ohren waren gespitzt und diese kurze Ablenkung dauerte nur wenige Sekunden. Dann wurde er wieder gespannte Aufmerksamkeit.
Assasina hatte eine größere Spalte im Hüttenhintergrund entdeckt und wollte eben in ihrer Schlangengestalt durch diese nach draußen kriechen, als sich die Hüttentüre öffnete und die Einrichtungsgegenstände samt Schüsseln und Krug herein gebracht wurden. Sie stoppte ihr Vorhaben und beschaute sich wie ungefähr ihre Fingernägel, als wäre nichts passiert. Sie blinzelte kurz, als sie der Feuerschein der Fackel blendete und ihre Pupille wurde schmal. Doch da sie ihre Augen gesenkt hielt, fiel dies niemanden auf. Ein würziger Geruch drang zu ihr und brachte ihr wieder in Erinnerung, dass sie eigentlich Hunger hatte. Aus diesem Gefühl heraus strich sie gleich darauf mit einer Hand über das Schlangenbild an ihrem Arm. Sie schaute erstaunt auf, als Rutaara die erste war, welche sich an den Tisch setzte und so tat, als wäre es alltäglich am Boden auf Kissen zu sitzen und ein verspätetes Abendbrot einzunehmen. Denn dass es draußen bereits dunkel war, hatte Assasina schon gesehen. Sie fauchte nur erbost, als der eine der Männer mit seinen Fingern winkte und nur kurz „Waffen“ knurrte. Was dachte der Gor? Dass sie ihm freiwillig die Waffen aushändigte? Da konnte er aber lange warten!
Cedrik drückte kurz seine Augen zusammen, als die helle Flamme einer Fackel diese traf. Einige Dorfbewohner hatten die Hütte betreten, Tisch, Kissen und Speiseschüsseln herein gebracht. Das Licht der Fackel erhellte zwar nicht die ganze Hütte, doch die tiefen Schatten wurden zu besser erkennbaren Stellen. Und er bemerkte, dass scheinbar schon lange niemand in dieser Hütte gewohnt hatte. Nicht nur die etwas tief hängenden Spinnweben in den Ecken zeugten davon, sondern auch die fehlenden Lagerstätten. Keine Kochstelle und keine Schränke, in denen die Bewohner ihre Vorräte lagerten. Catyua schaute ihn fragend an und er nickte ihr zu. Seine Finger hatten sich mit den ihren verschränkt und beide traten nun ebenso näher wie Rutaara bereits vor dem Tisch saß. Cedrik stellte sich vor, wie die heißen Speisen in seinen Mund kamen und danach in den Magen rutschten. Seine andere Hand, in der er immer noch den Stab hielt zuckte zur Seite und er ließ den Stab los, der leicht gegen die Wand fiel. Während Cedrik mit Catyua zu den nächsten beiden Kissen ging meinte einer der Männer mit knarrender Stimme „Waffen!“ Cedrik zuckte zusammen und sah seine Hoffnung, dass man ihnen trotz allem die Waffen ließ, verschwinden. Seufzend meinte er:„Erst essen dann Waffen!“
Catyua lief das Wasser im Mund zusammen, als sie den Duft von heißen Speisen in ihre Nase bekam. Es war schon länger her, dass sie etwas zu sich genommen hatte und noch länger, dass sie es in Ruhe machen durfte. Denn sie glaubte nicht, dass es hier gefährlich war. Aber – man konnte natürlich nicht wissen. Ihr Blick ging zu Cedrik, als dieser auf die knurrende Aufforderung des Mannes Widerworte gab. Sie hatte nicht so recht darauf geachtet. Doch ihre Waffen würde sie trotz allem nur sehr ungern aus den Händen geben. Jedoch kämpfen würde sie auch nicht damit, nicht hier in dem Raum. Das Mädchen folgte Cedrik, der bereits neben Rutaara getreten war und sich auf eines der Kissen nieder ließ, sie neben sich auf ein weiteres Kissen ziehend.
Scheinbar hatten die beiden Männer mit Widerstand ihrer „Gäste“ gerechnet, denn sie erwiderten nichts auf die offene Ablehnung, traten nur dicht an die Gruppenmitglieder heran und entwaffneten sie so rasch und gründlich, als hätten sie dies bereits oft genug getan, oder als hätten sie den durchdringenden Blick, um zu sehen, wo und welche Waffen unter den Kleidern versteckt waren. Danach wandten sie sich um und verließen ohne ein weiteres Wort die Hütte. Hinter ihnen wurde die Türe ziemlich nachdrücklich in das Schloss gezogen und gleich darauf rastete ein harter Riegel außen ein.
Kurz überlegte Assasina, ob sie sich auch über die verlockend riechenden Dinge auf dem niedrigen Tisch her machen sollte, dann jedoch sah sie sich um. Irgendetwas stimmte hier nicht ganz. Die Elfe runzelte die Stirn, dann wandte sie sich an die Essenden.„Habt ihr das Prinzenpaar gesehen? Hat einer von euch gesehen, wo man die beiden hin gebracht hatte?“ Cedrik war der erste, der reagierte. Kurz ließ er seinen Blick herum wandern, dann schüttelte er den Kopf. Wozu hatte man einen Magier, wenn der genauso viel aufpasste oder genau so wenig wie alle hier? Assasina knurrte leise. Es war schon ein Krampf mit dem jungen Kerl! Lag wohl tatsächlich an seiner Jugend. Na gut, wenn es sein musste, war sie eben diejenige, die sich auf die Suche nach den beiden machte. Die Elfe begab sich wieder zu der engen Spalte und versuchte ihre Hand durch zu stecken. Es ging zwar nicht, doch sie spürte, dass das Brett nicht ganz so fest angemacht war, denn es bewegte sich etwas. Sie musste also zu ihrem anderen Körper greifen, vielleicht konnte sie den Riegel bei der Türe öffnen. Sie glaubte es zwar nicht so fest, denn diese Intresen wären ja wirklich blöd, wenn sie keinen Wächter davor gestellt hätten, aber man konnte es ja versuchen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, die anderen schienen nichts bemerkt zu haben, die waren immer noch mit Nahrungsaufnahme beschäftigt. Ein leises Rascheln war das einzige, das zu hören war und … Assasina hatte die Hütte verlassen.
Agenor saß auf dem Boden und seine Männer umstanden ihn. Man hatte sie alle entwaffnet und er kam sich jetzt nackt vor. Nachdem sie ihre Waffen verloren hatten, waren sie mit Essen versorgt worden. Seine Krieger waren erst vorsichtig, doch dann siegte der Hunger. Und wollten sie wieder von hier fliehen, mussten sie bei Kräften bleiben. Keiner von Agenors Krieger hatte sich während dem Essen gesetzt, nur Agenor hatte das Kissen genutzt. Seine Sorge galt nicht nur seinen Männern, sondern auch dem Rest der Gruppe. Doch jetzt konnte er nichts anderes machen, als die Ruhepause zu genießen. Dass sie alle nicht lange hier bleiben werden, das wusste er. Aber ganz deutlich hatte er einen Riegel draußen vor der Tür einrasten gehört. Einige seiner Männer hatten die Hütte untersucht, aber alle Wände waren erst neu gebaut worden und dadurch stark.
Rutaara hatte so viel als möglich zu sich genommen und auch tüchtig von dem Krug, in dem reines Wasser war, getrunken. Mit bedächtigen Handgriffen strich sie sich über ihren Umhang und strich dann leicht über Lyraels Rücken. Dieser sah auf und zwinkerte ihr zu. Dann jedoch fuhr er mit seiner Wachsamkeit fort.'Bist du müde, Geliebte?', fragten seine Gedanken. Rutaara nickte kurz. 'Versuche zu ruhen, ich werde über dich und die Anderen wachen'.'Ich danke dir, mein Herz', antwortete die Dunkelelbin auf dem gleichen Wege. Dass Lyrael sie warnen würde, sollte eine Gefahr drohen wusste sie Und dies war sicher auch der Grund, dass sie sich erhob, das Kissen schnappte und in eine der Ecken ging. Dort ließ sie das Kissen fallen, nahm ihren Umhang ab und rollte sich so gut es ging zusammen. Dann legte sie sich den Umhang um sich, schloss die Augen und versuchte sich in einen leichten Schlummer zu denken.
Cedrik hatte sich so gut wie möglich mit den angebotenen Sachen gesättigt. Hin und wieder fütterte er auch die neben ihm sitzende Catyua und sie machte den selben Liebesdienst bei ihm. Jetzt wo sie in relativer Sicherheit waren, konnte er sich dieses kleine Spiel leisten. Beim ersten Schluck des Wassers bemerkte er den leichten Geschmack von Pfefferminz und war zufrieden. Überhaupt waren die Speisen sehr gut und Cedrik dachte nicht mehr daran, dass er seine Waffen verloren hatte – bis auf den Stab. Dieser lehnte immer noch vergessen an einer der Wände. Aber was sollte denn auch ein „Wanderstab“ für Gefahr verbreiten? Und das war definitiv keine Waffe. Kurz grinste Cedrik als er soweit dachte. Während er nun wartete, dass auch Catyua fertig wurde, sah er sich um. Er sah Rutaara in einer der Ecken liegen und spürte erst jetzt dass auch er die Müdigkeit in seinen Knochen hatte. Der Wolf lag in ihrer Nähe, beobachtete jedoch alles genau. Auch wenn er hin und wieder seine Augen schloss und den Kopf auf seine Vorderpfoten gelegt hatte. Cedriks Blick glitt von der schlafenden Elbin weg und verharrte bei der Fackel. Diese war seltsamerweise kein bisschen herunter gebrannt. Oder es war ihm nicht aufgefallen.
Catyua liebte dieses Spiel, das Cedrik mit ihr spielte. Mal fütterte sie ihn, mal fütterte er sie. Immer wieder musste sie ein Kichern unterdrücken. Das hier war so richtig nach ihrem Geschmack und sie konnte jetzt so jung und verspielt sein, wie sie es unter anderen Umständen sicher gewesen wäre. War sie doch erst ganz kurz dem Kind-sein entwachsen. Doch auch das schönste Essen ging einmal zu Ende und sie beobachtete Rutaara, die sich ihr Sitzkissen geschnappt hatte um in einer der Hüttenecken sich auszuruhen. Wollten sie alle fliehen, musste sie bei Kräften bleiben und dazu gehörte auch eine geruhsame Nacht. Catyuas Blicke suchten den Rest der Hütte ab, während sie ihr Gehör anstrengte um zu erkennen, wenn der Riegel wieder weg geschoben wurde und dieses Festmahl, eigentlich die Reste davon, abgeräumt wurde. Tief in sich verspürte Catyua ein Pochen, das ihr sagte, etwas stimmte nicht. Es dauerte etwas, dann jedoch wusste sie, was sie gestört hatte. Sie wandte sich an Cedrik und fragte ihn leise:„Wo ist eigentlich Assasina?“
Es war dunkel geworden, ohne dass sie es bemerkt hatte. Nachdem Assasina die Hütte verlassen hatte, überlegte sie, ob sie in ihrer normalen Menschgestalt weiter erkunden sollte, ließ es aber dann sein. Sie schlängelte sich am Boden entlang und ihre Sinne waren aufnahmebereit. Ihre gespaltene Zunge schnellte immer wieder hervor, um all die Gerüche aufzunehmen. Es gab mehrere Hütten, mehr oder weniger so wie die, aus der sie entwischt war. Mitten am Dorfplatz flackerte eine großes Feuer und mehrere Kesseln hingen darüber. Doch kein Essensgeruch stieg in die stille Abendluft, sondern eher Wasserdampf und auch Kräuterduft. Eine größere Hütte lag etwas abseits und der Vorhang, der den Eingang bedeckte statt einer Türe war etwas beiseite gezogen. Assasina machte sich auf den Weg dorthin. Dass sie gesehen wurde, das fürchtete sie weniger, denn sie vernahm zwar hin und wieder das Erschüttern des Bodens und auch hier und dort Gesprächsfetzen, doch niemand lief in der Dunkelheit herum. Sie hatte bald das Ziel ihres Interesses erreicht und schlängelte sich unter dem nicht bis zum Boden reichenden Vorhangtuch durch. Ihre gesteigerten Schlangensinne bemerkten die Gestalten, die sich um einen Tisch scharten, der den größten Teil des Raumes einnahm. Gu'ald befand sich darunter und er schien ziemlich erregt auf eine sehr alte Frau einzureden. Diese hielt in ihren Händen ein dickes Buch und schien daraus zu lesen. Assasinas Augen bemerkten den mit goldenen Buchstaben bedeckten Einband und sie ahnte, dass das Buch ziemlich kostbar war.Schließlich verstummte Gu'ald und die alte Frau klappte das Buch zu. Sie streckte es in Richtung Gu'alds aus und dieser nahm es nach einem kurzen Zögern. Die Frau wandte ihm daraufhin den Rücken zu und Gu'ald verneigte sich. Die anderen Gestalten verneigten sich ebenso und verließen nacheinander den Raum. Nur Gu'ald stand noch da und schien nicht zu wissen, was er mit dem Buch machen sollte. Schließlich wandte er sich um und ging zum Eingang. Assasina machte, dass sie rasch beiseite kroch, sonst würde er sie sicher entdecken. Und dann wäre ihr Erkundungsgang schon beendet sein, doch das wollte sie ja nicht. Es war sicher wichtig um die anderen sicher aus dem Dorf zu bringen, und auch noch die fehlenden wie Agenor und seine Männer, aber auch das Prinzenpaar zu holen und den Weg endlich fortzusetzen.
Nach und nach wurde es still und ruhig im Dorf, die Feuer erloschen, die Kessel wurden weg getragen. Die Stimmen verstummten und bald erfüllten leise Schnarchgeräusche die stille Nachtluft. Hier und dort stimmten unsichtbare Nachttiere ihren Gesang an um nach einiger Zeit wieder zu verstummen. Ein beinahe durchscheinender Mond stieg am Himmel hoch und sein blasser Hof hatte eine seltsame orange Farbe. Blutmond nannten ihn die Alten, wenn er so aussah. Die Pferde hatten sich in dem Unterstand, der im Gatter war, zusammen gedrängt und schlummerten. Nur Sternenlicht stand frei und schaute lange zum Nachthimmel. Er fühlte tief in sich drinnen, dass Cedrik nicht in Gefahr war und doch fühlte er sich etwas allein gelassen. Er schloss die Augen und genoss das Mondlicht, das ihn sanft umspülte. Der Beutel auf seinem Horn begann sacht zu glühen, als das Horn sich in beinahe reines Licht verwandelte. Es war großes Glück, dass niemand dieses Leuchten sah, denn es war sehr verräterisch.
Immer wieder fielen Agenor die Augen zu. Er wollte lieber wach bleiben, denn auch wenn ihnen hier in diesem befestigten Dorf wenig Gefahr drohte, wäre es sicher besser, wachsam zu bleiben. Doch seine Männer hatten sich schon vor einiger Zeit zur Ruhe begeben und er überlegte eben, ob er es ihnen nicht doch gleich tun sollte, als dicht neben ihm leises Rascheln hörbar wurde. Etwas kühles streifte seinen Arm und er zuckte zusammen. Gleich darauf legte sich eine warme Hand auf seine Lippen und eine Stimme flüsterte in sein rechtes Ohr:„Keinen Ton Agenor, ich bin es. Ich habe mich umgesehen und ich werde versuchen, euch hier raus zu holen!“Ehe Agenor etwas erwidern konnte, zeigte ihm ein leiser Luftzug, dass ihn die Unbekannte wieder verlassen hatte. Wenn es nicht unmöglich war, hätte er auf Assasina getippt. Doch wie sollte diese herein gekommen sein? Er selbst hatte die Hütte untersucht und kein Loch gesehen, wo die Elfe herein gekommen sein könnte. Wahrscheinlich hatte er sich die kurze Begegnung eingebildet und er träumte sicher bereits. Agenor seufzte leise und riss seine bereits geschlossenen Augen wieder auf. Doch ausser Schwärze nahmen sie nichts wahr. Und es dauerte dann auch nicht mehr lange, folgte Agenor seinen Kriegern ins Traumland nach.
Cedrik war immer noch mit Catyua beschäftigt, als ihn ihre Frage heraus riss. Er sah sich um und seine Stirn umwölkte sich. Es war schon eine Plage mit dieser Elfe. Er konnte sie nicht sehen und so hob er eine Braue. Er wandte sich an Catyua mit der Frage:„Seit wann ist sie denn verschwunden?“ Da Catyua den Kopf schüttelte, fragte sich Cedrik selbst, seit wann er die Elfe nicht mehr gesehen hatte. Aber da er nicht so genau darauf geachtet hatte, konnte er sich selbst und auch Catyua keine Antwort geben. Er zuckte zusammen, als Geräusche anzeigten, dass nun die leeren Schüsseln abgeräumt würden und er hoffte nur, dass niemand von den Wesen merken würde, dass einer von ihnen hier drinnen fehlte.Rasch stand er auf, ergriff einige der Kissen und begab sich in die Nähe von Rutaara, die sich bereits ein bequemes Kissennest gemacht hatte und scheinbar tief schlief. Der Wolf verfolgte jeden Handgriff Cedriks, doch er reagierte nicht. Cedrik winkte hastig zu Catyua und deutete auf das Kissenbett. Wenn sie beide sich so hinlegen würden, als würden sie eine weitere schlafende Person decken, müsste es nicht auffallen, dass sie um einen weniger waren. Doch tief in sich nahm sich Cedrik vor, ein ernstes Wort mit Assasina zu wechseln.
Catyua folgte rasch auf Cedriks Wink als sie kurz zögerte, weil eben die Türe der Hütte wieder aufgesperrt wurde, um die leer gegessenen Schüsseln und den Krug abzuräumen. Nachdem sie kurz nachgedacht hatte, was Cedrik wohl mit den Kissen vorhatte, erkannte sie dann doch den Hintergedanken und sie nahm rasch zwei der letzten Kissen um sich gleich darauf neben Cedrik nieder zu lassen. Mit dem Rücken saß sie zur Wand hin gelehnt, doch in genug Abstand, als würde hinter ihr jemand Schlafen. Sie hoffte nur, dass Cedriks List gelang. Zwei Mädchen betraten den Raum, räumten Schüsseln, Besteck und Krug in zwei größere Körbe, nickten den beiden zu, die noch wach waren und ohne ein weiteres Wort verließen sie die Hütte wieder. Mit einem lauten Ratschen fuhr der Riegel wieder in seine Halterung und Catyua atmete erleichtert auf. „Das hast du gut gemacht, mein Liebster!“, lobte sie Cedrik und lehnte sich an ihn. Er legte einen Arm um sie, zog sie neben sich nieder und deckte sie vorsorglich mit einem Kissen, das über geblieben war, zu. Erst jetzt merkte die Albin wie müde sie eigentlich war und so dauerte es nicht lange, bis auch sie der Müdigkeit nachgab und die Augen schloss. Cedriks Atem liebkoste ihre Stirn und an der Länge der Atemzüge erkannte sie, dass ihr Geliebter ihr in den Schlaf voraus gegangen war. Der letzte Gedanke, ehe sich ihre Gedanken verwirrten galt Assasina.
Die Elfe hatte einige Stunden zugebracht, die Gegebenheiten in dem Dorf zu erkunden und sie konnte sich nicht so recht vorstellen, wie sie es bewerkstelligen sollte, alle hier heraus zu bringen. Ohne dass sie gefasst wurden. Wie sie es auch wendete, immer mussten einige der Gruppe hier zurück bleiben. Schließlich machte sie sich wieder auf und glitt eilig zu der Hütte, in der sie ihre Waffen gelassen hatte. Kaum war ihre Rückverwandlung abgeschlossen, der Dolch an seinem Platz hockte sich Assasina neben Rutaara und überlegte. Lyrael schaute sie mit leicht glitzernden Augen an und die Elfe fragte sich kurz, wieso sie dies sehen konnte. Dann fiel ihr der schmale Streifen Mondlicht auf und sie wandte sich dem aktuellen Problem zu. Sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte, nachts konnten sie nicht fliehen und am Tage waren die anderen Dörfler sicher auch wachsam. Unwillkürlich strich sich die Elfe sacht über ihren Fuß, wo die SOL I LAGOR ganz leicht pochte. Nein, sie würde diese nicht aktivieren. Da konnte sie ja gleich alle Schläfer im Dorf umbringen. Die Brauen Assasinas gingen rasch nach oben und ein tückisches Grinsen legte sich auf ihre Lippen. Das wäre dann so ein Gedanke, den sie immer noch ausführen konnte. Erst einmal sollte sie sich wie die anderen ausruhen. Wer weiß, was der Weg noch alles beinhaltete, ehe sie die beiden Hoheiten abliefern konnten. Unwillkürlich gähnte sie und zuckte leicht zusammen, als Rutaara leise meinte:„Wenn du dein Maul noch weiter aufreißt, wirst du uns noch einsaugen. Leg dich hin und gib endlich Ruhe!“„Ich dachte, du schläfst?“„Wie sollte ich, wenn du herein kommst wie eine Herde Elefanten?“, gab die Elbin zurück, drehte sich um und wandte der Elfe den Rücken zu. Diese sah kurz zu dem Wolf und hatte den Eindruck, als amüsiere sich dieser.„Gesocks!“, erwiderte Assasina verächtlich, stand auf, begab sich zu einer der beiden freien Ecken, rollte sich dort am Boden zusammen und war schon eingeschlafen, noch ehe ihr Kopf ganz ein vereinzeltes Kissen, das dort herumlag berührte.
Es schien nur wenig Zeit vergangen zu sein, als metallische Hammerschläge durch das Dorf schallten. Sie waren laut und schlugen beinahe hörbare Wellen. Cedrik riss seine Augen auf und wusste erst nach wenigen Augenblicken, wo er war. Sein Blick fiel auf die neben ihm liegende Catyua, die ebenfalls die Augen schreckhaft geweitet hatte. Er grinste sie kurz an, dann fuhr er sich mit einem leisen Ächzen an die Ohren. In seinem Kopf schienen die Hammerschläge nachzuhallen. Da die Hütte keine Fensteröffnungen hatte, konnte er nicht sagen, waren die Hammerschläge nun der Weckruf oder ein Alarm. Er streckte sich kurz aber ausgiebig, während er sich noch immer die Ohren zu hielt. Dann suchte sein Blick die anderen. Rutaara schien bereits eine Weile wach zu sein, denn sie machte bereits ihre Meditationsübungen und Lyrael versteckte seinen Kopf leise jaulend unter seinen Vorderpfoten. Für ihn als Wolf musste dieser Ton eine Qual sein. Assasina lag mit unter dem Kopf verschränkten Armen da, als hörte sie keinen Ton oder als wäre dieses infernalische Geräusch etwas völlig normales. Cedrik atmete erleichtert auf, als das Gehämmer endlich verstummte. Seine Nerven zitterten aber noch und der Kopf drohte seinem Gefühl nach anzuschwellen wie ein Gasballon.
Agenor fuhr mit einem erschrockenen Keuchen hoch und schlug sich den Kopf an etwas hartem an. Mit einem gemurmelten Fluch rieb er sich den Kopf und fühlte, wie ihm dort eine harte Beule auflief. Seine Krieger waren aufgesprungen und hatten sich um ihn in der Abwehrstellung aufgestellt. Agenor kam sich ohne seine Waffen ziemlich nackt und hilflos vor, doch er war erleichtert, als der helle, Nerven aufreibende Ton endlich verstummte. Nun erhob auch er sich und bedeutete seinen Männern mit einigen Handbewegungen, dass sie sich zum Frühsport aufstellen sollten. Viel Platz gab es nicht dazu, doch es war sicher besser, als darauf zu warten, was als nächstes passieren würde. Arme wurden hoch gereckt, Körper gebogen und Beine gestreckt. Agenor machte jede der Übungen vor und seine Krieger taten ihm gleich. Während er so seinen Körper wieder etwas Bewegung verlieh, dachte er über den nächtlichen Besuch nach. Noch immer wusste er nicht, hatte er das alles geträumt oder war tatsächlich Assasina bei ihnen hier drin gewesen. Nun, so bald es ging, würde er die Elfe einfach fragen.
Die Prinzessin zitterte am gesamten Körper, als helle Schläge sie aus dem Schlaf rissen. Ihr Gemahl war bleich und legte fürsorglich seinen Arm um ihre bebenden Schultern. Langsam wünschte sie sich das Ende dieser Reise. Doch sie hatte schon früh gelernt, dass es nicht immer nach ihren Wünschen ging und so schob sie diesen Wunsch wieder beiseite. In ihrem früheren Leben waren ihr bereits beim Aufwachen köstliche Leckereien gereicht worden. Hier hatte sie jedoch Hunger und Angst kennen gelernt. Doch sobald dieses wenig erstrebenswerte Abenteuer vorbei war, würde sie sich wieder ganz dem prinzlichen Alltag hin geben. Sie vermisste ihre Leibzofe, die sie angekleidet und frisiert hatte. Die ihr beim täglichen Bad geholfen hatte. Jetzt konnte sie nicht einmal ihre schmerzenden Beine in das karge Wasser halten, an dem sie vorbei gekommen waren und ihren steifen Rücken von den langen Stunden im Sattel spürte sie selbst bis in den Schlaf. Ihr Gemahl lauschte nach draußen, doch sie wollte weder etwas hören, noch sehen.
Die lauten Hammerschläge hatten die Pferde in Panik versetzt. Sie stiegen mit den Vorderhufen hoch und wieherten ängstlich. Lediglich Sternenlicht stand ruhig da und nur seine Ohren spielten etwas nervös. Er hatte sich wieder von den anderen etwas abgesondert und warf nur den einen oder anderen Blick zu ihnen. Er hatte solche Töne noch nie in seinem Leben vernommen und doch schienen sie in ihm zu singen. Beinahe fühlte er Trauer in sich aufsteigen, als sie verstummten. Es war ihm als würde nun etwas fehlen.
Die Türe wurde geöffnet und in dem hellen Viereck erschien Gu'ald in Begleitung eines alten Mannes mit blauen, langen Haaren. Dieser betrat die Hütte und bedeutete den Insassen ihm zu folgen. Er hatte einen langen Mantel aus Federn an und seine darunter hervor schauenden Füße steckten in weichen Lederschuhen. In einer Hand hielt er einen Stab mit dem skelettierten Kopf einer Wüstenratte. In der anderen hatte er einen kurzen verdreht wirkenden Stock. Cedrik ahnte, dass dies ein Zauberer war. Das verrieten ihm schon die blauen Haare. Zauberer liebten blaue Haare. Warum dies war, entzog sich seinem Wissen. Und das war ihm auch reichlich egal. Catyua drängte sich neben ihn und dicht hinter sich fühlte er Assasina stehen. Er runzelte die Stirn und wartete nur noch darauf, dass sie ihm auf die Fersen stieg. So was konnte man schon von ihr haben. Doch Assasina schien nicht die Absicht zu haben und Cedrik merkte dass nun auch Rutaara hinter ihn getreten war. Lyrael knurrte leise und wurde von Rutaara beruhigt. Der Zauberer wandte sich nun um und winkte der kleinen Gruppe ihm zu folgen. Etwas, was Cedrik sehr gerne befolgte.
Assasina besah sich den Auftritt von Gu'ald und diesem blauhaarigen Mannes. Nun ja, das war ohne Zweifel ein Zauberer. Wenn sie erst diese Hütte hinter sich gelassen hatten, würde sich sicher etwas ergeben, um zu fliehen. Erst einmal konnte man ja gute Miene zum bösen Spiel machen. Die Elfe würde zwar erst fliehen, wenn sie sich ihre restlichen Waffen wieder geholt hatte, aber erst musste sie erfahren wo diese gelagert worden waren. Sie hatte weder Zeit noch Lust, das gesamte Dorf zu durchsuchen. „Was ist? Hast du Flöhe in deinem Sitzfleisch?“, fragte Assasina Cedrik, der sich immer wieder nach ihr umwandte. Der junge Magier schüttelte den Kopf und machte einen Schritt beiseite, wie um sie vorbei zu lassen. Dies ließ sich Assasina nicht noch einmal entgehen und gab Cedrik einen leichten Stoß. „Dann lass mich vorbei!“, sagte sie und grinste.
Rutaara hatte mit einigen raschen Handgriffen ihre Habseligkeiten an sich genommen und folgte nun den Anderen nach draußen. Nach der Dunkelheit in der Fensterlosen Hütte blendete sie nun die Morgensonne und sie kniff die Augen zusammen. Es war zwar der Beginn eines schönen Tages, doch die Luft war kalt. Der Atem stieg wie kleine Wolken in die Morgenluft. Mehrere Dorfbewohner gafften neben den Hütten stehend. Sicher hatten sie noch nicht viele Gäste gesehen, die eine so bunte Truppe bildeten. Von einer der weiter abseits stehenden Hütte wurden Agenor und seine Krieger von einem weiteren Dorfbewohner heran geführt. Dieser hatte jedoch die normale Alltagskleidung an. Wenn man dies als „normal“ bezeichnen konnte: Einen Rock, der wie eine Hose zwischen den Beinen gebunden war und ein weites Hemd, das vorne und rückwärts von weißen Riemen gehalten wurde. Auf dem Kopf hatte der Mann einen weiten Hut. Auf diesem Hut befanden sich viele Krallen von Bären aber auch die Zähne von einem oder zwei Röhrichtbisons. Dies war die ausgestorbene Form von normalen Bisons, die meist in dichten Wäldern anzutreffen war. Auch das Prinzenpaar stieß bald zu ihnen und Rutaara konnte sich nicht verkneifen leise zu sagen:„Somit wären wir alle wieder beisammen.“ Es schien, als meinte das Schicksal es mit ihnen gut, denn wenn es darauf ankam zu fliehen, war es besser wenn alle bereit waren und man nicht den einen oder anderen erst suchen musste.
Gu'ald und der Zauberer führte die Gruppe nun zu einem Spalier aus Menhiren und Felstürmen. Er trat beiseite und ließ nun den Zauberer vorbei. Die Gruppe folgte diesem und das Schlusslicht machte jetzt Gu'ald. Es schien als wüsste er, dass sich die Gedanken der Gruppe hauptsächlich um Flucht drehten und die wollte er mit sich als Schlusslicht verhindern.Das Spalier war ziemlich kurz und an dessen Ende stand ein reichverziertes Haus, keine Hütte wie die Dorfbewohner hatten. Den Eingang flankierten zwei übergroße Götter – oder Dämonenstatuen und statt der Türe befand sich ein hübscher dicht gewebter Vorhang hier. Der Zauberer streckte die Hand aus, in der er den Stock hielt und der Vorhang hob sich wie von Zauberhand beiseite. Der Zauberer betrat das Haus und die Gruppe folgte ihm. „Dies ist unsere Geschichtsbibliothek. Sie enthält alle unsere Aufzeichnungen und die Annalen der Altvorderen. Um euch einen kurzen Einblick in unsere Geschichte zu geben, werde ich nun den sprechenden Ring zu Wort kommen lassen.“
Es war ihr nicht ganz geheuer als sie den Zauberer, denn das war eindeutig einer, sah und der sogar von Gu'ald etwas mit Zurückhaltung oder Ehrerbietung behandelt wurde. Doch Cedrik war an ihrer Seite und so hatte Catyua ja jemanden, an den sie sich anlehnen konnte. Sie hob die Brauen als sie sah, wo man sie alle hin führte. Und erst so recht war sie erstaunt, als von „sprechenden Ringen“ gesprochen wurde. Sie reckte sich etwas, um zu sehen was damit gemeint war. Catyua bemerkte wie der Zauberer mit seinem krummen Stock in die Mitte eines der von innen heraus leuchtenden Tische, die sich in dem Gebäude befanden wies und direkt aus dessen Mitte ein runder Gegenstand stieg. Leises Klingen wie von Feenmusik wurde hörbar und eine leise, aber doch einprägsame Frauenstimme erzählte von der Vergangenheit dieses Dorfes. Nur weniges war es, das Catyua nicht verstand. Doch soviel erfuhr sie, dass es zwei Parteien gab und die hier ansässigen Intresen sich der Magie verschrieben hatten, während ihr Brudervolk, die Atlekas es eher mit Pfeil und Bogen versuchten, jeglichen Konflikt zu lösen. Sie hatten auch keinerlei Metallwaffen, zum Gegensatz der Intresen. Die schon mal zu Schwert und Axt griffen. Catyua hörte dem sprechenden Ring interessiert zu, doch bald begannen ihre Augen zu wandern. Sie sah sich um nach den anderen. Rutaara stand schräg hinter ihr und Cedrik und strich langsam über Lyraels Kopf. Assasina putzte sich scheinbar völlig uninteressiert mit der rechten Hand die Nägel der Linken. Agenor war eher ein lebendes Standbild und seine Männer waren ziemlich unruhig. Der Prinz sah sich mit einem eigenartig lauernden Blick um, während er seine Gattin eng an sich gedrückt hielt. Diese hatte die Augen gesenkt und schien sich ziemlich unwohl zu fühlen. Wenn man bedachte, was sie bisher alles erlebt hatte, hatte Catyua schon Verständnis für sie. Ihr Blick glitt nun von den anderen zu Cedrik zurück und sie errötete unwillkürlich, als sie bemerkte, dass ihr Geliebter sie mit einem Blick betrachtete, bei dessen Anblick sie ziemlich durcheinander geriet. Sie versank andächtig in diesen braunen Augen mit den schwimmenden Goldpünktchen und sofort waren alle anderen Dinge ausgeklinkt bei ihr. Wäre jetzt in diesem Augenblick das Gebäude von einem Erdbeben geschüttelt eingestürzt, sie hätte es nicht einmal bemerkt.
Die Stimme war verstummt und der Zauberer schaute wie erwachend in die Runde. Gu'ald hatte diese Geschichte schon so oft gehört, dass er sich eher darauf konzentrierte, was die Mitglieder der vor ihm stehenden Gruppe machten. In den meisten Gesichtern bemerkte er Interesse, aber auch Ungeduld. Vor allem bei den Kriegern und deren Anführer war dies die vorherrschende Gemütsbewegung. Die beiden vor ihm, der junge Zauberer und das bleiche Mädchen waren eher mit sich selbst beschäftigt. Gu'ald nahm sich erneut vor, diesen Jungen zu fragen, wie viele Sommer oder Winter oder wie er auch immer sein Alter zählte. Er war sehr jung und doch alt genug um erwachsen zu wirken. Ausserdem schien er das Ergebnis zweier Völker zu sein. Dies zeigten seine leicht spitzen Ohren aber auch diese seltsamen Augen. Die Dunkelelbe und ihr Wolf hatten ebenso Interesse bei Gu'ald geweckt wie dieses andere Paar. Wer sie wohl sein könnten? Sicher hatten sie innerhalb der Gruppe einen etwas gehobenen Stand. Und diese Elfe machte auf völlig unbeteiligt und es schien ihr wirklich egal zu sein, was hier erzählt worden war. Doch dieses Desinteresse nahm ihr Gu'ald nicht so recht ab. Dazu kannte er sie inzwischen zu gut. Darum hatte man ja auch ihn geschickt, denn er konnte Fremde noch am besten einschätzen.
Rutaara strich langsam über Lyraels Kopf während ihre Gedanken sich mit ihm verbunden hatten. Sie überlegten beide hin und her wie sie nun tatsächlich dieses Dorf verlassen konnten, ohne dass es auffiel und ihren Weg fortsetzen, ohne dass es erneut zu einem Einfangen von Seiten der Interesen kam. 'Denkst du wirklich, dass Cedrik helfen kann, Geliebter? Ich möchte endlich dich in deiner wahren Gestalt an meiner Seite haben. Es dauert schon so lange!''Geduld, Geliebte und ja, der junge Magier kann helfen. Weißt du noch, dass er sagte, er kann Spiegelmagie? Vielleicht ist er bereits so weit in diese Magie eingedrungen, um uns aus diesem Dorf zu führen.''Wie soll das gehen?' Rutaara hatte nicht die leiseste Ahnung, wie der Junge das schaffen sollte. Bei diesem Aufgebot von Zauberern und dieser Magie. Vor allem wo Cedrik noch so jung war. Er sah zwar älter aus, doch die siebzehn Lebensjahre, die Cedrik zählte hatten ihn noch nicht zu einem starken Spiegelzauberer gemacht. Ausserdem kam hin und wieder seine menschliche Seite mehr durch, als sich die Elfenseite in ihm behaupten konnte. 'Vertraust du ihm, Rutaa?''Natürlich vertraue ich ihm', bestätigte Rutaara und strich weiterhin über Lyraels Kopf. 'Dann lass ihn machen und ich werde ihn unterstützen. Dazu muss ich dich jedoch für kurze Zeit allein lassen. Aber ich bleibe in deiner Nähe, Geliebte!' Lyrael hob den Kopf und leckte kurz sacht über Rutaaras Handfläche. Dies sollte sie beruhigen und ihr seine Liebe zeigen. Jetzt kam es darauf an, ob er Cedrik den Gedanken an dessen Spiegelmagie eingeben konnte, ohne dass der Junge bemerkte, woher er die Idee hatte. Denn es sollte so aussehen, als käme es von ihm allein.
Assasina hatte ihre Nagelreinigung eingestellt. Diese waren so sauber wie schon lange nicht mehr. Der Vortrag, den sie sich anhören musste von diesem seltsamen Ring war erst interessant, doch dann begannen ihre Gedanken zu laufen. Sie sah sich unauffällig um und überlegte, dass sie irgendwie verhindern musste, dass sie erneut getrennt wurden. Es war schon schwierig das durch Magie befestigte Dorf zu verlassen, noch schwerer würde es sein, die einzelnen Gruppenmitglieder wieder zu einem Ganzen zu vereinen. Sie traute es sich zwar zu, doch sie nahm auch gerne den leichteren Weg. Sie war erleichtert, als das Gequatsche endlich verstummte und der Ring wieder in den Tisch versank. Nach der Musikuntermalung mit dieser Stimme schlug die nachfolgende Stille wie eine Welle über den Teilnehmern in diesem Raum zusammen. Nun konnte sie sich endlich auf ihre eigenen Gedanken konzentrieren. Aber zuallererst musste sie dafür sorgen, dass sie alle nicht schon wieder getrennt wurden. Und langsam kam ihr ein Gedanke. Sie drängte sich nach vorne und schaute Gu'ald mit einem spöttischen Blick an.„Und was soll uns jetzt dieser Vortrag sagen? Dass ihr hier Magie beherrscht, während die anderen sich nur mit ihren Holzwaffen vergnügen?“
Gu'alds Augen verengten sich als die Elfe einfach nach vorne drängte und ihre Stimme diesen heraus fordernden Klang hatte. Schon wollte er ihr eine Antwort darauf geben, die sie bestimmt wieder nach hinten gedrückt hätte, aber ihm fiel noch rechtzeitig ein, dass sie recht hatte. Es waren nur die Vergangenheit zur Sprache gebracht worden und nicht das Anliegen, weswegen man diese Gruppe eingefangen hatte. Aber um das zu schaffen, worum man sie alle bitten würde, mussten sie die Vergangenheit kennen. Und das sagte er der Elfe auch. Und er warnte sie und auch die anderen davor, fliehen zu wollen. Nicht, dass es ihnen nützen würde durch den Dorfeingang wieder nach draußen zu kommen, es wäre auch gefährlich. Denn noch immer waren die Verfolger in ihrem Wiederholungsfeld gefangen. Und wenn der Zauberer das Feld öffnete würden diese sich die Gruppe selbst fangen. Und diese käme dann nicht so leicht davon.
Agenor hatte sich zwar an Assasinas herrische und ziemlich vorlaute Art gewöhnt, doch er würde später mit ihr darüber sprechen, dass sie nicht alle provozieren musste. Auch wenn es sicher in ihrer Natur lag, dies zu machen. Interessiert lauschte er den Ausführungen der unsichtbaren Stimme und verglich die Geschichte immer wieder mit der Geschichte seines Volkes. Es gab viele Parallelen aber auch genug Abweichungen. Seine Männer waren wieder ruhiger geworden aber ob sie auch genug zuhörten, vermochte er nicht zu sagen. Es war sicher das eine oder andere wichtig, was sie hier erfuhren. Aber nicht so, dass sie für immer in diesem Dorf blieben, sondern dass es sich für eine Flucht benutzen ließ. Er zuckte leicht zusammen, als etwas seinen rechten Fuß berührte und senkte seinen Blick nach unten. Der Wolf von Rutaara sah neben ihm zu ihm auf und es schien, als würde er grinsen. Der Eindruck dauerte nicht lange denn gleich machte sich der Wolf wieder auf seinen Weg – wo auch immer er hin wollte. Agenor stand so günstig, dass er ihn mit den Augen verfolgen konnte und sah überrascht, dass Lyrael zu Cedrik ging, sich vor ihn hinsetzte und ihn anstarrte.'Was tut er da?', fragte sich Agenor und schüttelte unbewusst den Kopf. Doch da er mit Leib und Seele ein Krieger war und kein Wolferforscher wandte er nach wenigen Augenblicken seine Aufmerksamkeit wieder nach vorne. Dort hatte Assasina in ihrer unnachahmlichen Art Gu'ald die Frage nach dem Warum der Geschichte gestellt. Ja, das würde ihn persönlich auch sehr interessieren.
Gu'ald nickte leicht und meinte:„Das werdet ihr alles erfahren. Doch vorher möchte ich wissen, wie alt eigentlich euer Zauberer ist. Davon hängt eine Menge ab. Auch ob er schon tiefer in die Magiegeheimnisse eingedrungen ist, oder ob er noch ein Anfänger ist!“ Gu'ald entließ Assasina aus seinem Blick und wandte sich zu Cedrik. Dessen Finger umklammerten den „Wanderstab“, von dem Gu'ald stark annahm, dass er etwas gänzlich anderes war als ein Wanderstab und er schien ziemlich verunsichert zu sein. Das war etwas, das Gu'ald beim Dorfzauberer noch nie gemerkt hatte. Aber dieser war ja auch schon uralt und das im wahrsten Sinne des Wortes. Darum war er selbst ja auch ausgesendet worden, diese Gruppe zu fangen. Das Allsehende Auge hatte es prophezeit. Und das hat sich noch nie geirrt.
Cedrik runzelte die Stirn und fragte sich heimlich, was sein Alter diesem Gu'ald anging. Doch da er schon immer höflich und hilfsbereit war, öffnete er seinen Mund und sagte:„Ich bin siebzehn Sommer alt und habe die dritte Magiestufe erreicht. Ich muss noch genügend lernen, ehe ich meine letzte Prüfung ablegen kann. Also bin ich weder Anfänger, noch ein Meister!“Wobei er verschwieg, dass er erst in den letzten Wochen und Monaten neues gelernt hatte, das ihm Meister Fulkhurx nicht beigebracht hatte. Entweder weil er Cedrik für unfähig dafür hielt, oder weil er es selbst nicht kannte. Unwillkürlich suchte Cedriks Blick Assasina und erst jetzt bemerkte er erstaunt, dass Lyrael vor ihm saß und ihn mit interessiertem Blick betrachtete. Cedriks Blick glitt zurück zu Gu'ald und gleich darauf wieder zu Lyrael. Was wollte Rutaaras Wolf von ihm? Ein leichter Kopfschmerz machte sich bemerkbar und Cedrik ahnte, dass Lyrael dahinter steckte. Doch leider verstand sich der Wolf nur mit Rutaara wortlos, Cedrik selbst verstand nicht, was er wollte. Bei Sternenlicht war es leichter, denn der setzte Cedrik seine Worte als Bilder in dessen Kopf. Aber der Wolf war doch ziemlich fremd für den jungen Magier.
Assasina hatte schon höhnische Worte auf ihrer Zunge aber dann schluckte sie diese hinunter, als Gu'ald den Jungen nach seinem Alter fragte. Gegen das ihre war Cedrik noch ein Wickelkind. Auch wenn seine Eltern ihm ihre Lebenserwartung hinterlassen haben. Nicht seine Mutter, eher sein Vater – konnte man den Worten der Elben glauben. Cedrik glaubte sie wohl auch nicht besonders, denn sonst wäre er bereits verschwunden. Für ihn gab es jetzt ja keinen Grund mehr hier zu bleiben. Außer er war noch hier, weil seine Seele sich mit dem Mädchen verbunden hatte. Wusste er eigentlich, dass sie sich auf ein ganzes Jahr trennen mussten? Und erst dann zusammen sein durften? Elfeneltern sagten dies ihrem Nachwuchs, doch Cedrik war von einem alten Mann, einem menschlichen Zauberer aufgezogen worden. Doch … Assasina drängte die weiteren Gedanken von sich, denn dies ging sie nichts an und es interessierte sie auch nicht besonders. Sie genoss es nur, wenn sie Cedrik etwas durcheinander bringen konnte. Seltsamerweise gefiel ihr das in letzter Zeit auch nicht mehr besonders.
Catyua richtete ihre Aufmerksamkeit weg von Cedrik zu Gu'ald, als dieser Cedrik nach seinem Alter fragte. Er musste doch sehen, dass der junge Magier noch kein Greis war. Dass er in etwa ihrem Alter war. Das Mädchen fühlte die leichte Unsicherheit, die von Cedrik zu ihr hin drängte und wäre froh gewesen, wenn sie endlich diese unheimliche Stätte endlich verlassen könnten. Als Gu'ald das Alter von Cedrik erfuhr, war seinem Gesicht das große Erstaunen anzusehen. Auch der Zauberer machte große Augen. Mit einigen raschen Blicken, die er zu Gu'ald hin warf verständigte er sich mit diesem. Dann jedoch hob er eine Hand und Catyua spürte Unheil.
Der Zauberer, der bisher noch kein Wort gesprochen hatte, öffnete den Mund. Seine Stimme war etwas zittrig und kratzig wie die einer Krähe. Man hörte ihr das hohe Alter an.„Ich habe erfahren, dass eine besondere Gruppe verschiedener Lebewesen hier her unterwegs ist. Unsere Späher haben euch lange genug begleitet, um zu erkennen, dass ihr kein Kriegsvolk seid!“ Er schwieg und musste kurz nach Atem ringen. Dann fuhr er fort. „Meine Lebenszeit ist beinahe vorbei und ehe ich verlösche brauche ich einen würdigen Nachfolger. Die Sterne und Magiezeichen haben mir eure Gruppe gezeigt. Auch dass ihr Magie in euch tragt.“ Abermals schwieg er. Es dauerte etwas bis er sich so weit erholt hatte, um weiter zu sprechen. „Niemand von meinem Volk ist bereit diese schwere Bürde zu tragen. Und auch niemand ist davon im Stande. Auch wenn in vielen Magie wohnt. Auch starke Magie. Ich benötige einen Zauberer als meinen Nachfolger. Solange ich lebe, werde ich ihm alles beibringen. Euer Zauberer ist noch jung und lernfähig. Ihr als seine Freunde werdet ebenfalls hier bleiben und das Dorf verbessern. Ihr werdet eure Erfahrung und euer Können mit uns teilen!“ Erneut verstummte er. Als Gu'ald ihm seinen Arm bot, nahm er diesen und krallte seine Finger hinein. Er merkte nicht dass Gu'ald das Gesicht verzog. Es war ihm auch egal. Ungeduldig sog er die Kraft in sich auf, die durch diese Berührung zu ihm strömte. Gu'ald konnte sich später erholen. Jetzt war für den alten Zauberer nur wichtig, dass der Junge dieses Angebot nicht ablehnte. Doch es gab sicher niemand unter dem Himmel der sich diese Chance entgehen ließ, der bedeutendste Zauberer aller Zeiten zu werden.
Cedrik folgte ungläubig staunend den Ausführungen des alten Mannes. Immer wieder schüttelte er den Kopf. Er hatte keine Absicht für den Rest seines Lebens in diesem Dorf zu stranden. Lieber wollte er mit Catyua ein eigenes Leben gründen und sie Meister Fulkhurx vorstellen. Wollte mit ihr auf Sternenlichts Rücken über die Wiesen reiten und nachts die Sterne beobachten, während seine Catyua neben ihm schlief und Sternenlicht in der Nähe graste oder sich vom Licht des Mondes ernährte.Als der Zauberer nun länger schwieg und sich an Gu'ald anhielt dachte Cedrik dass nun seine Antwort erforderlich ist. Noch nie hatte er so ein Angebot bekommen und hätte man es ihm vor seiner Begegnung mit Catyua unterbreitet, hätte er es sicher angenommen. Doch jetzt hatten sich seine Prioritäten verschoben und er konnte nur ablehnen. Doch dies musste in höflicher und angemessener Form geschehen, sonst brachte er die Gruppe und sich selbst samt seiner Geliebten in Gefahr. „Ich … „ Cedrik räusperte sich und begann noch einmal. „Ich fühle mich geehrt, Meister, doch muss ich ablehnen. Ich bin nicht in der richtigen Magiestufe und muss noch viel lernen, ehe ich so große Verantwortung übernehmen darf. Wenn Ihr mir jedoch eine Bedenkzeit einräumt, kann ich mir Eure Worte durch den Kopf gehen lassen und wir können vielleicht doch zu einem guten und für alle Beteiligten gerechten Abschluss kommen.“ Kurz überdachte Cedrik wieder seine Worte und errötete leicht, als er bemerkte, dass er zuerst direkt abgelehnt hatte, doch dann ein Übereinkommen in Aussicht gestellt hatte. Noch während er gesprochen hatte, war plötzlich ein verschwommenes Bild in seinem Kopf entstanden, das ihn und die Gruppe wieder unterwegs zeigte. Es dauerte nicht lange genug um ihm zu zeigen ob dies ein Blick in die Vergangenheit oder ein Blick in die Zukunft war. Doch Cedrik ließ sich nichts anmerken und beendete seine Antwort.
Catyua zuckte erschrocken zusammen, als ihrem Cedrik die Nachfolge des alten Zauberers in Aussicht gestellt wurde. Wie würde sich ihr Geliebter entscheiden? Sie würde auch in dieser Situation bei ihm bleiben und vielleicht irgendwann nach ihrem verschollenen Volk suchen. Aber vielleicht befand sich ja auch die Antwort in diesen komischen Sprechringen verborgen. Lieber wäre es der jungen Albin allerdings, wenn sie weiter könnten und Cedrik sie begleitete. Sie würden das Prinzenpaar beim Talkönig abliefern, dieser würde froh und glücklich sein, seinen rechtmäßigen Nachfolger wieder bei sich zu wissen und würde ihr sagen, ob es ihr Volk noch gab und wo. Dann konnte Cedrik immer noch eventuell hier her zurück kehren und der Nachfolger des Zauberers werden.Ein freudiger Schreck durchzuckte Catyua, als Cedrik ablehnte. Gleich darauf fühlte sie Unsicherheit in sich hoch kriechen, als Cedrik seine Worte wieder abschwächte und um Bedenkzeit bat. Sie schaute ihren Geliebten an und so bemerkte sie, wie sich ein Schleier über seine Augen legte und sein Blick starr wurde. Hatte er eine Vision? Gleich darauf verschwand der Schleier und Cedrik sah zu Boden.
Assasina grinste verächtlich als der Alte mit seinem Vortrag begann. Sie dachte bei sich, obwohl er schon mit beinahe zwei Füße in seinem Grab stand, wollte er noch immer seinen Willen durchsetzen. Dass in diesem Dorf kein geeigneter Nachfolger für den Zauberer zu finden war, hätte sie diesem auch sagen können. Dass er den Jungen, der selbst beinahe noch ein Kind war, fragte grenzte schon an Altersschwachsinn. Hatte der Dummkopf nicht schon früher sich um einen Nachfolger umgesehen? Zweimal machte er beinahe schlapp und musste sich zum Schluss bei Gu'ald anhalten. Diesem schien das gar nicht zu gefallen. Nun die Elfe würde ihm sicher kein Mitleid entgegen bringen.Ihre Brauen hüpften in die Höhe, als Cedrik antwortete. Sie grinste verstohlen gleich darauf, als Cedrik um Bedenkzeit bat. Nun ja man konnte dem Jungen viel nachsagen, doch dass er ein Dummkopf war sicher nicht. Nur die sofortige Ablehnung zeugte von seiner großen Jugend und dass er kein Diplomat war und sicher nicht werden würde. Aber diese Bedenkzeit hatte auch ihr Gutes. Assasina beschloss sie zu nützen. Denn dass sie hier in diesem Dorf ihr Leben beschließen würde, das kam nun einmal überhaupt nicht in Frage. Die Elfe sah sich um und erkannte auch bei den anderen, dass sie sicher nicht hier bleiben würden. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder nach vorne, denn sie war sehr gespannt auf die Antwort des alten Zauberers auf die Bitte Cedriks.
Agenor erstarrte, als der Zauberer so unverblümt forderte, dass Cedrik und sie alle hier bleiben müssen. Seine Familie war schon so lange alleine und ohne eine Nachricht von ihm, dass dies überhaupt nicht in Betracht kam. Und er ahnte, dass auch keiner seiner Krieger sich auf dieses Angebot einlassen würden. Einer seiner Männer räusperte sich, als der junge Magier sogleich ablehnte doch er schien seinen Fehler gleich darauf einzusehen, denn er bat um Bedenkzeit. Nun kam es nur noch darauf an, dass diese Bedenkzeit gewährt wurde. In dieser Zeitspanne wäre es nicht verkehrt, wenn alle das Dorf verlassen würden. Aber sicher würde man Wachen aufstellen. Doch das war für Agenor das kleinste Problem.
Rutaara hatte nicht so recht auf die krächzenden Worte des alten Zauberers geachtet, sondern hatte Lyrael beobachtet. Dieser saß immer noch vor Cedrik und schien nicht so recht zu ihm vordringen zu können. Schon überlegte sich die Elbe was sie unternehmen könnte, um ihrem Gefährten zu helfen, als Cedrik mit lauter Stimme eine Antwort gab. Nun hätte die Elbin viel darum gegeben, hätte sie aufgepasst, worum es ging. Aber schon nach den ersten Worten kam sie zu der Einsicht, dass Cedrik wohl als Nachfolger des alten Zauberers arbeiten sollte. Wenn der Jungmagier dieses Angebot annahm, war er sicher die beste Wahl für dieses Dorf und dessen Einwohner. Denn Cedrik war kein Zauberer, sondern Magier. Und da dieses Dorf so voll Magie war, würde er sich nicht viel anstrengen müssen. Catyua wandte ihren Kopf und schaute zu Cedrik hoch. Sie erbleichte kurz, hatte sich aber gleich darauf wieder im Griff. Was war passiert fragte sich die Elbe. Sie ahnte, dass Lyrael Erfolg gehabt hatte, denn er stand auf, streckte sich kurz und kam langsam in ihre Richtung, sich durch die dicht stehenden Beine vorbei drückend.Kaum war er neben sie gelangt, nickte Lyrael und seine leise Stimme schmeichelte hinter der Stirn.'Ich habe es geschafft, Geliebte. Jetzt kommt es nur noch darauf an, was der alte Zauberer macht und ob er sich auf die Bedenkzeit einlässt und wann es losgehen soll mit unserer Flucht!'
Es dauerte etwas, bevor der alte Zauberer wieder das Wort an Cedrik richtete. „Wohl gesagt, junger Zauberer! Ich werde die Bedenkzeit gestatten. Hole auch die Meinungen deiner Freunde hier ein, vielleicht fällt dir dann die Entscheidung leichter. Morgen wenn die Sonne im Zenit steht, werde ich mir deine Antwort holen!“ Damit wandte er sich um, ließ Gu'alds Arm los und fühlte sich schon viel stärker als noch vorhin. Mit einer Hand bedeutete er Gu'ald, dass dieser und die Mitglieder der Gruppe entlassen waren und verließ als erster den Raum. Gu'ald war erleichtert, als der Zauberer den Kontakt unterbrach. Seine Knie hatten schon begonnen zu zittern. Bei Cedrik musste er nichts befürchten, denn dieser hatte Kraft und Energie genug. Dass der Junge dieses Angebot annahm war für Gu'ald selbstverständlich. Die Bitte um Bedenkzeit war sicher nur eine Art der Diplomatie, um das Gesicht zu wahren. Anderenfalls konnte man ihn ja als gierig bezeichnen oder einfach Machthungrig. Und diese Blöße durfte sich so ein Jungspund nicht vor seinen Leuten geben. Dafür hatte Gu'ald volles Verständnis.„Ich werde euer Eigentum in das Versammlungshaus bringen lassen. Dort habt ihr alle Platz. Diskutiert alles gut miteinander. Und morgen hole ich mir die Antwort!“ Gu'ald nickte und grinste Siegessicher, ehe er sich durch die eng stehenden Wesen drängte um an ihrer Spitze ebenso den Raum zu verlassen. Mit einem raschen Rückblick überzeugte er sich, dass ihm auch alle folgten.
Es ging den bekannten Weg wieder zurück, doch nicht mehr in Richtung der Hütten, die sie vorher bewohnt hatten, wenn es auch nur wenige Stunden gewesen waren, sondern noch tiefer in das Dorf hinein. Cedrik hob erstaunt die Brauen, denn das Dorf schien größer zu sein, als es vorher den Anschein gehabt hatte. Gu'ald führte sie zu einem etwas versteckt hinter einer Buschgruppe stehenden großen Haus und die eine breite Stufe hinauf. Die Türe war offen und er konnte in den Raum sehen. Teppiche belegten den Boden und zeugten von großartiger Handwerkskunst. Ehe er das Haus betrat, Gu'ald war etwas beiseite getreten, sah sich der Jungmagier noch um. In der Nähe befand sich das Pferdegatter und Sternenlicht stand nahe an der einen Gattertüre und nickte immer wieder mit dem Kopf. Cedrik grinste, denn es sah aus, als würde ihn Sternenlicht begrüßen. Dann jedoch wandte er seine Aufmerksamkeit wieder dem Haus zu. Es bestand aus mehr als einem Raum, denn zwei weitere Türen, die jedoch verschlossen waren, zweigten von dem Hauptraum ab. Ein langer Tisch und eine Runde Stühle bestritten die Einrichtung dieses Raumes. In einer Ecke stand ein Schrank, dessen Ablage mit einer Vase und Blumen sowie einem Krug und einigen Bechern aus Silber belegt war. In einer ovalen Schale lag frisches Obst.
Catyua achtete nicht so darauf, wo sie nun wieder hin geführt wurden. Sie war noch immer mit ihren Gedanken bei den vergangenen Minuten. Und ein Teil ihrer Gedanken befasste sich auch mit der Flucht. Denn dass sie hier bleiben würde, das kam nicht in Frage, Dazu hatte sie sicher nicht diese ganzen Strapazen auf sich genommen. Sie erwachte erst wieder aus ihrer Gedankenversunkenheit, als Gu'ald etwas beiseite trat und sie in ein großes Haus führte. Drinnen waren kostbare Teppiche auf dem Boden ausgebreitet und man sah dem Raum an, dass er öfters für Versammlungen oder Feiern genutzt wurde. Ihr Blick fiel auf eine Schale, in der allerlei Obst lag und sofort spürte das Mädchen starkes Verlangen an der einen oder anderen Frucht zu naschen. Es war schließlich schon lange her, dass sie frische Früchte genossen hatte. Kurz sah sie zu dem neben ihr stehenden Cedrik hoch, dann ließ sie seinen Arm los und begab sich langsam zu einem der Stühle. Sie legte ihre Sachen auf den Boden und zog den Stuhl etwas vom Tisch weg um sich darauf zu setzen.
Rutaara hatte sich den Weg eingeprägt und ihn nun wieder finden, falls sie noch Fragen an diese seltsamen Ringe hatte. Denn dass nur dieser Zauberer damit umgehen konnte, das glaubte sie nicht. Überhaupt hatte dieser Zauberer ihr Interesse geweckt. Sie vermutete, dass er mehr wusste, als er gesagt hatte. Selbst Gu'ald schien – wenn schon nicht Angst – so doch Respekt vor ihm zu haben. Ihre Hand lag locker auf Lyraels Kopf und sie überlegte sich die eine und andere Strategie für den Fall, dass man sie jetzt trotzdem trennen sollte, damit sie wieder zusammenfanden. Doch so wie es aussah, hielt man das Wort, denn sie wurden alle gemeinsam zu einem etwas versteckt liegenden großen Haus geführt, das reicher aussah, als die kleine Hütte, wo sie gezwungen worden waren zu übernachten. Davon zeugte auch die Einrichtung und die kostbar aussehenden Teppiche, die am Boden lagen. Die Dunkelelbin hoffte, dass hinter den beiden Türen, die sie auch noch entdeckt hatte, wenigstens einige Zimmer waren, in deren Stille sie ihre Meditation abhalten konnte.
Agenor fühlte sich nicht sehr wohl als er sah, dass der Rückweg ein anderer war als der Hinweg. Und es war sicher Magie im Spiel, dass das Dorf von außen kleiner schien, als es tatsächlich war. Es spielte zwar keine große Rolle für die beabsichtigte Flucht, aber er sollte doch etwas mehr Zeit einplanen. Nun war er nur noch gespannt, wie weit dieses Versammlungshaus von den Pferden entfernt war. Denn die Tiere würde er auf keinen Fall hier lassen. Sie mussten schließlich die Vorräte und Zelte aber auch das Prinzenpaar tragen. Viele seiner Männer würden ohne ihre Tiere nicht mehr am Leben sein. Ein Krieger zu Fuß war nicht so schnell wie einer zu Pferde. Aber Agenor fragte sich auch wo man die ihnen abgenommenen Waffen hin gebracht hatte. Denn ohne sein Schwert oder den Bogen mit den Pfeilen würde er nirgends hin gehen. Er sah sich aufmerksam um als Gu'ald sie zu einem hinter Gebüsch versteckten Haus brachte und es betrat. Da Gu'ald dann beiseite trat konnten nun auch die anderen das Gebäude betreten. Agenor sah die Teppiche am Boden und krauste unwillkürlich die Nase. Er als Krieger war ganz andere Böden gewohnt, wegen seiner konnte man die Teppiche ruhig entfernen. Mit einem raschen Blick zählte Agenor die Stühle die um den langen Tisch herum standen und kam zu dem Ergebnis, dass sie für alle hier im Raum beileibe nicht reichten. Das selbe hatten scheinbar seine Krieger auch erkannt, denn sie gingen tiefer in den Raum hinein und setzten sich nun auf den Boden. Nur Agenor trat zu dem verängstigt wirkenden Prinzenpaar, packte es an der Schulter und schob die beiden vor sich her in Richtung seiner Krieger. Wollten sie wieder einmal fliehen, mussten sie erst an ihm vorbei. Er zeigte auf den Boden und nach einem strengen und auffordernden Blick von ihm setzten sich beide nun ebenfalls auf den Teppich, der einen Drachen im Kampf mit einer Furie zeigte.
Assasina wäre gerne dem Zauberer gefolgt, doch Gu'ald passte auf und so musste sie mit ihm und den anderen wieder zurück gehen. Doch statt sie wieder zu der kleinen Hütte zu bringen, wurden sie und die Gruppe zu einem abgelegenen Haus gebracht, das reicher wirkte als all die Hütten zusammen. Teppiche lagen in den Raum, in den Gu'ald sie eintreten ließ und Assasina sah sich um. Mit einem Blick sah sie, dass Elfenfinger diese Teppiche geknüpft hatten. Sie würden für lange Zeit ihre Schönheit und ihre Festigkeit behalten. Obwohl es der Elfe reichlich egal war, dass sie hier lagen. Sie hätte keinen von ihnen gebraucht. Aber solange die anderen Kräfte schöpfen konnten, nahm sie auch die Teppiche in Kauf. Insgeheim nahm sie sich vor, wenn alles wieder ruhig war und die anderen schliefen diesen Zauberer aufzusuchen um ihn zu beobachten. Vielleicht konnte sie diese Erfahrung ja gegen ihn benutzen. Assasina trat zu einem der Stühle zog ihn an sich und setzte sich. Einen Fuß legte sie über die rechte Armlehne, den anderen auf den wie poliert wirkenden Tisch. Mit Genugtuung merkte sie, dass Gu'ald wieder einmal ärgerlich wurde. Oh ja, sie liebte es ihn zur Weißglut zu bringen. Je wütender er wurde, desto belustigter fühlte sie sich.
Gu'ald trat beiseite um die Gruppenmitglieder einzulassen. Interessiert verfolgte er wie ein jeder nach seiner Art den Raum in Beschlag nahm. Die Krieger und deren Anführer zogen sich in den rückwärtigen Teil des Raumes zurück. Sie nahmen auch die beiden Gefangenen mit, denn dass es sich um solche handelte, das hatte Gu'ald bereits aus so kleineren Zeichen erkannt. Die dunkle Elbe mit ihrem Wolf zog sich ebenfalls soweit als möglich aus seiner Nähe zurück. Der junge Zauberer, der von sich als einem Magier sprach und sein Liebchen nahmen jeder einen der Stühle hervor und setzten sich. Sie schienen irgendwie mit ihrem Schicksal abgeschlossen zu haben. Gu'ald überlegte, ob er diesem Cedrik erklären sollte, dass es eine große Ehre für ihn war als Nachfolger für den alten Zauberer erwählt worden zu sein, doch da der Junge um Bedenkzeit gebeten hatte, wollte Gu'ald nicht vorgreifen. Er würde mehr zerstören als zu helfen. Kaum fiel jedoch Gu'alds Blick auf die sich in einen der Stühle lümmelnde Elfe spürte er wie Zorn in ihm hoch brodelte. Konnte dieses Weib sich nicht ordentlich hinsetzen? Wusste sie nicht, dass diese Stühle aus dem kostbaren Rotareholz aus den blauen Bergen gemacht worden waren? Früher waren die Händler noch hier in die Tiefebene gekommen um die Aufträge für die Möbeln aus dem kostbaren und äußerst teuren Holz zu holen. Seit langem aber gab es entweder keine Händler mehr oder keine Rotarewälder. Gu'ald merkte dass ihn die Elfe provozieren wollte und beinahe wäre er darauf angesprungen. Mit äußerster Mühe unterdrückte er seine Wut und meinte bewusst belanglos:„Ihr werdet heute Nacht hier bleiben. Hinter den beiden Türen geht es zu kleinen Zimmern, denn manchmal haben wir Gäste, die übernachten wollen. Diese Zimmer sind mit allem Kornfort ausgerüstet. Etwas später werden euch Speisen und Getränke gebracht. Und du ...“, wandte er sich an Cedrik. „... überlegst dir gut und gründlich deine Antwort für morgen. Wir können nicht lange warten, denn der Meister ist schon recht alt – aber das weißt du ja am besten!“ Damit wandte er sich um, nickte den anderen noch einmal zu und verließ den Raum. Die Türe blieb offen.
Es dauerte nicht lange so kamen einige Mädchen, brachten dampfende Schüsseln in denen Suppe und heißes Gemüse war. Zwei Platten mit geschmortem Fleisch und gebackenen Törtchen. Eines der Mädchen hatte in einem Korb Teller und Besteck, das sie auf dem Tisch verteilte, auf dem sie zuvor eine dicke, gelbe Decke gelegt hatte. Die Schüsseln wurden auch darauf gestellt und noch ein Korb mit frisch gebackenem, duftenden Brot welches in Scheiben geschnitten war kam hinzu, dann verließen die Mädchen den Raum und nun schlossen sie die Türe. Ein Schlüssel wurde herumgedreht, dann trat Stille ein. Catyua spürte bei den herrlichen Düften das Wasser im Mund zusammen laufen und sie griff sich rasch ein Stück Brot und noch eines der kleineren Stücke von dem Schmorfleisch und begann zu essen. Der Koch der diese Köstlichkeit zubereitet hatte, sollte ein großes Lob bekommen.
Cedrik sah Catyua kurz beim essen zu, er hatte sich halb erhoben als die Mädchen mit den Schüsseln und den Körben in das Haus kamen, hatte sich dann jedoch wieder entspannt. Er hatte die Worte Gu'alds noch im Ohr und hatte auch die versteckte Drohung erkannt. Nun aber konnte er diesen Gerüchen ebenso wenig widerstehen wie Catyua und bald hatte er sich auf seinen vor ihm stehenden Teller genug aufgehäuft dass er sicher eine Woche lang nichts mehr zu essen brauchte.Kurz sah er zu den anderen, doch dann widmete er sich ganz seiner Mahlzeit.
Rutaara spürte bei den Gerüchen, die zu ihr hin wehten starken Hunger und wenn sie flohen, dann sollte sie doch etwas zu sich nehmen. Denn die nächsten Tage würden wieder alle Kraft von ihnen allen fordern. Sie stand auf und holte sich einen Teller voll Suppe, in die sie zwei Scheibchen Brot bröckelte. Dieses stellte sie wieder an den Platz wo sie bis eben gesessen hatte. Dann ging sie erneut zum Tisch, griff sich einen weiteren Teller, befüllte ihn mit Gemüse und Schmorfleisch und trat erneut den Rückzug an. Diese beiden Teller teilte sie einigermaßen gerecht mit Lyrael, wobei sich dieser weder aus der Suppe noch aus dem Gemüse etwas machte. Doch ihr zuliebe nahm er auch sehr vorsichtig von dem Gemüse und etwas Suppe. Sollte etwas über bleiben würde sie einen kleinen Vorrat in ihren Beutel geben. Wer wusste schon wann sie wieder etwas zu essen bekamen.
Agenor schickte zwei seiner Männer mit einer Handbewegung zum Tisch und diese griffen sich jeder einen Teller. Häuften Fleisch und Gemüse darauf. Brachten diese dann zu den beiden Hoheiten. Kaum hatten diese ihnen die Teller aus den Händen genommen machten sich nun auch die restlichen Krieger daran, ihren Teil an der Mahlzeit zu holen. Einer der Krieger brachte für Agenor einen Teller mit, gefüllt mit Fleisch und Gemüse und über alles hatte er Suppe geleert. Erst wollte Agenor fragen, ob der Mann vielleicht dachte sein Hauptmann wäre ein armer alter und Zahnloser Greis, doch dann probierte er davon und musste sich eingestehen, dass die Suppe über Schmorfleisch und Gemüse richtig gut schmeckte. So dauerte es nicht lange, bis sein Teller leer, aber sein Magen noch lange nicht voll war. Er trat erneut zu dem Tisch, gab sich eine neuerliche Menge darauf und bemerkte, dass die Schüsseln scheinbar immer noch voll waren. Seinem Empfinden nach hätte schon mehr als die Hälfte fehlen müssen. Aber sicher war hier Magie im Spiel. Also beschloss er sich nicht weiter darum zu kümmern und begab sich zu seinem Platz zurück. Die Krieger Agenors machten es ihrem Anführer nach und so herrschte vom rückwärtigen Raumbereich zum Tisch hin ein stetes Kommen und gehen. Und so viel jeder auch von den Speisen aß, es war immer genug in den Behältern.
Assasina grinste erst als sie sah, dass sie Gu'ald wieder auf die Palme gebracht hatte, dann jedoch nahm sie den Fuß vom Tisch und stellte ihn neben den zweiten, den sie auch von der Armlehne genommen hatte. Sie verzog das Gesicht, als versprochen wurde, es gäbe bald etwas zu essen und war leicht erstaunt, als wirklich bald darauf Mädchen voll beladen mit Essbarem in das Haus kamen. Sie atmete tief ein und spürte gewaltigen Hunger in ihren Eingeweiden wühlen. Wollte sie sich heute Nacht auf die Spur des Zauberers setzen, musste sie satt sein. Und einen großen Teil des Essens als Vorrat mit nehmen. Sie hoffte nur, wenn die Schüsseln leer waren, dass Nachschub gebracht wurde. Denn wenn sie so das Treiben von Agenor und seinen Männern betrachtete, würde für alle anderen nicht mehr viel übrig bleiben.Es dauerte jedoch nicht lange, so merkte Assasina, dass es ein leichtes sein würde, genug Vorrat einzustecken. Denn die Schüsseln wurden nicht leer. Kaum war die Hälfte daraus verschwunden, füllten sie sich sofort wieder mit noch sehr warmen Essen. Auch bei den Törtchen war es so. Assasina wurde an die Kindergeschichte vom sich selbst füllenden Kessel erinnert, die sie irgendwo gehört hatte. Damals hielt sie diese Geschichte eben für eine Kindergeschichte. Jetzt erlebte sie es selbst. Nachdem die Elfe fertig und so satt war, dass ihr allein der Anblick der vollen Schüsseln schon ein Grausen über den Rücken trieb, begann sie ihren Vorratssack aufzufüllen. Nun fehlte nur noch reichlich Wasser und ihre Waffen. Ohne diese fühlte sie sich nackt. Doch diese wird sie sich als erste holen. Assasina hoffte nur, dass der alte Zauberer nicht die gesamte Nacht schlief, aber ihr würde schon etwas einfallen um ihn hoch zu scheuchen.
Es war ein so herrliches Gefühl endlich wieder einmal satt zu sein, dass Cedrik am liebsten geschnurrt hätte … hätte er dies beherrscht. Es war ihm aufgefallen, dass die Schüsseln scheinbar mit Magie am ständigen Befülltsein gehalten wurden. Nun es war ihm ganz recht, so konnten sich alle satt essen. Und noch genug Vorräte besorgen. Er selbst holte seinen Sack unter dem Umhang hervor und füllte genug Schmorfleisch aber auch Gemüsestücke hinein. Dann band er ihn zu und steckte ihn wieder an seinen Platz. Die kleinen Pilzstücke, die er darin gefühlt hatte, würden einen zusätzlichen Reiz ergeben. Schließlich war er satt genug und wandte sich an Catyua, der er hin und wieder kleine Leckerbissen zu gesteckt hatte und sie ihm. Catyua grinste zu ihm und wischte sich mit der Hand über die Lippen. Unwillkürlich rülpste sie und errötete. Cedrik konnte sich eines belustigten Kichern nicht enthalten.„Das heißt, es hat dir geschmeckt?“ meinte er und grinste. Catyua nickte und leckte sich über die Lippen. Ehe er neuerlich etwas sagen konnte, musste auch er rülpsen. Als wäre das ein Signal gewesen, begannen nun auch die anderen ihre Zufriedenheit lautstark zu bekunden. Am ärgsten trieben es die Krieger Agenors. So mancher davon rülpste in einer etwas holprigen Melodie. Agenor runzelte erst die Stirn, doch dann zuckte er die Achseln. Cedrik musste erneut grinsen. Sie waren schon ein lustiger Haufen, fand er.
Es war nach dem zuletzt verklungenem Rülpser nur wenig Zeit vergangen, da wurde die Türe wieder aufgesperrt und die Mädchen kamen herein, um die nun seltsamerweise leeren Schüsseln und Teller samt Besteck abzuholen. Keine sprach dabei ein Wort oder warf einen Blick auf die Hausgäste. In gespenstischer Stille lief alles ab und es dauerte nur kurz, dann raffte eines der Mädchen auch die Decke zusammen, verneigten sich schnell und verließen das Haus beinahe im Eiltempo. Gleich darauf schloss sich die Türe wieder und der Schlüssel wurde von außen umgedreht. Es dauerte etwas ehe Rutaara Worte fand. „Was war das denn?“ Doch sie bekam keine Antwort. Das viele und ungewohnte Essen machten sie müde und es dauerte nicht lange, so sank ihr der Kopf nach vorne, die Augen schlossen sich und der Schlaf überkam sie. Lyrael hielt ebenso die Augen geschlossen, doch seinen Ohren entging nicht das geringste Geräusch.
Nachdem nun der Hunger gestillt war und auch der Durst, dank dieser Suppe, waren sie alle müde geworden. Agenor teilte einen Krieger ein Wache zu halten. Erst muckte der Mann etwas auf, doch Agenor erklärte ihm, auch wenn sie hier in einem verschlossenen Raum waren, konnte immer noch der Zauberer durch eine nicht bekannte Öffnung herein kommen und den einen oder anderen aus ihrer Mitte entführen. Nach einiger Zeit sah der Mann das ein und nahm sich einen der Stühle um sich dicht vor die Türe zu setzen. Agenor selbst beschloss auf das Prinzenpaar, die nun gesättigt und dicht aneinander gedrückt am Boden schlief, aufzupassen.
Cedrik spürte die satte Müdigkeit in seine Knochen ziehen und stand auf. Er bedeutete mit einem Wink Catyua ihm zu folgen. Er begab sich zu einer der Türen und öffnete sie vorsichtig. Dahinter befand sich ein kurzer Korridor, von dem weitere Türen abzweigten. Er zog Catyua hinter sich in den Korridor, hin zu der ersten Türe rechts und öffnete diese. Darin befand sich ein bequem scheinendes breites Bett. Unwillkürlich begann Cedrik zu gähnen und betrat den kleinen Raum. Catyua folgte ihm und trat sofort zu dem Bett, auf dem sie sich mit Schwung nieder ließ. Einigemale sprang sie auf und ab, um seine Federung zu probieren. Es schien ihr ausreichend und so legte sie sich schließlich quer darüber. Kaum hatte sie sich bequem hin gelegt, fiel sie auch schon in einen tiefen Schlummer. Das kam Cedrik sehr seltsam vor, war es doch noch früh am Tag, so sein Empfinden. Er schrieb es jedoch mehr dem ungewohnt opulent ausgefallenem Essen als Magie zu. Und so setzte er sich erst auf den Boden vor dem Bett, dann legte er sich bequem auf dem vor dem Bett liegenden Teppich und war schon eingeschlafen, noch ehe er den Kopf auf seine Armbeuge gelegt hatte.
Assasina war erst gar nicht so recht aufgefallen, dass die meisten der Gruppe in einen tiefen Schlaf gefallen waren. Erst als sie so ziemlich alleine beim Tisch saß, fiel ihr die ungewohnte Stille auf. Ihr Blick bemerkte jede Unregelmäßigkeit, auch dass Cedrik und Catyua fehlten. Sie spürte tief in sich ein leichtes Ziepen und wusste nun, dass diese Müdigkeit nicht auf normale Art entstanden war. Da war starke Magie im Spiel. Doch seit sie die Wandlung durchgemacht hatte, hatte diese Art von Magie wenig Einfluss auf sie. Darum erhob sie sich und ging erst zu dem Wächter an der Türe hin. Sie beugte sich seitlich an ihm vorbei und sah in sein Gesicht. Die Augen waren geschlossen und er atmete tief und ruhig. „Schöner Wächter“, murmelte sie. Sie griff an ihm vorbei nach der Klinke der Türe und rüttelte etwas daran. „Zugesperrt. Doch kein Hindernis für meinen wachen Geist!“ Abermals murmelte sie die Worte. Hinter ihr erklang ein kurzer Schnarchlaut und sie wandte sich um, um zu sehen wer diese Stille so derb durchbrach. Auch im rückwärtigen Teil des Hauses lagen alle mehr oder weniger durcheinander und schliefen. Selbst Agenor hatte sich auf den Boden gesetzt und gab sich dem Schlaf hin. Nachdem sie jeden, selbst das schlafende Prinzenpaar einige Augenblicke gemustert hatte, machte sie sich auf die Suche nach Cedrik und Catyua. Erst begab sie sich zu der Türe, die am weitesten entfernt von den Schlafenden war und öffnete sie. Sie erkannte den Korridor und dass davon mehrere Türen abzweigten. Wenn der Junge so rasch müde geworden war wie alle anderen hatte er sicher die erste Gelegenheit ergriffen. Sie streckte die Hand nach der Türklinke aus und hielt kurz inne. Es war ein leises Geräusch hörbar geworden und das kam eindeutig durch diese Türe. Vorsichtig drückte Assasina die Klinke nieder, wünschte sich erneut ihre Waffen und öffnete schließlich die Türe. Schon der erste Blick sagte ihr, dass sie Cedrik und Catyua gefunden hatte. Beide schliefen tief und Assasina musste grinsen. Sie verspürte eine leichte Berührung an ihrem Arm, wo sie die Schlange trug und … brach zusammen. Sie drehte sich auf dem Boden liegend zur Seite und schlief tief und fest weiter. Währenddessen schlängelte sich eine kleine schwarze Schlange aus dem Zimmer. Sie erreichte die offene Türe, züngelte erst in die Richtung der schlafenden Krieger und Rutaara. Dann schlängelte sie sich weiter Richtung verschlossener Türe, wo der Wächter immer noch schlief. Kurz verhielt die Schlange, dann hatte sie den leichten Luftstrom gespürt, der unter der Eingangstüre ihre Zunge traf und gleich darauf war sie darunter verschwunden.
Niemand achtete auf eine schwarze Schlange, Füße eilten hin und her, doch in unmittelbarer Nähe des Hauses hinter dem Gebüsch war alles ruhig. Anaya spürte zahlreiches Leben in ihrer Nähe. Hamsterartige, Mäuse und auch andere Nager. Sie beschloss erst etwas auf Jagd zu gehen, ehe sie sich umsah.In den nächsten Stunden ließen zahlreiche Mäuse und Riesenhamster ihr leben. Anaya brauchte nicht jeden Tag etwas, doch die letzte Zeit war sehr entbehrungsreich gewesen. Und sie holte jetzt alles nach. Nach und nach wurde es ruhiger im Dorf, das Gerenne von zahlreichen Füßen wurde weniger und schließlich senkte sich die Dämmerung über die Häuser. Die Türen schlossen sich, Ruhe kehrte ein und als der Mond silbern und groß aufging, wollte Anaya eben zu Assasina zurück. Ein leises Schlürfgeräusch, das ihre Körpersensoren aufnahmen ließ sie davon abhalten. Da sie dunkel im Dunkel war fiel sie nicht weiter auf. Doch um allen Eventualitäten vorzubeugen huschte sie rasch schlängelnd hinter einen größeren Stein. Ein großer Schatten schlurfte vorbei und Anaya folgte ihn, kaum war er drei Schlängelbewegungen seitlich. Da sie alles wusste, was auch Assasina wusste erkannte sie am Geruch und am Gang den alten Zauberer. Sie fragte sich, was er wohl um diese Zeit und an diesem Ort zu suchen hatte. Der Zauberer blieb kurz stehen und sah sich um. Doch er war allein. Er ging wieder weiter und Anaya folgte ihm. Seine rechte Hand griff nach einem besonders dichten Gebüsch und drückte es beiseite.
Mit einem leisen Seufzen drehte sich Cedrik auf die Seite ohne Catyua richtig los zu lassen. Der Traum, der ihn gefangen hielt war schon sehr eigen. Er träumte, dass er dicht am Boden dahin kroch und dunklen, seltsam wirbelnden Füßen folgte. Es ging einen schmalen Weg entlang und unter seinem Körper kollerten immer wieder kleinere Steine. Doch wie es in solch Träumen war, spürte er wenig Schmerz. Auch den nicht, als ein spitzer Gegenstand sich in seine Seite bohrte. Er hatte keine Zeit nachzusehen was das war, denn er musste hinter diesen Füßen nach, durfte sie nicht verlieren. Gerüche trafen ihn, Gerüche die ihm das Wasser im Mund zusammen laufen ließen. Aber auch Gerüche, die ihn abstießen. Ein Schatten huschte an ihm vorbei und folgte nun ebenfalls den Füßen. Cedrik wurde langsamer und blieb endlich ganz stehen. Er wusste, jetzt konnte er wieder zurück kehren, die Füße wurden nun von kompetenterer Seite verfolgt. Cedrik wandte sich erneut um, doch schlief gleich wieder tief und nun ohne erneutem Traum weiter.
Assasina hatte einen seltsamen Traum. Sie träumte sie wäre in der Gestalt Anayas unterwegs und kroch hinter dem Zauberer her. Dessen Schritte am Boden hinterließen leicht leuchtende Spuren und diesen folgte sie. Jemand – gleich darauf erkannte sie Cedrik – war vor ihr, ließ sich dann jedoch zurück fallen und sie übernahm nun die Verfolgung. Der Zauberer ging zügig voran und hatte scheinbar bald darauf sein Ziel erreicht. Es war ein verfallen wirkendes Gebäude, eine Art Tempel, das ihn anzuziehen schien. Er betrat diesen und mit einem Fingerschnippen entzündete er die Fackeln, die an den Wänden steckten. Assasina-Anaya zuckte zurück und versteckte sich rasch hinter einem der hängenden Teppiche, die bis zum Boden reichten. Der Zauberer trat vor einen Altar, machte einige unverständliche Gesten und begab sich danach in den rückwärtigen Bereich. Anaya folgte ihm nun und er führte sie unbewusst zu einer offen stehenden schmalen Türe. Der Zauberer trat hindurch und ehe sich die Türe schließen konnte, huschte die Schlange hinter ihm her. Die Türe führte zu einem ziemlich verwahrlost wirkenden Teil des Dorfes, dicht an der Dorfeinfriedung. Hier gab es starke Beschädigungen, als hätte vor langer Zeit ein wilder Kampf hier statt gefunden. Aber man hätte darauf vergessen, diese Beschädigungen zu reparieren. Der Zauberer trat zwischen zwei weit auseinander stehenden wie geknickt wirkenden Holzpfählen durch und gleich darauf hörten die Erschütterungen seiner Schritte auf. Assasina_Anaya folgte ihm nun sehr vorsichtig, aber auch wenn sie sich noch so bemühte ihn nicht zu verlieren, er war verschwunden, ehe sie zu der stelle kam, an der er noch vor wenigen Augenblicken gestanden hatte. Anaya sah sich um und erkannte überrascht, dass sie scheinbar das Dorf verlassen hatte. Weit vor sich lag ein offenes Feld, das vom Mond beschienen wurde. Ein kleiner dunkler Gegenstand bewegte sich rasch darüber hinweg und nun ahnte Anaya, wo der Zauberer hin gekommen war. Sie jedoch wandte sich wieder dem Dorf zu und machte sich an den Rückweg.Assasina seufzte leise und erwachte, als sich Anaya wieder um ihr Handgelenk wand und dort erstarrte. Sie sah sich um, erhob sich und verließ leise den Raum. Sie war froh, dass niemand sah, dass sie noch oder wieder wach war. Die anderen schliefen fest und so ließ sie sich ebenfalls auf den Boden nieder und schloss die Augen.
Der Morgen begann damit, dass ein lauter Trompetenton alle Schläfer weckte und kurz war überall Gähnen und Strecken als Morgengymnastik zu vernehmen. Agenor bemerkte voll Schrecken, dass er scheinbar während der Wache eingeschlafen war und schämte sich sehr. Eigentlich hätte ja nichts schlimmes geschehen können, denn sie waren in der Sicherheit eines befestigten Dorfes und eines verschlossenen Hauses gewesen. Doch diese relative Sicherheit durfte nicht dazu genutzt werden, in der Wachsamkeit nachzulassen. Er begab sich nun zu der Türe und probierte ob sie noch verschlossen war. Aber ohne Hindernis ließ sie sich öffnen und er verließ erleichtert das Haus, gefolgt von seinen Männern. Er wandte sich zu den Pferdegattern hin und begann schon auf dem Weg dorthin mit seinen Dehnübungen. Agenors Krieger folgten ihrem Anführer, auch sie mit dem Absolvieren ihrer Übungen.
Cedrik war erwacht und hatte mit Catyua den Raum ihrer nächtlichen Ruhe verlassen. Draußen begrüßte er die anderen und sein suchender Blick bemerkte, dass die Haustüre offen stand, kein Wächter davor war und Agenor samt seinen Männern nicht mehr im Raum war. Von draußen drangen die Geräusche herein, die der Morgen in einem Dorf so mit sich brachte. Ein leises Knurren zeigte Cedrik, dass nun auch sein Magen erwacht war und er streckte seine Hand nach Catyua aus, um sich mit ihr auf den Weg zu machen, etwas essbares zu suchen. Doch Catyua hatte sich zu Rutaara begeben und so blieb dem Jungmagier nichts über, als sich allein nach einem Frühstück umzusehen.
Rutaara war erwacht, da schliefen die anderen noch und hatte Lyrael zu Catyua gewunken, um sie zu holen. Es dauerte auch nicht lange, da kam das Mädchen in Begleitung des Wolfes zu der Dunkelelbin und sah sie fragend an. Rutaara lächelte kurz, dann sagte sie leise:„Hast du gut geschlafen?“ Die Albin sah sie erstaunt an, nickte dann jedoch. Rutaara sah dem Mädchen an, dass diese nicht wusste, was die Ältere von ihr wollte. Rutaara fuhr fort: „Dann bist du bereit, wenn ich es sage, diese gastliche Stätte zu verlassen? Ich denke nicht, dass du dein restliches Leben hier verbringen möchtest. Aber vorher sollten wir uns aufmachen und uns stärken. Sowohl im Magen, als auch im Geist!“ Rutaara war gespannt, ob sich Catyua noch an die wenigen Meditationsübungen erinnerte, die sie ihr beigebracht hatte. Die waren jetzt besonders wichtig, da sie die Muskeln stärkten und auch die Reflexe aufwerteten. Ohne Umschweife begann die Elbe auch gleich mit den ersten Übungen. Es fiel ihr auf, dass Catyua erst etwas zögerte, doch dann machte sie es Rutaara nach. Diese war froh, dass ihr junger Schützling nicht mit allen Gedanken bei deren Geliebten war. Es wäre eine große Schwäche gewesen.
Assasina erwachte von einer Sekunde zur anderen und sah sich um. Agenor und seine Männer waren verschwunden, wahrscheinlich machten sie Sachen, die Krieger eben so machten. Rutaara und Catyua meditierten und machten dazu die benötigten Übungen. Es sah etwas aus wie ein besonderer Tanz. Alles ganz langsam und geheimnisvoll. Sie selbst hätte lieber jetzt einen harten Faustkampf oder einen Schwerttanz gemacht. Noch immer gab es Bilder in ihren Kopf, die aus der vergangenen Nacht entstanden waren. Assasinas Blick fiel auf das Prinzenpaar, das eng aneinander gepresst und mit großen Augen Rutaara und dem Mädchen bei deren Übungen zusah. Sie musste grinsen. Ein leises Räuspern verlangte ihre Aufmerksamkeit und sie verstärkte ihr Grinsen, als sie sah, dass wieder einmal Zeit war, sich den Bauch mit einem guten Frühstück voll zu schlagen. Sie begab sich zu dem Tisch auf dem bereits mehrere Schüsseln und auch Becher standen und setzte sich ohne Umschweife. Ihre Hand griff nach einem noch warmen Brötchen, brach es entzwei und nahm einen großen Biss davon. Es roch nicht nur verführerisch, es war auch herrlich. Warm, kross und süß. Aus einem Krug goss sie sich etwas Milch in einen der Becher und stutzte kurz. Gab es keinen Wein? Nun, wahrscheinlich war die Milch auch wirklich besser. Sie musste schließlich bei Verstand bleiben. Obwohl dieses weiße Zeugs sicher nicht nach ihrem Geschmack war, denn sie war dem Kindesalter schon länger entwachsen. Aber was tat man nicht alles, um eine Flucht zu bewerkstelligen können.
Cedrik hatte sich nach draußen begeben, als ihn Catyua verlassen hatte. Er war auf dem Weg zum Pferdegatter. Dort erwartete ihn schon Sternenlicht und wieder einmal sang er für Cedrik. Sicher aus Freude, dass er seinen menschlichen Freund wieder bei sich hatte. Auch diesem war sein Einhorn abgegangen und so schlüpfte er durch das Gattertor und umarmte Sternenlicht. Er und die anderen Pferde wirkten nicht, als hätte man sie vernachlässigt. Das war ganz gut, denn wenn es daran ging um dieses Dorf zu verlassen, brauchten die Tiere ihre gesamte Kraft. Cedrik ahnte, dass man alles daran setzen würde, um sie hier zu behalten. Sternenlicht senkte den Kopf und stupste Cedrik etwas an. Dieser ließ los und trat einen Schritt zurück. Sternenlicht schüttelte den Kopf, als würde das ihm nicht gefallen. Leise schnaubte er und Cedriks Stirnlocken wurden davon leicht bewegt. „Du bist mir auch abgegangen, Sternenlicht“, flüsterte Cedrik und legte erneut seine rechte Hand auf den Nacken des Einhorns. Etwas seitlich von sich hörte Cedrik die leisen Befehle Agenors, der dort mit seinen Kriegern die Muskeln lockerte. Tief in sich spürte der Jungmagier eine verborgene Angst, denn er sollte sich ja entscheiden ob er der Nachfolger des hier ansässigen Zauberers werden wollte. Obwohl Cedrik eher den Eindruck hatte, es war keine Frage sondern eher ein Befehl. Doch er hatte nicht die Absicht, den Rest seines Lebens hier zu verbringen. Aber das würde er dem Zauberer nicht sagen. Während Cedrik sich mit Sternenlicht abgab, überdachte er seine Antwort und drehte hierhin und dorthin, um sie auch richtig zu übermitteln. Wieder ärgerte er sich, kein wirklicher Diplomat zu sein. Das Knurren seines Magens sagte ihm, dass er noch kein Frühstück zu sich genommen hatte, obwohl es bereits serviert worden war als er das Haus verließ. Undeutlich hatte er in Erinnerung Assasina nach einem Brötchen greifen zu sehen. Doch in jenem Moment war ihm Sternenlicht wichtiger erschienen. Jetzt verabschiedete er sich von seinem Einhorn und strich ihm leicht über die Nüstern. Dann wandte sich Cedrik um, verließ das Gatter auf dem gleichen Weg wie er es betreten hatte und begab sich zum Haus.
Am späten Nachmittag holte Gu'ald Cedrik zu dem Zauberer um diesen die Antwort auf dessen Angebot zu übermitteln. Cedrik war noch nichts gescheites eingefallen und so ließ er es an sich heran treten.Der Zauberer saß auf seinem Stuhl und schaute ziemlich mürrisch Cedrik an. Dieser zog unbehaglich seine Schulter hoch.„Hast du mir etwas zu sagen, Jüngling?“„Es … es ehrt mich Euer Angebot und …!“ Cedrik verstummte. Was sollte er sagen? „Und …?“ fragte der Zauberer und beugte sich etwas vor. Seine Augen bannten den Jungmagier auf den Boden und sahen jedes auch noch so kleine Zucken in dessen Gesicht. Seine Augen wurden groß, als der Junge nickte und meinte, dass er liebend gerne der Nachfolger des Zauberers sein wolle. Denn er war ganz begierig danach vieles zu lernen. Erst dachte der Zauberer, er hätte sich verhört und fragte nach, doch Cedrik nickte erneut. Zwar machte er kein glückliches Gesicht, doch das war dem Zauberer egal. Er brauchte nicht glücklich sein, nur der Richtige.„Das bedeutet, ich kann mit dem Initiationsritus in den nächsten Tagen beginnen?“ Der Zauberer konnte es nicht fassen. Nun einerseits konnte er es auch verstehen, war doch große Macht mit seinem Stand verbunden. Andererseits traute er dem schnellen Annehmen Cedriks nicht. Er selbst hätte länger gebraucht und dann auch noch die eine oder andere Hintertür offen gelassen. Aber scheinbar war dieser Cedrik einer der ganz wenigen Ehrlichen. Oder es war seine Jugend. Mit einer winkenden Handbewegung entließ der Zauberer Cedrik und schaute ihm nach.
Die Tage vergingen und waren vorher noch viele der Dorfeinwohner misstrauisch, änderte es sich, kaum hatten sie von Cedriks Entscheidung erfahren. Dieser selbst schwieg eisern zu den beharrlichen Fragen seiner Freunde. Sein Gesicht meistens in angestrengte Falten verzogen sprach er so wenig als möglich. Die Gruppe wurde nun mehr ins Dorfleben integriert aber nach wie vor verschloss man das Haus nachts. Auch wurde ihnen nicht erlaubt, die Pferde zu reiten, das machten eigens dafür abgestellte Reitknechte. Bis auf Sternenlicht, dieser ließ niemand an sich heran.Assasina hatte Rutaara ihren Traum von der ersten Nacht erzählt und diese hatte versprochen, sie würde sich etwas ausdenken, um den Traum Wirklichkeit werden zu lassen.Das Fest der Einsetzung rückte näher und noch immer hatte Cedrik seine Entscheidung nicht rückgängig gemacht. Es würde niemanden der Gruppe freuen, wenn der Junge wirklich hier ein Zauberer wurde.
Catyua sah überrascht hoch, als sich Cedrik neben sie setzte und mit seinem mürrischen Gesichtsausdruck zu Boden starrte. Seit seiner Audienz beim Zauberer hatte er mit ihr kaum eine Handvoll Worte gewechselt. Darum war sie jetzt freudig überrascht als er leise sagte:„Ich glaube jetzt ist es an der Zeit, von hier zu verschwinden. Die Aufmerksamkeit der Anderen hat nachgelassen und sie glauben, keiner von uns wird jetzt noch fliehen!“„Ich hatte schon Angst, du würdest hier bleiben wollen. Was hat dich veranlasst, so lange nichts zu sagen? Warst du böse auf mich?“ Catyua zuckte leicht zusammen, als Cedriks Hand um die ihre schloss. Oh wie lange hatte sie darauf gewartet? Cedrik schüttelte den Kopf und meinte nur:„Ich bin nicht und war nicht böse auf dich. Aber ich musste den Zauberer und auch die anderen im Glauben lassen, mir liegt etwas daran hier zu bleiben und der Nachfolger des Zauberers zu werden. Heute Nacht ist Neumond und dunkel genug, um von hier zu verschwinden. Ich werde versuchen einen Ausgang zu finden.“
Rutaara hatte sich vor einigen Tagen mit Agenor unterhalten und ihm von Assasinas Traum erzählt. Erst war der Krieger skeptisch ob sie es schaffen würden, aus diesem so gut gesicherten Dorf zu kommen, doch als Assasina ihr und auch ihm dann eines Nachts den Weg zu dem versteckten Tempel zeigte beteiligte er sich auch an den wieder neu entflammten Fluchtgedanken. Nun war es nur noch an Catyua Cedrik von seinem Versprechen abzubringen. Sie konnte sich sowieso nicht erklären, warum der Junge hier bleiben wollte. So hätte sie den Jungmagier nicht eingeschätzt, dass er die Gruppe in Stich ließ. Sie sah überrascht wie sich Cedrik, der sich die letzte Zeit ziemlich zurück gezogen hatte zu Catyua begab und mit ihr eine leise Unterhaltung führte. Was es war konnte sie nicht hören, aber an der Reaktion von Catyua erkannte sie, dass es etwas Überraschendes sein musste. Es dauerte nicht lange, dann stand Cedrik wieder auf und kam direkt auf sie zu. Er neigte seinen Kopf und meinte wieder so leise sprechend:„Ich denke, unser Aufenthalt hier in diesem Dorf neigt sich dem Ende zu. Ich denke, wir sollten heute Nacht aufbrechen. Es ist Neumond und da sind selbst die hellen Katzen schwarz. Die Pferde sollten umwickelte Hufe bekommen, das Gatter ist leicht zu öffnen und Sternenlicht wird dabei helfen, dass keines wiehert oder zu viel Lärm macht. Ich habe mich einige Tage umgesehen, im rückwärtigen Bereich des Dorfes stehen keine Häuser und dort könnten wir zwei der morschesten Stämme beiseite arbeiten.“Rutaara sog überrascht die Luft ein. Der Junge hatte also keineswegs die Absicht der Nachfolger des Zauberers zu werden! „Wir haben auch schon darüber gesprochen. Es ist schön, dass du so vernünftig bist!“
Assasina hatte sich vor zwei Stunden auf den Weg begeben, den der Zauberer in ihrem Traum genommen hatte. Durch Anayas Verbundenheit mit ihr hatte sie einen ganz anderen Blickwinkel, als sie es sonst gehabt hätte. Auch wenn der Mond schien, war es doch auch dunkel. Assasina stolperte kurz über etwas, das quer über den Weg lag und konnte im letzten Moment einen Fluch zwischen den Zähnen zerquetschen. Das fehlte noch, dass sie sich durch ihre eigene Zunge verriet! Vorsichtig ging sie weiter und erkannte das Gebüsch wo der Weg abzweigte. Sie folgte diesem nun und erreichte auch richtig den Tempel. Zwei große Fackeln erleuchteten den Eingang und Assasina wurde nun doppelt wachsam. Anayas Führung zahlte sich nun aus, denn Assasina war nicht darauf angewiesen, einige den Hauptweg kreuzende schmalere Wege zu untersuchen, sondern konnte sich direkt auf den Weg in Innere des Tempels machen. An den Wänden befanden sich hier und dort kleinere Fackeln, aber auch Feuerbecken und so hatte sie keine Mühe den Weg vor sich zu erkennen. Dieser war mit roten und gelben Steinen gepflastert, die ineinander verschlungene und ziemlich Sinnverwirrende Muster zeigten. Sichtbare Stellen an den Wänden, die ebenso verwirrende Muster zeigten, ließen erkennen, dass nicht oft jemand diesen Tempel betrat. Nach einiger Zeit weitete sich der durch Säulen und Wände begrenzte Weg zu einem Halbrund und mitten darin stand ein alter Steinaltar. Eine große Steinschale stand darauf und ein goldener Dolch lag daneben. Assasina ahnte wozu diese Gegenstände gebraucht wurden und hätte beinahe den Eintritt des alten Zauberers überhört, so gefesselt war sie davon. Rasch schlüpfte sie hinter eine der Säulen, die etwas weiter weg von der nächsten Lichtquelle stand und versteckte sich dahinter.
Mit gemurmelten Beschwörungen betrat der Zauberer das Halbrund, verneigte sich nach allen Richtungen, obwohl niemand sonst hier war und entzündete eine dicke Kerze, die ebenfalls auf dem Altartisch stand mit einem Fingerschnippen. Sogleich zuckte die Flamme hellgelb auf und ging schließlich in ein leuchtendes Grün über.„Herr und Meister! Erscheine denn ich habe dir etwas zu erzählen!“ rief der Zauberer und verneigte sich in Richtung Kerze. Die Flamme nun flackerte etwas und dann erschien ein Gesicht darin, das Assasina beinahe ihr Versteck verraten ließ. Das Gesicht stieg etwas in die Höhe, ohne die Flamme ganz zu verlassen. Dunkelrote Augen starrten den Zauberer böse an und eine hallende Stimme rief:„Was willst du, du elender Wurm? Warum rufst du mich?“Der Zauberer begann zu zittern und musste einige Male versuchen zu antworten, ehe er mit rauer Stimme sagte:„Verzeiht Herr und Meister. Ich bin nicht würdig, Euer Antlitz zu sehen, doch habe ich Neuigkeiten für Euch!“„Sprich, du Wurm und nicht immer um den Brei herum!“„Ja, Herr. Ich habe ein Geschenk für Euch, einen jungen Zauberer, der denkt, er könnte mich bei Euch ersetzen. Fremde sind vor einigen Wochen zu uns ins Dorf gekommen und ich denke, sie sind jene, vor denen Ihr uns gewarnt habt. Überlasse Euch, Herr die Seelen dieser Fremden und Ihr denkt hoffentlich daran, was Ihr mir versprochen habt. Dass ich wieder jung und stark werde und die nächsten Jahrhunderte mein Leben leben kann!“„Willst du mir drohen?“„Aber nein, Meister! Gar nicht!“„Schön, es würde dir nicht bekommen, Wurm! Führe die Fremden in zwei Tagen hierher in den Tempel, dann werde ich mich erkenntlich zeigen! Und jetzt verschwinde, ich habe anderes zu tun, als einem winselnden Wurm Wünsche zu erfüllen!“ Das Gesicht verschwand, die Flamme färbte sich wieder normal und der Zauberer lag auf seinen Knien. Die zuletzt vorgestoßenen Worte des Dämons, denn ein solcher war es, hatten ihn nieder geworfen. Nun stand der Zauberer leise ächzend auf, putzte sich den Staub des Bodens von seinem Mantel und schnippte die Flamme der Kerze aus, nachdem er sich wieder verbeugt hatte. Kurz starrte er noch auf den Altar, dann wandte er sich um und verließ diesen Teil des Tempels. Er sah nicht mehr wie eine schlanke Frauengestalt hinter einer der Säulen hervor trat einen Blick hinter ihm her warf und dann zum Altar sah. Ihre Lippen formten ein Wort und ihre Augen zeigten starken Zorn: „Votan!“ Gleich darauf lief sie – nun ohne auf eventuelle Geräusche zu achten – aus dem Halbrund und verließ wenige Minuten nach dem Zauberer den Tempel.
Es herrschte große Aufregung als Assasina ihr Erlebnis den anderen erzählte. Agenor machte ein skeptisches Gesicht. Auch wenn er der Elfe glaubte, dass der Zauberer mit Votan im Bunde stand. Doch einer musste einen kühlen Kopf bewahren und das waren er und seine Krieger. Nur so konnten sie gewinnen. Er hatte die letzten Tage damit zu gebracht schmale Stoffstreifen aus einigen Decken zu reißen ohne dass die Dorfbewohner es merkten. Damit würden sie die Hufe der Pferde umwickeln, um lautlos zu fliehen. Erst hatte er gedacht, es blieben ihnen noch einige Tage, bis sie von hier verschwinden würden, doch das heutige Erlebnis von Assasina sagte ihm, er würde noch heute Nacht die Gruppe in die Freiheit führen müssen. Leise besprach er sich mit zwei seiner Männer, die gleich darauf den Raum verließen. Die Streifen nahmen sie mit.
Rutaara nickte mehrmals mit dem Kopf zu Assasinas Erzählung. So etwas ähnliches hatte sie sich schon gedacht. Dass allerdings wieder einmal dieser Dämon dahinter steckte, hatte sie nicht in Erwägung gezogen. Aber je früher man von hier verschwand, umso besser war es. Ob allerdings der Weg in die Freiheit so leicht sein würde, wusste sie nicht. Sie würde jedenfalls ihr Leben und das der anderen so teuer als möglich verkaufen. Sie beugte sich zu Lyrael und flüsterte ihm ins rechte Ohr:„Mach dich bereit, Liebster! Wir verschwinden heute Nacht noch von hier!“ Der Wolf blinzelte zweimal und setzte sich vor sie hin. Aufmerksam schaute er Rutaara an. Diese war mit den Gedanken bereits dabei ihre Sachen zu verstauen und sprach ein leises Gebet, damit die Gruppe nicht ohne ihre Waffen gehen musste. Obwohl Agenor und seine Männer sich sowohl Bogen als auch Pfeile machen konnten, wäre sie nur ungern ohne ihren Zeremoniendolch verschwunden.
Agenor sah seine im Raum verbliebenen Krieger lange und sehr aufmerksam an, dann zeigte er auf einen und meinte leise:„Erkermann ich vertraue Euch die Aufgabe an, unsere Waffen, die Ihr vor wenigen Tagen gesehen habt, aus deren Versteck zu holen. Sollten Wachen dort stehen, so verfahrt nach Eurem Gutdünken!“
Erkermann, ein Mann mit vielen Narben, die von schweren Kämpfen zeugten, die er überlebt hatte, salutierte und verließ nun auch den Raum. Vor einigen Tagen hatte er mit einer der Frauen gesprochen und diese hatte sich scheinbar etwas verliebt in ihn. Jedenfalls wollte sie seine Aufmerksamkeit erringen und hatte ihm in Laufe des Gespräches einen Teil des Dorfes, wo sie bisher noch nie hin gekommen waren, gezeigt. Unter anderem auch die kleine Waffenkammer, die ein Teil des größeren Vorratshauses war. Dort standen zahlreiche Schwerter angelehnt an sogenannte Schwertbalken und auch die Bogen samt Köcher und Pfeile lagen auf einem Haufen dort verstaut. Erst als er einen der Bögen in die Hand nehmen wollte, war die Frau erschrocken zusammen gezuckt und hatte ihn beinahe mit Gewalt aus der Kammer gezogen. Sein kundiger Blick hatte gesehen, dass weder an der Türe des Vorratshauses, noch an der der Waffenkammer ein Schloss war. War auch kein Zauber darauf gesprochen, so konnten sie sich die Waffen holen, die sie brauchten. Obwohl es dunkel war und auf seinem Weg keine Fackeln brannten, huschte Erkermann ohne ein Zögern zu dem Vorratshaus. Er öffnete leise die Türe und hielt sich etwas links. Ein durch das sonst stille Dorf schallendes grölendes Lachen ließ ihn kurz inne halten. Doch es schien sich nur um einige der Dorfbewohner zu handeln, die ein kleines Fest feierten. Rasch betrat er die Waffenkammer, tastete im Dunkel herum und schnappte sich so viele Bögen, Pfeilköcher und Schwerter, wie er tragen konnte. Danach verließ er wieder so wie er gekommen war das Haus.
Cedrik fühlte immer wieder Schauer über seinen Rücken laufen, als er Assasinas Bericht lauschte. Das also hatte der Zauberer wirklich mit ihm vor – ihn zu opfern um selbst lange zu leben. Cedrik hätte es sich denken können. Doch wie sie aus dem Dorf kommen konnten, wenn sie in den alten Tempel gingen, das konnte er sich nicht vorstellen. Außer … es gab dort sicher den einen oder anderen geheimen Ein- und Ausgang. Das konnte sich der Jungmagier lebhaft vorstellen. Doch etwas anderes ging ihm auch noch im Kopf herum. Er hatte vor einigen Nächten bemerkt, dass hin und wieder Leute das Haus betraten, während er und die anderen schliefen. Hatten die Dorfbewohner immer noch nicht ihre Überwachung aufgegeben? Oder hatte sie der Zauberer dazu angestiftet? Um einen genügenden Vorsprung zu erhalten, sollten sie zu einer List greifen. Cedrik legte seinen Arm um Catyuas Schulter und fragte sie leise:„Bist du müde, mein Sonnenschein?“
Catyuas Augen waren weit aufgerissen. Assasina hatte eine eigene Art Geschehnisse zu erzählen und den Rest machte Catyuas Fantasie. Dass der Zauberer allerdings Cedrik opfern wollte, damit er selber noch länger leben konnte, fand die Albin furchtbar. Nun war sie doppelt froh, dass ihr Geliebter das Angebot des Zauberers ausgeschlagen hatte. Sie spürte Zorn in sich aufsteigen, als der Name des Dämons fiel: Votan! Wie vieles hatten sie schon durch diesen Fiesling erleiden müssen? Wenn es nach der jungen Albin ginge, hätte sie ihm schon längst den Garaus gemacht. Dabei vergaß sie, dass es weder für sie noch für die meisten anderen der Gruppe ein Leichtes sein würde, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. Votan war einer der starken Dämonen und Catyua war nicht in der Lage sich mit ihm ernsthaft anzulegen.Das Mädchen sah zu Cedrik, als dieser seinen Arm um ihre Schulter legte und sie fragte:„Bist du müde, Sonnenschein?“Nun ja, müde war sie schon, doch jetzt war sie eher so aufgedreht, dass sie eigentlich auch wieder nicht müde war. Sie hatte aus dem Augenwinkel bemerkt, dass Agenor etwas mit einigen seiner Krieger besprach und diese nacheinander das Haus verließen. Weiter hatte sie das aber nicht interessiert und sie hatte es wieder vergessen. Ihre Gedanken kreisten immer noch um Assasinas Bericht.
Assasina musste sich ihr Grinsen zurück halten, denn sie sah, dass ihr Bericht den gewünschten Effekt hatte. Alle staunten und starrten sie überrascht an. Ja, sie war schon eine gewitzte Elfe. Doch nun lag noch eine Menge Arbeit vor ihr und den anderen. Sie musste ihre eigene Ungeduld zügeln, denn ohne Waffen konnten sie nicht fliehen. Und ohne die Pferde auch nicht. Ihre Stirne legte sich in Falten, als sie ihre Blicke über die anderen gleiten ließ. Irgend etwas irritierte sie. Es war als würde etwas oder jemand fehlen. Und dann fuhr es ihr wie der Blitz durch die Glieder. Sie hob die rechte Hand und fragte in die Runde:
„Wo sind eigentlich unsere beiden Hauptpersonen? Sie sollten eigentlich hier sein?“
Erst wussten die anderen nicht, was Assasina meinte, doch dann erwiderte Rutaara und zeigte auf die Türe, die zu den Schlafräumen führte:
„Unsere beiden Königlichen sind dort drinnen und schlafen. Die brauchen wir erst ganz zum Schluss sonst werfen sie uns nur wieder Steine in den Weg!“ Assasina nickte erleichtert und war froh, dass wenigstens eine daran gedacht hatte, ihr Vorhaben vor den Beiden geheim zu halten. Es würde noch genug Stress machen, wenn die beiden wieder einmal anders wollten als die Gruppe. Ein leises Geräusch lenkte die Aufmerksamkeit der Elfe zu der Eingangstüre und unwillkürlich atmete sie erleichtert auf. Einer der Krieger kam eben schwer beladen mit Waffen aller Art und Größe ins Haus und verteilte sofort die meisten unter seinen Kameraden und gab auch Agenor seinen Bogen samt Pfeile und Köcher.
Nachdem er fertig war alles auszuteilen kam er zu Rutaara und verneigte sich leicht vor ihr. Er griff in seinen Umhang und holte daraus einen kleinen Gegenstand. Assasina erkannte darin den reich verzierten Zeremoniendolch Rutaaras. Diese dankte dem Mann und nahm ihr Eigentum entgegen, um es sofort in ihrer Kleidung zu verstecken. Dann schaute sie die Elfe an und meinte, während der Krieger sich wieder zu Agenor begab:
„Und wann gedenkst du nun, von hier zu verschwinden?“
Cedrik war erleichtert als der Krieger Agenors mit den Waffen das Haus betrat. Doch so sehr er auch darauf wartete, der Mann hatte scheinbar weder das Schwert noch die beiden Messer des Jungmagiers gefunden. Nun würde Cedrik wohl ausser seinem Stab keine andere Waffe haben. Es war zwar nicht schlecht, aber er würde sehen müssen, dass er doch noch zu einem Schwert oder wenigstens zu einem Langmesser kam. Doch erst sollten sie von hier verschwinden. Und das sagte er auch ziemlich deutlich, nachdem sich die Aufregung über die Waffen gelegt hatte. Er wurde kurz abgelenkt, als Catyua ihre Hand auf seinen Arm legte und ihn beruhigend anlächelte. Auch sie hatte scheinbar keine ihrer Waffen erhalten. Kurz bedauerte Cedrik, dass er kein richtiger Zauberer war, sonst hätte er ohne weiteres einige Waffen herbei zaubern können. Sicherlich würde sich die eine oder andere Gelegenheit ergeben zu guten Waffen zu kommen.
Catyua hatte beinahe erwartet, dass sie ihre Waffe nicht mehr bekommen würde und so war sie weniger als ihr Geliebter enttäuscht. Bogen und Pfeile konnte sie jederzeit machen, dazu brauchte sie keine fremden Waffen. Sie horchte nur auf, als Rutaara nach dem Zeitpunkt des Aufbruchs fragte. Sie selbst fühlte eine ungewisse Aufregung. Am liebsten wäre sie noch in der gleichen Stunde auf und weg. Doch sie mussten warten, bis auch die beiden Krieger wieder im Haus waren, die Agenor vorhin weg geschickt hatte, um die Stoffstreifen um die Pferdehufe zu wickeln. Was sie allerdings mit dem Prinzenpaar machen sollten, dass die beiden sie alle nicht durch eventuelle laute Rufe zu verraten, wusste sie nicht. Aber sicher hatten Assasina oder Rutaara oder auch Agenor die eine oder andere Idee.
Die Türe öffnete sich und die beiden Krieger betraten das Haus, nickten Agenor zu und begaben sich zu ihren Kameraden. Diese setzten sich nun auf den Boden und begannen laut ein Kriegerlied anzustimmen. Erst wollte das Mädchen erschrocken um Ruhe bitten, doch dann erkannte sie die Absicht dahinter. Je mehr Lärm das Lied aus den rauen Männerkehlen machte, desto mehr schluckte dieser Lärm den von dem Aufbruch gemachten.
Die Türe zu den Schlafräumen öffnete sich und das verschlafen wirkende Prinzenpaar trat in den Raum. Mit großen Augen schauten sie sich um und sahen die Krieger die sich ihre Waffen bereits mehrheitlich verstaut hatten. Die Prinzessin öffnete schon den Mund, doch ihr Gatte legte ihr rasch eine Hand darauf und schüttelte den Kopf. Er schaute zu Rutaara und fragte leise:
„Wir werden also fliehen? Werdet Ihr uns wieder fesseln? Auch wenn ich Euch mein Wort gebe, dass wir beide Euch keinen Ärger machen?“
Rutaara dachte kurz nach, dann deutete sie den beiden, zu ihr zu kommen. Lyrael wurde aufmerksam und ließ kein Auge von den beiden, die Hand in Hand zu der Dunkelelbe traten und dicht vor ihr stehen blieben.
„Wir vertrauen Eurem Wort, dass Ihr keinen Ärger macht. Doch wir werden Eure Augen verbinden und Euch auch auf die Pferde binden, damit Ihr nicht herunter fallt, wenn wir schneller reiten müssen. Da wir für Euer Leben verantwortlich sind, bis Ihr endlich wieder zu Hause seid, müsst Ihr uns das schon gestatten. Was ist Eure Antwort Prinz?“
Der Prinz dachte nach und nickte schließlich. Allerdings war sein Blick auf Lyrael gerichtet, als wäre ihm der Wolf nicht ganz geheuer. Rutaara nickte ebenfalls und meinte dann zu Assasina, dass diese die beiden Tücher aus Rutaaras Tasche holen sollte, damit man den beiden Königlichen die Augen verbinden konnte. Assasina beeilte sich den Auftrag auszuführen und ihre Aufregung legte sich etwas.
Agenor machte seinen Männern das Zeichen zum Aufbruch und die ersten Männer stellten ihr Lied ein, darum sangen die restlichen um so lauter. Vorsichtig wurde die Türe geöffnet und alle waren froh, dass es keine Wächter mehr davor gab. Wieder schallte Lachen durch das ansonsten stille Dorf und es klang nicht so als käme es aus einem Haus, sondern direkt von der Straße her. Sofort drängten Agenors Krieger wieder zurück und sie schlossen die Hüttentüre bis auf einen winzigen Spalt, durch den einer der Männer hindurch linste. Das Lachen wurde lauter und verstummte wie abgeschnitten. Scheinbar standen einige der Geräuschemacher vor dem Haus. Die Prinzessin zitterte und lehnte sich Schutz suchend an ihren Gatten. Dieser legte fürsorglich einen Arm um ihre Schultern und zog sie an sich. Die beiden boten einen ängstlichen aber auch hilfsbedürftigen Anblick mit den Tüchern über den Augen.
Nach wenigen Minuten erschallte das Lachen abermals, doch diesmal schon wieder weiter entfernt. Die Türe wurde vorsichtig wieder weiter geöffnet und der erste der Krieger trat hindurch. Das Licht im Inneren der Hütte hatte man vorsorglich brennen lassen, dass es immer noch wirkte, als würden sie sich darin befinden. Nach und nach verstummte das Lied und lautes Gähnen wurde hörbar. Rutaara und Assasina packte je einen Arm der beiden Königlichen und zogen sie mit sich. Den anderen freien Arm nahmen je zwei Krieger und führten die beiden in Richtung des Pferdegatters. Dort standen die Pferde und stampften zwar mit den Hufen, doch es gab nur dumpfe und leise Geräusche. Sternenlicht stand ganz nahe des Gattertores und schnaubte leise, als er sah, dass eine kleine Gruppe in ihre Richtung kam.
Cedrik schwankte zwischen Angst, Aufregung und Abenteuerlust. Neben ihm ging dicht gedrängt Catyua und auch sie schien diese Aufregung in sich zu spüren. Es war dunkel, auch wenn die Straße von brennenden Fackeln begrenzt wurde. Am Himmel jagten dunkle Wolken und verdeckten immer wieder die fein leuchtende Neumondsichel. Es schien noch in dieser Nacht Regen zu geben. Um so besser, er würde eventuelle Verfolger daran hindern ihnen zu folgen. Durch die Huflappen würden auch keine scharfen Hufabdrücke bleiben, sondern nur kleine Gruben, die sich mit dem erwarteten Regen füllen würden.
Die ersten Krieger hatten das Gatter erreicht und Cedrik sah, dass sie das Tor rasch öffneten und sich sofort zu den Pferden begaben. Sie verstauten ihre Waffen an ihren Körpern und unter den Rüstungen und schwangen sich auf die Pferderücken. Da sie keinen der Sättel mitnehmen konnten, mussten sie mit dem blanken Pferderücken vorlieb nehmen. Cedrik hob Catyua auf Sternenlichts Rücken, er selbst schwang sich hinter sie. Sattel brauchte er keinen und hielt sich mit einer Hand an Sternenlichts Mähne fest, die andere schlang er um Catyuas Bauch und hielt sie so sicher.
Die beiden Krieger Agenors, die das Prinzenpaar mit Hilfe von Assasina und Rutaara zu den Pferden führten hoben erst die Prinzessin auf eines der Pferde und danach den Prinzen auf ein zweites. Ihre Beine fesselten sie mit mitgebrachten Riemen unter den Pferdebäuchen zusammen. Danach schwangen sie sich hinter je einen der Prinzlichen auf die Pferde.
Ein kalter Windstoß fuhr durch die leere Gasse und durch das Gatter. Er trieb kleine Staubwirbel vor sich her und brachte den Geruch nach Regen und Ozon. Die Flammen der Straßenfackeln zuckten und die eine oder andere erlosch. Kurz hielten die Flüchtlinge inne, es konnte ja sein, dass jemand kam um die erloschenen Fackeln wieder zu entzünden. Schließlich schnippte Cedrik mit den Fingern und die Flammen zuckten wieder auf. Was ihm einen strengen Blick Assasinas eintrug.
Assasina war erleichtert als ihr die Verantwortung über die beiden Königlichen abgenommen wurde. Als Cedrik jedoch die erloschenen Fackeln wieder entzündete, wäre sie am liebsten hin gegangen um ihm einen harten Kopfschlag zu geben. Im letzten Moment fiel ihr ein, dass es besser war, die erloschenen Lichter wieder zu entzünden, bevor jemand kam und die Flüchtlinge jetzt schon entdeckte. Sie schwang sich ihren Umhang besser um den Körper, sie selbst würde mit keinem der Pferde reiten. Sie würde am Beginn des Tempelganges voran gehen und hoffte, dass der Zauberer nicht im gleichen Moment auch den Weg nahm. Weil er noch die eine oder andere Zeremonie vorbereiten musste.
Rutaara beschloss – kaum hatte man ihr die Verantwortung abgenommen – am Ende zu gehen, um die Gruppe nach hinten zu sichern. Sie fühlte noch einmal nach dem Zeremoniendolch und atmete erleichtert auf. Dass sie ihn wieder bekommen würde, hätte sie nicht gedacht. Die Göttin war scheinbar wirklich auf ihrer Seite. Mit einem dankbaren und gedanklichen Gebet ließ sie die aus dem Gatter strömenden Pferde an sich vorbei. Kurz wandte sie sich um, als sie ein leises Knurren von Assasina vernahm. Mit einem Blick erkannte sie, dass der Grund dafür wieder einmal Cedrik war. Doch dieser hatte richtig erkannt, dass es besser war, wenn die Flammen der Straßenfackeln brannten. Auch wenn der Wind sie immer wieder auslöschen sollte.
Es ging den Weg entlang und schließlich den engen Weg der Richtung Tempel führte. Immer wieder achtete Assasina auf die Bilder, die Anaya ihr sandte und so kamen sie alle ohne besondere Vorkommnisse vor dem Tempel an. Die meisten Krieger stiegen von den Pferden, um sie hinter sich her an deren Mähne zu führen. Immer wieder zuckten die Tiere zusammen. Der Wind hatte weitere aufgefrischt und am Himmel zuckten lautlose Blitze. Der Geruch nach Regen war stärker geworden und schließlich begann es zu tröpfeln. Im Inneren des Tempels war es dunkel und so sandte Cedrik ein kleines Leuchtrad vor der Gruppe her. Dieses Leuchtrad riss nur einen eng begrenzten Bereich aus dem dichten Dunkel und hin und wieder hallte ein Pferdeschnauben oder ein Seufzen aus einer der Kriegerkehlen durch den ansonsten stillen Tempel. Ein grelles Licht riss nach einigen hundert Schritten einen größeren Bereich aus der Dunkelheit und ein hallender Donnerschlag folgte. Eines der Pferde wieherte schrill auf und musste mit starker Kriegerhand wieder beruhigt werden.
Die Gruppe hatte nach einiger Zeit den Bereich erreicht, an dem der Steinaltar stand. Anaya glitt von Assasinas Arm und verschwand in der wieder stillen Dunkelheit. Assasina war mit ihrer Schlange verbunden und sah mittels ihrer Sinne das was Anaya sah. Auch wenn Assasina ihre eigenen Schlangensinne einschaltete, konnte sie nicht mehr erkennen, als sonst auch. Es schien, als würde etwas ihre neuen Sinne hier drinnen blockieren.
Rutaara sah völlige Dunkelheit vor ihren weit aufgerissenen Augen. Sie zuckte zusammen, als der Blitz das Umfeld aus der Dunkelheit riss und der nachfolgende Donnerschlag ihr zeigte, dass draußen ein heftiges Gewitter tobte. Das Tempeldach schien aus durchscheinenden Stein zu bestehen, denn dass er oben offen war, das glaubte sie nicht, ansonsten hätte sie sicher den nieder rauschenden Regen gespürt. Sie nahm allerdings nur an, dass es neben dem Gewitter auch regnete. Da außer wenigen Geräuschen und null Sicht nichts darauf deutete, dass sich keiner der Gruppe verlor, auch wenn Cedriks Lichtrad vor ihnen her flog, meinte sie leise:
„Ich glaube, es wäre angeraten, dass wir uns an den Händen packen und die Pferde mit einbeziehen, indem die, die ohne Pferd sind sich an den Schweifen der Tiere anhalten. So bilden wir eine Kette und niemand geht verloren.“
Nun, einen Versuch war es sicher wert. Im ungewissen Licht des weiter vorne fliegenden Lichtrades erkannte sie, dass jeder ihren Vorschlag befolgte. Bis auf Sternenlicht, dieser zuckte zurück, als einer von Agenors Krieger nach dessen Schwanz griff. Unwillkürlich musste Rutaara grinsen. Sie selbst wurde geleitet durch Lyrael.
„Gebt acht, hier geht es steil bergab!“ rief Assasina und folgte etwas langsamer Anaya. Sie hatte es ja gewusst oder eher geahnt, dass es Geheimgänge in diesem Tempel gab. Kurz vernahm sie ein schleifendes Geräusch und einen leisen Fluch. War es vorher dunkel und ziemlich kalt gewesen, wurde es jetzt langsam heller und auch wärmer. Seit einiger Zeit hatte sie weder Blitze bemerkt, noch den Donner vernommen. Entweder war das Wetter vorbei oder dieser Tempelteil war gut gedämmt. Anaya kehrte zu ihr zurück, schlängelte sich auf ihrem Arm und erstarrte dort wieder. Assasina wandte sich um und nun konnte sie die anderen erkennen, die sich an den Händen hielten und auch hier und dort die Pferdeschwänze in den Fäusten hielten.
Die Wärme nahm genauso zu wie die Helligkeit und die Pferde konnten los gelassen werden. Auch die Hände lösten sich und Assasina dachte bei sich, dass es jetzt so hell war als wäre die Morgendämmerung angebrochen. Sie sah sich um, der Bereich des Tempels hier war so verfallen, dass immer wieder große Steine aus der Mauer heraus gebrochen waren und den Bereich draußen zeigte.
Es dauerte dann auch nur noch wenige Schritte, so ließen die Gruppe den Tempelrest hinter sich und stand im hellen Sonnenschein und Wärme am Rand einer herrlichen Wiese auf der einige Bäume standen, die ihr hohes Alter durch ihre starken Stämme und aus dem Boden ragenden Wurzeln zeigten. Zwischen den Bäumen standen hohe Blumen, um die viele Blumenelfen gaukelten und die einen starken und süßen Geruch verbreiteten.
Wieder unterwegs
Noch längere Zeit ließen sie den Tieren die Lappen um deren Hufe, doch schließlich meinte Agenor, sein Tier anhaltend:
„Ich denke, wir können den Tieren nun ihre Behelfsschuhe ausziehen. Ich glaube nicht, dass die Intresen uns noch hören können.“ Und um mit gutem Beispiel voraus zu gehen, stieg er ab und begann die Lappen von den Hufen zu wickeln. Die anderen der Gruppe folgten seinem Beispiel. Nur bei dem Prinzenpaar ließ man beide auf den Tieren sitzen und mühte sich die Lappen so zu entfernen. Nach mehreren Fehlversuchen gelang dies auch schließlich. Agenor räusperte sich, nachdem diese Arbeit getan war und wandte sich an Assasina.
„Und? Was geschieht nun weiter? Wohin werden wir uns wenden?“ Das war eine gute Frage. Nachdem sie das Dorf auf diese Weise klammheimlich verlassen hatten waren sie erst eine ganze Weile über steiniges Gelände geritten und nun hatten sie eher Sand unter den Hufen. Der Mond, oder eher der Neumond war weiter gewandert und sie hatten zwei der mit gebrachten Fackeln entzündet. Doch auch deren Schein riss nur den engsten Umkreis aus der Finsternis und schädigte die Augen mehr als dass diese klarer und genauer sahen. Agenor hatte sich eher auf den Instinkt seines Tieres verlassen, als auf seine eigenen Augen.
Assasina, die eben den letzten Lappen von einem der Pferdehufe zog, richtete sich auf und starrte mit etwas verkniffenem Gesicht auf Agenor. Sie hatte sich wieder mit Anaya zusammen geschlossen und so war für sie selbst die Umgebung hier nicht in Ägyptische Finsternis getaucht, sondern wie durch grünlich schimmerndes Licht sichtbar. In einiger Entfernung erkannte sie daher – als sie sich von dem Krieger abwandte, einen dunklen Streifen. Das war entweder wieder ein Wald oder beginnende Berge. Doch da sie ahnte wo sie sich jetzt befanden nahm sie eher an, dass es Wald war. Ein gefährlicher Wald. Nicht dass dort Ungeheuer waren oder tödliche Dämonen. Nein, die Gefahr bestand aus ganz einem anderen Grund. Doch wenn sie zum Ziel ihrer Reise kommen wollten, mussten sie mitten durch.
„Schau dorthin, dort müssen wir hin!“: sagte die Elfe und streckte den Arm aus. Agenor versuchte die Dunkelheit mit seinen Augen zu überwinden, doch scheinbar war es wirklich nur ihr selbst möglich die Fortsetzung ihres Weges zu sehen. „Ich möchte euch alle nur warnen, dort vorne lauert eine neue Gefahr und wir müssen mitten hindurch. Kein Umweg hilft uns da. Man hört viele beunruhigenden Dinge von dem Wald dort vorne. Aber wir haben schon so vieles geschafft, da schaffen wir auch dieses!“ Zu viel wollte sie noch nicht verraten, die anderen sollten ja nicht ihren Mut verlieren.
Rutaara blieb ebenso stehen und half beim Wegziehen der Huflappen. Sie horchte nur mit halben Ohr auf die leise geführten Gespräche. Ihre Sinne hatten sich auf Dunkelheit eingestellt und so sah auch sie den dunklen Streifen am Horizont. Und sie wusste auch genau, was dort zu befürchten war. Nach einem raschen Blick zum Nachthimmel meinte sie leise zu Lyrael:
„Wir sind jetzt weit genug entfernt vom Dorf und ich denke nicht, dass man uns jetzt schon verfolgt. Aber es ist gut, wenn wir Vorsorge treffen, dass man uns nicht so rasch entdeckt. Laufe etwas vor und sondiere die Umgebung. Du erkennst schneller wenn Gefahr droht!“
Lyrael winselte kurz und wartete darauf, dass die Reiter wieder aufsaßen und die Fußgänger sich in Bewegung setzten. Er hatte in seiner jetzigen Gestalt keine Möglichkeit die anderen vor den Gefahren des Waldes vor ihnen zu warnen und wenn es Rutaara nicht machte, ehe sie das Gebiet betraten, würden sie mitten hinein laufen. Doch Lyrael war eher etwas wegen Rutaara besorgt.
Die letzten Lappen waren entfernt und es wurde aufgesessen. Hier und da griff einer der Gruppe zu seinem Vorratssack und begann zu essen. Der meiste Stress war vorbei und nun meldete sich wieder der Hunger. Cedrik hatte ebenso seinen Teil beim Entfernen der Huflappen erledigt wie die anderen. Nun saß er wieder auf und trieb Sternenlicht durch einen leichten Schenkeldruck an. Er spürte Catyua hinter sich, die sich leicht gegen ihn lehnte.
„Hast du Hunger, Liebste?“: fragte er leise und spürte ihr Kopfschütteln. Er holte sich nur ein kleines Stück Brot hervor und aß es langsam und mit kleinen Bissen. Im ungewissen Schein einer Fackel sah er dass Rutaara sich mit ihrem Wolfsgefährten unterhielt und dass dieser nach einigen Augenblicken langsam weiter ging. Immer wieder horchte Cedrik in die Stille der Nacht und diese Nacht war wirklich still. Kein noch so kleines Geräusch eines Insektes oder der verschlafene Ruf eines Vogels unterbrach die Stille. Nur hin und wieder knirschte der Sand unter den Hufen und hier und dort schnaubte eines der Pferde. Er selbst hätte bis ans Ende dieser Welt so reiten können. Stille um sich herum und seine geliebte Catyua dicht hinter ihm an sich geschmiegt. Und doch war da auch ein leises Zaudern tief in ihm drinnen. Hatte wirklich noch keiner der Dörfler erkannt, dass deren „Gäste“ geflohen waren? Hatte der Zauberer tatsächlich noch nicht bemerkt, dass sein Opfer ihm entkommen war? Es würde keinem von ihnen wohlergehen, sollte man sie hier finden. Aus diesem Gedanken heraus, trieb er Sternenlicht mit einem leisen Schnalzen der Zunge weiter nach vorne und schloss sich enger an einen der vor ihm reitenden Krieger.
Catyua war trotz ihrer geheimen Angst, man könnte sie alle immer noch einholen, glücklich. Sie lehnte ihren Kopf an Cedriks Rücken und fühlte, wie der unterbrochene Schlaf wieder kehrte. Das Mädchen fasste um Cedriks Bauch seitlich herum und verschränkte ihre Finger davor ineinander. So war sie besser gesichert, ohne vom Einhorn zu fallen ein kleines Nickerchen zu halten. Sie schüttelte den Kopf, als Cedrik sie leise fragte, ob sie hungrig sei. Nein Hunger hatte sie nicht, sie war eher müde. Gleichzeitig überlegte sie, wie sie an die Antwort kam, ob und wo ihr eigenes Volk lebte, wenn sich der Talkönig weigern sollte, ihr diesen Wunsch als Geschenk für die gute Rückkehr des Prinzenpaares zu erfüllen. Über diese Überlegung rutschte sie etwas tiefer in einen kurzen Schlummer.
Der Himmel färbte sich bereits zart rosa über der kleinen Gruppe als diese den Wald vor sich erreichten. Die Fackeln waren heruntergebrannt und nun brauchte niemand mehr ein Licht in der Morgendämmerung. Aus dem Wald drangen die Morgengeräusche von erwachenden Vögeln und hin und wieder erklang auch der Schrei eines größeren Tieres. Die vorderen Bäume trugen lange Bärte und sahen ziemlich alt aus. Zwischen den Bäumen wuchsen kleine Büsche, die mit roten und blauen Blüten übersät waren. Rutaara hielt an und deutete zu einer kleinen Steingruppe seitlich der Büsche.
„Ich denke das beste ist es, wenn wir kurz rasten. Wir sollten im Vollbesitz unserer Kräfte in diesen Wald gehen. Er ist nicht groß, aber viele sind schon darin verschwunden!“ Die Dunkelelbin überlegte kurz, ob sie das Geheimnis des Waldes jetzt schon lüften sollte, aber ließ es dann sein. Die Gefährten würden noch früh genug erkennen, was das für ein Wald war. Lyrael kam zu ihr und legte kurz seinen Kopf an ihr rechtes Knie. Rutaara strich ihm sacht über den Kopf und hoffte nur, dass die ganzen Strapazen auch gerechtfertigt waren, die sie auf sich genommen hatte um ihren Gefährten wieder in dessen richtigen Gestalt zu bekommen. Sie nahm ihr Gepäck von der Schulter und begab sich ohne eine Antwort abzuwarten zu der Stelle, die sie eben bezeichnet hatte und ließ sich vor den Steinen auf den Boden fallen. Es dauerte nur wenige Augenblicke, so kam Lyrael zu ihr und legte sich neben sie. Seine Augen schlossen sich, doch die hoch aufgerichteten Ohren zeugten von seiner Wachsamkeit.
Es dauerte noch etwas, ehe auch der Rest der Gruppe dem Vorschlag Rutaaras folgten und nun dicht beieinander auf dem Boden saßen. Einige aßen andere versuchten sich mit geschlossenen Augen auf das Bevorstehende einzustimmen. Der Prinz hatte den Arm um seine Gattin gelegt und sprach leise auf diese ein. Die Prinzessin sah zu ihrem Gatten auf und immer wieder glitt ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht, das die Strapazen der vergangenen Stunden zeigte. Agenor hatte drei seiner Männer als Wachen eingeteilt und diese patrouillierten nun in der Nähe. Kurz verstummten die Waldgeräusche, um erneut einzusetzen. Es schien alles friedlich und beinahe einschläfernd. Die Morgendämmerung war einem strahlenden Sonnenaufgang gewichen und ein leichter Morgenwind vertrieb die Fliegen, die sich um die Blüten der Büsche tummelten. Ihre langen Rüssel verschwanden in den Kelchen und hier und dort zuckte ein schneller Faden aus einem der Kelche um sich eine der Fliegen zu holen. Ein leichter Duft nach Süße lag in der stillen Morgenluft und vermittelte allen Lagernden ein Gefühl von Wohlbefinden. Hin und wieder stampfte eines der Pferde mit den Hufen, oder schnaubte. Alle hatten ihre Köpfe zu Boden gesenkt um das wenige Gras abzuweiden. Immer wieder wurde Ausschau gehalten, ob bereits Verfolger sichtbar wurden, doch es schien, als wäre die Flucht der Gruppe gelungen.
Assasina saß etwas abseits und starrte mit verkniffenen Augen den Rand des Waldes an. Sie wusste, dass es dicht danach eine größere Wiese gab auf der nicht nur Blumen sondern auch verkümmerte Bäume wuchsen. Die Wiese war unter dem Namen: „Traumwiese“ bekannt und vermittelte dem Uneingeweihten einen völlig falschen Eindruck. So oft es sich vermeiden ließ hatte sie lieber selbst einen Umweg in Kauf genommen, ehe sie die Wiese betreten musste. Nur diesmal schien es ihr so, als könnte sie nicht außen herum gehen. Denn es gab nur einen Weg zum „Canon der verlorenen Geister“. Und dieser Weg führt anschließend direkt zum Talkönig. Noch mehr als genug Gefahrenbereiche fand die Elfe. Kurz dachte sie an die Worte von Rutaara, die vorhin sagte, dass schon viele verschwunden waren. Wenn sie sich so die Blütenbüsche anschaute, die nach den Fliegen angelten, die deren Blüten umschwirrten, war dieser Randbereich noch das harmloseste.
Cedrik hatte sich ebenfalls auf den Boden gesetzt und Catyua war neben ihn geglitten. Er hatte keinen Hunger und fühlte sich leicht und irgendwie beschwingt. Das war sicher das Wissen um die neu erlangte Freiheit oder der süße Geruch dieser Blüten, die hinter ihm an den Büschen wuchsen. Er lehnte seinen Kopf nach hinten und an einen der Steine an. Der leichte Wind spielte mit seinen Haarlocken und brachte seinen Gedanken dazu auf Wanderschaft zu gehen. Er dachte an den bisherigen Weg und all die kleinen und großen Gefahren aus denen die meisten von ihnen ziemlich unbeschadet durch gekommen waren. Für einige von ihnen hier war zwar schon ziemlich zu Beginn dieser Befreiungsreise der Weg zu Ende, doch die meisten befanden sich hier. Cedrik dachte daran, dass sein Magiepotential sich vergrößert hatte, er einiges gelernt und auch eine Seelengefährtin gefunden hatte. Wenn ihm jemand dies erzählt hätte oder er es gar im Auge gesehen hätte, er hätte es sicher als Hirngespinst abgetan.
Catyua hatte sich neben Cedrik begeben und lehnte nun ganz ruhig und glücklich an ihm. Sein Arm lag liebevoll um ihrer Schulter und sie fühlte sich wieder einmal geborgen. Zu ihrem vollkommenen Glück fehlte jetzt nur, dass sie bald erfuhr, ob es noch Angehörige ihres Volkes gab. Und nicht alle so verschwunden waren, dass sie die Einzige ihres Volkes war. Sie dachte auch an die Möglichkeit, dass der Talkönig ihr nichts verraten konnte oder wollte und nur einige Dumme benötigt hatte, ihm Sohn und Gattin desselben zurück zu bringen.
Hoch über der ruhenden Gruppe zogen Vögel ihre Kreise und ihr trompetender Schrei klang leiser, als er in Wahrheit war. Agenor hob den Kopf und folgte diesem Flug. Kurz wünschte er sich, ebenfalls dort oben zu sein, denn dann würden sie alle hier unten weniger in Gefahr sein. Dieser Gedanke war jedoch nur so lange in seinem Kopf, bis ein ziemlich großer Schatten über sein Gesicht zog und sich bei genauerem Hinsehen als ein echter Drache entpuppte, der sich rasch den letzten Vogel holte. Diesen ereilte der Tod so lautlos, dass seine Kameraden es nicht einmal bemerkten. Agenor schluckte erschrocken und wusste nicht, sollte er sich jetzt ein wenig fürchten, weil dort oben ein Drache war, oder sollte er sich eher freuen, dass er seinen ersten wahrhaftigen Drachen gesehen hatte. Schließlich fand er, sie hatten jetzt genug wieder etwas Kräfte geschöpft und sollten sich nun wieder auf den Weg machen. Drachen waren sicher nicht die einzigen, die hier zu finden waren.
„Ich denke, wir sollten unser Glück nicht noch mehr strapazieren und endlich wieder aufbrechen. Es ist besser, diesen Wald bei Tag zu durchqueren als wenn wir in die Nacht kommen!“ Schön gesagt, fand Agenor, auch wenn der Tag erst an seinem Anfang stand. Um mit gutem Beispiel voran zu gehen, erhob er sich, suchte sich seine Sachen zusammen und gab seinen Männern einen Wink. Noch einmal hob er den Kopf und beobachtete den Himmel. Aber weder die Vögel noch der Drache waren dort zu entdecken. Nun ja, vielleicht hatte er sich das alles auch nur eingebildet. Wo gab es heute noch einen lebenden Drachen? Die lebten alle sicherlich in ihrem Gebirge.
Rutaara zuckte zusammen, als Agenors Stimme an ihr Ohr schallte, sie war beinahe in der morgendlichen Stille eingeschlafen. Nun erhob sie sich und sah sich wie erwachend um. Als ihr Blick den Waldrand streifte, konnte sie sich eines abschreckenden Gefühls nicht erwehren. Die nächsten Stunde oder Tage würden es zeigen, ob die Legenden über diesen Wald wahr waren oder eher Geschichten um Kinder zu erschrecken. Rutaara schulterte ihren Beutel, strich über den Kopf ihres Wolfes, der sich streckte und dehnte. Danach schaute er sie an und in ihren Gedanken hörte sie Lyraels leise Stimme:
'Geht es dir gut, Ruta? Ich fühle deine Unruhe, glaubst du dass die Geschichten über diesen Wald wahr sind?'
Rutaara schüttelte den Kopf, gleich darauf nickte sie. Das war eine gute Frage. Aber die nächsten Schritte würden sicher die Antwort geben.
'Keine Sorge Liebster, wir haben bisher ganz andere Gefahren gemeistert. Und es gibt keinen anderen Weg als hier durch!'
Was ihrem unguten Gefühl auch nicht besser tat. Wenn es nicht um Lyrael ginge, sie selbst wäre ganz sicher nicht durch den Wald gewandert. Ein langgezogener Schrei ließ sie zusammen zucken. Er kam eindeutig vom Himmel her und so hob sie den Kopf. Da die Sonne blendete, hob sie die Hand zur Stirn und beschattete die Augen. War das dort oben ein Drache?
Assasina überlegte eben ob sie Anaya wieder voraus schicken sollte, als Agenor seine Ansprache an die Gruppe hielt. Sie ließ darauf diesen Gedanken fallen und überlegte wieder einmal, ob sie schon jetzt das Waldgeheimnis aufdecken sollte oder erst wenn es soweit war. Sie alle also bereits tief drinnen waren wo die Traumblumen wuchsen. Sie erhob sich jedoch und warf einen Blick zu dem Prinzenpaar. Kurz musste sie grinsen, wenn sie daran dachte, wie die beiden wohl reagieren würden wenn sie bemerkten, wo sie hingeraten waren. Aber sie alle hatten sicher mehr Glück als Verstand, denn die Pferde waren vor dem Zauber geschützt. Und darauf stützte Assasina ihre Hoffnung, den Wald mehr oder weniger unbeschadet zu durchqueren können. Ihre Gedanken wurden unterbrochen als ein langgezogener Jagdschrei an ihr Gehör drang. Sie wusste sofort was das war und sie fühlte sich dadurch nicht besser. Drachen waren das letzte, das sie hier vermutet hatte oder gewollt. Es wurde Zeit, aus dieser Ebene zu kommen, im Wald waren sie vor dem scharfen Auge des Drachen dort oben besser geschützt.
Sternenlicht schnaubte und scharrte mit seinen Vorderbeinen. Eines der Pferde folgte seinem Beispiel und schob sich den durchgescheuerten Lappen vom Huf. Kurz flogen kleine Steine beiseite und einer traf gegen einen kleineren Felsen. Es gab einen hellen, harten Ton und Sternenlicht schüttelte wie ablehnend seinen Kopf. Seine Aufmerksamkeit richtete sich dorthin, woher die Gruppe gekommen war. Seine Augen bemerkten die dunklen Schatten, die ihnen scheinbar folgten. Es würde noch länger dauern bis die Gruppe erreicht werden würde, doch es konnte nicht schaden, wenn er seinen Magierfreund Cedrik warnte. Sternenlicht sandte das Bild, das seine Augen auffingen zu Cedrik und wieherte leise und warnend. Er wurde abgelenkt, als dieser schaurige Schrei an seine empfindlichen Ohren drang. So etwas hatte er noch nie vernommen. Grauen, Angst und Neugierde begannen in dem Einhorn um die Vorherrschaft zu streiten. Schließlich siegte die Angst und so trabte er zu Cedrik, der sich erhoben hatte und stieß ihn sacht mit der Nase an.
Cedrik fühlte sich angenehm entspannt. Er runzelte etwas ärgerlich die Stirn, als Agenor die Stille mit seiner Stimme durchbrach. Doch er musste dem Krieger recht geben. Sie waren hier nicht auf einer Urlaubsreise sondern auf der Flucht. So zog er seinen Arm von Catyua zurück und lächelte seine Seelengefährtin an, als sie ihn fragend ansah. Seiner Aufmerksamkeit entgingen sowohl die Vögel am Himmel als auch der Drache. Er riss sich erst los von Catyua als ihn das Bild von Sternenlicht traf und ihm im wahrsten Sinn des Wortes vor Augen führte, dass sie nicht alleine hier waren, sondern bereits früher verfolgt wurden, als alle gehofft hatten. Er erhob sich und wollte eben Catyua seine Hand reichen um ihr aufzuhelfen, als ein Schrei vom Himmel hallte. Er riss seinen Kopf nach oben und presste etwas die Augen zusammen. Die höher gestiegene Sonne blendete ihn etwas. Doch als sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, wurden sie groß. War der Riesenvogel dort oben eventuell gar ein Drache? Gleich darauf schüttelte er den Kopf, Drachen gehörten ins Reich der Fabeln. Seit dem letzten Drachenjäger gab es diese Tiere nicht mehr. Doch wer weiß, es könnten der eine oder andere Drache der Jagd entgangen sein. Oder sie wurden von bösen Zauberern wieder gezüchtet, die sich ihrer Magie bedienen wollten. Dass Drachen Gold bewachten und für ihr Überleben benötigten aber auch dass in ihrem Herzen der Stein der Sonne saß, das wusste jedes Kind. Und dieser Stein der Sonne versprach jedem, der ihn sich holte, ewiges Leben und Gesundheit. Und holen konnte man sich diesen Stein nur, wenn man den Besitzer, also den Drachen tötete. Meistens war jedoch der Drache schneller. Und der letzte Drache, der seinen Stein der Sonne verloren hatte – samt seines Lebens – war ein Uralter Drache namens Aurelius.
Vielleicht aber war das dort oben gar kein Drache und die Nähe des Waldes gaukelte Cedrik nur vor, dass sich dort oben ein Drache befand. Cedrik senkte wieder den Blick und starrte in die Richtung, wo Sternenlicht ihm die Verfolger gezeigt hatte. Doch seine Augen waren nicht so gut wie die seines Einhorns. Und darum machte er sich bereit, wie die anderen der Gruppe den Wald zu betreten.
Catyua hätte ihrer Meinung nach noch Tagelang hier ruhen können, unter dem Schutz von Cedrik und an ihn gelehnt. An ihrer Schulter spürte sie seinen Herzschlag. Und sein Herz schlug kräftig und verlässlich. Kurz schaute sie ihm in die Augen. Diese Augen, wo die Goldpünktchen schwammen und die sie einst tief in ihrer Seele und ihr Herz getroffen hatten. Der leichte Morgenwind spielte mit den Locken ihres Geliebten und sie konnte es innerlich noch immer nicht so recht glauben, dass sie nicht mehr so ganz alleine war. Sollte sie ihr Volk wider Erwarten doch nicht mehr finden, hatte sie immer noch Cedrik an ihrer Seite. Catyua wollte sich eben bequemer hin setzen, als Agenor zum Weitergehen mahnte. Nach dem Stand der höher gestiegenen Sonne saßen sie alle hier wirklich schon viel zu lange. Würden sie verfolgt werden, mussten sich die Verfolger nicht viel anstrengen sie hier zu finden. Was dann mit ihnen allen aber besonders mit Cedrik passieren würde, ahnte Catyua. Sie streckte eine Hand aus, als sie merkte, dass Cedrik ihr aufhelfen wollte, obwohl das nicht nötig gewesen wäre. Aber was tat man nicht alles, um immer wieder von den süßen Küssen des Geliebten zu naschen? Kurz schien Cedrik abgelenkt und so erhob sich Catyua ohne eine Hilfe, putzte sich etwas Erde und kleinere Steine von ihrer Kleidung und schob sich ihr Bündel auf die Schulter. Eines der Pferde war etwas unruhig und Sternenlicht schien auch etwas bemerkt zu haben, das ihr selbst entging.
Sie sah sich kurz nach den anderen um und bemerkte, wie eben einer der Krieger dem Prinzenpaar wieder auf ihre Reittiere half und beide unter dessen Bauch mit den Beinen zusammen band. So konnten sie nicht herunterrutschen und auch nicht fliehen. Die Zügel der beiden Tiere nahmen gleich darauf zwei von Agenors Männer in die Hand und gingen langsam auf den Waldrand zu. Catyua hörte einen unwirklich wirkenden Schrei, kümmerte sich jedoch nicht darum. Denn sie beobachtete Sternenlicht, der sich zu Cedrik begeben hatte und ihn eben mit seiner Nase anstubbste. Er schien auch bereit, wieder weiter zu reisen. Catyua seufzte leise und wappnete sich gegen die Gefahren, die vielleicht in diesem Wald lauerten. Obwohl diese nicht so schrecklich sein konnten, denn der Wald war licht und man konnte zwischen die Bäume sehen. Sonnenkringel tanzten über den Waldboden und Catyua fühlte ein leises Sehnen in sich, endlich über den weichen Waldboden zu gehen.
Wieder gefangen …
Der weiche Waldboden dämpfte sowohl den Hufschlag der nun wieder befreiten Pferdehufe als auch die Schritte der Gruppe. Agenor hatte erneut die Führung übernommen und obwohl immer wieder die höher gestiegene Sonne helle Kringel und Streifen auf den Boden zeichnete, war doch Dunkelheit um ihn. Nicht wirklich sichtbare Dunkelheit aber dennoch Dunkelheit. Die ersten Bäume waren bald passiert und als sich Agenor einmal kurz umwandte, war der Waldrand – wo man eigentlich die Ebene davor noch sehen müsste – verschwunden und die Gruppe befand sich nun ganz allein im Wald. Oben in den Wipfeln der Bäume sangen versteckte Vögel. Hin und wieder huschten kleine Nager an den Stämmen hinauf und auch hinunter, ohne den Boden zu betreten. Irgendwo in der Tiefe des Waldes klopfte ein Specht sein hallendes Lied. Agenor wandte sich wieder dem Weg vor sich zu, nachdem er einen raschen Blick über die ihm folgenden Freunde geworfen hatte.
Assasina hatte dicht hinter Agenor den Wald betreten und sie konnte das Unheil, das sie alle bald erreichen würde, beinahe körperlich spüren. Anaya verstärkte noch das Gefühl und Assasina wäre beinahe zusammen gezuckt als die Schlange sich ohne eine Bemerkung von ihrem Platz entfernte und mit einem leisen rascheln im Unterholz verschwand. Assasinas Sinne begannen sich in Höchstform aufzuschwingen und sie erwartete beinahe hinter jedem der Baumstämme den Feind auftauchen zu sehen. Doch kein Feind kam und der Wald verursachte nur die normalen Geräusche, die eben in einem Wald zu vernehmen waren. Ein Busch mit roten Beeren kam in Assasinas Blick, doch die Beeren waren voll Spinnweben und eine grün-rot gestreifte Spinne saß inmitten ihres Netzes und beobachtete Assasina scheinbar interessiert. Diese hatte so eine große Spinne noch nie gesehen und unwillkürlich machte sie einen Schritt beiseite.
Ein blauer Schmetterling taumelte durch die Sonnendurchflutete Waldflur und kam in bedenkliche Nähe der Spinne. Diese wandte ihren Blick von Assasina und der nahenden Beute zu. Es dauerte nur wenige Augenblicke, so war der Flattermann gefangen und auch schon zu einem handlichen Spinnwebpäckchen eingedreht. Die Spinne begab sich wieder zu ihrem Platz in der Netzmitte und wartete erneut auf das nächste Opfer. Assasina wandte sich ab und ihre Hand glitt langsam zu der Stelle, an der sie ihren Dolch versteckt hatte. Sie würde sicher nicht so enden wie der Schmetterling.
Rutaara teilte, während sie in den Wald eindrang, zwischen ihrer Umgebung und Lyrael auf. Lyrael hielt sich dicht bei ihr, doch eine Bedrohung schien es nicht zu geben. Dass der Waldrand nicht mehr zu sehen war, musste Rutaara nicht erst sehen, sie ahnte, dass hier in diesem Wald die Zeit anders verging. Solange die Verfolger mit dem gleichen Problem zu kämpfen hatten, waren sie hier und jetzt erstmals in Sicherheit. Soweit dieser Wald Sicherheit bieten konnte. Unter den Füßen der Dunkelelbin raschelten die alten Blätter vom Vorjahr und untermalten die Vogellieder die durch den ansonsten stillen Wald schallten. Ein etwas seltsames Gefühl beschlich Rutaara und sie hoffte, dass sie den Wald durchschritten hatten, ehe sich die Zeit hier drinnen der eigenen anpasste. Und dass die Geschichten, die sie über diese Gegend hier schon gehört hatte, dem Reich der Sagen angehörten.
Catyua war mit einem unguten Gefühl tief in sich in den Wald getreten. Sie sah zwar die Sonnenstrahlen, die den Waldboden leicht glitzern ließen und auch dass die Bäume zwar hoch aber dennoch weit auseinander standen. Trotzdem hatte sie das recht irritierende Gefühl, als würden die Bäume enger rücken und ihre Kronen das Sonnenlicht aussperren. Als ein Vogel mit einem langen und buschigen Schwanz aus einem der hier vereinzelt stehenden Gebüsch aufflog, hätte sie beinahe einen Schrei ausgestoßen. Nur mit Mühe konnte sie ihn unterdrücken und drängte sich näher an Cedrik. Was war nur los mit ihr? Sie hatte doch sonst nicht so eine Angst? Oder war es keine Angst, sondern das innerste Wissen, dass noch eine Menge wenig harmloser Feinde auf sie alle warteten? Catyua wandte den Kopf und schaute zu Cedrik auf. Dieser schien auch etwas zu spüren, denn sein Blick irrte immer wieder rasch umher und er hielt in seiner rechten Hand seinen Stab mit dem blauen Stein, der jetzt grell aufflammte. Catyua packte das Schwert etwas fester und vergewisserte sich mit raschen Griffen, dass sie auch die anderen Waffen, die sie sich in dem Dorf besorgt hatte, in Griffweite waren.
Cedrik hatte – kaum hatte er den Wald betreten – sofort diese Vorahnung gehabt, dass in nächster Nähe der Feind lauerte. Obwohl dieser weder zu sehen, noch zu hören war. Die Sonnenstrahlen waren etwas weiter gewandert und wo vorher noch helle Flecken den Waldboden erhellt hatten, waren nun dunkle Flecken zu sehen. Cedriks Blick traf den von Catyua, als er seine Aufmerksamkeit wieder ihr zu wandte. Aus dem Gefühl heraus bedroht zu werden hatte er sich seinen Stab fester gegriffen und aus dem Augenwinkel merkte der Jungmagier, dass der Ambarin zu leuchten begonnen hatte. Also war sein Gefühl richtig, dass hier Gefahr lauerte. Er schaute sich nach seinem Einhorn um und sah Sternenlicht ziemlich am Ende der etwas auseinander gezogenen Gruppe dahin traben. Immer wieder schüttelte er seinen Kopf, als müsse er lästige Fliegen vertreiben. Cedrik überlegte eben, ob er kurz zu Sternenlicht hin gehen sollte, als die beiden Pferde auf denen das Prinzenpaar saß, hoch stiegen. Währen die beiden Hoheiten nicht angebunden gewesen, wären sie sich zu Boden gestürzt.
Die Verfolger hatten inzwischen ebenfalls den Waldrand erreicht betraten jedoch nicht diesen Bereich. Unruhig saßen sie auf ihren Reittieren und konnten diese beinahe nicht unter Kontrolle halten. Schließlich hob der Anführer der Gruppe den rechten Arm und rief seine Gruppe zur Umkehr auf. Der Nachfolgermagier war für immer verloren und sie wollten keineswegs sein Schicksal mit ihm teilen. Das, was in diesem Wald schon seit undenklichen Zeiten war, war nicht dazu angetan, dass auch nur ein Leben von ihnen verloren ging. Sie mussten eben noch warten, bis abermals ein Nachfolger für den alten Zauberer kam. Zögerlich wandten die ersten ihre Tiere und machten sich auf den Rückweg. Immer wieder warf der eine oder andere einen Blick zurück, doch sie konnten nur den lichten Wald erkennen. Die Sonne war mit ihrem Schein weiter gewandert und nun lag der Boden im Halbdunkel. Gu'ald würde zwar nicht erfreut sein, wenn die Verfolgergruppe ohne den jungen Zauberer zurück kam, doch keiner würde für den Jungen sein Leben riskieren. Ein schauriger Schrei vom Himmel ließ alle den Kopf heben und dann gaben sie ihren Tieren die Sporen. Dort oben zog ein Drache seine Kreise und diese wurden sichtbar enger. Er hatte wohl eine saftige Beute erspäht!
Der Wald weitete sich zu einer gewaltigen Lichtung und darauf wuchsen phantastische Blumen. Diese schillerten in allen Farben und sandten eine leise Melodie aus. Sobald einer der Gruppe daran vorbei schritt, öffneten sich die Kelche und Leuchtsternchen schwebten heraus. In mancher der Blumenkelche saßen winzige Feen und spielten auf ebenso winzigen Instrumenten eine zarte Musikfolge. Beinahe konnte man die winzigen Noten herum schweben sehen. Assasina, die sonst nichts von Blumen hielt starrte die Gewächse fasziniert an. Sie vergaß alles um sich herum und beugte sich vor, um an einer der schillernden Blumen zu riechen. Eine warnende Stimme im Hinterkopf begann zu schreien, doch Assasina hörte nicht hin. Sie merkte nicht, dass Anaya zurück gekehrt war und wieder auf ihrem Arm erstarrte. Sie merkte nicht, dass auch die anderen stehen geblieben waren um sich an diesem Farbenrausch und der Melodie satt zu sehen und hören.
Agenor betrat die Lichtung und blieb ruckartig stehen. Das hatte er nicht erwartet. Blumen, die glühten wie Lichter und eine Melodie aussandten, die ihn ganz einhüllte. Wenn er nach Hause kam, würde er seiner Familie einen Strauß dieser Zaubergewächse mit nehmen. Schon streckte er die Hand nach einer besonders großen Blume aus, als er mitten in der Bewegung erstarrte. Agenors Männern erging es nicht besser. Die Pferde, die sie mit sich führten blieben ebenso stehen und begannen von dem zarten Gras unter den Blumen zu naschen. Doch kaum hatten sie ihre Lippen darum geschlungen erstarrten sie zu Standbildern. Der Prinz und seine Gemahlin starrten staunend auf die Blütenpracht und schlossen beinahe gleichzeitig die Augen, um sich von der zarten Melodie, die alle Blumen aussandten einlullen zu lassen. Die Gefahr und auch der bisherige Weg wurden vergessen und nur noch der Wunsch bestand, diese Lichtung nicht mehr zu verlassen.
Rutaara zuckte zusammen, als sie auf die Lichtung trat. Sofort wollte sie den bereits gemachten Schritt rückgängig machen, doch es war bereits zu spät. Sie versank in dem Blumenduft, der sie umgab und sie vergaß den eigentlichen Grund, warum sie sich hier befand. Die Melodie der winzigen Feen in den Blumenkelchen brachten ihre Nerven zum tanzen und gleich darauf begann sie selbst auch zu tanzen. Sie warf ihr Gepäck zu Boden und wiegte sich mit leichten Bewegungen im Kreise. Sie ignorierte die warnende Stimme in ihrem Kopf und sagte zu dieser nur, dass so herrliche Gewächse keinerlei Gefahr bedeuteten.
Ein plötzlicher Schmerz an ihrem rechten Bein riss sie aus ihrer Verzückung. Sie blieb stehen und stöhnte leise auf. Ihr Blick fiel auf Lyrael, der dicht vor ihr stand und sie anknurrte. Es schien ihr kurz als würde ein Vorhang von ihren Augen gleiten und sie wusste wieder wo sie war. Sie stand auf der Traumwiese und Lyrael hatte sie scheinbar vor großer Gefahr bewahrt. Denn ihr Blick erkannte erst jetzt, was da geschah.
Catyua seufzte erleichtert auf, als sie auf die Lichtung trat und diese Fülle an wunderschönen Blumen sah. Erst waren die Kelche alle geschlossen gewesen, doch jetzt öffneten sie sich und die Blume neben ihr hatte eine winzige Fee in ihrem Blütenkelch, welche auf einer winzigen Harfe eine betörende Melodie spielte. Beinahe von selbst begannen Catyuas Beine zu zucken als wollte sie einen Tanz beginnen und sie wandte sich zu Cedrik um, denn sie wollte mit ihm tanzen. Wie lange war das schon her, dass sie getanzt hatte? Aus einer anderen Blume stiegen winzige Glitzersterne, die sich in Catyuas Haar und auf ihre Kleidung setzten. Dort blieben sie liegen wie Silberstaub. Catyua musste kichern, während sie sich weiter tanzend bewegte.
Cedrik war erst noch etwas von seinem glühenden Ambarinstein abgelenkt, doch als er dann auf die Lichtung trat war er überrascht. Die Lichtung war zwar groß, doch sie war wie mit einem Blumenteppich belegt. Die Blumen öffneten ihre Kelche, sobald jemand in ihre Nähe kam. In ihrem Inneren waren zwar all jene Dinge wie in anderen Blumen auch, zusätzlich jedoch auch noch kleine Blumenfeen die mit winzigen Musikinstrumenten Cedriks Auge und Ohr erfreuten. Er wandte den Kopf als er eine leichte Berührung an seiner Seite verspürte und erkannte Catyua, die ihm einladend die Hände entgegen streckte um mit ihm zu der Melodie zu tanzen. Der Jungmagier musste grinsen, legte aber gehorsam Stab und Beutel sowie sein Schwert beiseite und nahm seine Seelenpartnerin in die Arme. Gleich darauf wiegte er sich mit ihr in vollem Einklang. Seine Augen sahen nur Catyua und keinen der anderen. Langsam verschmolz die zarte Melodie aus den vielen Blumenkelchen zu einem rauschenden Crescendo, das ihn wie ein schützender Mantel einhüllte.
Ein scharfer Schmerz durchzuckte ihn als seine Seite von etwas heißem berührt wurde. Zuerst achtete der Jungmagier nicht auf den Schmerz, doch dieser war sehr nachdrücklich und langsam verlor Cedrik die Lust zu tanzen und er sah sich nach dem Angreifer um. Dicht vor ihm stand Sternenlicht und hatte ihm das Horn, von dem der Beutel gefallen war, in die rechte Seite gestoßen. Cedrik spürte warmes Blut über seine Haut laufen und er wunderte sich, dass Sternenlicht ihn scheinbar angegriffen hatte. Seine Nase zog sich in krause Falten, als ihn ein starker Geruch nach Verwesung traf. Die Melodie war einem Nervenaufreibenden Kreischen gewichen und sein Blick wurde klar. Cedrik schaute von Sternenlicht zurück auf die Lichtung und … sah die Wahrheit.
Vor vielen Äonen von Leben war ein heißer Stein vom Himmel gefallen und mitten in dem damals noch ziemlich dichten Wald aufgeschlagen. Er enthielt nicht nur fremde Mineralien, sondern auch unheiliges Leben. Tief drinnen in dem Stein wuchsen schwarze Fäden und wurden schließlich so viele, dass sie die steinerne Hülle, die inzwischen abgekühlt war, sprengten. Sofort machten sie sich daran, die Umgebung zu erkunden und auch in Besitz zu nehmen. Da sie eine lange Reise hinter sich hatten, waren sie dementsprechend ausgehungert. Zuerst versuchten sie die Bäume zu essen, doch diese widerstanden und so machten sich die Fäden, die inzwischen gewachsen waren und ihre Form verändert hatten über die in dem Wald lebenden Tiere her. Die meisten erkannten die Gefahr und flohen. Doch die Kleinen und solche, die langsam waren wurden zur Beute der Fäden. Mit jeder Beute wuchsen die Fäden und veränderten ihre Gestalt. Manchmal kamen auch Zweibeinwesen durch den Wald und diese wurden ebenso zur Beute gemacht. Doch dann geschah etwas seltsames. Obwohl die Menschen und Menschenähnlichen Wesen gefressen wurden, schenkten sie ihren Verstand an die Fäden. Und so wurden diese intelligent. Sie verwandelten sich zu einem letzten Mal und diesmal in Blumen. Denn sie hatten erkannt, dass dies eine Gestalt war, die den meisten Lebewesen gefiel und von der diese keine oder nur wenig Gefahr erwarteten.
Die Jahre gingen ins Land und immer weniger Lebewesen betraten den Wald, der schon bald in schlimmen Verruf geriet. Da die Blumenwesen nun zwar verlockend waren, aber an ihren Standort gebunden, konnten sie keine weiteren Opfer mehr verfolgen oder finden. Und so griffen sie erneut zu einer List. Sie begannen kleine Ableger von sich zu bilden und diese waren in der Lage die meisten Bäume und Gebüsche zu verbrennen und zu verätzen. So entstand eine große Lichtung, auf der nichts anderes mehr wuchs als die Blumenwesen und Gras, das aber auch mit den Blumen verbunden war, denn das waren die Ableger, nachdem sie ihre Aufgabe erfüllt hatten. Um ihre Opfer recht lange am Leben zu halten, denn viele Lebewesen hörten auf die Warnung, die Traumwiese nicht zu betreten, begannen die Blumenwesen damit diese zu ummanteln mit einem Gemisch aus Verdauungssäfte und Waldboden. So hatten sie lange etwas von den Opfern und diese starben sehr lange nicht.
So war die Situation für die Gruppe, als zwei davon von dem Bann gelöst worden waren. Der Bann der alle anderen, auch die Pferde, eingeschlossen hatte. Nur Lyrael und auch Sternenlicht waren die einzigen, die den Bann durchbrechen konnten. Lyrael, weil auch ihn Hexenzauber berührt hatte und Sternenlicht, weil er ein reines Wesen war.
Rutaara ahnte, dass es sicher noch etwas dauern würde bis alle der Gruppe einschließlich der Tiere aus diesem Albtraum erwacht waren darum machte sie sich gleich daran Agenor und seine Krieger zu wecken. Doch so einfach war es wohl nicht den Platz auf dem sie stand zu verlassen. Sie senkte den Blick und sah auf ihre Beine hinunter. Doch da waren keine Beine mehr. Eine Rindenähnliche Substanz hatte sie umhüllt und diese Substanz wuchs zwar langsam aber unaufhaltsam bereits über ihre Knie. Es schien ihr, als würde sie zu einem Baum mutieren. Die Dunkelelbin begann zu zappeln und versuchte die wachsende Rinde weg zu zupfen. Doch je mehr sie sich wehrte, desto rascher ging die Metamorphose vor sich. Lyrael stand leise winselnd neben ihr, konnte ihr jedoch nicht helfen. Sie aus dem Zauber zu holen war sein einziger Versuch gewesen.
„Sternenlicht! Hilf mir bitte!“, rief die Dunkelelbin und spürte kaltes Grauen über ihren Rücken laufen. Sie sah die anderen starr am Rand der Lichtung stehen und alle hatten bereits einen Teil von Rinde um sich. Bei manchen war die Rindenumhüllung erst am Beginn und bei anderen – vor allem bei Agenors Kriegern – hatte sie bereits deren Bäuche erreicht. Das lag sicher daran, dass dies normale Menschen waren und keinerlei Zauber weben konnten.
Cedrik stöhnte leise auf als der Druck, der seine Beine herauf stieg langsam stärker wurde. Er hatte schon gesehen, dass er scheinbar zu einem Baum wurde. Auch wenn hier und dort an der Rinde Blumen wuchsen. Sternenlicht senkte den Kopf und dort wo das Horn die Rinde berührte, verbrannte sie und fiel in größeren Brocken zu Boden. Noch immer spürte Cedrik dass er blutete und er fragte sich kurz, wie lange Sternenlicht ihn wohl versucht hatte zu wecken. Wahrscheinlich lange genug, denn es war sicher der letzte Ausweg für das Einhorn gewesen, Cedrik das Horn durch die Kleidung und die Haut zu stoßen um ihn zu retten. Die Blumen, die vorhin so betörend geduftet hatten verströmten jetzt einen scheußlichen und stinkenden Geruch. Cedrik nahm an, dass dies wohl der tatsächliche Geruch der Wesen war. Er zuckte zusammen, als plötzlich Rutaaras Stimme an sein Ohr drang und sie bei Sternenlicht um Hilfe flehte. Ehe Cedrik etwas sagen konnte, war das Einhorn bereits auf den Weg zu der Dunkelelbin. Und so wie bei Cedrik fielen auch bei ihr die Rindenstücke verbrannt zu Boden, wo das Horn sie berührte.
Nach und nach wurden alle der Gruppe aus ihrem Zauber und der Ummantlung der Rinde geholt. War dies erst beinahe lautlos vor sich gegangen wurden dann nach und nach Wimmern und Kreischen hörbar. Es schien, als würden die Blumenwesen Schmerz empfinden. Die herrliche Musik und der faszinierende Geruch waren längst schon erloschen. Die Lichtung stank jetzt eher nach Verwesung und Tod, wie ein großes Schlachtfeld auf das die Sonne voll Kraft bereits Wochenlang schien. Das Kreischen drang allen durch Mark und Bein und so mancher konnte es nicht erwarten bis Sternenlicht auch den letzten Rest der Rinde verbrannt hatte. Nun wo Assasina wieder im Vollbesitz ihrer Kräfte war, auch der magischen, half sie mit und Anaya tat es ihr gleich.
Agenor ließ seine Krieger ausschwärmen kaum waren er und sie befreit um die Blumen zu zerstören. Viele der Wesen entkamen den Schwertern von Agenors Männer nicht und die wenigen, die übersehen wurden zogen sich mit einem satten Geräusch unter den Waldboden zurück und hinterließen an ihrem Standplatz ein dunkles Loch. Langsam verschwand sowohl das Kreischen als auch der Gestank und alle atmeten auf. Jetzt konnten sie es ja wieder.
Cedrik hatte seine Sachen, die noch immer dort lagen wo er sie hin geworfen hatte aufgehoben und nun hielt auch sein Stab mit dem hell leuchtenden Ambarin reiche Ernte. Dort wo der Ambarin die kleinste Blüte berührte verbrannte sie zu schwarzem Staub. Der aufgekommene leichte Wind wirbelte diesen Staub hoch und Cedrik bemühte sich diesen nicht einzuatmen. Zuletzt befreite er die Pferde und die beiden darauf sitzenden Hoheiten. Die Rinde war bei ihnen bereits über die Pferdekörper gewachsen und die Prinzessin starrte Cedrik wie einen Geist an als ihr aufging, was passiert war. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie hielt sie zurück. Darüber war Cedrik ganz froh, denn eine weinende Prinzessin hätte er jetzt nicht ertragen. Wo sie alle doch schon ganz andere Gefahren gemeistert hatte als diese Blumenlichtung.
Catyua war einerseits froh, dass sie nun außer Gefahr war andererseits jedoch enttäuscht, dass sich die Lichtung nicht wirklich als Blumenlichtung entpuppt hatte. Sie verstand diese Dinger irgendwie, dass sie auch leben wollten und darum Gefangene machten. Andersherum wieder sah sie zufrieden zu wie die meisten der Blumen unter den Schwerthieben und unter Sternenlichts Hornberührung zu Staub zerfielen. Sie fragte sich, wie lange sie alle hier auf der Lichtung wohl gestanden hatten, zwar war die Sonne weiter gewandert aber das konnte sie auch schon vor einigen Tagen gemacht haben. Und nach dem Hungergefühl in Catyuas Magen war das wahrscheinlicher als wenn die Ankunft auf der Lichtung und die Befreiung von der Rinde erst wenige Minuten her war.
Agenor hatte alles gegeben und auch seine Krieger hatten sich angestrengt, die Gruppe zu retten. Tief in seinen Eingeweiden tobte ein großer Hunger und er ahnte, dass die Zeit nur ihm und den anderen als rasch vergangen erschien. In Wirklichkeit konnte das Erlebte nicht erst wenige Minuten her sein. Kurz dachte er daran, ob es wohl Sinn machte noch rasch eine kurze Rast einzulegen, jetzt wo doch keine unmittelbare Gefahr mehr drohte. Er überlegte es sich jedoch gleich darauf anders und rief die Gruppe zu einem raschen Aufbruch von der Lichtung zusammen. Hatte man den Wald verlassen, konnte noch immer eine kleine Stärkung eingenommen werden. Agenor hob den Kopf, als ein kühler Wind aufkam und dunkle Wolken über die Lichtung schob. Nun war es tatsächlich Zeit aufzubrechen.
Assasina verspürte tief in sich ein nagendes Hungergefühl, als hätte sie schon einige Tage nichts zu sich genommen. Das war sicher die Auswirkung der Blumenwesen und deren Angriff auf die Gruppe. Denn noch ehe sie den Wald betreten hatte, hatte sie ja etwas zu sich genommen. Assasina sah auf ihre Hand hinunter wo Anaya wieder ihren Platz eingenommen hatte, als wäre sie niemals davon weg gewesen. Die Elfe bückte sich um nach ihren weg geworfenen Sachen zu greifen, als ein kühler Windstoß sie erinnerte, dass sie noch nicht gänzlich aus der Gefahr waren. Mit hoch ragendem Hinterteil wandte sie den Kopf und besah sich den Himmel. Dunkle Wolken waren aufgezogen und hatten den bisherigen Sonnenschein ausgesperrt.
„Ich denke es wird Zeit, uns wieder auf die Strümpfe zu machen!“, meinte die Elfe und erhob sich grinsend wieder in eine halbwegs angenehmere Stellung. Ihre Blicke gingen zu den anderen und sie runzelte die Stirn als sie Cedrik bemerkte, der etwas suchte. „Suchst du deine verlorenen Schritte?“, fragte sie und ihr Grinsen verstärkte sich. Jetzt wo sie wieder Herr über ihren Körper und Willen war hatte sie den Scherz erneut auf den Lippen.
Rutaara hatte sich, kaum war sie wieder frei, nieder gekniet und ihre Arme um Lyrael gewunden. Stumm legte sie ihre Stirn an die des Wolfes und bedankte sich bei ihm mit bewegten Gedanken. Danach erhob sie sich und erst jetzt wurde sie gewahr, dass sich ein Wetterumschwung ankündigte. Die Sonne war verschwunden und dunkle Wolken beherrschten nun den Himmel, soweit sie sehen konnte nachdem sie diesen nachdenklich betrachtet hatte. Die Dunkelelbin sah sich nach ihren Sachen um und bemerkte sie dort, wo sie ihr wahrscheinlich aus den Händen gefallen waren. Es war ihr nicht einmal aufgefallen, dass sie sie los gelassen hatte. Sie ging die wenigen Schritte hin und hob alles auf. Dabei bemerkte sie gleich vier der Löcher im Boden vor sich. Kurz lief ihr ein Schauder über den Rücken und sie nahm rasch ihr Gepäck hoch und machte, dass sie wieder von der Stelle verschwinden konnte. Dabei hörte sie die scherzhaft klingende Frage der Elfe. Ihre Stirn runzelte sich als sie sich fragte, ob Assasina wohl ihr bisschen Verstand verloren hatte. Sie sah sich nach Cedrik um und bemerkte erstaunt, dass er tatsächlich etwas suchte. Dabei machte er so ein verzweifeltes Gesicht als würde er gleich anfangen zu weinen.
Cedrik fuhr sich über seine Haare und seufzte. Dann jedoch begann er seine Verletzung etwas frei zu legen um die Blutung zu stoppen. Es dauerte etwas bis er auch den letzten Stoff beiseite gezogen hatte dass ihm erst spät auffiel, dass Sternenlicht neben ihm stand und eine kleine Träne langsam aus einem Auge rollte und genau auf die Stelle fiel, wo Sternenlicht ihn mit dem Horn verletzt hatte. Sofort schloss sich der Riss und Sternenlicht schnaubte kurz darüber. Cedrik bedankte sich bei seinem Einhorn mit einem sanften Gedanken und Sternenlicht verließ ihn wieder. Cedrik zog sich das beiseite gezogene Hemd und das Wams wieder zurecht, danach fiel ihm ein, dass das Horn seines Einhorns seltsam strahlend ausgesehen hatte. Der Beutel, der das Horn versteckt hatte, war scheinbar verschwunden. Sicherlich hatte Sternenlicht den Magiebeutel bei seiner Rettung der Gruppe vor den Blumenwesen auf der Lichtung verloren. Cedrik sah sich suchend um. Doch ausser den verbliebenen Löchern in denen die letzten Wesen verschwunden waren bemerkte er nichts. Langsam spürte er Panik darüber in sich hoch steigen, was die Worte Assasinas auch nicht besser machten. Gequält grinsend sah er nun zu der Elfe hin und nickte erst, dann schüttelte er den Kopf.
„Sternenlicht hat seinen Beutel über dem Horn abgestreift und der ist sicher hier auf der Lichtung irgendwo. Ich muss ihn finden, um ihn wieder über das Horn zu ziehen. Niemand ausser uns soll jetzt schon wissen, dass Sternenlicht kein echtes Pferd sondern ein Einhorn ist.“ Diese Erklärung musste genügen fand Cedrik und machte sich daran, weiter zu suchen. Endlich bemerkte er etwas leicht glitzerndes unter einem der wenigen richtigen Büsche und begab sich dorthin. Er bückte sich und gleich darauf hielt er den Beutel zwischen den Fingern. Zum Glück war diesem nichts ärgeres passiert, als dass er ziemlich zerknittert wirkte und so war es kein großes Ding, dass Cedrik den Beutel wieder an dessen ursprünglichem Ort anbrachte, nämlich auf dem Horn Sternenlichts. Gleich darauf stand neben ihm kein schwarzes Einhorn sondern ein Rappe. Nun konnte es weitergehen.
Ein Windstoß erinnerte Cedrik daran, dass es langsam Zeit wurde die Lichtung zu verlassen und vor dem eventuellen Wetterumschwung Schutz zu suchen. Er nahm seine Sachen wieder an sich, fuhr sich erneut durch seine Locken und begab sich zu Catyua. Er war bereit weiter zu reisen. Was auch Agenors Worte bestärkten.
Der Himmel bezog sich immer mehr mit den dunklen Wolken und manchmal konnte man leises Donnergrollen vernehmen. Die Gruppe war schweigend wieder auf dem Weg. Nur hin und wieder schnaubte eines der Pferde oder stieß mit dem Huf gegen die Wurzeln der Bäume des Waldes. Die Lichtung war bereits nicht mehr zu sehen und doch schauten immer wieder einige der Wanderer sich aufmerksam um. Es konnten immerhin noch der eine oder andere Ableger der Blumenwesen den Weg bis in diesen Teil des Waldes gefunden haben. Agenor ließ seinen Gedanken freien Lauf, während er stumm und mit grimmigen Gesicht weiter stapfte. Der Schreck saß ihm noch in den Gliedern. Auch wenn er sich seine Gefühle nicht anmerken ließ. Das war nicht Art eines tapferen Kriegers. Agenor schulterte seinen Bogen besser und sein Blick senkte sich zu Boden. Obwohl seine Augen den dunklen Waldboden sahen, nahm sein Blick ihn nicht so recht wahr. Beinahe so steif wie eine Gliederpuppe setzte er seine Füße. Ein lautes Grollen riss ihn schließlich aus seinem Dämmerzustand. Er sah auf und erst jetzt nahm er seine Umgebung richtig wahr. Gleichzeitig damit klatschte ihm ein dicker Tropfen auf die Stirn und Agenor hob den Kopf nach oben. Dies hätte er besser nicht getan, denn als ob dies ein Auslöser wäre, öffnete der Himmel seine Schleusen und die Bäume unter denen er ging waren auch nicht so Schutz gebend als man vielleicht denken konnte.
Assasina hatte kein Problem damit ihre Schrittgeschwindigkeit wieder zu finden. Sie würde dieser Gegend keine Träne nachweinen. Allerdings würde ihr auch niemand glauben, würde sie das eben überstandene Abenteuer jemanden erzählen. Sie warf einen raschen Blick zu Agenor, der mit finsterem Gesicht neben ihr her stapfte. War das eben erlebte schon für sie etwas schwer zu verdauen, wie musste es da erst einem Menschen gehen, der nicht viel von Magie hielt. Und doch schon so viel davon akzeptieren musste und auch hat. Gleichzeitig mit einem verstärkt wahrnehmbaren Grollen spürte die Elfe, wie ihr ein fetter Regentropfen genau auf ihre Nasenspitze fiel. Ehe sie reagieren konnte, begann es in Strömen zu regnen und in kurzer Zeit war sie so nass, als wäre sie eben aus einem Fluss gestiegen. Es dauerte nicht lange, so begannen ihre Schritte auf dem Waldboden schmatzende Geräusche zu machen. Auch wenn hier die Bäume dichter standen als auf der Lichtung hinten, rauschte der Regen beinahe ungehindert dazwischen zu Boden.
Catyua hatte seit ihrer Rettung von den gefräßigen Blumenwesen nichts mehr gesagt. Sie schritt nur stumm dahin und wäre ihr nicht ein Baum in den Weg gekommen wäre sie auch weiterhin wie im Traum dahin gegangen. So zuckte sie zusammen, als etwas zähes über ihr Gesicht zog und im letzten Moment erkannte sie das große Spinnennetz mit der Inhaberin. So konnte sie eben noch ausweichen. Sie nahm erst jetzt ihre Umgebung wieder wahr und ihr Blick suchte Cedrik. Sie erblickte ihn dicht neben sich und wollte eben erleichtert aufatmen, als sich der Himmel oberhalb der Baumwipfel öffnete und innerhalb von wenigen Augenblicken hatte sie der Regen, der daraus hervor rauschte durchnässt.
„Ich wusste doch, dass es immer noch schlechter geht“, murmelte die Albin und war doch erleichtert, dass es „nur“ der Regen war, der sie durchnässte und nicht Blumenwesenspucke. Ein heller Blitz zuckte auf und fuhr gleich darauf in einen der Bäume in Catyuas Nähe und brachte sie dazu einen halblauten Schreckensschrei auszustoßen. Gleich darauf grollte ein lauter Donner, der ihre Zähne zum vibrieren brachte. Eines der Pferde wieherte entsetzt auf und stieg hoch. Alles was auf dessen Rücken und dem Sattel angebracht war plumpste wegen des gerissenen Sattelgurts zu Boden und das Pferd lief wie von Dämonen gejagt auf und davon. Der Krieger Agenors, der das Tier am Zügel geführt hatte lag auf dem Boden und rappelte sich eben auf. Obwohl Catyua noch immer zitterte konnte sie sich eines befreienden Lachens nicht enthalten. Je länger sie lachte, umso leichter wurde es ihr und schließlich hallte das Lachen der restlichen Gruppe zwischen den Bäumen in einer Lautstärke, die sogar das Rauschen des Regens übertönte. Dieser hatte den Baum wieder gelöscht und Catyua wartete trotzdem sie noch immer lachen musste, ob nicht erneut Donner zu hören war.
Langsam verhallte das Lachen und Cedrik wischte sich die Tränen von den Wangen. Auch wenn es keinen echten Anlass gab, hatte ihn das Lachen irgendwie befreit. Sternenlicht schüttelte sich im Regen, den Cedrik erst jetzt so richtig wahr nahm. Nun ja, Regen hatte ihm schon öfters erwischt und der jetzige hatte das Gute, dass er nicht nur die restlichen Spuren der eben erlebten Gefangenschaft sondern auch die Erinnerung daran weg wusch. Cedrik machte sich nur etwas Sorgen um das durchgegangene Pferd. Es musste wohl einer von Agenors Männern nach ihm suchen, doch keiner würde nach Cedriks Einschätzung das gerne machen. Dass auch Agenor diesen Gedanken hatte merkte der Jungmagier, als bereits ein Krieger sich von der Gruppe trennte als Agenor mit ihm kurz sprach, seinen Bogen fester in die harte Faust nahm und den Weg zurück lief. Abermals donnerte es aber schon leiser als zuvor. Cedrik wandte sich wieder nach vorne und sein Blick traf mit dem von Catyua zusammen. Ein zartes Grinsen huschte über sein Gesicht und er legte seiner Geliebten den Arm um die Schulter. Sein Schritt passte sich beinahe sofort an und beide liefen durch den noch immer stark strömenden Regen.
Assasina hatte sich nach dem Lachanfall rasch wieder erholt und war trotzdem froh auch mit gelacht zu haben. Allerdings wurde sie rasch wieder ernst während sie durch den Wald und den Regen lief. Sie wusste nun warum man vor diesem Wald warnte. Es würde zwar sicher wieder eine ganze Zeit vergehen ehe abermals die Albtraumgewächse einen Wanderer umgarnen konnten, aber dass sie total ausgerottet waren daran glaubte die Elfe nicht. Da waren sicher noch die unterirdischen Wurzeln oder was diese Dämonenwesen wohl als ihre Verankerung nahmen. Doch das war alles nicht mehr ihr Problem. Oder das der anderen in der Gruppe. Die Elfe sah sich während des Laufes um und fragte sich, ob der Krieger der dem durchgegangenen Ross nach gelaufen war, es wohl auch einfing. Aber auch das war weder ihr Problem noch das eines der Anderen. Na gut vielleicht das von Agenor. Es war nur ärgerlich, dass das blöde Vieh so rasch gewesen war. Aber wer rechnet auch schon damit, dass ein Blitz trotz starkem Regen in einen der Bäume einschlug und diesen auch noch in Brand setzte? Unwillkürlich kam zwischen Assasinas Lippen ein leises Zischen hervor, wie bei einer Schlange. Sie wandte sich wieder in Laufrichtung – gerade noch rechtzeitig um einem etwas dickeren Stamm auszuweichen. Dieser hatte in Augenhöhe ein großes Loch und darin saß ein Baumhörnchen und knabberte an einer Haselnuss. Der Regen und auch das leiser gewordene Donnern schienen ihm nichts auszumachen.
Rutaara lief zwar nicht wie die anderen, doch hatte sie einen etwas rascheren Trab begonnen und ihre Augen waren sehr aufmerksam auf die Seiten des Waldes gerichtet. Man konnte ja nicht wissen, welche Gefahren dieser noch barg. Kurz wurde ihre Aufmerksamkeit abgelenkt als das Pferd durchging doch sie hatte vollstes Vertrauen in Agenor, der diese Panne sicher rasch in den Griff bekam. Schlimmer war, dass einige Tropfen des Regens einen Weg unter ihren Umhang gefunden hatten und ihr nun als schmales Bächlein über den Rücken liefen. Langsam sehnte sie sich wieder einmal nach einem trockenen Platz wo sie dieses Ungemach abstellen konnte und sich und auch ihre Kleidung trocknen konnte. Ihr umherschweifender Blick fiel auf Cedrik und Catyua und unwillkürlich musste sie grinsen. Die beiden schienen nichts vom Regen zu verspüren, denn sie schritten beinahe im Gleichschritt durch die Tropfen, als schiene die Sonne. Die Locken Cedriks waren zwar an seinen Kopf geklatscht, doch er schien dies nicht zu merken. Gleichzeitig mit diesem Bild kam Rutaara der Gedanke, Cedrik könnte etwas gegen den Regen machen. Sie beschleunigte etwas den Schritt und als sie die beiden erreicht hatte, beugte sie sich dicht an Cedriks rechtes Ohr.
„Was hältst du denn davon, wenn du diesen Regen endlich verschwinden lässt?“
Agenor hatte gleich nachdem das erschrockene Pferd durchging einen seiner Männer ihm nachgesendet und hoffte nur, dass der Mann es auch fand. Sie hatten schon vorher zu wenig Tragtiere besessen, da fiel dieses eine schon etwas ins Gewicht. Dass der Mann die Gruppe nicht mehr fand, sobald er das Tier eingefangen hatte, darüber machte sich Agenor keinen Gedanken. Er wusste was seine Männer leisten konnten und was nicht. Ausserdem wusste der Mann wo er sie alle suchen und auch finden würde und so lief Agenor durch den Regen, der ihn genauso kalt ließ, wie sich dieser anfühlte. Agenors Gedanken eilten inzwischen bereits voraus und er fragte sich was sie wohl am anderen Waldrand erwarten würde. Seine Beine fühlten sich zwar noch etwas taub an, doch mit jedem Schritt den der Krieger machte, wurde es besser. Wenn er wieder zu Hause war, würde er allerhand zu erzählen haben. Nicht so sehr seiner Frau – denn er hatte keine – als vielmehr den anderen Kameraden. Er würde auch sicher eine Trainingsstunde erstellen um sich und die anderen Krieger gegen solche Gefahren zu stählen. Immer wieder wandte er sich kurz um, ob der Krieger schon mit dem Tier nachkam, doch ausser den nassen Baumstämmen hinter sich und die einzelnen Gruppenmitgliedern sah er nichts.
Catyua zuckte erschrocken zusammen als sie Rutaaras Stimme vernahm. Diese war wie ein Gespenst heran gekommen, Catyua hatte nichts davon bemerkt. Die Dunkelelbe sprach einige Worte mit Cedrik die das Albenmädchen wegen des Rauschens des Regens nicht wirklich verstand. Unbewusst vernahm sie ein leises Donnern und als ob dies der Schlusspunkt wäre hörte der Regen mit einem Schlag auf und nur noch die Blätter schüttelten die Tropfen in dem leichten Wind ab. Es war zwar noch früh am Tage, doch die dunklen Wolken über den Baumwipfeln erweckten den Eindruck als wäre es später Nachmittag und die Nacht stünde bevor. Das Mädchen hob den Kopf und sah zu Cedrik auf. Dieser wandte den Blick zu ihr und ein kleines Lächeln glitt über sein Gesicht. Catyua fragte sich, ob er für den abrupten Abbruch des Regens verantwortlich war. Aber schließlich war er ja auch ein guter Magier. Auch wenn er selbst von sich sagte, er hätte noch viel zu lernen. Doch wer hatte das nicht?
Cedrik versuchte immer wieder das Wasser aus seinen Haaren zu schütteln, doch schließlich ließ er es sein. Es war ja auch nur Wasser. Eben wollte er seinen Beutel wieder etwas höher schultern als Rutaara neben ihm wie ein Geist auftauchte und sich zu ihm beugte. Ihre Stimme war im Regenrauschen beinahe nicht zu verstehen. Erst als er sich mehr darauf konzentrierte hörte er wie sie ihm vorschlug,. Er sollte den Regen verschwinden lassen. Unwillkürlich nickte er, dieser Gedanke hätte ihm auch kommen können. Er konzentrierte sich mehr auf die Wolken über dem Wald und „spürte“ das Wasser dort oben. Es gab sicher irgendwo eine Stelle, die all dies Regenwasser dringender benötigte als dieses Waldstück und so versuchte der Jungmagier sein erlerntes Wetterwissen anzuwenden. Er verstärkte den Wind, um die Regenwolken zu verjagen. Es war eine seiner leichteren Übungen und der Regen hörte wie abgeschnitten auf. Es waren zwar immer noch dunkle Wolken zu sehen und diese verwandelten das Innere des Waldes in ein Halbdunkel, doch die Nässe kam nun nur noch von den Blättern die im auffrischenden Wind, den Cedrik erzeugt hatte, ihre Feuchtigkeit abschüttelten. Eben wollte sich Cedrik wieder auf Rutaara konzentrieren als er hinter sich laute Stimmen vernahm. Er wandte sich um und sah dass der von Agenor ausgesandte Krieger eben mit dem Pferd zurück kam. Es wehrte sich noch etwas gegen das Gepäck, das man ihm wieder hinaufschnellen wollte, doch schließlich gab es nach. Cedrik wandte sich wieder dem Weg zu und beschleunigte seine Schritte nun wieder etwas. Rutaara hatte ihn wieder verlassen und lief etwas weiter seitlich von ihm und Catyua. Es wurde Zeit, dieses Abenteuer und diese Gegend so rasch wie möglich zu verlassen. Catyua an seiner Seite hatte zwar sichtlich Rutaara bemerkt, doch alles andere war ihr entgangen. Cedrik würde es ihr bei der nächsten Raststelle sicher erzählen.
Canon der verlorenen Geister ...
Es dauerte nicht lange so war der Waldrand erreicht und Assasina atmete auf. Sie wusste jetzt kam noch eine etwas gefährliche Stelle und dann war es nicht mehr weit bis zum Talkönig und dem Ende dieser Reise. Die Elfe wandte den Kopf und schaute zurück. Der Regen hatte aufgehört und der einsetzende Wind hatte die dunklen Regenwolken vertrieben. Jetzt schien wieder die Sonne. Schon mehr am Himmel hoch gestiegen aber immer noch nicht im Zenit. Vor der Elfe begann der steile Abstieg und sie befürchtete, dass die Tiere so ihre Schwierigkeiten haben könnten. Es gab zwar hier seitlich einen schmalen Trampelpfad, dort könnte Agenor und seine Krieger die Tiere und auch das Prinzenpaar in den Canon bringen, doch sie bezweifelte dass dies ohne weitere Kämpfe abgehen würde. Vor allem die Prinzessin würde sich sicher mit Händen und Füßen gegen die Engstelle wehren. Dunst stieg von Assasinas Kleidung auf als diese zu trocknen begann. Sie sah sicher für einen unbedarften Beobachter aus, als würde sie brennen. Zwar hatte die Elfe weniger Humor als zuvor, doch dieses Bild das in ihrem Kopf entstand ließ sie schmunzeln.
Rutaara atmete auf als Cedrik so rasch reagierte. Der Regen hörte auf und ein leichter Wind, den der Jungmagier sicher auch gleich erzeugt hatte, trieb nach kurzer Zeit die Regenwolken beiseite und die hervor kommende Sonne erhellte nicht nur den Waldboden sondern begann auch die Kleidung zu trocknen. Für das Innere ihrer Kleidung würde sie selbst verantwortlich sein und das könnte sie erst beim nächsten Lagerfeuer erledigen. Der Wald hörte endlich auf und die letzten vier Bäume blieben hinter der Dunkelelbin zurück. Vor ihr breitete sich ein Abhang aus, der steil nach unten führte. Sie selbst und Lyrael würden keine großen Schwierigkeiten haben den Abhang zu bewältigen. Auch die anderen nicht. Wie es mit den Pferden oder dem Prinzenpaar aussah stand auf einem anderen Blatt. Doch darüber würde sich sicher Agenor seinen Kopf zerbrechen. Er war hier der richtige Mann dazu. Rutaara schnallte sich ihr Gepäck fester und begann den Abstieg. Lyrael hielt sich zwar hartnäckig in ihrer Nähe auf, doch da er mit diesem Gelände besser zurecht kam als die Zweibeiner eilte er etwas voraus.
Agenor wollte eben auf das Regenwetter fluchen, als der Regen wie abgeschnitten aufhörte. Der einsetzende Wind vertrieb die Wolken und die Sonnenstrahlen ließen die Welt wieder in einem hellen Licht erscheinen. Die Wärme trocknete im Nu die Rüstungen und Lederharnische und um das Ganze so recht abzurunden, erschien auch der dem durchgegangenem Pferd hinterher gesandte Krieger mit dem Pferd wieder und wurde von seinen Kameraden mit lautem Hallo begrüßt. Dem Tier wurde das Gepäck wieder aufgebunden und Agenor war zufrieden, dass alles so glimpflich ausgegangen war. Weiter vor sich entdeckte Agenor dass der Weg scheinbar aus dem Wald führte und freute sich auch deshalb. Es dauerte auch nicht lange, bis er vor dem Abhang stand und in die Tiefe sah. Steine und kleinere Felsblöcke erkannte er doch die Tiere würden sich hier die Beine brechen. Einer der Krieger kam nach vorne und erklärte Agenor, er wüsste jetzt wo sie waren und dass dies der Canon der verlorenen Geister sei. Dass seitlich von hier ein schmaler und nicht ganz so steiler Pfad in die Tief führte, der für die Tiere und die beiden Königlichen besser geeignet war als diese Stelle hier. Agenor verließ sich auf diesen Krieger und folgte ihm samt seinen Männern zu der seitlichen Stelle. Mit einem Blick erkannte Agenor, dass der Mann recht gehabt hatte und machte sich an den Abstieg. Das Pferd mit dem Prinzenpaar hatte er hinter sich und ein Krieger führte es am Zügel.
Catyua setzte bedachtsam einen Fuß vor den anderen und suchte mit ihren Blicken den Boden vor sich ab. Es könnte sich ja das eine oder andere Geröll oder auch das eine oder andere Bodenloch vor ihr sein, in das sie mit den Füßen trat. Bisher war der Weg glimpflich gewesen, da musste sie sich nicht auf den letzten Kilometern auch noch einen oder gar beide Beine brechen. Es war schon schmerzhaft und auch störend, sollte sie sich den Fuß verstauchen. Durch die Sonne die nun wieder mit ihrer gesamten Wärme schien war Catyuas Kleidung rasch getrocknet und ihr wurde etwas heiß. Die Albin hob den Kopf und schaute kurz zu den neben ihr gehenden Cedrik. Er schaute zum Gegensatz zu ihr vorhin in die Ferne und hatte die Stirn gerunzelt. Um zu sehen, was ihn so sichtbar beunruhigte hob auch sie den Blick und knöchelte im nächsten Moment um. Es gab ihr einen scharfen Schmerz und ein leiser Jammerlaut konnte nicht mehr unterdrückt werden. Sofort spürte sie Cedriks Hand unterstützend unter ihrem rechten Arm durchgreifend und biss sich auf die Lippen. Das hatte sie nun wieder davon, so neugierig zu sein und alle Vorsicht ausser acht zu lassen. Doch mittels Cedriks handfester Unterstützung ging es dann doch besser nach unten und sie atmete erleichtert auf.
Cedrik warf erst einen Blick auf den steilen Weg, dann auf Catyua und machte sich daran, den Steilweg nach unten zu gehen. Hin und wieder rutschte er ein wenig, wenn er auf die wie geschliffen wirkenden Steine trat und jedesmal sah er sich kurz mit verrenktem Bein am Boden liegen. Doch alles ging gut und eben wollte er schon aufatmen, als er neben sich Catyua leise auf jammern hörte. Er spürte den Schmerz, den auch sie fühlte und zuckte zusammen. Sofort griff er unterstützend zu und versuchte seine Gefährtin sicher nach unten zu bringen. Etwas irritierte ihn und er hob den Blick. Was das dort in der Ferne eine schwarze Wolke? Sollte schon wieder ein Drache im Anflug sein? Aber das Ding dort weit vorne hatte wenig Ähnlichkeit mit einem Drachen und schien auch keine Wetterwolke zu sein. Nun, er würde es sicher erkennen was das für ein Ding da unten war, wenn sie näher gekommen waren. Kurz sah er sich nach den anderen um und sein Blick fiel auf Lyrael, der sich mit seinen vier Beinen und den Krallen daran am leichtesten tat. Kurz zog der Wolf seine Lefzen von den Zähnen, so dass er aussah als würde er Cedrik triumphierend angrinsen. Nun ja er hatte ja auch leicht zu grinsen fand Cedrik und musste selbst lächeln. Gleich darauf rutschte er wieder etwas und konzentrierte sich nun endlich auf den Weg, statt seinen Gedanken nachzuhängen.
Es war ein steiles Stück, auch wenn es nicht so steil war wie das der anderen, das Agenor, seine Krieger und auch die Pferde bewältigten mussten. In leichten Serpentinen ging es in die Tiefe und manchmal waren auch Steinstufen in den Boden gehauen. Die beiden Prinzlichen schwiegen und die Prinzessin hatte weit aufgerissene Augen. Krampfhaft hielt sie sich am Sattelknauf fest. Um sie besser in die Tiefe zu bringen hatte sie den Damensitz aufgegeben und saß ebenso wie ein Mann auf dem Pferd. Zu Beginn des Abstiegs hatte sie darauf bestanden, jemand sollte ihr eine dicke Decke unter sie breiten, doch einer der Krieger hatte ihr nur die Beine unter dem Bauch des Reittieres mittels Riemen gesichert und darum spürte sie jeden Schritt des Tieres bis in ihre Schultern, je tiefer sie kamen. Immer wieder warf sie einen Blick auf ihren neben ihr reitenden Gemahl, doch dieser schaute nur stur geradeaus. Sie fühlte sich so allein und einsam wie schon lange nicht mehr. Selbst der junge Magier hatte Begleitung durch seine Gefährtin. Sie zuckte leicht zusammen, als sie von Agenor angesprochen wurde, der sich nach ihrem Befinden erkundigte. Kurz überlegte sie sich ob sie ihm wahrheitsgemäß antworten sollte, doch dann siegte der Stolz und sie meinte nur, es ginge ihr gut. Wahrscheinlich hatte sie es nicht so gut gesagt wie sie vorhatte, denn Agenor schaute sie nur stumm an und hatte eine Braue gehoben. Doch dann zuckte er die Schultern wandte sich um und ließ sie abermals allein. Mit jedem Schritt ihres Reittieres wünschte sich die Prinzessin mehr, dass dieser Abstieg endlich sein Ende fand.
Der Mittag war über das Land gekommen und der bisher leichte Wind legte sich. Auch die Schreie unsichtbarer Tiere verstummten und die Hitze erreichte ihren Höhepunkt. Eine Staubwolke hing über dem Steilstück wo eine Schar Reiter aber auch einiges Fußvolk nach unten in den gewaltigen Canon reiste. Es war, als würde ein gewaltiger Riese seinen bisherigen Atem anhalten und auf etwas warten. Der Boden des Canon war mit dunklen Blumen bewachsen, die alle inmitten ihres Blütenkelches einen leuchtenden Stern trugen. Jetzt in der Mittagshitze waren die meisten geschlossen und nur hier oder da war eine der Blütenkelche etwas geöffnet und der helle Schein des Blütensterns strahlte daraus hervor. Drachenblumen, sogenannte Dracaenas hatten ihre Wurzeln in den Boden geschlagen. Von ihnen wurden viele verschiedene Geschichten erzählt doch immer gab es noch das eine oder andere Geheimnis um sie. Dass sie den Tod vertrieben, oder dass sie Wunden so rasch heilen konnten wie kein Heiler sonst. Aus den Wurzeln machten die Magier und Zauberer geheimnisvolle Ingredienzien und die Blätter wurden oft als Heilzutat in diversen Zauber- und Magietränke verarbeitet. Von dem hellen Drachenstern in der Mitte jeder Blume ging die Sage, es sei einst die Träne des Weltendrachen Shon Lung gewesen, die dieser geweint hatte als der böse Zauberer Minglang dessen Gattin Shamiera gefangen und an den Höllenfürst persönlich verkauft hatte um sein Leben für alle Zeiten zu verlängern. Auch geht die Sage durch die Lagerfeuer, dass Shamiera ihr letztes Ei unter die Herzwurzel des Weltenbaums gelegt habe um es so vor dem gewissen Tod zu bewahren. Viele Abenteurer haben schon danach gesucht, doch keinem war es bisher gelungen. Denn nicht nur dass keiner bisher den Weltenbaum gefunden hat, so – erzählt die Sage weiter – inmitten des Wurzelgeflechts läge eine goldene Stadt die aus den Schalen von den ältesten Urdracheneiern erbaut worden war – Nilakalai – und dort im Thronsaal soll dieses letzte Ei liegen und darauf warten, dass jemand es fand um Shon Lung und Shamiera zu retten.
Rutaara atmete erleichtert auf, als sie den letzten Schritt nach unten setze und endlich den Canonboden erreichte. Sie sah die vielen Dracaenas und ahnte, dass sie hier ein weiteres Abenteuer erwartete. Doch inzwischen war sie abgehärtet, denn sie hatte viele dieser Abenteuer erlebt und auch noch überlebt. Kurz sah sie sich nach Lyrael um, doch dieser schnupperte nur kurz an einer der halb offenen Blumenkelche und wandte sich dann scheinbar desinteressiert ab. Die Dunkelelbin wusste aus Erfahrung, dass Drachenblumen nicht dufteten. Doch da niemand wissen konnte, was sie noch alles auf ihrem Weg erleben würden, zupfte Rutaara rasch von einigen der Blumen die Blütenblätter ab und steckte diese in ihren Beutel.
Assasina kniff die Augen zusammen, denn die Sonne schien ihr direkt hinein. Durch die Mittagshitze spürte sie wie ihr ein schmales Bächlein Schweiß über den Rücken lief. Eine kurze Rast wäre jetzt nicht das verkehrteste und so wandte sie sich an Rutaara um ihr eben dies vorzuschlagen. Im gleichen Moment kam von etwas weiter links auch Agenor und seine Begleiter aus dem Hohlweg und so wandte sie sich nun an diesen.
„Meinst du nicht, großer Krieger wir sollten hier eine kurze Mittagsrast einlegen, unsere Mägen etwas füllen um für die gewiss noch kommenden Abenteuer gerüstet zu sein?“
Sie selbst hätte sicher beim gehen essen können, doch sie musste auch an die anderen denken. Es war sicher von Vorteil, wenn die beiden Königlichen nicht halb verschmachtet vor Hunger und Durst beim Talkönig abgeliefert wurden. Unwillkürlich ging ihr Blick zu den beiden Pferden auf denen die beiden angeschnallt saßen und die eben den Boden erreicht hatten. Während der Prinz ein finsteres Gesicht machte, war seine Gemahlin blass wie ein Gespenst.
Agenor war erleichtert, als er endlich das Ende des Wegs erreicht hatte und den Canon betrat. Sein Blick fiel auf die Tausenden von Blumen und er runzelte die Stirn. Die Hufe der Pferde aber auch die Füße der Gruppe würden eine schöne Vernichtung anrichten. Doch er war nun einmal Krieger und kein Blumengärtner. Agenor schaute zu Assasina als sie ihm eine Mittagsrast vorschlug. Am liebsten hätte er dieses Ansuchen abgeschlagen, doch er selbst verspürte etwas Durst und es war nicht sicher, ob sie in den kommenden Stunden so rasch etwas zu sich nehmen konnten. Also erwiderte er:
„Ja, wir sollten alle etwas zu uns nehmen. Wer weiß, ob wir so bald etwas kräftigendes bekommen werden. Zwar schaut mir dieser Canon nicht so nach einer schwierigen Durchquerung aus, doch das kann sich schlagartig ändern. Haben wir ja schon auf dieser Reise oft genug erlebt!“ Mit diesen Worten hob er eine Hand und seine Krieger die nach und nach den Talboden erreicht hatten hielten ihre Tiere an oder legten ihre Waffen nieder um sich mit den Packtieren zu beschäftigen. Die beiden Königlichen wurden von ihren Fesseln befreit und stiegen etwas steif doch alleine von ihren Reittieren. Die Prinzessin warf Agenor einen dankbaren Blick zu und dieser fühlte sich kurz etwas unbehaglich. Schon allein deswegen, weil nicht ihm dieser Gedanke an Stärkung gekommen war. Er holte etwas Brot und kaltes Fleisch aus seinem Vorratsbeutel und biss schnell hinein.
Cedrik war froh als er endlich unten angekommen war. Seine Augen nahmen die vielen Blumenkelche wo die meisten geschlossen waren in der Mittagsglut kaum wahr. In seinem Hals kratzte der eingeatmete Staub des Abstiegs und er war froh, diesen hinter sich gebracht zu haben. Fürsorglich unterstützte er Catyua als diese kurz stolperte und sich Halt suchend an seinen Arm klammerte. Seine Augen suchten ihren Blick und wieder einmal versank er in diesen Augen. Er kam erst wieder zu sich als er eine schwache Berührung an seiner Schulter spürte. Noch immer verträumt lächelnd sah er auf und mitten in die sanften Augen Sternenlichts. Dieser schnaubte kurz und sprühte Cedrik etwas Speichel ins Gesicht. Unwillkürlich trat Cedrik einen Schritt zurück und brach dadurch den Bann. Seine Ohren vernahmen wieder diese lähmende Stille, die hier im Canon herrschte und auch Agenors Worte. Wie eine Antwort knurrte ihm kurz der Magen und der Jungmagier musste grinsen. Er bemerkte dass jeder seiner Gefährten schon mehr oder weniger dabei war sich zu stärken. Auch wenn es ihm nicht so lange vorkam, es waren Stunden bei dem Abstieg vergangen. Erst jetzt spürte er auch die Belastung in seinen Oberschenkeln. Doch er achtete nicht so sehr darauf, fragte sich nur insgeheim welche Gefahren hier wohl wieder lauerten. Der Jungmagier entnahm dem Beutel, der auf dem vor ihm stehenden Sternenlicht befestigt war, etwas Brot und ein dickes Stück Käse. Ihm lief das Wasser im Mund zusammen als seine Nase den Käsegeruch einsog. Ohne viel Umstände schlug er nun seine Zähne hinein und begann genüsslich zu kauen.
Catyua hatte schon gedacht, sie würde diesen Abstieg nie mehr schaffen, doch das letzte Steilstück war auch vollbracht worden und sie schaute erstaunt um sich als ihr Blick die vielen Blumen bemerkte. Alles hätte sie hier erwartet aber nicht das. Wäre sie keine Kriegerin sondern ein kleines Mädchen gewesen, hätte sie sicher einen Strauß dieser Blumen gepflückt. Doch da sie weder eine Vase noch Wasser – ausser zum trinken – mit sich führte verkniff sie sich dies. Sie wusste zwar, dass es sich bei den Blumen um Drachenherzen handelte, aber ausser zum schmücken hatten sie keine Bedeutung in Catyuas Augen. Ein runder Stein brachte sie zum Stolpern, doch Cedrik fing sie rasch auf. Sie schaute kurz zu Agenor als dieser zur Stärkung aufrief dann sah sie Cedrik an. Dieser erwiderte ihren Blick und wieder hatte sie das Gefühl in den Goldpünktchen seiner schöner Augen zu versinken. Wenn man seine etwas spitzen Ohren ausser acht ließ und auch sonst nichts über den Jungmagier wusste ahnte man jedoch wegen seiner Augen den Elfeneinschlag in ihm. Ein Knurren riss die junge Albin aus ihrer Betrachtung und sie musste grinsen, als sie es als Magengeräusch von Cedrik erkannte. Aber auch sie verspürte nun Hunger und so beschloss sie sich ebenfalls zu stärken. Man konnte ja schließlich nicht wissen, wann man das Nächste Mal etwas zwischen die Zähne bekam.
Die Rast dauerte nur so lange, dass die meisten wenigstens den ärgsten Hunger stillen konnten. Obwohl keine Anzeichen von Störung sichtbar waren, hatte Agenor doch einige Wachen rund um die ruhende und essende Gruppe aufgestellt. Er selbst hatte sich etwas abseits gestellt und kaute nachdenklich an einem Stück Fleisch. Es war zwar gebraten, aber schmeckte nicht besonders gut. Scheinbar hatte man vergessen es zu würzen. Aber er hatte schon ganz andere Speisen zu sich nehmen müssen, so dass es ihn nicht sehr störte. Seine Augen waren nachdenklich auf einige der Blumen gerichtet, ohne sie richtig wahr zu nehmen. Denn die Gedanken waren schon aus dem Canon voraus geeilt und waren bereits auf dem Weg zum Schloss des Talkönigs. Langsam wurde es wirklich Zeit, dass er diese Sache hier abschloss und endlich wieder nach Hause zurück kehrte. Ebenso seine Männer. Einige hatten zwar keine Frauen, aber die Mütter von ihnen waren sicher auch froh, wenn der Sohn wieder unbeschadet in den Schoß der Familie kam. Diese Zeit daheim war kurz genug, ehe es erneut galt irgend eine Gefahr abzuweisen.
Rutaara hatte nichts gegen eine kurze Rast, auch wenn sie selbst nichts zu sich nahm ausser einige Schlucke vom Wasservorrat. Danach schüttete sie einige Tropfen in ihre hohle rechte Hand und ließ auch Lyrael trinken. Kaum hatte sich ihr Wolf seinen Durst gestillt, verstaute sie den Beutel wieder und wandte ihre Aufmerksamkeit erneut ihrer Umgebung zu. Die Blumen schaukelten im leichten Wind hin und her und sahen wie ein wogendes blaues Meer aus in denen die Drachentränen wie winzige Präziosensteine glühten.
Assasina hatte sich etwas abseits der anderen hin gestellt, einen kleinen Teil ihres Vorrates hervor geholt und aß mit Appetit aber dennoch auch mit wachsamen Blicken. Sie wusste zwar, dass die Abenteuer noch nicht so ganz zu Ende waren aber welcher Art es hier im Canon sein würde, wusste sie nicht. Die Elfe hatte nichts dagegen, es nicht so genau zu wissen. Sie verlagerte kurz ihre Aufmerksamkeit auf die beiden Prinzlichen und fragte sich wie lange deren Untätig sein in Sachen Ausbüchsen und abhauen dauern würde. Denn dass keiner der beiden den einen oder anderen Fluchtgedanken abgelegt hatte ahnte sie. Warum sie allerdings fliehen wollten, wo man sie doch gut behütet in der Gruppe zu ihrem herrschaftlichen Leben wieder zurück bringen würde war ihr ein Rätsel. Solche waren zwar meistens zum lösen da, doch die Elfe hatte wenig mit einer Lösung um das „Warum“ im Sinn. Sie wollte nur so rasch als möglich ihren Auftrag erfüllen um ebenso rasch als möglich ihre Belohnung zu empfangen.
Obwohl die Rast notwendig war, machten alle diese so kurz als möglich. Es wurden schon nach kurzer Zeit die letzten Bissen geschluckt, die letzten Wasserbeutel geschlossen und wieder im Gepäck verstaut. Den Pferden wurden die Getreidebeutel von den Köpfen gezogen und dem Prinzen nebst seiner Gattin wieder in den Sattel geholfen. Trotzdem die junge Frau darum bat, jetzt eine kurze Strecke zu Fuß gehen zu dürfen, entsprach diesem Wunsch keiner. Ohne viel Worte wurde sie abermals in den Sattel gesetzt und ihre Beine unter dem Pferdebauch gefesselt. Dann warf man eine Decke über ihren Schoß und jener Krieger, der schon bisher das Tier am Zügel führte nahm auch jetzt diesen in die Hand und die Gruppe brach auf.
Es ging immer tiefer in den Canon hinein. Obwohl alle das Gefühl hatten als würden sie in einem blau wogendem Meer gehen umgeben von einem zarten Duft nach Sommer und Glück war niemand unaufmerksam. Kurz wandte sich der eine oder andere um um zu sehen, wie viele ihrer Spuren sichtbar war. Immer wieder wurden diese Blicke überrascht, denn es schien als wäre niemand durch diesen Canon gegangen. Keine Lebewesen und keine Pferde. Eher schien es, als würden die Drachenblumen vor den Beinen von Mensch und Tier beiseite rücken um hinter dem letzten wieder an ihren angestammten Platz zu rutschen.
Einer von Agenors Männer, der nichts anderes zu tun hatte als das Packpferd das er am Zügel führte zu beaufsichtigen, ließ seinen Gedanken freien Lauf. Zwar nahmen seine Augen die Rücken der vor ihm gehenden Tiere und Kameraden wahr ebenso die Blumen und die in deren Kelchen blinkenden Drachentränen, doch mit den Gedanken war er bereits bei seiner Frau zu Hause und seinem kleinen Sohn, den er eigentlich erst einmal gesehen hatte. Mehr und mehr fühlte er die Sehnsucht nach beiden. Doch er war an einem weit entfernten Ort und er merkte wie er langsam aber sicher wütend wurde. Aus dieser Wut heraus hob er den rechten Fuß um einen weiteren Schritt vor sich zu setzen, doch dann trat er aus diesem Gefühl heraus gegen eine der Blumen. Diese schaukelte wie wild hin und her und mit einem feinen „Ping“ rutschte die Träne aus dem Kelch heraus und fiel auf den Boden neben der Blume. Der Krieger blieb abrupt stehen um zu warten, bis die Träne im Boden versank, wie man es eben von einem Tautropfen erwarten konnte. Doch die Träne blieb auf dem Boden liegen und blinkte im Sonnenschein wie ein Edelstein. Der Mann bückte sich nach einigen Augenblicken und griff nach der Träne. Diese fühlte sich zwar fest an, doch nicht so als wäre sie ein Stein, eher so als würde er etwas lebendes, warmes zwischen den Fingern halten. Kurz kam es ihm vor, als würde sie pulsieren, doch das war nur von untergeordneter Bedeutung. Rasch sah er sich um ob ihn jemand beobachtete, aber niemand schenkte ihm auch nur einen Blick und so steckte er die Träne mit einem schnellen Griff in seinen Beutel mit der Wegzehrung. Immer wieder trat er nun gegen die eine oder andere Blume und sammelte die Tränen ein. Der Beutel war schon nach kurzer Zeit schwerer geworden und hatte wie die einzelnen Tränen zu pulsieren begonnen. Der Mann grinste still vor sich hin, denn er empfand dieses Pulsieren als scherzhaft und nicht ganz unangenehm. Er ahnte, dass er ein Vermögen eingesammelt hatte und stellte sich bereits das Gesicht seiner Frau vor, wenn er ihr ein Geschmeide aus den Tränen bringen würde. Er konnte auch sicher die Schulden für sein kleines Häuschen beim Steuereintreiber begleichen und auch noch das eine oder andere auf die hohe Kante legen.
Die Sonne versteckte sich nach und nach hinter dunklen Wolken und ein kühler Wind fegte durch den Canon. Ein lauter werdendes Seufzen und Jammern lag in der Luft und endlich wurden alle anderen darauf aufmerksam. Assasina hob den Blick und sah sich um. Die meisten Blumen hatten sich geschlossen, obwohl noch keine Nacht sie dazu zwang. Es sah eher nach späten Nachmittag aus. Und doch waren die vielen blauen Blumenkelche fest verschlossen. Doch nicht alle. Viele standen weit offen und es schien, als würde sie etwas dazu zwingen, zu verdorren. Die blauen Blütenblätter hatten sich gelb und braun verfärbt und hier und dort lösten sie sich auch von den zur Seite geneigten Blumenköpfen. Die Blumen starben und die Elfe fragte sich warum.
Rutaara hatte im Gedanken zur Göttin gebetet und immer wieder sich vorgestellt, wie es denn sein würde, wenn sie endlich ihren Lohn erhalten würde um ihren geliebten Lyrael in seine wahre Gestalt zurück verwandelt zu bekommen, um ihn endlich in Treue und Liebe verbunden zu sein. Darum dauerte es eine geraume Zeit, bis auch die Dunkelelbin auf das veränderte Wetter aber auch die Blumen aufmerksam wurde. Sie hatte schon viele Geschichten über diese Blumengattung vernommen, doch in keiner wurde erzählt, dass es normal sei, dass die Blumen starben. Und das taten sie zweifelsfrei. Sie starben! Rutaara senkte den Kopf und sah auf den neben ihr gehenden Lyrael nieder. Immer wieder verzog dieser seine Schnauze, als würde er einen Feind wittern. Drohendes Grollen stieg dabei aus seiner Kehle und schärfte die Anspannung bei Rutaara. Ja, es war etwas geschehen, das eigentlich nicht geschehen durfte, doch was? Rutaara beschleunigte ihren Schritt etwas um zu Assasina aufzuschließen. Kaum hatte sie diese erreicht, packte sie die Elfe beim Arm und flüsterte mit rauer Stimme:
„Merkst du das? Was ist das? Warum sieht es so aus, als würden die Drachenblumen sterben?“
Assasina war etwas zusammen gezuckt, kaum hatte Rutaara sie beim Arm gepackt. Jetzt aber verzog sie den Mund zu einem spöttischen Grinsen und meinte:
„Vielleicht weil sie es tun? Was meinst du, was die Ursache ist? Ist es etwa die schlechte Ausdünstung der beiden Prinzlichen? Oder hat ein anderer die Finger in diesem Spiel?“ Wobei sie sich gut vorstellen konnte, wer dieser „andere“ sein könnte. Votan hatte schon ganz andere Sachen zuwege gebracht. Da kam es auf den Tod einiger unwichtiger Blumen sicher nicht an. Ihre Augen wanderten über die Gruppe und blieben an dem weit hinter ihnen gehenden Krieger Agenors hängen. Warum dieser hinter statt vor ihr ging wollte sie gar nicht wissen. Nur warum er sichtlich wütend nach den Blumen trat um sich gleich darauf zu bücken und etwas aufzuheben. Ein kalter Windstoß lenkte die Elfe kurz von dem Mann ab und zog ihren Blick zum Himmel. Dieser hatte sich in den letzten Minuten seltsam gelblich schwarz verfärbt und verhieß nichts Gutes.
Cedrik achtete ebenso wenig auf die Umgebung wie es Catyua tat. Er war so mit seiner Geliebten beschäftigt, dass ihm erst aufging, dass sie wieder einmal in Gefahr waren, als ein kalter Windstoß ihm unter das Wams fuhr und wie mit eisigen Fingern die Körperwärme entriss. Er stolperte kurz und wandte nun seinen Blick von Catyuas Augen und Gesicht weg zur Umgebung. Er runzelte die Stirn und sein Blick nahm die Veränderungen wahr. Wieder einmal schien es zu einem Gewitter oder gar zu einem Unwetter rüsten. Dabei hatte sich eine besonders dicke und giftig gelbe Wolke vor die Sonne geschoben. Blitze zuckten an deren Außenseite und vermittelten einen gefährlichen Eindruck. Hier und dort wieherte eines der Pferde und bäumte sich auf. Doch die Krieger achteten darauf, dass sich keines vom Zügel weg reißen konnte und so mit dem Gepäck verschwinden würde. Innerlich zählte der Jungmagier die Gruppenmitglieder und bemerkte überrascht, dass einer der Krieger statt vor ihnen hinter ihnen nach kam. Er kam nur langsam nach, immer wieder bückte er sich um etwas aufzuheben. Scheinbar hatte sein Beutel ein Loch und er verlor immer wieder Gegenstände. Cedrik zuckte zusammen, als eine harte Hand seinen Arm ergriff und die heisere Stimme Assasinas in sein Ohr knurrte:
„Halte keine Maulaffen feil, Magier sondern hilf mir, den Idioten daran zu hindern weiter zu machen mit dem was er eben tut!“ Und schon zog sie Cedrik aus Catyuas mittelbarer Nähe und begab sich in die Richtung, wo der Krieger eben merkte, dass ein Unwetter sich über seinem Kopf bildete. Cedrik wollte sich wehren, doch beinahe ohne sein Zutun bewegten sich seine Füße in die Richtung wohin ihn Assasina zog.
Agenor blieb stehen und sah zum Himmel auf. Leise seufzte er als er die bedrohliche Wetterentwicklung bemerkte. Es wäre ja auch zu schön, wenn auf dieser Reise etwas gut ging. Sie hatten Feuerdämonen abgewehrt, Feinde und feindliche Wälder durchquert und auch überlebt, sie würden auch dieses seltsame Gewitter überstehen, dachte sich Agenor. Er schulterte sein Schwert besser und zog den Riemen fester, an dem die Scheide hing. Der stärker gewordene Wind fuhr ihm kalt über den Körper und zog an seinem Haar. Sowohl des des Kopfes als auch an seinem Bart. Bart? Er hatte bisher immer darauf geachtet, dass er immer glatt rasiert war und jetzt hatte er einen Bart? Agenor hob die rechte Hand und fuhr sich über das Kinn. Dort wucherte ein wild und dicht wirkender Bart. So lange und dicht war der Bart erst einmal gewesen, aber da war Agenor Wochenlang unterwegs gewesen und hatte keine Gelegenheit gehabt, sich die Haare vom Gesicht zu schaben. Wie lange waren sie denn schon unterwegs? Agenor blieb abrupt stehen und fragte sich, ob die Zeit hier im Canon anders verging als in der übrigen Welt. Er wurde abgelenkt von diesen Überlegungen, als er die wütende und laute Stimme Assasinas vernahm. Er wandte nun den Blick von den drohenden Wolkengebräu und lenkte ihn zu Assasina. Er sah, dass diese einen seiner Krieger eben beim Genick packte und schüttelte. Dieser Anblick war für Agenor so seltsam, dass er zu grinsen begann. Gleich darauf wurde er so traurig, dass sich seine Augen mit Tränen füllten, die ihm langsam über die kalten Wangen liefen und in seinem Bart versickerten.
Assasina hatte mit Cedrik den Krieger erreicht und sah nun, dass der Mann ziemlich verhärmt und auch verwildert aussah. Gar nicht mehr so tadellos wie er den Canon betreten hatte. Sein erst glatt rasiertes Gesicht wies nun ein wildes Bartgestrüpp auf und seine Kleidung hatte viele Abnutzungserscheinungen, sogar Löcher hatten sich darin gebildet. Sie war dreckig an einigen Stellen so ausgebleicht dass man die Farbe nur noch erahnen konnte, die der Stoff vorher hatte. Assasina streckte die Hand aus und packte den seltsam ausgemergelt wirkenden Mann am Genick. Sie spürte Zorn in sich aufsteigen und beutelte ihn nun wie einen nassen Sack umher.
„Sag mal, du Dummkopf was machst du hier? Hast du die Blumen der Tränen beraubt? Ich hatte doch erklärt, dass jeder die Finger von den Dingern lassen soll, sie sind gefährlich! Nun haben wir den Salat, hast du schon gemerkt, dass dein Raub das Wetter beeinflusst?“ Assasina knurrte bedrohlich als jemand sie beim Arm packte und schon zuckte ihre Faust beiseite, als sie im letzten Moment erkannte, dass die Hand zu Cedrik gehörte.
„Du willst wohl auch deinen Teil Prügel erhalten, was?“, knurrte die Elfe und nahm sich im letzten Moment zurück. Beinahe mit Abscheu ließ sie den Krieger los und wischte sich die Hand an ihrer Kleidung ab. Dabei riss der Stoff und ein kleines Stückchen davon segelte zu Boden, wurde von einer neuen Böe hoch gerissen und davon gewirbelt. Erst jetzt sah die Elfe an sich herab und bemerkte, dass auch ihre Kleidung und ihr Beutel arg beansprucht worden war. Wobei sich die Elfe nicht erklären konnte, was dies wohl ausgelöst haben könnte.
Cedrik hatte sich beeilt, dass er Assasina folgen konnte und runzelte die Stirn, als er auch den Krieger erreicht hatte und die Handgreiflichkeit der Elfe miterlebte. Einige Augenblicke sah er zu, denn auch er empfand den Diebstahl der Drachentränen als Unrecht, doch als er merkte, dass der Mann sich nicht wirklich wehrte, griff er ein. Seltsam war es nur, dass die Kleidung dieses Mannes seltsam zerrissen und abgetragen wirkte, als wäre er nicht Mitglied der Gruppe, sondern bereits viele Jahre unterwegs. Unwillkürlich sah Cedrik kurz an sich hinunter und … auch er hatte abgetragene Kleidungssachen an. Kurz wunderte er sich, doch dann zuckte er die Schultern. Vieles war an dieser Reise seltsam, warum nicht auch dieses. Cedrik hatte nur die Sorge, dass durch die Fadenscheinige Hose sein Knie heraus sehen könnte. Oder sein Wams und Hemd vom Körper fallen könnte. Vielleicht kamen sie irgendwo in nächster Zeit an einem Dorf vorbei, wo sie sich alle wieder mit guter Kleidung eindecken konnten.
Catyua fühlte sich verlassen, kaum war Cedrik mit Assasina ein Stück des Weges wieder zurück gegangen. Kurz überlegte sie, ob sie sich den beiden anschließen sollte, doch dann dachte sie, dass es wohl besser sei, weiter zu gehen. Sie beschleunigte ihre Schritte und schloss zu Rutaara auf. Diese lächelte sie kurz an, kaum trat sie neben sie und Catyua passte ihre Schritte denen der Elbin an. Kurz sah sie zu Lyrael, der seltsam wütend und aufgeregt schien. Obwohl man das nicht so sicher bei seinem Wolfsgesicht erkennen konnte. Die Albin schrak etwas zusammen, als ein kalter Windstoß ihren Umhang aufblähte und ein kleines Stück daraus riss. Catyua schaute erstaunt dem davon fliegendem Stoffteilchen nach und wunderte sich, wie viel Kraft so ein Windstoß doch hatte. Erst jetzt bemerkte sie auch dass sich der Himmel zugezogen hatte und eine riesige Wolke direkt über dem Canon stand auf deren Oberfläche es immer wieder blitzte. Dennoch war kein Laut eines Donners zu hören. Als Rutaara ihr einen Arm um die Schulter legte, fühlte sich Catyua wieder ein wenig besser. Sie fand, dass es wohl besser sei endlich aus diesem Canon zu verschwinden.
Die Dunkelheit brach auf und entließ eine feurige Wolke kleiner Lebewesen. Feuer fiel in einem zwar schmalen aber dichten Vorhang auf unsere Freunde. Agenor schlug sich auf seine Kleidung, als diese wie durch Zauberhand Feuer fing. Erst dann ging ihm auf, dass wohl winzige Drachen die unablässig Feuer spien damit zu tun hatten. Er wischte sich durch eine glimmende Spur in seinem Bart und rief laut:
„Lauft! Es sind Drachenfliegen! Es ist scheinbar die Rache für den Diebstahl. Lauft, wenn ihr ohne größeren Schaden bleiben wollt. Das Feuer der Drachenfliegen brennt sich durch alles!“ Und schon hieb er mit der rechten flachen Hand auf die Hinterbacke eines vor ihm gehenden Pferdes um es anzutreiben. Doch das Tier hatte es schon gemerkt, dass es wohl besser war nun wirklich Fersengeld zu geben und wieherte auf. Es bäumte sich hoch und hätte beinahe das neben ihm unruhig tänzelnde Tier mit den Vorderhufen getroffen. Agenor kümmerte sich nicht mehr so richtig ob ihm die anderen oder seine Krieger folgten, er hatte zu laufen begonnen. Immer wieder wischte er kleine Feuerfunken aus dem Bart oder seinen Haaren. Auch seine Kleidung wurde in Mitleidenschaft gezogen.
Die meisten Krieger Agenors hatten zwar den aufkommenden Wind und auch die seltsame Dunkelheit mitten am Tag bemerkt, doch die ungeteilte Aufmerksamkeit bekamen erst die Drachenfliegen, als diese auf die Gruppe aus Menschen und Tiere zu steuerten und sie mit selbst durch das Leder der Rüstungen durch gehenden feinen Feuernadeln bombardierten. Kurz kam der bisher geordnete Canondurchzug ins Stocken um schließlich in einer einzigen Verwirrung an Tier- und Menschenkörpern zu enden. Es dauerte noch lange genug bis sich alle endlich dazu durchrangen in eine Richtung zu flüchten. Um die drohende Gefahr noch besser kenntlich zu machen bemerkten der eine oder andere der Krieger auch dass immer wieder Drachenblumen aufflammten, wenn einer der winzigen Flammenstöße diese berührten.
Die Prinzessin zuckte zusammen und jammerte laut auf als eine winzige Flamme sich in ihrem Haar versteckte und es gleich darauf eine ebenso winzige Rauchsäule daraus hervor kringelte. Ihr Prinzgemahl griff zu ihr und wollte sie eben trösten, als einer der kleinen Feuerbälle seine Hand berührte und er mit einem zerquetschten Fluch die Hand zurück zog. Ohne dass es ihm einer sagen musste, beugte er sich über den Nacken des Pferdes, auf dem er fest gebunden saß und stemmte seine Fersen in die Flanken des Tieres. Doch dieses benötigte keine Aufforderung, es hatte von sich aus eine raschere Gangart angeschlagen. Schließlich galoppierte es so rasch als möglich dahin doch immer wieder wurde es von den verfolgenden Drachenfliegen und deren Feuerstößen getroffen. Das Tier mit der Prinzessin darauf folgte.
Lyrael jaulte auf, als ein winziger Funke ihm genau auf die Nase fiel und setzte sich erst einmal hin um sich das feurige Etwas mit der Pfote weg zu wischen. Gleich darauf jedoch stand er wieder auf und drängte sich an Rutaara. Diese hatte zwar den Himmel soweit es ging im Auge gehalten, doch ihre Augen weiteten sich als plötzlich die Wolke auseinander floss und sich in Abertausenden winzigen Drachenfliegen auflöste. Bisher hatte sie nur von solchen Plagegeistern gehört, doch nun erfuhr sie – so wie die anderen auch – dass sie ärger waren als ihr Ruf besagte. Aus Plagegeistern wurden in Sekundenschnelle Quälgeister und schließlich Monster. Rutaara ließ Catyua los und versuchte mit einem Gegenzauber etwas sich und die junge Albin vor den stechenden Feuerlanzen zu schützen. Doch entweder konnte sie sich nicht genug konzentrieren oder ihre Magie halfen nicht gegen die kleinen Biester, jedenfalls fielen auch weiterhin immer wieder Feuerkügelchen auf sie und Catyua aber auch auf einige der Blumen. Die welche geschlossen waren, schienen gegen das Feuer der Drachenfliegen immun zu sein, die anderen, die sowohl offen als auch am Sterben waren, flammten auf und erloschen, kaum waren sie zu grauem Staub verbrannt. Dieser wurde durch den noch immer wehenden Wind aufgewirbelt und drang mit jedem Atemzug in die Nase, die Augen aber auch in den Mund. Dort hinterließ er einen bitteren Geschmack. Beinahe von selbst schloss sich die Dunkelelbin den bereits dahin stürmenden Kriegern und Pferden an und Lyrael hatte ebenso Schwierigkeit Schritt mit ihr zu halten wie Catyua.
Catyua zuckte zusammen, als ein heißer Stich ihre Stirn traf. Gleich darauf benahm sich Lyrael seltsam, als würde er von etwas unsichtbarem gequält. Gleichzeitig wurden auch die vor ihr gehenden Krieger aber auch die Pferde unruhig. Viele der Männer schlugen um sich, als wollten sie etwas vertreiben. Die beiden Pferde auf denen die beiden Königlichen fest gebunden waren gingen laut wiehernd durch und die Prinzessin wurde wie eine Puppe hin und her gebeutelt. Erneut spürte Catyua einen heißen Stich und erst da vernahm sie die Schreie Agenors. Auch wenn sie nicht alles verstand, denn Agenor war nicht der einzige, der schrie doch soviel verstand sie, dass es wohl besser war jetzt die Beine in die Hand zu nehmen und zu rennen. Erst als sie bereits hinter Rutaara her keuchte sickerte etwas wichtiges in ihr Gedächtnis. Drachenfliegen? Drachen und auch noch Fliegen? Das würde das Brennen auf ihrer Haut erklären das sicher von Drachenflammen stammte. Und Fliegen waren es sicher, weil sie so klein waren. Doch zu mehr kam Catyua nicht denn abermals traf sie ein heißer Stich und diesmal war ihr rechtes Auge in Mitleidenschaft gezogen. Mit einem leisen Aufschrei griff sich Catyua auf die schmerzende Stelle und nahm nun auch die Warnung ernst. Ebenso die Aufforderung von hier zu fliehen. Fester griff sie sich ihr Gepäck, sah sich kurz nach Cedrik um, doch der nächste Treffer, der sie im Nacken erwischte, trieb ihr nicht nur die Tränen in die Augen sondern auch die Angst in den Magen. Und Catyua lief nun so rasch los – als wäre der Teufel oder Votan persönlich hinter ihr her.
Assasina würgte einen sicher unschönen Fluch hinunter als sie die ersten Feuerzungen trafen. Sie hatte sich zwar denken können, dass es eine Rache für die zerstörten Drachenblumen geben würde, doch sie hätte eher an Geister oder Dämonen gedacht und nicht an die winzigen Drachenfliegen. Doch was anderes sollten Drachenblumen auch haben als Drachenfliegen? Und zum Gegensatz von den anderen hatte sie schon einmal mit diesen Feuerbiestern zu tun gehabt. Damals waren ganze Wälder und auch ein relativ großes Dorf in Feuer aufgegangen und zu Asche verbrannt. Trotzdem das Dorf so nahe am Wasser lag, dass dessen Bewohner jeden anderen Brand ziemlich rasch löschen konnten. Nur eben diesen nicht. Dort wo die Flammen dieser verdammten kleinen Biester hin fielen, dort konnte nichts sie löschen. Sie fraßen sich durch alles. Egal ob Holz, Stein oder Haut. Mit einem wütenden Knurren schaute die Elfe auf den wie erstarrt stehenden Mann vor ihr und spuckte ihm die nächsten Worte ins Gesicht:
„Bist du jetzt zufrieden, du Trottel? Das verdanken wir dir und deiner glorreichen Idee die Drachentränen aus den Blumen zu stehlen! Verschwinde wenn dir dein Leben lieb ist!“ Die Elfe zuckte schmerzlich zusammen als ein heißes Brennen ihren Arm berührte, wo Anaya sich befand. Diese wies nun auf ihrem Schlangenkörper ein winziges Loch auf wo sich eine ebenso winzige Rauchfahne hervor wand. Assasina spürte den Schmerz und ahnte schon, dass sich ihre Gefährtin sicher in Sicherheit bringen würde. Es dauerte auch nicht lange, wand sich die Schlange von Assasinas Arm und verließ die Elfe. Mit einem wütenden Zischen verschwand Anaya auf den Boden und dort unter den verschlossenen Blumenkelchen. Assasina merkte nur am Rande ihrer Aufmerksamkeit, dass die geschlossenen Blumenkelche nicht von den Flammen der Drachenfliegen getroffen wurden. Nur jene, die schon offen und der Drachentränen beraubten, wurden getroffen und zu Staub verbrannt. Die Elfe richtete ihre Aufmerksamkeit wieder dem Manne zu, doch der stand nicht mehr da wo er noch vor wenigen Sekunden gestanden hatte. Scheinbar hatte er ihren Vorschlag zu fliehen angenommen und lief bereits mit um sich wirbelnden Händen und Armen hinter den fliehenden Pferden her. Wäre nicht die Elfe jetzt auch mit Fluchtgedanken beschäftigt, hätte sie sicher gegrinst. Doch sie bewegte jetzt ihre Hände und Arme im gleichen Ausmaß wie der Dieb, um die sie herumschwirrenden Drachenfliegen wenn schon nicht zu vertreiben, doch etwas auf Abstand zu halten.
Cedrik stand noch immer am gleichen Platz und staunte die Geschehnisse an. Er merkte nur am Rande, dass es noch etwas dunkler geworden war, dass die Wolke schließlich aufbrach und gefährliche Rächer entließ. Erst als die ersten Flammen ihm auf die Haut fielen und sowohl Assasina als auch der Mann plötzlich weg rannten, schluckte er den Speichel hinunter, der sich in seinem halb offen stehendem Mund angesammelt hatte. Zwar hörte er Agenor etwas schreien, doch da auch die anderen ihre Stimmen erschallen ließen, achtete er nicht darauf. Erst als ihn ein harter Stoß in den Rücken traf zuckte er zusammen und wandte sich um. Vor ihm stand Sternenlicht und wieherte immer wieder schmerzlich auf. Unwillig schüttelte er den Kopf als sich ein winziger Drache darauf setzte und ein spitzer Flammenstoß eines der Ohren des Einhorns traf. Cedrik spürte erneut einen feurigen Stich an seiner rechten Halsseite und unwillkürlich griff er zu der schmerzenden Stelle. Seine Finger spürten einen heißen Gegenstand und als er die Hand von der Stelle zog um sie sich zu betrachten, sah er den winzigen Drachen zwischen den Fingern. Dieser hing seltsam verdreht darin und Cedrik warf das Tier mit einem kurzen Schreckensruf beiseite. Wie ein welkes Blatt trieb der Drache zu Boden und ehe er aufschlug verwandelte sich das bisher rote Tier in einen grauen Schlackebrocken. Kaum hatte sein grauer Körper diesen berührt fiel er wie winzige Aschenflocken auseinander. Der Jungmagier konnte sich seines ersten Erfolges nicht lange erfreuen, denn wie auf ein geheimes Kommando stürzten sich nun etwa ein Dutzend der Drachenfliegen auf ihn um sich scheinbar wegen des Todes eines der ihren zu rächen. Mit einem erschrockenen Aufschrei schlug Cedrik seine Hände über dem Kopf zusammen und wandte sich nun ohne weiteren Aufenthalt zu Sternenlicht, schwang sich auf dessen Rücken und musste sich gleich darauf in der Mähne seines Einhorns krallen, denn Sternenlicht lief sofort los, wie von hundert Teufeln gejagt.
Agenor und seine Krieger, die mit ihm flüchteten hatten – im wahrsten Sinn die Hände voll. Immer wieder stöhnte der eine oder andere auf, wenn wieder ein feiner Feuerstrahl die unbedeckte Haut traf. Wo vorher nur die eine Wolke voll mit wütenden Drachenfliegen war, so waren inzwischen noch weitere erschienen. Und jede beherbergte viele wütende Feuermonster. Agenor dachte kurz daran, dass die derzeitige Situation beinahe jener gleichkam, die beim Angriff der Feuergeister herrschte. Doch dort hatte schließlich jeder Einzelne der Gruppe seinen Beitrag geliefert, die Geister zu bändigen und zu vernichten. Jetzt aber herrschte eher Panik statt überlegtes Handeln. Agenor hörte irgendwo im Hintergrund lautes Schreien und ein seltsames Rauschen. Kurz dachte er, es höre sich wie Regen an, doch der nächste Feuerstich vertrieb diesen Gedanken.
Rutaara hörte ihr eigenes Keuchen und wunderte sich, denn sie hätte sich nicht gedacht, dass ihr das Laufen so viel Kraft kostete. Doch sicher war das Drachenfeuer dieser Biester daran schuld. Und sie hoffte, dass es nicht mehr weit war, diesen Canon zu verlassen. Hoffte auch, dass am Ende desselben die Drachenfliegen nicht auch noch mit kamen. Das hätte ihr gefehlt. Kurz wandte sie sich um, doch gleich darauf raffte sie ihren Umhang fester und betete im Gedanken zur Göttin, dass der Schrecken bald ein Ende hatte. Die Erde unter ihren Füßen fühlte sich an, als würde sie beben. Das kam sicher von den in panischer Angst galoppierenden Pferden und den wirbelnden Füßen der Flüchtenden. Ein leiser Gedanke ließ die Dunkelelbe an das Dunkle Feuer denken, doch das war nur wie das Aufzucken eines Blitzes.
Cedrik überlegte, während er so dahin jagte, ob er wohl die Kraft und auch die Zeit hätte, einen Schutzschirm über der laufenden Gruppe zu errichten. Doch dazu hätte er anhalten müssen und das würde Sternenlicht sicher nicht mit sich machen lassen. Der Blick des Jungmagiers erfasste seine laufende Gefährtin und er beugte sich noch etwas dichter an den Nacken seines Einhorns. Sternenlicht schien zu ahnen, dass er noch ein wenig rascher laufen sollte und setzte noch etwas zu. Gleich darauf waren Einhorn und Magier neben Catyua angelangt, Cedrik beugte sich etwas seitlich umschlang mit einem Arm die Taille der Albin und riss sie hoch zu sich. Sternenlicht war einige Momente etwas langsamer geworden, gab jedoch gleich darauf wieder Fersengeld, sobald Catyua vor Cedrik auf dem Rücken des Einhorn saß. Während der Jungmagier darauf achtete, seine Gefährtin sicher zu halten fiel sein Blick auf den Ambarin des Stabes. Der Stein leuchtete in einem so grellen Blau, wie es Cedrik noch nie gesehen hatte. Ohne einen Gedanken an sein Tun zu verschwenden, griff er mit der freien Hand nach dem Stab, zog ihn aus dessen Halterung und hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. Man sollte eben auf einem wild dahin galoppierenden Einhorn nicht beide Hände beschäftigen, ohne dass ein sicherer Halt gesucht wird. Doch Cedriks Kraft war während der Reise gewachsen, nicht nur was die Magie betraf, sondern auch den Körper. Und so drängte er seine Waden an den Einhornbauch und hob den Stab in die Höhe. Er zog ihn nach vorne und seitlich, danach nach hinten und zur anderen Seite. Ein blauer Schein brach aus dem Ambarin und es bildete sich ein Dach, das immer größer wurde und alle Laufenden überspannte. Wo immer eine der Drachenfliegen mit dem Magiedach in Berührung kam, verzischte sie mit einem hellen Blitz. Bald überspannte das Dach die ziemlich auseinander gezogene Gruppe und immer öfters zuckten die hellen Blitze darauf auf. Bald war es wie ein regelrechtes Blitzgewitter und Cedrik verlangsamte schließlich den rasenden Lauf seines Einhorns. Er hatte den Kopf nach oben gewandt und auch Catyua betrachtete die vielen kleinen Blitze erstaunt. Sollte es so einfach sein, aus der Gefahr dieser Drachenfliegen zu kommen?
Assasina keuchte dahin und versuchte wenigstens die ungefähre Richtung der anderen einzuhalten. Das winzige Loch in ihrem Arm tat zwar nicht sehr weh, störte sie jedoch. Wenn sie den Canon verlassen hatten, konnte sie sich noch immer darum kümmern es zu heilen. Oder heilen zu lassen. Wozu hatten sie schließlich einen Magier mit, wenn dieser auch noch jung und in vielen Dingen unerfahren war? Das was er nicht wusste oder konnte, würde sicher Rutaara in Angriff nehmen. Die Elfe war so in ihrer Flucht gefangen, dass es etwas dauerte, ehe sie sich fragte, wo denn eigentlich diese Drachenfliegen geblieben waren. Denn ihr fiel langsam auf, dass sie schon länger nicht verbrannt worden war. Unwillkürlich richtete sie den Blick zum Himmel und wunderte sich wieder einmal, warum dieser so blau war. Dann jedoch erkannte sie, dass Cedrik wohl dahinter steckte. Sie wurde langsamer und legte ihre rechte Hand auf die Hüfte. Dort stach es ziemlich und die Elfe war froh, dass sie nicht mehr so rasch laufen musste. Laufen mit Seitenstechen war auch kein Honigschlecken. Sie hatte wohl das richtige Atmen während eines Laufs nicht bedacht. Assasina wandte ihren Blick vom Himmel ab und suchte Cedrik. Dieser saß mit Catyua auf seinem Einhorn und ritt nun ziemlich gemütlich vier Pferdelängen vor ihr dahin. In seiner erhobenen Hand trug er seinen Stab und der darauf befestigte Stein strahlte ein grelles Blau aus. Immer wieder durchzuckten grelle Blitze den magischen Schutz über ihr und die Elfe grinste, denn jeder dieser Blitze schien den Tod eines dieser Biester zu bedeuten.
Rutaara hatte nichts bemerkt, dass über ihr und den anderen sich ein Schutz aufgetan hatte und so lief sie weiter. Obwohl ihr die Lungen weh taten, so heftig atmete sie ein. Lyraels Ohren waren nach hinten zu ihr gerichtet und er lief mit großen Sprüngen voran. Plötzlich jedoch stemmte er sich mit den Vorderbeinen in den Boden und Rutaara wäre beinahe über ihn gestolpert. Erst jetzt fiel ihr auf, dass es keine frischen Feuerstiche gab und sie verlangsamte den Lauf. Ihr erstaunter Blick glitt über Lyrael, der den Kopf nach oben gedreht hatte und nun beinahe gemächlich dahin schritt. Rutaara folgte seinem Blick und sie erkannte überrascht, dass sich ein Magiedach über den Köpfen der Gruppe gebildet hatte. Nachdem Cedrik auf seinem Einhorn saß und den Stab mit dem Ambarin nach oben hielt, ahnte die Dunkelelbe, dass ihm wohl das richtige eingefallen war und er seine Magie einsetzte um die Gruppe zu schützen. Rutaara nickte zufrieden und ihr Blick suchte nun die anderen.
Agenor schob sich den Bogen zurecht, der ihm während des schnellen Laufs beinahe von der Schulter gerutscht war. Im Moment kam er sich ziemlich seltsam vor. Ein starker Krieger wie er sollte eigentlich nicht so rennen wie ein gemeiner Dieb, der die Polizei hinter sich hatte. Aber wenn der Feind so klein und auch noch so fies war wie diese Feuerbiester hatte selbst er kein Verlangen durchlöchert zu werden. Durchlöchert von winzigen Feuerlanzen. Ein seltsamer Geruch drang in seine Nase und ehe er erkannte was das war, spürte er auch schon ein scharfes Brennen mitten in seinem Haar. Mit einem gemurmelten Fluch griff er sich auf den Kopf und hatte gleich darauf eine zappelnde Feuerfliege zwischen den Fingern. Ehe er sie weg schleudern konnte erschlafften ihre Bewegungen und sie zerfiel zu Asche. Erst jetzt bemerkte Agenor dass seine Männer längst nicht mehr auf der Flucht waren, sondern eher eine raschere Gangart angeschlagen hatten. Und er bemerkte aus dem Augenwinkel, dass sich die dunklen Wolken am Himmel verzogen hatten und dieser in herrlichstem Blau nieder strahlte. Doch dauerte es etwas ehe er seinen Irrtum erkannte und bemerkte, dass hier wohl Magie im Spiel war. Kurz runzelte er die Brauen, dann fiel ihm Cedrik ein.
Im Eifer der Flucht und der anschließenden Panik hatte keiner der Gruppe bemerkt dass sie sich dem Ausgang des Canon langsam genähert hatten. Erst als eines der Pferde das die beiden Prinzlichen trug in ein Loch stieg und die beiden abwarf wurden auch die anderen aufmerksam. Agenor gab einem seiner Männer den Wink den beiden wieder auf das pferd zu helfen, doch dieses hatte sich scheinbar beim hinein treten in das Loch an den Fesseln weh getan, denn es stieg mit einem schrillen Wiehern in die Höhe und … brach gleich darauf zusammen. Kurz zuckten noch die beiden Hinterbeine dann lag es still da. Agenor und der Krieger der aufgefordert worden war traten vorsichtig an das reglose Tier und erkannten erstaunt dass es tot war. Ein scharfer Ast am Boden hatte sich in seinen Leib gebohrt. Rund um diesen Ast, der ohne erkennbaren Stamm aus dem Untergrund wuchs waren Stacheln gereiht die eine leicht ätzend riechende Flüssigkeit absonderten. Agenor war verblüfft, denn bisher hatte er gedacht der Canon war nur voll Drachenherzen und nun wuchs hier etwas, das ihm unter dem Namen „Teufelsdorn“ bekannt war. Um die anderen zu warnen rief er zu ihnen hin:
„Achtet auf kleinere Äste, die scheinbar aus dem Boden wachsen. Einer hat soeben dieses arme Pferd getötet. Es handelt sich um einen Teufelsdorn, dessen Saft tödlich ist, sobald man diesen Dorn verletzt. Das hat das arme Tier getan, als es drauf fiel. Ich glaube da könnte Cedrik auch nichts mehr tun, wenn es einen von uns erwischt.“ Und Agenor schwieg wieder. Gewarnt waren nun alle er hatte seine Pflicht getan. Als der Krieger nach dem Tierkadaver greifen wollte, schlug Agenor dessen Hand beiseite.
„Sei versichert, dem Tier nützt dein Mitleid nichts mehr und wir können es uns nicht leisten noch ein Gruppenmitglied zu verlieren. Ich denke du willst sicher wieder heil und vor allem lebend zurück kehren in die Heimat und nicht hier als Dünger den Boden verschönern?“ Danach schwieg Agenor abermals. Ihm fiel zwar der erstaunte Blick seines Mannes auf, doch dachte er sich nichts dabei. Der Krieger war jedoch erstaunt, dass sein Kommandant so redselig geworden war. Und doch war er ihm auch dankbar, dass ihm die Warnung das Leben gerettet hatte. Also ließ der Mann von dem Vorhaben ab und packte dafür die Prinzessin am Arm um sie aus der unmittelbaren Gefahr zu bringen. Der Prinz schloss sich den beiden an, warf aber immer wieder rasche Blicke auf den Kadaver, als erwarte er dass sich das Tier wieder erheben würde um erneut lebendig zu werden.
Rutaara senkte nach einiger zeit ihren Blick wieder vom Himmel über ihr zu Lyrael und zuckte leicht zusammen, als weiter vorne ein Pferd mit schrillem Laut zu Boden stürzte. Sie schaute auf und erkannte, dass es wohl jenes Tier war, auf dem die beiden Prinzgemahle gefesselt waren. Das Tier lag etwas auf der Seite und streckte beinahe alle vier von sich gegen den Himmel, der immer noch den Magieschirm zeigte. Als Agenor den Teufelsdorn erwähnte seufzte die Dunkelelbin leise auf. Langsam konnten die fiesen Dinge aufhören. Sie sah nicht nur, dass einer der Krieger Agenors dem Tier und seinen beiden gestürzten Reitern zu Hilfe kommen wollte, sondern auch dass scheinbar in einiger Entfernung bereits der Canonausgang sichtbar wurde. Endlich würde es in Richtung Reiseende gehen. Sie würde erfahren wer ihr helfen konnte Lyrael zurück zu verwandeln und endlich würde sie sich mit ihm verbinden können. Lange genug hatte sie gewartet.
Assasina wollte eben zu Cedrik aufschließen um ihn zu bitten, den Arm zu heilen, als mit einem grässlichen Schrei ein Pferd zu Boden stürzte und gleich darauf wie verendet die Beine gegen den Himmel streckte. Mit einem Ruf der Überraschung aber auch des Schmerzes flogen die beiden Prinzlichen ebenfalls auf den Boden und Assasina konnte sich eines boshaften Grinsens nicht erwehren. Gleich darauf allerdings fiel ihr das Grinsen aus dem Gesicht als sie die Worte Agenors hörte. Was zum Donnerwetter hatte dieser Teufelsdorn hier verloren? Sie kannte diese Dämonenpflanze von einer ganz anderen Stelle. War es schon so weit gekommen, dass die Dämonen und allem voran Votan diese Dinger so weit ins Land gezogen hatten? Die Kampfelfe wunderte sich, dass Agenor so viel sprach aber sicher war dies die Auswirkung des Schockes, den er bestimmt erlebt hatte, als das Tier so rasch starb ohne zuerst erkennbare Ursache. Pferde konnten sich zwar die Beine brechen, wenn sie in tiefe Löcher traten, aber dass sie gleich auch noch starben war sicher für den Kriegsmann etwas Neues. Und dass Agenor den Teufelsdorn kannte, war für Assasina etwas neues. Es war doch erstaunlich was man über andere Leute lernen konnte, wenn man mit ihnen eine Reise unternahm, dachte die Elfe und musste erneut grinsen. Sie bemerkte nur noch wie am Rande, dass den beiden Gefallenen einer von Agenors Männern aufhalf und sie packte um sie weiter zu führen aber sicher auch um eine eventuelle Flucht zu verhindern. Ihr Blick hatte etwas gesehen, das sie mit neuer Kraft und Zuversicht erfüllte. Es würde nicht mehr lange dauern und sie alle würden den Canon verlassen. Wenn sie nicht ganz falsch lag, würde sich an diesen Canon die Wiese der Feen anschließen. Nur dass dort eben keine Feen zu finden waren. Hätte jemand Assasina gefragt, warum diese Wiese keine Feen beherbergte, obwohl sie doch so genannt wurde, hätte ihm die Kampfelfe die Antwort schuldig bleiben müssen. Nicht alles hatte Sinn und Verstand, was einen Namen erhielt.
Der Prinz rieb sich seine Hüfte, wohin er bei dem Sturz geprallt war. Bei jedem Schritt würde er nun einige Zeit etwas hinken, vorausgesetzt er bekam kein frisches Reittier. Seine Braut lehnte sich leicht gegen ihn auch sie schien ziemlich heftig mit dem Boden Bekanntschaft gemacht zu haben. Er spürte dass das Pferd nur kurz zuckte und dann lag es still. Der Prinz war nur erleichtert, dass er und seine Gattin bei dem Sturz nicht unter dem Pferdekörper zum Liegen kamen, sondern wie Fallobst seitlich aufkamen. Das einzige das ihnen nicht passiert war, dass sie zerplatzten. Dafür waren sie sicher nicht reif genug. Unwillkürlich musste der Prinz grinsen. Er horchte erstaunt auf, als Agenor etwas rief, was es war verstand er nicht gleich, denn in seinen Ohren schrillte immer noch der Pferdeschrei. Aus den Augenwinkeln erkannte der Prinz dass jemand seiner Gattin auf half und gleich darauf fühlte auch er sich hoch gezogen. Ehe er noch etwas sagen konnte, besserte sich sein Gehör wieder und nun hörte er dass das Pferd verendet war. Ein „Teufelsdorn“ war ihm in den Leib gedrungen und sie alle wurden von Agenor gewarnt, sich dem Tier nicht zu nähern, sonst würden sie auch ihr bisschen Leben aushauchen. Der Prinz schüttelte unwillkürlich den Kopf, noch nie hatte er von diesem Teufelsdorn gehört. Aber sicher wusste der Kommandant wovon er sprach. Mit einem letzten Blick auf den Kadaver machte sich der Prinz auf den Weg und biss seine Zähne zusammen, denn jeder Schritt bereitete ihm Schmerzen. Kurz wandte er den Blick um zu seiner Gattin zu sehen. Sie war zwar bleich doch schritt sie tapfer neben ihm. Nun wandte er den Blick nach vorne und sah etwas, das ihm das Blut schneller durch die Adern fließen ließ: der Ausgang aus diesem Canon war nahe!
Cedrik entspannte sich mehr und mehr und überlegte eben, ob er sich leisten konnte, den Magieschirm etwas zu öffnen, als vor ihm eines der Pferde schrie und gleich darauf unbekannte Aufregung Agenor und seine Männer ergriff. Erst dachte sich Cedrik dass die eine oder andere Drachenfliege durch seinen Abwehrschirm gekommen war, doch dann erkannte er die Ursache. Eines der Pferde war gestolpert und hatte im Fallen die beiden Reiter auf sich abgeworfen. Unwillkürlich hielt Cedrik Sternenlicht an und er beugte sich etwas seitwärts. Catyua saß vor ihm und er konnte die Muskeln ihres Bauches unter seiner Hand spüren. Nach einigen Augenblicken wunderte sich der Jungmagier warum das Tier nicht aufstand, aber sicher hatte es sich schwerer verletzt als es den Anschein gehabt hatte. Erst als er die Worte Agenors vernahm wurde ihm wieder einmal bewusst, dass sie sich in tiefstem Feindesland und in enormer Gefahr befanden. Er hatte zwar schon von diesen Teufelsdornen gehört, doch noch keinen gesehen. Fulkhurx hatte schon mit dem einen oder anderen seine Zauber aufgewertet. Während den beiden Prinzen aufgeholfen wurde, legte Cedrik seinen Kopf wieder in eine bessere Position um nun Catyua in den Nacken zu hauchen. Vorsichtig näherte er sich mit dem Mund Catyuas Nacken und gab ihr einen sanften Kuss darauf. Ein Schauer zog über die Haut der Albin und Cedrik wollte sich schon entschuldigen,. Als sich Catyua gegen ihn lehnte und ihm so ihre Wange bot. Cedrik wäre nicht Cedrik gewesen wenn er dieses Angebot abgeschlagen hätte. So küsste er seine Seelengefährtin sachte und wünschte sich, es wäre ihr Mund gewesen. Beinahe ärgerlich fühlte sich Cedrik als der kurze Aufenthalt beendet wurde und es weiter ging. Nur unbewusst erkannte sein Blick, dass nun ein Krieger Agenors die beiden Prinzgemahle begleitete und sie mit seinem Griff an deren Oberarmen vor einer eventuellen Flucht hindern wollte. Kurz blickte Cedrik nach oben und dachte daran, dass es sicher schon einige Augenblicke her war, wo der Magieschirm die Drachenfliegen abgewehrt hatte. Nachdenklich zog Cedrik danach seinen Blick wieder nach vorne und sah dass es nicht mehr weit war ehe sie diesen Bereich wieder verlassen konnten. Der Ausgang aus diesem Canon lag vor ihnen!
Catyua war ganz versunken im Anblick des Magieschirm der sich über ihr wölbte. Sie war ja so stolz auf ihren Seelengefährten Cedrik, der so viel gelernt hatte auf dieser Befreiungsmission. Wenn es nach ihr gegangen wäre, sie hätte noch lange so dahin reiten können. Die Bewegungen des Einhorns unter ihr waren dazu geeignet in einen leisen Schlummer zu fallen. Und die Hand Cedriks, der sie an sich presste ließ keinen Moment die Furcht aufkommen, sie könne so einfach von Sternenlicht stürzen. Fest und sicher hielt er sie und sie fühlte sich behütet. Plötzlich ging ein harter Ruck durch das Einhorn und es blieb beinahe mitten im schritt stehen. Hätte Cedrik sie nicht gehalten, wer weiß, vielleicht wäre sie hinunter gestürzt. So aber blieb sie sicher sitzen und konnte ihre gesamte Aufmerksamkeit dorthin richten, wo Agenor nun eine laute Ansprache hielt. Erst jetzt bemerkte die Albin, dass eines der Reittiere gestürzt war und die beiden Prinzgemahle abgeworfen hatte. Sicher war der Sturz für das Tier schwer gewesen, denn es zuckte nur kurz und lag dann still. Die Beine zum Himmel gestreckt. Catyua nahm an, dass es sich den Hals gebrochen hatte, denn so rasch konnte das Pferd nicht verenden, wenn es sich ein Bein brach. Die Erklärung Agenors jedoch brachte für Catyua die Erkenntnis, dass es wohl ein Bein sein konnte, das den Tod brachte, vor allem wenn der Fallkörper auf einen hoch giftigen Teufelsdorn traf und dieser tief in den Körper eindrang. Langsam wurde es genug, sagte sich Catyua, mit solchen Beschwernissen. Ihre Aufmerksamkeit wurde von den Ereignissen vor ihr abgelenkt und zu Cedrik gelenkt. Dieser lehnte sich nahe zu ihr und hauchte ihr in den Nacken. Ein Schauer lief durch ihren Körper und beinahe hätte sie aufgeschrien. Es war kein unangenehmes Gefühl, eher etwas überraschend. Irgendwie war sie froh, als sich Sternenlicht wieder in Bewegung setzte und ihr dadurch Zeit blieb, sich von der Überraschung zu erholen. Unwillkürlich wandte sie den Kopf und spürte erfreut, dass Cedrik ihr Angebot sie zu küssen annahm. Catyua schloss ihre Augen und gab sich diesem leichten Schaukeln erneut hin. Langsam rutschten ihre Gedanken wieder in jene Gefilde ab, die man betritt ehe der Schlaf einem übermannt. Irgendwo dort vorne würde es den Ausgang geben und Catyua vertraute darauf, dass man es sie sicher wissen ließ.
Einst waren die Wächter von den Göttern ausersehen in den Seelen zu lesen um gleich zu erkennen, welche Art von Magie die einzelnen Wesen hatten. Viele hatten nur eine Art von Magie und benutzten diese um zu heilen. Andere wieder besaßen vielfältige Formen und konnten Dinge, die jene, welche keinerlei Magie besaßen, immer mit Argwohn betrachteten. Je nach Magieart wurden die Wesen von den Wächtern geprüft und in den Teilen der Seelenwelt eingesetzt die diese Form der Magie nicht hatte, aber benötigte. So entstanden viele verschiedenen Magiereiche. Die Wächter waren angesehen, denn sie hatten auch große Verantwortung zu tragen.
Einmal alle hundert Zeitenkreise wurden die Wächter alt und gingen ins Reich der Welteneiche ein um als junger Spross erneut ihrer Arbeit nach zu kommen. Wilde Völker, von denen niemand wusste, woher sie gekommen waren, schlugen hier und dort Äste der Welteneiche ab und benutzten diese als Baustoff für ihre Himmelswagen. Manchmal fiel das eine oder andere Drachenei auch ihnen zum Opfer, denn die Urdrachen, einst eine große und starke Rasse, hatten in der Welteneiche ihre Nester.
Einst gab es drei dieser Wächter, den Seelenwächter – dieser hatte viele kleine Helfer, die all jene winzigen Stücke des großen Seelenspiegels zu bedienen hatten. Der Seelenspiegel war schon immer ein Mysterium und hätte jemand gefragt, was es wohl mit ihm auf sich hatte, es wäre ihm keine Antwort beschieden worden. Das Mysterium des Seelenspiegels wurde nur dem nächsten Seelenwächter als Geschenk gemacht, den sich der Spiegel auserkoren hatte. Die Legende weiß zu berichten, dass es einst zwei dieser Spiegel gegeben hatte, doch der eine war bei einem der großen Drachenkriege zu Seelenstaub zerbrochen worden und für immer verloren.
Der zweite Wächter war jener, der über die Zeit wachte. Er war nicht immer männlicher Natur, manchmal war der Zeitwächter auch eine Frau. Die Sage erzählt davon dass ihre langen Haare die Sekunden darstellten ihre Zähne die Minuten und in ihren Händen wohl die Stunden lagen. Aber da die Zeit nicht immer so ist wie sich der kleine Mensch oder eines der anderen jungen Völker sich vorstellt, muss man sich das so vorstellen wie ein wogendes Meer, in dem alles fließt und in Ebbe und Flut übergeht.
Der dritte Wächter nun wachte über die Magie. Er hatte die größte Verantwortung, denn immer wieder musste er die Magie rein halten, durfte sie nicht verunreinigen lassen durch Dämonenkräfte oder das was einige Völker als Wissenskraft praktizierten. Bei ihnen verschwand nach und nach die Magie und auch die magischen Wesen löschten aus. Wenn die Magie stirbt, so erzählen die Alten, kommt das dunkle Zeitalter.
Der Turm
Von außen wirkte der Turm wie alle Türme, die man aus dem gesamten Land kannte. Er war nicht besonders groß und auch rund wie man einen Turm sich vorstellt. Da die geöffnete Türe einen Blick ins Innere gestattet, konnte man eine Treppe gleich dahinter erkennen, die nach oben führte. Neben dem Turm befand sich hinter einem niedrigen Steinzaun ein winziges Gärtchen, welches eine Menge Blumen aber auch unbekannte Gewächse barg. Obwohl das Gärtchen winzig war und die Gewächse und Blumen viele waren, wirkte es nicht überladen. Es schien als würde es innen größer sein als von außen erkennbar. Eine Bank stand an der einen Ecke des Zauns und gleich daneben stand der bärtige Mann. Zu seinen Füßen schwebte eine blaue Fee und schwang ihren Sternenstaubstab. Immer wieder regneten blaue Sternspritzer zu Boden und erheiterten die Fee ungemein. Denn immer wieder lachte diese laut auf. Das klang als würde eine silberne Glocke über einen Spiegel kullern.
Es dauerte etwas, bis Agenor in Rufweite gekommen war, dann jedoch griff seine rechte Hand langsam zu dem Schwert und seine zweite Hand kroch ebenso langsam zum Bogen, den er sich um die Schulter geschwungen hatte. Die restlichen Krieger ließen ihrem Kommandanten den Vortritt, aber sie waren nicht darauf aus, mit dem Alten Streit anzufangen. Das Pferd auf dem der Prinz und seine Gemahlin saßen, war etwas unruhig und schnaubte immer wieder, warf zeitweilig auch den Kopf hoch und schlug nervös mit dem Schweif um sich. Der Prinz – obwohl angebunden – hatte seine Mühe nicht nach unten und hinten zu rutschen, wo er sicher unter dem Pferdebauch zu hängen gekommen wäre. Seine Gattin krallte sich ohnehin fest an seiner Schulter und schluchzte leise vor sich hin.
Agenor trat noch einen weiteren Schritt vor und räusperte sich. Die Fee, eben noch begeistert mit ihrem Stab spielend, verharrte in der Bewegung, das letzte Kichern verhallte und sie besah sich die riesigen Menschen vor ihr. Ihre Aufmerksamkeit wurde auf das unruhige Pferd gelenkt und sofort begannen ihre durchsichtigen Flügel zu vibrieren um sie zu dem Tier zu bringen. Kaum hatte sie den Kopf des Tieres erreicht, flog sie in das rechte Ohr und war gleich darauf verschwunden. Das Pferd wieherte laut und erschrocken auf, doch beruhigte es sich gleich wieder und stand nun ganz ruhig da. Im gleichen Moment erschien die Fee wieder und flog nun in Agenors Richtung. Dieser wollte eben etwas sagen, schloss aber rasch den Mund wieder, als fürchte er, die Fee zu verschlucken. Ein helles Silberlachen war die Antwort der Fee und Agenor setzte erneut an zu sprechen. Die Fee hatte sich wieder abgewandt und begab sich wieder zu ihrem vorigen Platz. Agenor neigte leicht den Kopf und meinte nun, nach einem weiteren Räuspern:
„Wir grüßen Euch Herr und bitten Euch uns zu sagen was wohl zu zahlen wäre, um den Canon nun zu verlassen.“
Rutaara hatte die letzten Meter rasch hinter sich gebracht und sah sich um. Sie hielt immer noch Lyrael am Fell fest, doch jetzt entließ sie ihn aus ihrem Griff. Lyrael sah erst zu ihr hoch, dann senkte er den Kopf und setzte sich neben sie. Fein säuberlich legte er seine Rute neben sich und zeigte dadurch ebenfalls, dass er wusste wer der Alte neben dem Turm war. Rutaara fragte sich welcher der Wächter der Alte wohl war und musste lächeln als sie die gestelzte Rede von Agenor hörte. Nun der Alte war sicher kein Wegezoll einhebender. Aber das würde Agenor bestimmt früh genug erfahren.
Assasina wusste, dass die nächsten Minuten über weiter und zurück entschieden. Sie tastete sicherheitshalber schon nach ihren Waffen und hoffte, dass sie diese rechtzeitig erreichte, sollte sich der Turmwächter dort vorne querstellen. Aber sie wusste, dass ihr die Waffen nicht helfen würden, sollte ihr tatsächlich die Weiterreise verboten werden. Als das Pferd der Prinzlichen unruhig wurde und es beinahe so aussah, als würde es die beiden auf ihm sitzenden abwerfen, spürte Assasina etwas wie Erwartung in sich hoch steigen. Doch es dauerte nicht lange, so beruhigte sich das Pferd wieder und erst jetzt bemerkte die Kampfelfe, dass eine winzige Fee aus dem Ohr des Tieres kam. Sie hatte nun eine Ahnung um welchen Wächter es sich handeln könnte. Als jedoch Agenor nach der Höhe des Wegzolls fragte, konnte sie sich nicht enthalten mit einem Finger sich auf die Stirn zu tippen. Gleichzeitig war sie aber auch gespannt, was der Alte neben dem Turm dem Krieger antworten würde.
Cedrik runzelte die Stirn und dachte bei sich, dass es immer noch das eine oder andere gab auf dieser Reise, die ja schon eher eine Mission war und ein Abenteuer, womit man ihn überraschen konnte. Er hatte schon einige alte Menschen gesehen auch bärtige Männer und ebensolche Zwerge, doch noch keiner hatte sich seinen langen Bart wie einen Mantel umgelegt oder konnte sein Gesicht in so unzählige Falten ziehen wie der Alte dort vorne. Danach glitt sein Blick zu dem gewiss wunderlichen Turm und er spürte verwirrt, dass ihn so etwas wie Erwartung von unzähligen Wunderdingen aufstieg. Wunderdingen, die sich sicher in dem Turm befanden. Kurz wurde er abgelenkt von dem unruhigen Pferd aber er nahm es als richtig hin, als es kurz darauf wieder ruhig wurde und er erkannte, dass die kleine Fee die ihm aus dem Ohr flog damit etwas zu tun hatte. Feen konnten das. Nicht das Fliegen, sondern auf Tiere beruhigend einwirken. Der junge Magier verzog unabsichtlich sein Gesicht, als er Agenor in einer etwas für ihn komischen Wortwahl fragen hörte, wie hoch der Wegezoll wohl sei, dass man passieren könnte, doch er hatte von Fulkhurx schon ganz andere Gespräche gehört. Dabei hatte es sich ihm beinahe die Haare vom Kopf gezogen und er hatte sich oft gesagt, wenn er einmal so verdreht oder geschraubt sprechen müsste, würde sich sicher seine Zunge im Mund wie eine Spirale drehen. Und doch konnte er es auch verstehen, denn wo ein Turm stand war meistens ein bestimmter Punkt in der Gegend, die wichtig war und meistens stand ein solcher Turm an der Grenze zu einem anderen Teil und da war oft ein gewisser Wegezoll fällig.
Langsam sehnte Catyua das Ende dieser Reise herbei und war doch froh, dass es noch nicht so weit war. Sie beobachtete zwar die kleine Szene mit dem Pferd und wunderte sich kurz, dass es scheinbar ohne das Zutun des Kriegers, der es am Zügel führte, wieder ruhig wurde, doch machte sie sich keine großen Gedanken darüber. Sie selbst war sicher hier auf Sternenlicht und in Cedriks Armen. Alles weitere würde man sicher dann sehen, wenn der Wegzoll beglichen oder man um den Turm herum geritten war. Ihr Augenmerk lag eher auf dem kleinen Gärtchen und sie fragte sich, ob da nicht das eine oder andere Pflänzlein sein könnte, das ihre Aufmerksamkeit verdiente. Viele der Blumen und Pflanzen kamen ihr beim ansehen bekannt vor aber da gab es schon das eine oder andere, dessen sie sich nicht erinnerte, so was schon je gesehen zu haben.
Der Alte betrachtete den stattlichen Krieger vor sich von oben nach unten und je mehr er von Agenor sah, desto heiterer wurde sein vorher ernstes Gesicht. Schließlich fing er an zu kichern als er die gestelzten Worte von Agenor vernahm und endlich lachte er so offen, dass sein langer Bart ins Rutschen kam und ihm beinahe von den Schultern fiel. Mit einer raschen Bewegung dieser hob er den verrutschten Strang wieder dorthin wo er hin gehörte und wartete, bis Agenor mit seiner Rede fertig war. Doch noch Sekunden danach kicherte und lachte er vergnüglich vor sich hin. Es dauerte ziemlich lange, bis das letzte Kichern verklang und der Alte etwas sagen konnte.
„Seid willkommen meine Herren – und Damen – in diesem schönen Teil des Landes. Ich bin Magnus und bitte die Herrschaften gütigst sich von ihren Tieren zu bequemen. Wegzoll einheben ist nicht mein Bereich und auch keineswegs meine Absicht. Doch bitte ich die Herrschaften voll Freundlichkeit und auch ein bisschen Nachdruck den Turm zu betreten. In ihm wird sich entscheiden, ob Eure Reise weiter gehen kann und darf oder nicht. Wenn Ihr Fragen habt, so werden Euch diese sicher im obersten Turmzimmerchen beantwortet werden. Eurem Gesicht werter Krieger sehe ich an, dass Ihr Euch fragt eben ob Ihr an dem Turm vorbei könnt. Lasst Euch sagen an meinem Turm führt kein Weg vorbei. Auch wenn dies den Anschein hat.“
Während der Alte sprach schwebte die kleine Fee ganz ruhig neben ihm und betrachtete die für sie so riesigen Menschen und Tiere mit großen Augen. Ihre durchsichtigen Flügel funkelten dabei im Sonnenlicht wie mit unzähligen Diamantsplittern übersät. Von ihrem Sternstaubstab rieselten vereinzelte Sternspritzer zu Boden und es schien, als betrachtete auch dieser die Gruppe. Kaum hatte der Alte geendet erlosch auch das Interesse der Fee und sie begann mit ihrer vorherigen Tätigkeit fortzufahren.
Agenor hatte die Stirn gerunzelt, als der alte Mann erst zu kichern dann zu lachen begann. Niemand hatte sich so zu amüsieren, wenn er selbst seine höfliche Ansprache keineswegs belustigend gemeint hatte. Aber vielleicht freute sich der Alte auch nur, dass wieder einmal jemand hier vorbei kam und war deshalb so lustig drauf. Dieser Gedanke versöhnte Agenor wieder mit dem lachenden Alten und so wartete er nun gleichmütig bis dieser endlich ruhiger wurde. Agenors Augen weiteten sich kurz, als der Alte beinahe im selben Tonfall und der gleichen gedrehten Sprache ihm antwortete. Doch er hörte die versteckt angebrachte Drohung ganz genau heraus. Im gleichen Moment wie der alte Mann, der scheinbar der Turmwächter war, ihm an den Kopf warf, was Agenor eben dachte, spürte er wie sein Gesicht heiß anlief. Agenor verspürte eine große Unsicherheit in sich aufsteigen als er wie ein junges Mädchen errötete. Aber woher sollte er auch wissen, dass der Alte die Gedanken verstand. Um seinen guten Willen zu zeigen wandte sich Agenor an seine Männer und bedeutete diesen von den Tieren zu steigen, soweit sie noch auf einem saßen. Sein Blick fiel auf den auf das eine Pferd gebundenen Prinzen und seine Gattin und ehe er etwas fragen oder sagen konnte, wurden auch diese beiden von einem der Krieger befreit und waren sichtlich froh sich endlich wieder die Beine zu vertreten.
Assasina grinste, als sie die Antwort des Wächters hörte, der beinahe den gleichen gestelzten Ton hatte wie vorher Agenor. Die letzten Worte des Alten erhärteten den Verdacht der Elfe und sie wusste nun sicher, dass es sich um den Magiewächter handelte. Dafür stand schon sein Name. Sie war schon einmal vor sehr langer Zeit bei diesem Turm gewesen. Nicht in dieser Gegend nur bei diesem Turm, hatte auch versucht ihn zu umgehen. Immer wieder war sie wie durch Zauberhand wieder vor ihm gestanden. Konnte wegen Magie nicht an ihm vorbei, musste schließlich in ihm hinein. Eine endlose Treppe führte immer weiter hinauf bis sie vor einer Türe gestanden hatte. Danach … befand sie sich auf ihrem Weiterweg, als hätte es nie diesen Turm gegeben. So sehr sie auch ihre Erinnerung durchforstet hatte damals, sie konnte sich nicht erinnern was hinter dieser Türe gewesen war. Ob es ein Turmzimmer gegeben hatte oder einfach – nichts. Auch nicht ob jemand dort gewesen war, der ihre damaligen Fragen beantwortet hatte oder – auch nicht. Sie hatte diesen Turm dann auch vergessen, obwohl sie nicht so schnell vergessen konnte was sie erlebt oder was ihr widerfahren war. Erst vorhin als sie den Turm wiedersah, fiel ihr auch wieder ein dass sie ihn kannte. Doch ihr erstes Treffen auf den Turm war in einer ganz anderen Gegend gewesen. Vielleicht kann mittels Magie der Turm auch reisen? Bei Magie ist ja auch nichts unmöglich. Aus diesem Gedanken heraus setzte sich die Elfe in Bewegung, drängte sich an den anderen vorbei und als die neben Agenor dem Wächter gegenüber stand fragte sie mit einer höflichen Verbeugung:
„Darf ich als erste den Turm betreten?“ Der Alte blickte von Agenor zu ihr und nickte. Daraufhin setzte sich die Kampfelfe erneut in Bewegung und betrat den Turm.
Rutaara sah ihre Vermutung bestätigt als der Alte antwortete. Das war also Magnus, der Magiewächter. Sie kannte die Geschichte der drei großen Wächter und deren Türme. Oftmals waren sie erzählt worden an den Lagerfeuern. Die anderen hatten sie damals für Geschichten gehalten, doch sie hatte damals schon geahnt, dass all diese Geschichten einen wahren Kern enthielten. Sie knurrte verärgert als sie ungestüm beiseite gedrängt wurde und Assasina vorbei schlüpfte. Was hatte diese unselige Elfe jetzt wieder vor? Unwillkürlich glitt ihr Blick zu den anderen der Gruppe und sie bemerkte erst jetzt, dass die Krieger Agenors alle ohne Ausnahme von ihren Reittieren gestiegen waren. Auch die beiden Prinzlichen waren befreit worden und standen nun sich dehnend und streckend neben dem Tier, worauf sie noch vor wenigen Augenblicken gesessen hatten und festgebunden waren.
Cedrik war kurz im Zwiespalt, ob er auch absitzen sollte, doch dann half er erst Catyua von Sternenlichts Rücken und sprang dann leichtfüssig ebenfalls zu Boden. Dabei riss er aber mit seinem rechten Knie den Ambarinstab aus der Schutzhülle und wäre beinahe so gestolpert, dass er sich den Ambarinstein in den Bauch gestoßen hätte. Im letzten Moment fing er sich und hätte sich am liebsten eine Ohrfeige verabreicht über das Missgeschick. Schnell sah er sich um, ob jemand etwas bemerkt hatte. Doch ausser dem Alten, der ihn grinsend betrachtete, schien niemand etwas gesehen zu haben. Insgeheim dachte sich Cedrik, dass er, sobald Assasina wieder aus dem Turm kam, in den sie in diesem Moment wie ein Irrwisch verschwand, der Nächste sein würde. Dann hätte er es hinter sich gebracht und er konnte Catyua wieder in die Arme schließen um sie zu trösten, falls sie eine unangenehme Erfahrung gemacht haben sollte. Inzwischen fragte er sich, ob es dunkel im Turm war oder ob es Licht gab. Wie da wohl die Einrichtung war und so Sachen, nur um sich abzulenken, denn noch immer grinste der Alte zu ihm hin. Dann fragte sich Cedrik wie er Sternenlicht dazu bringen konnte, mit ihm in den Turm zu kommen. Doch ein rascher Blick zu seinem Einhorn zeigte dem Jungmagier, dass es bereits auf den Weg war, den Turm zu umrunden. Der Alte betrachtete es und nickte, als hätte Sternenlicht eine Frage an ihn gerichtet und dies sei seine Antwort. Als sich auch eines der anderen Pferde in Bewegung setzte, um Sternenlicht zu folgen, hob Magnus eine Hand und gebot dem Tier stehen zu bleiben. Die kleine Fee flog gleich darauf in das Ohr des Tieres und dirigierte es wieder zurück zur Gruppe. Cedrik staunte. Hatte Sternenlicht einen Vorteil, dass er ein Einhorn war? Oder war es wegen dem, dass Cedrik der Nächste im Turm sein wollte? Obwohl ihm die Frage nach dem warum auf der Zunge brannte, schwieg Cedrik. Nachher war sicher noch Zeit, die Frage zu stellen.
Catyua lief es kalt den Rücken hinunter als sie sah, wie Assasina wie von wilden Bienen gestochen im Turm verschwand. Cedrik half ihr vom Einhorn und sprang ebenfalls herunter. Dabei wäre er beinahe gestürzt, als er über den Stab stolperte. Ehe sie ihm helfen konnte, hatte er sich gefangen und stellte sich neben sie. Sternenlicht setzte sich gleich darauf in Bewegung und trabte mit gesenktem Kopf neben dem Turm vorbei. Als ihm eines der anderen Pferde folgen wollte, wurde dieses von Magnus und der kleinen Fee daran gehindert und es musste wieder umkehren. Catyua warf einen raschen Blick zu Cedrik an ihrer Seite und sah die Überraschung darin. Kurz öffnete er den Mund, als wollte er etwas sagen, schloss ihn jedoch gleich darauf wieder als hätte er es sich überlegt.
Assasina hatte den Turm betreten und hastete die steile Treppe nach oben. Immer an der Wand entlang, die mit unbekannten Mustern und magischen Zeichen verziert war. Manchmal weitete sich die Treppe zu Absätzen, auf denen Türen in unbekannte Bereiche führten. Das alles kannte die Elfe schon, auch dass diese Türen alle verschlossen waren. Manchmal unterbrach sich die Mauer zu einem Balkon doch Assasina machte keinen Halt um sich darauf umzusehen. Sie stieg Stufe für Stufe höher. Hatte sie zu Beginn schon mal zwei oder gar drei Stufen auf einmal genommen, wurde sie jetzt langsamer und stieg nur noch Stufe für Stufe höher. Langsam änderten sich die Wandzeichnungen und blieben zuletzt ganz aus. Auch das kannte die Elfe und wusste, bald war sie im Turmzimmer angelangt. Was allerdings dort wartete, wusste sie nicht. Obwohl Assasina bisher meistens bei guter Kampfkraft war, begann sie zu schnaufen als liefe sie ein steiles Gebirge hoch. Dabei waren die Stufen leicht zu erklimmen. Es waren für Menschen – und Elfenfüße ausgelegte Stufen. Keine Riesenstufen oder gar Gigantenstufen. Sodass die Elfe klettern musste. Assasina wurde langsamer und blieb schließlich stehen. Sie hatte das Gefühl, als läge ein großer Felsbrocken auf ihren Schultern. Dabei war das Treppenhaus um sie so leer wie zu Beginn. Ihre Ohren vernahmen nur das Schnaufen aus ihrem Mund und ihren Herzschlag. Sie konnte sich nicht entsinnen, dass es so auch damals gewesen war. Assasina wandte sich auf der Stufe, auf der sie stand um und sah nach unten, woher sie gekommen war. Doch da war nur eine dichte Nebelwand, so dass sie ihren Blick nur bis zur dritten Stufe unter ihr lenken konnte. Sie konnte sich nicht mehr erinnern ob das auch damals so gewesen war, doch sie versuchte nun die Treppe wieder zurück zu schreiten. Das Gewicht auf ihr wurde rasant schwerer und als sie die Stufe dicht bei der Nebelwand erreicht hatte, sank sie mit einem gequälten Seufzer nieder. Ihre Lungen signalisierten ihr, sie bekämen zu wenig Luft und es wurde ihr schwindlig. Ihr Blick, der sich so eingetrübt hatte, als würde sie in dichtesten Nebel stehen, fiel in die Tiefe. Dicht an der Stufenkante fiel die Treppe wie abgeschnitten in bodenlose Tiefe und darin brodelte es Sinnverwirrend. Assasina ächzte auf und wandte sich langsam wieder dem Aufstieg zu. Kaum hatte sie begonnen, die Treppe weiter hoch zu steigen, wurde das Gewicht auf ihr wieder leichter und auch ihre Lungen füllten sich wieder besser mit Luft. Nach etwa zwei Windungen fand die Treppe ein jähes Ende vor einer Türe, die ein goldenes Blatt zeigte. Ein Baum war darauf zu sehen, dessen Blätter sich unter dem Goldblatt so bewegten, als ginge ein unfühlbarer Wind. Hin und wieder segelte eines der Blätter zu Boden und verschwand. Assasina atmete erleichtert auf und nahm sich vor, diesmal nichts zu vergessen, was sie in dem dahinter liegenden Raum vorfand. Die Kampfelfe streckte die Hand aus, berührte das Türblatt, denn Klinke war keine vorhanden und langsam öffnete sich die Türe. Ein heller Lichtschein traf das Gesicht der Elfe und zwang sie die Augen zu schließen. Mit einem großen Schritt betrat sie den Raum.
Agenor hatte sich wieder beruhigt und scharte seine Männer um sich. Mit einigen Handgriffen ordnete er deren Rüstungen und Waffen. Obwohl dies die Krieger selbst auch machen konnten, lenkte diese Tätigkeit Agenor von dem Turm ab. Ihm wäre wohler, wenn er Wegezoll zahlen und nicht den Turm betreten müsste. Immer wieder sah er von seiner Tätigkeit auf und zum Turm hin. Assasina hatte kaum den Turm betreten, als sich die Türe schloss und ein grelles Leuchten darüber alle anderen davon abhielt, ihr zu folgen. Nicht dass Agenor das vorhatte, denn sein Augenmerk galt eher der Gruppe und den beiden Prinzlichen. Aber es könnte ja sein, dass die Elfe in Bedrängnis im Turminneren kam. Er hätte ihr helfen können, so aber musste sie mit ihren eigenen Mitteln auskommen. Er glaubte zwar nicht, dass ihr oder ihnen allen Gefahr drohte, aber man konnte ja nicht wissen. Bisher war es ja so, dass die Gefahr ihr Begleiter war und warum sollte das jetzt anders sein? Agenor beendete seine Arbeit und meinte dann, sich an alle wendend:
„Wir wissen nicht wie lange das jetzt dauert und ob wir später noch eine so günstige Gelegenheit erhalten, ich denke wir sollten jetzt einen kleinen Imbiss zu uns nehmen, um uns zu stärken für die Aufgaben, die uns in dem Turm erwarten. Und anständig trinken!“ Noch während er sprach, begab er sich zu dem Reittier, das den Vorrat trug und begann das Bündel aufzuschnüren. Gleich darauf bestimmte er drei seiner Männer, um jedem der Gruppe seinen Anteil zu bringen. Es dauerte nicht lange, da setzten sich die ersten Männer auf den Boden und begannen zu essen. Magnus hatte ihnen erstaunt zugesehen, jetzt aber griff er unter seinen Bart und holte ein großes Sacktuch hervor. Als er es öffnete lagen darauf ein großes Stück Brot, etwas Schinken und ein ebenfalls großes Stück Käse. Sowie eine kleine aber sehr bauchige Flasche mit einer blauen Flüssigkeit. Sein Gesicht verzog sich zu einem Grinsen, als er die Flasche öffnete und das Sacktuch mit einer schlenkernden Handbewegung zu einem Tisch verwandelte. Kaum war der Korken aus dem Flaschenhals genommen, zog ein feiner Honigduft zu den Wartenden. Der eine und andere hob den Kopf um den Geruch tief einzuatmen. Missbilligend runzelte Agenor die Stirn, doch er schwieg und machte sich über seinen Anteil her.
Rutaara spuckte verächtlich auf den Boden als die Elfe sich vordrängte und im Turm verschwand. Kaum war Assasina im Inneren verschwunden schloss sich die Türe wie von Zauberhand und sofort verschloss ein Magiefeld den Turm. Unwillkürlich nickte die Dunkelelbe, sie hatte schon so etwas erwartet. Jetzt musste man warten und das konnte viele Stunden dauern. Je nachdem was Assasina im Turm vorfand und je nachdem was es für Aufgaben zu lösen gab. Als Agenor aufforderte, man solle sich stärken, brummte die Elbe, doch dann griff sie nach ihren Vorräten. Aber einer von Agenors Krieger kam zu ihr und bot ihr Brot und Käse sowie einen kleinen Krug mit Wasser an. Sie nickte dankend und nahm das Essen an sich. Danach setzte sie sich dorthin wo sie eben stand und begann langsam zu essen. Ihre Gedanken weilten indes im Turm und sie beschloss als nächste hinein zu gehen.
Cedrik hatte sich von seinem Schreck über seinen Beinahesturz erholt und er zuckte kurz zusammen, als sich das Magiefeld über die Türe des Turms legte. Nun konnte Assasina nicht mehr heraus, doch er vertraute darauf, dass das Feld verschwand, wenn die Elfe ihren Teil im Turm erledigt hatte.was immer das auch war. Kaum hatte Agenor dazu aufgerufen, sich zu stärken, merkte der Jungmagier erst, dass er enorm hungrig war. Schon wollte er seine Vorräte angreifen, da brachte einer der Krieger in einem kleinen Korb Brot und gebratenes Fleisch sowie einige Äpfel und auch einen Krug mit frischen Wasser. Cedrik dankte dem Mann mit einem Kopfnicken, setzte sich nachdem er den Korb gegriffen hatte auf den Boden und wollte eben Catyua neben sich ziehen, als er merkte, die Albin stand nicht mehr neben ihm. Sie war auf dem Weg zu dem Turmwächter. Dieser hatte ebenfalls etwas Essbares unter seinem Bart hervor geholt und verwandelte eben ein riesiges Taschentuch in einen stabil wirkenden Tisch. Kurz sah er auf, als Catyua vor ihm stehen blieb, dann machte er eine weit ausholende Handbewegung und gleich darauf öffnete er den Krug, der wie eine riesige Birne wirkte. Ein zarter Duft von vergorenen Honig traf Cedriks Nase. Ihm lief im Mund das Wasser zusammen, auch die anderen schienen von dem Geruch begeistert zu sein.
Catyua hatte nur noch Augen für das Gärtchen. Langsam kam sie näher, behielt aber auch den Turmwächter im Auge. Schließlich stand sie vor ihm und wusste nicht, wie sie hier her gekommen war. Der Wächter hatte sich inzwischen mit einem Tisch ausgerüstet, auf dem allerlei Spezereien lagen unter anderem auch ein Birnenförmiger Krug. Magnus griff eben danach und öffnete den Korken. Sofort drang ein sanfter Honiggeruch an Catyuas Nase. Obwohl sie keinerlei Alkohol mochte, bei diesem Duft lief ihr jedoch das Wasser im Mund zusammen. Sie musste heftig schlucken und hatte beinahe vergessen, weshalb sie hier stand. Der Wächter sah hoch und grinste sie an. Dann hielt er ihr den Krug hin und fragte:
„Wollt Ihr auch etwas? Noch ist ein Schlückchen vorhanden.“ Und sein Blick, erst freundlich und abwartend, wurde nun schelmisch und auch irgendwie bösartig. Catyua schüttelte den Kopf und wünschte sich in diesem Moment weit weg von hier.
„Nein danke, ich habe einen Krug Wasser mit, das ist mir lieber. Doch wollte ich fragen, ob Ihr mir gestatten würdet, einige der Blumen und Kräuter in Eurem Gärtchen zu betrachten. Und vielleicht auch das eine oder andere mit mir zu nehmen.“
Der Wächter verlor den bösen Ausdruck und nickte freundlich.
„Tut Euch keinen Zwang an, aber rupft mir nicht jedes Kräutlein aus, ich bitte sehr!“
Catyua fühlte Freude in sich aufsteigen, nun konnte sie ihre schrumpfenden Bestände wieder aufstocken. Sie verneigte sich freundlich und trat beiseite um zu der schmalen Pforte zu gelangen, die in den Garten führte.
Das Licht erlosch nicht, wurde jedoch normal hell und Assasina öffnete vorsichtig die Augen. Sie sah sich um. Sie befand sich in einem runden Raum, in dem es ausser einem Tisch, einigen Stühlen mit hohen Lehnen und einem Bettgestell hinter einem halb vorgezogenen Vorhang nichts gab. Es befand sich ein schmales, aber hohes Fenster an dem Sims ihr gegenüber und dahinter konnte Assasina einige weiße Wolken sehen. Neben dem Fenster befanden sich beiderseits klobig wirkende Fackeln, deren brennende Dochte ziemlich rußten. Eine kleine Bank befand sich noch unterhalb des Fensters, dessen Scheiben aus bunten Butzen bestand und offen war. Die Kampfelfe verzog etwas verächtlich das Gesicht und wollte bereits den Raum wieder verlassen, doch erst jetzt merkte sie, dass die Türe sich geschlossen hatte und an der Innenseite des Raumes eher wie eine Geheimtüre wirkte. Nun sah es so aus, als hätte dieser oberste Raum keine Türe. Hätte niemals je eine gehabt. Eben wollte die Elfe nach ihrem Schwert greifen, als ihr einfiel, dass sie die Waffen ja unten beim Turmwächter gelassen hatte. Na gut, dachte sie, würde sie eben noch einige Zeit hier drinnen verbringen. Sie ging nun langsam in den Raum zu dem Vorhang, hinter dem sich das Bett befand. Assasina setzte sich vorsichtig und probierte aus, ob die Matratze darunter weich oder eher hart wäre. Sie schwang einige Male hoch und nieder, doch es stellte sich kein Gefühl von Befriedigung ein. Also legte sich die Elfe nun auf das Bett, den Kopf auf den hohen Polster. Es war ihr, als würde sie auf einem harten Boden lagern.
„Bist du schon müde, Herzliebste?“ fragte eine Stimme in die Stille des Raum, bei deren Klang Assasina aufsprang. Hatte sich vorher niemand in dem Turmzimmer befunden, saß nun Votan auf einem der Stühle und putzte sich einen seiner dunklen Fingernägel mit einem Drachenzahn aus. „Dabei hatte ich mich so auf unser Wiedersehen gefreut!“ meinte er und sah nun Assasina an. In seinen Augen brannte ein dunkles Feuer und Assasina verspürte wieder dieses Locken und Sehnen. Doch gleich darauf sperrte sie es aus sich und erwiderte:
„Du bist das Letzte, das ich hier erwartet habe! Was willst du hier?“
„Ich habe auf dich und deine Freunde gewartet, das solltest du doch wissen!“ Votan ließ den Drachenzahn verschwinden und erhob sich. Er wirkte größer, als ihn Assasina in Erinnerung hatte. Seine Stimme hatte sich ebenfalls verändert. Hatte sie vorhin noch leise gewirkt so konnte Assasina nun die darin enthaltene Drohung wie eine schwarze Wolke beinahe sehen. Votan kam näher und Assasina überlegte sich, ob sie zurück weichen sollte, blieb aber dann wie angewachsen stehen. Als Votan dicht vor ihr stand, zuckte seine rechte Hand vor und legte sich mit der ebenfalls gewachsenen Hand um Assasinas Hals. Diese keuchte erschrocken auf, doch zu mehr war sie nicht mehr im Stande, denn Votans Finger drückten ihr die Luft ab.
„Wenn du weiterleben willst, solltest du mir jetzt erneut die Treue schwören!“ zischte der Dämon.
Assasina brachte jedoch keinen Ton hervor und sie spürte das Blut in den Schläfen pochen. Wie sollte sie etwas erwidern, wenn ihr die Dämonenkrallen die Stimmbänder einquetschten? Scheinbar merkte Votan dies, denn sein Griff lockerte sich. Assasina versuchte den Luftvorrat in ihren Lungen zu verbessern und überlegte sich kurz die Antwort. Doch die Zeit, die sie unter Votans Bann gestanden hatte war lange vorbei, auch die Lust, ihn zu töten pochte nicht mehr in ihrem Herzen. So schüttelte sie den Kopf und krächzte mit ihren schmerzenden Stimmbändern:
„Ich hätte nie gedacht … dies je zu sagen … aber … geh in Frieden!“ Sofort wurde der Griff wieder stärker und schließlich so stark, dass Assasina nur noch blitzende Sterne vor ihren Augen tanzen sah und … schlussendlich gar nichts mehr. Ihr schwanden die Sinne und – als sie wieder etwas sehen konnte, saß sie allein in einer Sandmulde und weit und breit war weder der Turm noch die Gefährten zu sehen. Assasina rieb sich den jetzt nur noch ganz leicht schmerzenden Hals und räusperte sich. Sie spürte, wie sich etwas in ihrer Kehle löste und spuckte aus. Ein dunkler Brocken flog zwischen ihren Lippen hervor und landete zu ihren Füßen im Sand. Kurz schien er sich zu bewegen, doch das dauerte nur wenige Augenblicke, dass sich Assasina nicht sicher war, ob sie das wirklich gesehen hatte. Sie schloss kurz die Augen und als sie diese wieder öffnete war der dunkle Brocken erstarrt und wirkte eher wie ein Stück Kohle. Etwas mühsam erhob sich die Elfe und sah sich um. So weit ihr Auge reichte sah sie nur Sand und kleine Gebilde darin. Sie wusste dass dies Sandrosen waren. Ohne irgend eine Absicht streckte sie eine Hand aus, bückte sich und griff sich eine der Sandrosen. Sie fühlte sich hart und irgendwie krieselig an. Ohne Nachzudenken steckte sich die Elfe das Gebilde unter ihr Wams und da fiel ihr Blick auf ihren Arm. Dort hatte sie eine Schlange tätowiert. Das seltsame daran war, dass die Schlange nur zur Hälfte sichtbar war, die andere Hälfte wirkte, als wäre sie entweder abhanden gekommen oder noch nicht fertig. Oder würde aus ihrem Arm kriechen. Irgendwo weit in ihrem Kopf wusste sie was dieses Tatoo bedeutete, doch Assasina machte sich nicht die Mühe, die Erinnerung nach zu verfolgen. Sie sah sich noch einmal um, dann setzte sie sich wieder in die Mulde, denn ihr Gefühl sagte ihr, dass sie warten musste, denn sie war nur jetzt allein.
So plötzlich wie das Magielicht über der Turmtüre erschienen war, so rasch war es auch wieder verschwunden. Rutaara merkte es erst, als sie wieder einmal hin blickte. Sie hatte ihren Proviant wieder verpackt, nachdem sie sich gestärkt hatte. Nun erhob sie sich und machte sich auf den Weg zum Turm. Aber der Turmwächter schaute sie mit seinen nachdenklichen Augen an und schüttelte den Kopf.
„Ihr noch nicht, werte Elbe. Lasst erst den wilden Kriegern den Vortritt!“ So wie der Wächter dies sagte, verstand es die Elbe weniger als Vorschlag, als eher einen Befehl. Nun, sie konnte warten. Wer weiß was sie dort oben erwarten würde. Sollten erst die Krieger Agenors gehen. Nachdem in unmittelbarer Umgebung des Magieturms die Zeit viel langsamer oder eigentlich ganz anders verging, verpasste sie nichts. Und es gab keine Feindberührung mit was und wen auch immer. Hier befand man sich in einer sogenannten Magieinsel. So setzte sich die Dunkelelbe wieder und beobachtete wie einer der Krieger nach dem anderen im Turm verschwanden, das magische Licht über der Türe aufflammte, es erlosch um den nächsten von Agenors Männer einzulassen. Rutaaras Blicke folgten ihnen nur kurz, dann konzentrierte sie sich wieder auf den verbliebenen Rest der Gefährten. Agenor stand aufrecht wie ein Bildnis, hatte aber seine Stirn gerunzelt. Catyua war in dem Gärtchen verschwunden und noch immer nicht aufgetaucht. Cedrik war zu den Pferden getreten und hatte an sie ebenfalls die Fressbeutel ausgeteilt, sie über ihre Hälse gehängt und ging nun mit einem Eimer voll Wasser herum um die Tiere zu tränken. Rutaara runzelte die Stirn, denn sie hatte eigentlich keinerlei Gewässer in der Nähe des Turms bemerkt. Doch wo Magie im Spiel war, sollte man sich nicht wundern.
Agenor war etwas abseits der Gefährten getreten, sodass er mit seinen Blicken den Turm, das Gärtchen aber auch die meisten seiner Männer erfasste. Der Prinz hatte sich neben seine Gemahlin begeben und beide saßen am Boden. Sie hatten sich eine Decke unter gebreitet und der Prinz sprach leise auf seine Frau ein. Agenor hätte zu gerne gewusst, was er da so zu flüstern wusste. Es schien nichts lustiges zu sein, denn Tränen liefen der bleichen Prinzessin immer wieder über die Wangen. Es konnte allerdings auch sein, dass dies die Anstrengung bisher machte und der Prinz auch nur tröstliche Worte ins Ohr seiner Gemahlin flüsterte. Als nach und nach die ersten Krieger im Turm verschwanden und nicht mehr auftauchten, machte sich Agenor dahin gehend Gedanken. Langsam wurde der Trupp Krieger weniger und schließlich verschwand auch der Letzte hinter der Turmtüre. Wie auf ein geheimes Kommando setzten sich nun die Pferde in Bewegung, verfielen in einen leichten Trab, das eine oder andere noch mit dem Grassack über der Kruppe und bewegten sich am Gärtchen vorbei, um dahinter zu verschwinden. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn Agenor folgte einigen der Tiere mit den Blicken und sobald sie das Gärtchen passiert hatten, war es als hätte es das Tier nie gegeben. Es löste sich einfach auf. Agenor spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten. Er würde froh sein, wenn er aus der Nähe des unheimlichen Turms kam.
Catyua kam sich wie im Paradies vor. In dem Garten hier gab es so viele Pflänzchen und Blumen, aber auch Büsche deren Blätter man sehr gut zu Tees verarbeiten konnte. Aber auch zu Färbemitteln für Stoffe. Die Albin wusste erst gar nicht, wo sie beginnen sollte. Doch dann holte sie ihren Vorratsbeutel hervor und begann nach und nach einige der Blumen, Blätter, Blüten aber auch hier und dort aus dem Boden ragende Wurzeltriebe abzureißen und zu schneiden um diese ihrem Vorrat hinzu zu fügen. Es dauerte nicht lange, so war der Beutel so voll, dass Catyua schweren Herzens aufhören musste. Sie steckte den Beutel wieder an seinen Platz und sah sich um. Ihr schien es, als wäre jetzt der Garten größer als vorhin, als sie ihn betreten hatte. Sie versuchte zu erkunden aus welcher Richtung sie gekommen war, um den Garten wieder zu verlassen. Doch weder das Türchen, noch der Turm fiel ihr ins Auge. Um sie herum befanden sich die in allen Farben und Formen blühenden und wachsenden Gartengewächse aber auch die bunten Falter und ebenso bunte winzige Vögel mit lange, gebogenen Schnäbel die während des Fliegens ein sirrendes Geräusch machten. Hier und dort verharrten sie in rasender Schnelligkeit die Flügel bewegend über der einen oder anderen Blüte und schon waren sie wieder unterwegs um den Nektar der nächsten aufzunehmen. Catyua hatte noch nie solche Geschöpfe gesehen und erfreute sich daran, wie sie im Sonnenlicht glitzerten und ihre Federfarben erstrahlten. Langsam jedoch wurde die Albin des Staunens müde und sie machte sich wieder daran den Garten zu verlassen. Doch in welche Richtung wollte sie sich bewegen? Wo war der Ausgang? Wo waren die Gefährten und vor allem wo war Cedrik? Kaum war dieser Name in Catyuas Gedächtnis aufgetaucht, sah sie diese wunderbaren Augen direkt vor sich. Die goldenen Punkte die in den Braunen Augen tanzten und einen Sinnverwirrenden Tanz aufführten. Sie sah seine Locken und sein anmutiges Gesicht und eine schmerzhafte Sehnsucht nach seinen schlanken und zugleich starken Fingern ergriff Catyua. Sie drehte sich langsam einmal um sich selbst und machte diese Drehung ein weiteres Mal. Ganz sachte spürte sie wie ein leichter Zug sie in eine bestimmte Richtung führte. Catyua folgte dieser Spur und war bald an der Gartenpforte. Damit sie sich nicht wieder verlief, öffnete sie diese und verschloss sie sofort hinter sich. Dabei fiel ihr Blick auf das Gärtchen, das jetzt wieder vor ihr lag, wie es zu Beginn die Größe gezeigt hatte. Catyua konnte nicht verstehen, warum sie sich darin verlaufen hatte, wo es doch eigentlich nur ein schmaler Streifen voll Blumen und Pflanzen war. Umgeben von einem Zaun. Catyua griff nach ihrem Beutel, doch dieser fühlte sich ebenso prall gefüllt an, wie er es im Garten war. Die Albin verneigte sich höflich und dankte so dem Turmwächter, der sein Gesicht in viele Runzeln legte, als er sie angrinste. Nun erst bemerkte Catyua, dass die Pferde scheinbar bereits den Weg genommen hatten, den auch schon Sternenlicht ging und dass ausser Agenor nur noch die beiden Prinzlichen und Rutaara da waren. Und auch Cedrik. Zu ihm lief nun Catyua und drängte sich in seine sie umfangende Arme. Erst jetzt verstummte dieser Zug in ihr, der sie die ganze Zeit begleitet hatte. Catyua war froh, dass sie wieder bei Cedrik war. Zwar hatte sie nicht das Gefühl, dass sie Stunden in dem Garten zugebracht hatte, doch inzwischen war viel passiert. Es konnte allerdings auch sein, dass jeder nur wenige Minuten in dem Turm zugebracht hatte. Catyua sah zum Himmel, wo noch immer die Sonne schien. Sie war nur wenige Schritte von dem Platz entfernt, an dem sie gestanden hatte, als die Gruppe hier erschienen war.
Cedrik fühlte sich erleichtert, als seine Catyua wieder aus dem Garten neben dem Turm auftauchte und wie auf der Flucht zu ihm hin lief. Er hatte sich bereits Gedanken gemacht, denn während sie drinnen war, war ein dichter Nebel aus dem nichts erschienen und hatte sich über den Garten gelegt. Einige male war es Cedrik gewesen, als hätte er Donnern aber auch seltsame Geräusche daraus vernommen, aber so rasch wie der Nebel erschienen war, so rasch war er auch wieder verschwunden. Hatte Cedrik gedacht es wären dabei nur wenige Minuten vergangen, musste es doch etwas länger gewesen sein, denn inzwischen war die Sonne weiter gewandert. Es schaute jetzt danach aus, als wären Stunden vergangen, seit Catyua den Garten betreten hatte. Irgendwann hatte Cedrik den seltsamen Traum gehabt, dass Catyua nach ihm rief. Obwohl er doch eigentlich sehr wach gewesen war, hatte dieser Ruf das Gefühl eines Traums vermittelt. Eine leichte Panik hatte den Jungmagier erfasst und so hatte er den Ruf beantwortet – obwohl kein einziges Wort aus seinem fest verschlossenem Mund gekommen war. Jetzt hatte sich die Panik gelegt und er hielt nun Catyua in seinen Armen an sich gedrückt. Er fühlte, dass sie leicht zitterte und überlegte sich, ob er sie fragen sollte, was sie schreckliches erlebt hatte, dass sie sich so fürchtete. Vielleicht hatte sie auch den Nebel gesehen und sich in dessen Gebiet verlaufen? Der Jungmagier ahnte nicht, wie nahe er der Wahrheit gekommen war, wenn diese auch anders gewesen war. Eben überlegte sich Cedrik, dass dies die beste Gelegenheit war nun selbst den Turm zu betreten, als sich das Prinzenpaar wie auf ein geheimes Kommando in Bewegung setzte, um den Turm zu betreten. Sie hielten sich fest umschlungen und Cedrik dachte daran, dass dies eigentlich die beste Gelegenheit war, wenn die beiden wieder zu fliehen gedachten. Niemand wusste, ob der Turm nicht an einer versteckten Stelle einen anderen Ausgang hatte. Aber ehe er etwas sagen konnte oder Agenor, der hinter den beiden her starrte, als konnte er nicht fassen, was er sah, warnen konnte, betraten die beiden den Turm und die Türe wurde wieder durch den Magieschleier verborgen. Cedrik blickte rasch zu dem Turmwächter und sah ihn grinsen. Was ihm wohl so viel Freude machte, fragte sich der Jungmagier und beschloss, nur gemeinsam mit Catyua den Turm zu betreten. Es dauerte etwas länger als bei den anderen, doch auch jetzt erlosch das Licht und gab die Türe frei.
Der Turmwächter kratzte sich an seiner Stirn, als er zu Rutaara sah. Es war, als würde er sich fragen, ob er nun sie in den Turm lassen könnte. Nach wenigen Augenblicken kam er sichtbar zu einer Lösung und winkte ihr. Rutaara atmete auf, wandte sich an die beiden verbliebenen Gefährten und meinte leise:
„Ich bringe das jetzt rasch hinter mich, wir sehen uns dann auf der anderen Seite. Keine Sorge, Assasina hat sich sicherlich bereits der beiden Prinzlichen angenommen. Und keine Angst, es wird alles gut gehen!“, wovon Rutaara nicht so ganz überzeugt war. Aber wenn sie in den ängstlichen Blick des jungen Mädchens sah, konnte sie nichts anderes sagen. Nun raffte sie ihren Umhang dichter an sich und begab sich zu dem Turm. Ihre Schritte täuschten eine Stärke und einen Mut vor, den sie keineswegs empfand. Eher kam sie sich vor, als wäre sie wieder das kleine Mädchen, das zu seiner ersten Prüfung antreten musste. Rutaara streckte die Hand nach der Klinke aus, doch die Türe öffnete sich wie durch Geisterhand selbst und breitete das kühle Dunkel mit der nach oben führenden Treppe vor ihren Blicken aus. Rutaara machte zwei rasche und tiefe Atemzüge, trat mit einem beherzten Schritt ins Innere des Turms und … zuckte zusammen. Mit dem harten Knall der zufallenden Türe bog sich die nach oben strebende Treppe vor ihr nach unten und führte nun statt nach oben in die Tiefe. Kurz überlegte sich Rutaara was sie tun sollte, sah sich nach Lyrael um und zwinkerte ihm bewusst heiter zu.
„Keine Sorge Liebster, es wird alles gut.“
Es wäre Rutaara recht wenn diese Worte prophetisch wären. Doch den Mut, den sie zeigte hatte sie keineswegs. Den Berichten anderer zufolge, war in der Turmspitze eine Kammer, die sie aufsuchen mussten. Von den eventuell vorhandenen Kellerräumen war eigentlich nie die Rede gewesen. Doch Rutaara nahm nun den Rest ihres irgendwo tief in ihr versteckten Mutes zusammen, nickte erneut dem Wolf zu und machte sich an den Abstieg.
Je tiefer sie kam, umso dunkler und kälter wurde es. Schließlich blieb die Dunkelelbe stehen. Als wäre das ein geheimer Wink gewesen, flammten nun an der Mauer neben der Treppe Fackeln auf und verbreiteten ein zwar flackerndes jedoch auch genügend Licht, um den weiteren Abstieg auszuleuchten. Lyrael drängte an Rutaara vorbei und diese folgte ihm so rasch es die engen Stufen zu ließen.
Schließlich gelangte sie am Ende der Treppe an und stand nun vor einem aus Dunkelschatten einer violetten Pflanzenart gebildeten Durchgang. Rutaara streckte einen Arm aus und bog einige der Zweige beiseite. Dahinter kam eine Höhle zum Vorschein. Sie betrat diese und sah sich um. Dabei glitten ihr die Zweige aus den Fingern und schlossen sich wieder zu einer Einheit. Lyrael stand wenige Schritte vor ihr und schien angestrengt auf etwas zu lauschen. Doch Rutaara konnte keinen einzigen Ton vernehmen. Irgendwo weit im Höhleninneren tropfte Wasser und es schien, als würden diese Tropfen eine eigenartige Melodie erzeugen.
„Hallo? Ist jemand hier?“, rief Rutaara aus einem leisen Panikgefühl heraus. Doch nur die steten Tropfen waren ihre Antwort. Kurz kreischte etwas weit vor ihr schrill, doch es verstummte gleich darauf wieder, nur das Echo dauerte etwas länger. Rutaara zog den Umhang enger um sich und setzte sich wieder in Bewegung. Sie wusste, es nutzte nichts, wenn sie stehen blieb oder gar versuchte, zurück zu gehen, Sie konnte nur vorwärts gehen. Nach wenigen Schritten vergrößerte sich die Höhle zu einem auch hier mit Fackeln beleuchteten Dom und Rutaara blieb stehen. Mitten in dem Dom befand sich ein steinerner Thron und auf diesem saß eine alte Vettel, deren dünnes Haar wie Fäden über ihr runzeliges Gesicht fiel. Sie hatte ein verschlissen wirkendes Kleid an und ihre dürren Beine steckten in löchrigen Pantoffeln. Um sie herum wuselten zahlreiche Zwerge und Elfen, Keiner bemerkte die Dunkelelbe, die wie erstarrt auf das Bild das sich ihr zeigte starrte. Rutaara überlegte sich, woher ihr das Weib so bekannt vorkam, doch es wollte ihr nicht einfallen. Mit einer heiser wirkenden Stimme gab die Vettel immer wieder Anweisungen an ihre scheinbaren Diener und diese beeilten sich, ihr zu Diensten zu sein. Rutaara ging nun weiter und endlich bemerkte man sie. Ein alter Elf blieb erschrocken stehen und zeigte schließlich mit langsam erhobener Hand auf sie. Rutaara überlegte eben, dass dieser Elf wirklich uralt sein musste und was dieses Lichtgeschöpf eigentlich in diesem dunklen Höhlendom zu suchen hatte, als auch die Vettel auf dem Thron ihre Aufmerksamkeit zu Rutaara lenkte. Lyrael hatte leise zu knurren begonnen und sein Nackenfell sträubte sich. In diesem Moment fiel Rutaara ein, warum ihr die Alte so bekannt vorkam und sie streckte ihre rechte Hand aus und rief – im selben Moment wie die Alte - :
„Du!“ Das war doch jene Hexe, die sie verzaubern wollte und statt dessen Lyrael erwischte.
Agenor war nicht ganz so ruhig, wie er nach außen hin zeigte. In seinem Inneren tobte ein Kampf zwischen dem Wunsch bei seinen verschwundenen Männern zu sein und die beiden jungen Leute, die noch immer darauf warteten, zu beschützen. Immer wieder schwankte sein Blick von Cedrik und Catyua zu dem Turm und dessen Wächter und wieder zurück. Eigentlich wäre er jetzt viel lieber bei seinen Männern gewesen, doch auch wieder war er froh, dass er noch nicht in diesem unheimlichen Turm war um den Ausgang zu suchen. Nicht dass er befürchtete, einen erneuten Kampf nicht allein zu bestehen. Oder dass er sich vielleicht ängstigte, dass er sich in eventuellem Raumgewirr des Turms zu verlaufen – man wusste ja nicht, wie es dort drinnen aussah – doch einen Wegezoll hätte er lieber bezahlt als sich mit unbekannter Magie anzulegen. Agenor hob die rechte Hand und kratzte sich an seiner Stirn, so dass sein Helm verrutschte. Wenn er später dann mehr Zeit hatte und die Gelegenheit ihn zu einem Bach oder Rinnsal führen würde, wäre es ihm sicher ein Bedürfnis, den wild wuchernden Bart zu scheren und sein Haar mit dem Messer zu kürzen. Denn jetzt hing es ihm vorne in die Augen und brachte den Helm immer wieder zum Rutschen. Nur gut, dass er diesen mit den Kinnriemen fest gebunden hatte. Kurz schaute Agenor nach oben zum Himmel, doch noch immer stand dort oben die Sonne und es kam ihm vor, dass sie derzeit noch nicht weiter gewandert war. Nur seltsam, dass ihm sein Magen erklärte, dass er wieder leer sei. Der Krieger zuckte erschrocken zusammen, als der Turmwächter plötzlich sagte:
„Nun sollte das werte junge Mädchen seinen Teil des Weges gehen. Der Turm erwartet es bereits. Und Ihr, werter Krieger solltet doch noch einen Happen zu Euch nehmen!“
Es war Agenor entgangen, dass sich das magische Licht über der Turmtüre gelöscht hatte und den Eingang somit frei gegeben hatte. Er bemerkte auch das Erschrecken des Jungmagiers bei den Worten des Turmwächters. Agenor konnte das verstehen, denn sicher hatten sich die beiden ausgemacht, den Turm nur gemeinsam zu betreten. Der Hunger in Agenors Eingeweiden machte einen spürbaren Sprung und verursachte einen gewaltigen Druck. Ohne nachzudenken, griff Agenor nach seinem schon etwas geschrumpften Vorrat und begann größere Teile von einem Stück Brot zu reißen um es sich mit seltsamer Ungeduld in den Mund zu stopfen. Aus dem Augenwinkeln bemerkte er, dass sich Catyua in Bewegung setzte aber auch, dass Cedrik versuchte, sie zurück zu halten. Doch dann lenkte Agenor sein gesamtes Interesse aufs essen und schob das Umfeld aus seinem Gedächtnis.
„Ja ich, wer sollte es anderes sein als ich. Doch was machst du hier? Du gehörst hier nicht hin!“ sagte die alte Vettel und stand auf, stieß den noch immer wie erstarrt stehenden Elf beiseite und humpelte die beiden Stufen, die vom Thron nach unten führten herab. Sie humpelte ganz dicht zu Rutaara, dass diese unwillkürlich einen Schritt rückwärts stolperte. Die Alte sah es und kicherte mit einer nervenden hohen Stimme.
„Du bist noch immer so ein Trampelweib wie du es schon früher warst. Und halte deinen Köter von mir weg, sonst mache ich aus ihm einen Besen und benutze ihn zum Kehren. Staub genug gibt es hier!“ Lyrael duckte sich kurz bei der kreischenden Stimme, doch dann knurrte er erneut. Schon hob die Vettel eine Hand, doch Rutaara war schneller. Sie machte den Schritt nach vorne und stand nun beinahe Bauch an Bauch mit der alten Hexe. Diese war einen Kopf kleiner als sie und musste ihren Blick heben, wollte sie in Rutaaras Gesicht schauen. Obwohl die Dunkelelbe innerlich vor Wut zitterte, wollte sie so rasch als möglich hier wieder heraus kommen. Und so schluckte sie den Zorn hinunter, verneigte sich leicht vor der Vettel und erwiderte mit einem etwas verkrampft wirkendem Lächeln:
„Es tut mir leid, sollte dich Lyrael erschreckt haben. Es war gewiss keine Absicht. Und ich war nur erstaunt, eine Bekannte hier zu treffen!“ Rutaara zog ihren Umhang enger, während die Vettel sie mit offen stehendem Mund anstarrte. Ein starker Geruch von Zwiebeln und Knochenstaub drang daraus hervor und Rutaara unterdrückte mit all ihrer Kraft den Ekel, der sie ganz plötzlich überfiel. Schließlich machte die Vettel den Mund wieder zu, was Rutaara dankbar aufatmen ließ.
„Was willst du hier? Und warum bringst du diesen Köter mit?“
„Ich habe nach dir gesucht, Schwester“, sagte Rutaara und erstickte beinahe an diesem Wort.
„Du bist nicht meine Schwester, die ist tot und dich würde ich nicht einmal in meiner Familie haben wollen, wenn du mir alle Lebenstränke der bekannten und unbekannten Welt bringen würdest!“ Sprach's und humpelte wieder zu dem Thron zurück. Dort setzte sie sich und starrte mit zusammen gekniffenen Augen zu Rutaara. Lyrael wandte seinen Kopf und schaute nun auch Rutaara an.
' Liebste, frage sie, vielleicht kann sie etwas machen, dass meine frühere Gestalt wieder zum Vorschein kommt' drangen dessen Gedanken in Rutaaras Kopf.
Unsicher schaute diese erst ihn dann die Vettel an. Hatte die Alte nicht eben vorhin gesagt, dass ihre Schwester tot sei? Hatte sie darum nicht gewusst, dass der Wolf kein echter Wolf war und hatte ihn darum mit „Köter“ tituliert? Rutaara beschloss nachzufragen. Doch ehe sie dies machen konnte kreischte die Vettel vom Thron her:
„Was stehst du noch dort wie angewachsen? Hole dir einen Besen und kehre endlich vor deiner Türe!“ dann kicherte sie so laut, dass die Zwerge und Elfen erschrocken umher huschten. Rutaara verspürte, dass sich der Zorn wieder hob und verneigte sich tief, um der Vettel nicht die Zornröte ihres Gesichts zu zeigen.
„Es ist mir eine Ehre, dir zu dienen“, presste Rutaara zwischen den Zähnen hervor, griff sich einen der eingeschüchterten Elfen, entwand diesen einen Besen aus Federn und begann zu kehren. Da sie immer noch ziemlich zornig war, wirbelte sie genug Staub auf, um alle zum Husten zu bringen. Wieder kreischte die Vettel:
„Um der Göttin willen, höre sofort auf, ehe wir alle noch ersticken. Du bist wie es scheint auch zu so etwas zu dumm! Schaffe deinen Köter und dich endlich aus meiner Burg!“
Rutaara ließ den Federbesen sinken und verneigte sich erneut. Dabei bemerkte sie den bittenden Blick Lyraels. Sie schluckte hart, dann jedoch überwand sie sich und fragte:
„Ich werde sofort von hier verschwinden, doch könntest du Lyrael seine wahre Gestalt zurück geben? Ich wäre dir sehr dankbar!“
„Ich huste auf deine Dankbarkeit. Und warum willst du den Köter nicht so lassen, wie er ist?“
„Er ist mein Gefährte!“
„Ein Köter?“
„Das war er nicht immer. Die Hexe Röttelka hat ihn verzaubert, obwohl ich eigentlich das Opfer sein sollte!“
„Ach so, tja nun hast du aber Pech gehabt. Ich bin nicht meine Schwester, ich bin Luthbell, die Jüngere. Röttelka ist Geschichte.“ Dabei kicherte sie wieder, als würde sie es freuen, dass ihre Schwester tot war. Rutaara nahm an, dass dies auch der Fall war. Sie verspürte tiefe Trauer in sich hoch steigen, denn Lyrael war nun endgültig dazu verdammt für immer ein Wolf zu bleiben.
„Aber vielleicht kann dir bei deinem Problem unsere andere Schwester Nemesis helfen. Ist allerdings schon einige Zeit verschollen und niemand weiß, wo und ob sie noch lebt. Sie war von uns dreien schon immer jene, die die größte Kraft und auch das meiste Wissen hatte. Und jetzt verschwinde von hier und nimm deinen Köter mit! Und wehe dir, er hat sein Häufchen hier hinterlassen!“ Mit einer ihrer dürren Hände winkte sie zu Rutaara hin und klatschte dann, um ihre Dienerschaft aufzuschrecken. Wieder hob ein emsiges Arbeiten an, während sich Rutaara bemühte sich so leise und schnell als möglich aus der Höhle zurück zu ziehen. Kaum hatte sie den violetten Pflanzenvorhang erreicht, hob er sich auch schon und Rutaara musste ihre Augen schließen, denn helles Sonnenlicht fiel hinein. Unsicher machte sie den nächsten Schritt und zuckte zusammen, als eine Stimme dicht an ihrem Ohr sagte:
„Du hast dir lange Zeit gelassen!“
Rutaaras Augen gewöhnten sich bereits an die Helligkeit und so fiel ihr Blick auf das Grinsen in Assasinas Gesicht. Ihre Ohren nahmen hier und dort leises Wiehern auf und erst jetzt bemerkte sie, dass sie am Rande einer Wüste stand, die meisten Pferde und auch Sternenlicht anwesend waren, während Agenors Männer bereits Unterstände für sich und den Rest der Gruppe bauten. Die beiden Prinzlichen saßen eng umschlungen auf einer Decke und beschäftigten sich mit sich selbst.
Ehe Catyua begriffen hatte, was da passierte, hatte sie bereits den Turm betreten und sich auf den Weg über die Treppe nach oben gemacht. An der Wand, die die Treppe aus Stein eng begrenzte, blackten Fackeln und verteilten eher rußiges Licht als den Weg zu beleuchten. Rauch hing in der Luft und machte dem Albenmädchen das Atmen schwer. Je höher Catyua der Treppe folgte, desto mehr Absätze unterbrachen das Stiegen steigen. An einigen dieser Absätze führten Türen aus starken Holzbohlen in dahinter liegende unbekannte Räume. Immer wenn Catyua an solch einer Türe stehen blieb, spürte sie einen leichten Zug, der sie weiter führen wollte. Je stärker sie ihn ignorierte, desto stärker wurde er. Zuletzt war er so stark, dass er sogar Schmerzen verursachte. Um diesem Schmerz zu entgehen, musste Catyua weiter hoch steigen. Schließlich kam sie ans Ende dieser Treppe und stand gleich darauf vor einer ebenso aus starken und dicken Bohlen gefertigten Türe. Diese öffnete sich wie durch Geisterhand, als das Mädchen ihre linke Hand danach ausstreckte. Sie betrat den dahinter liegenden Raum und sah sich um. Bunte Teppiche hingen an den runden Wänden und verdeckten den Stein dahinter. Auf einigen dieser Teppiche waren Jagdszenen zu sehen und andere wieder zeigten Elfen und Feen, die sich auf einer Waldlichtung vergnügten. Der Boden des Raumes war ebenfalls mit Teppichen belegt, die aus zusammen genähten Fellen bestanden. Der Türe gegenüber befand sich ein offener Kamin in dem ein lustig flackerndes Feuer brannte und angenehme Wärme verbreitete. Darüber befand sich ein Größeres Portraitbild, das eine Gruppe von Alben und Drachen zeigte. Auf einem der Drachen saß ein junges Albenmädchen, und liebkoste ihr ungewöhnliches Reittier. Catyua wurde von diesem Bild wie magisch angezogen und sie ging langsam näher. Aus der Nähe konnte sie nun sehen, dass dieses Bild sehr alt sein musste, denn es war mit zahlreichen Rissen und Schmutzflecken übersät. Hier und dort war auch die Farbe abgeblättert und zeigte den grauen Leinwanduntergrund. Seitlich der Drachen- und Albengruppe stand halb verdeckt von einem Baumstamm ein junger Mann, der eine gewisse Ähnlichkeit mit Cedrik hatte. Als Catyua dies auffiel, dachte sie wieder an den jungen Magier und verspürte gleichzeitig leise Sehnsucht nach ihm. Sie senkte den Blick und sah kurz zu Boden. Als sie ihn wieder hob, um das Bild erneut zu betrachten, war der junge Mann verschwunden. Catyua zuckte zusammen, doch gleich darauf war sie sich nicht mehr sicher, ob auch tatsächlich jemand hinter dem Baumstamm gestanden hatte. Denn es war sehr unsicher, dass gemalte Personen von einem Bild so einfach verschwinden können. Obwohl es doch sein könnte, denn dies hier war ein Raum im Turm der Magie. Catyua trat von dem Bild weg und streckte ihre Hände nach der Wärme aus, die aus dem Kamin strahlte. Kurz glaubte sie Cedriks Gesicht aus den Flammen steigen zu sehen, doch dann waren es doch nur Flammen, die von den runden Holzklötzen, die auf dem Rost lagen, ihre Kraft zogen. Ein leises klirren in ihrem Rücken ließ die junge Albin zusammen zucken und sich umwenden. Ohne dass sie es bemerkt hatte war ein dicker Zwerg erschienen und hatte einen kleinen Tisch gebracht. Eben stellte er einen Stuhl dazu und entnahm aus einem Korb, den er scheinbar auf den Boden gestellt hatte eine Schale mit Obst. Gleich darauf entnahm er dem Korb auch einige Brotscheiben, Käsestücke aber auch einen Krug und dieser hatte das Klirren verursacht, denn er stand eng bei der Schale. Mit einer einladenden Handbewegung forderte der Zwerg Catyua auf, sich zu setzen und sich an dem Mahl zu bedienen. Gleich darauf verließ er den Raum um kurze Zeit später wieder zu kommen. Über seinem Arm lagen mehrere Kleider, aber auch Hosen und Tücher, die er Catyua hin hielt. Diese hatte sich bereits an den Tisch gesetzt aber irgendetwas ließ sie zögern von dem Essen zu kosten. Die Stoffe der Kleider wirkten kostbar und hatten starke Ähnlichkeit mit den Kostümen der Albenmädchen auf dem Bild. Auch beim Anblick dieser Kleider und Tücher spürte Catyua diese warnende Stimme tief in sich. Etwas sagte ihr, wenn sie eines dieser Gewänder auch nur berühren sollte, würde sie für immer in diesem Turm bleiben. Doch sie wollte keineswegs unhöflich sein und so verneigte sie sich und sagte:
„Ich danke Euch für diese Kostbarkeiten“ - wobei Catyua offen ließ ob sie nun die Speisen oder die Kleidung meinte, „Aber ich muss wieder weiter! Meine Gefährten und mein Seelenpartner warten auf mich.“
Der Zwerg legte den Kopf leicht schräg als horche er auf etwas, das Catyua nicht hören konnte. Dann verengten sich seine Augen und er sagte mit einer heiseren Stimme, die so gar nicht zu ihm passen wollte:
„Ihr seid wohl auch eine dieser hochnäsigen Alben? Wenn Ihr schon auf dem Sprung seid, warum seid Ihr dann nicht gleich weiter gelaufen? Was sucht Ihr noch hier?“ Catyua spürte kurz Ärger in sich hoch steigen, doch sie schluckte ihn hinunter und antwortete:
„Ich bin Teil einer Gruppe, die das entführte Prinzenpaar zurück bringen soll und auch auf der Suche nach den letzten Mitgliedern meiner eigenen Rasse. Auf dem Weg dorthin steht aber jetzt dieser Turm und statt Wegezoll hat der Turmwächter bestimmt, jeder von uns muss diesen Turm besuchen und ihn mittels einer unbekannten Prüfung bestehen. Meine Freunde und Cedrik warten auf mich!“
„Es gibt keine Alben mehr“, sagte der Zwerg, warf die Kleidung zu Boden und verließ mit einem zornigen Stampfen seines rechten Fußes den Raum. Catyua stand auf, warf einen letzten Blick zu dem gedeckten Tisch, danach auf das Bild, wo der junge Mann wieder hinter dem Baumstamm hervor schaute und wandte sich zum Gehen. Hatte neben der Türe vorher nichts gelegen, so lag jetzt ein offener Beutel am Boden, aus dem mehrere Edelsteine gerollt waren. Gleich daneben stand eine Schale mit Kräutern. Catyua blieb stehen und starrte die beiden Dinge erstaunt an. Dann jedoch machte sie einen großen Schritt auf die Türe zu und war eigentlich nicht sehr überrascht, als Beutel, Steine und Kräuterschale verschwanden. Das Mädchen öffnete die Türe und im nächsten Augenblick stand sie mitten in einer Wüste. Sie wandte sich um, doch der Turm war verschwunden. Staub wurde aufgewirbelt und sie musste husten.
„Komm her zu mir, Catyua ich habe hier Wasser zum trinken für dich. Wir warten noch auf die letzten beiden, dann sollten wir schauen, dass wir diesen unwirtlichen Ort wieder verlassen.“ sagte Assasinas Stimme und Catyua wandte sich erleichtert nach ihr um.
Agenor hatte seine Mahlzeit beendet und seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem Wächter und Cedrik zu. Dieser stand wie verloren neben ihm und starrte mit einem ziemlich blassem Gesicht zu dem Turm. Agenor fühlte Mitleid mit dem Jungmagier, denn er konnte nachfühlen wie sich dieser jetzt fühlte. Auch der Krieger war einst ein jung verliebter Mann gewesen. Und die Trennung von seiner jungen Gemahlin hatte ihn auch immer ganz aufgewühlt. Es war sicher schwerer für Cedrik, der ausserdem noch zur Hälfte elfisches Blut in sich hatte. Agenor hatte so manches seltsames schon gehört über dieses Volk. Eben wollte er Cedrik den Vortritt lassen, da sagte jedoch der Wächter bereits:
„Und jetzt bist du dran, Schwertmann! Man wartet bereits auf dich!“ Die Worte des Turmwächters hatten einen leisen Spott in sich, doch Agenor steckte den Rest der Mahlzeit weg und erhob sich. Er schüttelte einige Brösel von seiner Hose und nahm seinen Beutel auf die Schulter. Dann schaute er kurz zu Cedrik, der ihn groß anstarrte.
„Ich werde mich um die anderen jetzt kümmern. Wir sehen uns dann auf der anderen Seite. Halte die Ohren steif“, gleich darauf wurde Agenor bewusst was er gesagt hatte und musste gegen eine plötzliche Verlegenheit ankämpfen. „Ähm … ich meine ...“ Doch das etwas warnende Räuspern des Turmwächters unterbrach Agenor. Nun wandte er sich endgültig dem Turm zu und betrat diesen. Hinter der Türe befand sich ein großer Saal in dem zahlreiche Rüstungen standen. Am gegenüber liegenden Ende befand sich ein offener Kamin und darin brannte ein lustiges Feuer. Die Flammen dieses Feuers sahen zwar etwas seltsam aus, doch Agenor nahm seinen gesamten Mut zusammen und durchquerte mit raschen Schritten den Raum. An beiden Seiten, hinter den Rüstungen befanden sich verschieden große Tische, auf denen sowohl Getränke, Speisen als auch zahlreiche Säcke lagen in denen sich sowohl Geld als auch Getreide befinden konnten. Auf irdenen Schalen häuften sich bunte Edelsteine aber auch immer wieder lagen Schwerter, Dolche und auch Pfeile samt Bögen dazwischen. Agenor runzelte die Stirne, denn er dachte in diesem Augenblick daran, dass er gehört hatte, dass eine Treppe nach oben führen sollte und nicht ein riesiger Raum hinter der Türe lag in dem massig Schätze gehortet waren. Inzwischen war Agenor beim Kamin angekommen und griff sofort dorthin wo er sonst seinen Bogen und den Pfeilköcher trug. Doch seine Finger griffen nur auf den Riemen seines Reisebeutels. Jetzt fiel ihm ein, dass die Waffen auf den Pferden befestigt waren und die Tiere nicht mehr da gewesen waren als er den Turm betreten hatte. Das Feuer bestand aus zahlreichen Feuergeistern, die jedoch den Kamin nicht verließen. Nur ihre Augen waren auf Agenor gerichtet und starrten ihn voll Zorn an.
„Habt Ihr Euch verlaufen?“, fragte eine laute und seltsam knarrende Stimme hinter Agenor und entzog ihm so dem Bann der Feueraugen. Der Krieger wandte sich um und entdeckte einen Ritter in einer ziemlich verbeulten Rüstung ohne Helm. Der rote Umhang den er mit Riemen an der Schulter befestigt war wies zahlreiche Löcher auf, als wäre er mit einem Feuer in Berührung gekommen. In der rechten Hand hielt der unbekannte Ritter eine angebissene Wildschweinkeule. Agenor nahm Haltung an und grüßte den Ritter ehrerbietig.
„Ich habe Euch etwas gefragt!“
„Ich habe mich nicht verlaufen. Mein Name ist Agenor und ich wurde vom Turmwächter angehalten, diesen Turm zu betreten. Es wurde mir gesagt, dass eine Treppe auf die oberste Turmspitze führt, doch stattdessen finde ich hier einen großen Saal.“
„Ach ja? Ich hatte hier noch nie eine Treppe. Und Ihr befindet Euch in meinem Haus. Ihr seid also Agenor, so so habe schon von Euch gehört. Ihr sollt ein Freund von Elfen und anderen Gesocks sein. Doch da ich nun Euren Namen erfuhr, sollt Ihr auch meinen erfahren. Man nennt mich Reganam von Waldstein. Manche nennen mich auch den dunklen Baron.“ Und dann lachte er und biss gleich darauf von der Keule ab. Agenor war zusammen gezuckt und einen Schritt zurück getreten. Der dunkle Baron! Er hatte schon genug von diesem legendären Mann gehört. Wobei sich das Gehörte sowohl in Gut als auch in Schlecht teilte. Das dunkle Haare das dem Baron über die Schulter fiel war mit zahlreichen grauen Strähnen durchzogen. Die Augen die Agenor taxierten und ihn seltsam fest zu halten schienen waren ebenso dunkel. Der Baron hatte einen sauber gestutzten Bart unter seinem markanten Kinn und einige vernarbte Wunden auf den eingefallen wirkenden Wangen. Er schien ein sehr bewegtes Leben geführt zu haben.
„Wollt Ihr nicht auch etwas essen oder seid Ihr auf dem Sprung?“ fragte der Baron und winkte mit der Keule. Dann begab er sich zu einem der Tische, wischte mit der freien Hand die Dinge, die darauf lagen auf den Boden und hieb die Keule darauf. Agenor zuckte leicht zusammen, als das Fett, das sich auf der Keule befand zur Seite spritzte. Er hob abwehrend die Hände und meinte:
„Danke Euch, ich habe bereits gegessen.“
„Schön für Euch, wer nicht will, hat schon! Und was wollt Ihr jetzt machen?“
Ohne nachzudenken rutschte Agenor aus dem Mund:
„Am liebsten wäre ich jetzt entweder bei meinen Gefährten oder noch lieber bei meiner Familie!“
„Wer hält Euch auf?“
„Dieser Turmwächter!“
„Da ist kein Wächter und das hier kein Turm, sondern nur mein Haus. Ich gebe zu, ein schönes Haus aber eben kein Turm!“
Agenor verspürte eine leichte Unsicherheit in sich hoch steigen. Was war, wenn er durch eine falsche Türe gegangen war? Was, wenn in diesem Turm überhaupt keine Treppe nach oben führte, sondern er hier sein Leben beenden musste? Was wäre wenn …? Agenor schloss kurz die Augen, atmete tief ein und langsam aus und vergaß die vielen „wenn“. Er war nun einmal hier und musste schauen, wie er wieder aus dieser Sache kam um die anderen zu finden.
„Was werdet Ihr jetzt machen?“ erklang wieder die Stimme des Barons. Agenor zuckte die Schultern und meinte – noch immer gedankenversunken:
„Keine Ahnung. Sagt das Ihr mir!“
„Wie wäre es mit einer Runde Schwertkampf? Oder etwas Bogenschießen, wenn Ihr schon nichts essen wollt?“
„Meine Leute warten auf mich, aber vielen Dank für das Angebot“, erwiderte Agenor und suchte mit seinen Blicken den kürzesten Weg zur Türe.
„Ihr könnt auch mit mir um die Wette trinken“, schlug erneut der dunkle Baron vor und grinste.
„Ich trinke nicht so gerne unbekannten Wein. Ausserdem warten meine Freunde auf mich“ sagte Agenor und wischte sich über die Stirne. Obwohl es nicht besonders warm im Raum war, stand ihm Schweiß auf der Stirn.
„Oho! Ich sehe Ihr trinkt nicht, auch wollt Ihr euch mit mir nicht schlagen oder kämpfen.Was seid ihr? Ein Feigling?“
Das war Agenor nun doch zu dumm. Mit einer fließenden Bewegung griff er nach einem der Kurzschwerter, die in seiner Nähe auf dem Tisch lagen und nahm Kampfstellung.
„Aha! Ihr benötigt also etwas Aufmunterung!“ sagte der Baron und griff ebenfalls nach einem Schwert. Ohne dass es Agenor bemerkte, ging der Baron sogleich zum Angriff über und wäre Agenor nicht unabsichtlich einen Schritt beiseite gesprungen, läge er sicher bereits in seinem Blute am Boden. So aber schlug das nieder sausende Schwert des Ritters nur eine Ecke des Tisches ab und wurde ihm aus der Hand geprellt. Agenor senkte seine Waffe, denn er wollte dass gleiche Bedingungen herrschten. Der Baron schaute ihn erstaunt an, dann hob er das Schwert auf und … ließ es gleich darauf wieder sinken.
„Warum kämpft Ihr nicht? Doch ein Feigling?“
„Nehmt Aufstellung, Herr und redet nicht so viel. Vor allem nicht über Dinge, die Ihr nicht versteht!“ sagte Agenor und hob erneut seine Waffe.
Cedrik hatte ein ungutes Gefühl, denn Agenor war noch immer im Turm. Insgeheim fragte sich der Jungmagier, welche Art von Prüfung die Gefährten durchstehen mussten und welche Art ihn an die Grenzen seines Können oder Wissens bringen würde. Noch immer lag der Magieschirm über der Turmtüre und der Wächter sah hin und wieder mit einem nachdenklichen Ausdruck zu Cedrik. Dieser stützte sich mit den Ellbogen auf seine Knie, die er hochgezogen hatte, um es sich vor dem Turm bequem zu machen. Es war auffallend still, kein noch so leiser Vogelruf erschallte, aber auch der leichte Wind schien eingeschlafen. Cedrik kam sich vor wie in einem Bild, wo alles Leben nur aus Farbe und Pinselstrichen bestand. Seine Gedanken liefen zu Catyua und er fragte sich, ob es ihr gut geht. Wahrscheinlich schon, sonst hätte er es tief in sich bestimmt gespürt, wenn sie und die anderen in Gefahr wären.
„Glaubt Ihr, dauert es noch lange, ehe ich meinen Teil des Wegezolls erledigen kann?“, fragte Cedrik und erhob sich.
„Nun, es dauert so lange, wie es eben dauert. Geduld ist wohl nicht deine Stärke, Halbelf, oder?“ sagte der Turmwächter und grinste. Cedrik konnte es nicht ausstehen, dass er immer wieder als „Halbelf“ tituliert wird und meinte daraufhin:
„Mein Name ist Cedrik, nicht Halbelf“.
„Schöner Name, Halbelf. Erwarte jetzt nicht von mir, dass ich mich entschuldige!“
„Wenn Ihr höflich wäret, solltet ihr das tun“, erwiderte Cedrik und fühlte Ärger in sich aufsteigen.
„Wer sagt dir, dass ich höflich bin?“
„Nun, das seid Ihr ja auch nicht.“ Cedrik senkte den Blick, dann meinte er noch: „Lassen wir diesen Wortstreit bitte, ich hätte nicht so ungeduldig sein sollen. Und ein Teil der Unhöflichkeit lag ja auch bei mir!“
Der Turmwächter nickte und bedeutete mit einer seiner Hände Cedrik an, er könne sich jetzt zum Turm begeben. Cedrik schaute unwillkürlich hin und sah, dass der Magieschirm erloschen war, während er mit dem Wächter diskutiert hatte. Wie unter einem geheimen Zwang setzte er sich in Bewegung und streckte seinen rechten Arm aus, um die Türe zu öffnen, kaum stand er dicht davor, als diese wie durch Geisterhand selbst aufglitt.
Hieb folgte auf Hieb und Agenor hatte wirklich alle Hände voll zu tun, die Schläge des Barons abzuwehren. Obwohl er eigentlich ein ganz guter Kämpfer war, schien der andere immer ein kleines Stück besser zu sein. Langsam merkte der Krieger, wie seine Schläge langsamer wurden und die Kraft welche noch zu Beginn des Kampfes dahinter gesteckt hatte von mal zu mal mehr erlahmte. Schließlich stand Agenor mit dem Rücken gegen die Wand gepresst und sein Atem ging heftig. So elend und schwach hatte er sich schon lange nicht gefühlt. Nicht einmal als die Feuergeister oder die Drachenfliegen angegriffen hatten. Es schien Agenor, als wäre in dem Raum etwas oder jemand, der ihm die Kraft aussaugte. Agenor ahnte, dass würde er jetzt hier besiegt werden, die Gefährten nicht mehr sehen und auch seine Familie wäre für immer für ihn verloren. Der dunkle Baron machte einen Ausfallschritt und hob das Schwert. Agenor schloss kurz die Augen, er erwartete den letzten Streich, der ihn töten würde. Ein Klirren ließ ihn die Augen wieder aufreißen. Was er sah, war unmöglich.Der Baron lag am Boden und durch die Rüstung, die ihn sehr behinderte kämpfte er mit aller Macht um aufzustehen. Scheinbar war auf dem Boden, wo der Baron noch eben stand ein winziges Stück Fett der Wildschweinkeule gespritzt und hatte den Eisenschuh zum Rutschen gebracht. Kurz dachte Agenor daran, dass jetzt der beste Augenblick war, diesen unsinnigen Kampf zum Ende zu bringen. Schon erhob er sein Schwert um es auf den unbedeckten Schädel des Barons nieder sausen zu lassen, doch in diesem Moment schaute der Baron hoch und Agenor sah in dessen dunklen Augen starke Panik aufkeimen. Der Baron stellte seine hektischen Bewegungen ein und sagte mit einer heiseren Stimme:
„Jetzt ist die beste Gelegenheit, mir den Garaus zu machen. Schlagt zu und zeigt welch eine Art von Kämpfer Ihr seid!“
Agenor hob sein Schwert noch ein winziges Stück höher, dann schüttelte er den Kopf und ließ das Eisen fallen. Er streckte seine rechte Hand aus um dem Gefallenen auf zu helfen. Dieser sah erst erstaunt die Hand Agenors an, dann ihn selbst um schließlich – als traue er noch nicht diesem Angebot – seine eigene Hand auszustrecken um die von Agenor zu ergreifen. Agenor zog ihn hoch und ließ gleich darauf dessen Hand los. Nun lag es an dem Baron wie dieser sich entscheiden würde. Würde er seinen derzeitigen Vorteil ergreifen und Agenor verletzen oder gar töten oder würde er Großmut walten lassen und Agenor in Frieden ziehen lassen?
„Warum habt Ihr das getan? Ihr wart doch im Vorteil?“ fragte der Baron und wischte sich mit einer Hand über die Schweiß glänzende Stirn.
„Ich kämpfe nicht gegen einen Mann am Boden. Ich bin kein Meuchelmörder sondern ein ehrenhafter Krieger!“ sagte Agenor und überließ sich weiterhin dem Willen des Barons. Dieser schaute lange Zeit in Agenors Gesicht, als suche er etwas darin. Schließlich nickte er und meinte, zwei Schritte zurück gehend:
„Ja, das seid Ihr! Ich bin geehrt, mit Euch gekämpft zu haben. Ich wünsche Euch für Euren weiteren Weg alles Gute und viel Glück. Ich werde mich immer an Euch und Euren Mut aber auch an Eure Ehrenhaftigkeit erinnern!“
Ehe Agenor etwas erwidern konnte, zog es wie ein Nebel über seine Augen und als er das nächste Mal wieder schärfer sah, stand Assasina vor ihm und schaute ihm neugierig ins Gesicht. Erst jetzt merkte Agenor, dass er sich nicht mehr im Turm, sondern in einer Wüstenartigen Gegend befand. Verschwunden der Raum mit den Rüstungen, verschwunden auch das Schwert am Boden und verschwunden der Baron.
„Ist alles gut?“ fragte die Elfe und Agenor nickte, ja jetzt war alles gut.
Hinter der Türe befand sich ein großer Saal in dem allerhand Gesteinsbrocken aber auch Schutt am Boden lagen. Ein halb zerfallener Thron stand an einer der Seitenwände und darauf saß jemand in einer ziemlich rostigen Rüstung. Der Schädel des Mannes in der Rüstung trug statt eines Helmes nur schütteres Haar und das Gesicht darunter war von zahllosen Runzeln und verschorften Wunden übersät. Etwas an dem Mann kam Cedrik bekannt vor also trat er in den Raum und hinter sich hörte er mit einem lauten Knall die Türe zu fallen. Er wandte sich nicht um, denn die Neugierde auf den Fremden war stärker. Langsam und irgendwie vorsichtig ging der Jungmagier näher und stand endlich vor dem Mann. Dieser hob nun den Kopf und schaute Cedrik mit trüben Augen an. In diesen Augen schwammen wie hinter einem grauen Nebel helle Pünktchen und mit etwas Fantasie konnte man deren Farbe in jungen Jahren als Gold einstufen. Ein leichtes Grinsen verzog die welken Lippen des Mannes und er sagte mit heiserer Stimme:
„Ich habe schon lange auf dich gewartet, Junge!“
Cedrik fühlte sich unangenehm berührt, denn obwohl ihm der Mann bekannt vorkam wusste er nicht wirklich, wer er war.
„Ihr habt schon lange auf mich …?“
„... gewartet, ja. Sagte ich doch eben. Hat dich der alte Fulkhurx aufgehalten? Und wo hast du Sternenlicht? Geht es ihm gut?“
„Ihr kennt Fulkhurx und auch Sternenlicht?“ Cedrik war erstaunt. Fulkhurx war sicher vielen bekannt, denn dieser war schon lange ein bekannter Zauberer, doch warum kannte der Fremde auch Sternenlicht? Ehe er fragen konnte stand der alte Mann vom Thron auf und schwankte kurz. Sofort griff Cedrik zu und unterstützte ihn. Der Mann schüttelte Cedriks Arm ab und schien von einer unheimlichen Stärke plötzlich eingeholt zu werden
„Ich ahne, dass du keinen Schimmer hast, wer ich bin. Habe ich recht Junge? So jung noch und auch so anders. Ich fühle, dass du stark bist. Stärker als ich in deiner Jugend.“
„Das ist nicht verwunderlich, denn ich bin jünger als Ihr es jetzt seid.“ Cedrik runzelte die Stirn, denn der Unbekannte kam ihm nicht ganz geheuer vor.
„Du kennst aber diesen Saal?“
„Ja, Herr, das mache ich. Auf diesem Thron saßen die beiden Prinzlichen ehe Assasina mich dazu drängte, den Zauber der über die beiden lag um sie vor unseren Blicken zu verbergen, zu beenden. In dem Augenblick lernte ich mehr, als mir Fulkhurx bis dahin beigebracht hatte!“
„Wie lange habe ich diesen Namen nicht mehr gehört? Assasina, die feurige Elfe mit dem Sonnenmal!“ So etwas wie eine leise Sehnsucht schien in der Greisenstimme aufgetaucht zu sein. „Wie geht es ihr? Hast du Kunde von ihr?“
„Sie wartet mit den anderen auf mich. Wer seid Ihr?“ Cedrik war durcheinander aber auch schockiert, dass Assasina dem Unbekannten bekannt war. Kurz dachte er daran wie ihm die Elfe vor langer Zeit erzählt hatte, sie wäre 200 Jahre alt. Nun konnte er es sich schon eher vorstellen beim Anblick des alten Mannes vor ihm. Dieser war sicher auch so um die 100, wenn nicht noch mehr.
„Hast du es noch immer nicht begriffen? Das hieße ja, dass ich in all den Jahren nicht viel gelernt habe. Ich bin du und du bist ich!“
„Was? Wieso?“ Cedrik starrte den anderen groß an. Dieser grinste erneut und mit einer unnachahmlichen Handbewegung strich er sich eine der dünnen Haarsträhnen hinter seine Ohren zurück. Unwillkürlich vollführte Cedrik die gleiche Bewegung. Der andere, der eben behauptet hatte, Cedrik zu sein zuckte seine Schultern und verzog das Gesicht als ein Teil seiner Rüstung sich vom Riemen löste und mit einem lauten Scheppern zu Boden fiel.
„Alles ist in Auflösung begriffen. Das Metall ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Weißt du noch, wie wir die Gruppe damals verließen und Assasina uns wieder zurück holte? Wie sie ihre weichen Lippen auf die unseren gepresst hatte um uns den Verstand weg zu küssen? Was für ein Wesen!“ Beinahe schien es Cedrik, als würden die Augen des anderen Cedriks zu leuchten beginnen. Ja, er konnte sich daran erinnern und kurz wallte ein Gefühl in ihm hoch, doch gleich darauf sah er wieder diese unglaublichen Augen Catyuas vor sich und das Gefühl verschwand.
„Assasina ist ganz okay! Aber mein Herz und meine Seele gehören jetzt Catyua!“
„Wen?“
„Catyua, die junge Albin.“
Die runzlige Stirn des alten Cedrik legte sich in tiefe Falten, als er nachdachte, wen der junge Cedrik meinte. Dann schüttelte er den Kopf und meinte:
„Ich weiß nicht von wem du sprichst. War diese Catyua auch bei der Gruppe? Da gab es Assasina, dann die drei Zwerge, die mir immer unheimlich waren. Dann auch den einen Krieger mit seinen Männern, wie war doch gleich sein Name?“
„Agenor“ erwiderte Cedrik. Vor seinem geistigen Auge erstanden die Gruppenmitglieder wieder so, wie sie einst waren. So viel war passiert inzwischen.
„Ja richtig, der gute Agenor. Dann gab es noch die unheimliche Rutaara, die sich immer mit unserer Assasina stritt. Ach … ach ja, da gab es noch jemand, ein junges Mädchen, ein Kind fast noch.“
„Catyua, meine Gefährtin!“
Die Brauen des alten Cedrik hoben sich. Doch er sagte nichts. Cedrik senkte kurz den Blick, dann hob er ihn wieder und fragte sein altes Ego:
„Wo ist Sternenlicht? Hast du Fulkhurx von seinem Fluch befreit?“
„Ich habe Fulkhurx nicht wieder gesehen. Als ich endlich zu Fuß zu Hause war, war Fulkhurx verschwunden. Niemand wusste wohin. Im AUGE sah ich mich, wie ich zum Schloss zurückkehre. Aber es dauerte einige Zeit bis ich wieder ein anständiges Reittier hatte. Einige Male musste ich Votan ausweichen, der mich suchte und der Feuersumpf hatte eine weitere Ausdehnung erfahren. Es war nicht leicht, hier her zurück zu kehren. Und seit dieser Zeit warte ich auf dich. Noch einmal würde ich Sternenlicht sehen und ihn anfassen.“
„Was ist mit Sternenlicht?“ fragte Cedrik und spürte ein innerliches Zittern. Er spürte einen scharfen Stich tief drinnen in sich als er die Tränen sah, die dem alten Cedrik über die faltigen Wangen liefen.
„Er fand ein trauriges Ende am Feuersumpf. Einer der Feuergeister hat unser Einhorn auf dem nicht vorhandenen Gewissen. Dämonen haben uns danach überfallen und einer hat uns alle gefangen, ich konnte jedoch entkommen. Wie gerne würde ich diesen Teil meines Lebens löschen und ihm eine andere Wendung geben!“
Cedrik war zusammen gezuckt. Sternenlicht war tot? Nein, Sternenlicht vom alten Cedrik vor ihm lebte nicht mehr, sein eigenes Einhorn jedoch schon. Langsam verwirrte das alles Cedrik. Doch etwas, was der alte Cedrik ihm gesagt hatte, war in seinem Gedächtnis hängen geblieben.
„Meinst du, das ginge dass du deinem bisherigen Schicksal eine Wendung geben könntest? Hast du diesen Zauber gelernt?“
„Nein, diesen Zauber kann man nicht lernen. Aber du könntest mir dabei helfen.“
„Wie soll das gehen?“ Cedrik hatte noch nie davon gehört, dass man sein Schicksal mit sich selbst ändern konnte. Aber er hatte auch nicht gewusst, dass man mit sich selbst sprechen kann. Weit in seinem Kopfhintergrund ahnte er, dass er noch immer im Magieturm war und das alles hier eigentlich nicht wirklich erlebte.
„Ich habe so wenig Ahnung wie du. Vielleicht musst du mir alle deine Abenteuer erzählen oder Sternenlicht zu mir führen. Dass er mit seinem Horn mithelfen könnte.“
„Sternenlicht ist nicht bei mir, sondern bei den Gefährten. Und wo die sind weiß ich nicht. Aber ich habe Mitleid mit dir oder eigentlich mit mir. Ich fühle deine … unsere Trauer tief in uns. Lass mich dich umarmen, denn du tust mir echt leid.“ Cedrik streckte seine Arme aus und war überrascht, als der alte Cedrik einen erschrockenen Schritt zurück machte.
„Musst du mich dabei töten?“
„Nein, ich möchte dich nur in den Arm nehmen um deine Trauer in dir leichter zu machen. Oder eigentlich in mir … äh uns!“
„Du bist stark geworden, junger Cedrik. Macht das wohl diese Catyua, von der du meinst, dass sie dein Herz und deine Seele besitzt? Ja, ich fühle, dass du deine Stärke daraus ziehst. Was ist, wenn du mich umarmst und wir beide verschwinden?“
Cedrik zögerte keinen Moment, machte einen Schritt nach vorne und zog den alten Cedrik an sich.
„Dann weißt du, was das für ein Gefühl ist Herz, Geist und Seele mit Catyua vereint zu haben. Du bist nie mehr allein, auch wenn du allein bist.“
Der alte Cedrik wehrte sich kurz gegen die Umarmung, dann jedoch entspannte er sich und … war von einem Moment zum anderen verschwunden.
„Wo warst du so lange? Es wird Zeit weiter zu gehen. Mann, dass wir immer so lange auf dich warten müssen!“
Cedrik hätte beinahe gejubelt, als Assasinas Stimme an seine Ohren brandete. Erst jetzt erkannte er seine Umgebung. Die anderen Gruppenmitglieder warteten in einem lockeren Kreis um ihn auf sein Erscheinen und der eine oder andere war bereit aufzubrechen. Cedrik hustete kurz, als ein Staubschleier in seine Kehle von einem leichten Wind getrieben wurde.
„Wo sind wir?“
Die Feenwiese
Jeder der Anwesenden versuchte nun Cedrik zu erklären, dass auch er es geschafft hatte, den Turm zu besiegen. Nur langsam dämmerte es dem Jungmagier was ihm da an den Kopf geworfen wurde. Er befand sich wie die Anderen auf der Feenwiese. Er hatte sich diese Wiese etwas anders vorgestellt als sie nun tatsächlich war. Es schien sich bei dieser seltsamen „Wiese“ um eine Wüste zu handeln. Sanddünen wechselten sich mit zahlreichen Sandflächen ab und hier und dort krabbelten schwarze und auch gelbe Käfer mit befiederten Fühlern aus dem Sand. Verharrten kurz und klopften mit ihrem Hinterleib auf den Boden. Das gab ein tickendes Geräusch. Dann liefen sie wieder weiter und gruben sich im nächsten Sandhügel ein.
Sternenlicht schnaubte kurz als er bemerkte dass Cedrik wieder aufgetaucht war und machte sich auf den Weg zu ihm. Er stupste ihn sacht an und zog seine Lefzen hoch als Cedrik darauf reagierte und eine Hand auf den Kopf seines Einhorns legte. Es sah aus als würde Sternenlicht zufrieden grinsen.
Assasina schnalzte ungeduldig mit den Fingern und meinte:
„Ich finde, wir haben uns lange genug hier aufgehalten, wir sollten weiter gehen. Dieser Teil der Feenwiese ist nicht ganz so wie ich ihn kenne. Einst gab es hier duftende Blumen und diese beherbergten zahlreiche Feen. Allerdings keine so süßen Dinger wie man sie kennt, sondern boshafte Viecher. Sie machten sich meist einen Spaß Wanderer zu ärgern. Ihre Flügel hatten Stacheln und ihre Fühler waren wie Hörner.“
Mit etwas unruhigem Blick sah sich Assasina um, als würde sie schon eine der bösartigen Wesen ganz nah bei sich vermuten. Sie zwinkerte mit den Augen als ein schwacher Windstoß ihr Sand hinein trieb. Ein schwirrendes Geräusch ließ sie zusammen zucken. Assasina fand, dass sie besser von hier verschwand, denn obwohl sie keine wirkliche Angst empfand, hatte sie doch ein ungutes Gefühl.
Rutaara packte ihre Sachen zusammen und machte sich Reise bereit. Sie schlang sich ihren Umhang etwas enger und warf einen schnellen Blick zu Cedrik und Sternenlicht. Obwohl der junge Magier nicht anders aussah als vorher, hatte sich für ihr Gefühl etwas verändert. Er schien älter geworden zu sein. Älter, aber auch weiser? Nun man würde sehen. Jetzt war jedenfalls wichtig so rasch als möglich diese Wüste, die unter einem schöneren Namen bekannt war zu verlassen um endlich die letzte Wegstrecke in Angriff zu nehmen. Mit einem Blick zu Lyrael nickte die Elbin. Auch ihr Gefährte war bereit. Innerlich sagte sie sich den Namen jener Hexe vor, die noch übrig war um vielleicht Lyrael seine wahre Gestalt zurück zu geben – Nemesis.
Agenor winkte seinen Männern und diese gehorchten. Sie nahmen Aufstellung während zwei der Krieger sich zu den Pferden begaben, um sie zu leiten. Agenor hob seine rechte Hand und fuhr sich durch seinen Bart. Bei der nächsten Rast würde er ihn sich abscheren. Auch wenn kein Wasser in der Nähe sein sollte. Das ginge doch nicht an, dass Agenor wie ein Räuberhauptmann aussah. Er war ein Krieger und kein Wilder. Allerdings hätte er gerne gewusst, wie lange sie durch den Canon gegangen waren, dass sich so eine Wildnis in seinem Gesicht ansiedeln konnte. Auch sein Haupthaar war gewachsen, doch das schmückte ihn eher als dieser Bart. Mit einem schnellen Rundumblick versuchte Agenor zu erkennen, ob Gefahr drohte. Denn dass sie bisher in Ruhe gelassen worden waren verwunderte ihn schon etwas. Er zuckte zusammen, als ein Schwirren hörbar wurde. Also doch nicht so ganz alleine, dachte er.
Catyua verspürte tiefe Trauer in sich hochsteigen als sie noch immer keinen Cedrik sah. Doch diese Trauer verwandelte sich sofort in helle Freude als er endlich auftauchte. Er sah seltsam verwirrt aber auch etwas älter aus. Obwohl es sicher keine Jahre waren, die sie hier auf ihn gewartet hatte. Sie begab sich langsam zu ihm und Sternenlicht der Cedrik eben angrinste. Sie hatte noch nie ein Einhorn grinsen gesehen. Aber Sternenlicht war ja auch nicht irgendein Einhorn.
„Du hast lange gebraucht!“ sagte Catyua und legte eine Hand leicht auf Cedriks Schulter als sich dieser umwandte. Kurz glaubte Catyua in Cedriks wunderschönen Augen etwas zu sehen, doch gleich darauf war dieses Etwas verschwunden und die Goldpunkte in Cedriks Augen leuchteten auf. Der Jungmagier breitete seine Arme aus und sie stürzte sich hinein. Erst als sich seine Arme um sie schlossen war sie wieder zufrieden. Beinahe überhörte sie ein nachfolgendes Geräusch, das wie ein Schwirren klang.
Cedrik musste das Grinsen seines Einhorn unwillkürlich erwidern. Er ließ seine Hand über den Beutel gleiten in dem seine Besitztümer waren. Über die Riemen, welche den Stab mit dem Ambarin hielten und danach überprüfte er ob Sternenlicht auch sonst keine Blessuren oder verdeckte Wunden hatte. Erst danach nahm er seine Hand wieder weg und hätte beinahe einen erschrockenen Sprung beiseite gemacht, als eine Stimme plötzlich hinter ihm sagte:
„Du hast lange gebraucht!“ Sein Herzschlag beruhigte sich nur langsam und nur langsam konnte er auch wieder schlucken. Denn der Schreck hatte ihm den Mund ausgetrocknet. Er wandte sich um und war auf alles gefasst. Doch nur Catyua stand vor ihm und er atmete erleichtert auf. Kurz glaubte er in sich ein belustigtes Kichern zu hören, doch er war sich nicht sicher, ob das nicht von seinen doch etwas gereizten Nerven kam. Also breitete er seine Arme aus und schloss sie rasch über Catyua, die sich beinahe an seine Brust warf. Er senkte den Blick und wieder einmal glaubte er in Catyuas Meeresaugen zu ertrinken. Doch diesmal war es ihm ganz recht und er hätte noch lange so stehen können, wenn nicht irgendwo ein Schwirren hörbar geworden wäre, das ihn fatal an die vor kurzer Zeit gemachte Bekanntschaft mit den Feuerfliegen erinnert hätte. Cedriks Blick löste sich nur widerwillig aus dem Catyuas. Doch sollten tatsächlich diese Biester hier wieder erscheinen war es sicher gut, gewappnet und bereit zu sein.
Endlich setzten sich die Krieger Agenors in Bewegung, nachdem sie mit schnellen Handgriffen die Zelte wieder abgebaut hatten und die beiden Prinzlichen schienen ebenso erleichtert sein. Auch wenn sie wieder auf eines der Pferde gebunden waren. Der Prinz hatte seine Gemahlin vor sich sitzen und seine Arme um ihre Hüfte geschlungen. Jemand hatte ihm eine Decke über den Rücken gehängt, obwohl es in dieser Gegend alles anderes als kalt oder kühl war. Nein, es war eher heiß. Aber der Prinz machte keinerlei Anstalten die Decke von sich zu werfen.
Agenor warf einen weiteren Blick in die Runde, doch das Schwirren war verstummt und soweit er erkennen konnte, war ausser ihm, seinen Männern und der kleinen Gruppe der Gefährten niemand zu sehen. Eine neuerliche Böe trieb kleine Sandtrichter vor sich her. Kurz zögerte Agenor, dann holte er sein Sacktuch aus seiner Hosentasche und band es sich über Nase und Mund. Es war sicher kein schöner Tod an Sand zu ersticken. Dann wandte er sich um und bemerkte, dass auch seine Mitreisenden Vorkehrung getroffen hatten, einen eventuellen Sandsturm zu überstehen, ohne dass böses passierte.
Assasina holte sich aus ihrem Reisebeutel ein weiches Tuch hervor und band sich dieses vor das Gesicht. Nur die Augen blieben frei und gleich darauf setzte sie sich ebenfalls in Bewegung. Sie hätte nicht sagen können, was ihr lieber war. Dieser sandige Wind oder die bösartigen Feen mit ihren Streichen. Kurz griff sie sich an die Seite, wo sie die Sandrose verstaut hatte und hätte gerne gewusst, warum sie gerade dieses Sandgewächs mit sich genommen hatte. Doch einen Grund hatte es sicher. Davon war Assasina überzeugt. Sie schloss zu Rutaara auf, die sich ebenfalls langsam in Bewegung gesetzt hatte um sich bei ihr einzuhaken. Erstaunt sah Rutaara sie an, ließ es aber dann zu.
Rutaara versuchte seit wenigen Minuten sich zu erinnern, was sie im Turm erlebt hatte, doch es wollte ihr nicht gelingen. Ein Schnarren ließ sie etwas zögern, doch sicher war dies nur ein Geräusch, das in dieser Wüste hier sicher normal war. Einer der schwarzen Käfer klopfte wieder dicht vor ihrem Fuß auf den Sandboden, welcher ein Klickgeräusch hervor rief und schlüpfte gleich darauf unter den Sand. Er war so rasch darunter eingegraben, als hätte es ihn nie gegeben. Die Dunkelelbin folgte dem Beispiel Agenors und wand sich ein Tuch über ihren Kopf und das Gesicht, so dass nur noch die Augen frei waren. Jetzt wünschte sie sich eine Vorrichtung für die Augen um den immer wieder hinein wehenden Sand abzuhalten. Da sie dies nicht besaß, musste sie ihre Augen halb schließen um einen Wimpernwall zu machen und so den Sand abzuhalten, ihre Augen zu füllen. Der Wind hatte weiter aufgefrischt und Rutaara setzte ihre Schritte etwas schneller. Sie war nur etwas irritiert als sich Assasina neben sie begab und sich einhakte, als wäre sie die allerbeste Freundin.
Cedrik holte eine Decke aus seinem Beutel und legte sie sich um seine Schultern Mit einer Handbewegung zeigte er Catyua an, dass sie sich mit darunter verstecken sollte und so versuchte er den Sand davon abzuhalten selbst in die winzigsten Ritzen seiner Kleidung zu kriechen. Dass er Augen, Nase und auch Ohren füllte, konnte er zur Zeit wenig verhindern. Einige Augenblicke lang bewunderte er die Geschicklichkeit von Agenors Männer die aufgestellten Unterstände mit wenigen Handgriffen wieder abzubauen und sie zu verstauen, dann jedoch konzentrierte er sich darauf den Anschluss an Sternenlicht, der einige Schritte vor ihm ging nicht zu verlieren.
Wachsame Augen, verborgen hinter dunklen Sandblättchen, beobachteten die Reisenden. Zischende und klickende Laute verließen Trompetenartig geformte Münder und dünne Stäbe aus Kaktusstacheln gemacht wurden in der Wind durchwehten Luft geschwungen. Sandmenschen waren auf die Gruppe aufmerksam geworden. Sie waren hinter allem her, das sich auf irgend eine Art verwerten aber auch tauschen ließ. Pferde standen nicht so hoch im Kurs als Sandkamele. Aber ein altes Sprichwort der Sandmenschen besagte:
„Wenn die Not das Kamel frisst, so kann man sich auch den Bauch mit anderen Vierfüßlern füllen“.
Die Wesen hatten Netz förmige Kleider an die aus den Blüten der Sandkakteen gemacht wurden und an ihren vielzehigen Füßen saßen breite Schlappen aus versteinertem Flugsand. Es war nur eine kleine Gruppe von Sandmenschen die auf Beutezug gegangen war. Ihre Windschlitten hatten sie hinter einer der höheren Sanddünen versteckt. Ihr Wüstendorf lag eine Tagesreise weit weg und war mit ihren leichten und schnellen Windschlitten bequem zu erreichen. Wieder schwang einer der Sandmenschen seine Stachelpeitsche hoch über seinem Kopf und ein schwirrendes Geräusch ertönte. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Eine weitere Gruppe von Beutemachern näherte sich. Das Jagdglück war ihnen heute besonders hold.
Langsam wurde der Wind stärker und kleine aber auch größere Sandwirbel zogen vor der Gruppe her. Inzwischen hatten sich alle der reisenden gegen die eindringenden Sandkörner gewappnet. Es passierte natürlich hier und dort, dass Sand unter die Mäntel und Tücher drang und sogar bis zur Haut vordrang. Dort rieben sie wie Schmirgelpapier und brachten diese Stellen dazu erst sich zu röten, dann aber ungemütlich zu schmerzen. Einer der Krieger Agenors griff sich immer wieder unter sein ledernes Wams und versuchte die eingedrungenen Sandkörner zu entfernen. Er dachte daran, was die alten Sagen erzählten, dass früher hier eine Wiese gewesen war zwar mit bösen Feenwesen bewohnt, aber wenigstens ohne Sand. Er zwinkerte mit den Augen als wieder einmal Sand hinein geweht wurde. Kurz blieb er stehen um sich die Augen auszuwischen, als plötzlich etwas unverhofft ihn beiseite stieß und er gleich darauf mit dem rechten Fuß auf einen Sandtrichter trat. Er spürte noch dass ihn etwas bei diesem Fuß packte und ihn nach unten ziehen wollte. Unwillkürlich griff er nach seinem Schwert, doch es war nicht mehr dort, wohin er es gepackt hatte. Und dann wurde es dunkel um ihn, er hatte das Gefühl als würde der Boden hoch gehoben und sich gleich darauf über seinen Kopf zu stülpen und dann … nichts mehr. Der Wind verwischte den Trichter und löschte das Geschehen aus, ehe die anderen etwas davon bemerkten.
Agenor brummte in seinen Bart. Er war ärgerlich, denn Sand drang in alle Ritzen seiner Kleidung ein und machte das Gehen schmerzhaft. Da waren ja Feinde aus Fleisch und Blut noch auszuhalten als dieser schlüpfrige Sand. Langsam fand er es an der Zeit, dass seine Männer ein Sand-dichtes Lager aufschlagen könnten, wo sie diesen Sturm abwarten könnten. Von der Geburt dieses Gedanken bis zu seiner Ausführung waren es nur noch wenige Augenblicke. Agenor hob seine rechte Hand, ballte die Finger zur Faust und rief so laut er konnte:
„Wir schlagen hier ein Lager auf, warten bis dieser verdammte Sturm aufhört und gehen erst dann weiter!“ Zwei seiner Männer waren schon dabei die erforderlichen Sachen von den Packpferden zu holen, kaum hatte Agenor begonnen seinen Vorschlag zu machen. Sie waren ein eingespieltes Team, das wusste Agenor und war stolz auf seine Männer. Kurz überlegte er, dass sich jeder von ihnen eine besondere Prämie erarbeitet hatte, doch ließ er diesen Gedanken wieder fallen, denn die beiden hatten ihre liebe Not mit dem halb von den Riemen befreiten Zelt, weil immer wieder der Wind darunter fuhr und die Stoffbahnen hoch riss. Wieder erklang das Schwirren und diesmal war es näher. Kurz fragte sich Agenor was es wohl zu bedeuten hatte, doch auch diesen Gedanken ließ er fallen, half lieber mit endlich die Riemen zu lösen und die Stoffbahnen auseinander zu ziehen. Es dauerte länger als sonst, bis wenigstens ein Teil des Zeltes stand und im Sand verankert war.
Assasina zog ihren Arm aus Rutaaras Griff und versuchte den Sandschleier mit ihren Blicken zu durchdringen. Die letzten Momente hatte der Wind aufgefrischt und der Wind hatte zugenommen. Selbst mit dem Tuch vor dem Gesicht drang der Sand ein und legte sich dort hin, wo er garantiert nichts zu suchen hatte. Da Assasina ihre Lederrüstung trug, hatte der Sand viel Hautfläche zur Verfügung, was er auch weidlich ausnutzte. Bald gab es keine Stelle mehr, wo er nicht scheuerte und rieb. Und so war die Kampfelfe ganz froh, als sie Agenors Angebot vernahm. Sie schaute einige Minuten den Versuchen zu, so rasch als möglich die Zeltbahnen von den Packpferden zu bekommen. Dann jedoch begab sie sich zu den Kriegern und zu Agenor, griff ohne ein weiteres Wort zu verlieren zu und half mit. Hätte sie dieser Wind und vor allem der Sand nicht so genervt, hätte sie sicher gewartet, bis das Zelt stand. Denn diesmal würde es ein Gemeinschaftszelt werden. Sie runzelte kurz die Stirn, als ein erneutes Schwirren erklang, doch kümmerte sich nicht darum. Es war schwer genug gegen den stärker gewordenen Wind mit dem herum flatternden Stoff zu kämpfen. Vor allem wo auch die beiden Rösser nicht gerade die Geduldigsten waren. Wahrscheinlich scheuerte der Sand auch ihre Haut – und noch ganz andere Sachen.
Rutaara war erst erstaunt, als Assasina sich aus ihrem Griff wand doch sagte sie nichts dazu. Immer wieder musste sie ihren Umhang enger nehmen, denn der Sand fand die kleinste Ritze. Kurz sah die Dunkelelbe zu ihrem Gefährten nieder. Lyrael hatte die Ohren angelegt und die Augen zu schmalen Schlitzen geschlossen. Er duckte sich beinahe bis zum Boden, stemmte sich gegen Wind, der schon eher die Stärke eines Sturms bekommen hatte und vor allem gegen den Sand. Ihm stand keine Kleidung aber auch keine Hände zur Verfügung um den Sand abzuwehren. Eben wollte sie zu Agenor gehen, um ihm den Vorschlag zu machen, den stärksten Sandsturm abzuwarten, als dieser bereits von sich aus davon sprach, ein Zelt aufzuschlagen um in ihm Sicherheit und Unterstand zu suchen. Erstaunt sah Rutaara wie Assasina zu Agenor ging und mit ihm und zweier seiner Männer half die Zeltbahnen samt Stangen von den Riemen zu befreien. Das hätte sie sich nicht gedacht, dass die Elfe solchen Dienst machen würde. Wahrscheinlich hatte sie jedoch genug, immer wieder mit eingedrungenem Sand zu kämpfen. Dabei hatte der Sturm und der Sand bei der Elfe die besten Angriffsflächen. Kurz sah Rutaara zu Cedrik hin, den sie nur schwach durch den Sandschleier sehen konnte. Warum griff der Magier nicht ein? Weil es sich um ein natürliches Phänomen handelte? Aber da hätte er ja auch einen Schirm errichten können, der wenigstens den größten Teil des Sandes von der Gruppe weg lenkte.
Cedrik und Catyua gingen eng umschlungen durch den stärker gewordenen Sturm und versuchten dem Sand so wenig als möglich Angriffsfläche zu bieten. Cedrik hatte bereits einige Male versucht, die Kraft in sich zu aktivieren um den Sturm oder besser noch den Sand abzuwehren. Doch in ihm war es zur Zeit so still, als hätte er niemals Magie besessen. Er versuchte durch die Sandschleier zu sehen, ob nicht irgendwo in der Nähe etwas war, das man zu einem Schutz oder Unterstand verwerten konnte. Doch ausser den Sandschleiern, hier und da einigen Sandtrichtern, die sich öffneten und wieder verschwanden war nichts zu erkennen. Kurz glaubte er, einen Schrei zu vernehmen, doch er hatte sich sicher getäuscht. Das Rauschen der Sandkörner und das Singen des Sturmes konnte die Sinne schon verwirren. Nach einer gefühlten Ewigkeit drang Agenors Stimme an sein Ohr, doch was dieser schrie, konnte er wegen des Lärms den Sand und Sturm machten nicht verstehen. Er merkte nur, dass die Männer von Agenor nicht mehr weiter gingen, denn langsam kamen er und Catyua näher. Und nun sah er auch, warum gehalten worden war. Agenor und ein Teil seiner Krieger begannen gegen die Gewalt des Sturmes kämpfend ein Zelt zu errichten. Assasina schob sich heran und half im nächsten Moment tatkräftig mit. Kurz überlegte Cedrik, ob er auch seinen Dienst anbieten sollte, doch die helfenden Hände waren genug und er wollte nicht wieder im Weg herum stehen. Ausserdem hatte sich Catyua so eng an ihn gedrückt, dass es ihm nicht gelingen würde, sich von ihr zu trennen. Und er wollte dies eigentlich auch nicht.
Der Sandsturm war der richtige Schutz, der das Annähern einer kleinen Gruppe von vermummten Gestalten vor eventuell wachsamen Augen versteckte. Es waren nur fünf Wesen, die gehüllt in grobes Tuch und ausgestattet mit Sandmasken näher schlichen. Der Sturm schien ihnen nichts auszumachen. An den Füßen hatten sie große und breite Blätter, so dass es wirkte, als würden sie über den Sand schlittern. Der Kopf war mit einem dicken Tuch verhüllt und in den Händen, die in ebenfalls dicken Schutzhüllen steckten hielten sie Beutel. Mit klickenden Lauten verständigten sie sich mit dem Jagdtrupp und nutzten jede der durch den Sturm weiter gezogene Sanddünen aus. Sie bemerkten die Bemühungen der Gejagten und wurden etwas langsamer. Wenn die Wanderer ein Zelt aufstellten, dann hatten sie sicher vor, den Sturm abzuwarten. Nun das konnte den Sandmenschen nur recht sein. Plötzlich hob der voran gehende einen Arm und die anderen erstarrten. Dicht vor ihm öffnete sich ein Sandtrichter und der Fangarm eines Wüstenwurms schnellte hoch. An den beiden Seiten hatte dieser giftige Stacheln mit Widerhaken und an seinem äußersten Ende saßen drei sehr sensible Finger. Damit tastete der Wurm nun über den Sandtrichter und hoffte die Beute, die er ebenso mit diesen sensiblen Tastorganen riechen konnte, wäre in seiner unmittelbaren Umgebung. Doch der Jagdtrupp war ausser Reichweite und so zog der Wüstenwurm seinen Fangarm wieder ein. Der Trichter verschwand und auf ein weiteres Armzeichen setzten sich der Trupp wieder in Bewegung. Sie wussten, der Wurm würde unter ihnen weiter ziehen und so lange er nicht wieder auftauchte, waren sie sicher. Abermals konferierten sie mit dem Haupttrupp und teilten sich schließlich in vier Gruppen auf. Nun konnten sie von jeder Seite das bereits zur Hälfte errichtete Lager einkesseln und schließlich überfallen. Die Göttin war ihnen heute hold und sie würde ein besonderes Opfer erhalten als Dankeschön für die außergewöhnlich erfolgreiche Jagd.
Nach und nach kamen mehr helfende Hände hinzu und schließlich stand das Zelt. Innen hatte es ein weiteres, kleineres, damit der Sand, der trotz der dicken Tücher und Felle eindrang nicht ganz in den Innenraum gelangen konnte. Die Pferde wurden in den Zwischenraum geführt und Agenor und seine Krieger betraten rasch den Innenraum. Sie steckten in den Boden, wo die Bodenmatten einen Platz frei ließen, Fackeln und gewährleisteten so etwas Licht. Zwei der Krieger teilten Vorrat und auch Wasser aus und die Gruppe setzte sich auf den Boden um sich zu stärken, während der noch stärker gewordene Sturm den Sand gegen die schützenden Zeltplanen warf. Das gab ein rasselndes Geräusch, das so laut war, dass die ersten leise geführten Gespräche schon nach kurzer Zeit verstummten. Da alle müde waren begannen hier und dort einige sich auf den Boden zu legen und nutzten erleichtert die Zwangspause zu einem kurzen Schlaf.
Rund um das Zelt türmten sich schon bald Sanddünen, die mehr und mehr wie Wanderdünen wirkten. Die Luft war erfüllt von Sandstaub und das Rasseln der Sandkörner auf den Aussenplanen des Gemeinschaftszeltes wurde leiser. Hin und wieder schnaubte eines der Pferde und einmal steckte Sternenlicht seinen Kopf ins Innenzelt, als müsse er sich überzeugen, dass es Cedrik gut geht. Dieser war so wie beinahe alle anderen in einen leichten Schlaf gesunken und träumte davon, dass er abermals im Turm seinem älteren ICH begegnet.
Die vier Gruppen der Sandmenschen hatten das Zelt beinahe gleichzeitig erreicht und leise Klicklaute mit denen sie sich unterhielten gingen im Sturmgeheule unter. Sie strichen immer wieder über die Aussenzeltplanen und waren erfreut, dass sie so prächtige Beute machen konnten. Es dauerte etwas, bis einer von ihnen nach dem Einlass suchte und schließlich fand. Drinnen wurden die Pferde unruhig und immer wieder schnaubte oder stampfte eines. Schließlich schlüpfte jener der den Eingang gefunden hatte hinein und beruhigte die Pferde mit einem tiefen Brummen. Sternenlicht fühlte einen seltsamen Zwiespalt in sich aufsteigen. Das tiefe Brummen vermittelte ihm, dass er eigentlich in Sicherheit war, die Ausdünstungen allerdings des Fremden, der nach und nach die Pferde berührte machten ihm Angst. Als Sternenlicht an der Reihe war berührt zu werden, riss er seinen Kopf hoch und stampfte mit seinem rechten Vorderbein auf den Boden. Erschrocken wich der Eindringling zurück und unterhielt sich mit den anderen bereits ins Zelt eingedrungenen Sandmenschen. Das Brummen wurde verstärkt, doch Sternenlicht war nicht zu beruhigen. Seine Unrast übertrug sich auf die anderen Pferde und so dauerte es nicht lange, bis auch sie stampften und schnaubten. Schließlich wieherte eines laut und mit einem wimmernden Laut fuhren sich die Eindringlinge an jene Stellen des Kopfes, wo sie ihre Ohren versteckt hatten. Im Inneren des Zeltes wurde es lebendig, doch ehe einer der Gruppe nach schauen konnte, was diese Unruhe unter den Tieren verursachte, hatten die Sandmenschen den Rückzug angetreten. Die einzige Spur die sie hinterlassen hatten waren die runden Abdrücke im Sand. Der Krieger, der nachgesehen hatte, übersah sie und da sich die Tiere wieder beruhigt hatten, ging er nicht weiter darauf ein. Sein Kopf verschwand wieder im Inneren und nun kehrte Ruhe ein. Draußen tobte der Sturm weiter und heulte noch den ersten Teil der nachfolgenden Nacht. Doch dann beruhigte sich der Sturm, wurde zu einem leichten Wind und es dauerte nicht lange, so schoben sich die Sturmwolken beiseite und der Mond trat hervor. Er beschien eine veränderte Sandwüste und ein Zelt das halb unter dem Sand vergraben war. Hier und dort bildeten sich Wirbel, traten Tentakel hervor und manchmal erschallte der letzte Schrei eines Beutetieres, das sich der Wüstenwurm geholt hatte. Sein Nest tief unter dem Sand lag voll weichhäutiger Eier und wenn die Jungen schlüpften, würde er keine Zeit mehr haben zu jagen. Die Schwächsten würden Opfer ihrer Geschwister werden und auch er würde vom letzten gefressen werden. So war der Lauf des Lebens.
So leer wie die Wüste wirkte, war sie nicht. Kleine gelbe Käfer liefen mit hastigen Beinen über den Sand und hinterließen Spuren, als wären winzige Panzer darüber gefahren. Diese Käfer hatten es immer eilig. Niemals ruhten sie. Weder zur Nahrungsaufnahme, noch zum Schlafen oder zur Paarung. Alles ging bei ihnen im Eiltempo. Diese Eigenart hatte ihnen den Namen „Eilkäfer“ eingebracht. Ihre Nester befanden sich unter einer dünnen Sandschicht und waren wie kleine Felsen gebildet. Den Schleim, den sie absonderten bei ihrem Lauf war als Delikatesse bei den Sandmenschen beliebt. Die Käfer waren in ihrer Nahrungssuche nicht wählerisch, durften es nicht sein, denn es gab nicht so viel, das sie finden konnten. Darum waren sie glücklich, als einer von ihnen das halb in der Sanddüne vergrabene Zelt unserer Freunde fand. Vorsichtig kostete er von der Außenhaut der Zeltplane und benachrichtigte gleich darauf andere in seiner Nähe befindliche Käferkameraden. Es dauerte nicht lange, so hatte sich ein kleiner Trupp versammelt und mit raschen Zangenbewegungen ihrer Mandibeln zogen sie kleine Streifen der Plane ab um sie zu fressen. Schon gab es hier und dort wie kahl wirkende Stellen an denen das Untergewebe durch sah. Im Zelt begannen sich die ersten Schläfer zu rühren und zu strecken und auf die seltsamen Geräusche zu lauschen, die sie von der Aussenwelt vernahmen. Einer der Krieger Agenors stand auf, streckte sich und gähnte ungeniert. Dann kratzte er sich am Kopf und am Nacken. Er zuckte zusammen, als ein heißer Schmerz ihn wieder an den vergangenen Sandsturm erinnerte. Als er seine Hand zurück zog und seine Finger betrachtete, bemerkte er die feine Blutspur daran. Mit einem zerbissenem Fluch machte er sich daran, rasch ein kleines Feuer zu entfachen. Brennmaterial und Zündstoff holte er aus seinem Reisepack, der ihm die vergangene Nacht als Kopfkissen gedient hatte. Kurz hielt er inne, als erneut das seltsame Geräusch an sein Ohr drang, doch dann konzentrierte er sich auf sein Vorhaben.
Nach und nach wachten auch die anderen der Gruppe auf, der eine mehr verschlafen, der andere weniger. Assasina war von einem zum anderen Augenblick hell wach. Sie runzelte ihre Stirn als sie seltsame Geräusche vernahm, die sich irgendwie nach dem Reißen von Stoff anhörten. Neugierig stand sie auf und ging mit halb geschlossenen Augen und etwas vorgestrecktem Kopf dem Geräusch nach. Da sie sich vorstellen konnte, dass der Sand das Zelt sicher halb bedeckt hatte, wunderte sie sich etwas, dass es eigentlich nicht ganz dunkel war. Die Kampfelfe streckte die rechte Hand aus um den inneren Zeltbehang beiseite zu schieben und kniff die Augen zusammen, als helles Sonnenlicht ihre Augen blendete. Das Reissgeräusch war nun ganz deutlich zu hören und als sie ihren Blick in die Richtung wandte, aus der das Geräusch kam, weiteten sich ihre Augen. Ein riesiges Loch war in der Außenhaut des Vorzeltes entstanden und gelbe Käfer waren bereits dabei die Plane zu fressen. Mit einem Wutschrei sprang sie nach vorne und zertrat mit einem Schritt mehrere Käfer, die bereits durch das Loch nach innen gekrabbelt waren. Immer wieder trampelte sie auf eindringende Käfer herum. Schließlich erkannte sie, dass es wohl besser sei den anderen von der neuerlichen Gefahr zu berichten und so rief sie nach hinten:
„He, steht auf, hier fressen gerade blöde Käfer unser Zelt. Bringt mal einer rasch eine Fackel her, vielleicht können wir sie ja rösten. Allein schaffe ich die Viecher nicht!“
Rutaara hatte nur leicht geschlummert, trotz ihres Umhangs waren genug Sandkörner eingedrungen um sie an tieferem Schlaf zu hindern. Sie hörte zwar gegen Morgen hin seltsame Geräusche, doch achtete sie nicht so darauf. Noch immer hielt sie ihre Augen geschlossen und versuchte an dem letzten Traum anzuknüpfen. Doch als der erste Krieger Agenors aufstand und bei seinem Strecken diese abartigen Geräusche machte, wusste sie, das war's dann wohl mit Schlaf. Vielleicht fanden sie in den nächsten Stunden in dieser Wüste, die früher eine Wiese war, irgendwo eine Quelle oder eine Oase mit Wasser, da konnte sie sicher ein Bad nehmen und sich die Sandschicht von der Haut waschen. Lyrael öffnete nun auch seine Augen, setzte sich auf und gähnte herzhaft. Schließlich stand er auf, schüttelte sich den Sand aus dem Fell und gähnte erneut. Als Assasina sich erhob betrachtete er kurz die Elfe, doch seine Aufmerksamkeit erlahmte und richtete sich gleich darauf zu Rutaara. Diese sah der hinaus gehenden Elfe mit einem leichten Stirnrunzeln nach. Wo wollte sie denn hin? Erst jetzt bemerkte die Elbin, dass es eigentlich nicht so dunkel im Zeltinneren war, wie es sein müsste. Es waren keine der Fackeln mehr brennend und trotzdem war alles genau zu sehen wie in der Morgendämmerung, wenn die Sonne bereits etwas den Horizont erklommen hatte. Kaum hatte Rutaara diese Erkenntnis, als auch schon Assasinas Stimme von draußen herein schallte. Sie rief etwas von Käfern und von Fackeln.
Inzwischen hatte das Feuer begonnen nach dem Stroh zu lecken und erhielt bereits Nachschub an Nahrung in Form kleinerer Holzstücke. Agenor war erwacht und hatte sich von seinen Männern den Bericht geben lassen, dass mit ihnen alles in Ordnung war. Nun saß er neben dem Feuer und überlegte was sie so an Reisenahrung entbehren konnten, dass alle satt wurden, aber auch dass sie die weitere Reisestrecke ohne allzu große Einbußen zurück legen konnten. Unbewusst vernahm Agenor ein seltsames Ratschen und Reissen, achtete jedoch nicht so richtig darauf. Kurz war er abgelenkt, als Assasina das Gemeinschaftszelt verließ, dachte sich jedoch nichts dabei. Erst als er ihre Stimme vernahm und sie etwas von Käfern und Fackeln rufen hörte, erhob er sich, unterdrückte ein leises Ächzen und sehnte sich nach einem erfrischendem Bad in einem klaren, eiskalten Fluss. Er ging zu dem Ausgangsfell, hob es beiseite und … schaute durch ein großes Loch in der Aussenhaut auf Sanddünen. Die Elfe sprang wie ein Feuerteufel herum und schrie Flüche. Erst jetzt bemerkte Agenor, dass irgendwelche kleinen Käfer von gelber Farbe eingedrungen waren und auch das Loch verursacht hatten. Agenor war so erstaunt, dass er nicht einmal auf die Idee kam, das selbe zu machen wie die Elfe, denn einige der Käfer hatten seine Stiefel bemerkt und waren bereits auf dem Weg zu ihnen. Beinahe schien es, als wären sie gewachsen. Denn immer wieder kamen von draußen kleine Käfer hinzu und machten sich daran, ihre Käfermägen zu füllen. Jene, die etwas länger bereits den Festschmaus hielten, hatten an Größe zugelegt. Erst als der erste der Käfer Agenors Schuhe erreicht hatte und seine Zangen in den vorderen Teil der großen Zehe geschlagen hatte und zudrückte, erwachte Agenor aus seiner Starre. Denn der Käfer hatte nicht nur das Leder der Stiefel erwischt, sondern auch die darunter steckende Zehe.
Catyua träumte davon, dass sie und Cedrik an einem kleinen See waren, in dem ein Wasserfall mündete. Über diesen Wasserfall strahlte ein Regenbogen in allen sieben Farben und darunter flogen wie Edelsteine wirkenden Vögel. Ihre Rufe klangen wie Glasglocken und Cartyua fühlte sich rundum zufrieden. Die Sonne wärmte sie und Cedrik und in der Nähe befand sich ein kleines Dorf anderer Alben. Ihr heiteres Geplauder und das Lachen der Kinder klang leise bis zu Catyua und sie fühlte sich geborgen und glücklich wie schon lange nicht mehr. Mitten in diesen wunderschönen Traum drang eine laute Stimme, die unverständlicher weise von Käfern und Fackeln rief. Gleich darauf erklang ein lauter Schmerzensschrei und … weckte Catyua. Ihr Blick fiel auf den neben ihr sitzenden Cedrik und ein Lächeln glitt über ihr Gesicht. Doch Cedrik sah nicht sie an, sondern schaute dorthin, wo der Innenvorhang beiseite gezogen war und helles Licht in die von einem kleinen flackernden Feuer erhellte Unterkunft fiel. Catyua dachte bei sich, dass es seltsam war, dass so viel Helligkeit herein fiel, wo doch das Gemeinschaftszelt sicher halb unter dem Sand vergraben sein sollte. Sie sah sich rasch um, bemerkte dass Assasina und Agenor fehlten und dass scheinbar etwas draußen vorging. Denn sie hörte jetzt auch seltsame Geräusche, als würde starker Stoff zerrissen werden. Waren Feinde gekommen und zerschnitten nun die Aussenhaut des Zeltes? Eigentlich konnte sie ja jetzt aufstehen und nachschauen.
Cedrik war schon etwas länger wach und so lauschte er auf die Geräusche, die ihm seit einiger Zeit ans Ohr drangen. Erst dachte er, es würde noch immer draußen stürmen und diese Geräusche würden die Sandkörner verursachen. Dann hätte er bestimmt den Wind gehört und auch das Rütteln am Zelt bemerkt. Doch der Wind war verstummt und der Sand sicher wie bei einer Sanddüne an der Zeltplane angewachsen. Aber wenn es nicht der Sand war, wer oder was war es dann? Kurz lauschte er in sich hinein, doch noch immer war es still in ihm, als hätte er alle Magie für immer verloren. Nach einiger Zeit wachte Assasina auf, erhob sich und da auch sie wahrscheinlich das Geräusch vernommen hatte, ging sie nachsehen. Es dauerte nicht lange, so hörte Cedrik sie etwas rufen. Was es war, verstand er nicht so recht. Irgendwas von Käfern und Feuer. Nachdem sich auch die Mehrzahl der Krieger Agenors samt diesem bereit gemacht hatten, ihre Schlaflager zu verlassen und einer von den Männern begonnen hatte ein Feuer zu entfachen, beschloss auch Cedrik zu „erwachen“. Er öffnete die Augen und starrte die eine Seitenwand des Innenzeltes an. Dort hatte sich eine kleine Echse niedergelassen und hielt scheinbar auch ein Nickerchen. Erst nach einigen Momenten wunderte sich Cedrik, dass er das Tierchen sehen konnte. Es war, als wäre der Außenschutz nicht mehr so dicht wie noch am Abend davor. Hatte Assasina begonnen bereits abzubauen? Als Agenor ebenfalls nach draußen ging dachte sich Cedrik, er würde sicher nachsehen, welche Probleme Assasina hatte. Es dauerte kurz, da hörte er Agenor schreien. Als litte er plötzlich unter einem jähen Schmerz. Cedrik setzte sich auf, wandte kurz den Kopf zu Catyua und sah, dass sie lächelte im Schlaf. Seine Seelenpartnerin schien einen schönen Traum zu haben. Dann wandte er den Kopf und schaute wieder dorthin, wo es heller her schimmerte. Er zuckte kurz zusammen, als plötzlich die Pferde begannen zu wiehern und eine spürbare Unruhe alle ergriff.
Es war nicht so einfach, die einströmenden Käfer am weiteren Vordringen zu hindern. Trat man auf einige Käfer, drückte man sie bloß in den Sand und als gingen sie durch einen Tunnel kamen sie hinter dem zu tretendem Fuß wieder hervor. Es war die reinste Sisyphus Arbeit. Das sahen auch Agenor und seine helfenden Krieger schließlich ein und begannen damit die herein strömenden Käfer wie mit Schaufeln wieder aus dem Restzelt zu befördern. Dabei nahmen sie alles was ihnen in die Hände fiel. Und das war nicht viel. Schon nach einigen kurzen Momenten waren die meisten von ihnen atemlos und sahen ein, da musste eine andere Strategie her. Doch welche? Agenor merkte erst nicht, dass er nur noch als einziger sich der Käferplage widmete. Selbst Assasina hatte aufgehört. Ihr Blick wanderte von den Käfern am Boden zu den restlichen Zeltplanen, die eigentlich nur noch aus schmalen Bahnen bestanden. Dann hob sie den Blick nach oben und kniff die Augen zusammen. Dort, wo am Abend zuvor noch ein dichtes Zeltdach gewesen war, drangen die morgendlichen Sonnenstrahlen ein und blendeten die Kampfelfe. Unbewusst nahm sie wieder ein Klopfen wahr, achtete jedoch nicht drauf. Sie überlegte sich eben was sie noch machen könnte, um wenigsten den kläglichen Rest des Zeltes zu retten, als sie einen brennenden Schmerz an ihrem rechten Bein spürte. Sie fluchte leise und wandte den Blick nach unten. Dicht unter ihrem Knie saßen drei der Käfer und begannen fröhlich die Haut ihres Beines anzuknabbern. Mit einem weiteren Fluch schlenkerte sie das Bein, doch die Käfer saßen fest. Es schien als wären sie mit ihrem Körper verwachsen. Doch die Elfe hatte keine Lust zu warten, bis die Käfer sie vielleicht bei lebendigen Leib auffraßen und so bückte sie sich und strich fest über die Stelle, wo die Käfer ihr Festmahl hielten. Diesmal konnte sie die Käfer abstreifen und fluchte zum dritten Mal als sie merkte, dass nun Blut floss. Die Zangen der Tiere hatten einen nicht geringen Schaden an ihrem Bein hinterlassen und wäre es in der Macht der Kampfelfe gestanden, hätte sie die Viecher sicher bis ans Ende der bekannten Welt und der unbekannten Zeiten gewünscht. So aber blieb ihr nichts anderes über als wieder ins Zelt zu gehen um sich aus ihrem Reisegepäck wenigstens einige Stoffstreifen zu holen. Denn dass Cedrik ihr helfen konnte, daran wagte sie nach dem gestrigen Fiasko nicht mehr zu hoffen. Es schien, als hätte er zumindest einen größeren Teil seiner Kraft eingebüßt. Sie hatte noch nicht den Platz erreicht, wo sie ihr Gepäck gelagert hatte, als sich Sternenlicht ihr in den Weg stellte.
„Ich habe jetzt keine Zeit oder Lust mich mit dir zu unterhalten“, meinte die Elfe und versuchte auszuweichen. Doch Sternenlicht machte ihre Bewegung mit und hielt sie erneut davon ab, ihr Gepäck zu erreichen. Er senkte den Kopf und gleich darauf rollte ein kleiner heller Tropfen aus einem der Augen des Einhorns, verließ dessen Gesicht und fiel ganz langsam und sacht direkt auf die Wunde. Sogleich verschwanden die Schmerzen und die Wundränder schlossen sich. Assasina atmete insgeheim auf, denn an diese Möglichkeit hatte sie nicht gedacht. Sie hob die Hand um dem Einhorn über den Kopf zu streichen, doch Sternenlicht bog den Kopf beiseite, schnaubte kurz und wandte sich um, um in die Richtung von Cedrik zu gehen. Assasina zuckte mit den Schultern und meinte, mehr zu sich als zu jemandem bestimmten:
„Danke schön, du mich auch!“
Cedrik spürte tief in sich ein schwaches Rühren und er hoffte, dass es seine wieder erwachende Magie wäre, doch das Gefühl verschwand so schnell, dass er sich nicht mehr sicher war, ob er es je gefühlt hatte. Er wurde kurz abgelenkt als Assasina von draußen herein kam, den einen Arm voll Blut und einem Gesicht, dass ziemlich verzerrt wirkte. Ihre Augen blitzten wütend. Sie schien verletzt zu sein. Sie war auf dem Weg zu ihrem Platz, wo sie ihr Reisegepäck gelagert hatte las Sternenlicht aus der Menge der unruhig stampfenden Pferde kam kurz vor ihr stehen blieb und sie scheinbar daran hindern wollte, ihre Wunde zu versorgen. Cedrik musste ein Grinsen unterdrücken als er sah, dass Assasina damit nicht einverstanden war und seitlich ausweichen wollte. Doch er wusste, wenn Sternenlicht sich etwas in den Sinn gesetzt hatte, konnte er genauso stur wie die Elfe sein, wenn nicht noch ein bisschen mehr. Und so hinderte er sie erneut daran ihr Vorhaben auszuführen. Ehe Cedrik beruhigend eingreifen konnte, senkte das Einhorn seinen Kopf über die Wunde auf Assasinas Arm und diese riss erstaunt die Augen auf. Ein warmes Gefühl breitete sich in Cedrik aus und ein leises Singen zog durch seinen Geist. Unwillkürlich schloss der Jungmagier seine Augen und gab sich ganz diesem Gefühl der Wärme und Geborgenheit hin. Es dauerte nur wenige Momente, dann verstummte das Singen in Cedrik und er vernahm eine leise Stimme in seinem Kopf, die ihm bekannt vorkam.
„Ich danke dem Schicksal, dass du dieses Wunder gefunden hast. Jetzt wird die Kraft in uns wachsen und wir können wieder Magie anwenden!“ Gleich darauf durchströmte Cedrik eine so große Fülle an Macht, dass er kurz schwankte. Er fühlte sich heiß und kühl zugleich. Wie von selbst hob er seine Hände, zeigte die Handflächen in Richtung der bereits eindringenden Käfer und gleich darauf verließen kleine Flammenzungen die Handflächen um die Käfer, auf denen sie auftrafen, zu verbrennen. Je mehr Käfer er verbrannte, desto mehr hörte er ein Heulen. Unbewusst fragte sich der Jungmagier ob die Tiere wohl Schmerz empfanden, doch er machte mit seiner Vernichtung weiter. Nachdem die Käfer, welche bereits eingedrungen waren, vernichtet waren begab sich Cedrik nach draußen und nahm sich dort die Angreifer vor. Es dauerte nicht lange, so wurde das Heulen erst lauter, verstummte jedoch schließlich. Und als der letzte Käfer in Flammen aufging, hörte man nur noch das leise Prasseln des Feuers im Zelt und das sich bereits beruhigende Schnauben und Stampfen der Pferde. Cedrik ließ seine Hände sinken und wandte sich nach Catyua um. Diese stand jetzt dicht vor ihm, lächelte und meinte:
„Die Magie hat dich wieder, Liebster!“
Catyua hatte sich erhoben und bereits begonnen ihren Schlafplatz zu verstauen. Sie wurde kurz abgelenkt als die Pferde unruhig wurden und Assasina, die sich nach draußen begeben hatte wie eine wilde Dämonenfurie ins Zelt stürmte und eine größere Wunde an ihrem Bein hatte. Sichtbar irritiert schaute das Albenmädchen zu wie sich Sternenlicht zu der Kampfelfe begab und die Wunde anstarrte. Wie von Zauberhand verschloss sich die Wunde und Catyua begriff, dass das Einhorn wieder einmal eingegriffen hatte. Vom Platz der beiden Prinzlichen drang ein kurzes Keuchen an Catyuas Ohr doch diese achtete wenig darauf. Ein heller Sonnenstrahl blendete Catyua und sie hörte kurz ein Heulen, das jedoch sofort wie abgeschnitten verstummte. Ihr Blick glitt zu Cedrik als dieser ein leises Stöhnen hören ließ. Sein Gesicht schien von innen zu strahlen, dann hob er seine Hände mit den Handflächen in Richtung der Käfer und ein Feuerstrahl verließ diese. Es dauerte nicht lange, so waren die Käfer zu kleinen Ascheflocken verbrannt. Cedrik begab sich nach draußen und Catyua schaute nach oben. Von dem Zelt war nicht mehr viel über. Es würde sich nicht auszahlen, die Restplanen abzubauen und wieder im Reisegepäck zu verstauen. Catyua verstaute das letzte Stück und nahm ihren Reisesack auf die Schulter. Dann jedoch holte sie ihn sich wieder herunter und begab sich zu Agenor. Dieser hatte seine Männer bereits zum Abbau und verstauen auf den Packpferden verpflichtet. Er nahm Catyua den Reisebeutel ab und hing ihn auf den Griff eines der Packsättel. Catyua wandte sich um und begab sich durch die zerfetzten Planenteile nach draußen. Dort hatte Cedrik bereits mit der Käferplage aufgeräumt. Sie trat neben ihren Liebsten und wollte eben eine Hand auf seine Schulter legen als er sich zu ihr umwandte. Sie strahlte Cedrik an und meinte erleichtert:
„Die Magie hat dich wieder, Liebster!“ Ihr Lächeln vertiefte sich als auch Cedrik sie anlächelte.
Es dauerte nicht lange, so war die Gruppe reisefertig. Den Rest des Übernachtungszelt ließen sie stehen. Wahrscheinlich würden sich andere darum kümmern. Der Sturm vom Vortag hatte die Feenwiese verändert. Nicht nur dass die Sanddünen verschwunden waren, sie hatte mehr denn je einen Wüstencharakter. Der Prinz samt Gemahlin waren wieder auf ihren Reittieren fest gebunden worden, die Männer Agenors hatten sich wie Wächter rund um die Gruppe aufgestellt. Assasina stand neben Rutaara und Lyrael hatte sich dicht neben dieser aufgestellt. Cedrik legte seinen Arm um Catyua und diese lehnte sich an ihn.
„Ich denke, es ist an der Zeit den letzten Teil unserer Reise in Angriff zu nehmen!“ Agenors Stimme klang laut in der Windstillen Luft. Auf einen raschen Wink des Kriegers setzte sich die Gruppe samt Tiere in Bewegung. Ohne sich noch einmal umzudrehen verließen alle den Platz. Zurück blieb eine leichte Mulde im Sand und Planenfetzen.
Die Sonne wanderte langsam über den klaren Himmel. Die Temperatur war nicht so hoch wie es sonst in einer Wüste war. Die Gruppe kam ganz gut voran und die Gedanken der meisten liefen schon dem Ziel entgegen, während ihre Körper noch in der Wüste waren. Es war gegen Nachmittag als in der Ferne ein dunkler schmaler Strich auftauchte. Einer von Agenors Männer war der Erste, der ihn bemerkte. Er machte die anderen darauf aufmerksam und man lenkte die Schritte darauf zu. Es dauerte dann doch noch zwei Stunden bis aus dem dunklen Strich ein Wald aus Palmenbäumen geworden war. Ein erleichtertes Seufzen ging durch die Reisenden, man hatte eine Oase erreicht. Beinahe von selbst wurde aus dem etwas gemütlichen Gehen ein rascherer Lauf. Knapp bevor die ersten Bäume erreicht worden waren, zwischen deren Stämme ein kleiner See im Sonnenschein glitzerte, erhoben sich aus dem Sand davor in Sandfarbenen Mänteln gehüllte Körper. Agenor riss seinen Arm hoch und die Gruppe verhielt mitten im Schritt. Eines der Pferde war wohl durch das schnelle Erscheinen der Fremden erschrocken, stieg mit den Vorderbeinen hoch und begann schrill zu wiehern. Durch den Luftzug der Hufe glitt der Mantel von der Gestalt herunter und enthüllte darunter … ein Knochengerippe. Als wäre dies ein Signal, warfen auch die anderen Gestalten ihre Mäntel von sich und zeigten dass auch sie aus Knochen bestanden.
Assasina gab ein ärgerliches Knurren von sich. Sie hatte schon ganz andere Gegner vor sich gehabt. Da waren die paar Knochengerüste nur ein Klacks. Eben wollte sie erneut los gehen, da erklang eine geisterhafte Stimme.
„Haltet ein! Bleibet steh'n! Erst müsst ihr die Rätsel gut besteh'n! Dann dürft ihr eure Schritte setzen, um in die Oase der Wünsche zu hetzen. Könnt ihr die Rätsel jedoch nicht lösen, holen euch die Klabauter, die Bösen! Fünf Fragen harren einer Antwort, dann geben wir euch frei diesen Ort!“
Abermals gab Assasina ein Knurren von sich. Sie hasste Rätsel. Und von einer „Oase der Wünsche“ hatte sie auch noch nie gehört. Kurz versuchte sie erneut einen Schritt zu machen, war aber wie fest gewachsen. Sie erkannte, dass dieser Rätselunsinn an ihr nicht vorbei ging. Sie sah kurz zu Rutaara und merkte, dass auch diese nicht so ganz einverstanden war. Doch wenn es keinen anderen Weg in diese Oase gab, musste sie eben da durch.
„Sagt schon die blöden Rätsel, wir haben Durst.“
„Für wen sprichst du?“ fragte eines der Skelette.
„Nur für mich!“ stellte die Kampfelfe schon mal klar.
„So sei es. Dann höre gut zu – versagst du mit der Antwort ist es vorbei mit der Ruh'!“
Assasina verdrehte die Augen als sie abermals einen Reim vernahm. Dann jedoch nickte sie und machte sich gefasst, wenn sie die Antwort nicht wusste dass sie mit ihrem Schwert dann nachhelfen konnte. Es war sicher nicht schwer die paar Skelette zu zerschlagen.
Erneut wurde die Geisterstimme hörbar:
„Wer hat einen Kopf und keine Füße?“
Unwillkürlich klappte das Kiefer von Assasina nach unten. Das sollte ein Rätsel sein? Es dauerte einige Augenblicke bis die Kampfelfe begriff, dass das Skelett vor ihr jetzt auf eine Antwort wartete.
Agenor hatte unwillkürlich seine Hand bereits nach dem Schwert ausgestreckt als das erste Knochenskelett sichtbar wurde. Ein kleiner Teil seiner Krieger rückte näher an ihn heran um ihn vor etwaigen Angriffen zu schützen.
„Haltet ein! Bleibet steh'n! Erst müsst ihr die Rätsel gut besteh'n. Dann dürft ihr eure Schritte setzen, um in die Oase der Wünsche zu hetzen. Könnt ihr die Rätsel jedoch nicht lösen, holen euch die Klabauter, die Bösen! Fünf Fragen harren einer Antwort, dann geben wir frei diesen Ort!“
Erstaunt vernahm er den ungewöhnlichen Reim und wunderte sich, dass Skelette sprechen konnten. Doch wo Magie wirkte war auch das eigentlich schon „normal“. Als er das Rätsel für Assasina vernahm runzelte er die Stirn. Er hatte schon allerhand ungewöhnliche Dinge erlebt und auch gesehen, aber welches Tier hatte einen Kopf, aber keine Beine? Er zuckte zusammen, als eines der Skelette sich bewegte um sich vor ihm aufzustellen. Mit den Augenhöhlen „blickte“ es ihn an und eine Geisterstimme sagte:
„Für wen sprichst du?“
Schon wollte Agenor auch sagen, er spricht nur für sich, doch dann fiel ihm noch rechtzeitig ein, es war von fünf Rätselfragen die Rede gewesen. Also sah er sich um. Seine Augen erfassten die Männer neben ihm, jene die die Packpferde am Zügel hielten und jene beiden, die auf die Reittiere des Prinzen und dessen Gemahlin achteten. Schließlich starrte er das Skelett vor sich an und obwohl keine Augen zu sehen waren, hatte Agenor das Gefühl als starrten ihn glühende Blicke an. Er schluckte und räusperte sich. Dann meinte er:
„Für meine Männer, die beiden Reiter auf den Pferden und für mich. Ist dies gestattet? Was passiert mit den Pferden?“
„Pferde und Wölfe sind frei, deren Leben sind uns einerlei.“
Agenor nickte langsam, dann richtete er wieder seine Aufmerksamkeit auf das Skelett vor sich und machte sich bereit, eine schwere Frage zu bekommen. Kurz blinzelte er an dem Knochengerüst vorbei zu der Oase. So nah und doch so weit, er seufzte und lenkte seinen Blick wieder nach vorne.
„Welcher Baum hat keine Blätter?“
Agenor zuckte zusammen. Er hatte es gewusst. Schwer und irgendwie unsinnig.
Rutaara hatte nicht so sehr darauf geachtet, was das Skelett von sich gab. Eher dachte sie über die Sache mit den Rätseln nach. Sie hatte noch nie gehört, dass es eine Oase der Wünsche gab. Vor allem nicht hier, wo eigentlich die Feenwiese einmal gewesen war. Aber im Zeitalter der Seltsamkeit war es nicht verwunderlich, auch eine Oase der Wünsche vor sich zu haben. Vor allem jetzt, wo das mit geführte Wasser bereits bedenklich zur Neige ging. Schlimm wäre es, wenn das Wasser in dem See, der durch die Palmenbestände blinkte etwa gar Salzwasser wäre. Die Dunkelelbe wollte eben etwas sagen, als sie Agenor fragen hörte, was denn mit den Pferden und Lyrael wäre. Unwillkürlich senkte sie den Blick und schaute zu Lyrael hinunter. Dieser hatte den Kopf gehoben und starrte sie an. Kurz öffnete er sein Maul und es war Rutaara, als würde er grinsen.
'Keine Sorge Liebste, ich kann mich schon verteidigen. Ich denke, dass du deinen Teil am Rätsel selbst erledigen kannst. Ich bin neben dir!“
Unwillkürlich nickte Rutaara und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das vor sie hin tretende Skelett. Doch das blieb stumm. Rutaaras Brauen huschten nach oben.
„Hast du mir nichts zu sagen?“ fragte sie und machte sich bereit, das Skelett eventuell aus dem Weg zu schubsen.
„Für wen sprichst du?“ erklang eine hohle Stimme, die wirkte, als käme sie aus einem tiefen Keller.
„Für mich und meinen Gefährten Lyrael!“
„Wolf ist frei, ob Gefährte oder Diener ist einerlei!“
„Na schön, dann stelle dein Rätsel“, forderte die Elbin den Knochenmann auf.
„Wer hat Flügel, aber keine Federn?“
„Das soll ein Rätsel sein? Was wenn es kein solches Tier gibt?“
„Antworte mir frei, antworte mir schnell. Es wartet auf dich der erquickende Quell!“
Cedrik hatte das Erscheinen der Skelette mit erstaunten Augen verfolgt und dann seinen heimlichen Spass gehabt, als er die Reime vernommen hatte. Er war näher gekommen, seinen rechten Arm um Catyuas Schultern gelegt. Sein Ambarin oben am Stab hatte kurz aufgeleuchtet, war aber dann gleich erloschen. Kurz fragte sich Cedrik, ob Fulkhurx schon von dieser Oase der Wünsche oder gar den reimenden Knochengestalten gehört hatte. Erwähnt hatte so etwas sein Meister jedenfalls noch nie. Cedrik hatte ziemlich viel zu erzählen, wenn er wieder zu Hause war. Den Reim hatte er nur Bruchstückhaft vernommen, daher war er neugierig was „sein“ Skelett ihm für eine Frage stellen würde. Schon trat eines vor ihn hin. Es war etwas anders als die übrigen. Diese waren aus blanken Knochen zusammen gesetzt. Das vor ihm stehende hatte noch einen winzigen Kranz von grauen Haaren auf seinem Schädel. Kurz fühlte Cedrik sein älteres Ich tief in sich zittern. Er sandte einen beruhigenden Gedanken dorthin.
„Für wen sprichst du?“
„Ich spreche für mich und meine Gefährtin hier!“ Cedrik zuckte leicht zusammen, als Catyua sich aus seiner Umarmung löste und meinte, sie könne für sich alleine sprechen. Kurz fühlte sich Cedrik verletzt, doch dann neigte er den Kopf und sagte:
„Gut, dann spreche ich für mich!“
„Welche Bilder kann man nur im Dunklen sehen?“
Es fiel Cedrik auf, wenn die Fragen gestellt wurden kamen sie ohne einen Reim. Nun, es war ihm ganz recht, denn dann musste er sich keinen Antwortreim einfallen lassen.
Assasina fragte sich im Stillen, wie lange sie wohl Zeit hatte diese seltsame Frage zu beantworten. Sie ließ sich Zeit, das Rätsel zu überdenken. Wenn sie das Skelett mit ihrem Schwert zerstückeln würde, hätte es auch keine Beine, nur einen Kopf. Aber die Kampfelfe glaubte nicht, dass das Knochengerüst sich selbst gemeint hatte. Schon wollte die Elfe fragen, da durchfuhr sie ein Blitz. Unwillkürlich keuchte sie auf und ohne wirklich nachzudenken rief sie:
„Ich weiß nicht ob es das Rätsel löst, aber ich glaube, es könnte ein Nagel sein! Der hat einen Kopf und einen Hals, aber keine Beine!“
Das Skelett, das wie erstarrt vor ihr gestanden hatte, löste sich in einer Staubwolke auf, die der einsetzende leichte Wind vertrieb. Und gleich darauf konnte sich die Elfe auch wieder bewegen.
Agenor stand der Schweiß auf der Stirn. Er hatte keine Ahnung von Bäumen, die keine Blätter hatten. Klar, im Winter waren die meisten Blattlos. Doch dass dies so eine einfache Antwort wäre, glaubte er nicht. Momentan wünschte er sich wieder weit weg von hier. Am besten auf dem großen Ozean an Bord eines Schiffes, das …! Unwillkürlich hob Agenor seine Hand und schlug sich auf die Stirn. Aber natürlich! Der Klüverbaum! Erleichtert atmete Agenor auf und wischte sich seine feuchte Hand an der Hose ab. Dann meinte er mit fragender Stimme:
„Ist es der Baum, den man auf Schiffen findet? Ein Mastbaum?“ War dies die falsche Antwort, würden er und alle für die er gesprochen hatte von den bösen Klabauter vernichtet werden. Die Sekunden dehnten sich zu einer Minute, doch dann zerstörte sich das Skelett selbst und der Wind nahm den Knochenstaub mit sich. Agenor war so erleichtert, dass er beinahe geweint hätte. Doch ein Mann weinte nicht! Und ein Krieger schon gar nicht!
Catyua hatte einen kurzen Moment in dem sie sich ärgerte, nämlich als Cedrik das Antworten für sie übernehmen wollte. Nun, sie war klug genug, dass sie diese komischen Rätsel sicher selbst knacken konnte. Das Skelett, welches nun vor sie hintrat war in etwa so groß wie sie. Seine Kinnlade stand offen und es wirkte, als wäre es über etwas erstaunt. Aus seiner rechten Augenhöhle schaute ein Kieselstein heraus und mit jeder Bewegung des Kopfes schaukelte er hin und her. Fasziniert beobachtete Catyua den Stein. Beinahe hätte sie den Rätselspruch des Skelettes überhört.
„Wer hört alles und sagt nichts?“
Beinahe hätte sie geantwortet, sie selbst. Im letzten Moment jedoch verschluckte sie die Antwort. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf die anderen und das Stirnrunzeln in ihrem Gesicht wurde von Frage zu Frage immer tiefer. Erst als Assasina geantwortet hatte und das Albenmädchen sah, wie das Skelett verschwand fühlte sie sich erleichtert. Die Erleichterung vertiefte sich als auch Agenor seine Antwort richtig hatte und „sein“ Knochenmann vor ihm sich in Staub auflöste. So ganz unmöglich war es also nicht, die rechte Antwort zu finden. Vielleicht war Magier die richtige Antwort? Dieser hört alles, aber er sagt nichts. Zumindest nicht über die Dinge, die er hört. Doch tief in sich drinnen spürte Catyua, dass es die falsche Antwort war. Also dachte sie erneut über die Frage nach.
Rutaara war dem Ergebnis von Assasinas und Agenors Antwort sehr aufmerksam gefolgt. Sie unterhielt sich rasch mit Lyrael, doch dieser konnte ihr nicht helfen. Ein Vogel der zwar Flügel aber keine Federn hatte? Sie hatte schon vom Vogel Rock aber auch dem Urvogel gehört, jedoch beide hatten Federn.
„Sag, wie lange habe ich Zeit die Antwort zu finden und sie zu sagen?“
„Färbt die Sonne den Himmel rot, kommt die Antwort falsch, so bist du tot! Kommt die Antwort aber richtig – nachzudenken ist für dich wichtig!“
Rutaara hob den Kopf und schaute zum Himmel. Dort stand die Sonne noch nicht ganz im Zenit, also hatte sie noch etwas Zeit. Ein Vogel ohne Federn? Ohne Flügel wäre schon schwer. Doch sie hatte schon von den Laufvögeln gehört. Aber auch diese hatten Federn. Rutaara setzte sich nieder, zog ihren Umhang enger um sich und versenkte sich tief in sich selbst. Die Göttin würde ihr sicher helfen.
Cedrik sinnierte hin und her, es wollte ihm jedoch nichts passendes einfallen. Bilder konnte man zwar auch im Dunklen sehen, aber dazu muss man Fackeln oder Kienspäne und Kerzen entzünden. Er konnte zwar auch Bilder sehen, die nur in seinem Kopf waren, doch er ahnte, dass diese Bildsorte von dem Skelett nicht gemeint war. Tief in sich regte sich sein älteres Ich und eine leise Stimme flüsterte in seinem Kopf:
„Denke nach, Kleiner! Wenn es dunkel ist, ist es auch Nacht. Und da kannst du auch Bilder sehen. Ganz bestimmte Bilder! Diese Frage habe ich schon einmal in meinem Leben vernommen. Darum kenne ich die Antwort!“
Cedrik zuckte zusammen und wollte die leise Stimme unterdrücken. Diese störte ihn beim Nachdenken. Doch nach und nach wurde sie immer drängender und schließlich hallte sie in seinem Kopf wie der Klang einer großen Glocke. Unwillkürlich warf Cedrik den Kopf hoch und seine Augen erblindeten. Er streckte erschrocken seine Arme seitwärts und keuchte entsetzt auf. Seine Augen waren nach oben gerichtet und sah er erst nur Dunkelheit, wurden nach und nach helle Punkte sichtbar. Sie begannen zu flirren und zu tanzen und setzten sich endlich zu Bilder zusammen. Da lief der Stier und glitt der Drache ohne Flügelschlag. Helios fuhr den Wagen und die Jungfrau kämmte sich das Haar. Wie ein leises Echo vernahm Cedrik noch einmal die Frage und plötzlich zuckte in ihm die Erkenntnis auf. Sein älteres Ich zog sich wieder zurück und langsam verschwanden die Punkte und wurden heller. Es dauerte etwas bis die Dunkelheit verschwand und hellem Sonnenlicht den Platz überließ. Cedrik drückte schmerzhaft seine Augen zu. Vor seinen Augen tanzten nun dunkle Punkte statt der hellen. Er war zwar noch nicht gänzlich überzeugt, dass er ahnte worum es sich handelte, doch mehr als falsch sein konnte die Antwort nicht, dachte er.
„Ich denke die Antwort ist: Sternbilder?“ Langsam öffnete Cedrik erst ein Auge, dann das zweite und atmete erleichtert auf, als er wieder normal sehen konnte. Das Skelett vor Cedrik sagte nichts, löste sich nur auf und verwehte. Der junge Magier sandte einen Gedanken zu seinem älteren Ich und bedankte sich. Doch das blieb stumm.
Rutaara war zwar dem Ganzen gefolgt, doch so richtig wollte ihr keine wirkliche Antwort auf die Frage des Skeletts einfallen. Die Göttin wusste sie sicher auch nicht, sonst wäre der Dunkelelbin bereits die Antwort auf der Zunge gewesen. Sie seufzte. Mit dem Begriff „Klabauter“ konnte sie zwar nicht viel anfangen, aber dass es eine Drohung war, war Rutaara klar. Abermals seufzte sie. Jetzt wäre es gut, wenn sie weit weg wäre, in ihrer kleinen Behausung. Oder im Tempel der Göttin, wo es die Fenster nach allen Himmelsrichtungen gab und durch die sie vielleicht Weisheit erlangen konnte. Tief in Rutaara begann es zu klopfen. Erst achtete sie nicht darauf, dann jedoch hob sie den Kopf und starrte nachdenklich das vor ihr stehende Gerippe an. Sollte das die Antwort sein? So etwas einfaches? Nun, dachte sie bei sich, mehr als falsch sein konnte es nicht und wenn das Knochengerüst vor ihr ihr etwas tun sollte, würde es Lyrael bestimmt zerstören. Die Elbin erhob sich, strich sich ihr Haar zurück und sagte, während ihre rechte Hand vorsichtig zu ihrem Dolch glitt, den sie unter ihrem Umhang versteckt hatte:
„Ich kenne die Antwort nicht, aber es könnte wohl ein Fenster sein. Mehr eigentlich ein Fensterflügel. Flügel haben Vögel auch, doch alle haben Federn. Fensterflügel aber nicht!“
Der Knochenmann trat einen Schritt nach vor und – zerfiel zu Staub. Unwillkürlich atmete die Dunkelelbin auf. Die Oase war in greifbare Nähe gerückt.
Catyua zitterte innerlich. Sie hatte gesehen wie auch das schwere Rätsel von Rutaara gelöst worden war. Sie hätte niemals die Lösung gefunden. Das ahnte sie. Ein zaghaftes Lächeln glitt über ihr Gesicht und sie warf einen Hilfe suchenden Blick zu Cedrik. Dieser bohrte in seinem rechten Ohr herum und machte ein ziemlich unglückliches Gesicht. Hatte ihr Geliebter etwa Schmerzen? Vielleicht war das noch ein Rest vom Angriff der Käfer? Nun nahm er sein linkes Ohr dran und bohrte und riss daran herum, dass Catyua in Sorge war. Was, wenn er sich jetzt verletzte? Vielleicht konnte sie in der Oase sich etwas wünschen? Das heißt, sobald sie in diese Oase auch wirklich hinein konnte. Erst hatte sie das Angebot Cedriks ausgeschlagen und jetzt stand sie da, konnte sich nicht rühren und wusste weder die Antwort auf eine gewiss sehr einfache Frage nicht und starrte immer noch fasziniert auf den Stein in der Augenhöhle des Skeletts. Sein Mund stand immer noch offen und nun wirkte das, als ob es lautlos Lachen würde. Catyua war mehr als nur verunsichert. Plötzlich schwankte der Stein mehr als bisher und kippte aus der Höhle heraus. Mit einem dumpfen Plopp fiel er in den Sand und wirbelte eine kleine Sandwolke auf. Catyua spürte dass tief in ihr ein Kichern hoch stieg. Im gleichen Moment riss sich Cedrik wieder ganz fest bei seinem Ohr und starrte sie mit einem zornig gewordenem Blick an. Catyua versuchte noch einmal über die Frage des Skeletts nachzudenken, doch sie ahnte, dass sie weit von einer akzeptablen Lösung entfernt war. Sie würde kämpfen und ihre Haut so teuer als möglich verkaufen. Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was dieser Klabauter ihr antun könnte. Der blick des Mädchens löste sich von Cedriks seltsamen Tun und glitt nach oben. Die Sonne war weiter gewandert und der Himmel hatte eine Rotgoldene Färbung angenommen. Wie hatte Rutaaras Skelett gesagt? Sobald der Himmel rot war und die Antwort falsch – oder wie in ihrem Fall, gar nicht kam – war man tot. Catyua verspürte eine leichte Trauer in sich hoch steigen.Noch einmal wollte sie Abschied nehmen, solange sie Gelegenheit hatte und schaute wieder zu Cedrik. Dieser riss immer noch verzweifelt an seinem Ohr herum und hatte den Mund fest zusammen gepresst.
„Es tut mir leid, ich kenne die Antwort nicht. Ich fürchte hier ist mein Weg zu Ende. Liebend gerne wäre ich mit euch in die Oase gegangen, aber … warum zerrst du immer an deinem Ohr herum, Liebster? Sagt es dir etwas?“ Doch Cedrik schüttelte den Kopf und zerrte weiter.
„Sagt es dir nichts, dein Ohr?“ fragte Catyua und konnte nicht widerstehen. Wenn sie schon sterben musste, so doch mit einem Lächeln auf den Lippen. Sie wandte sich an das Skelett vor ihr und nickte leicht.
„Es sagt nichts, sein Ohr!“ Mit einem leisen Rascheln löste sich das Skelett auf und Catyua machte unwillkürlich einen Sprung nach hinten. Was war denn jetzt wieder geschehen? Hatte sie zufällig die richtige Antwort gegeben ohne es zu merken? Catyua atmete erleichtert auf. Sie musste heute noch nicht sterben. Das Mädchen trat zu Cedrik, legte ihm die rechte Hand auf die Wange und flüsterte:
„Danke, Liebster!“ Jetzt stand dem Betreten der Oase der Wünsche nichts mehr im Weg.
Oase der Wünsche
Als die Götter noch jung waren, erschufen sie vieles und manches auch zur Freude von ihnen selbst. Eines dieser Freude schaffenden war ein grünes Fleckchen mit Bäumen und einem See, aber auch mit bunten Tieren und einem Schrein in Form eines Kreises, getragen von vier Säulen, welche die 4 Elemente darstellten. Die Scheibe symbolisierte die Sonne und auf dieser Scheibe befand sich ein Ei. Dieses Ei barg den Urkäfer. Damit dem Ei nichts geschehen konnte, stellten die Götter Wächter an seine Seite. Diese Wächter waren meist weiblich, da diese schon von Geburt an warmherzig und liebevoll waren.
Im Laufe der Generationen und der Zeit wachten viele Wächterinnen über das Urkäferei., ohne dass sich etwas aufregendes begab. Nur hin und wieder schüttelte sich das Ei und vermittelte den Eindruck, etwas Lebendiges sei in ihm.
Reisende die die Oase erreichten, wurden freundlich aufgenommen und bewirtet. Kranke gesund gepflegt und Verfolgte aufgenommen. So füllte sich nach und nach die Oase der Wünsche mit Leben und eines Tages brach das Ei in zwei Hälften und heraus krabbelte ein riesiger Käfer, der aufrecht gehen konnte wie ein Mensch, das Aussehen hatte wie ein Käfer und sprechen konnte. Aber er konnte auch Wünsche erfüllen. Solange diese nicht den Tod oder Schmerzen eines anderen zur Folge hatten.
Eine Tages, in der fernen Vergangenheit, als sich die Götter um die Belange anderer Lebewesen schon lange nicht mehr kümmerten, brach ein Streit unter den Bewohnern der Oase aus. In dessen Verlauf wurde der Wunsch ausgesprochen, es sollte in der Oase wieder alles so sein, wie es zu Beginn der Zeit gewesen war. Dies jedoch würde bedeuten, dass die Erschaffung der Oase der Wünsche niemals stattgefunden hätte. Der Urkäfer, welcher alle ausgesprochenen Wünsche erfüllen musste, überlegte hin und her, wie er diesen eher unerfüllbaren Wunsch wandeln konnte und kam schließlich auf die einzig annehmbare Lösung. Die Oase der Wünsche würde verschwinden und an einem anderen Ort wieder erscheinen.
Seither war die Oase der Wünsche eine Wanderoase geworden. Der letzte Wächter war ein junges Mädchen aus dem Volk der Mondelfen namens Iriana Silberhaar und war tatsächlich die letzte ihrer Art. Sollte der Urkäfer kein neues Ei legen, würde es nichts mehr zu bewachen geben. Und die Oase der Wünsche würde im Strudel der Zeit für immer verschwinden.
Die Pferde setzten sich wie von alleine in Bewegung und die Gruppe folgte ihnen. Je näher sie den ersten Bäumen kamen, desto kühler wurde es. Leise erklang eine Melodie, die Agenor an Magiewesen denken ließen. Er sah kurz zum Prinz hin und merkte, dass dieser ein Gesicht machte, als hätte er Zahnschmerzen. Doch ehe er etwas fragen konnte, waren sowohl das Pferd als auch sein unfreiwilliger Reiter vorbei und betrat bereits die erste Linie von Palmen. Agenor ging weiter und schließlich setzte auch er den ersten Schritt zwischen zwei etwas windschief wirkende Palmen. Er hob den Kopf und sah, dass diese Palmen keine Nüsse trugen, so wie er sie kannte, sondern seltsame verschrumpelt wirkende Birnen. Jede dieser Birnen hatte ein Gesicht und die Augen geschlossen. Der Durchgang zwischen den Palmen war nicht besonders lang und gleich darauf betrat er einen saftig wirkenden Wiesenstreifen. Es wirkte, als wäre es eine größere Oase, denn Agenor konnte keine Begrenzung erkennen. Etwa in der Mitte befand sich ein seltsames Bauwerk und allerhand bunt gekleidete Wesen spazierten davor umher. Nur einer oder zwei wandten ihren Kopf zu Agenor, betrachteten ihn kurz und kümmerten sich gleich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten. Die Melodie war lauter geworden und Agenor musste unwillkürlich an Rauschen von Meereswellen denken. Er wandte sich um, um zu sehen ob ihm die anderen folgten.
Rutaara war erleichtert, dass es wieder weiter ging und Lyrael schien ebenso Freude und auch Erwartung der kommenden Dinge zu fühlen. Die Dunkelelbin setzte sich in Bewegung und folgte Agenor. Als sie näher an die ersten Palmbäume heran kam, vernahm sie leises Singen. Sie konnte zwar keinerlei Worte verstehen, doch dass es sich um eine Melodie handelte, sagten ihr ihre Magiesinne. So oft hatte sie im Tempel der Göttin diese Art der Musik vernommen, die von den Priestern und Priesterinnen gesungen wurde. Eine ausgebildete Sängerin konnte besondere Töne in der Kehle erzeugen. Rutaara beschleunigte ihre Schritte und betrachtete die Bäume. Ihre Rinde bestand aus Federartigen Rinden, die sich im leichten Wind, der das Gesicht der Elbe umfächelte bewegten. Auf ihren Zweigen, die ziemlich weit herunter hingen waren seltsame Schrumpelgesichter angewachsen. So etwas hatte die Elbin noch nicht gesehen. Wohl aber schon von ihnen gehört. Es hieß, dies seien die verlorenen Seelen und Träume der Oasenbewohner, die früher hier gehaust hatten. Ob es der Wahrheit entsprach konnte Rutaara nicht wissen, doch nahm sie sich vor, keine dieser seltsamen Früchte zu sich zu nehmen. Sie würde auch darauf achten, dass keiner der anderen davon nahm. Nachdem sie diesen Gedanken verinnerlicht hatte, glitt ihr Blick zu dem runden Tempel, der wie eine Schale auf vier Säulen thronte. Jede der Säulen war mit einer anderen Farbe gestrichen. Auch befanden sich grotesk wirkende Statuen vor jeder der Säulen. Sie waren zwar nur halb so groß wie die Säulen, doch ihre Gesichter waren sehr naturgetreu ausgeführt. Das sah Rutaara selbst aus der Entfernung.
Cedrik und Catyua gingen eng umschlungen hinter Rutaara her und warfen immer wieder verstohlene Blick zurück. Es konnte ja sein, dass wieder ein Skelett erschien um erneut den Eintritt in die Oase verhindern wollte. Doch je weiter sie gingen, desto mehr kam Cedrik zu der Überzeugung, das war die letzte Hürde gewesen. Es dauerte nicht lange, so traten er und seine Gefährtin unter die ersten Palmen. Seinen Blicken entgingen die seltsamen Palmfrüchte keineswegs, doch er hatte schon so viele seltsame Dinge gesehen und erlebt, dass ihn das jetzt nicht sehr erschütterte. Seine Ohren fingen leisen Gesang auf und wie von einem geheimen Zug richtete er seine Schritte darauf hin. Catyua hob einen Arm, um sich eine der Früchte zu pflücken. Doch im gleichen Moment öffnete die Frucht die Augen und den Mund. Es wurden scharfe und spitze Zähne sichtbar und ein grausames Heulen kam aus der Tiefe der Frucht. Catyua zuckte erschrocken zusammen, riss ihre Hand wieder herunter und keuchte erschrocken auf. Wenn sie auf viel gefasst war, darauf war sie es nicht. Ihr lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter, als sie sah wie spitz diese Zähne waren. Beinahe hätte sie einen Finger verloren, wenn das Ding zugebissen hätte.
Assasina überdachte inzwischen, wie lange sie wohl brauchen würde, um den anderen zu folgen und ehe sie den See erreicht hatte um aus ihm zu trinken. Die Elfe krauste die Stirn als sie einen weit entfernten Gesang vernahm und bemerkte, dass die beiden vor ihr ziemlich ineinander verschlungen gingen. Das konnten nur Cedrik und das Mädchen sein, dachte Assasina und ein Grinsen erschien auf ihrem Gesicht. In den Eingeweiden rumorte der beginnende Hunger und ein großer Becher voll Wasser wäre jetzt auch nicht zu verachten. Der Staub der Knochengerüste kratzte noch immer in ihrer Kehle. Die Kampfelfe beschleunigte ihren Schritt, überholte den jungen Magier und Catyua um so rasch als möglich zwischen die Bäume zu gelangen. Dort versprach es etwas kühler zu sein, als hier am Rande der Wüste.
Dunkle Augen beobachteten die Wanderer, als diese die Oase am Rande mit den Palmen betraten. Dunkle Augen, in denen ein Feuer brannte. Augen, die von flammend rotem Haar umrahmt wurden und von einer relativ hohen Stirn wie von einem Dach begrenzt. Auf dieser Stirn befand sich ein Reifen in Form eines Drachens. Er bildete einen glanzvollen Gegensatz zu den dunklen Augen und dem Flammenhaar. Denn der Körper des Drachens war mit grünen Steinsplittern übersät, die im Licht der zahlreichen Flammen seitlich wie kostbare Preziosen funkelten. Die Augen wurden von langen Wimpern beschattet, an deren Spitzen feine Flaumfedern saßen. Eine kleine, schmale Nase und ein zarter Mund machten den Abschluss. Das Kinn unter der etwas zu breit wirkenden Unterlippe zeugte von Stärke aber auch von Eigensinn.
Agenor ließ die Pferde anhalten, gab seinen Männern mit einem stummen Wink den Auftrag auch die beiden Prinzlichen zu befreien und sah sich um. Er hatte kurz den seltsamen Eindruck, als würde ihn jemand beobachten, doch dann zuckte er die Schultern. Sicher würde das Singen nicht von irgendwelchen Geisterstimmen stammen, sondern aus dem Tempel kommen, der neben dem See stand. Eigentlich befand der Tempel sich im See und war mit einer schmalen Holzbrücke mit kunstvoll geschnitztem Geländer mit dem Seeufer verbunden. Die Schale, die auf den Säulen stand war bis zum Boden mit weich im leichten Wind wehenden Schleiern bedeckt und nur ein schmaler Spalt gewährte den Einblick in ein durch Licht erhelltes Halbdunkel. Einem seiner Männer gab Agenor den Auftrag, die ziemlich leeren Wasserschläuche wieder auf zu füllen. Insgeheim hoffte der Krieger dass der See Süßwasser beherbergte und kein Salzwasser. Doch um sicher zu gehen kniete sich Agenor rasch hin, streckte die Hand aus und tauchte sie ins Wasser. Überrascht fühlte er, dass das Wasser seltsam warm war. Schnell schöpfte der Krieger etwas in die Handfläche und führte diese dann zum Mund. Ebenso vorsichtig kostete er und war über den angenehmen Geschmack überrascht. Das Wasser schmeckte nicht sehr nach Wasser, eher nach Honig und süß. Noch immer drang der leise Gesang an sein Ohr und erzeugte tief in Agenor eine angenehme Müdigkeit.
„Seid willkommen Reisende! Ruhet aus von der Mühsal des Reisens aus und erfüllt Eure Seele mit der Ruhe der Zufriedenheit!“ sagte plötzlich eine Stimme, der man die ausgebildete Singstimme anhörte. Unsere Freunde hoben die Köpfe und unterbrachen ihre Tätigkeit. Ohne dass einem von ihnen es aufgefallen war, war ein weibliches Wesen erschienen. Sie hatte ein schlichtes Kleid an, das bis zum Boden reichte und ihren Kopf hatte sie mit einem bunten Tuch umwunden. Das Gesicht der Unbekannten war ziemlich bleich und die dunklen Augen lagen tief in den Höhlen. Die Gestalt war weniger schlank als schon eher dürr. Immer wenn eine sanfte Brise den Stoff des Kleides an den Körper presste enthüllte sich dessen Hagerkeit. Der Prinz und seine Gattin waren beim plötzlichen Geräusch der Stimme wie unter einem Blitzschlag zusammen gezuckt. Nur langsam entspannten sie sich als sie bemerkten, dass ihnen von der Fremden nichts schlimmes angetan wurde. Agenors Männer hatten ebenso ihre Tätigkeit unterbrochen, wie durch einen unhörbaren Befehl hatten sie sich so aufgestellt, dass sie die Mitglieder der Gruppe beschützen konnten. Aber es gab keine Gefahr. Die meisten Bewohner, die die Oase bisher durchstreiften, hatten sich verlaufen. Außer den Gruppenmitgliedern, Agenor und seinen Männern und der Fremden war niemand mehr in unmittelbarer Nähe. Die Melodie, die bisher erklungen war, war verstummt.
Agenor räusperte sich und neigte dann leicht den Kopf. Kurz flog sein Blick über seine Leute und den anderen, dann meinte er:
„Ich danke Euch, Lady. In der Tat sind wir weit gereist und auch sehr müde. Doch wollen wir Euch keine Mühe bereiten. Nur um etwas Essen und auch Wasser bitten wir, dann werden wir Euch wieder verlassen.“ Unruhig zog der Krieger seine rechte Schulter hoch. Es war nicht so seine Sache mit einer augenscheinlichen Priesterin zu reden. Da er als Antwort nur ein leichtes Lächeln erhielt, gab er seinen Männern einen Wink und diese begannen wieder ihre begonnenen Arbeiten weiter zu machen. Nach und nach wurden die gefüllten Wasserschläuche wieder an ihre Plätze an den Packpferden gebracht und dort fest gezurrt.
„Ich werde meinen Frauen sagen, sie sollen Euch zu Diensten sein!“ sagte nun die Fremde, wandte sich um und wollte eben wieder in Richtung des seltsamen Gebäudes gehen, als Sternenlicht langsam zu ihr trabte. Dicht blieb er vor ihr stehen, schaute sie an und stubbste schließlich ganz leicht gegen ihre Schulter. Kurz zeigte das Gesicht der Unbekannten Erschrecken, schließlich aber verschwand es und verwandelte sich in ein weiches Lächeln. Die Fremde hob ihre rechte Hand, der Ärmel ihres Kleides hing über die Finger und strich sacht über Sternenlichts Stirn. Dort, wo das durch den magischen Beutel versteckte Horn war. Kurz glühte dort der Stern auf, doch das war so kurz, dass Agenor nicht sagen konnte, ob er sich das nicht nur eingebildet hatte. Sternenlicht jedenfalls machte zwei Schritte zurück und wandte sich um, um zu den anderen Pferden zu traben. Dort begann er mit den Hufen im Sand zu scharren. Inzwischen hatte sich die Frau wieder auf den Weg gemacht, das Tempelartige Gebäude zu betreten. Kurz davor blieb sie stehen, hob ihre Hände und klatschte dreimal hinein. Es dauerte nur wenige Momente, da erschienen einige Frauen, auch in helle Kleider gekleidet und brachten kleine Tischchen und mehrere bunte Kissen. Einige hatten Körbe mit Brot, das frisch gebacken roch und Schüsseln mit Obst. Eine hatte einen durchscheinenden Krug in den Händen mit einer grünen Flüssigkeit. Körbe, Schüsseln und auch der Krug wurde auf die Tischchen gestellt, kaum waren sie vor dem Tempel hin gebracht worden und die Kissen luden zum sitzen ein. Agenor winkte seinen Männern und den anderen und machte sich ohne weiteres auf, sich auf einem Kissen nieder zu lassen.
Rutaara war keinesfalls entgangen, dass die Fremde aus dem Tempel gekommen war und dass die scheinbaren Bewohner der Oase verschwunden waren. Sicher waren nicht oft Reisende durch diesen Teil der Welt hier gewesen. Die Dunkelelbe zog die Brauen hoch, als Sternenlicht die Frau, die sicher eine Priesterin war, begrüßte und wie diese seine Stirn berührte. Sie hüllte sich in Geduld, als Agenors Krieger sich beim See bedienten und die bereits ziemlich geschrumpften Wasservorräte wieder ergänzten. Lyrael hielt sich eng an sie und Rutaara strich ihrem Gefährten über den Kopf, ohne sich etwas dabei zu denken. Erst als die Priesterin in die Hände klatschte und daraufhin einige Frauen erschienen mit Tischchen, Kissen und Brot, Obst und der Karaffe mit der Flüssigkeit, von der Rutaara annahm, dass es sich um Minztee handelte, entspannte sie sich. Auf Agenors Wink hin folgte sie einem der Krieger und ließ sich mit überkreuzten Beinen hinter einem der Tischchen nieder. Lyrael setzte sich dicht neben sie und beobachtete die anderen aufmerksam.
Es dauerte eine Weile ehe auch die anderen der Gruppe sich gesetzt hatten und sich an den dargebotenen Genüssen bedienten. Eine priesterliche Dienerin war auch noch aufgetaucht und hatte in ihren Armen einen großen Vorrat von Heu getragen. Sicherlich für die Pferde. Gleich danach hatte man unsere Freunde allein gelassen und hier und dort flackerten leise Gespräche auf, die jedoch bald wieder verstummten.
Assasina hatte sich einen großen Becher voll mit dem Getränk eingegossen und trank mit durstigen Zügen bereits den zweiten Becher leer. Es hätte sie nicht verwundert, wenn die Karaffe immer voll geblieben wäre. Doch diese war etwa zur Hälfte bereits entleert. Die Kampfelfe hob den Kopf als sie leise Gesänge hörte. Wahrscheinlich sangen die Priesterinnen im Tempel ihre Abendsegenslieder. Der Himmel hatte sich mit Abendrot überzogen und jetzt konnte Assasina das Spektakel wieder besser genießen. Sie griff nach einem Brot und biss mit Genuss hinein. Der Geschmack nach Nüsse und Honig füllte ihren Mund. Beinahe hätte sie genussvoll mit der Zunge geschnalzt. Nach all der Anstrengung würde es ein besonderes Vergnügen sein im Zelt zu lagern und endlich die müden Glieder ausstrecken zu können. Ein leichter Abendwind erhob sich und in den umgebenden Bäumen erwachten die Nachttiere.
Agenor saß bei seinen Männern und hatte seine Sinne auf Überwachung gestellt. Auch wenn er nicht daran glaubte, dass sie hier in der Oase der Wünsche in Gefahr waren, aber man konnte nie wissen. Sobald alle sich gestärkt hatten, würden sie die Zelte aufstellen und zwei seiner Männer würden ihren Wachgang beginnen. Agenor schaute rasch zu dem Tempelgebäude hin und fragte sich, was wohl hinter den Vorhängen zu sehen war. Aber da er keine priesterlichen Ambitionen hatte, achtete er nicht sonderlich darauf. Der Himmel hatte sich in kurzer Zeit mit einem feurigen Abendrot überzogen und hier und dort blinkten auch Sterne durch die orange angehauchten Wolken. Das Nachtgetier erhob seine Stimmen und der beginnende Abendwind wehte Agenor die länger gewordenen Haare in die Stirn. Der Becher, der vor ihm stand war mit der unbekannten Flüssigkeit gefüllt, die wie ein Mittelding zwischen Met und Bier schmeckte und aussah als wäre es Tee. Der Krieger fuhr sich mit der rechten Hand über das Kinn und spürte dort den wieder sprießenden Bart. Da wurde wohl wieder eine Rasur fällig. Vor allem wenn er vor dem König stand. Unwillkürlich gähnte Agenor und schlug sich erschrocken die Hand auf den offenen Mund.
Die Mahlzeiten und Getränke waren noch nicht ganz aufgebraucht, als erneut einige Priesterinnen aus dem Tempel kamen, in den Armen mehrere Packen. Diese brachten sie in die Nähe der Bäume, stellten sie auf und dadurch entpuppten sie sich als Zelte. Kaum standen die Unterkünfte, begaben sich die Frauen wieder zum Tempel, verneigten sich gegen die müden und bereits gesättigten Gäste, um gleich darauf wieder hinter dem Schleier zu verschwinden.
Zwei der Männer von Agenor hatten ihre Mahlzeit beendet und standen nun auf. Sie begaben sich zum Prinzenpaar, das eng nebeneinder saß und der Prinz eben seine Gattin fütterte. Der eine Krieger beugte sich hinunter und flüsterte dem Prinz ins Ohr:
„Hoheit, Ihr solltet das Mahl beenden und Euch endlich ausruhen. Eure Gattin ist schon ziemlich müde und wir haben die Verantwortung über sie und auch Euch. Euer Vater, der Talkönig wird sonst sehr böse und ungehalten, wenn Ihr Euch nicht ausruht!“ Der zweite Krieger sah sich immer wieder um, als würde er dem Frieden nicht trauen, der sich über die Oase gesenkt hatte. Als irgendwo in den umstehenden Bäumen ein Geräusch ertönte, zuckte er erschrocken zusammen. Hin und wieder hörte man ein leises Plätschern aus dem See, wahrscheinlich waren es Fische, die sich an den über dem Wasser schwebenden Insekten gültlich taten. Der Prinz hatte kurz inne gehalten, als sich der Krieger Agenors über ihn beugte, aber gleich darauf hatte er mit der Fütterung seiner Gattin weiter gemacht. Die Prinzessin verzog immer wieder das Gesicht und zitterte leicht. Der auffrischende Wind schien sich durch ihre Kleidung zu schleichen. Schließlich sah sie sich suchend um und erblickte neben ihrem Sitzkissen eine dicke Decke. Diese ergriff sie und legte sie sich um die Schultern. Danach öffnete sie wieder ihren Mund und ließ sich weiter füttern.
Cedrik war – obwohl er länger nichts zu sich genommen hatte – nicht sehr hungrig. Er sah den anderen zu wie die aßen, lächelte hin und wieder Catyua zu, schaute zu Agenor und den beiden Prinzlichen. Schließlich griff er nach seinem Glas, trank einen großen Schluck und stellte es wieder auf den Tisch. Er gähnte verstohlen. Sein Blick glitt nach oben zum Nachthimmel, auf dem bereits ein hell glitzernder Abendstern stand. Er sah aus, als würde er Cedrik zuzwinkern. Unwillkürlich zwinkerte dieser nach oben zurück. Ein kleines Lachen bildete sich in Cedrik Hals und wäre sicher hervor gebrochen, wenn nicht im gleichen Moment die Geiststimme seines älteren Ichs sich geräuspert hätte. So also schluckte er das Lachen hinunter und beschloss sich von seinem Platz zu erheben, um sich zu seinem Nachtlager zu begeben.
„Liebste, wie ist es mit dir? Bist du fertig? Ich denke, wir sollten uns zur Ruhe begeben, morgen wird wieder ein anstrengender Tag werden!“ Catyua nickte, legte leicht ihre Hand auf Cedriks Arm und sagte leise:
„Ja, ich bin auch rechtschaffen müde. Die anderen sind auch schon sehr leise geworden und die Nacht senkt sich bereits nieder. Ich hoffe nur, dass ich nichts böses träume.“
Agenors Kopf war nach vorne gesunken. Leise Schnarchgeräusche drangen aus seinem leicht geöffneten Mund. Einer der Krieger schaute zu ihm hin und musste sich das Grinsen verbeißen. Rasch schaute er um sich, ob jemand der anderen etwas gemerkt hatte, doch auch seine Kollegen waren eher schon mehr im einschlafen. Ohne dass es ein verräterisches Geräusch gegeben hatte, war wieder eine der Priesterinnen erschienen, hatte die benutzten Gerätschaften samt Tische mit sich genommen. Es war wie Zauberei. Der Krieger schaute erneut zu Agenor und verzog das Gesicht. Das feine Licht, das auf dessen Antlitz fiel enthüllte den Spuckefaden, der ihm aus dem Mund lief. Der Mann schüttelte den Kopf. Das ging doch nicht an, dass jemand der anderen merkte,
wie sich Agenor zum Affen machte. Der Mann begab sich zu seinem Kommandanten, rüttelte ihn leicht an der Schulter und trat einen raschen Schritt zurück, als Agenor ruckartig seinen Kopf hoch riss. Agenors Augen waren etwas verschwollen, doch er bemerkte, dass die Tische und auch die Reste der Mahlzeit verschwunden war und erhob sich. Ohne ein weiteres Wort begab er sich zu dem einen Zelt, zu dem ihn sein Untergebener führte und verschwand darin.
Rutaara hatte sich erhoben, kaum war sie fertig mit Speise und Geträmk, hatte ihren Reisebeutel ergriffen und wollte sich eben zu den Zelten begeben, als eine leise Stimme in ihrem Rücken sagte:
„Verzeiht, hohe Frau, ich merkte, dass Ihr eine Priesterin seid. Würdet Ihr gerne mit mir kommen um mit unserem Orakel Euer Begehr zu erörtern?“
Rutaara wandte sich überrascht um und sah eine kleine Frau vor sich stehen. Sie hatte das weiße Kleid einer Priesterin an und ihre offenen Haare, die beinahe ihre Hüfte erreichten, hatten einen leichten Schimmer wie brüniertes Eisen. Vereinzelte graue Strähnen durchzogen ihr ansonst doch eher dunkles Haar. Obwohl ihr Gesicht das einer jungen Frau zeigte, war sie gewiss mehr als ein Jahrhundert alt. Und sie schien ein Mitglied der bereits nur mehr sehr vereinzelt vorkommenden Halblinge zu sein. Allerdings hatte sie auch etwas von Elben an sich, denn zum Gegensatz von Halblingen, die eher dunkle Augen hatten, hatte die Priesterin vor Rutaara zwei verschieden farbige Augen: eines war hellblau und das andere glomm in einem seltsam düsteren Grün. Rutaara nickte, sie war schon gespannt, hatte sie doch schon so viel von solchen geheimnisvollen Tempeln gehört. Und wann hatte man schon Gelegenheit in der Wüste der Wünsche den berühmten Tempel und das Orakel Moya Yebela zu betreten?
„Stört es recht, wenn ich meinen Beutel bei mir behalte? Muss ich meine Kleidung wechseln und etwas besonderes anziehen?“ fragte Rutaara. Doch die kleine Priesterin schüttelte den Kopf und meinte nur, die Hand nach dem Tempel ausstreckend:
„Nein nichts besonderes, ausser Ihr wollt etwas anderes anziehen. Und bitte seid vorsichtig, dass Euch die Juvinaten nicht hören. Sie sind sehr ängstlich.“
„Juvinaten?“ Davon hatte Rutaara noch nie gehört. Die kleine Priesterin, die noch immer ihren Namen nicht genannt hatte, nickte und dachte kurz nach. Dann meinte sie mit einem schwachen Grinsen im Mundwinkel:
„Ihr würdet zu ihnen Wasserwesen sagen. Sie wohnen im See und singen gerne. Aber wenn sie sich ängstigen oder erschrecken, dann rühren sie den See auf und ich denke, das würde die Brücke nicht aushalten. Da wir keinerlei Bäume mehr opfern, können wir auch die Brücke nicht mehr instand setzen!“
Rutaara schaute kurz zu Lyrael und plötzlich formte sich in ihrem Kopf ein bestimmtes Bild: eine Gruppe von Nixen mit bunten Schuppen auf ihren anmutigen Körpern und Regenbogenhaar schwamm im See, der bis zum Grund von einem schwachen Leuchten erhellt war. Kristallhügel waren scheinbar die Unterkünfte der Nixen und jetzt verstand die Elbe. Sie versprach vorsichtig zu sein und wollte sich eben mit der Priesterin auf den Weg machen, als Assasina sie am Arm fest hielt.
„Ich begleite euch beide und werde diese komischen Juvinaten nicht ängstigen!“
Assasina war froh, als sie merkte, dass sie ihren Magen gefüllt hatte und musste grinsen, als sie Agenor beim Schnarchen bemerkte. Es dauerte dann auch nicht lange, da wurden die übrigen Schüsseln und Kissen sowie die Tische wieder weg geräumt und Assasina warf einen Blick zum Himmel. Kurz schien er in ein leichtes Flimmern gehüllt zu sein, doch die Kampfelfe war sich nicht sicher, ob sie sich nicht von ihrer Müdigkeit und dem satten Bauchgefühl verleiten hat lassen, etwas zu sehen was es eigentlich nicht gab. Langsam erhob sie sich, streckte sich und griff nach ihrem Beutel. Sie besah ihn sich kurz und bemrkte die zahlreichen abgewetzten Stellen daruf. Sicher musste sie in der nächsten Zeit damit rechnen, die eine oder andere der abgewetzten Stellen durch neue Flicken zu ersetzen. Aber solange nichts heraus purzelte und sie den Verlust auch noch rechtzeitig merken würde, war alles gut. Assasina wurde in ihrer Betrachtung gestört, als eine Priesterin, die kleiner als sonst ein Wesen wirkte zu Rutaara trat und mit ihr flüsterte. Die Kampfelfe hielt den Atem an um besser mit hören zu können. Die Frage Rutaaras aber verstand sie genau und reimte sich schnell zusammen, dass die Elbin zu einem Besuch im Tempel geladen worden war. Erst wollte Assasina zurück bleiben, aber irgednwas in ihr drängte sie danach, zu fragen ob sie mit gehen dürfte. Doch da sie schon ahnte, dass dies bestimmt eine Absage mit sich brachte, sagte sie ziemlich überzeugend:
„Ich begleite euch beide und werde diese komischen Juvinaten nicht ängstigen!“ Sie fragte nicht weiter nach, was denn eigentlich 'Juvinaten' waren und verließ sich in der Sache eher darauf, dass ihnen hier in der Oase der Wünsche nicht viel böses passieren könnte. Sie folgte dicht hinter Rutaara, die wieder dichtauf der Priesterin folgte zur Brücke, über diese hinweg – wobei die doch sehr filigrane Konstruktion unter ihren Füßen bebte – und betrat hinter den beiden vor ihr gehenden als Letzte den Tempel.
Hatte dieser von aussen nach allen Seiten eher offen durch die Schleier daran gewirkt, bot er im Inneren eigentlich eher den Eindruck eines in sanftes, blaues Licht gehüllten Raumes. Die Stimmen der Oase verstummten wie abgeschnitten und Assasina bemächtigte sich ein seltsames Gefühl. Es war nicht Angst oder Sorge, eher Ehrfurcht. Vor allem als sie die Schale betrachtete, die aussen riesig wirkte, hier innen jedoch wie ein Drittel davon und auf einem Saulentisch stand.
Der Geist hatte viele Jahrhunderte gewartet und nie kam die erlösende Nachricht, er dürfe endlich ins Heilige Ende gehen. Sein Körper war vor langer Zeit zerfallen und nur noch seine Erfahrungen, Gedanken und sein Wille waren hier geblieben. Hatten die Stätte erfüllt und auch die uralte Hohepriesterin Iriana Silberherz am Leben gehalten. Die Hohepriesterin hatte sein Ende mit erlebt, doch kein Sterbenswort war aus ihrem Mund gekommen. Sie hatte nur in alle Winde der bekannten und unbekannten Welt Diener ausgesandt um zu erkunden, ob nicht doch eine Möglichkeit bestand, ein neues Urkäferei zu finden. Hatte doch die Kunde ergeben, dass es mindestens noch drei der ach so seltenen Urkäfereier geben sollte. Eines war das Opfer einer uralten Drachenfehde geworden, eines wurde zerstört, als man es in die Schale der Vergangenheit gegeben hatte, statt in die Oase der Wünsche zu bringen, das letzte war verschollen. Der Geist hatte alle die Neuankömmlinge überwacht und sie alle als Träger und Bringer eines neuen Urkäfers ausgeschlossen. Nun waren wieder einige neue Wanderer erschienen und … da war ein so sanftes Klingen als würde die Himmelsharfe leise jubilieren. Sollte es tatsächlich sein? Sollte ein neues Leben möglich sein? Der Geist beschloss, sein altes Imago anzunehmen, um mit den beiden Wesen, die sein Heim betreten hatten, in Kontakt zu treten. Denn er war es schon lange leid, nur als Geist hier herum zu irren. Vielleicht hatten die Götter, deren Existenz er oft schon in Frage gestellt hatte, nun endlich ein Einsehen mit ihm Und so nahm der Geist sein Imago und streifte dieses über.
Die Priesterin blieb vor der Schale stehen und wies hinein. Mit einer Hand beschrieb sie einen Bogen und ein schwaches Licht glomm nun um die Schlae.
„Dies ist das Herz und die Seele der Oase der Wünsche. Kennt Ihr die Geschichte des Urkäfers?“
„Ich habe davon gehört“, erwiderte Rutaara und zog unbehaglich ihre rechte Schulter hoch.
„Ist das nicht eher Humbug?“ fragte Assasina und handelte sich einen strengen Blick der Priesterin ein. Na schön, wenn die nur mit Rutaara reden wollte, sollte sie. Sie selbst würde schon höllisch aufpassen, dass da kein krummes Ding gedreht wurde.
Die Priesterin wandte sich wieder an Rutaara und sagte erneut:
„Kennt Ihr die Geschichte des Urkäfers? Ihr seid Priesterin, Ihr habt viel erlebt und noch mehr gesehen. Habt Ihr von dem letzten Ei des Urkäfers gehört?“
Rutaara senkte den Blick in die Schale und zuckte unwillkürlich zusammen, als ein winziger Käfer dort erschien. Er hatte Kleidung wie ein normaler Mensch an und auf seinem Kopf waren statt Fühler vier Tentakeln, die blaue Blitze aussandten. Statt sechs Beine hatte er acht und seine Flügeln waren so durchsichtig wie bei einer Libelle, nur dass sie nicht schillernden, sondern ein stumpfes Grau zeigten.
„Ist das der Urkäfer?“ erkundigte sich Rutaara. Irgendwie hatte sie sich den Käfer anders vorgestellt.
„Ja, das war der Urkäfer. Um ein Ei zu bekommen müssen zwei männliche Urkäfer Hochzeit machen mit einem Urkäferweibchen. Das letzte Urkäferweibchen erlag einer unbekannten Krankheit. Das eine Urkäfermännchen folgte ihr alsbald in den Tod. Das letzte Urkäfermännchen jedoch hatte ein Urkäferei in seinem Eibeutel. Jedoch … als es aufbrach war nur ein männlicher Urkäfer drinnen. Und es gibt keine Urkäferweibchen mehr. Nicht mehr seit die Dämonenbrut wieder in der Ausdehnung begriffen ist!“ Tränen liefen der Priesterin über die Wangen und sie wischte diese mit einem leichten Erröten weg.
„Soll das heißen, dass die Oase der Wünsche in naher Zukunft irgendwo in der Zeit verschinden wird?“ erkundigte sich Assasina und spürte einen Schauer über den Rücken laufen. Da waren sie so weit gekommen und jetzt? Die Kampfelfe hatte gute Lust vor beginnenden Frust in die Schale zu spucken oder wenigstens etwas hinein zu werfen. Kaum hatte sie dies gedacht, verschwand der Käfer. Wahrscheinlich war es ein Traumbild gewesen.
Der Geist besah sich sein Imago und fand, dass es sich gut gehalten hatte. Das leise Singen war lauter geworden und er fühlte die Schwingungen, die ihn beinahe in taumelnde Freude versetzten. Der Geist, der zu seinem Imago geworden war verließ seinen Ankerplatz und betrat durch das Aurorentor den Tempel.
„Die Oase der Wünsche wird immer wieder reisen, so wie Ihr reisen werdet, Fremdlinge!“ sagte das Imago und streckte sich etwas in die Höhe. Es verharrte kurz, dann ließ es sich wieder zurück sinken. Die Schwingungen, die es jetzt immer deutlicher verspürte waren wie ein heilendes Bad und veränderten die taumelnde Freude in helle Ekstase.
Tag der Veröffentlichung: 06.10.2011
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