Cover

Leseprobe

 

The Things I Never Did

Never – Band 5

J. Moldenhauer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Playlist

 

 

 

1995 – LOTTE

Like I Love You – Lost Frequencies

I Am Here – P!NK

Never Mine – Sigrid

Patience – Shawn Mendes

2002 – Anne-Marie

Wanted – One Republic

Americana & the Heartbreak Prince – Taylor Swift

Schau mich nicht so an – LOTTE

When You’re Ready – Shawn Mendes

Paper Rings – Taylor Swift

1

 

Dean

 

 

 

Angenommen.

Das Wort schießt immer wieder durch meinen Kopf, während ich den Brief umklammere und Dads Fragen ignoriere. Mom wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht herum und versucht zu verstehen, was mit mir los ist. Erneut lese ich die Zeilen und bemühe mich die Aufregung zu kontrollieren, die durch meine Adern prescht.

Wenn ich die Nachricht bekommen habe, dann ...

Ich denke nicht zu Ende, stürze an Mom vorbei aus dem Haus. Mit einem großen Satz hüpfe ich über die Treppen der Veranda und lande auf dem Rasen. Das Herz schlägt wie eine laute Trommel in meiner Brust, als ich über den Zaun zu den Fields springe und mich auf einen Sprint einstelle. Doch kaum dass ich in deren Garten gelandet bin, vernehme ich das Knallen einer Tür. Mein Kopf wirbelt hoch, und ich erblicke Am, die mit einem Zettel zwischen den Fingern und hektischem Ausdruck erstarrt.

Angenommen?, will ich wissen, ohne mich zu bewegen.

Kurz glaube ich, dass sie gleich losweint, doch noch bevor sich die böse Vorahnung bewahrheiten kann, breitet sich ein strahlendes Lächeln auf ihren Lippen aus.

San Diego, Baby, feuert sie mir entgegen, und ein Stein fällt mir vom Herzen.

Wir stürmen aufeinander zu, und Am springt mir von der letzten Stufe aus in die Arme. Ich klammere mich an meine beste Freundin und wirble sie lachend im Kreis. Ihre langen Haare kitzeln an meiner Wange, und ich drücke ihren warmen Körper etwas enger an mich.

»Das ist doch verrückt!«, sagt sie an meinem Ohr, und mein Herz stolpert bei diesem Laut seltsam.

»Das ist Schicksal!«, erwidere ich grinsend.

 

»Es ist halb acht!«, brummt Am in ihr Kissen und zieht die Decke höher.

»Steh jetzt auf!« Ich drücke ihr meinen Finger in die Seite, was ihr ein weiteres tiefes Knurren entlockt, das mich fast Reißaus nehmen lässt.

»Ich hab nur knappe vier Stunden geschlafen!«, dringt ihr gedämpfter Protest zu mir durch, als ich die Gardinen beiseiteschiebe und das grelle Morgenlicht in den Raum lasse.

»Du bist ein ziemlicher Jammer...« Bevor ich den Satz beende, trifft mich ein schweres Kissen am Hinterkopf, und ich wirble überrascht herum. Am reibt sich die Augen und gähnt herzhaft, während ihre Haare ein wildes Durcheinander sind. Das Top, das sie trägt, liegt eng an ihrer Haut, und mit einer Hand hält sie sich an der Bettdecke fest, als hätte sie die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben.

»War das ein Angriff?«, will ich wissen und hebe ihr Wurfgeschoss auf, als sie blinzelt und mich mit grimmiger Miene betrachtet.

»Das war eine Umschreibung für: ›Verschwinde und lass mich schlafen.‹«

»Schwacher Versuch.« Ich schnalze mit der Zunge und schüttle gespielt enttäuscht den Kopf.

»Wie wär’s mit: ›Raus, oder ich mache dich einen Kopf kürzer‹?«, schlägt sie trotzig vor und streckt sich, wobei ihr Top herunterrutscht, sodass es den Ansatz des BHs freigibt.

Weinrot.

Wer hätte das gedacht?

»Gegenvorschlag: Wenn du dich in den nächsten fünf Minuten aus dem Bett bewegst, gibt's Torte zum Frühstück.« Ich schiebe meine Gedanken eilig beiseite. Am nimmt die Arme herunter, und ihre Augen werden schmal.

»Das ist ein wirklich durchtriebener Schachzug«, erwidert sie langsam.

»Und äußerst effektiv bei dir.« Meine Lippen verziehen sich zu einem Grinsen, als ihre Schultern nach unten sacken und ihr ein Seufzer entweicht.

»Schon gut, ich mach mich fertig.«

»Das Angebot gilt nur ...«

»Fünf Minuten, ja ja. Ich weiß.« Sie winkt ab und schlägt die Decke zur Seite. Mit einem gequälten Stöhnen schiebt sie sich zum Bettrand. Dabei rutscht die knappe Shorts, die kaum ihre Oberschenkel bedeckt, noch höher. »Warum bist du wach? Du hast doch genauso wenig geschlafen.« Am beachtet mich nicht weiter, als sie nach ihrem Handy greift und damit zur Kommode schlurft.

»Ich will laufen gehen«, sage ich achselzuckend und lasse mich auf ihre Matratze fallen, die unter meinem Gewicht etwas einsinkt. Ich lehne mich nach hinten, beobachte, wie sie die Schublade schließt und zusammengeknüllte Kleidungsstücke ablegt.

»Du spinnst.« Sie packt den Saum ihres Shirts und hebt ihn ein wenig an. Mein Blick huscht zu dem Stück Haut, das sie dabei freilegt, und meine Kehle wird trocken.

Was ist los mit dir, Carter?

»Dean?« Am hält in der Bewegung inne, und als ich den Kopf hebe, erkenne ich, dass sie mich abwartend ansieht.

»Ja?«, frage ich langsam.

»Wie wär’s mit umdrehen?«, schlägt sie vor, und ihre Augenbrauen wandern hoch.

»Du hast dich früher dauernd vor mir umgezogen.«

»Da hatte ich noch Benjamin-Blümchen-Unterwäsche an«, gibt sie zurück.

»Wo wir schon bei dem Thema sind«, murmle ich und löse meine Finger aus dem Stoff ihrer Decke, die sich unerwartet darin versenkt haben. »Wann ist das passiert?«

»Was?« Am sieht überrascht an sich herunter.

»Die Unterwäsche. Sowas hattest du früher nie.«

»Wer sagt, dass ich das nicht hatte?«

»Ich hab dir regelmäßig welche geholt, weil du Dummbatz vergessen hast, sie mit ins Bad zu nehmen«, erinnere ich sie schmunzelnd. »Also hör auf das Unschuldslamm zu spielen und verrat mir, wie’s dazu gekommen ist«, fordere ich mit einer ausladenden Handbewegung in ihre Richtung und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.

Bitte, lass es nicht wegen eines Kerls sein.

Der Gedanke schießt durch meinen Kopf, lässt mich erstarren.

Was denke ich da?

»Jase ist schuld.«

»Jase?«, wiederhole ich fragend, als Am mir den Rücken zudreht.

»Kurz nachdem ich ihn kennengelernt habe, waren wir in der Stadt unterwegs, um mich von einer gewissen Person abzulenken, die sich nicht gemeldet hat«, erzählt sie und entledigt sich ihres Tops. Sie wirft mir einen anklagenden Blick über ihre Schulter zu, während ich das Dunkelrot auf ihrer Haut betrachte. Ertappt sehe ich auf, doch da greift sie bereits nach dem frischen T-Shirt und stülpt es sich über. »Ich hatte ein Kleid an, das ziemlich durchsichtig war, und habe mich geweigert damit aus der Umkleide zu kommen. Ehe ich gucken konnte, standen Jase und Piper neben mir und haben völlig schockiert meine Unterwäsche gemustert. Ich schwöre dir – an diesem Tag habe ich gefühlt jedes Dessousgeschäft von San Diego zu Gesicht bekommen.« Sie seufzt und dreht sich zu mir. »Wärst du jetzt so nett, wegzugucken?«

»Du hast dir das Oberteil doch gerade auch ausgezogen«, protestiere ich.

»Dean«, erwidert sie scharf.

»Das ist so, als hättest du einen Bikini an und –«

»Dean.« Sie zieht meinen Namen lang, lässt mich kapitulierend die Hände in die Luft reißen und nach hinten kippen. Mit ausgestreckten Armen lande ich auf der weichen Matratze und schaue an die weiße Zimmerdecke.

»Du bist so prüde wie früher.« Ich seufze. »Irgendwie hatte ich das anders eingeschätzt, nachdem wir dich in der Küche getroffen haben.«

Das Bild von der dunkelgrünen Unterwäsche auf ihrem Körper blitzt vor meinen Augen auf.

»Bitte, erinnere mich nicht daran!« Ich kann die Scham in ihrer Stimme hören, und wenn ich jetzt aufschauen würde, würde ich knallrote Wangen erblicken.

»Wenn du so prüde bist wie damals, wie haben die zwei dich dazu bekommen, dich auszuziehen? Habt ihr Strippoker gespielt?«

»Gott, nein!« Ihr helles Lachen fliegt durch den Raum zu mir, saust durch meine Ohren bis in meine Brust und lässt das Lächeln auf meinen Lippen noch breiter werden. »Wir haben alte Klamotten von mir aussortiert und anprobiert.«

»Darum kam mir dieses Netzhemd von Jase so bekannt vor«, murmle ich.

»Ja, und es war eine Menge Alkohol nötig, bis er das angezogen und ich mich ausgezogen habe«, sagt sie, und ich lausche, wie Stoff über ihre Haut gleitet.

Was ich wohl sehe, wenn ich jetzt hochlinse? Wieder Spitze? Oder wollte sie, dass ich nicht zuschaue, weil es fast durchsichtig ist?

»Dean?«, reißt sie mich aus den Gedanken, und plötzlich taucht ihr Gesicht über mir auf. »Können wir?«

»Fünf Minuten sind um«, sage ich, um mein Hirn wieder in einen Normalzustand zu versetzen, als Ams Grinsen heimtückisch wird.

»Sind sie nicht. Ich habe das Handy gestellt, und das zeigt mir noch fünfzehn Sekunden an.« Triumphierend hält sie ihr Smartphone hoch, auf dem eine Stoppuhr herunterzählt. »Du schuldest mir Torte.«

 

 

Keuchend stemme ich die Hände in die Seiten und beobachte, wie Am entspannt das Fahrrad abschließt. Schweiß rinnt mir den Nacken herunter, und die Sonne brennt auf der Haut. Der Staub der Straße wird durch vorbeifahrende Autos aufgewirbelt und tanzt durch die Luft.

»Du siehst ein wenig fertig aus«, kommentiert Am grinsend und mustert mich vom Kopf bis zu den Fußsohlen, während ich meine Atmung unter Kontrolle bekomme.

»Benimm dich, sonst gibt es gleich eine Umarmung«, drohe ich außer Puste, als sie lachend den Kopf in den Nacken wirft und in das kleine Café schlendert. »Mal sehen, wie lange du das lustig findest.«

»Du solltest nett sein, sonst fahre ich das nächste Mal noch schneller.«

»Ich wäre nicht so außer Atem, wenn du die Klappe gehalten hättest.«

»Keiner hat dich gezwungen zu antworten«, gibt Am schulterzuckend zurück, als wir an den Tresen treten, hinter dem zwei bekannte Personen stehen, die erstarrt sind und zwischen uns hin und her schauen, als wären wir Aliens.

»Du bist mir in die Hacken gefahren, als ich nicht schnell genug geantwortet habe!«, protestiere ich und versuche mich von den kritischen Blicken nicht zu sehr einschüchtern zu lassen.

»Ich sagte doch, dass das ein Versehen war.«

»Ein Versehen, bei dem du über einen Meter ausgeschwenkt bist und ich beinah in einen Busch gefallen wäre«, erwidere ich grinsend.

»Ich kann nichts für deine schlechte Koordinationsfähigkeit.«

»Nächstes Mal schubse ich dich vom Fahrrad«, warne ich kopfschüttelnd, als Am die Arme auf den Tresen legt.

»Wenn du das tust, Carter, schneide ich dir dein Gehänge ab.« Die eisige Stimme von Jase wischt mir das Lächeln von den Lippen und lässt mich überrascht zu dem jungen Mann schauen, der mich mit hartem Gesichtsausdruck anstarrt.

»Jase!«, ermahnt Am ihren Freund, und ihr Mund steht schockiert ein Stück offen.

Nur cool bleiben. Der will dir Angst machen.

Leider gelingt ihm das.

»Lässt du meine Eier dran?«, frage ich möglichst entspannt und lege den Kopf leicht schief.

»Damit noch mehr von dir in diese Welt gesetzt werden? Nein, danke«, erwidert er mit hochgezogenen Augenbrauen und mustert abfällig meinen Körper.

Dabei dachte ich immer, dass ich ganz ansehnlich wäre.

Sprachlos betrachte ich Jase, den ich eindeutig in seiner Feuerkraft unterschätzt habe, und versuche eine Erwiderung zu finden.

»So schlecht sieht er nicht aus, Jase.« Piper neben ihm seufzt und rollt mit den Augen.

»Wie wär’s, wenn du mir nicht in den Rücken fällst?«, zischt der Kerl verärgert, als Piper sich abwendet und Am auf den Kuchen deutet, den sie haben will.

»Er hat seine Tage.« Piper wechselt einen vielsagenden Blick mit Am, zieht einen Pappteller hervor und schiebt die Torte darauf, die nur aus Schokolade zu bestehen scheint.

»Piper!« Empört stemmt Jase die Hände in die Hüften und fixiert sie, während sie in aller Seelenruhe das nächste Stück nimmt, auf das Am zeigt. Dann hält sie inne, schaut über die Schulter zu ihrem Kollegen und gibt einen lauten Seufzer von sich. Mit genervtem Gesichtsausdruck wendet sie sich zu mir und runzelt einen Augenblick die Stirn.

»Okay, Carter«, beginnt sie, »wenn du Am in irgendeiner Weise verletzt – sei es körperlich oder psychisch – und auch nur im Ansatz so einen Mist abziehst wie bisher, dann werde ich deinen Körper so lange bearbeiten, bis ich alle zweihundertsechs Knochen dermaßen zertrümmert habe, dass sie niemals wieder heilen werden.«

Freundlich.

Ich blinzle verdutzt, als sie sich schnaubend zu Jase dreht, der deutlich zufriedener aussieht.

»Besser?«, fragt sie leicht säuerlich.

»Ein Anfang«, gibt er zurück, und neben mir schlägt Am sich die Hand vors Gesicht.

»Noch der Lemon Cheesecake?«, übergeht Piper die Reaktion ihrer Freundin.

»Nein!«, ruft mein Mund wie von selber, und plötzlich drehen drei Leute sich zu mir. Einen Moment bin ich von mir überrascht, dann fange ich mich und bin dankbar, dass ich nicht der Kandidat für einen roten Kopf bin. »Dein Cheesecake schmeckt besser. Nimm lieber den anderen.« Ich räuspere mich, deute auf die Torte, die mit Himbeeren verziert ist, und versuche mir nicht unruhig mit den Fingern durch das Haar zu fahren.

Peinlich. Einfach peinlich.

»Der von Am ist besser?« Jase sieht verwirrt zu meiner besten Freundin, die meine Worte nicht zu begreifen scheint.

»Hat sie noch nie einen für euch gemacht?«, will ich wissen. »Wenn nicht, habt ihr zwei Jahre eures Lebens verschwendet.« Ohne auf eine Erwiderung zu achten und um irgendetwas zu tun, ziehe ich das Geld aus der Hosentasche und lege zehn Dollar auf den Tresen. »Stimmt so«, füge ich hinzu, während der Rest schweigt.

»Dann noch die andere«, sagt Am langsam, ohne mich aus den Augen zu lassen. Ich vergrabe die Hände in den Taschen meiner Sporthose und habe das Gefühl, dass der Schweiß in meinem Nacken wieder zu laufen beginnt.

»Klar«, murmelt Piper, holt hastig das gewünschte Tortenstück heraus und packt es zu den anderen. Sie schlägt behutsam Papier herum und schiebt es zu Amber, die es gedankenverloren entgegennimmt. Ich schenke ihren Freunden ein letztes Lächeln, dann mache ich auf dem Absatz kehrt.

»Carter!«, wird mein Fluchtversuch unterbrochen, und ertappt drehe ich mich zu Piper, die tiefe Furchen auf der Stirn hat. »Das war mein voller Ernst.«

Ich schlucke schwer, nicke, weil ich kein Wort herausbekomme. In der Zeit schnappt Amber sich die Torte und eilt zu mir, wobei sie einen scharfen Blick auf ihre Freunde abfeuert. Ihre Hand landet auf meinem Arm, mit einer ungeahnten Kraft greift sie zu und schleift mich aus dem kleinen Café. Die Tür fällt hinter uns zu, doch die Augen bohren sich durch die Fenster wie Pfeile in meinen Rücken.

Selten hat sich etwas so unangenehm angefühlt.

»Lief doch ganz gut«, murmelt Am und drückt mir das Frühstück in die Hand, ehe sie ihr Fahrrad aufschließt.

»Ganz gut?«

»Du wurdest weder mit Büchern noch mit Brownies bombardiert.«

»Was?«, entfährt es mir leicht schockiert, was Am nur ein Lächeln auf die Lippen treibt.

Eine Antwort erhalte ich auch nach Diskussion nicht.

 

»Und sie lässt sich echt auf Cole ein?«, will Ryan wissen, als ich die Getränke auf den Tisch stelle und Alex sich, um auf den Fernseher schauen zu können, so weit zur Seite lehnt, dass er beinah umkippt. Miles steht vom Sofa auf und schnappt sich eine Cola.

»Jedenfalls ist sie jetzt auf einem Date mit ihm.« Ich beobachte, wie Alex hektisch auf dem Controller herumdrückt, ehe er ein verärgertes Grunzen von sich gibt, weil Ryan ihn erneut abgeschossen hat.

»Ich weiß nicht, ob sie zu ihm passt.« Der breite Linebacker greift in die Schüssel mit den Chips und nimmt eine große Ladung heraus. »Er ist zu glatt für sie.«

»Was meinst du?«, frage ich und hole mir das Glas, ehe ich mich neben die zwei setze.

»Na ja, Amber ist doch irgendwie dieses kleine perfekte Mädchen und –«

»Sie ist eine Frau, Alex. Kein Mädchen«, korrigiere ich ihn gedankenverloren, als das Bild von ihr in Unterwäsche vor mir aufblitzt. Daran war nichts Mädchenhaftes.

»Hm«, brummt der Linebacker, der sich bestimmt die Begegnung in der Küche in Erinnerung ruft. »Ja, hast recht. Also, Amber ist irgendwie diese perfekte Frau. Gute Noten, süß, nett, hilfsbereit, und Cole ist berechnend. Es kommt mir vor, als würde er immer alles richtig machen wollen, und er steht selten zu seiner eigenen Meinung.«

»Richtig. Neulich hat er mir in einer Sache zugestimmt und zehn Minuten später bei einer Unterhaltung mit Lewis genau das Gegenteil vertreten«, murmelt Miles, der sich nach hinten lehnt und an der Cola nippt.

»Solange sie glücklich ist, ist es mir egal«, gebe ich achselzuckend zurück, obwohl sich ein unangenehmes Gefühl in mir breitmacht. Ich drehe das Glas in der Hand, beobachte den Ladebalken auf dem Bildschirm.

»Ein richtiger Gentleman«, kommentiert Miles grinsend, wofür er einen skeptischen Blick von der Seite erntet.

»Schneid dir lieber eine Scheibe ab, Cooper. Soweit ich weiß, hast du das am Anfang mit Zoe komplett verbockt«, erinnert Ryan den Quarterback, der ertappt die Lippen zusammenpresst und ein Stück tiefer in die Kissen sinkt. Zufrieden wendet sich Ryan wieder an mich. »Und wenn er ihr das Herz bricht?«, will er wissen.

»Dann sind wir uns einig, dass Brewster eine grauenhafte Trainingseinheit bevorsteht, oder?« Kurz sehe ich zu den Jungs, deren Mundwinkel zucken.

»Hattest du eigentlich mal was mit ihr?« Miles' Frage entlockt mir ein ungläubiges Lachen, das ihn neugierig zu mir schauen lässt.

»Nein, wir waren immer nur Freunde.«

»Nicht mal ein Kuss?«, brummt Alex.

»Nein, nicht mal ein Kuss«, erwidere ich mit seltsam trockenem Mund und unterlasse es, zu trinken. Die würden sofort bemerken, dass etwas nicht stimmt.

»Und du hast noch nie darüber nachgedacht, wie es mit ihr wäre? So als Paar, meine ich?« Miles lehnt sich nach vorne, um mich ansehen zu können, während Alex wieder wild in der Gegend herumzappelt, als würde ihm das einen Vorteil gegenüber Ryan verschaffen.

»Nein, ich sagte doch, wir waren immer nur Freunde«, antworte ich und halte dem bohrenden Blick stand. Dann lächelt er wissend und fällt zurück in das Sofa.

»Lustig«, höre ich ihn sagen.

»Was?«

»Du benutzt die ganze Zeit die Vergangenheitsform.«

2

 

Amber

 

 

 

Du warst drei Wochen weg.

Drei verdammte Wochen, in denen ich dauernd auf mein Handy gestarrt und auf eine Nachricht von dir gewartet habe.

Irgendwie habe ich gehofft, dass du mir, wenn du wiederkommst, sagst, dass du mich vermisst hast, so wie es bei mir der Fall war. Dass du mir um den Hals fällst und mich küsst, weil dir klar geworden ist, dass du in mich verliebt bist.

Das ist nicht passiert.

Stattdessen habe ich mir zwei Stunden lang alles über deine Sommerromanze anhören dürfen.

Wie gut, dass mein Herz es mittlerweile gewöhnt ist, zerschmettert zu werden.

 

»Sehen wir uns morgen? Nach meinem Training?«, murmelt Cole, ehe er einen weiteren Kuss auf meinen Mund haucht. Seine warmen Hände liegen auf meinen Wangen, halten das Lächeln in meinem Gesicht fest.

»Das sollte sich einrichten lassen.« Sein Grinsen wird breiter, und feine Fältchen ziehen sich um die dunkelbraunen Augen, ehe er seine Lippen erneut auf meine senkt. Ein Prickeln fährt durch meine Fingerspitzen, als ich mich an dem Stoff seines grauen Hemdes festhalte und das flatterhafte Gefühl in meinem Magen genieße.

Das ist gut. Es ist kontrollierbar und angenehm. Kein allzu heftiges Herzklopfen, bei dem ich Panik bekomme, einen Infarkt zu erleiden.

»Sicher, dass ich nicht noch kurz mit reinkommen soll?« Seine Worte fließen in meinen Mund, und ein leises Lachen entweicht mir. »Komm schon, Amber. Ich will das hier gerne noch ein wenig fortführen.« Er lächelt in den Kuss, ich spüre den heißen Atem an meiner Haut.

»Wenn ich mich nicht irre, hat Dean Besuch.«

»Ist doch egal«, flüstert er, als ich mit geschlossenen Lidern den Geruch nach Zimt und einem herben Aftershave einatme. »Sollen die denken, was sie wollen.«

»Ein anderes Mal vielleicht.« Meine Worte werden von einem langen Kuss erstickt, der nach dem Erdbeershake schmeckt, den wir eben getrunken haben. Ich koste dieses aufregende Kribbeln aus und halte mich etwas fester, ehe Cole sich von mir löst. Die schmalen Lippen hat er zu einem leichten Grinsen verzogen, als ihm ein Seufzer entkommt.

»Okay, dann gehe ich jetzt.« Seine Hände gleiten über meinen Hals, hinterlassen die Art Hitze, die ein Spaziergang unter der Mittagssonne von San Diego mit sich bringt.

»Dann bis morgen«, erwidere ich atemlos und verschränke die Finger ineinander, um ihn nicht zurückzuziehen.

»Schlaf gut.« Ein letzter tiefer Blick, dann dreht er sich um und steigt die Treppen hinab. Mich lässt er mit knallrotem Kopf und tanzendem Herzen zurück. Aber statt eines wilden Sambas oder eines Jives ist es ein angenehm langsamer Walzer.

Damit kann ich wunderbar leben.

Mit einem Lächeln auf dem Gesicht hole ich den Schlüssel aus meiner Umhängetasche und schließe die Tür auf. Dunkelheit empfängt mich, und nur das Flackern des Fernsehers aus dem Wohnzimmer erhellt den Flur. Ich ziehe die Tür zu und streife mir die Schuhe von den Füßen.

Ja, ich habe Cole angelogen.

Ich wusste, dass die Wohnung bis auf meinen Mitbewohner verlassen ist. Die Autos vor der Tür gehören zu Erin und einer Familie, die im Haus nebenan lebt.

Es war feige, aber ich habe es nicht über mich gebracht, ihn mit reinzunehmen. Mein Mund hat, ohne sich um den Kampf zwischen Herz und Verstand zu scheren, für den Kopf entschieden und geredet.

Jetzt stehe ich alleine im Flur und versuche, das schlechte Gewissen wegen dieser kleinen Lüge zu ignorieren, das lautstark protestiert. Ich unterdrücke ein Stöhnen, und anstatt in mein Zimmer abzubiegen und zu ergründen, warum ich mich so mies fühle und Deans Kette bei Coles Küssen unendlich schwer wog, folge ich dem Flackern. Denn ich weiß, mir würde die Antwort auf diese Fragestellung nicht sonderlich gefallen.

»Dann habe ich mich doch nicht verhört«, werde ich begrüßt, kaum dass ich das Wohnzimmer betrete. Im Fernsehen läuft ein Film, dessen Ton ziemlich leise ist, und Dean liegt ausgestreckt auf dem Sofa. Ein Wunder, dass er noch nicht eingeschlafen ist. »Wie war das Date?«

»Gut.« Meine einsilbige Aussage könnte fröhlicher klingen, hat einen faden Beigeschmack. Dean zieht die Beine zur Seite, sodass ich mich auf die weichen Polster fallen lassen kann. Ich lehne mich zurück und starre auf den Bildschirm, der eine wilde Verfolgungsjagd zeigt.

»Gut? Klingt nicht überzeugend.« Ich spüre seinen Blick auf mir, weiß, dass er versucht herauszufinden, was ich ihm verschweige. Nur werde ich ihm nicht sagen, dass meine Finger dauernd den Weg zu seiner Kette gesucht haben und Cole mich sogar darauf angesprochen hat.

»Doch, wir waren essen und haben uns am Ende einen Milchshake geteilt.«

»Hat er wenigstens bezahlt?«

Ich wage es, meinen besten Freund enttäuscht anzusehen.

»Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Auch ich bin in der Lage, mein Essen selber zu zahlen«, erwidere ich etwas verärgert, weil ich seine Reaktion erahnen kann.

»Das hat nichts damit zu tun, ob du es kannst, sondern ob der Kerl so freundlich ist dich einzuladen«, gibt er grinsend zurück und verschränkt die Arme hinter dem Kopf, wobei das Shirt ein Stück hochrutscht und einen Spalt Haut freigibt. Ich mustere die dunkle, kurze Jogginghose, die viel zu tief auf seinen Hüften sitzt, und ...

»Was ist? Hab ich gekleckert?« Verwundert sieht er an sich hinab und sucht nach einem Fleck auf dem weißen Stoff.

»Nein, aber du hast da ein Loch.« Ich seufze und deute auf eine Stelle, die im Dunkeln liegt.

Gut gerettet.

»Wo?« Dean zieht den Saum höher und untersucht die Ecke, auf die ich gezeigt habe. Noch mehr Haut wird freigelegt, und mein Magen, der sich bis eben auf einer angenehmen Bootsfahrt befunden hat, wird in eine Wildwasserbahn gelenkt.

»Oh«, murmle ich und tue, als würde ich suchen. »Hab mich wohl geirrt.«

Wie gut, dass ich diese kleinen Lügen über die Jahre perfektioniert habe.

Dean schnalzt mit der Zunge und verdreht die Augen, ehe das Shirt wieder dahin rutscht, wo es hingehört, und für Erleichterung bei mir sorgt. Ich drücke die Tasche etwas enger an mich und zucke mit den Schultern.

»Hast du deine Mom angerufen?«, will ich wissen und von der Situation und dem Thema ablenken. Ein tiefes Räuspern und seine Beine, die unruhig hin und her geschoben werden, sind Antwort genug. »Dean«, entfährt es mir stöhnend.

»Ich sag’s ihr, okay?«, kommt er einer Belehrung von mir zuvor und hebt schützend die Hände. »Morgen oder kurz vor dem Spiel. Ich spreche nochmal mit dem Coach. Wenn ich rausdarf, gibt es keinen Grund, ihr Panik zu machen und sie die Umzugswagen herkarren zu lassen.«

»Sie wird dich nicht hier wegholen«, ermutige ich ihn, doch der abschätzige Ausdruck in seinem Gesicht verrät mir, dass mein Versuch scheitert.

»Wir kennen sie beide, oder?«

»Du musst ehrlich zu ihr sein.« Ich ziehe die Knie an, während ich mich dem Fernseher zuwende und beobachte, wie zwei Autos ineinanderknallen. »Obwohl du sie so lange angelogen hast, war sie trotzdem für dich da.«

»Hast du noch nie eine Lüge erzählt, um jemanden nicht zu verletzen? Oder um dich selber zu schützen?«

Seine Gegenfrage lässt mich den Atem anhalten. Die Antwort ist so einfach, so leicht. So viel könnte ich ihm jetzt gestehen, aber kein Ton entkommt meinem Mund. Fest schließen sich meine Lippen, und ertappt senke ich den Kopf.

»Siehst du«, flüstert Dean, der die Arme verschränkt. »Ich habe Panik, dass Mom mich zurück nach Portland beordert oder der Coach mir sagt, dass ich nicht gut genug bin. Was soll ich denn machen, wenn das passiert?«

Eine Regenwolke braut sich über uns zusammen. Die Temperatur in der Wohnung fällt, und eine Gänsehaut überzieht meinen Nacken. Ich kann nichts gegen das erdrückende Gefühl tun, das mich überkommt. Wortlos rutsche ich zu Dean und gebe dem Bedürfnis nach Nähe nach. Mein Kopf sinkt auf seine Brust, und ich bette mein Ohr an sein Herz, lausche dem gleichmäßigen Schlagen.

»Das wird nicht passieren«, sage ich leise. Er legt die Arme um mich, zieht mich etwas höher und vertreibt die Kälte, die mich erfasst hat, wie eine Hitzewelle.

»Ich werde alles dafür tun, dass ich bleibe, Am. Und wenn ich Mom anlügen muss, dann ist das so.« Er drückt die Lippen auf meine Schläfe, und meine Lider fallen zu. Mein Herz treibt an den Rand eines Wasserfalls, und ich kralle mich an seinem Oberteil fest.

Ich werde auch alles dafür tun, dass du bleiben kannst.

 

 

Mir ist warm.

Das ist das Erste, was mir auffällt, als ich langsam zu Bewusstsein komme, weil ein komisches Geräusch durch die Stille dringt. Ich kann mich nicht bewegen, bin eingeklemmt, und mein Kleid ist bis zu meiner Hüfte hochgerutscht. Meine Finger halten sich an etwas fest, und gleichmäßige Atemzüge streifen meine Ohrmuschel.

Atemzüge?!

Ich reiße die Augen auf und halte die Luft an. Das grelle Licht des Fernsehers blendet mich einen langen Moment und lässt mich erkennen, dass der seltsame Ton die Klingel ist. Blinzelnd sehe ich mich um, bemerke, wie meine Hände sich an Deans Armen festkrallen, die um meinen Oberkörper liegen und mich sichern, als wäre ich ein wertvolles Kuscheltier.

Ein weiteres Mal ertönt die Klingel, während mein Herz einen ähnlich schrillen Laut von sich gibt.

Ich liege neben Dean.

In seinen Armen.

Eine unangenehme Hitze schießt mir in die Wangen, als ich mich langsam aus dem starken Griff befreie und nicht in Panik zu verfallen versuche. Er gibt ein grimmiges Brummen von sich und will mich zurückziehen, als es erneut schellt. Der verärgerte Laut geht in ein Gähnen über, und seine Finger gleiten über meine Hüfte, treffen auf die freigelegte Haut und die Unterwäsche, die aus einem Hauch von Nichts besteht.

Ich erstarre zuerst.

Zwei Sekunden später Dean.

Mit zusammengepressten Lippen nehme ich das nächste Klingeln wahr und versuche mich von dieser sanften Berührung abzulenken, die ich durch den dünnen Stoff spüren kann. Die Lungen verkrampfen ähnlich wie meine Hände, dann weicht Dean ruckartig zurück, und mit einer einzigen Bewegung stehe ich auf und ziehe das Kleid zurecht.

»Wie spät ist es?«, will er wissen, reibt sich müde die Augen, als wäre nichts weiter vorgefallen. Als hätte er nicht meine Hüfte gestreichelt und sich an mich geklammert.

Ich suche nach der Fernbedienung. »Wahrscheinlich halb zehn.«

»Warum halb zehn?«

»Weil Jase und Piper um die Zeit zum Lernen vorbeikommen wollten«, erkläre ich und schalte den Fernseher aus. »Die Vorlesungen finden heute doch nicht statt.«

Er hat mich an sich gezogen.

Er hat meine Unterwäsche berührt.

Wir haben Arm in Arm geschlafen.

Nichts Besonderes!, erinnert mich das Teufelchen. Ich habe schon lange aufgehört zu zählen, wie oft wir nebeneinander auf einem Sofa eingeschlafen und wieder aufgewacht sind.

Aber in dieser Position?, fährt er fort, was stark nach Hoffnung klingt, und ich würde das Teufelchen gerne mit dem nächstbesten Buch erschlagen.

Das neuerliche Klingeln lässt mich aufschrecken und reißt mich zurück in die Gegenwart.

»Shit!«, fluche ich. »Ich war für das Frühstück zuständig!« Mit einem Stöhnen schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen und stürme in den Flur. Mein Finger landet auf dem Türöffner, und ein leises Summen ertönt. Die verärgerten Stimmen dringen durch das Treppenhaus bis zu mir hoch, und ich haue mehrmals die Stirn gegen die Tür.

Wie dumm ich doch bin.

»Was wollt ihr haben?«

Meine Selbstbestrafung wird durch eine kratzige, verschlafene Frage unterbrochen. Ich begegne Deans Blick, während er sich den Nacken massiert und nicht darum schert, wie zerzaust seine Haare an diesem Morgen sind.

Warum kann ich nach so einer Nacht nicht so verdammt süß aussehen? Stattdessen muss ich mich mit plattgedrückten und verknoteten Strähnen begnügen.

Nein, Schritt zurück.

Er ist nicht verdammt süß.

Er ist nur Dean.

»Ich ...«

»Amber Fields!«, tönt es mir entgegen, als Jase die letzte Treppenstufe nimmt und so abrupt stoppt, dass Piper in ihn hineinrennt. Mit hochgezogenen Augenbrauen mustert er erst mich und anschließend Dean, wobei er Pipers grummelnden Protest ignoriert, als sie sich an ihm vorbeiquetscht und ebenfalls erstarrt.

Wunderbar.

Wahrscheinlich sieht es aus, als hätten wir gerade wild rumgemacht.

»Ich besorg einfach was und nehme Lucas mit«, höre ich Dean neben mir. Kurz überlege ich, ob ich nicht lieber gehen sollte, doch die letzte Zeit hat Dean sich benommen und wirkt stabil. Es ist nicht weit, und vielleicht wäre es gut, wenn ich ihm zeige, dass ich ihm vertraue? Dean und ich tauschen einen kurzen Blick, und ich zwinge mich zu einem knappen Nicken.

Ich kann nur hoffen, dass ich diesen Vertrauensvorschuss nicht bereue.

Dann drängt er sich an Piper vorbei und schenkt ihr ein freundliches Lächeln, als sie Platz macht.

Schade, dass Jase sich voll auf mich konzentriert.

Pipers Augen folgen Dean durch das Treppenhaus, und ich strenge mich an, die lockere Maske unter dem steinharten Starren meines Freundes beizubehalten. Wir schweigen, bis die Haustür zuschlägt.

»Besorgt er etwas oder hat er’s dir besorgt?«, will Jase wissen, und seine Augenbrauen wandern ein ganzes Stück nach oben. Meiner Kehle entweicht ein genervter Laut, und ohne eine Antwort zu geben, stampfe ich in mein Zimmer. »Das war eine Frage, Amber!«

Ich ignoriere seine Worte, während ich meine Bücher zusammensuche und sie mir unter den Arm klemme. Piper beobachtet mich dabei, und Jases Fuß tippt erwartungsvoll auf der Stelle. Ich beachte die zwei nicht, gehe an ihnen vorbei und lege meine Sachen auf dem Küchentisch ab, ehe ich die Kaffeemaschine einschalte.

»Amber?«, kommt es zögerlich von Piper.

»Wir sind gestern Abend auf dem Sofa eingeschlafen.« Ich seufze und feuere einen bissigen Blick auf Jase, der verärgert die Nase verzieht, weil ich ihr antworte und nicht ihm.

Tja. Hätte er netter gefragt, hätte er eine Erklärung erhalten.

»Und darf ich fragen, wie das passiert ist?« Piper stellt langsam die Tasche ab, und ich hole Tassen aus dem Schrank.

»Als ich gestern nach Hause gekommen bin, war er noch wach. Dann habe ich mich dazugesetzt, und wir haben über das Date und ein paar andere Dinge gesprochen. Irgendwann ...«

Ich stocke.

»Date?«, fährt Jase dazwischen, ehe ich mich fangen kann. »Welches Date?!«

Brillant.

»Das mit Cole«, sage ich kleinlaut und nehme die Porzellantassen, um sie auf den Tisch zu stellen.

»Du hattest ein Date mit Cole?!«, fragt Piper schockiert. Gleich darauf fällt sie auf den alten Stuhl, der ein bedrohliches Knacken von sich gibt. Ich beiße mir auf die Zunge und betrachte meine Freunde. Wenn ich schon dabei bin, kann ich ihnen direkt die Wahrheit um die Ohren hauen. Vielleicht werden sie von dem Schock ohnmächtig, und ich habe Zeit, um zu fliehen?

»Ja«, fahre ich bedächtig fort. »Und um ehrlich zu sein, sind wir sowas wie Freund und Freundin.«

»Freund und Freundin wie wir?« Jases Finger fliegen hektisch zwischen uns hin und her.

»Ne«, brumme ich. »Eher so anders.«

Sie blinzeln.

Ich befeuchte nervös meine Lippen und wippe unruhig auf den Fußballen.

»Sind wir in einem Paralleluniversum?«, fragt Piper tonlos.

»Könnte auch eine Zeitmaschine sein«, erwidert Jase kopfschüttelnd, so als hätte man ihm gerade offenbart, dass es keinen Weihnachtsmann gibt. »Wie lange haben wir uns nicht gesehen? Zwei Tage? Wann ist das passiert?!« Er wirft verwirrt die Hände in die Luft und plumpst nun ebenfalls auf einen der Stühle.

Das war wohl nichts mit dem Schock.

»Ich meine, das mit Carter war schon verrückt genug, aber jetzt auch noch das? Himmel, was ist aus unserer schüchternen Amber Fields geworden, die sich mit mir im Schrank vor ihrem Mitbewohner versteckt hat?« Fassungslos legt Jase sein Kinn in die Hand, die er auf dem Küchentisch abstützt. Die Augen hat er wie Piper weit aufgerissen und betrachtet mich wie eine neue Entdeckung.

»Das mit Dean hat sich geklärt, und das mit Cole ist etwas komplizierter.«

»Wie kann sich das mit ihm so einfach geklärt haben?«, will Piper wissen und tippt sich nachdenklich ans Kinn. »Ich meine, was du erzählt hast, kann man doch nicht einfach so vergessen.«

»Wir haben uns ausgesprochen.«

Jase schnaubt. »Und das war’s? Nur geredet?«

Die goldenen Flügel, die auf meinem Brustbein liegen, fangen Feuer, und ich zögere eine Sekunde. Doch es ist nur eine, denn so oder so wird Jase auffallen, dass ich Schmuck trage.

»Nicht nur das«, murmle ich und hole die Kette aus meinem Ausschnitt. Noch bevor sie sichtbar ist, sind die beiden aufgesprungen und stehen vor mir. Mit einer geschmeidigen Bewegung entzieht er mir den Anhänger und beugt sich mit Piper so dicht darüber, dass sich seine dunklen Haare mit ihren bunten mischen.

»Die ist echt.« Ich kann anhand der Tonlage nicht einschätzen, ob es eine Frage oder eine Feststellung ist.

»Sie ist wunderschön«, fügt Piper leise hinzu.

»War das Bestechung?«, will der große Kerl wissen, der behutsam über die feinen Steine streicht.

»Nein, er hat sich erst entschuldigt und mir dann die Kette gegeben«, erkläre ich.

»Warum ausgerechnet so eine? Und wo hat er die gekauft?«

»In einem kleinen Laden in einer Stadt, die ich nicht kenne.« Ich nehme die Kette aus seinen Pranken und lasse sie wieder in meinem Ausschnitt verschwinden. »Und ursprünglich hat er mir die zur Begrüßung schenken wollen, aber dann ist er in unser Gespräch geplatzt und hat alles ein wenig falsch aufgefasst, weil er euch und euer wirres Gerede nicht gewohnt ist.«

»Wirres Gerede? Wovon sprichst du?«, versucht Jase sich aus der Affäre zu ziehen, doch ein entschuldigendes Lächeln schleicht sich auf seine Lippen, und ertappt senkt er den Kopf.

Piper kaut auf ihren Fingernägeln. »Warum Flügel?«

Ich könnte mir was ausdenken, sie ein weiteres Mal anlügen und es für mich behalten. Aber ich will es nicht, und außerdem ist Deans Antwort so verdammt schön gewesen, dass sie sogar Jase beruhigen könnte.

»Weil ein Engel Flügel braucht.«

Meine Wangen werden heiß, und ich weiche den Blicken aus, die sich in mich bohren.

»Das hat er nicht gesagt«, brummt Jase.

»Gott, ist das süß«, kommt es gleichzeitig von Piper. Jase entweicht erneut ein verärgerter Laut, dann stemmt er die Hände in die Hüften.

»Wunderbar. Jetzt kann ich nicht mal mehr halb so sauer auf den Kerl sein wie noch gerade eben.«

»Du sollst gar nicht sauer auf ihn sein.« Ich werfe Jase einen flehenden Blick zu, was ihn nur den Kopf schütteln lässt. »Ihr dürft nicht sauer auf ihn sein, weil ich eure Hilfe brauche.«

»Er war gemein zu dir!«, erinnert Jase mich.

»Er hat’s doch wiedergutgemacht«, hält Piper dagegen.

»Gott, ihr seid wie Engelchen und Teufelchen.« Ich schlage die Finger vors Gesicht und versuche das Lächeln zu verbergen, als die Wohnungstür zuschlägt. Dean erscheint im Türrahmen und grinst in die Runde, wobei er zwei Tüten hochhält und seine Brust sich schnell senkt und hebt.

»Ich wusste nicht, ob ihr was gegen Torte zum Frühstück habt, darum habe ich noch ein paar Bagels und Sushi mitgebracht. Ihr wart doch so verrückt danach, oder habe ich das damals falsch verstanden?«

Ein leichter Schweißfilm hat sich auf seiner Haut gebildet, und mit jeder Sekunde, die er länger dort steht und keine Reaktion bekommt, sacken seine Mundwinkel weiter nach unten. Falten bilden sich auf seiner Stirn, und er öffnet den Mund, als Jase die Arme in die Luft reißt.

»Gut, das Teufelchen kapituliert. Ich bin dabei!«

»Was?«, fragt Dean verwirrt, doch als Antwort verdrehe ich nur lächelnd die Augen.

3

 

Amber

 

 

 

Wir haben auf der Wiese gelegen und uns bis spät in die Nacht die Sterne angeschaut, obwohl wir beide morgen früh zur Schule müssen. Ich war hundemüde, aber ich konnte nicht aufstehen und ins Bett gehen. Also habe ich stillgehalten und zugehört, wie du von deinen Zukunftsplänen erzählt hast.

Von Football.

Von deinem Traumhaus.

Von Familie.

Dann hast du mich gefragt, wie ich mir meine Zukunft vorstelle. Du hast nicht gemerkt, wie ich dich im Liegen angesehen habe, weil du die Augen geschlossen hattest. Ich wollte mit der Hand dein Haar bändigen, das der Wind in allen Richtungen hat abstehen lassen.

Und ich wollte dir sagen, dass ich dich in meiner Zukunft haben will.

Beides habe ich nicht gemacht.

 

Das gleichmäßige Piepen bringt mich beinah um. Nervös tippe ich mit den Fingern auf dem Kissen neben mir und starre auf den Bettpfosten. Mit der Zunge befeuchte ich meine Lippen und presse das Smartphone etwas enger gegen mein Ohr.

Bitte nimm ab.

Bitte nimm nicht ab.

»Wer ist gestorben?«, ertönt eine fröhliche Stimme und ersetzt das Wartezeichen.

»Noch niemand.« Ich rutsche unruhig auf der Stelle hin und her, richte das Kopfkissen neben mir. »Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, dass du denkst, ich würde mich nur bei dir melden, wenn wir einen Todesfall in der Familie haben«, brumme ich missgelaunt, wobei meine Verstimmung nicht von dieser Tatsache herrührt, sondern daher, was ich mir gleich anhören darf.

Caro lacht am anderen Ende der Leitung. »Gut, dann erzähl mir mal, welches Anliegen dich dazu gebracht hat, nach dem Telefon zu greifen und mich zu nerven.«

»Du müsstest eine Klitzekleinigkeit für mich erledigen.«

»Klitzekleinigkeit.«

Ich kann meine Schwester vor mir sehen. Wie sie die Brauen hochzieht und die Arme vor der Brust verschränkt, ehe sie mich misstrauisch mit den braunen Augen mustert.

»In meinem Zimmer befinden sich ein paar Unterlagen, die ich brauche. Oberste Schublade im Schreibtisch.«

»Darf ich fragen, was das für Unterlagen sind? Denn so wie ich dich kenne, vergisst du niemals was Wichtiges.«

Stimmt. Als ich damals zurück nach San Diego gefahren bin, habe ich nicht damit gerechnet, dass ich die Sachen brauche. Nun muss ich ausgerechnet Caro bitten, die sicherlich die kleine Mappe durchblättern wird, sobald sie die in der Hand hat.

»Statistiken.«

»Statistiken für was.«

Ich seufze. »Deans Statistiken.«

»Wie oft er ein Trottel war oder geht’s darum, wie häufig er dein Herz gebrochen hat?«

Wundervoll. Möchtest du vielleicht noch Zitrone zu dem Salz, das du mir in die Wunde streust?!

Ich kneife die Augen zusammen und halte jede blöde Antwort zurück. Wenigstens kann meine große Schwester mich nicht sehen.

»Nein, seine Statistiken.«

»Die von seinen Spielen?«

»Unter anderem, ja«, gebe ich zurück und nehme eine Haarsträhne, die ich mir um den Finger wickle, um mir nicht so viele Gedanken über das plötzliche Schweigen zu machen. Ich lausche ihren gleichmäßigen Atemzügen, die das einzige Anzeichen dafür sind, dass sie nicht aufgelegt hat.

»Caro?«, frage ich schließlich.

Wer weiß, vielleicht hat die Gute einen Herzinfarkt bekommen oder ist in Recherchematerial versunken.

»Du hast seine Statistiken aufgehoben?«

Und neue angelegt.

Den Teil behalte ich allerdings für mich.

Ich stöhne in das Telefon. »Bitte, Caro!«

»Klar, ich kann dir die Sachen zuschicken, aber bei unserem letzten Telefonat klang es so, als wäre jede Hoffnung verloren.« Ich kann die Skepsis in ihren Worten hören.

»Er hat sich entschuldigt, und wir haben uns ausgesprochen.«

»Aha«, ist ihr einziger Kommentar. Natürlich lässt sie sich damit nicht abspeisen. Es wäre nicht Caro, wenn das der Fall wäre.

»Außerdem hat er mir eine Kette geschenkt.«

»Mhm.«

»Mit Engelsflügeln.«

»Häh?«

Wie gerne säße ich jetzt an einem Tisch, auf den ich meinen Kopf schlagen könnte. Ich schlucke das seltsame Gefühl in meiner Kehle herunter und versuche nicht daran zu denken, dass meine Wangen Feuer fangen. Dabei steht sie mir nicht mal gegenüber. Ich bin ganz alleine in dieser verdammten Wohnung, weil Dean Training hat.

»Er hat gesagt, dass ein Engel Flügel braucht. Darum hat er mir welche geschenkt«, gebe ich so fest wie möglich zurück, doch bei den letzten Worten werde ich leiser.

»Hat er nicht gesagt«, prescht Caro entgegen.

»Doch.«

»Dieser alte Schlawiner.«

»Caro, bitte!«, flehe ich ein weiteres Mal und drücke mir das Kissen auf das Gesicht, das neben mir liegt. Nach dem Telefonat werde ich da reinschreien. Ganz laut, und zwar so lange, bis ich heiser bin.

»Also ist alles wieder gut zwischen euch?«, fährt sie unbeirrt fort.

»Ja.«

»So wie früher.«

»Ja«, brumme ich genervt.

Ich hätte doch Mom anrufen sollen. Deren Bohren hätte ich einfacher umgehen können.

»Ist denn alles so wie früher?«

Ihre blöde Frage sollte mich nicht so verwirren. Trotzdem schlucke ich schwer, spüre ein Ziehen und Stolpern in meiner Brust.

»Nein, ist es nicht.«

»Und da bist du dir ganz sicher? Bei dem Spruch hätte ich mich dem Kerl an den Hals geworfen, und das sogar, wenn er nicht so ein Schnucki wie Dean wäre.«

»Sicher, Caro. Es ist nun mal Dean.«

»Genau das ist der Grund, aus dem ich frage.« Sie seufzt, und ich massiere mir die Nasenwurzel, versuche nicht durchzudrehen und meine Schwester durch das Telefon zu erwürgen.

»Vertrau mir doch einfach«, murre ich schlecht gelaunt.

»Oh, keine Sorge, dir vertraue ich. Nur deinem Herzen nicht.«

Vielen Dank.

»Kannst du mir die Sachen schicken?«, übergehe ich ihre Aussage, die für ein bekanntes Kribbeln in meinen Fingern sorgt.

»Klar, aber pass gefälligst auf dein Herz auf.«

»Keine Angst. Da ist schon jemand anders im Rennen«, murmle ich und kann ein schiefes Grinsen bei dem Gedanken an Cole nicht unterdrücken.

»Tja, das habe ich oft genug von dir gehört. Schade, dass Dean sich trotz des letzten Platzes jedes Mal die Poleposition geholt hat.«

 

 

»Danke«, sage ich zu Erin, als sie mir den Umschlag gibt, der einen Brief an den Coach enthält. Ich weiß nämlich, dass er Erin sehr gut leiden kann, und ihre lieben Worte könnten hilfreich sein.

»Gerne«, erwidert sie und rückt das knallrote Brillengestell auf ihrer Nase zurecht, wobei sie interessiert an mir vorbeispäht. Stirnrunzelnd versucht sie zu verstehen, was Piper und Jase in der Küche diskutieren, doch nach einem Moment gibt sie auf und wendet sich lächelnd an mich. »Du möchtest mir nicht zufällig verraten, wofür genau das ist?«

»Nein, noch nicht.«

Die Augen der Psychologin verengen sich etwas. »Ich schätze, er darf auch nichts davon erfahren.«

»Korrekt. Erst wenn’s funktioniert hat.« Ich drehe den Brief zwischen den Fingern, während Jase hinter mir über meine Handschrift flucht und ich einen besorgten Blick über die Schulter werfe.

»Dean hat erzählt, dass ihr euch vertragen habt«, stellt sie fest, mustert mich genauestens durch ihre Brille. Obwohl ich das Verlangen verspüre, nach dem Anhänger zu tasten, klammere ich mich an dem Papier in meiner Hand fest und schenke der Frau vor mir ein nettes Lächeln.

»Haben wir.«

Sie nickt bedächtig, wobei einige graue Haarsträhnen leicht mitwippen.

»Ihr kommt nächsten Mittwoch zum Grillen am Strand?«

»Ich glaube schon. Müssen wir noch was mitbringen?«

»Nur gute Laune und eine Menge Nerven.« Erin seufzt, doch zugleich huscht ein amüsierter Ausdruck über ihr Gesicht.

»Kriegen wir hin«, stimme ich zu, als die Frau mir ein letztes Grinsen schenkt.

»Gut, dann sehen wir uns. Und erzähl mir, wofür du das gebraucht hast, wenn es geklappt hat.« Sie deutet auf den Brief, den ich fest umklammere, und ich nicke. Erin Harson macht auf dem Absatz kehrt und steigt entspannt die Treppe hinunter, wobei ihr übergroßer Hosenanzug an ihren Beinen hin und her wackelt. Einen Moment betrachte ich das Schauspiel, dann schließe ich die Tür und starre auf den makellosen Umschlag.

Das wird der K.-o.-Schlag für den Coach sein.

Nur dürfen Jase und Piper nichts davon wissen. Nicht ohne Deans Zustimmung, und da ich nicht mit ihm darüber sprechen kann, muss es ein Geheimnis bleiben. Bei einem Fehlversuch könnte ich die Enttäuschung in seinen Augen nicht ertragen.

Ich beiße mir auf die Lippe, als ich eilig in mein Zimmer laufe und mich umsehe. Seit wir uns wieder verstehen, kommt Dean regelmäßig rein. Daher sollte ich ein Versteck finden, das für ihn nicht zugänglich ist. Mein Blick fällt auf die Schublade der Kommode, in der meine Unterwäsche liegt

Das hat bisher als Versteck gut funktioniert.

Mit einer schnellen Handbewegung öffne ich die Kommode und schiebe die Wäsche zur Seite. Dann packe ich den Brief zu dem Notizbuch, das tausend Geheimnisse enthält, und lege den Stoff darüber, bis beides fast nicht mehr sichtbar ist. Mein zufriedenes Schnauben vermischt sich mit einem weiteren Fluch aus der Küche und lässt mich hastig die Schublade schließen.

Ich versuche mich nicht verunsichern zu lassen, als ich Jases erboster Stimme folge, die durch die Wohnung schallt. Möglichst entspannt laufe ich in die Küche, und kaum dass ich die Schwelle übertrete, geht der große Kerl auf mich los.

»Schon mal was von Schönschrift gehört?«, murrt Jase, der die Nase auf Papier gedrückt hat und die Augen zusammenkneift.

»Schon möglich«, erwidere ich und zucke mit den Schultern, während ich mich auf den Stuhl neben Piper setze.

»Menschen wie du sollten nur noch am Computer schreiben oder mit Schablonen arbeiten.«

»Stell dich nicht so an. Sonst kannst du meine Notizen auch lesen«, gebe ich zurück und ziehe das Blatt heran, auf dem Graphen verzeichnet sind.

»Ja, darum bin ich über das hier so schockiert!« Mit einer schnellen Bewegung richtet Jase sich auf und hält es dicht vor mein Gesicht, sodass ich mein Kunstwerk bewundern kann. »Was soll das sein?« Mit dem Finger tippt er energisch auf eine Zahl, die nach einer Acht aussieht. Oder ist es eine Neun?

»Ähm«, murmle ich und konzentriere mich auf mein Gekritzel. »Eine Acht.«

»Du musst schon selber überlegen. Das sind keine guten Voraussetzungen für eine Statistik.« Kopfschüttelnd legt er den Zettel ab und gibt etwas in seinen Laptop ein.

»Es war nie geplant, dass jemand anderes außer mir das entziffern muss.«

»Merkt man«, fügt Piper hinzu, wofür ich ihr einen bösen Blick zuwerfe. Doch anstatt wie Jase empört zu sein, grinst sie breit. »Hör auf, dich anzustellen, Jase. Das ist fast so schlimm wie deine Schrift bei Bestellungen.«

»Das ist was völlig anderes!«, widerspricht er, wobei seine Mundwinkel verdächtig zucken.

»Solltest du ...«, fange ich an, als ich höre, wie die Haustür geöffnet wird und ein vertrautes Lachen zu mir dringt. Die ausgelassene Laune weicht der Panik, und ich reiße die Augen auf. Jase und Piper wirken ebenso schockiert. Eine Sekunde sind wir erstarrt, dann springe ich auf, während die beiden sich auf die Unterlagen stürzen und alles hektisch zusammenräumen. Ich versuche die Überraschung aus meinem Gesicht zu scheuchen und erreiche gerade die Küchentür, als Dean um die Ecke kommt. Ich lehne mich gegen den Türrahmen und mache mich so groß wie möglich, als er mich erblickt und das Lächeln auf seinen Lippen so breit wird, dass das Muttermal von seinen Grübchen verschluckt wird.

»Was wird das?« Er mustert mich, wie ich mich bemühe, ihm die Sicht auf den Küchentisch zu versperren, von dem immer noch Sachen entfernt werden.

»Nichts.« Unschuldig zucke ich mit den Schultern. Dean runzelt die Stirn und wirft einen kurzen Blick zu Alex, der genauso verwirrt dreinschaut.

»Darf ich mal.« Mein bester Freund macht eine Bewegung zur Seite, der ich folge.

»Ähm, ja«, bringe ich hervor, als Dean innehält und seinen Arm am Rahmen abstützt, wobei er mich funkelnd betrachtet.

»Wie wär’s, wenn ich nach links gehe und du nach rechts?«, schlägt er vor. Ich nicke, und als er zur Seite geht, laufe ich erneut in die gleiche Richtung, finde mich direkt vor seiner Brust wieder und schaue ihm leicht überrascht ins Gesicht.

»Ups. Du meintest das andere Rechts, oder?«, stelle ich mich dumm, woraufhin ihm ein heiseres Lachen entfährt, das eine Gänsehaut über meine Arme schießen lässt. Ich halte den braunen Augen stand, deren Iris mit Sprenkeln in der Farbe von Zartbitterschokolade versehen ist.

»Was wird das, Ms. Fields?« Dean lehnt sich ein Stück vor, sodass unsere Nasenspitzen nur noch Zentimeter auseinander sind. Ich rieche das Shampoo, das er benutzt hat, und bemerke die feinen Bartstoppeln auf seiner Wange, die er heute Morgen übersehen hat, weil er es so eilig hatte.

Wie gern würde ich mit dem Finger darüberfahren und herausfinden, ob sie sich anfühlen wie die von Cole.

Nein, nein, nein. Falscher Gedanke.

»Ich habe eine Links-rechts-Schwäche, Mr. Carter«, gebe ich geheimnisvoll zurück, worauf er mir sein strahlendes Lächeln zeigt. Könnte er nicht wenigstens Spinat zwischen den Zähnen haben?

»Daran werden wir arbeiten«, erwidert er und beugt sich näher zu mir.

Hatte er schon immer so viele Lachfalten um die Augen?

»Wir können!«, höre ich Jase hinter mir, und Stuhlbeine kratzen über den Boden. Obwohl ich das Gefühl habe, dass von Dean eine magnetische Anziehung ausgeht, schaffe ich es, unter seinem Arm hindurchzutauchen und mich neben Alex in den Flur zu stellen.

»Du bleibst bei ihm, bis ich wieder da bin«, sage ich zu dem großen Linebacker, der belustigt Dean beobachtet. Der schaut ziemlich verdattert aus, während Jase und Piper ihn zur Seite schieben.

»Klar.«

»Was ist hier los?«, fragt Dean, als ich hastig meine Schuhe überstreife.

»Nichts«, antworte ich und stimme in das Lachen von Jase und Piper ein, als wir wie kleine Kinder aus der Wohnung stürmen.

Ich wünschte nur, dass mein klopfendes Herz das auch endlich begreifen würde.

 

 

Es wird ein Überfall. Einer, der entweder mit einem Sack Gold oder einer Tracht Prügel enden wird. Dennoch versuche ich nicht an den gigantischen Kerl zu denken, der Dean trainiert und mich beim Luftholen wegatmen könnte. Stattdessen rufe ich mir das runde Gesicht mit den grauen Schläfen ins Gedächtnis und stelle mir darauf ein herzliches Lächeln vor.

»Du hast die Karteikarten, oder?«, reißt Piper mich aus meinen Grübeleien.

»Ja«, gebe ich kurz zurück und gehe weiter, lausche dem Getuschel hinter mir.

Die letzte Woche haben wir damit verbracht, uns vorzubereiten. Ich habe es geschafft, alles vor Dean zu verbergen, und er hat es amüsiert hingenommen, zieht mich jeden Tag damit auf. Es ist wie früher, und das macht das hier für mich zu einer noch größeren Sache. Seit wir uns wieder vertragen haben, ist alles anders. Wir lachen, als wäre nie etwas gewesen, und vorgestern hat er mir geholfen ein Outfit für das Date mit Cole rauszusuchen.

Cole.

Das ist der Part, der mir leichte Magenschmerzen bereitet, als die Tür zum Büro des Coaches in Sicht kommt.

Ich weiß nicht, wie er darauf reagieren wird, und Jase hat mir auch schon zu bedenken gegeben, dass dieses Thema für Spannungen sorgen könnte. Aber ich kann Dean einfach nicht hängen lassen. Nicht, seit wir wieder die Alten sind.

Ich hole tief Luft, als ich vor der Bürotür stehen bleibe. Ein letztes Mal drehe ich mich zu meinen Komplizen um, die genauso entschlossen wirken wie ich. Ermutigend nickt Piper mir zu, und ich hebe die Hand, um zu klopfen.

»Am?« Überrascht laut knallen meine Knöchel gegen die Tür, weil ich zusammenzucke. Einige Male blinzle ich, bis ich Dean und Ryan erkenne, die verschwitzt und schwer atmend auf uns zukommen. »Was machst du hier?«, will er wissen, als die Tür vor uns aufgerissen wird und ein Riese mit Schnäuzer vor mir erscheint.

Nicht aus der Ruhe bringen lassen!

»Dir dein Geburtstagsgeschenk organisieren.«

4

 

Dean

 

 

 

»Wenn du noch langsamer läufst, schlafe ich ein«, sagt Am und tut so, als würde sie gähnen, als ich die Ziellinie erneut passiere. Keuchend renne ich aus, drehe mich zu meiner besten Freundin, die gelangweilt die Stoppuhr betrachtet und eine Zeit auf dem Block notiert.

»Langsam?« Erschöpft stemme ich die Hände in die Hüften.

»Ernsthaft, mit jedem Lauf verschlechterst du dich um mehrere Sekunden«, erklärt sie kopfschüttelnd.

»Das sind auch achthundert Meter, und die absolviere ich zum fünften Mal, nachdem ich bereits drei Kilometer gelaufen bin und Kraftübungen gemacht habe!«, protestiere ich, was sie augenverdrehend hinnimmt.

»Echt mal, Dean. Gibt es jemanden, der noch mehr jammert als du?«, will sie wissen, und ein herausforderndes Funkeln blitzt in ihren Augen auf.

»Okay«, ich nicke, »ich denke, es wird Zeit für eine Umarmung.«

»Nein!«, kreischt sie lachend, und in dem Moment, als sie aufspringt, stürze ich mich auf sie. Wir fallen ins Gras, und ich ziehe Am an mein schweißgetränktes Shirt, reibe meine raue Wange gegen ihre und halte das Lachen, das mir entfährt, nicht zurück.

»Igitt, Dean!«, quietscht sie in mein Ohr, was mir fast das Trommelfell platzen lässt, aber ich lasse nicht los.

Das fühlt sich viel zu gut an.

Auch wenn es das nicht sollte.

 

Ich starre den Football an, der durch die Luft segelt wie ein dunkler Schatten. Hinter ihm der knallblaue Himmel von San Diego und die Sonne, die auf den trockenen Rasen fällt, in den meine Schuhe sich graben. Ich kneife die Augen etwas mehr zusammen, um den Ball nicht im grellen Licht zu verlieren, und beschleunige meine Schritte, die in meinen Ohren übermäßig laut sind. Mein Atem ist unruhig, als ich einen Satz mache und vom Boden abhebe. Ich strecke die Arme, und meine Finger schließen sich um das Leder, als hätten sie nie was anderes getan. Meine Füße landen wieder auf der harten Erde, und ich schaue zu Ryan, der zufrieden nickt.

»Sieht doch gar nicht schlecht aus, Carter«, ruft er über die Entfernung hinweg. Mit einer ausholenden Bewegung werfe ich das Ei zurück zu ihm und wage es, zur Tribüne zu schauen, die weiterhin leer ist.

Keine Amber.

Dabei war sie die letzten Trainingseinheiten immer da oder hat auf mich gewartet, damit wir zusammen nach Hause können.

Cole allerdings auch.

Ein Schnauben entweicht mir, wobei ich weiter die verlassenen Sitze mustere.

Es sollte mir nicht so viel ausmachen, dass sie heute nicht dort sitzt und stattdessen den Coach belagert. Was immer sie dort tut. Das, was ich gehört habe, klang ...

Ein dumpfer Gegenstand prallt gegen meinen Magen und drückt mir die Luft aus den Lungen. Zischend atme ich ein und beuge mich ein Stück nach vorne, wobei meine Augen Ryans amüsiertes Gesicht wahrnehmen.

»Verdammt, was sollte das, Paxton!«, fauche ich quer über den Platz.

»Du sollst dich konzentrieren und nicht auf die Tribüne starren!«

Ich presse die Zähne aufeinander, halte wüste Ausdrücke und Beleidigungen zurück und massiere mir die schmerzende Stelle. Jede Antwort würde er mir im Mund verdrehen, und davon mal abgesehen ärgert es mich, dass ihm solche Dinge auffallen.

»Keine Angst, ihr geht’s bestimmt gut, und sie wird dich gleich aufklären, was sie meinte«, sagt er, und ich hebe den Football auf.

»Ich hoffe für den Coach, dass er sie heile lässt«, knurre ich erbost und lege so viel Wut und Ärger in den Wurf, dass er Ryan ein paar Schritte nach hinten taumeln lässt.

»Sie hatte Personenschutz an ihrer Seite, und so wie sich das anhörte, hat sie den nicht nötig.«

»Ich weiß nicht«, erwidere ich grimmig, als ich langsam zu Ryan trotte, der sich nicht rührt. »Du weißt, wie er sein kann. Was ist, wenn er sie zum Heulen bringt?«

»Irgendwie habe ich das Gefühl, dass eher der Coach geheult hat.« Ryans Mundwinkel zucken, als ich vor ihm zum Stehen komme und die Augenbrauen hochziehe.

»Geheult hat

»Dem Grinsen nach zu urteilen, muss ihr Unterfangen jedenfalls erfolgreich gewesen sein, und irgendwie kann ich mir vorstellen, dass das einen weinenden Coach beinhaltet.« Mit einem Nicken deutet er auf die Bänke am Rand des Spielfeldes. Die Fragen verfangen sich an meinen Zähnen, als ich Am erblicke, die ein Strahlen unterdrückt, sodass ihre Lippen sich zu einem zufriedenen Lächeln verziehen. Die Haare liegen glatt über ihren Schultern, und nur die Strähne, die neben ihrer Wange hängt, wird von einer sanften, kaum spürbaren Brise bewegt. Ihre Beine stecken in einer Shorts, und das Top liegt locker an ihren Hüften, während ihre Hände ruhig auf etwas verharren, was sich in ihrem Schoß befindet.

»Komm, lass uns rübergehen. Ich schätze, dass du sonst noch dreißig andere Bälle an den Kopf kriegst, und auf einen Krankenhausbesuch habe ich keine Lust.« Ryan schlägt mir behutsam auf den Rücken und versetzt mir einen kleinen Schubser, der mich fast über meine eigenen Füße stolpern lässt.

Ich weiß nicht, warum, aber mit einem Mal erfasst mich Aufregung. Meine Zunge wird schwer, klebt an meinem Gaumen wie ein altes Kaugummi. Der Weg zu ihr verschwimmt beinah, und ich höre Ryans Flüstern, doch es kommt mir vor wie ein Rauschen. Ich bringe ein Lächeln und eine Kopfbewegung zustande, dann stehen wir vor ihr. Als hätten wir uns dorthin gebeamt.

»Hey«, begrüßt Am uns und bewegt sich keinen Zentimeter.

Es ist ein Geschenk. So verpackt, wie ich es nicht anders von ihr kenne. Mit einer hellblauen Schleife und weißem Geschenkpapier, das mit schwarzen Punkten übersät ist.

Meine Kehle schnürt sich zu.

Was immer es ist, es steht mir nicht zu.

»Ist das für mich?«, fragt Ryan neben mir amüsiert, was sie ihre hellen Zähne zeigen lässt, die so gerade sind, weil sie diese hässliche Zahnspange tragen musste. Sosehr sie sich damals darüber beschwert hat, es hat was gebracht.

»Nein, tut mir leid.«

»Ich finde, ich habe ein Geschenk verdient, so oft wie ich mich mit dem quälen muss.« Ryan versetzt mir einen leichten Schubs mit der Schulter, der mich fast aus dem Gleichgewicht bringt, weil meine Beine sich weich anfühlen.

Seit wann?

»Du und dich oft mit dem quälen? Ich habe den sogar nachts an der Backe.« Ihre Augen funkeln belustigt.

Warum ist mein Mund bei ihren Worten so trocken?

»Ich stehe neben euch«, erinnere ich die beiden, versuche meinen Körper, der verrücktspielt, wieder in seinen Normalzustand zu dirigieren.

Ryan seufzt. »Ein Wunder, dass du nach dem Treffer überhaupt noch stehst.«

»Was für ein Treffer?« Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen, kleine Fältchen bilden sich auf ihrer Nase, die die feinen Sommersprossen verschlucken.

»Ryan meinte, er müsste mir den verdammten Football in den Magen werfen«, brumme ich. Noch bevor ich etwas hinzufügen kann, hat Am das Geschenk beiseitegelegt und steht vor mir. Mit einer schnellen Bewegung umfasst sie den Saum meines Shirts, wobei sie meine Haut streift.

»Verdammt, deine Finger sind eiskalt!«, fluche ich, obwohl eine Hitze durch mich schießt, als hätte ein Blitz eingeschlagen.

»Hör auf zu jammern.« Sie bedenkt mich mit einem schiefen Blick.

»Wie kann man bei den Temperaturen kalte Hände ha... Au!«, beschwere ich mich, als sie mit den Fingerspitzen über die Stelle gleitet, die der Football getroffen hat, und ich zurückzucke.

»Mann, Ryan!«, fährt sie den Kerl neben mir an. »Das wird jetzt schon blau!« Anklagend deutet sie auf den Punkt, der mir verborgen bleibt. Ich beobachte den feurigen Ausdruck, mit dem sie Ryan zum Schrumpfen bringt.

Dann höre ich auf zu denken.

Ich packe ihre Handgelenke und drücke ihre flachen Hände auf den Bluterguss. Ein Stöhnen entweicht mir, als ihre kühle Haut auf meine trifft.

»Himmel, tut das gut«, murmle ich.

Leider meine ich damit nicht die Frische, sondern dieses Prickeln, das durch meinen Körper jagt, und die Hitze, die sich unter ihrer Berührung anstaut.

Nicht gut.

Wirklich nicht gut.

Aber so verdammt angenehm!

Ich schließe die Augen, lege den Kopf leicht in den Nacken und versuche nicht zu beachten, dass Ryan neben uns steht.

»Heulsuse«, brummt der Wide-Receiver.

»Paxton«, ermahnt Am ihn.

Zittert ihre Stimme? Oder liegt es an diesem Rauschen in meinen Ohren?

»Schon gut, ich bin leise«, höre ich Ryan. »Ich räume die Sachen weg, und du kannst dich verarzten lassen.« Ein verärgerter Laut entfährt ihm. Dann lausche ich seinen Schritten, presse weiterhin Ams Finger auf meinen Bauch und atme gleichmäßig, obwohl es mir unmöglich erscheint.

Was, wenn ihre Finger höher gleiten? Wenn ich mich herunterbeuge? Wenn Ryan nicht in der Nähe wäre?

Meine Lider fliegen auf, und ich werde von der grellen Sonne geblendet.

Was denke ich da?!

»Danke, das tat gut«, bringe ich hervor und lasse ihre Hände los, die sich quälend langsam von mir entfernen. Ich halte den Laut zurück, der mir entkommen will, und ignoriere ihren Blick, der nachdenklich über meine freigelegte Haut wandert.

Ist es heißer geworden?

Ich ziehe das T-Shirt herunter, suche nach etwas, das mich von Am ablenkt, als sie den Kopf hebt. Wenn ich herunterschaue, werde ich auf diese vertraute Iris treffen, die von einem dunklen Grau umrahmt ist. Daher starre ich lieber auf das Geschenk, das auf der Bank liegt.

»Ist das für Cole?«

Keine Ahnung, warum ich diese Frage stelle. Sie ist überflüssig seit dem Treffen vor dem Büro des Coaches.

»Du bist auch nicht mehr die hellste Leuchte.« Am lacht und zieht sich zurück. Ich nutze den Augenblick, während sie mir den Rücken zudreht, und hole Luft.

»Hätte ja sein

Impressum

Verlag: Zeilenfluss

Texte: J. Moldenhauer
Cover: Grit Bomhauer
Lektorat: Dr. Andreas Fischer
Satz: Zeilenfluss
Tag der Veröffentlichung: 18.02.2020
ISBN: 978-3-96714-061-3

Alle Rechte vorbehalten

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