Der Eintritt des Anfangs
»Guten Morgen, Junge! Du solltest aufstehen! Dein neuer Chef wird nicht sehr erfreut sein, wenn du schon am ersten Tag zu spät in die Arbeit kommst!« Die Stimme vom Eriks Mutter klang wieder laut und hatte jenen rauen Unterton, der Erik verriet, dass sie bereits mehrere Whiskys gekippt hatte. Er seufzte. Erik öffnete die Augen, setzte sich auf und streckte sich erst einmal ausgiebig. Dann fiel sein Blick auf den Zeitmesser und ein heisser Schreck fuhr durch seine Glieder. Au verdammt! Er hatte gerade noch Zeit, sich zu waschen und seine halblangen verwuschelten Locken einigermaßen in Ordnung zu bringen, Frühstück musste ausfallen. Dieser Job war sehr wichtig für ihn, die vorigen zwanzig hatten ihm freundlich, doch sehr bestimmt abgesagt. Und er wollte endlich etwas sinnvolles tun.
Erik schwang seine Beine aus dem Bett, stand auf und lief ins Bad. Dort griff er nach der Bürste und öffnete den Wasserhahn. Mit einer Hand frisierte er sich, die andere spritzte etwas Wasser ins Gesicht. Danach trocknete er sich ab und beäugte etwas skeptisch den schütteren Bartwuchs. Na, heute würde er keine Rasur benötigen. Seine wenigen Bartgrannen konnte man ja auf zwei Händen abzählen. Rasch putzte er sich noch seine Zähne, fuhr sich mit dem Handtuch erneut über den mit Zahnpasta verschmierten Mund und sah sekundenlang auf das Handtuch. Er zuckte die Schultern, seine Mutter würde eben ein weiteres Handtuch zum Waschen haben. Ein erneuter Blick auf die Uhr, Erik verließ im Laufschritt das Bad, ergriff die Tasche die ihm seine Mutter hin hielt und verließ das Haus. Er wandte sich nach rechts und hoffte im Stillen, dass der Bus noch nicht weg war.
Eriks Blick fiel auf den über der Stadt sich verdunkelnden Himmel. Seltsame gelbstichige Schwaden breiteten sich aus und aus dem Augenwinkel sah er, dass auch andere Passanten stehen geblieben waren, um dieses seltsame Phänomen zu betrachten. Elektrische Entladungen brachten seine Haare dazu, sich aufzurichten.
»Was, zum Teufel, ist das?« Unwillkürlich rieb er sich über seine kribbelnde Haut auf den blossen Armen.
Ein plötzlicher Blitz, der weiter vorne in eines der höheren Häuser einschlug, versetzte ihn in Panik. Da kam ein schweres Gewitter auf ihn zu. Wäre wohl besser, wenn er wieder umkehren würde.
Die umgebende Luft begann zu knistern und Erik hatte einen eigenartig metallischen Geschmack im Mund. Immer öfters zuckten Blitze auf und die gelblichen Schwaden nahmen nun die Farbe Dunkelrot an. Eriks Plomben begannen zu schwingen und er verzog das Gesicht, als der Schmerz beinahe unerträglich wurde. Schon wollte er sich umwenden, um wieder zurück ins Haus zu laufen, da bildete sich knapp vor ihm ein dunkles, spiralig routierendes Loch und fesselte sein Interesse. Beinahe ohne nachzudenken, stolperte Erik darauf zu und atmete erleichtert auf, als in seinem Mund plötzlich wieder Schmerzfreiheit herrschte.
Kurz hatte Erik das sonderbare Gefühl des freien Falls, dann schlug die Schwärze über ihm zusammen und er stieß einen erschrockenen Ruf aus, der sich eigenartig gequetscht anhörte. Er machte noch einen Schritt vorwärts ...
... und taumelte auf der anderen Seite aus dem Loch heraus. Erik wandte sich rasch um und sah noch, wie das Loch kollabierte und verschwand. Die herrschende Hitze trieb ihm den Schweiß auf die Stirn und erst jetzt sah er, dass er eigentlich nicht mehr in der ihm bekannten Stadt war. Er stand am Rande von ihr, doch die Häuser waren an ihren Außenfronten abgeblättert, manche Fenster waren ohne Scheiben und die Straße, die in die Stadt führte war von Unkraut überwuchert. Was war geschehen? Hatte er einen Zeitsprung gemacht? Eigentlich würde dieses Phänomen ja in die Utopie gehören und Erik hatte noch nie viel für dieses Genre über.
»Jetzt fehlt noch, dass über mir ein Ufo auftaucht und kleine, grüne Männchen sagen, dass sie nach Hause telefonieren wollen!«
Ein leises Lachen hinter Erik ließ ihn herum wirbeln.
»Leider kann ich dir damit nicht dienen. Aber wenn du ein Gefährt mit Gyrosmotor auch annimmst, kann ich dich hin bringen, wohin du auch immer möchtest!«
Der Sprecher war ein junger Mann, ein wenig älter als Erik, hatte dunkles, kurzes Haar und ebensolche Augen. Er war etwa so groß wie Erik, doch schlanker als dieser. Beinahe könnte man ihn als hager bezeichnen.
»Verzeih, ich vergaß meine Kinderstube. Mein Name ist Robin. Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Ãh ... ich bin Batman!«
»Tatsächlich?« Die Stirn des Fremden runzelte sich, doch gleich darauf glitzerte Schalk in seinen dunklen Augen.
»ich kenne die meisten Scherze dieser Art, mein lieber Freund! Aber wenn du möchtest, kann ich dich gerne so nennen!«
»Nein, danke nicht unbedingt. Tut mir leid, ist mir so rausgerutscht. Mein Name ist Erik. Und was, bitte, ist ein Gyrosmotor?«
»Diese Art der Motoren wird durch das Magnetfeld eines Planeten angetrieben. Du scheinst nicht von hier zu sein, dass du dieses nicht kennst, oder?«
»Nein, ich komme von dort!« Und Erik streckte die Hand aus und zeigte mit dem Finger in die Richtung, die hinter Robin lag. Dieser wandte sich kurz um, runzelte die Stirn und sagte dann etwas, das kalte Schauer über Eriks Rcken laufen ließ.
»Ich spüre an dir Reste eines Zeitfeldes!«
»Eines ...was?«
»Kamst du durch ein schwarzes Tor, in dessen Inneren Blitze zuckten?«
»Ja, genau so sah es aus!«
»Ja, das dachte ich mir. Hier liegen viele Zeitfelder nahe beieinander. Zu deinem Pech hast du eines davon gefunden. Ich denke, ich werde dich erst einmal zu mir nehmen, dort kannst du deinen Schreck langsam verdauen. Mi Casa is su Casa!«
»Was?« Erik spürte die Verwirrung über seinem Kopf zusammen schlagen.
Doch dieser Robin hielt sich nicht länger mit ihm auf, winkte Erik zu einem Fahrzeug, das kleine Deltaflügel an den Seiten aufwies und aus dessen Seitenteil sich eine schmale Rampe schob. Robin winkte erneut und Erik folgte ihm auf die Rampe, die sich sofort in Bewegung setzte und beide ins Innere des Gefährts schob.
Drinnen sah es nicht anders aus, als die Automobile, die Erik kannte. Nur es gab kein Lenkrad. Stattdessen befand sich dort eine Konsole, davor stand ein Sessel, in dem sich Robin setzte und die daran befestigten Gurte anlegte. Erik folgte seinem Beispiel und setzte sich in den Stuhl neben den Robins. Auch er legte die Gurte an und atmete überrascht ein, als sich der Gurt ziemlich fest über ihn straffte und ihn in den Sitzpolster drückte. Auch dieser passte sich Eriks Körperkonturen an und kippte ihn in eine halb liegende Position.
»Wahnsinn!«
»Ja, ist zwar nur eine kleine technische Spielerei, aber bei einem Lichtsturm sehr hilfreich!«
»Was zum Teufel, ist ein Lichtsturm? Und wo bringen Sie mich hin?«
Erik hatte sein Gesicht dem Piloten zugewandt.
»Zuerst bitte ich dich, dieses Fluchen einzustellen. Zum anderen muss ich dir einen Tadel aussprechen. Ich habe dir erklärt, dass ich dich zu mir nach Hause bringe. Dort kannst du dich von deiner Reise erholen!«
Erik presste seine Lippen aufeinander. Dies sah sehr nach Entführung aus!
Es dauerte nur wenige Minuten, dann verlangsamte das Gefährt und blieb schließlich stehen, nachdem es in eine Art Tiefgarage gerollt war. Der Sessel kippte wieder in aufrechte Position und der Gurt löste sich. Sowohl Erik, als auch der Pilot erhoben sich und verließen das Gefährt über die ausfahrbare Rampe.
»Ich werde so bald als möglich die Polizei verständigen. Meine Mutter hat keine Reichtümer, die sie Ihnen geben kann. Meine Entführung hat also keinen Sinn gehabt!«
Erik blieb stehen, als auch sein Entführer stehen blieb. Er sah das erstaunte Gesicht.
»Wovon sprichst du?«
»Sie haben mich umsonst entführt. Meine Mutter bezieht nur einen kleinen Gehalt, davon können wir uns so gerade die Miete in dem Wohnbau leisten und dass wir einmal im Jahr in einen kleinen Urlaub fahren können. Meist zu meiner Großmutter, an den Baggersee!«
»Ich denke, oben wird sich alles klären. Komm jetzt mit, denn hier stehen zu bleiben, ändert an deiner Situation auch nichts mehr. Und was deine Familie betrifft, ich fürchte du wirst sie nicht mehr wiedersehen. Man kann nur ungenau den ungefähren Eintrittszeitpunkt errechnen. Und mit der Umkehr ist das so eine unsichere Sache. Womöglich kommst du sogar noch vor deiner Geburt aus dem Tor. Aber vielleicht kann Ben dir ja helfen. Wenn er's auch nicht kann, dann musst du wohl oder übel da bleiben!«
Ohne ein weiteres Wort wandte sich Robin um und ließ den sprachlosen Erik in totaler Verwirrung stehen. Wollte dieser den Anschluss zu seinem seltsamen Entführer nicht verlieren, musste er wohl oder übel folgen.
Kurz sah er sich um. Er befand sich zwar in einer Tiefgarage, doch die Tür, durch die sie herein gefahren waren, hatte sich bereits wieder geschlossen. Und sie sah ganz danach aus, als ließe sie sich nur durch einen Impulsgeber oder Funksender öffnen.
Erik zuckte die Schultern und lief hinter Robin her, der bereits einen schmalen Raum betreten hatte. Beim Näherkommen bemerkte Erik, dass es sich um eine enge Liftkabine handelte. Leise Musik empfing ihn und er betrat den Lift. Kaum hatte er sich neben Robin gestellt, setzte sie sich auch schon in Bewegung.
Immer wieder warf er schräge Blicke auf Robin, er wollte sich wenigstens seinen Entführer so genau wie möglich merken. Damit er ihn später dann beschreiben konnte.
Es war heiß in der Kabine und die Fahrt schien endlos zu dauern.
»Kann man nicht den Ventilator einschalten? Diese Hitze hält ja kein normaler Mensch aus!«
»Es herrscht hier gut themperierte Wärme!« Robins Brauen schnellten in die Höhe, als er Erik betrachtete.
Er legte eine Hand auf dessen Stirn und sein Gesicht wurde besorgt. Mit einem sanften Ruck blieb die Liftkabine stehen und die Türe öffnete sich. Erik fühlte Übelkeit in sich hochsteigen.
Er zuckte zusammen, als ein riesiges Insekt, eine gigantische Biene, vor ihm stand und deren Fühler seine Stirn betrillerten.
»Allmächtiger! Ich bin mitten im ‘Krieg der Welten’ gelandet!« keuchte er auf, dann brach er wie vom Blitz getroffen zusammen. Mitten in das fürsorglich hoch gestreckte oberste Beinpaar der Riesenbiene.
Robin nickte seinem Gast zu und dieser trug Erik zu einem gemütlichen Sofa, legte ihn darauf nieder und wartete, dass Robin mit der Untersuchung des Bewusstlosen begann. Mittlerweile hatte sich die Liftkabine geschlossen und die leise Musik war verstummt.
»Was meinte er mit ‘Krieg der Welten'?« fragte das Insekt mit leicht singender Stimme. Robin zuckte die Schultern, setzte sich neben Erik, dessen Augenlider bereits wieder zu flattern begannen, und fuhr wenige Zentimeter über dessen Körper mit der Hand hinweg. Einigemale verharrte er kurz an verschiedenen Stellen, dann wartete er, bis Erik die Augen aufschlug.
Als Eriks Blick auf das neben Robin stehende Insekt fiel, stöhnte er auf.
»Gott, das war kein Traum?«
»Danke zuviel der Ehre. Ich bin kein göttliches Wesen!«
»Banjamp!« Robins Stimme sagte dieses Wort ziemlich vorwurfsvoll. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, wandte sich das Insekt ab und verließ Eriks Blickfeld.
»Du solltest ihn nicht so ernst nehmen. Geht es dir etwas besser?«
»Was ist denn passiert?«
»Du bist bewusstlos geworden. Dein Körper weist eine erhöhte Strahlung auf. Nichts, was wir nicht in den Griff bekommen, aber die nächsten Tage wirst du dich sehr krank fühlen!«
»Na toll! Erst eine Entführung, jetzt Strahlentod!«
»Von einem Tod habe ich nichts gesagt. Es ist nicht leicht, ein Zeittor ohne Beschädigung zu durchschreiten. Möchtest du etwas trinken?«
»Hm. Bier wäre nicht schlecht!« Erik versuchte sich aufzusetzen und war erstaunt, dass es ihm gelang. Sein Blick fiel auf das weiter entfernt stehende Insekt und er wandte sich an Robin. Kurz deutete Erik auf das Insekt und flüsterte:
»Was ist das für ein Ding?«
»Das ist kein Ding. sondern mein Freund Banjamp. Er stammt aus dem Volk der Insektadae vom Planeten Sexta und ist einer der letzten vollausgereiften Imagos.« Robin stand auf und überließ es Erik, mit diesen Worten etwas anzufangen.
»Alkohol kann ich dir nicht bieten, jedoch ein Glas Wasser oder Fruchtsaft, wenn dir das lieber ist!«
»Wasser wäre nicht übel, danke!« Erik warf immer wieder schnelle Blicke zu der Riesenbiene, die sich auf einen etwas weiter entfernten, bequemen Stuhl gesetzt hatte.
Da Erik noch nie eine Biene auf ihrem Allerwertesten sitzen gesehen hatte, bot das Rieseninsekt einen etwas seltsamen Anblick. Robin war inzwischen zu einer Anrichte gegangen, hatte aus einem Glaskrug Flüssigkeit in ein Glas geleert und brachte dieses Glas nun Erik. Dieser nahm es entgegen und trank es mit durstigen Zügen leer. Dann reichte er es Robin.
»Noch eines?«
»Ja, bitte. ich weiß nicht, warum ich so viel Durst habe!«
»Das ist die Strahlung. Dein Körper benötigt Zeit, die Auswirkungen deines Übertritts zu kompensieren.«
Erik runzelte die Stirn und warf einen erneuten Blick zu Banjamp. Die großen Facettenaugen starrten zurück. Der dunkle Chitinpanzer umhüllte den schlanken Insektenkörper wie ein enges Korsett und an der Stelle, an der Insekten ihre Tailleneinschnürung hatten, bemerkte Erik erst jetzt eine Fussballgrosse Ausbuchtung. Er hatte schon von Insekten gelesen, die auf ihren Körpern schmarotzende Plagegeister hatten. Vielleicht war diese Ausbuchtung so was.
Als Robin das Glas Erik in die Hand gab, meinte dieser, mit dem Kopf zu Banjamp nickend:
»Ihr Freund dort hat einen Schmarotzer auf sich. Sie sollten aufpassen, dass er den nicht hier in Ihrer Wohnung verliert!«
Kurz hob Robin eine Braue, dann sah er zu Banjamp hin. Sein Blick verdüsterte sich, als er sich wieder Erik zuwandte.
»Ich finde, du solltest dich langsam bei Banjamp entschuldigen. Das was du als ‘Schmarotzer’ bezeichnest, ist die Brut des Imago. Du bist sehr unhöflich!«
»Die Brut? Sie meinen, das ... Dings dort hat Junge, die sie wie eine Geburtshelferkröte mit sich herum schleppt?«
Erik zuckte zusammen, als die Biene aufstand und ein dicker Stachel sich aus dem Unterleib schob. An dessen Spitze erschien ein grünlicher Tropfen einer Flüssigkeit, deren Zusammensetzung Erik lieber nicht wissen wollte.
»Was hast du gegen mich, Hautling? Du kennst mich doch nicht einmal!«
»Ich ... das Ding spricht ja! Und es spricht verständlich!«
»Dafür ist dein Benehmen umso unverständlicher!« Die Stimme Robins hatte einen metallischen Klang angenommen.
Doch Erik konnte sich nicht mehr darauf konzentrieren. Ihm wurde immer heißer und schließlich brach ihm der Schweiß aus. Die Hand mit dem Glas zitterte und verschüttete die Flüssigkeit über das Sofa und auf den Boden.
»Ich glaube, mir wird schlecht!« stöhnte Erik und wollte sich erheben. Doch Robins Hand drückte ihn nieder.
»Ich würde an deiner Stelle liegen bleiben. Du würdest es nicht mehr schaffen ...!«
Erik hörte nicht mehr, wohin er es nicht mehr schaffen würde, denn er erbrach sich ziemlich lautstark.
»Ich denke, dass dies dann wohl nicht in wenigen Tagen bereinigt ist. Scheint die schwerere Form zu sein!«
Robin wartete ab, bis ausser etwas Galle nichts mehr aus Erik heraus kam. Dann meinte er, auf die beschmutzte Kleidung Eriks deutend:
»Zieh das aus, das muss gereinigt werden. und dich werde ich erst einmal ins Bad stecken. Dann kann ich dir noch immer die erste ...!«
Mehr hörte Erik nicht mehr, denn er verdrehte die Augen, sackte zurück und verlor das Bewusstsein. Das Glas fiel aus seinen sich öffnenden Fingern.
»Kommst du alleine mit dem Hautling zurecht, oder benötigst du meine Hilfe?«
»Ach Banjamp! Du bist doch sonst nicht zu dünn besaitet! Ich nehme gerne deine Hilfe an!« erwiderte Robin und machte sich daran, vorsichtig und ohne das Erbrochene viel zu berühren, Erik aus den Kleidern zu schälen.
Kaum war das geschehen, nahm Banjamp den noch immer Bewußtlosen auf sein Beinpaar und trug ihn zu dem sich an das Wohnzimmer anschließenden Baderaum.
Im Boden war ein kleines Becken eingelassen, das sich bereits mit heißem, duftenden Wasser gefüllt hatte. Drei Stufen führten ins Becken und Banjamp betrat die erste, als Robin ebenfalls den Raum betrat. Robin hatte die beschmutzten Sachen in den Hauseigenen Wäscheschacht geworfen, wo die Kleidung gekennzeichnet wurde, um die richtigen Kleidungsstücke zum richtigen Besitzer zu bringen, wenn diese wieder sauber waren.
Banjamp legte Erik, der langsam zu sich zu kommen schien, auf die letzte Stufe, die bereits etwas vom Wasser benetzt wurde und überließ Robin das Restliche. Dieser griff zu einer am Beckenrand befestigten Schale, in der weißer Schaum war und begann Erik einzuseifen.
»Was ist denn los? Wo bin ich? Was machen Sie denn da?«
»Viele Fragen auf einmal. Halte still, ich werde dich jetzt reinigen und dann wirst du deine erste Stimmulanz erhalten. Du kannst dich glücklich schätzen, dass ich dich gefunden habe. Mir stehen ein wenig mehr Mittel zur Verfügung, dich wieder zu heilen, als anderen. Und jetzt entspanne dich, ich werde sehr vorsichtig sein!«
Mit schnellen und routinierten Handgriffen schäumte Robin Erik ein, wusch ihm danach den Schaum weg, hüllte ihn in das große und angewärmte Badetuch, das ihm die Riesenbiene reichte, ein und hob ihn schließlich wie ein Kleinkind auf seine Arme.
Er verließ den Baderaum und brachte Erik in einen anderen Raum. Darin befand sich ein Bett und darauf legte Robin Erik nun. Er holte aus einem kleinen Fach in der Wand einen Pyjama und reichte ihn Erik. Dieser nahm ihn und zog ihn rasch an.
Seufzend legte Erik sich in die weichen Polster und schloss die Augen.
»Was haben Sie nun mit mir vor?« fragte er und öffnete die Augen noch einmal. Sie weiteten sich, als er die Injektion in Robins Händen sah. »Was ist das?«
Robin trat zu Erik und nahm ohne ein Wort zu verlieren dessen rechten Arm. Er setzte die Injektion, die keinerlei Nadel aufwies, an dessen Armbeuge an und drückte auf den Kolben. Ein scharfer Schmerz schoss in Eriks Arm, dann wurde es dunkel um ihn.
Es war dunkel, als er die Augen öffnete. Kurz runzelte er die Stirn, dann fiel ihm alles wieder ein. Er horchte in sich, doch da war nichts von Übelkeit oder Fieberhitze zu spüren. Das musste wirklich ein besonderes Mittel gewesen sein, das ihm dieser Robin gespritzt hatte. Gestern fühlte er sich sterbenselend, eine Nacht danach war es so, als wäre nichts geschehen.
Erik setzte sich auf und zog die Decke von sich. Seine Hand tastete nach einer Lichtquelle, doch er fand nichts. Erik biss sich auf die Unterlippe, dann wagte er einen Versuch, der eben in seinen Gedanken Gestalt angenommen hatte.
»Licht!« sagte er halblaut in die dunkle Stille und wirklich erhellte sich die Dunkelheit. Nun zeigte sie ein Dämmerlicht und die Umrisse der Möblierung schälte sich aus der anonymen Schwärze.
»Also, geht doch!« Erik grinste kurz, sah an sich hinunter und bemerkte verwundert, dass er nun einen anderen Pyjama trug, als am Abend vorher. Doch er ließ diesen Gedanken fallen und schwang stattdessen seine Beine auf den Boden. Erstaunt fühlte Erik die Wärme, die sich unter seinen nackten Füssen befand. Der Belag, auf dem er stand, fühlte sich weich und flauschig an. Obwohl er keine dieser Merkmale sichtbar aufwies. Denn Erik nahm ihn nur als grünen glatten Bodenbelag wahr. Erik ließ auch diesen Gedanken fallen und stand auf. Kurz wurde ihm etwas schwindlig, doch er hatte sich gleich wieder in Griff und er ging etwas tapsig zur Tür. Halb hatte er erwartet, dass sie abgeschlossen sei, doch sie ließ sich anstandslos öffnen. Welch ein Leichtsinn von seinem Entführer!
Er betrat das Wohnzimmer. Auch hier herrschte ägyptische Finsternis und wieder befahl Erik mit halblauter Stimme:
»Licht!«
Langsam bekam er Spass an dieser Lichtsache. Sie erinnerte ihn stark an diverse Filme, wo die Bewohner diese technischen Spielereien hatten. So wie das Licht mit Befehl oder Händeklatschen ein und auszuschalten. Um seinen Spass etwas weiter zu treiben, sagte Erik nun ein wenig lauter:
»Ich hätte gerne Musik. Von Händel, oder Mozart!«
DERZEIT HERRSCHT DUNKELPHASE! BITTE WARTEN SIE DIESE PHASE AB!
Erik schrak zusammen, als die metallisch klingende Stimme durch den stillen Raum fuhr. Es dauerte auch nicht lange, als sich am gegenüber liegenden Raumende eine Türe öffnete und sich ein dunkler Wuschelkopf heraus streckte.
»Was ist denn hier los? So einen Lärm, zu nachtschlafender Zeit! Warst du das? Der den Hauscomputer zum Schreien brachte?«
Damit wandte sich der Wuschelkopf an den erschrockenen Erik. Dieser nickte unwillkürlich und der Wuschelkopf verschwand wieder hinter der Tür. Mit einem nachdrücklichem Rumms wurde sie ins Schloss gedrückt. Es gab also noch mehr dieser Entführer, nicht nur diesen Robin und die Monsterbiene.
Erik gähnte unwillkürlich und dachte kurz über den Ausdruck »Dunkelphase« nach. Konnte damit »Nacht« gemeint sein? Aber wer, in Drei-Teufels-Namen sprach so geschwollen?
Da Erik seltsamerweise wieder mit Müdigkeit zu kämpfen hatte, beschloss er neuerdings ins Bett zu gehen und den Rest der »Dunkelphase« zu verschlafen. Am Morgen würde er dann aber wirklich versuchen, die Polizei zu verständigen. Das ging ja garnicht, dass ihn jeder x-beliebige einfach entführt, ihn unter Drogen setzt und auch noch ein Monster auf ihn los ließ.
Erik betrat den kleinen Schlafraum. Ehe sich die Türe schloss, sah er noch, dass sich das Licht im Wohnraum selbsttätig löschte, dann kroch er ins Bett und war im nächsten Moment eingeschlafen.
Der Geruch nach starkem Kaffee stieg ihm in die Nase. Und nach gebratenem Speck, sowie frisch gebackenem Brot. Erik öffnete die Augen. Die Sonne schien durch das geöffnete Fenster und ein leichter Wind bewegte die weiße Gardine davor.
Erik setzte sich auf, griff sich sofort an den schmerzenden Kopf und musste erst einige Male tief durchatmen, ehe der Druck hinter seiner Stirn und in den Ohren geringer wurde. Er schob die leichte Decke von sich, schwang seine Füße auf den Boden und erschauerte, als etwas seine Sohlen streifte. Er sah hinunter und erkannte seltsamerweise Gras. Aber sein Bett stand doch nicht auf einer Wiese, sondern in einem Raum! Plötzlich bewegte sich das Gras und erhob sich. Kurz erkannte Erik eine schwarze Hundeartige Schnauze, zwei gelbliche runde Augen und einen von Gras bedeckten Körper, der etwa die Größe einer Katze hatte. Dann war das Wesen zum Fenster gewatschelt, hinauf geklettert und durch dieses nach draußen verschwunden.
Ehe Erik auf dieses Erlebnis reagieren konnte, öffnete sich die Tür und sein Entführer kam herein. In seiner rechten Hand trug er ein Tablett, das diesen Geruch nach Kaffee, Speck und Brot ausströmte. Auf diesem Tablett standen einige zugedeckte Schüsseln und nun wurde es auf ein kleines Tischchen gestellt, dieses wurde auf Eriks Bett gehoben und er dadurch wieder in dieses hinein gezwungen.
Kaum saß Erik aufrecht im Bett, das Tischchen über seinen Beinen gestellt, hob der Entführer die Deckel nacheinander von den Schüsseln. In einer der Schüsseln befand sich wirklich Brot, bereits in handliche Stücke portioniert. Eine Schüssel beinhaltete eine mit Gemüsestückchen versetzte Suppe und eine schmale, hohe enthielt eine nach starkem Kaffee duftende Flüssigkeit.
Ohne ein Wort zu verlieren, verließ der Entführer Erik wieder und schloss hinter sich die Tür. Vorsichtig griff Erik nach einem Stück Brot, brach es durch und biss ab. Gleich darauf biss er erneut ab, griff nach dem Löffel, der neben der Suppenschüssel lag und begann im Wechsel Brot und Suppe zu verspeisen. Das darin befindliche Gemüse war auf den richtigen Knackpunkt gebracht und schmeckte hervorragend.
Als er fertig war, versuchte er den Kaffee. Auch dieser war von so feinem und vollmundigem Geschmack, wie Erik noch nie bei einem Kaffee erlebt hatte.
Kaum war Erik mit diesem herrlichen Frühstück fertig, als sich die Türe erneut öffnete und - herein kam die Riesenbiene.
»Ach du Sch***e, dich gibt es ja auch noch!« rief Erik erschrocken aus. Aus dem Mundstück von Banjamp kam ein leises Trillern, als wäre dies das Äquivalent zu einem menschlichen Kichern.
Der Imago kam näher, ergriff mit dem obersten Beinpaar das Tischchen und hob es von Eriks Beinen. Dann wandte er sich um und verließ, ebenfalls ohne etwas zu sagen, den Raum. Einige Minuten wartete Erik, es könnte ja sein, die Biene kam wieder, doch man ließ ihn allein. Also stand Erik auf, nachdem er vorsorglich erst auf den Boden gesehen hatte, ob nicht wieder so ein seltsames Grashundkatzending dalag, und sah sich nach Kleidung um. Doch ausser einem schmalen Schrank in der Ecke des Raums war nichts zu sehen. Erik trat zu dem Schrank und öffnete eine der Türen.
Darin befanden sich eine Lade, die leer war, als Erik sie öffnete und ansonsten nur noch vier Kleiderbügel. Drei waren leer, auf einem hing ein Bademantel. In Ermangelung von etwas anderem, zog Erik diesen über und verließ das Zimmer.
Er hatte erwartet, dass der anschließende Raum das Wohnzimmer sein würde, doch er stand plötzlich draußen, im Freien.
Eine heiße Sonne brannte vom Himmel, der einige Streifen seltsamer violettfarbener Wolken zeigte. In der Ferne sah man die Silhuette von Bergen, doch sonst schien es nur Ebene zu geben. In einiger Entfernung erhob sich ein Gebäude, das leichte Ähnlichkeit mit einem Schlösschen hatte. Darauf steuerte Erik jetzt zu. Er klopfte an die Türe und zuckte zusammen, als ihm die Biene öffnete.
»Du?«
Der Imago trat beiseite und deutete mit einer der oberen Beinhände ins Innere des Schlösschens.
Erik schob sich an Banjamp vorbei, wobei er immer wieder einen schnellen Blick auf die Biene warf. Kaum war er im Hausinneren, schloss Banjamp die Tür mit einem leisen »Klack«.
Dieser Ton hallte in Eriks Ohren wie das Zufallen einer endgültigen Verschlusssache wider. Er schluckte. Dann wandte er sich an den Imago.
»Ich würde gerne telefonieren!«
»Und wen möchtest du anrufen?«
»Die Polizei!«
»Ach ja? Was würdest du sagen, wenn ich dir erkläre, dass wir die Polizei sind?«
»Ich würde sagen, dass du eine Lüge erzählst!« Erik zuckte leicht zusammen, als sich wieder einmal dieser Stachel aus dem Hinterteil Banjamps schob.
»Hört sofort auf, alle beide!« Die Stimme,die diese Worte rief ließ keine Widerworte zu.
»Aber er hat ...!« begann Erik und wandte sich um, in Erwartung Robin zu sehen. Doch er sah einen unbekannten Mann. Dieser war beinahe so dick wie er groß war und hatte eine ausgeprägte Glatze. Dafür trug er unter einer seltsam schmalen Nase einen enormen Schnauzbart. Er war in ein rotes Kleidchen gehüllt, bei dessen unterem Saum ziemlich dicke Füße heraus sahen. Er hatte die hier scheinbar obligatorischen Sandalen an seinen Füßen.
Seine Augen hatten einen unangenehmen hellen Braunton. Da seine Brauen dunkel und ebenso buschig wie der Schnauzer waren, erhielt sein Gesicht frapante Ähnlichkeit mit einem wütendem Walross. Doch Erik hatte keinerlei Ambition, den Anblick wirklich lustig zu empfinden.
»Es ist egal, wer angefangen hat. Du bist in diese Zeitebene eingedrungen, du hast dich an sie anzupassen!«
Dann wandte sich der dicke Glatzkopf an die Biene.
»Und du solltest weiser sein, Banjamp! Du weißt doch, wie die Hautlinge sind, die die Brücke entdecken und durch sie gehen!«
Erik schaute erstaunt den Dicken an. War dieser denn nicht auch ein sogenannter »Hautling"? Auch der Dicke hatte weder einen Panzer, noch ein Chitinkorsett.
Sein Erstaunen vergrößerte sich, als die Riesenbiene den Anschein erweckte, als würde sie sich tatsächlich die Worte des Dicken zu Herzen nehmen. Sie machte einen etwas linkisch wirkenden Kratzfuss, zeigte noch einmal kurz ihren Stachel, als sie dicht an Erik das Haus verließ und warf die Tür ins Schloss.
»Wie haben Sie denn das geschafft?«
»Ich werde dich in die Stadt bringen, dann bist du auf dich alleine gestellt!« sagte der Dicke, als hätte Erik nichts gesagt. Er winkte kurz mit der Hand und Erik folgte ihm. Es ging wieder ins Freie, dort stieg der Dicke in ein seltsames Fahrzeug, das aussah wie ein kleines Boot, das vorne und hinten abgeschnitten worden war.
Es waren keine Räder zu sehen. Der Dicke stieg ein und setzte sich, Erik folgte seinem Beispiel und keuchte erschrocken auf, als sich über seinem Kopf eine rosa leuchtende Kuppel schob.
»Anschnallen!« befahl der Dicke und Erik beeilte sich, dem Befehl zu folgen. Und es war gut so, denn der Dicke ging ziemlich rasant in die Höhe mit dem »Boot« und Erik wurde ziemlich hart in die ungepolsterten Sitze gedrückt.
»Na Mahlzeit!« ächzte Erik. Es brachte ihm einen ernsten Blick des Dicken ein. Ab nun beschloss Erik zu schweigen.
Es dauerte nur kurz, dann kam eine größere Häuseransammlung ins Blickfeld, die Erik seltsam bekannt vorkamen. Überrascht erkannte er darin seine Heimatstadt.
Der Dicke setzte zur Landung an, die Kuppel schob sich zurück und der Dicke ließ erneut einen Befehl los.
»Abschnallen! Aussteigen!«
Auch diese Befehle befolgte Erik und er keuchte erschrocken auf, als der Dicke, kaum hatte Erik einen Schritt von dem seltsamen Gefährt weggetan, auch schon wieder abflog.
Als sich der aufgewirbelte Staub gelegt hatte, sah sich Erik um. Er befand sich alleine auf einem großen Parkplatz mit seltsamen Zeichnungen am Boden. Dieser Boden zeigte Spuren von beginnenden Verfalls.
Erik sah sich um und machte sich auf den Weg zu den in der Nähe liegenden Gebäude. Er konnte nicht verstehen, wenn er hier in seiner Stadt war, warum hatte dann dieser Robin von einer Brücke und einem Zeittunnel gesprochen?
Erik sah kurz auf seine Uhr, doch die war stehen geblieben. Heute würde er seinen vorgesehenen Arbeitsplatz nicht mehr erreichen. Seine Mutter würde das schon verstehen und dem Chef sicher alles erklären können.
Jede Gasse, die sich vor Erik öffnete, das gleiche Bild. Verfall und Schmutz war alles, das er hier sah. Und eine Stille, die ihm kalte Schauer über den Rücken trieb. Nur seine Schritte hallten von den teils geborstenen, teils mit grausamen Schmierereien verunstalteten Hauswänden.
Wieder einmal bog er in eine dieser verlassenen Straßen ein, die Orientierung hatte Erik längst verloren, da blieb er abrupt stehen.
Mitten in dieser Geisterstadt befand sich ein Park. Und dieser war, zum Gegensatz der Stadt, gepflegt. Die Büsche, die ihn säumten waren akurat geschnitten, das Gras kurz gemäht. Blumen verbreiteten süßen Duft und hier vernahm er auch noch ein anderes Geräusch, als seine eigenen Schritte.
Irgendwo in diesem Stück Grün plätscherte Wasser. Erik überquerte die Straße, die ihn von dem Park trennte, stolperte über eine heraus ragende Wurzel und wäre beinahe gefallen. Im letzten Moment fing er sich noch und zögerte nur kurz, ehe er an den ersten Gebüschen vorbei ging.
Je tiefer er in den Park ging, desto seltsamer kam ihm dieser vor. Nicht nur, dass es keinerlei Tiere gab. Es gab auch keine Menschen. Die bekiesten Wege, die sich durch ihn schlangen und ebenso akurat gepflegt waren, wie der gesamte Park, waren leer. Keine Spaziergänger, keine Radfahrer oder Mütter mit Kinderwagen. Keine Kinder, die lachend und schreiend herum liefen, niemand der ein Buch las und im Gras lag. Nur Erik. Und dieses jetzt ihn langsam nervende Geräusch von Wasser.
Als Erik hinter sich ein sirrendes Geräusch hörte, atmete er erleichtert auf. In Erwartung einen Radfahrer zu sehen, drehte er sich um. Doch seine Augen wurden groß, als er sah, was hier den Weg entlang kam.
Ein quadratischer Kasten, schwebte etwa einen Handbreit über den Boden. Vorne hatte er eine Art Saugrüssel, mit dem er den Kies des Wegs einsaugte und hinten durch eine Trichteröffnung wieder ausschied. Erik machte einen Sprung auf das Grasstück neben sich, als der Kasten unbeirrt auf ihn zufuhr. Der Kasten, scheinbar ein selbstkontrollierender Reinigungsroboter, scherte sich nicht um Erik, sondern verrichtete unbeirrt seine Arbeit.
Erik sah ihm noch immer sprachlos nach, als er einige Meter weiter vorne von diesen, seitlich auf einen anderen, schmaleren Weg einbog. Das Sirren verstummte und Erik vernahm sein Keuchen in dieser Stille, die ihn abermals umgab, dreimal so laut, als es wirklich war.
»Hallo? Ist jemand hier? Ich hätte eine Frage!« rief Erik in den Park und es hätte ihn nicht allzu verwundert, wären seine Worte als Echo zurück gekommen. Doch sie verhallten in der Stille und Erik setzte sich wieder in Bewegung.
Er trat auf den Weg und dachte sich, dieser würde ihn sicher aus diesem unheimlichen Park heraus führen. Vielleicht war am anderen Ende endlich jemand, mit dem er reden konnte.
Erik beschleunigte seine Schritt und lief beinahe, als er weit vor sich das offensichtliche Ende dieses Parks sah. Er atmete auf, als die Büsche, die auch hier den Park begrenzten, sichtbar wurden. Erik machte einen Sprung und landete wieder auf einer der verlassenen und verwahrlosten Strassen. Doch jetzt machte es ihm nichts mehr aus. Er drehte sich noch einmal zum Park zurück und schüttelte sich. Der Park war zwar ein sehr erfreulicher Anblick, wenn man ihn mit der verlassenen Stadt verglich, doch er nahm lieber diese in Kauf, als noch einmal diesen unheimlichen Platz zu betreten.
Erik wandte sich wieder um und stand nun vor einem Problem.
Vier Straßen zweigten von jener ab, auf der stand. Doch da diese ebenso sichtbar verlassen waren, wie alles hier, löste Erik sein Dilemma, indem er einfach die mittlere wählte und gleich darauf wieder zwischen die Häuser tauchte.
Er hatte scheinbar den richtigen Weg gewählt, denn je tiefer er in diese Stadt ging, desto bekannter kam sie ihm vor. Und dann wusste er, wo er war. Wenn er dort vorne noch abbog, kam er in jene Straße, wo er mit seiner Mutter wohnte.
Erik beschleunigte abermals seine Schritte, als er dies erkannte und freute sich schon, wenn seine Mutter die Türe öffnet und ihn wieder hatte. Und er sie.
Erik blieb abrupt stehen, als er um die Kurve lief und beinahe in das tiefe Loch gestürzt wäre, das einen ganzen Häuserblock ausgelöscht hatte. Was, in Dreiteufelsnamen, war da denn passiert? Ein Bombenangriff?
Erik dämmerte es, dass auch das Haus seiner Mutter verschwunden war. Als diese Erkenntnis über seinem Kopf zusammen schlug, setzte er sich auf den Boden, ließ die Füße in das tiefe, dunkle Loch hängen und begann zu weinen.
Erst leise und irgendwie verschämt, doch schließlich immer heftiger und schlussendlich schrie er sich seinen Schrecken und seine Angst aus dem Körper. Und dieses Mal gab es ein Echo!
Das erste Gebäude war weiter entfernt, als Erik angenommen hatte. Doch als er es erreichte, bemerkte er auch hier beginnenden Verfall. Abgeplättete Hausmauern, zersprungene Fensterscheiben und überall Schmutz. Manches sah aus, als hätten hier irgendwelche Tiere ihre Exkremente hinterlassen.
Erik zuckte zusammen, als dieses grausame Geräusch an seine Ohren drang. Es dauerte etwas, bis er erkannte, dass es sein eigener Schrei war.
Erik stand auf, wischte sich übers Gesicht und warf noch einen Blick in das Loch. Es nutzte nichts, wenn er weiter hier saß und in die Gegend schrie. Ob dieser Laffe von Robin dies hier wusste? Erik dachte an seine Mutter und wieder wollten sich seine Augen mit Tränen füllen, doch da er kein Mädchen war, schnaufte er einmal kurz durch die Nase und drückte die Tränen wieder in die Tiefe. Er beschloss den Weg zurück zu gehen, bis zu der Stelle, wo sich die Straße teilte und einen der anderen Wege zu probieren.
Ohne noch einen weiteren Blick zurück zu werfen, begab er sich auf den Rückweg. Ihm kam es kürzer vor, als die Strecke, die er hierher gebraucht hatte.
Diesmal wählte Erik die zweite, ganz äussere Straße. Er tauchte zwischen die Häuserzeile und fürchtete hinter jeder Kurve ein weiteres Mal das Loch zu sehen. Doch diesmal schien die Straße durch die Stadt hindurch zu führen.
Erik war bereits eine Weile unterwegs, als sich die Straße weiter vorne weitete und einen beinahe runden Platz erreichte. Mitten auf diesem Platz stand ein seltsames Gebäude. Es sah beinahe aus, wie der Turm an einem Schloss, nur ohne dieses. Die schief in den Angeln hängende Tür vermittelte ebenso den Eindruck totaler Verwahrlosung, wie auch das Unkraut, das hier den Straßenbelag durchbrochen hatte und die abenteuerlichsten Blüten und Blätter zeigte.
Erik betrat den Platz und steuerte auf den Turm zu. Kaum hatte er ihn erreicht, griff er nach der Tür. Als hätte dies nur noch den letzten Anstoß gegeben, kippte die Türe aus der letzten, verrosteten Angel und als Erik sie erschrocken los ließ, polterte sie lautstark auf den zerborstenen Belag. Eine kleine Staubwolke löste sich und wirbelte hoch. Erik sprang etwas beiseite, dann stieg er über eine Ecke der Tür und betrat das Innere.
Drinnen war gähnende Leere. Gegenüber des jetzt total offenen Eingangs befand sich eine weitere Tür. Als Erik neugierig näher kam, bemerkte er erstaunt, dass sie nur wenig Beschädigungen aufwies.
Eine rötliche Einbuchtung neben der Tür, in Höhe einer normalen Klinke, zeigte Erik, dass es ein Wärmeschloß gab. Erik legte die Hand in die Einbuchtung und ein leises Klicken erklang. Die Tür löste sich aus dem Schloss und Erik griff danach. Vorsichtig, denn man konnte ja nicht wissen, ob diese Tür nicht ebenso zu Boden krachte, wie die vom Eingang. Doch das einzige ungewöhnliche war, dass ein leises Quietschen ertönte, als Erik die Türe nun ganz aufzog.
Neugierig sah er in den dahinter liegenden Raum. Doch er enthielt ausser einer runden, durchsichtigen Röhre nichts außergewöhnliches. Obwohl diese Röhre an und für sich bereits etwas außergewöhnliches war.
Erik ging näher an die Röhre und erst jetzt erkannte er, sie war so beschaffen, dass man von der Tür her nicht erkennen konnte, dass sie nicht so leer war, wie man annehmen sollte. Erik erkannte einen Körper in der Röhre stehen. Scheinbar war dieser Körper männlicher Art und einige Leitungen hingen zwischen seiner Stirn und einem kleinen Kasten in der Röhre.
Erik legte seine Hände an die Röhre und spürte verwundert, dass das Material unter seinen Händen zitterte. Als würden irgendwo starke Maschinen arbeiten und deren Arbeitstakt übertrug sich auf diese seltsame Röhre.
Erik riss seine Hände zurück, als sich das Zittern zu einem starken Beben steigerte und irgendwo, tief in diesem Turm, eine Sirene zu gellen begann.
Er keuchte erschrocken auf, als die bisher geschlossenen Augen des Unbekannten plötzlich aufgerissen wurden, die Kontakte auf seiner Stirn sich lösten und kurz darauf eine bis zu diesem Moment unsichtbare Türe in der Röhre klaffte. Der Mann verließ die Röhre und schaute Erik mit einem seltsam verschwommenen Blick an.
Kurz hatte Erik das unheimliche Gefühl, als würde er bis in seine Atome durchleuchtet werden, dann klärte sich der Blick des Röhrenmannes und er sagte mit einer angenehm leisen Stimme:
»Willkommen in der Stadt der Zukunft! Sie werden Ihren Besuch hier nie vergessen!«
»Ja, das glaube ich auch!« entfuhr es Erik unwillkürlich. Der andere runzelte kurz die Stirn, dann glättete sie sich wieder und er sprach erneut.
»Darf ich Ihnen eine Führung anbieten?«
»Was denn für eine Führung?«
»Durch die Stadt der Zukunft!«
»Schöne Zukunft! Verwahrloste Straßen, abgefallener Verputz an den Hauswänden und ein riesiges Kraterloch, mitten in dieser ‘Stadt der Zukunft'!«
»Geht es Ihnen nicht gut? Das was Sie eben erzählt haben, ist nicht diese Stadt. Hier ist alles neu und zeigt keinerlei Verfall. Die wenigen Bewohner sind zufrieden, dass sie hier wohnen dürfen, denn die Preise sind nur für wenige Previligierte auch wirklich erschwinglich. Doch dafür wohnen sie auch in der Stadt der Zukunft. Und kleine Opfer sind das Salz der Würze!«
Ehe Erik wieder ein neues Argument anführen konnte, wurde er mit sanfter Gewalt in den Nebenraum gedrängt und kurz stockte sein Fuß, als er über die Schwelle trat. Der Raum war immer noch leer, doch er hatte sich trotz allem verändert. Aber worin diese Veränderung bestand, konnte Erik erst erkennen, als der Mann hinter ihm, seitlich an ihm vorbei griff und die nun wieder in den Angeln hängende Tür öffnete.
Diesmal befand sich an der Stelle, wo vorhin ein großes Rostloch war, eine beinahe neu wirkende Klinke.
»Bitte folgen Sie mir!«
»Meine Mutter hat mir eingeredet, ich soll mit Fremden nicht mit gehen!« witzelte Erik. Der Mann blieb stehen, dachte scheinbar nach, gleich darauf nickte er und meinte:
»Mein Fehler. Verzeihen Sie bitte. Nennen Sie mich einfach RMF 17.«
Was war das denn fÃür ein Name? Erik schüttelte den Kopf.
»Ist das Ihr Name?«
»Name? Dies ist meine Bezeichnung! RMF 17. Robotmaschine Fremdenführer Nummer 17. Sie haben sich doch sicher schlau gemacht, mittels des Reisekatalogs!«
»Sie ... du bist ein Roboter?«
»Darum brauchen Sie nicht gleich unhöflich werden. Ich dutze Sie auch nicht. Man hat doch schließlich Ehre im Körper!«
Erik schüttelte den Kopf. Hatte dieser Blechmensch jetzt etwa beleidigt geklungen? In allen Filmen, die Erik je über dieses Thema ‘Roboter’ gesehen hatte, wurde nie einer dieser Maschinen mit ‘Sie’ angesprochen. Und es zeigte auch keiner davon, abgesehen von dem kleinen R2D2 eine emotionale Gefühlsregung. Aber selbst diesem Filmroboter hatten es die Regisseure ins Drehbuch geschrieben. Doch dieser hier war kein Filmrequisit. Oder etwa doch?
»Was würdest du ... ich meine, Sie jetzt machen, wenn ich mich hier und auf der Stelle umbringe?« Erik hatte schon viel von diesem ersten Robotergesetz gehört. Und sollte dieser tatsächlich solch eine Maschine sein, dann müsste jetzt dieses Gesetz zum Einsatz kommen. Stattdessen sah Erik dieser robotischer Fremdenführer erstaunt an. Dann meinte er:
»Wollen Sie sich nicht vorher die Stadt der Zukunft ansehen, ehe Sie ihren derzeit seltsam unlogischen Wunsch in die Tat umsetzen?«
»Wollen sie mich nicht retten und von meinem Vorhaben abhalten?«
»Warum sollte ich das tun? Wenn Sie den seltsamen Wunsch verspüren, dem Slogan des Katalogs zu folgen, wäre es doch nicht sinnvoll, Sie daran zu hindern!«
»Was für einen Slogan?« fragte Erik verwirrt.
»Dem Slogan: ‘Die Stadt der Zukunft sehen und erleben, dann sterben'!«
Erik schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. RMF 17 sah ihm interessiert zu. Dann schlug auch er sich mit der Hand auf die Stirn und nickte.
»Ich sehe, Sie sind ein Mann von starker Entschlusskraft!«
»Was?« Hatte dieser Blechtrottel diese Handbewegung eben gar als Zustimmung gewertet? Also, wenn hier alle so verkorkst waren, wie dieser RMF 17, dann konnte das noch heiter werden.
»Darf ich Sie nun bitten, das Reiseterminal zu verlassen? Die Stadt wartet auf Ihren Besuch!«
RMF 17 gab Erik einen kleinen aufmunternden Stoß und hätte ihn beinahe durch die erst halb geöffnete Tür katapultiert.
»He, immer sachte mit den Pferden!« sagte Erik und versuchte sich die Stelle zu reiben, die sich derzeit ziemlich ‘angeschlagen’ anfühlte.
Er sah zufällig auf den vor ihm liegenden Platz und sog überrascht die Luft durch die Zähne. Wo vorher nur Verfall und Unkraut war, befand sich jetzt ein fugenloser, leicht bläulicher Belag. Eine bunt gekleidete Gruppe von menschenähnlichen Wesen stand staunend ihm gegenüber und starrte ihn an.
Wenn Erik diese Gruppe irgendwo in seiner Heimatstadt gesehen hätte, wären sie als Touristen ohne weiteres durch gegangen. Der einzige Störfaktor war das Horn, das jeder der Wesen mitten auf der Stirn in den Himmel ragen hatte.
»Was sind das für Kreaturen?« entfuhr es Erik.
»Das sind Besucher vom Planeten Takis! Sehr freundliche Leute!"
»Takis? Kenne ich nicht!« Eriks Blick hatte sich am Horn des Vordersten festgesaugt. Dieses Horn unterschied sich von den anderen Hörnern. Es schillerte in einer eigenen Blauvariante. Die restlichen waren schlicht grau.
»Es würde jetzt zu weit führen, Ihnen zu erklären wo dieser Planet liegt und was seine Eigenheiten sind, denn Sie interessieren sich ja für die Stadt! Darf ich Sie nun bitten, weiter zu gehen und die erste Gasse rechts zu betreten, denn dort liegen die Geschäfte.«
»Warum ist das eine Horn blauschillernd?« entschlüpfte es Erik. Dann runzelte er die Stirn und drehte sich nach seinem seltsamen Fremdenführer um. Hatte er eben geseufzt?
»Dies ist der Patriarchat. Darum hat er die Patriarchatsfarben aufgelegt. Und nun darf ich Sie bitten!«
Erik verspürte abermals einen kleinen, »aufmunternden« Stoß im Rücken und stolperte dicht an den Patriarchaten heran. Dieser schnalzte kurz mit der Zunge, machte einen schnellen Schritt zur Seite und starrte Erik leicht erzürnt an. Erik zuckte entschuldigend mit den Schultern und wandte sich der bezeichneten Straße zu.
Es war jene, die er erst vor kurzem verlassen hatte. Doch auch diese hatte, wie alle Gebäude in ihr, eine wundersame Verwandlung durch gemacht. Überall blitzten nun Scheiben in den Gebäuden, die nun ebenfalls in tadellosem Zustand waren. Kein abgeplätteter Verputz, kein Unkraut im Straßenbelag und ein Summen von unzähligen Stimmen in der Luft, wie zur Haupteinkaufszeit in der Fussgängerzone der Einkaufsmeile in Eriks Heimatstadt. Nur dass hier zwar die Geräusche waren, aber keine dazu gehörigen Wesen.
»Das sind alles Geschäfte? Wo sind denn die Käufer?« fragte Erik.
RMF 17 zeigte stumm auf ein Gebäude, dessen Vorderfront beinahe aus einer einzigen Glasscheibe bestand. Erik konnte ungehindert hinein sehen. Er sah Laufbänder, die in verschiedene Richtungen und auch bis ins höchste Stockwerk fuhren. Darauf eine unübersehbare Menge von Wesen.
Flugroboter waren teilweise schwer bepackt und glitten dicht hinter manchen Köpfen her. Erik sah aber auch die Waren, die das Kaufhaus beinhaltete. Im Erdgeschoß waren Taschen aller Art und Größe ausgestellt, Portemonnaies, Ketten und Sehbehelfe. Im nächsten Stockwerk gab es verschiedene Stoffe und die Kundschaft breitete diese aus, ließ sie vermessen oder bereits verpacken. Dann kamen Uhren, Möbel, Spielsachen, Kleidung, Bücher und Fernsehgeräte. Erik nahm an, dass diese flachen Geräte so etwas waren. Aber auch eine Küche befand sich in dem Geschäft, mit anschließendem Restaurant, das ziemlich gut besucht war.
Nunja, das kannte Erik ja von seiner Mutter her. Wenn diese einkaufen ging, benötigte sie danach und manchmal währenddessen auch meist Kaffee und Kuchen.
'Einkaufen ist Arbeit, mein Junge. Und Arbeit verbraucht Energie. Also esse ich etwas, um die verbrauchte Energie zurück zu holen!’ sagte sie dann meistens, wenn er ihr diese Marotte vorhielt.
Es gab aber auch Bäcker, Fleischer und auch kleine Abteile, wo Käse oder Flüssigkeit verkauft wurde.
»Könnte ich hier auch etwas kaufen?« fragte Erik seinen Schatten.
»Nein, das ist leider nur für die Bewohner dieser Straße erlaubt. Da Sie ja als Tourist hier sind, müssen sie sich zur Touristenstrasse begeben. Ich hoffe, Sie haben die entsprechend markierten Bons bereit. Sonst kann ich nichts in dieser Richtung für Sie tun!«
»Welche Bons?«
»Die Ihnen gestatten, die gekennzeichneten Geschäfte und Speisestuben aufzusuchen. Sie haben doch die Bons, oder?«
Erik schüttelte den Kopf. Er hatte keinerlei Bons erhalten.
»Wo hätte ich diese Bons herbekommen?«
»Natürlich vom Touristikbüro, wo Sie ihren Reiseplan auch bekommen haben.«
»Also, ich habe weder das eine noch das andere erhalten. Mich hat nur so ein dämliches Ekel in diese Stadt, aber am anderen Ende davon, gestoßen und ist ohne mich wieder abgebraust. Ich habe die Stadt, die bei meiner Ankunft allerdings verlassen und verwahrlost war, durchquert und habe dann Ihre Bekanntschaft gemacht. Aber keinerlei Bons erhalten!«
»Greifen Sie in ihre Tasche. Vielleicht haben Sie nur vergessen, dass Sie trotzdem Bons besitzen. Ihre Herkunftsgeschichte ist sehr interessant, aber angesichts der Tatsache, dass dies eine der modernsten Städte ist - verzeihen Sie meine Wortwahl - etwas inkonsequent!«
Erik griff in seine Taschen, um zu beweisen, dass er nichts dergleichen darin hatte. Er zog das Taschentuch hervor, das leichte Gebrauchtspuren aufwies, weiters einen Kamm und eine seltsame Münze, auf deren einen Seite ein Baum geprägt war und die andere Seite die Zahl ‘Hundert’ zeigte. RMF 17 deutete auf die Münze und meinte mit vorwurfsvoller Stimme:
»Sie haben doch einen Touristikbon! Warum streiten Sie es erst ab?«
»Ich habe das Ding noch nie gesehen! Wirklich nicht. Das muss mir jemand hinein ge ...!« Erik unterbrach sich und dachte an die Riesenbiene und Robin zurück. Einer der Beiden hatte ihm diesen Bon zugesteckt, da sie wahrscheinlich wussten, was hier vor sich ging.
»Nun, da die Sache mit Ihrem Bon geklärt ist, kann ich Ihnen natürlich die für Sie richtigen Geschäfte zeigen. Damit können Sie natürlich auch ihren Übernachtungsbereich bezahlen. Sie müssen bei Ihrem Volk hoch im Kurs stehen, denn nicht viele haben Bons mit beinahe unbegrenzter Zahlkraft. Nicht wenn sie Touristen sind. Ich werde mich also bemühen, Sie zufrieden zu stellen. Auch wenn mir Ihre Art der Scherze nicht besonders zusagt. Darf ich Sie nun bitten, weiter zu gehen und die nächste Quergasse rechts gehts zum Ruhebezirk. Ich nehme an, Sie haben Ihr richtiges Hotel bereits gebucht? Nein? Oh, dann werde ich Ihnen damit behilflich sein!«
Abermals erhielt Erik den kleinen »aufmunternden« Stoß in den Rücken und langsam begann er diese Art der Führung zu hassen.
Ehe Erik in die bezeichnete Strasse einbog, hatte er noch drei weitere »Aufmunterungsstöße« zu ertragen.
Schließlich drehte er sich wutschnaubend um, doch er stand alleine da. Weit und breit kein RMF 17 zu sehen. Erik zog die Stirne kraus, doch dann bog er in die Strasse ein.
Kurz kam es ihm so vor, als würde ihn etwas unsichtbares aufhalten wollen, gleich darauf stand er vor einem hohen Gebäude, das ganz aus Glas oder einem ähnlichen Material zu bestehen schien. Eine Drehtüre war einladend geöffnet und durch das durchsichtige Material konnte Erik die Inneneinrichtung erkennen. Gemütliche Sessel und kleine Tischchen luden zum Ruhen und Plaudern ein. Erik trat dicht vor die Drehtür und beinahe, als hätte er eine unsichtbare Linie überschritten, setzte sie sich in Drehbewegung.
Erik ließ sich von ihr in das temperierte Innere des Hotels bringen.
Dicke Teppiche schluckten jeden seiner Schritte. Ein zarter Duft nach warmen Ambra hing in der Luft und nun sah er auch wieder seinen Robotführer. Dieser stand vor der halbrund gebogenen Rezeption und bekam eben von einem menschenähnlichen Portier eine Schlüsselkarte ausgehändigt.
RMF 17 wandte sich um und sein bisher unbewegtes Gesicht verzog sich kurz ärgerlich und leiser Tadel lag in seiner modulierten Stimme, als er sich an Erik wandte:
»Warum müssen die Gäste und Touristen immer soviel Zeit verschwenden?« Er streckte die Hand mit der Schlüsselkarte Erik entgegen und ließ diese los, kaum griff Erik danach.
Erik wurde von der Rezeption nach rechts hinten in die weitere Halle geführt. Dort bemerkte Erik umlaufende Liftbänder. Eines betrat RMF 17 und packte Eriks Hand. Mit Schwung zog er diesen auf das Band und beinahe wäre Erik herunter gestürzt, hätte ihn sein Fremdenführer losgelassen.
Mit einem heftigen Ruck steigerte das Band sein Tempo und schraubte sich durch einen engen Tunnel nach oben. Erik konnte sich nicht erinnern, dass er beim Eintritt einen solchen Tunnel bemerkt zu haben. Doch er hatte auch nicht wirklich aufgepasst.
Nach wenigen Minuten verlangsamte das Band und RMF 17, der Eriks Hand noch immer hielt, verließ das Band, als es eine Abzweigung überquerte und zog Erik mit sich. Dicht neben der Abzweigung erkannte Erik einen mit stark gedämmten Lichtbalken versetzten Korridor. RMF 17 deutete mit dem Kopf hinein und meinte:
»Am Ende des Korridors befindet sich Ihr Zimmer. Dies ist der Schlüssel für den Öffnungsmechanismus. Ich darf Sie nicht weiter begleiten. Aber ich werde morgen früh hier wieder auf Sie warten!«
Erik nickte und betrat den Korridor. Einmal wandte er sich um und sah den Robotfremdenführer noch dort stehen, wo Erik ihn verlassen hatte.
Erik fand wirklich am Ende des Korridors die Türe und da er den Umgang mit Schlüsselkarten schon öfters geprobt hatte, war es kein großes Mirakel, die Türe zu öffnen.
Ein lichtdurchflutetes Zimmer blendete ihn kurz, als er die Türe aufstieß. Ein breites Bett, dicke Florteppiche und leise Musik erwarteten ihn. Er trat zum Bett und erst jetzt merkte er, dass er sehr müde war.
Mit ausgebreiteten Armen ließ er sich darauf fallen. Gleich darauf sprang Erik wieder auf, als er merkte, dass das Bett in starke Schwingungen versetzt wurde.
Erik fuhr sich über die Augen und es dauerte etwas, bis er sein hart pochendes Herz wieder soweit beruhigt hatte, dass er nicht mehr das Blut in den Ohren rauschen hörte.
Schließlich ließ er sich abermals aufs Bett sinken, sehr viel langsamer und vorsichtiger als vorhin, und wieder spürte er das Vibrieren. Doch weit nicht mehr so hart und beinahe schmerzhaft als vorhin.
Ohne es zu merken, fielen Erik die Augen zu und er war im nächsten Moment eingeschlafen. Durch leichte Massagevibrierung bis in den Traum gebracht.
»Guten Morgen! Es ist Zeit wach zu werden! Ihr Tag wird wunderschön und ist angefüllt mit vielen schönen und erfreulichen Dingen! Guten Morgen! Es wird Zeit wach ...!«
Erik öffnete die Augen, als er die sanfte, einschmeichelnde Stimme hörte. Unwillkürlich sagte er ebenfalls: »Guten Morgen! Wer sind Sie und wo sind Sie?« Er setzte sich auf und rieb sich kurz über die Augen.
»Ich bin Ihr Weckruf!«
»Mein ... was? Ich habe keinen Weckruf bestellt. Wie spät ist es eigentlich?«
»Es ist später, als es sein sollte. Die Sonne steht hoch am Himmel und Sie haben noch eine Menge vor sich!« Die Stimme kam von der Tür her und als Erik hinsah, stand dort ein seltsam verärgert scheinender RMF 17.
»Ich dachte mir, Sie könnten nicht mit mir kommen, sondern müssen warten?«
»Das habe ich ja auch getan. Ich habe mich am Betaterminal aufgeladen. Und nun husch, ins Bad. Die Äuglein erfrischt und die Beisserchen gewienert. Dann die Löckchen in eine annehmbare Frisur gebracht und schließlich und endlich auch noch das Mägelchen gefüllt. Dann zeige ich Ihnen heute den Park und die Vergnügungsmeile!«
Eriks Mund hatte sich während des Redeschwalls des Robotführers erstaunt geöffnet. Jetzt klappte er ihn zu, stand schwungvoll auf und meinte, während er an seiner verknitterten Kleidung hinunter sah:
»Sind Sie auch sicher, dass Sie voll geladen sind? Den Spruch eben, den Sie da losgelassen haben, deutete eher auf etwas Saftungleichgewicht hin!«
»Verzeihung?«
»Na ja, Sie haben jetzt so seltsame Worte gebraucht und ...! Ist ja gut, ich gehe ja schon!« Erik grinste, als er dem Robotführer den Rücken zukehrte. Er hatte deutlich dessen Verwirrung gemerkt.
Erik ging ins Bad, entkleidete sich schnell und trat unter die Dusche. Er drehte an den beiden Knöpfen, die in die Wand eingelassen waren, doch es kam kein Wasser. Nur die Luft um ihn begann zu vibrieren und gleich darauf lösten sich Schmutz und Staubpartikel von Eriks Haut. Ebenso von seinen Haaren. Die Partikel schwebten kurze Momente um Erik herum, dann verschwanden sie.
Erik fühlte sich seltsam angenehm erfrischt, als hätte er tatsächlich eine Wasserdusche genommen. Er trat aus der Dusche, als das Vibrieren nachgelassen hatte und schließlich ganz aufhörte. Er trat vor den kleinen Spiegel, der sich über einer Waschmuschel befand. Unter dem Spiegel war eine schmale Konsole angebracht. Worauf ein Wasserglas stand und zwei Tuben daneben lagen. Beide weiß und ohne eine Aufschrift.
Erik griff nach der ersten und erkannte, dass sie mit einer dünnen Kette an der Wand befestigt war. Er schraubte sie auf. Eine süßlich riechende Pasta trat aus und ein kleiner Teil davon fiel auf den Boden.
Kurz wÃöbte sich dieser und gleich darauf war das winzige Stück verschwunden. Erik war einen erschrockenen Schritt nach hinten gesprungen und sein gerufenes: »Wow!« hallte noch in seinen Ohren. Die Tube hielt er noch in den Händen, die Kette hatte sich selbsttätig verlängert.
»Selbstreinigender Boden!«
»Sie hätten mich darauf aufmerksam machen müssen!« rief Erik vorwurfsvoll. Sein Blick fiel auf die Sachen, die der Roborführer über seinem linken Arm hängen hatte.
»Sie haben nicht danach gefragt. Ausserdem ist das Standart! Und nun möchte ich Sie höflich bitten, sich etwas zu beeilen!«
»Kein Rasierapparat vorhanden, keine Zahnbürste und keinerlei Kamm!«
»Sie haben die Rasiercreme in der Hand. Damit tragen Sie eine kleine Menge im Gesicht auf Ihrem Bartwuchs auf und waschen es sich anschließend wieder ab. Die andere Tube beinhaltet die Zahnpaste. Diese tragen Sie mit dem Zeigefinger auf Ihre Zähne auf, warten mit offenem Mund etwas, die Naniten werden Sie zufrieden stellen. Der Kamm befindet sich neben dem Spiegel in der ersten Kachel von links. Und dann kleiden Sie sich bitte an. Ihr nackter Körper ist nicht sehr deliziös!«
Erik sah erschrocken an sich hinunter und wurde unwillkürlich rot. Mit einem gemurmelten »Entschuldigung« befolgte er so rasch er konnte die Anweisungen von RMF 17.
Dann nahm er diesem die Kleider vom Arm und zog sie sich rasch an. Sie bestanden aus einem gelblichen Hemd, das ihm bis zu den Knien hing und einer kurzen Hose, auf deren Beinaufschläge er stieg. Doch ehe Erik Beschwerde einlegen konnte, verkürzten sich beide Sachen bis zu einer bequemen Größe und Erik schluckte hinunter, was er eben sagen wollte.
Seine Wangen spannten etwas, aber das machten sie auch, wenn er sich »normal« rasierte. Und seine Zähne hatten eine Glätte und einen so sanften Glanz, wie noch nie. Seine Haare schmiegten sich in leichten Locken an den Kopf und wenn er jetzt noch Schuhe und etwas in den Magen bekam, konnte der neue Tag richtig beginnen.
Ehe Erik etwas sagen konnte, hielt ihm RMF 17 auch schon ein Paar Riemensandalen entgegen. Da auch diese für größere Füße gemacht waren, passten sie sich erst nachträglich an Eriks Füße an.
»Das muss ein Wahnsinnsstoff und Leder sein, dass es sich von selbst anpasst!« sagte er und sah erwartungsvoll zu RMF 17. Dieser taxierte ihn von oben nach unten und schien mit Eriks Erscheinungsbild zufrieden. Er nickte und erklärte:
»Sie haben die Kleidung und auch Ihr Fusswerk aus den Geburtsfasern der letzten Pischkys, die es noch gibt. Und jetzt sollten Sie frühstücken gehen!« Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, bekam Erik wieder einmal einen leichten Stoß in den Rücken, als er bei RMF 17 vorbei ging.
»Ist ja gut! Könnten Sie erfreulicherweise dieses unangebrachte Stösseln unterlassen?« Erik spürte Ärger in sich hoch steigen.
Doch das konnte auch daran liegen, dass er noch nichts im Magen hatte und sein auf den Tiefpunkt gesunkener Blutzuckerspiegel daran schuld war.
Wieder ging es mit dem Lift in die tieferen Etagen und Erik war gespannt, wo und was er wohl als Frühstück bekommen würde. Die Tür glitt beiseite, als ein sanfter Ruck anzeigte, dass der Lift bei seinem Ziel angekommen war.
Erik stieg aus und blieb gleich darauf verblüfft stehen. Er stand in einem von unzähligen Fenstern umgebenen Raum, Tisch reihte sich an Tisch und die davor stehenden Stühle sahen so bequem aus, dass Erik nicht anders konnte, als sich gleich zu einem hin zu begeben und drauf zu setzen. Er versank beinahe in diesem. Der Tisch vor ihm war mit einem weißem Tischläufer gedeckt. Auf jeden Tisch standen bereits Tasse und Teller. Darunter ein Tischset, das aussah, wie ein plüschiger Teil eines Teppichs. Doch als Erik mit einer Hand darüber strich, fühlte es sich hart an.
»Boktanerlan. Ein selten erschwingliches Material. Wünschen Sie Ihren Kaffee oder Tee mit Milch und Süßstoff?«
»Tja, am liebsten hätte ich Kaffee, schwarz und ohne allem. Eine Scheibe Toast. Das genügt!«
»Ich muss Sie enttäuschen. Sie werden hier ein anständiges Frühstück zu sich nehmen. Denn das Programm, das für Sie zusammen gestellt wurde, verlangt dieses. Und dass Sie Ihren Kaffee schwarz zu sich nehmen, kann ich auch nicht erlauben, denn das würde Ihren Nerven schaden. Ich denke, ich werde Ihnen das rechte Frühstück zusammen stellen können. inzwischen habe ich Sie ganz gut verinnerlicht!«
RMF 17 drehte sich um und ließ einen verdutzten Erik beim Tisch zurück. Es dauerte nicht lange, so kam der RMF 17 zurück. Er schob einen fahrbaren Tisch vor sich her, auf dem vier mit halbrunden Deckeln zugedeckte Schüsseln standen. Eine dickbauchige Kanne und zwei seltsam ovale Metallschüsseln standen ebenso drauf.
RMF 17 schob den Tisch neben Erik, nahm die Schüsseln und stellte diese vor Eriks Teller und Tasse auf den Tisch. dann hob er die Deckel davon hoch und legte diese auf das Tischchen zurück.
Erik beugte sich etwas vor und der Duft, der ihm von den Schüsseln entgegen wehte, ließ in seinem Mund das Wasser zusammen laufen.
Eine Schüssel beinhaltete in Scheiben geschnittenes Brot, in dem gelbliche, ebenfalls geschnittene Körner zu sehen waren. Es duftete, als wäre es frisch gebacken worden. Auf eine diesbezügliche Frage Eriks, bestätigte es ihm sein Fremdenführer. Eine andere Schüssel hatte acht verschiedene zu kleinen Häufchen geformte Aufstriche.
Wieder in einer weiteren lagen verschiedene Früchte und die letzte beeinhaltete Fleisch und Wurst, in hauchdünne Scheiben geschnitten.
RMF 17 schenkte aus der Kanne Kaffee in die Tasse und Erik wusste, so stark und gut duftenden Kaffee hatte er noch nie gerochen. Vorsichtig griff er nach der Tasse und roch erst daran, dann probierte er vorsichtig einen Schluck. Der Kaffee war heiß, stark und süß.
Ebenso vorsichtig stellte Erik nach diesem Schluck die Tasse wieder auf den Tisch und griff nach dem Brot. Etwas skeptisch besah er sich die gelblichen Körner, doch ehe er fragen konnte, worum es sich handelte, sagte schon sein Begleiter:
»Keine Angst. Dies ist Mannukbrot. Die Körner darin sind Mannuknüsse. Sehr nährwertig und Vitaminreich!«
»Was für Nüsse?« fragte Erik und roch an der Scheibe in seiner Hand.
Sie roch nach noch warmen Brot, wie es früher seine Großmutter immer am Beginn der Woche gebacken hatte. Ein leichter Geruch nach Zimt und Nuss ließ Erik abermals schlucken.
Er sah sich nach einem Messer um und zuckte zusammen, als die Hand seines Begleiters in sein Gesichtsfeld schnellte und auf eine der ovalen Schüsseln zeigte, die ebenfalls bereits auf dem Tisch standen. Auf einer befand sich ein abgerundetes Aufstrichmesser und eine kleine Gabel mit drei Zinken, die andere war mit Wasser oder einer ähnlichen Flüssigjkeit gefüllt. Daneben lag ansehnlich gefaltet ein blaues Tuch.
Erik griff nach dem Messer und überlegte, welchen Aufstrich er wohl nehmen dürfte. Doch RMF 17 meinte:
»Dies ist Ihr eigenes Frühstück. Wenn Sie wollen, können Sie sich durch essen. Das Obst kommt von allen bewohnten und bekannten Welten. Dies sind Birnen und Äpfel von Solaris, Pischkyfrüchte von Shira, Borntanbeeren aus dem heißen Klima von Kantrei, Ananasias von Hiltka, Beerenmosta aus den Sümpfen von Gilbra und ...!«
»Ist ja schon gut! Mann mir schwirrt der Kopf. Ist egal, woher die Dinger kommen, Hauptsache sie schmecken und sind nicht giftig!«
»Keine der Früchte ist giftig für Ihren Mentabolismus. Auch die anderen Beilagen nicht!«
»Und welches Tier musste für die Wurst und Fleischsorten strerben?«
»Niemand in dieser Galaxie würde tierisches Fleisch zu sich nehmen. Ich denke nicht, dass Sie jetzt die biologische Formel haben wollen, woraus diese Beilagen bestehen, oder? Nein, ich denke nicht. Seien Sie gewiss, die Beilagen bestehen aus synthetisch gezüchteten Fasern!«
»Aha!« war Eriks Kommentar, während er überlegte, was wohl eher nach diesen Fasern schmecken würde, das Fleisch oder die Wurst.
Doch er hatte sich bereits soweit auf dieses Frühstück, das wohl seinesgleichen suchen sollte, eingelassen, dass es darauf auch nicht mehr ankam. Erik nahm eine Scheibe vom Fleisch und legte es auf sein Brot, biss ab und ... schlang es hinunter. Es schmeckte, wie geräuchertes Hähnchenfleisch, überhaupt nicht nach künstlicher Faser. Und nun gab es für ihn kein Halten mehr.
Erik stürzte sich über das Frühstück, das eigentlich für seine Essensgewohnheiten viel zu reichhaltig war, das ihm jedoch von Biss zu Biss mehr mit Lust und Appetit erfüllte.
Aufatmend lehnte er sich zurück, als auch das letzte Obst hinter seinen Zähnen verschwunden war und nur noch ein einsamer, schwarzer Kern von dieser komischen Ananasias in der Schüssel lag.
RMF 17 sah Erik zufrieden an und nickte. dann zeigte er auf die Schüssel mit der Flüssigkeit.
»Sie sollten sich Ihre klebrigen Finger mit dem Limerikwasser reinigen und mit dem Tuch trocknen. Dann sollten wir langsam zu unserer Besichtigungstour aufbrechen!«
Erik nickte, reinigte seine Finger in der nach Zitrone duftender Flüssigkeit, trocknete sich am Tuch ab und stand auf.
Sein Blick fiel auf die leeren Schüsseln und die Tasse. Doch dann zuckte er die Schultern. Es würde sich schon jemand finden, der das alles wegräumt. Schließlich war er hier Gast.
Ohne den Tisch und das darauf befindliche Chaos mit einem weiteren Blick zu würdigen, folgte er RMF 17 zur Tür. Diese öffnete sich knapp vor ihnen und Erik trat hinter seinem Begleiter auf die bereits von der Sonne erwärmten Straße.
Wenn Erik nun dachte, dass wenigstens diesen Tag noch weitere Leute in der Gasse vor dem Hotel unterwegs waren, sah er sich erneut getäuscht. Wieder waren nur er und RMF 17 unterwegs. Unterwegs, ja aber wohin? Ehe Erik diese Frage stellen konnte, hob sein Begleiter bereits den rechten Arm und zeigte etwas nach rechts.
Eriks Blick folgte dem Finger und er erkannte den Park, durch den er zu Beginn seines Aufenthalts hier gekommen war.
»Ein kleiner Spaziergang durch den Park, ja? Wie nett!« Erik konnte sich des Sarkasmus in seiner Stimme nicht entziehen. Doch RMF 17 runzelte nur die Stirn und schüttelte den Kopf.
»Nicht in den Park, sondern neben dem Park. Ich werde Ihnen heute das Museum zeigen!«
»Ach du meine Güte! Auch das noch!« Erik verdrehte die Augen.
Es gab in seiner Einschätzung nichts langweiligeres als ein Museum. Mit verstaubten Tierpräparaten von Viechern, die viele Jahrhunderte vor Eriks Geburt gelebt und auch gestorben waren. Oder Knochen, die angeblich vom Erassmusmenschen oder dem ältesten Vogelbeintukanten oder was weiß man stammten.
»Sie werden sehen, es wird Ihnen gefallen!«
»Na sicher auch!«
Ergeben senkte Erik den Kopf und wünschte sich langsam aber sicher in seine Eigenzeit zurück.
RMF 17 führte Erik am Park vorbei und blieb vor einem mit glänzenden Würfeln an der Hausmauer bestückten Haus stehen.
ZEITMUSEUM
stand über der unscheinbaren Tür.
Ehe Erik noch fragen konnte, was dies für ein seltsames Museum war, gab ihm sein Fremdenführer bereits wieder einen seiner Stöße in den Rücken. Erik stoplperte vorwärts und wunderte sich schon nicht mehr, als sich dicht vor ihm die Türe öffnete und ihn in eine weite, leere Halle stolpern ließ. Der Boden der Halle war mit einem hellen Marmorboden belegt und blaue Fussabdrücke führten von der Türe zu einer breiten Freitreppe. Erik erhielt abermals einen Stoß in den Rücken und notgedrungen setzte er sich in Bewegung. Er folgte den Fussspuren zu der Freitreppe und stieg sie hinauf.
Je weiter er stieg, desto verschwommener sah er. Er wollte stehen bleiben, doch sein Begleiter gab ihm erneut einen Stoß, sodass er unwillkürlich einen weiteren Schritt nach vorne machte und ... plötzlich auf einer weiten, von Blumen durchsetzten Wiese stand. Weiter vorne waren Zelte aufgestellt und Rauch kam aus deren oberen Öffnung. Die Zelte bestanden aus Leder und Fellen und Erik wurde unwillkürlich an die vielen Indianerfilme erinnert, die er gesehen hatte.
Doch es gab keine Indianer. Nur seltsame, mit einem braunen Fell bekleidete Tiere. Sie standen als eine Gruppe von etwa fünf Stück vor ihm, waren ungefähr so groß wie ein mittelgroßer Hund und hatten zwei große, gelbliche Nagezähne aus einem blau umrandeten Maul hängen. Ihre großen Augen hatten eine grüne, wie bei Katzen geschlitzte Pupille und ihre großen, runden Ohren erinnerten Erik an etwas grotesk aussehende Biber. Nur hatten sie keinen Schwanz wie diese, zumindest konnte Erik keinen erkennen. Ihre Füße waren mit Fellstiefel bekleidet und statt zwei Armen hatten sie vier. Zwei, wo sie auch bei anderen Lebewesen saßen - an der Schulter - zwei jedoch mitten aus dem Bauch heraus. Diese beiden Arme endeten in zwei Fingern.
»Dies sind die Herren der Tungatasteppe. Ein kriegerisches Volk. Früher gab es hier viele von ihnen, doch die Blutseuche hat die meisten dahin gerafft. Diese hier sind die letzten ihres Volkes.«
»Leben die?« konnte sich Erik die Frage nicht verkneifen, als er sah, dass sich die Tiere bewegten.
»Natürlich leben sie! Es wäre nicht von Vorteil, wenn sie tot wären!«
Erik zuckte die Schultern. Nun ja, er war in einem Museum. Und da gab es mehr tote, ausgestopfte Tiere ohne seltsamer Kleidung und ebensolcher Lebensgeschichte.
Seltsame Zwitscherlaute wurden hörbar und eines dieser Wesen kam näher. Es besah sich Erik einige sekundenlang, dann drehte es sich um und ging wieder weg. Die restlichen Mitglieder der Gruppe folgten, nachdem auch sie diese Zwitscherlaute ausgestoßen hatten. Erik sah ihnen mit Erstaunen nach, dann wandte er sich an RMF 17:
»Was wollten die denn?«
»Sie haben uns eingeladen. Zu einem Palaver!«
»Ist nicht wahr!« entfuhr es Erik und er musste grinsen. In den Filmen, die er gesehen hatte, führten die Indianer auch meist Palaver. Die Friedenspfeife ging dann reihum und jeder machte einen Zug, in jede der vier Himmelsrichtungen.
Bei der Vorstellung, diese Blaumaulbiber würden eine stinkende Pfeife rauchen, musste Erik sehr an sich halten, um nicht in ein beleidigendes Gelächter auszubrechen. Also bisher hatte er an diesem komischen Museum nicht viel auszusetzen.
»Woher haben Sie die Sprache - ich denke doch dass dieses Quietschen sowas war, gelernt?«
»Ich kenne die Herren schon lange. Und einer hat mir die Sprache beigebracht. Meine Memobox ist sehr weit gefächert!«
Erik wollte gar nicht fragen, was eine »Memobox« sei und nickte nur. Er und sein robotischer Fremdenführer folgten den Herren der Tungatasteppe zu einem der größeren Zelte und Erik musste sich auf seine Knie nieder lassen, damit er es betreten konnte.
Drinnen schien es sich nur ein Stück weit um ein Zelt zu handeln, denn etwa vier Schritte vom Eingang entfernt, führten Stufen in die Tiefe. Erik erhob sich und wenn er den Kopf etwas einzog, konnte er beinahe aufrecht stehen.
Einer der Herren winkte ihm mit der Bauchhand und Erik folgte. Beinahe erwartete er wieder einen Stoß in den Rücken, doch dieser blieb seltsamerweise aus. Erik betrat die oberste Stufe und sah hinunter. Die Stufen führten wie eine Wendeltreppe tiefer und bestanden aus einem eigenartig blau-flouriszierendem Material.
Ein schmaler Handlauf erleichterte den Abstieg. Die Wände des Treppengangs waren unverbaut und immer wieder ragten seltsam zernagt aussehende Wurzeln hinein.
Je tiefer sie kamen, desto wärmer wurde es. Erik wunderte sich, dass er sehen konnte, obwohl es keine erkennbare Lichtquelle gab. Doch das Treppenmaterial schien die Lichtquelle zu sein. Erik atmete erleichtert auf, als er die letzte Stufe erreichte und den mit sauber eingepassten Steinplatten belegten Boden erreichte. Hier waren in Wandhaltern angebrachte Fackeln und diese verbreiteten einen angenehmen warmen Schein und einen Duft nach Heu und Sommerwiese. Einer der kleinen Bibertiere kam ihm entgegen, in seinen Schulterhänden einen Becher, der kunstvolle Gravierungen aufwies und hielt ihn Erik hin. Dieser nahm ihn nach anfänglichem Zögern mit einer leichten Verbeugung entgegen, setzte ihn an die Lippen und trank mit schnellen Zügen die darin befindliche Flüssigkeit aus.
Sie war geschmacklos aber löschte hervorragend den begonnenen Durst. Erik gab den Becher zurück und bemerkte erst jetzt den gespannten Ausdruck im Gesicht des Steppenbewohners. Es schien, als würde dieser auf etwas spezielles warten.
Ehe Erik nachfragen konnte, durchschnitt seine Eingeweide ein so feuriger Schmerz, dass er sich krümmte.
Das letzte, das Erik dachte, ehe er sein Bewußtsein verlor war, dass er hier unten sterben würde, weil man ihn eben vergiftet hatte. Dann wurde es dunkel um ihn.
Erik schlug übergangslos die Augen auf und das erste, das er sah, war ein Becher, gehalten von RMF 17.
»Trinken Sie das, das dämpft die Wirkung der Sprachnaniten etwas. Keine Angst, es ist nur Wasser!«
Erik sah den Becher sehr skeptisch an, doch schließlich nahm er ihn und trank vorsichtig daraus. Es war tatsächlich kaltes Wasser. Der unangenehme Brand in seinem Magen erlosch und auch sein noch immer latent vorhandener Durst. Dann fiel ihm etwas ein. er sah sich um, doch er befand sich allein, wenn er den Robotführer nicht dazu zählte, in einem kleinen Raum mit Bett, einem Schrank und zwei Stühlen. Keiner der Blaumaulbiber war hier. War alles nur ein Traum?
»Was ist geschehen?« fragte Erik und gab den Becher zurück.
»Sie wurden von der Wirkung des Modifizierungsgetränks ergriffen und zu Boden geworfen!« erklärte RMF 17, ohne sein Gesicht zu verziehen.
»Was war los?« Erik stand auf der Leitung.
»Der Modifizierungsdrink hat Sie etwas aus der Spur geworfen!«
»Was, zum Teufel noch mal, ist ein ‘Modifizierungsdrink'?«
Eriks zornig hervorgestoßener Fluch hatte scheinbar nun doch den Robotführer etwas irritiert, denn er verzog sein Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. Insgeheim fragte sich Erik, ob RMF 17 überhaupt Zähne hatte und ob er wirklich Schmerzen dort empfinden könnte, doch er hütete sich, eine diesbezügliche Frage zu stellen.
»Sie haben Übersetzungsnaniten getrunken. Ab nun benötigen Sie keinen Translator mehr, da Sie die Sprache der ‘Herren’ ohne weitere Schwierigkeit verstehen werden. Und auch sprechen. Wir unterhalten uns bereits in deren Sprache.«
»Wie lange denn schon?« fragte Erik überrascht und horchte seinen eigenen Worten nach. Doch sie kamen ihm nicht anders vor, als früher.
»Seit Ihrer Besinnungslosigkeit! Und nun darf ich sie bitten, sich zu erheben, denn ich habe Sie aus einem bestimmten Grund hierher gebracht und sicher nicht, damit Sie hier Urlaub machen!«
»Aha! jetzt kommt die Wahrheit ans Tageslicht!« rief Erik und stand auf. Kurz wurde ihm schwindlig, doch er fing sich gleich darauf und folgte dem Robotführer aus dem Raum, der ihm keine Antwort gab.
Gleich neben dem Zimmer, in dem Erik gelegen hatte, befand sich ein großer Raum, der brechend voll mit seltsamen Maschinen und Gegenständen besetzt war.
»Was ist das alles?« fragte Erik und griff nach einer Scheibe, die aussah wie ein antiker Spiegel, nur dass sich Erik darin nicht sah, sondern dass seltsame Ziffern darauf zu sehen waren.
»Halten Sie Ihre Hände bei sich. Das ist ein Magentakompensierer und wenn Sie die falsche Einstellung machen aufgrund Ihrer Unkenntnis, kann dies verheerende Folgen haben.«
Erik zog seine Hand zurück, wobei er sich fragte, was wohl dieser Magentakompensierer sei. Er wusste nur, dass eine blaue Farbnuance Magenta genannt wurde. Wollte man diese Farbe etwa kompensieren?
»Aufpassen!« rief der Robotführer, doch für Erik kam die Warnung zu spät. Dieser hatte - mit diesem Kompensierer beschäftigt, nicht auf seine Umgebung geachtet und lief auch prompt gegen eine niedrigere Deckenstufe. Kurz zuckte stechender Schmerz über seinen Kopf und er setzte sich ziemlich unsanft auf den Hosenboden. Gleich darauf fühlte er warmes Blut über seine Stirn laufen. MRF 17 sah auf ihn nieder, schüttelte den Kopf und reichte Erik die Hand, um ihm hoch zu helfen.
»Was ist passiert?« fragte eine sympathische Frauenstimme. und als Erik sich das Blut von den Augen wischte, sah er einen der Biberwesen vor sich stehen. Die Augen des Wesens glitzerten, eine Schulterhand streckte sich aus und als Erik unwillkürlich zurück zuckte, verharrte die Hand kurz.
»Ich werde Euren Schmerz und Eure Wunde dämmen, wenn Ihr mir dies erlaubt!«
Ehe Erik noch antworten konnte, legte das Wesen die Hand sanft auf die aufgeschürfte Stelle und der Schmerz erlosch. das Blutrinnsal stockte und das Wesen zog die Hand zurück, leckte rasch darüber und streckte sie erneut aus. Wieder reagierte Erik zu spät, als sich die feuchte Hand auf sein Gesicht legte und das zu verkrusten beginnende Blut weg zu waschen. Nach wenigen Waschungen mit der abgeleckten Hand konnte Erik wieder frei sehen und nun nahm er auch von MRF 17 dessen Hand und ließ sich hoch helfen. Bei der Biberfrau bedankte er sich artig und diese meinte nur, mit einem verlegenen Augenniederschlag:
»Ach, das ist doch selbstverständlich!« Dann wandte sie sich um und ging in einen seitlichen Tunnel. Erik und der Robotführer folgten. Erik musste zwar wieder den Kopf einziehen, doch diesmal behielt er auch die Decke im Auge. Die Stelle war zwar nicht mehr verletzt, aber er spürte sehr wohl, dass sich dort eine Beule zu bilden begann.
Sie wurden in einen überraschend großen Saal geführt, in dem sogar Erik aufrecht stehen konnte. Nun kam er sich vor wie ein Riese in einer Liliputstadt. Der Saal war brechend voll mit den Blaumaulbibern und Erik konnte sich lebhaft vorstellen, dass ein enormer Lärm herrschen würde, wenn alle die hier anwesenden palavern wollten.
Ein Gong ertönte und die ‘Herren’ setzten sich auf den Boden. RMF 17 folgte ihrem Beispiel und auch Erik beeilte sich zu setzen. Einer der Blaumaulbiber erhob sich und sagte:
»Wir sind heute hier zusammen gekommen, um dieses Wesen ....!«
Eriks Gedanken begannen zu laufen. Wie oft hatte er so einen Beginn schon in diversen Filmen gehört? Was wollte man wirklich von ihm? Während der Blaumaulbiber seine Ansprache hielt und dabei mit beinahe jedem seiner Arme herumfuchtelte, ließ Erik seine Augen herum wandern. Er zuckte leicht zusammen, als er seinen Blick auf einem der Blaumaulbiber länger ruhen ließ und in diesem seine ‘Krankenschwester’ erkannte. Obwohl alle mehr oder weniger gleich aussahen, hätte Erik diesen unter allen immer wieder erkannt. Die dunklen Augen des Wesens begannen zu funkeln und ein freundliches Lächeln erschien auf dem Gesicht. Unwillkürlich erwiderte es Erik. Das Pochen hinter seiner Stirn hatte aufgehört und langsam sollte er sich wieder auf den Redner konzentrieren. Nur mit Mühe riss er seinen Blick von der Blaumaulbiberfrau los und richtete seinen Blick auf den noch immer herum fuchtelnden Sprecher.
«... und so bitten wir Sie, unseren kleinen tapferen Bruder zu holen! Danke!« Damit setzte sich der Redner wieder und verschwand sofort in der Masse. Erik runzelte die Stirn, bedauerte es sofort, denn die dort prangende Beule sandte scharfe Stiche aus und wandte sich an MRF 17.
»Was soll geschehen?« fragte er diesen leise. MRF 17 wandte den Kopf und sah Erik nachdenklich an.
»Sie haben das aber schon verstanden, oder? Das war doch ganz leicht zu verstehen. Darum haben Sie ja den Modifizierungstrank erhalten!«
»Ja, habe ich verstanden. Nur welchen Bruder soll ich holen? Und woher?«
»Aha!«
»Was ‘aha'?«
»Aha, so so!«
»Was soll das ‘aha, so so'?«
»Sie haben nicht aufgepasst!«
»Na, der Beginn dieser langen Rede war etwas ... langatmig und so ...!«
»Ja, ich kann es mir denken! Man hat Sie gebeten, einen vermissten Bruder der ‘Herren’ vom galaktischen Zoo zu befreien. Da keiner der Anwesenden hinein kann, ohne sofort auch requiriert zu werden und die Sicherheitsanlage mich ebenso ausser Gefecht setzen würde, können nur Sie den Kleinen daraus befreien.«
Erik starrte mit leicht offenen Mund MRF 17 an. Hörte er da so etwas wie Sorge aus den Worten seines Führers? Doch schon sprach dieser weiter.
»Ich kenne Bannymonakidartes schon seit er ein kleiner Wurmsichler war. Man kann sagen, ich war seine Hebamme. Das war bevor das Tor geschlossen wurde. Ich sah ihn aufwachsen und dann verschwand er eines Tages. Ein Wanderer erzälte mir dann von diesem Galaktozoo und wollte unbedingt einmal diesen besuchen. Und dort fand ich Bannymonakidartes. Einsam hinter Energieschirmen von der Aussenwelt abgeschottet. Aber Sie werden zu ihm gehen und ihn heraus holen. denn Ihnen kann dabei nichts passieren! Alle hier bauen auf Sie!«
»Was soll ich? Ich kann doch nicht in einen gesicherten Zoo gehen und daraus ein Tier stehlen!«
»Ein Tier? Es handelt sich um meinen kleinen Bruder!« sagte nun die Blaumaulbiberin und ihre dunklen Augen füllten sich mit einer gelblichen Flüssigkeit, von der Erik annahm, dass es sich um Tränen handeln könnten. Unwillkürlich kam sich Erik wie ein Schuft vor. Denn dass diese nette Biberin weinte, das hatte er nicht gewollt. Er senkte kurz die Augen, dann meinte er leise, wieder aufblickend:
»Ich weiß nicht, ob ich das schaffe. Und noch dazu alleine!«
»Ich werde Euch begleiten!« sagte die Frau und nickte.
»Aber wenn es doch für euch gefährlich ist!«
»Für die Familie gibt jeder sein Bestes. Auch das Leben. Ist es in Eurer Welt denn anders?«
Erik dachte an die vielen Kriege und Morde in seiner Zeit und Welt, doch er wollte das Wesen nicht verwirren.
»Ich kenne nicht einmal Ihren Namen!« Erik hätte sich ohrfeigen können, als ihm das heraus rutschte. Das Gesicht seines Gegenübers verzog sich kurz zu einer entschuldigenden Grimasse.
»Verzeihung, in meiner Freude, dass wir vielleicht endlich meinen kleinen Bruder befreien können, habe ich auf die einfachsten Formen der Höflichkeit vergessen. Ich werde Annymonokartumane genannt.«
»Ach du liebes bisschen. Habt ihr hier alle so lange Namen? Erlauben Sie mir, Sie einfach Anny zu nennen?« fragte Erik und bekam Kopfschmerzen, wenn er an den Namenswurm dachte. Die Blaumaulbiberfrau neigte den Kopf etwas zur Seite und dachte nach. Dann nickte sie und meinte, wieder ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht:
»Das gefällt mir. Ja, Ihr dürft Anny zu mir sagen. Und wie ist Euer Nennname, wenn mir diese Frage gestattet ist?«
»Ich bin Erik!«
»Und wie weiter?«
»Nur Erik. Und mein Familienname. Sonst nichts!«
»Das ist auch ein schöner Name, Nurerik. Er gefällt mir ebenso. Wann brechen wir auf?«
Bevor Erik diesen Irrtum erklären konnte, erhob sich MRF 17, zog Erik hoch und verneigte sich leicht.
»Wir werden so rasch als möglich aufbrechen. Sobald etwas Proviant und das Nötigste geordert wurde!«
»Ich danke schön. Und auch Euch Nurerik. Euch schicken uns die wahren Gottheiten!«
»Na ja, ich würde diese Kerle wohl anders nennen, aber das ist das kleinste unserer Probleme. Anny?«
»Ja, Nurerik?«
»Haben Sie auch Waffen?«
Während Erik sich mit der Blaumaulbiberin unterhalten hatte, waren auch die anderen aufgestanden und hatten begonnen, den Saal zu verlassen. Jetzt hielten die, die noch da waren, inne und mit einem Schlag herrschte gespenstische Ruhe, sodass Eriks letztes Wort überlaut zu hören war. Erik sah erschrocken über die Köpfe der Wesen hinweg und richtete sein Augenmerk zuletzt wieder auf die Biberin vor ihm. Diese sah ihn erschrocken an. Auch einen feinen Ausdruck von Abscheu konnte Erik in dem Gesicht entdecken.
»Waffen? Nein!« erwiderte sie und legte je eine Schulterhand auf Eriks Stirn - dort wo er die Beule fühlte - und seine Brust.
»Unsere ‘Waffen’ sind hier und hier zu finden!« meinte sie mit seltsamen Stolz und ließ gleich darauf ihre Arme sinken, wandte sich um und verließ mit den letzten den Saal. Erik starrte mit einem seltsamen Gefühl der Hilflosigkeit hinter ihr her. MRF 17 gab ihm den obligatorischen Stoß in den Rücken und meinte:
»Nicht traurig sein, Sie haben noch jede Menge zu packen, zu bedenken und in zwei Stunden gehts los. Es ist ein weiter Weg zum Zoo!«
Hinter Mauern
Seit gefühlten Stunden waren sie bereits unterwegs. Sie hatten die Blaumaulbiberstadt verlassen, den Park durchquert und waren in die Stadt zurück gekehrt. Dort waren sie in eine Gasse eingebogen, die seltsame Pilze an den Gebäuden aufwies und hatten sie sehr schnell wieder verlassen, nachdem RMF 17 einige der seltsam schleimig und von einer unappetitlich grauen Farbe wirkenden Pilze abgebrochen und in Eriks Beutel gesteckt hatte.
»Wozu sind diese Dinger denn gut?« fragte Erik und zog die Nase etwas kraus, als ein Geruch nach Verwesung und Erbrochenem zu ihm kam.
»Wir werden die Traumknollen noch benötigen!« erwiderte RMF 17 und Erik konnte sich nicht verhalten, zu murmeln:
»Das gibt aber nur Albträume! Bei dem Aussehen und dem Geruch!«
RMF 17 schwieg dazu, doch er sah Erik kurz an, als würde er dessen Erwiderung ziemlich missbilligen.
Sie gingen weiter, die Gasse blieb zurück und unmittelbar dahinter endete die Stadt wie ausradiert. Als wäre ein gigantisches Messer am Werk gewesen und hätte die letzten Häuser der Gasse abgetrennt.
Gleich dahinter begann eine weite, ebene Fläche. Dürre Grasbüschel, deren Wurzel locker im Sandboden saßen, der zwischen den einzelnen Büscheln durch leuchtete. Vereinzelte, dürre Bäume und eine Sonne, die erbarmungslos nieder brannte.
Kurz stolperte Erik über einen am Boden liegenden Ast und zerbiss gerade eben noch einen unflätigen Fluch zwischen den Zähnen. Die Blaumaulbiberin Anny sah kurz zu ihm und kicherte.
»Das ist nicht sehr anständig, Nurerik!« meinte sie und versteckte ihr Kichern hinter einer Schulterhand. Unwillkürlich grinste Erik. Nur RMF 17 schüttelte den Kopf und ein seltsam singendes Geräusch kam von ihm her. Erst verspätet erkannte Erik es als Seufzen.
»Müssen wir noch weit gehen?« fragte Erik und kratzte sich am Kopf.
»Einen Tag und die Hälfte der Nacht. Dann stehen wir an der Dimensionsmauer!« antwortete RMF 17.
»Was war das? Dimensionsmauer? Was zum Kuckuck ist das denn?«
»Der Zoo befindet sich in einer anderen Dimension! Was hatten Sie denn gedacht?«
Erik war etwas bleich geworden. Ihm blieb aber auch nichts erspart.
Die nächste Zeit sprach niemand der drei einsamen Wanderer ein weiteres Wort. Einmal rasteten sie in dem noch immer wie verdorrte Steppe wirkenden Umland. Doch sie beeilten sich mit dem Essen und auch mit dem Trinken.
Schon wenig später waren sie wieder auf dem Weg.
»Ich hoffe doch, dass Sie wissen, wo dieser Zoo genau liegt, oder?« meinte Erik nach Stunden, als es begann dunkel zu werden.
»Sie brauchen keine Sorge haben, ich führe Sie mit meinem eingebauten Kompass. Da ich schon einmal dort war, zwar noch nicht hinter der Mauer, aber doch davor, kenne ich den Weg!«
»Ja, also ich hatte keine Sorge. Ich wollte nur sicher gehen!« sagte Erik und war froh, dass keiner seiner seltsamen Begleiter die Gedanken lesen konnte. Er war gewiss besorgt.
Er hatte noch immer RMF 17 und dessen Erwähnung im Ohr, dass nur er, Erik alleine, in den Zoo könnte. Was, wenn nicht der Bruder von Anny alleine dort zu sehen war? Was, wenn es mindestens zwanzig oder mehr dieser Blaumaulbiber gab. Wie sollte er den richtigen Kandidaten heraus finden? Gut, er könnte fragen, ob einer davon dieser Sunny ... irgendwie war. Doch was, wenn alle so heißen wollten?
Erik gab sich einen gedanklichen Stoß und richtete sein Augenmerk wieder auf seine Umgebung. Im verschwindenden Tageslicht erkannte er, dass sie jetzt über saftigeres Grasland marschierten. Die vereinzelt stehenden Bäume trugen wieder Blätter und sahen nicht mehr so verdorrt aus.
»Wir werden heute in dem kleinen Wäldchen übernachten!« RMF 17 zeigte nach vorne,irgendwo in die herein brechende Dämmerung. Erik enthielt sich einer Frage, denn er hatte schon bemerkt, dass sein Robotfremdenführer scheinbar Nachtsensoren hatte.
Obwohl es sich nahe angehört hatte, als RMF 17 auf das Wäldchen aufmerksam gemacht hatte, dauerte es doch noch so lange, bis sie es erreichten, dass der aufgehende Mond bereits beinahe zur Mitte aufgestiegen war. Hinter ihm war die Hälfte eines zweiten zu erkennen.
RMF 17 machte ein kleines wärmendes Feuer, als sie ihren Lagerplatz endlich erreicht und eingenommen hatten. Die Nacht war empfindlich kühl geworden.
»Sie können sich ruhig schlafen legen. Ich werde wachen!« bot sich RMF 17 an und Erik hatte nichts dagegen.
Er hatte bereits befürchtet, dass er auch einen Teil der Wache übernehmen müsste, doch RMF 17 war besser dafür geeignet.
Erik lehnte sich an den Stamm des hinter ihm stehenden Baums, dessen unterste Äste wie ein Dach über ihm hingen. Er zuckte leicht zusammen, als er eine schwache Berührung an seiner rechten Seite fühlte.
»Verzeihung, Nurerik. Erlaubt Ihr mir, mich an Euch zu lehnen?« ertönte Annys leise Stimme aus der Dunkelheit. Diese war umso dichter, als der Schein des Minifeuers nicht weiter reichte, als bis zu Eriks ausgestreckten Beinen.
Er nickte, dann fiel ihm ein, dass Anny dies nicht sehen konnte und wiederholte sein Einverständnis laut. Als sich die Blaumaulbiberfrau an ihn kuschelte, legte er den Arm um ihre Schultern und kam sich reichlich seltsam vor. Wenn ihn jetzt einer seiner Freunde sehen könnte, wäre Erik in dessen Augen sicher eine Lachnummer. Gelehnt an einen Stamm eines Baums, der auf einer fremden Welt wächst, in seinem Arm ein Lebewesen, das einem Tier ähnlicher sieht als einem Menschen. Das jedoch in seiner Art und seinem Denken diesen sehr gleicht.
Einen Roboter, der die Führung zu einem Galaktischen Zoo hinter einer Dimensionsmauer über hat und wo er einen darin gefangenen Insassen befreien soll.
Leise Schnarchgeräusche kündeten Erik an, dass Anny eingeschlafen war. Es wurde Zeit, dass auch er selbst eine Handvoll Schlaf nahm. Der nächste Tag war sicher wieder anstrengend genug.
Es dauerte dann zwar noch etwas, doch schließlich überwand auch Erik die Schwelle vom Wachen zum Schlaf.
Der nächste Tag brachte nichts anderes, als der Vergangene. Gehen, gehen und nochmals gehen. Erik dachte bei sich, er war noch nie so lange und so viel gegangen, wie die letzten Tage. RMF 17 hatte sich nicht nur die Führung seiner Begleiter aufgehalst, sondern auch Beeren und Wurzeln für Anny und einen schmackhaften Fisch, in einem Fluss, den sie entlang gingen, gefangen und gebraten. Erik hatte schon oft Fisch gegessen, doch noch nie hatte ihm einer so gut geschmeckt wie dieser.
Einige Stunden nach dieser Mahlzeit hatte es begonnen zu regnen. Erik hatte den Mund geöffnet und versucht zu trinken. Erst hatte ihm der Robotführer ziemlich erstaunt angesehen, dann aber mit seinen Händen einen Auffangbehälter gebildet und Erik konnte besser trinken. Auch Anny trank sich satt, trotzdem sie dabei immer weiter gingen.
Der Regen endete und die Sonne kam wieder hervor. Kein Baum, der Schatten spendete, kein Wind, der Abkühlung versprach. Der Tag verging in ziemlichen Schweigen und immer öfters verzog Anny schmerzhaft das Gesicht. Doch keine Klage kam über ihre Lippen. Eriks Beinmuskulatur begann zu schmerzen und er wünschte sich das Ende dieser Exkursion herbei, obwohl er Angst davor hatte.
Der Abend fand die drei einsamen Gestalten wieder über ein Savannenartiges Gelände gehen. Als der zweite Mond aufgegangen war, blieb RMF 17 stehen und drehte sich einmal um sich selbst.
Erik, der die letzten zwei Stunden nicht einmal mehr an etwas gedacht hatte, passte nicht so richtig auf und taumelte gegen ihn. Er blieb schwer atmend stehen und rieb sich die Schulter, mit der er gegen den harten Robotkörper gestoßen war. Erst jetzt fiel ihm RMF 17 seltsames Gehaben auf. Sofort fiel die Müdigkeit und diese Benommenheit von Erik ab und er wurde aufmerksam.
»Was ist?« fragte er und versuchte selbst die durch das Licht der beiden Monde hell erleuchtete Umgebung zu beobachten.
»Sie ist weg!«
»Wer ist weg?«
»Sie!«
»Verdammt, wer ist sie?« rief Erik. Doch dann weiteten sich seine Augen und er meinte atemlos, während sein Herzschlag sich beschleunigte:
»Das ist jetzt nicht Ihr Ernst! Sie meinen, diese Dimensionsmauer ist weg? Wie kann das denn sein?«
»Wie kommt das?« fragte nun auch Anny und drängte sich an Erik. Unwillkürlich legte der einen Arm um die Blaumaulbiberschulter und spürte neben Erleichterung und der Müdigkeit auch Ärger in sich aufsteigen.
»Was heißt hier, sie ist weg? Haben Sie diese dumme Mauer etwa verloren? Denn in Luft kann sie sich nicht aufgelöst haben. Ich habe mir doch nicht umsonst die Sohlen wund gelaufen, nur um jetzt zu erfahren, es war alles umsonst!«
RMF 17 schwieg noch immer und drehte sich weiter im Kreis. Schließlich hielt er an und deutete schräg nach rechts vorne.
»Dort spüre ich schwache Transissionsspuren. Dorthin müssen wir uns wenden!«
»Was für Spuren?« konnte sich Erik nicht verkneifen zu fragen. Doch Antwort gab es nicht.
Der Robotführer setzte sich wieder in Bewegung und wollte Erik nicht alleine zurück bleiben, mussten er und die Blaumaulbiberin folgen.
»He, ich habe etwas gefragt!« rief Erik, ließ Anny los und beschleunigte seine Schritte.
Er hatte RMF 17 beinahe eingeholt, als dieser sich umwandte und Erik einen starken Stoß gegen die Schulter versetzte, sodass dieser zu Boden stürzte.
»Was soll ...?« begann Erik, doch gleich darauf fiel auch Anny neben ihm zu Boden und ein schwaches Flimmern erschien in der Luft über ihnen.
Anny begann zu wimmern und sich zu winden. Auch Erik spürte einen stärker werdenden Druck in den Ohren und in seinem Kopf begann es zu summen. Ehe er sich wieder erheben konnte, spürte er etwas warmes über seinen Mund laufen. Er wischte sich darüber und hielt die Finger vor die Augen. Eine im Mondlicht dunkel erscheinende Flüssigkeit hatte seine Fingerkuppen verschmiert. Blut! Er hatte scheinbar Nasenbluten. Seit seiner Kindheit hatte er kein Nasenbluten gehabt. Und da war auch nur die Faust von seinem Erzfeind Danny daran schuld gewesen.
Woran jetzt die Schuld lag, konnte sich Erik nicht so recht vorstellen. Vielleicht ja dieses noch immer vorhandene Flimmern.
Anny wimmerte noch immer, doch es dauerte nicht lange, da lag sie still neben Erik. Der Druck hatte aufgehört und das Nasenbluten ebenfalls. Noch immer stand der Robotführer still und stramm vor Erik und hatte sein Gesicht dem Weg zugewandt, den sie gekommen waren.
Leises Summen kam aus RMF 17 Körper. Eriks Kopf begann zu schmerzen, doch er schob es auf das Flimmern, das mit einem etwas hellerem Funken erlosch. Schlagartig hörte auch Eriks Kopf auf zu schmerzen.
Langsam erhob er sich, warf einen Blick auf die reglose Anny und einen weiteren auf RMF 17. Erik schluckte, strich sich mit seinen Blut verschmierten Fingern über die Stirn, leckte sich das restliche Blut von der Oberlippe und verzog das Gesicht, als er den salzigen Blutgeschmack im Mund spürte.
»Das heißt dann ja wohl, ab jetzt muss ich alleine weiter, oder?« sagte Erik und noch einmal sah er RMF 17 an und warf auch einen raschen Blick auf die noch immer reglose Blaumaulbiberin. Dann atmete er einmal tief durch und wandte sich der Richtung zu, in die der Robotführer vorhin gedeutet hatte.
Langsam setzte Erik Fuß vor Fuß. Ohne noch einen weiteren Blick zurück zu werfen, ging er in die angegebene Richtung.
Nach etwa zwanzig Schritten - es konnten auch einige mehr gewesen sein - kam Erik an eine Stelle der Savanne, die seltsam gebogen war und die knapp vor ihm einen hellen Strich am Boden aufwies. Erik streckte die Hand aus um zu sehen, ob dieser Strich nur am Boden war, oder ob dies etwa die Dimensionsmauer anzeigte. Er berührte etwas hartes, so kaltes, dass es in seinen Fingerspitzen zu kribbeln begann.
Doch gleich darauf wurde die Härte weich und seltsam durchlässig. Mit einem Stolperschritt nach vorne fiel Erik beinahe durch die Barriere. Kurz stellten sich seine Haare auf, als es wie ein Stromstoß über seinen Körper kroch, dann trat er in hellen Sonnenschein.
Vor ihm lag ein hügeliges Tal, umgeben von hohen Bergen, deren Spitzen Schnee aufwiesen und die ihn an einen Ort in den Alpen erinnerten, den er sich einmal als Urlaubsziel erwählt hatte. Ein seltsam warmer Wind umschmeichelte seine Nase und es roch nach Heu und Blumen.
Etwas weiter links von ihm rauschte ein Wasserfall von einem höheren Hügel in das Tal und bildete einen See. In diesem See schwamm ein dunkler Gegenstand.
Erst bei genauerem Hinsehen erkannte Erik, dass es sich um ein menschenähnliches Wesen handelte, das dort drinnen schwamm.
Hatte es ihn beim durchqueren der Barriere gefroren, so perlte ihm nun der Schweiß auf der Stirn. Erik wusste nicht genau, lag es an dem inzwischen unangenehm wirkenden warmen Wind, der Sonneneintrahlung oder aber an dem Schwimmer dort drüben. Dieser hatte scheinbar genug von seinen Bewegungen und entstieg dem See. Erik kniff die Augen zusammen.
Flammend rote Haare lagen klatschnass auf blanker, bleicher Haut.
Langsam setzte er sich in Bewegung und je näher er kam, umso genauer bemerkte Erik, dass es unzweifelsfrei ein Mensch war.
Eine Frau, ein Mädchen um genauer zu sein. Sie trocknete sich eben mit einem Tuch die Beine ab und wandte Erik noch immer ihre Kehrseite. Er musste sich eingestehen, es war eine sehr hübsche und Fantasie anregende Kehrseite.
Kurz räusperte sich Erik und das Mädchen fuhr erschrocken herum. Ihre Hände sanken mit dem Tuch nieder und ihre seltsam schräg stehenden Augen wurden groß und rund. Ihre Überraschung war so groß und eindeutig, dass sie Erik mehr Eindrücke und Anblicke ihres Körpers zeigte, die ihn andächtig starren ließen.
Ihr Gesicht hatte einen leichten Bronceton, wirkte andeutungsweise asiatisch und ihre sich jetzt verengenden Augen hatten einen violetten Ton. Eine schmale Nase und rote, sinnliche Lippen über einem energisch wirkenden Kinn vervollständigten ihr Gesicht. Der Hals darunter war wirklich schwanengleich und eine zarte Goldkette in Form einer Blumengirlande rankte sich darum.
Eriks Blick glitt tiefer und ohne es zu merken, glitt seine Zungenspitze über seine Oberlippe. Ihr Busen wirkte jung und fest und ihr Bauch war flach. Er wies eine Tätowierung auf. Doch Erik konnte nicht erkennen, was dieses Tatoo darstellte. Es konnte sowohl ein Affenkopf, als auch ein Totenkopf sein.
Eriks Blick glitt noch ein Stück tiefer und zuckte etwas zur Seite, als er sah, dass sie zwei lange, gerade Beine mit je sechs Zehen daran hatte.
»Bist du fertig?«
»Hm? Was?«
Nur mühsam konnte Erik seine Betrachtung unterbrechen und dem Mädchen ins Gesicht sehen. Sie schlang inzwischen das Tuch um ihre Nacktheit und sah Erik mit einem wütenden Blick an.
»Ich habe dich gefragt, ob du fertig bist? Hat dir deine Nanna nicht beigebracht, dass es eine grobe Unhöflichkeit ist, jemanden beim Baden zuzusehen?«
Ihre Stimme war tief und rauchig und Erik musste schlucken. Langsam drang das, was sie eben gesagt hatte, in sein Bewusstsein. Übergangslos wurde er knallrot und räusperte sich.
»Äh ja ... ich ... äh ...!« stammelte er und seine Röte vertiefte sich, als er den spöttisch werdenden Blick und die sich kräuselnden Lippen bemerkte.
»Na, schön. Ich hätte dich auch nicht so anfahren dürfen. Bist du neu hier? Dich habe ich noch nie gesehen.«
»Hm? Neu? Ja, ja. Bin neu hier. Eben erst angekommen!«
»Ach? Sieh mal an. Du kannst ja auch zusammen hängend sprechen! Ich bin Nova!« sagte sie mit einem kleinen Lachen in ihrer Stimme und streckte die Hand aus. Erik sah erst sie an, dann die Hand und ergriff sie vorsichtig. Unwillkürlich machte er eine Verbeugung und sagte, nachdem er sich abermals geräuspert hatte:
»Angenehm. Erik ist mein Name! Nova? Darum ist mir so heiß!«
»Witzig! Wirklich!« sagte das Mädchen und wandte sich um. Erst jetzt bemerkte Erik das Kleid und die Jacke am Boden hinter ihr. Sie ließ das Tuch vom Körper gleiten, hob das Kleid auf, schüttelte es kurz und zog es sich über. Dann zog sie die Jacke an, nahm das Tuch in die Hand und sah Erik wieder an.
»Wo hast du deine Unterkunft?«
Erik deutete etwas nach rechts und hoffte, dass dort auch wirklich Häuser waren, von denen er gekommen sein könnte.
»Ach, du bist ein Bewohner der Neubauten?«
»Ja.Und du?«
Nova sah kurz zu Boden, dann Erik an und deutete mit dem Kinn seitlich an ihm vorbei.
»Ich bin in Zone Alpha zuhause. Magst du Tee?«
»Ja, schon. Warum fragst du?« erwiderte Erik und kam sich so richtig idiotisch vor.
Doch Nova lies sich nichts anmerken, dass sie sein Verhalten vielleicht seltsam fand und erwiderte nur:
»Jetzt, da wir wenigstens unsere Namen kennen, wäre es doch angenehm, wenn wir auch auf gute Nachbarschaft Tee trinken würden. Was sagst du zu Erdbeertee?«
»Hm. Ich kenne zwar nur Erdbeertorte, aber Erdbeertee kann auch nicht so ungenießbar sein.«
»Gut. Kommst du gleich mit mir mit?« fragte Nova und Erik war nur zu gerne dazu bereit. Seine Augen wurden groß, als sie zu einem Fahrzeug ging, das etwas seitlich hinter einem Gebüsch in der Seenähe stand. Sie öffnete mit einem Dekoder die Türe und stieg ein. Erik lief um das Fahrzeug, das wie ein normales Automobil nur ohne Räder, aussah und stieg als Beifahrer ein.
Kaum hatte er Platz genommen in einem Schalensitz und nach dem Gurt gesehen, als auch schon aus dem Schalensitz ein solcher hervorglitt und Erik auf den Sitz presste. Nova hatte inzwischen gestartet und sich eine seltsame Brille aufgesetzt. Es sah ein bisschen nach dem Stirnspiegel eines antiken Arztes aus. Ihre Hände legten sich um ein Knebelrad, das auch in Flugzeugen Verwendung fand.
Als Nova das Fahrzeug in Bewegung setzte - nach oben, statt geradeaus - wurde Erik in den Sitz gepresst. Ergeben schloss er die Augen.
»Das Ding fliegt?« meinte er mit zusammen gepressten Zähnen.
»Ja, was dachtest du denn?«
»Dass es fährt!« erwiderte Erik und hoffte, dass Nova auch wusste, was sie tat.
Der Druck auf seinen Körper ließ etwas nach und Erik wagte einen leichten Atemzug.
»Angst?« kam die Frage mit spöttischer Stimme von dem Mädchen. Erik schüttelte den Kopf. Reden getraute er sich nicht, denn dann wäre womöglich sein unverdauter Mageninhalt hoch gekommen. Es war zwar verschwindend wenig, aber für ein unangenehmes Erlebnis reichte es gewiss aus.
»Sieh dir wenigstens die Gegend an! Du hast doch sicher auch eine Fluggenehmigung, oder?«
»Nein. ich gehe lieber zu Fuß!« würgte Erik hervor.
»Die ganze Strecke? Dann bist du aber zeitig aufgestanden!«
»Wieso?« fragte Erik und langsam bekam er mehr Zutrauen zu Novas Flugkünste.
Langsam entspannte er sich wieder und öffnete sogar die Augen etwas. Was er durch das Seitenfenster sah, ließ ihn seine restliche Angst vergessen.
Sie flogen eben durch einen langgestreckten Canon, gebildet durch nadelspitze, hoch aufragende Felsen. Diese waren übersät von bunten Blumen. Beim Vorbeiflug, zogen sich diese seltsamerweise rasch in den Felsen zurück und hinterließen nichts anderes als eine Menge dunkler Löcher.
»Was sind das denn für welche?«
»Das sind Blumankas. Sie sind sehr schüchtern. Ich weiß, ich sollte sie nicht so ängstigen, aber manchmal macht es mir einfach Spaß!« erwiderte Nova und lachte leise.
Erik warf einen schnellen Blick zu dem Mädchen und da sie ebenfalls zu ihm sah, trafen ihre Blicke zusammen. Wieder einmal spürte Erik, dass ihm heiß wurde. Rasch wandte er den Blick ab und erschrocken rief er:
»Pass auf!« seine Hand streckte sich nach vorne und er deutete erschrocken auf das ihnen entgegen kommende Fahrzeug.
Mit einem Schlenker, der Erik wieder in seinen Sitz presste, wich Nova aus. Diesmal konnte auch sie ein kleines Erschrecken nicht verbergen. Gleich darauf ertönte eine auf- und abschwellende Sirene.
»Mist! Jetzt habe ich meine Lizenz für zwei Mondläufe verloren!« zischte Nova und senkte sich dem Boden entgegen. Doch ehe sie ihn erreicht hatte, zischte knapp über dem Fahrzeug ein anderes, grellrot lackiertes Fluggefährt vorbei und die Sirene gellte Erik sekundenlang in den Ohren.
Schnell bedeckte er sie mit den Händen und biss die Zähne zusammen. Die Sirene wurde leiser und verstummte schließlich ganz, wobei das Fluggefährt schon lange verschwunden war.
»Ich glaube, du bringst mir Glück! Die Flugwächter haben jemand anderes im Radar gehabt!« sagte Nova und lachte leise. Erik verdehte die Augen. Dann meinte er:
»Fliegen wir weiter?«
»Ja, ich denke auch, dass es Zeit wird, von hier zu verschwinden. Und diesmal etwas langsamer!«
»Ich bitte darum!« konnte sich Erik nicht verkneifen. Was einen erneuten Heiterkeitsausbruch Novas zur Folge hatte.
Es dauerte nur wenige Minuten, da waren sie aus dem Canon heraussen und überflogen eine riesige Wiese mit einem bunten Blumenmeer. Am Ende der Wiese standen etwa zehn Gebäude. Weiß, mit Säulen vor dem Eingang und einem Innenhof, der von allen Seiten ebenfalls von Gebäuden umgeben war.
Eines der Häuser stand etwas abseits und darauf lenkte Nova ihr Gefährt zu.
»Du kannst dich wieder entspannen, ich bin hier zu Hause!«
Nova lenkte ihr Fluggerät zu einem der Gebäude hinter dem Haupthaus und landete. Der Gurt löste sich von Erik und auch von Nova und beide fuhren zurück an ihren Platz.
Erik atmete erleichtert auf, als das leise Gurgeln des Motors verstummte und ein lautes Konzert der Insekten, die wahrscheinlich in der Wiese waren, bei der sich öffnenden Tür herein schrillte.
»Willkommen in meiner bescheidenen Hütte!« sagte Nova und kicherte. Sie stand auf, stieg aus und Erik beeilte sich, ihr zu folgen.
Kaum hatte er den Fuß aus dem Wagen, als dieser auch schon im Boden versank.
»Wo ...?«
»Tiefgarage!«
»Ah ja! Da erhält das Wort ja gleich die richtige Bedeutung!« meinte Erik und konnte sich eines Grinsens nicht erwehren.
»Bist du immer so lustig?« fragte Nova und grinste ebenso. Sie ging weiter, bis sie an die Haustüre kam, klatschte in die Hände und Erik sah, dass sich daraufhin die Türe öffnete.
»Komm mit!« meinte Nova, machte eine einladende Handbewegung und betrat das Haus.
Erik, der ihr dicht auf folgte blieb stehen, wie gegen eine Wand gelaufen, als eine sympathische Männerstimme sagte:
»Willkommen zu Hause, Nova! Ich hoffe, Sie hatten ein angenehmes Erfrischungsbad?«
»Ja, danke. Ich habe einen Gast mit gebracht. Er ist neu hier und wohnt in den Neubauten. Kannst du uns Tee und auch Kuchen machen?«
»Es ist bereits aufgetischt.«
»Dein Papi?« fragte Erik und kam sich reichlich komisch vor.
»Das Haus!«
»Das Haus? Es spricht mit dir?«
»Ja sicher. Deines nicht?«
»Äh nein! Oder ... doch. Ja doch, es spricht mit mir. Ich wollte nur etwas Konversation machen!« Bekräftigend nickte Erik. Nova zog die Stirne kraus, sah ihn einige Sekunden nachdenklich an und zuckte schließlich mit den Schultern.
»Na schön. Komische Art der Unterhaltung, aber was soll's? Setz dich!«
Nova deutete auf eine bequem wirkende Bank und Erik ging hin, setzte sich und zuckte erschrocken zusammen, als ein kleiner Tisch aus dem sich aufklappenden Boden fuhr, belegt mit zwei Teller voll Kuchen und zwei großen Tassen aus seltsam blauschillernden Glas, gefüllt mit einer braunen, aromatisch nach Erdbeeren duftenden Flüssigkeit.
Eine kleine Schale mit viereckigen Würfeln von brauner Farbe stand daneben. Je ein kleiner Löffel lag neben den Tassen.
»Was ist das?« fragte Erik und deutete auf die braunen Würfel.
»Zucker!«
»Zucker? Ist der denn nicht weiß?«
»Rohrzucker, Dummerchen. Jeder weiß, dass Weiß nur Salz ist. Greif zu!«
Nova setzte sich neben Erik auf die Bank, zog ihre Füße ebenfalls darauf und lehnte sich etwas mit ihrer Schulter an Erik.
Sie griff nach den Würfeln, warf vier Stück davon in eine der Tassen, rührte mit dem Löffel um und deutete mit dem Kinn auf die andere Tasse.
»Du solltest ihn trinken, solange er warm ist!«
Erik nickte, gab sich zwei der Zuckerstücke hinein, rührte ebenso mit dem Löffel darin um und griff nach der Tasse.
»Ihr Gast ist nicht registriert!« ertönte die Stimme des Hauses und Erik, der eben nach der Tasse gegriffen hatte, um einen ersten Schluck zu kosten, hätte sich beinahe vor Schreck den Tee über seine Hose gekippt.
»Ich sagte ja schon, er ist neu hier und erst eingezogen! Und ich habe gehört, einige der Neubauten sind an das Rundsystem noch nicht angeschlossen. Vielleicht hat er ja so eines erwischt. Dann kann er ja nicht registriert sein!«
»Ich werde diesen Dingen nach gehen!«
»Tu das!« erwiderte Nova und trank einen Schluck.
Erik schluckte kurz und versuchte gewaltsam sein wild klopfendes Herz unter Kontrolle zu bringen.
Um seinen Herzschlag wieder etwas zu beruhigen und um etwas über seine nächsten Schritte heraus zu finden, sagte Erik, nachdem er zwei Schluck des wirklich nach Erdbeeren schmeckenden Tees genommen hatte:
»Wohnst du alleine hier? Oder sind auch deine Eltern in diesem Haus?«
»Eltern? Was ist das?«
Erik ließ die schon erhobene Tasse sinken und sah Nova erstaunt an.
Doch ihr fragender Gesichtsausdruck ließ Erik erkennen, dass sie tatsächlich nichts mit dem Begriff »Eltern« anfangen konnte.
»Also, das sind die Leute, die dich gezeugt, geboren und aufgezogen haben! Vater und Mutter!«
Nova sah Erik plötzlich besorgt an. Dann griff sie mit einer raschen Handbewegung nach seiner Stirn und legte die Hand darauf.
Erik war etwas zurück gezuckt. Jetzt verspürte er Ärger in sich hoch steigen.
»Lass das!« sagte er und stieß Novas Hand von seiner Stirn weg.
»Na, wenn du solchen seltsamen Unsinn von dir gibst, muss ich doch annehmen, dass du Fieber hast!«
»Was bitte schön ist daran Unsinn?«
»Aber jeder hier weiß doch, dass es so was wie ‘Eltern’ nicht gibt. Das ist ein Mythos! Das solltest du doch am ehesten wissen. Das haben sich die Ketzer der neunten Dynastie doch nur ausgedacht, um uns alle hier zu verunsichern und uns für ihre Experimente einzuspannen!«
»Wirklich?«
»Aber sicher! Du solltest nicht so leichtgläubig sein! Aber sonst bist du ja recht süß! Nur in meinen Augen etwas naiv!« Nova grinste, hob ihre Tasse an den Mund und sah über deren Rand Erik in die Augen.
Dieser wollte nicht wieder als »naiv« bezeichnet werden, darum fragte er gleich gar nicht nach der Bedeutung dieser »Ketzer der neunten Dynastie« oder gar was Nova unter den »Experimenten« verstand.
Langsam wurde es ausserdem Zeit, dass er sich endlich auf die Suche nach diesem Blaumaulbiberjungen machte.
Erik zuckte zusammen, als ein melodischer Gong ertönte. Nova hingegen runzelte ihre Stirn, ließ die Tasse sinken und stand auf.
»Bleib schön da sitzen, ich komme gleich wieder!« sagte sie in einem etwas schärferen Ton und Erik nickte gehorsam.
Er sah ihr nach, wie sie zur Tür ging und diese öffnete.
»Hallo! Komm doch herein. Ich habe zwar schon Besuch, aber ich freue mich immer wieder, wenn ich noch mehr Besuch bekomme!« sagte Nova, öffnete etwas weiter die Tür und trat beiseite. Gleich darauf schloss sie die Türe wieder und machte eine einladende Handbewegung zu Erik.
»Dort ist noch Platz. Willst du auch Tee und Kuchen?«
Erik strengte sich an, um zu erkennen, mit wem Nova eigentlich sprach, doch ausser ihr selbst bemerkte er niemanden.
»So, darf ich dir meinen Freund und Nachbarn vortsellen? Das ist Erik, ein neuer Bewohner der Neubauten und dies ist ...!«
Ein schwaches Flimmern entstand neben Nova und daraus schälten sich die Umrisse eines Blaumaulbibers.
Erik öffnete den Mund und beinahe gleichzeitig mit Nova sagte er:
«...Sunny!«
Der Blaumaulbiber runzelte die Stirn und setzte sich etwas weiter entfernt von Erik auf die Bank.
»Kennen wir uns?« fragte er und Erik nickte, dann jedoch schüttelte er den Kopf.
»Nicht persönlich. Ich kenne aber Anny!«
»Aha! Sagt mir nichts, dieser Name. Sollte ich diese Dame auch kennen?«
»Ich denke schon. Sie wartet auf dich. Draußen!«
»Mein Herr! Ich denke doch, dass wir wenigstens die geringsten Regeln eines Anstandes beibehalten sollten! Keiner von uns beiden hat je zusammen ein Hügelspiel errichtet. Also wahren Sie bitte Contenance!«
Beinahe wäre Erik ein Lachen heraus gerutscht, als er diesen antiquierten Sprachausdruck vernahm. Seine Großmutter hatte dieses Wort auch manchmal benutzt.
»Was ist ein Hügelspiel?« fragte Erik und der Blaumaulbiber nickte.
»Eben! Keiner von uns beiden!« Er wandte sich an Nova: »Ich nehme sehr gerne Kuchen und von deinem Tee!«
Eine kleine Klappe im Tisch öffnete sich und ein Tablett mit Kuchenteller und Teetasse schob sich heraus.
Gleich darauf schloss sich die Klappe und der Blaumaulbiber griff nach der Tasse. Er trank einen Schluck und nickte.
»Ja, dein Tee ist wirklich weit und breit der Beste. Du musst mir das Rezept verraten!«
Erik verdrehte die Augen. Das konnte ja heiter werden, wenn das Gespräch weiter so verlief.
Ob er den beiden sagen sollte, dass sie in einer Art Zwischendimension leben? Doch ob Nova dies akzeptieren würde? Oder würde sie ihn vielmehr verraten und an irgend welche Überwachungsorgane ausliefern.
Erik dachte nach, während er schweigend den Kuchen aß und den Tee trank.
Er mischte sich mit keinem Wort in die Unterhaltung der beiden ein, ja er bekam sie nicht einmal richtig mit.
Immer wieder spielte er verschiedene Situationen im Gedanken durch, wie er diesen sturen Biber wohl aus dem Zoo bringen könnte. Ob er wusste, wo er war? Oder hielt er dies hier alles für sein reales Leben? Und was war mit Nova? Hatte man ihr das Wissen um ihre Eltern genommen? Oder hatte sie tatsächlich keine?
Erik kam nicht weiter. Seine Gedanken drehten sich im Kreis und die Zeit verrann.
Schließlich - nach dem letzten Bissen Kuchen und dem letzten Schluck Tee - hatte Erik einen Entschluss gefasst. Er wandte sich an Nova und den Blaumaulbiber, von dem er annahm, dass es sich tatsächlich um diesen Sunny handelte.
»Hören Sie, es tut mir leid, dass ich so unhöflich war am Anfang. Aber ich werde mich bessern, das verspreche ich. Und dir danke ich für die Einladung. Ich werde jetzt aufbrechen, es ist schon spät!« Damit erhob sich Erik und Nova folgte seinem Beispiel.
»Aber du kannst heute Nacht hier schlafen. Bis du deine Behausung erreicht hast, ist es ohnehin Nacht. Sunny bleibt auch als mein Schlafgast und das Haus hat nichts dagegen!«
Erik wollte schon ablehnen, doch dann nickte er.
»Ich danke dir!«
»Ich bringe dich in den Gästeflügel!« Nova streckte die Hand aus und Erik ergriff sie unwillkürlich.
Zu Sunny machte er eine Verbeugung und dieser erwiderte sie mit einem huldvollem Gesichtsausdruck. Erik musste sehr an sich halten, dass er sich nicht von Novas Hand löste, um diesem arroganten Bibermann eine Antwort nach seinem Geschmack zu geben.
Doch Nova schien zu ahnen, was in diesem Moment in Erik vorging und ihr Griff wurde fester. Sie zog ihn mit sich aus dem Raum und gleich danach eine Treppe nach unten.
»Das war nicht nötig! Sunny ist ein ganz Lieber!« sagte sie und blieb vor einer Glastür stehen. Sie drückte einen Knopf und die Tür glitt auf.
Erik sah eine winzige Liftkabine vor sich. Als er sie nicht gleich betrat, ließ Nova seine Hand los und schob ihn etwas nachdrücklich hinein. Die Türe schloss sich und Erik erwartete nun, dass sich die Kabine entweder nach oben oder unten in Bewegung setzte.
Er war überrascht, als sie sich jedoch seitlich zu bewegen begann.
Zwanzig Herzschläge später hielt sie an und die Türe öffnete sich wieder. Nova gab ihm einen Stoß in den Rücken, der Erik nach draußen taumeln ließ und sagte:
»Du kannst dir eines der drei Zimmer aussuchen. Und stell nichts Unvernünftiges an! Wenn du einen Wunsch hast, nur sagen! Das Haus weiß jetzt, dass du Gast bist!« Und damit schloss sich die Türe und Erik stand etwas verloren in einem mit Teppich belegten, schmalen Korridor, von dem einige Türen in die wahrscheinlichen Gästezimmer führten.
Er streckte die Hand nach der Lifttüre aus, um zu probieren, ob sie sich auch für ihn öffnen würde, doch sie rührte sich nicht.
»Gefangen in der Unterwelt!« sagte Erik und zuckte die Achseln. Er konnte nur hoffen, dass Anny und RMF 17 nicht die Geduld verloren. Erik ging auf eine der Türen zu und betrat den dahinter liegenden Raum, als sich eine öffnete.
Tag der Veröffentlichung: 29.09.2011
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