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Meine persönliche Hölle

„Schau mal, die haben wieder eine Bank ausgeraubt.“

Mein Blick wanderte zu dem großen blonden Mädchen, das neben mir herging. Ihr Haar wehte leicht in der Sommerbrise und auf ihrem perfekten Gesicht spiegelte sich Anerkennung wieder.

In aller Ruhe griff ich nach der Zeitung, die sie mir unter die Nase hielt und betrachtete die Titelseite.

„Erneuter Raub der Men in Black!“, lautete der Titel. Mein Blick wanderte über Seite und blieb bei einem Foto hängen, das zwei junge Männer abbildete, die in schwarzen Klamotten arrogant in eine Kamera lächelten.

Ich fuhr mir mit meiner Hand durch mein braunes langes Haar und reichte die Zeitung wieder Marie.

„Hammer oder? Und die beiden sehen so heiß aus.“

„Und nebenbei rauben sie Banken aus und erpressen Menschen. Ja, ich kann deine Begeisterung vollkommen verstehen.“

„ Mensch Franzi, darum geht’s doch gar nicht. Es geht allein um das Aussehen und was das angeht sind beide echte Leckerbissen.“

Marie fuhr mit ihrer Zunge über ihre Lippen und begann wild mit dem Foto der beiden meistgesuchten Verbrecher Deutschlands zu flirten.

Genervt drückte ich den Ampelknopf und wartete sehnsüchtig auf das grüne Männchen.

Ich wollte nach einem endlosen Tag Schule einfach nur nach Hause und ins Bett.

„Hast du heute Abend was vor?“

Ich schüttelte den Kopf wischte mir den Schweiß von der Stirn. Die heiße Sommersonne knallte auf den Asphalt und verwandelte die Innenstadt in einen Ofen.

„Was hältst du davon, wenn wir zusammen schwimmen gehen?“

„Du weißt genau, dass ich schwimmen hasse.“

„Komm schon Franzi, nur dieses eine Mal!“, bettelte Marie und machte sich so klein es ging mit einer Größe von eins achtzig.

„Nein.“

Bevor Marie etwas sagen konnte wurde die Ampel grün und die Menschenmasse setzte sich in Bewegung.

„Du bist doch gemein“, stellte sich fest und trottete mit hängenden Schultern neben mir her.

„Ein anderes Mal gehe ich mit dir Schwimmen.“ Versprach ich zum hundertsten Mal, doch ich wusste, dass es Marie heute nicht genügen würde.

„Willst du mir echt erzählen, dass du bei so einem Wetter nicht schwimmen gehen willst?!“ Sie machte eine kleine Handbewegung nach oben und deutete auf den strahlend blauen Himmel.

„Ich will nicht okay?!“

Ich beschleunigte meine Schritte und versuchte Marie auf ihren zehn Zentimeter Absätzen abzuhängen.

„Jetzt warte doch mal.“

Ich hörte das Klacken ihrer Absätze und stöhnte auf, als sie mich erreichte.

Sie hatte einfach viel längere und schönere Beine als ich.

„Marie, können wir die Diskussion für heute lassen? Geh doch einfach mit Svenja schwimmen. Die wollte heute sowieso ins Freibad.“

Wütend drehte ich mich zu ihr um und schaute in ihre XXL- Sonnenbrille, hinter der, wie ich wusste, wunderschöne blaue Augen versteckt waren.

Mit ihren perfekten Fingernägeln nahm sie die Sonnenbrille ab und durchbohrte mich mit ihren blauen Augen.

„Okay, aber das nächste Mal kommst du mit.“

Ich nickte stumm und so setzten wir uns wieder in Bewegung.

Den restlichen Weg schwiegen wir und keuchten von der Hitze die sich in den Straßen sammelte.

Ich betrachtete die Gärten an denen wir vorbei kamen und sah, dass die meisten Pflanzen ihre Blätter hingen ließen.

Die Hitze war dieses Jahr einfach unerträglich und das schlimmste daran war, dass diese Hitze vor den Sommerferien herrschte, sodass man bis nachmittags in der Schule saß.

„Tschüss Marie.“

Ich umarmte sie nur kurz, damit mir nicht noch wärmer wurde und betrat unseren kleinen Vorgarten. Mein Blick streifte durch die Gegend und ich suchte nach dem Auto meines Vaters, doch es war nirgends zu sehen.

Erleichtert atmete ich auf und holte den Hausschlüssel, der viel zu neu war für das verrostete Schloss, aus meiner Tasche, die ich mir locker umgehängt hatte.

In aller Ruhe öffnete ich die Haustür und trat in meine persönliche Hölle.

Ich horchte und betete, dass ich alleine war.

So leise wie möglich schloss ich die Haustür und verdrängte den widerlichen Alkohol Geruch, der in der Luft hing.

Ich schlüpfte auf meinen Ballerinas und stellte sie zu den anderen Schuhen, die rücksichtslos in eine Ecke geschmissen worden waren.

Barfuß machte ich mich auf den Weg in die Küche und der Holzboden fühlte sich angenehm kühl an im Gegensatz zu den draußen herrschenden Temperaturen.

Die Küche war vollgestellt mit Flaschen und dreckiges Geschirr lag in der Spüle um das Fliegen kreisten.

Vorsichtig betrat ich die Küche und achtete auf den Boden um in keine Scherben zu treten.

Ich sammelte die leeren Flaschen zusammen und verstaute sie unter der Spüle.

Dann begann ich die Flaschen auszukippen in denen noch etwas drin war und spülte sie eilig aus, wobei mir jedes Mal von dem starken Alkohol Geruch schlecht wurde.

Als ich die Küche von den Flaschen befreit hatte, entdeckte ich einen Zettel, der unter einer Flasche gelegen hatte und deswegen ebenfalls nach Alkohol stank und zerknittert war.

 

Brauchen noch Essen

 

Angst stieg in meinem Magen auf. Wenn mein Vater heute Abend nach Hause kommen würde und kein Essen fertig war ,würde es wieder passiert.

Schnell nahm ich eine alte Baumwolltasche und schnappte mein Portemonnaie aus meiner Schultasche, als ich die Tür hörte.

Automatisch schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Die Angst die in mir aufstieg und den Fluchtinstinkt schaltete ich ab.

Schwere Schritte hallten durch das Haus und ich konnte ihn mir deutlich vorstellen wie er mit wütendem Gesicht durch die Wohnung lief.

Immer näher kamen die Schritte und gleichzeitig glitten meine Gefühle immer weiter weg, bis sie schließlich gar nicht mehr da waren, sondern ausgeschaltet.

„Was machst du hier?“

Ich schaute in das Schweinegesicht meines Vaters. Er trug einen Anzug und sein äußeres ließ nichts von dem dreckigem Mistkerl erkennen, der sich hinter dieser Maske verbarg.

„Ich wollte gerade aufräumen und jetzt einkaufen gehen“, sagte ich nüchtern und spürte die absolute kälte in mir.

„Wieso warst du noch nicht einkaufen!?“ Seine Stimme erhob sich bedrohlich und ich wusste, dass meine Erklärungsversuche scheitern würden.

Wie immer.

Er Griff nach einer Wodka Flasche und begann sofort in tiefen Zügen zu trinken.

„Weil ich noch Schule hatte und vor Zehn Minuten nach Hause gekommen bin und erst jetzt deinen Zettel gesehen habe.“

„Und wieso hast du ihn erst jetzt gesehen!?“

Jetzt schrie er und in seinem Gesicht erkannte man nicht den liebevollen Vater, den er immer nach außen hin gab.

„Weil dein ganzes Gesöff da drauf stand“, zischte ich wütend zurück und funkelte ihn böse an.

„Was erlaubst du dir du dreckiges Miststück!?“

Dann hob er seine Hand und verpasste mir eine Ohrfeige. Ich spürte wie meine Wange anfing zu brennen, doch ich ignorierte es und kniff meine Lippen zusammen.

„Geh jetzt und hol mir was zu essen!“

Ich drängte mich an meinen so genannten Vater vorbei und verließ ohne ihn eines Blickes zu würdigen das Haus.

Kaum hatte ich die schwere Tür verschlossen, kam der Schmerz und ich fasste mir vorsichtig an meine Wange. Ich wusste, dass sie knallrot war. Das war sie immer wenn er mich schlug.

Ich ließ mein braunes Haar über meine Wange fallen und haute mir ein Paar Mal selber gegen die andere, damit es nicht ganz so auffiel.

Dann verließ ich meine Hölle und machte mich auf den Weg in den Supermarkt um anschließend zurückzukehren und für meinen dreckigen Vater essen zu kochen.

Doch eigentlich wäre ich lieber weggerannt und nie wieder zurückgekommen.

Kalte Augen


Als ich den Supermarkt betrat fühlte ich mich sicher. Hier war niemand der mich bedrohen konnte, dazu waren hier zu viele Zeugen.

Ich schlenderte langsam und in aller Ruhe zwischen den Regalen hin und her und versuchte meinen Vater zu vergessen. Immer wieder ließ ich meine Haare in mein Gesicht fallen, damit niemand meine Gefühle sah.

Ich wusste, dass mein Vater mich heute noch mal schlagen würde. Sein Essen war nicht fertig gewesen und somit war seine Laune im Keller. Natürlich machte er mich dafür verantwortlich, sodass er sauer auf mich war.

Ich nahm eine Dose Ravioli aus dem Regal und ließ sie in die Baumwolltasche gleiten.

Als ich mich umdrehte sah ich ein kleines Mädchen, das suchend zwischen den Menschen stand, die sie ignorierten. Tränen rannten ihr über das Gesicht und ich sah an ihren Lippen, dass sie Worte murmelte.

Ich drängte mich durch die Massen und ignorierte den Schmerz, der sich an meiner Schulter ausbreitete, wenn mich jemand dort berührte.

Vorsichtig hockte ich mich vor sie und schaute sie an.

„Hallo“, sagte ich und lächelte sie durch meine Haare an, die immer noch als Schutz dienten.

Ihre Augen weiteten sich und sie erstarrte.

„Hallo“, schluchzte sie und wischte sich eine Träne weg.

„Kann ich dir helfen?“

„Ich suche Mama“, sagte sie und erneut fingen Tränen an über ihre Wangen zu rennen.

Sie tat mir Leid.

Sie erinnerte mich an mich selber vor langer Zeit, als ich weinend,vor Schmerzen, in meinem Zimmer saß.

Rasch verdrängte ich die Erinnerung und den Schmerz der dabei in mir aufkam.

„Soll ich dir beim suchen helfen?“

Sie nickte und fing an auf ihrem Shirt zu kauen. Sie hatte blonde Locken und trug pinke Klamotten, wodurch sie mich an eine kleine Prinzessin erinnerte.

Plötzlich hörte ich einen lauten Knall und mein Kopf fuhr herum, auf der Suche nach der Lärmquelle.

Da erblickte ich sie.

Ihre Bilder waren deutschlandweit bekannt und nun standen die beiden aus der Zeitung an der Kasse des Supermarktes und blickten sich um.

Der Mann mit den blonden Haaren hatte seine Hand zur Decke gerichtet und beäugte die Umgebung. In seiner Hand war eine Waffe, während der Andere einen Sack auf dem Rücken hatte und ebenfalls in die Runde schaute.

„Keinen Mucks und auf den Boden.“

Ich starrte den jungen Mann an, der sah wie ich ihn ungläubig musterte.

„Auf den Boden sagte ich!“ Wütend starrte er mich an und ich wusste, dass die Worte für mich bestimmt waren, denn der ganze Rest der Menschen in diesem Laden lag bereits auf dem Boden.

Ganz langsam legte ich mich auf dem Boden und zog das kleine Mädchen zu mir runter.

Ich schlang meine Arme um sie und spürte wie ihre Tränen auf meine Arme tropften.

„Ganz Ruhig. Es wird alles gut. Das sind nur komische Leute die dumm sind. Dir passiert nichts“, redete ich leise auf sie ein und streichelte vorsichtig ihre wundervollen Engelslocken.

„Märchenscheiße. Hab ich nicht gesagt ihr sollt Ruhig sein?“

Ich blickte auf und starrte in kalte braune Augen, wobei ich immer gedacht hatte, dass braune Augen nie kalt sein könnten. Doch ich hatte mich geirrt. Diese Augen waren die kältesten, in die ich je geblickt hatte.

Ich kniff meine Lippen aufeinander und starrte wütend zurück.

Ich spürte nichts außer Wut und Hass. Die restlichen Gefühle verdrängte ich immer noch wegen meines Vaters und das was mich erwarten würde, wenn ich nach Hause kommen würde.

„Hast du nicht zugehört? Ein Meter Abstand zwischen jedem“, zischte er mich an und ich hätte ihm eine gescheuert wenn er keine Waffe gehabt hätte. Wie konnte ein Mensch nur so wenig Mitleid mit einem kleinen Mädchen haben und ihr so viel Angst machen?

„Vergiss es.“

Ich drückte das kleine Mädchen enger an mich und spürte wie sie zitterte.

Plötzlich griff er nach meinen Haaren und ich ignorierte den Schmerz einfach, als er mich an diesen zu sich hochzog. Mein Vater machte das immer. Mittlerweile war ich dagegen immun.

„Hör zu Kleine, du lässt das Mädchen jetzt sofort los“, flüsterte er und ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Haut.

„Niemals.“

Dann spürte ich den Lauf der Waffe auf meinem Kopf und sah die Wut, in seinen Augen.

Wir starrten uns an und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass er abdrückte. Ich hätte nie mehr in die Hölle gemusst und dieser dreckige Kerl wäre in den Knast gewandert wegen Mordes.

„Lass sie.“

Die Stimme riss mich von meinen Todesgedanken fort und ich sah den anderen Typen, wie er dem Blonden eine Hand auf die Schulter legte.

„Sie forderts doch selber heraus“, zischte er und blickte mich mit seinen kalten braunen Augen weiterhin an.

Dann spuckte ich ihm in das Gesicht und sah wie er noch wütender wurde. Es tat gut zu sehen, dass seine Wut sich steigerte. Vielleicht würde er mich doch erschießen, dachte ich mir und starrte wütend zurück.

Er stieß meinen Kopf volle Wucht Richtung Boden und ich konnte mich noch gerade mit meinen Händen abfangen.

Langsam hob ich meinen Kopf und sah zu dem Blonden auf der mich immer noch wütend musterte.

„Komm wir müssen los.“ Weiterhin starrte der Blonde mich an, obwohl sein Komplize mit ihm sprach.

„Die lassen uns nicht einfach raus. Wir brauchen einen Geisel“, hörte ich ihn leise antworten.

Sofort wanderte der Blick des Komplizen zu mir und nun starrten mich beide an.

Bitte bringt mich um, dachte ich.

Ich wollte einfach nur noch sterben.

„Aufstehen“, sagte der Blonde und deutete mit seiner Waffe auf mich.

„Träum weiter“, regungslos blieb ich liegen und ließ ihn nicht aus den Augen.

„Entweder du“, sagte er und lächelte mich freundlich an „Oder sie.“ Seine Waffe richtete er auf das kleine Mädchen mit den Locken, das nun wieder anfing zu heulen und sein Blick wurde augenblicklich wieder kalt.

Er wusste genau, dass ich aufstehen würde. Er wusste ganz genau, dass ich das Mädchen schützen wollte.

Also stand ich langsam auf, ließ ihn jedoch nicht eine einzige Sekunde aus den Augen.

„Dreckiges Schwein“, flüsterte ich und sah wie sein Gesichtsausdruck sich von wütend zu belustigt änderte.

„Danke und immer wieder gerne“, sagte er und packte mich hart an der Schulter, an der ich den großen blauen Fleck hatte, den mein Vater verursacht hatte.

Doch ich wollte keine Schwäche vor diesem Widerling zeigen und ignorierte die Schmerzen. Stattdessen blickte ich ihn kalt an.

„Nicht so böse sein“, flüsterte er und dann legte mir jemand von hinten eine Augenbinde um.

Keine Regung ließ ich erkennen, obwohl meine innere Gefühlswelt sich langsam wieder öffnete und die Kälte die ich empfand nachließ.

Nun bekam ich Angst, doch sie wurde von dem Hass auf meinen Vater und auf dem Blonden Typen mit den kalten braunen Augen überlagert.

Missglückte Flucht


Ich spürte wie jemand seinen Arm um meine Kehle legte und den Lauf einer Waffe an meinen Kopf drückte. Ich wollte schreien. Ich wollte weinen. Ich wollte rennen. Doch ich tat nichts davon, denn jede Reaktion wäre ein Zeichen von Schwäche gewesen. Und ich wusste das Schwäche alles nur noch schlimmer machte.

„Spiel einfach mit Kleines“, flüsterte er nah an meinem Ohr und ich roch eine Spur von Kaffee in seinem Atem. Sein Arm schloss sich enger um meine Kehle und augenblicklich krallte ich meine Nägel in seinen Arm und hoffte dass es ihm wehtat, doch er zeigte nicht die kleinste Reaktion. Dann fing er an zu laufen und zog mich mit. Unter meinen Schuhsohlen spürte ich, wie wir über die Fliesen des Supermarktes gingen und anschließend den glühenden Asphalt betraten. In dem Augenblick, indem wir den Asphalt betraten passierte vieles auf einmal. Zuerst war da wieder die unerträgliche Hitze. Dann hörte ich Stimmen, die mich stark an eine Menschenmasse erinnerte. Und schließlich war da noch die Stimme aus dem Megafon.

Ich wusste nicht was sie sagte, denn der Blonde drückte mir so sehr die Kehle zu, dass ich Angst bekam zu ersticken. Ich spürte wie er sich anspannte und stehen blieb. Die Sonne strahlte auf meinen Kopf und die Hitze wurde immer unerträglicher. Plötzlich stieß der Idiot mich irgendwo rein. Etwas Metallenes kratze über mein Schienenbein und ich spürte wie es anfing zu brennen. Meinen Kopf stieß ich mir und Tränen traten mir in die Augen. Dann fühlte ich die Ledersitze unter mir. Sie waren heiß, genauso wie der Ort an dem ich mich nun befand. Ein Auto vermutete ich und tastete mich vor. Ich wollte diese kalten braunen Augen nicht sehen. Ich wollte diesen ekligen Typen nicht neben mir haben. Ich wollte einfach nur weg. Ich hätte es auch schaffen können auf der anderen Seite des Wagens direkt auszusteigen, doch als mir einfiel, dass mein einziger Zufluchtsort mein Zuhause war, wo auch mein Vater lebte hielt ich inne. Einen Moment zu lange. Starke Hände packten mich hart am Handgelenk und zogen mich zu sich.

„Denk nicht mal dran!“, zischte er mir wütend ins Ohr und drückte mich in die viel zu heißen Ledersitze. Ich spürte wie mir der Schweiß den Rücken runter lief und mein Shirt widerlich an meiner Haut klebte.

Ich hörte wie jemand einen Motor startete und die Türen verriegelte. Da war sie hin, meine Fluchtmöglichkeit. Soweit man es eben als Fluchtmöglichkeit bezeichnen konnte. Dann legte der Blonde einen Arm um mich und presste mich enger an sich. Ich hatte das Bedürfnis den Typen zu verhauen und ihn wegzudrücken, doch ich wusste, dass er stärker war als ich, also blieb ich sitzen und horchte. Das Auto beschleunigte und ich wurde noch mehr in seine Arme gepresst. Dann hörte ich es. Die Sirenen und das Hupen. Ich war froh, dass ich nichts sah, denn anderenfalls hätte ich bestimmt Angst bekommen. Der Fahrer musste Fahren können und er schien auch nicht besonders Rücksichtsvoll zu sein, geschweige denn sich an Verkehrsregeln zu halten. Zu mindestens kam es mir so vor, als ich die wütenden Aufschreie und das Hupen anderer Verkehrsteilnehmer vernahm. Ich versuchte ruhig zu atmen und meine Gedanken auf etwas anderes als den Kerl neben mir zu fixieren, als der Wagen plötzlich eine scharfe Kurve machte und ich schmerzvoll auf den Blonden flog. Meine Schulter tat extrem weh und die anderen blauen Flecken auf meinem Körper nicht minder. Dann wurde eine Autotür aufgerissen und eine angenehm kühle Luft strömte in den Wagen. Ich dachte, dass die Polizei es geschafft hatte und merkte wie ich traurig wurde. Ich war noch am Leben. Doch wieder packten mich raue Hände und zerrten mich aus dem Wagen. Ich stolperte und fiel fast, doch jemand hielt mich fest. Die Augenbinde löste sich und kalte braune Augen sahen mich an, während er mir eine Hand auf den Mund legte, damit ich nicht schreien konnte. Ich hätte jedoch nicht geschrieen, denn es war ein Zeichen von Schwäche. Das war zumindest meine Meinung.

Er legte einen Arm um meine Taille und führte mich durch ein riesiges Parkhaus, auf einen Jeep zu. Der braunhaarige Kerl hatte den Kofferraum des Wagens geöffnet und kramte ein paar Sachen raus, die ich nicht erkennen konnte. Wollten sie mich in den Kofferraum sperren? fragte ich mich und spürte das bedrückende Gefühl der Angst in meinem Magen aufsteigen. Der Beton kratze unter meinen Sohlen und der beißende Geruch von Pisse stieg in meine Nase. Wie ich Parkhäuser hasste. Ich dachte sie würden mich gehen lassen oder ich dürfte wenigstens Reden, als der Blonde seine Hand von meinem Mund löste. Stattdessen klebten sie mir den Mund zu und setzten mir eine schwarze Langhaar Perücke auf. Ich fing an mich zu winden und um mich zu schlagen, als der Typ mich plötzlich locker, als wäre ich ein Federsack, über seine Schulter schmiss und um den Wagen zu der Autotür ging. Mit meinen Fäusten schlug ich auf seine harten Rückenmuskeln und wünschte mir, dass es ihm wenigstens etwas wehtat. Was natürlich nicht der Fall war, denn seine Muskeln waren hart wie Stahl. Er ließ mich wie einen Sack Reis auf die Hintersitze fallen und stieg ebenfalls ein. Er bekam eine Perücke von dem braunhaarigem zugeworfen und streifte sie sich schnell über. Ich hatte mich derweil aufgesetzt und war an der anderen Seite des Autos angelangt. Hilflos und wütend rüttelte ich an ihr, doch sie bewegte sich kein Stück.

„Kindersicherung, Schätzchen.“ Hörte ich ihn nah neben mir, wobei er das Schätzchen besonders betonte. Sofort wirbelte ich herum und schaute in sein frech grinsendes Gesicht, während er sich eine Sonnenbrille aufsetze. Die vordere Autotür schlug zu und der Motor wurde angelassen. Ich merkte wie seine Arme mich umschlungen und er mich an sich zog, als wären wir ein Pärchen. Vergeblich versuchte ich mich erneut zu wehren, was dazu führte, dass sein Griff sich verstärkte.

Er drückte mich in den Sitz und versperrte mir die Sicht auf die Straße.

„Spiel mit und dir passiert nichts.“

Dann presste er seine Lippen auf das Klebeband und tat so als würde er mich küssen. Wir spielten also eindeutig ein Pärchen. Ich windete mich in seinen Armen und kratze ihn, was ihn völlig unbeeindruckt ließ. Er presste mich enger an sich und ich fühlte die Hitze die von seinem Körper ausging. Er wollte ,dass wir ein Pärchen spielten? Bitte das konnte er haben. Meine Hände glitten zu seinen Haaren und ich zog dran, in der Hoffnung, dass er losließ. Stattdessen, tat er das gleiche bei mir und ab da war es nur eine Frage, wer länger aushielt.


Ich weiß nicht wie lange unser Kampf dauerte, auf jeden Fall war der Sonnenuntergang schon zu erahnen und wir hielten auf einer verlassenen Autobahnraststätte. Kaum war der Motor aus, löste er sich von mir und fuhr sich durch sein Haar.

„Aua!“, sagte er und kniff ein Auge zu.

Mit aller Kraft trat ich ihm vors Schienenbein, was ihm Tränen in die Augen trieb.

„Verdammt Ben hilf mir!“ Der Blonde hatte sich auf mich gestürzt, doch jetzt kannte ich kein Pardon und kratze, schlug und trat jeden Zentimeter den ich erreichen konnte. Meine Wut fachte mein Handeln an wie die Glut das Feuer.

Die Angst war nicht mehr da.

Nur noch die Wut.

Mal wieder.

Da wurde die andere Autotür aufgerissen und ich wurde aus dem Auto gezogen. Doch es war nicht so brutal. Jemand achtete darauf, dass ich nicht verletz wurde, was mich verwunderte, jedoch nicht von meinem Wutanfall abbrachte. Ich spürte wie sich der Griff von diesem Jemand löste und ich wusste, dass ich gleich abhauen konnte. Mit aller Kraft wandte ich mich einmal und die Hände lösten sich. Dann sprintete ich los. Der Parkplatz war verlassen und der Asphalt strahlte immer noch die Hitze des Sommertages aus. Ich hörte die schnellen Schritte hinter mir und wechselte meine Richtung. Anstatt zu der Autobahn zu laufen, rannte ich auf ein Feld zu, in der Hoffnung, dass es mir Schutz bot. Ich war fast da, als sich das Gewicht von jemandem auf mich drückte und ich hinknallte. Erde verfing sich in meinen Haaren und in meinen Klamotten. Ich wollte anfangen um mich zu schlagen, doch meine Hände wurden in den Dreck gepresst.

„Du bleibst hier“, hörte ich eine wütende Stimme.

„Scheiße ist die Kleine schnell.“

Ein japsen verriet mir, dass der braunhaarige nicht hinter her gekommen war und ich entkommen wäre, wenn der Blonde nicht da gewesen wäre.

„Hol das Chloroform.“ Meine Muskeln zogen sich zusammen bei dieser Aussage und erschrocken starrte ich auf die Erde.

„Nils findest du..“

„Sie ist uns gerade fast entwischt und du hältst es nicht für sinnvoll sie wenigstens für eine Stunde außer Gefecht zu setzen?!“

„Auch wieder wahr. Moment ich komme gleich wieder.“ Wieder hörte ich schnelle Schritte, doch diesmal entfernten sie sich. Meine Perücke war verrutscht und ich versuchte das Klebeband irgendwie von meinem Mund zu lösen. Ich wurde herum gerollt und sah, dass der Blonde keine Perücke mehr trug. Seine Augen schauten mich wütend an, während er mich mit seinem Gewicht erneut zu Boden drückte und meine Hände auf die Erde presste.

„Du bleibst Ruhig hast du verstanden? Ich tu dir nichts, solange du nichts Dummes tust.“ Seine Augen wurden kalt und ausdruckslos, was mir einen Schauer über den Rücken jagte.

Ich hatte Angst.

Schreckliche Angst.

Ganz plötzlich.

Ich wollte mich wehren, doch ich konnte nicht, als ich den braunhaarigen Typen namens Ben sah, der zurückkam und ein Tuch dabei hatte.

Meine Augen weiteten sich und ich spürte wie Tränen sich in meinen Augen sammelten. Doch ich durfte nicht weinen. Ich würde nicht weinen. Ich spürte wie er vorsichtig das Klebeband von meinem Mund löste, doch er ließ mir keine Zeit um Luft zu holen und zu schreien. Seine rauen Hände pressten das Tuch mit dem Chloroform auf mein Mund und meine Nase. Ich versuchte mich zu wehren, doch bevor ich überhaupt richtig anfangen konnte, war ich weg.

Schmerzen

„Komm schon. Wach auf.“

Ich spürte wie jemand mir leichte Ohrfeigen gab. Ganz langsam öffnete ich meine Augen und blickte in das nachdenkliche Gesicht eines blonden jungen Mannes. Er sah nicht schlecht aus. Im Gegenteil. Er war hübsch.

„Erde an Franziska.“ Seine Hand fuchtelte wild vor meinem Gesicht herum und ich blickte ihn verwirrt an. Was wollte er von mir? Ich betrachtete ihn genauer. Seine blonden Haare waren leicht zerwuschelt und zum verlieben schön. Die Lippen waren sanft und vollkommen und seine braunen Augen strahlten Wärme aus.

Braune Augen.

Schlagartig war ich wach und fing an ihn zu treten.

„Nimm deine Drecksfinger von mir du Arsch!“, schrie ich ihn an und war zugleich darüber verwundert, dass ich reden konnte. Ich hatte kein Klebeband mehr auf dem Mund.

„Verdammt musst du immer gleich auf mich eintreten“, stöhnte er und griff sich in den Schritt, während er sich vor Schmerzen krümmte. Volltreffer. Ein zufriedenes, gemeines Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit.

„Du hast es auch nicht anders verdient“, hörte ich jemanden lachend sagen. Mein Kopf schnellte herum und ich sah den braunhaarigen auf einem Stuhl sitzen, während er die Situation beobachtete.

Da fiel mir die Umgebung auf. Ich hatte an ein Lagerhaus gedacht, fernab der Stadt, doch dieser Raum war gemütlich eingerichtet. Als würde hier eine Familie wohnen. Langsam ließ ich meinen Blick umherwandern und erkannte große Fenster, sowie helle und kuschelige Möbel. Meine Augen blieben an dem Fenster hängen. Vielleicht könnte ich etwas von der Umgebung erkennen und einen Fluchtweg planen, doch draußen war alles schwarz.

Also widmete ich mich wieder meinen beiden Entführern, von denen mich einer grinsend, der andere wütend musterte.

„Also eigentlich ist sie ja süß.“

„Ich finde sie eher nervtötend“, sagte der Blonde und ließ sich auf den Stuhl gegenüber von dem braunhaarigen Fallen.

Wütend starrte ich beide an und bemerkte, dass meine Hände zusammengebunden waren. Dann merkte ich den harten Holzboden, auf dem ich saß. Ich wollte aufstehen und weg, doch kaum hatte ich mich hingehockt, konnte ich nicht weiter. Nach der Störquelle suchend blickte ich mich um und sah, dass die Fesseln meiner Hände mit einem kurzen Seil an eine Säule gebunden war. Ich saß dort wie ein Köter.

„Macht das ab!“, sagte ich zu den beiden, die mich beobachteten.

„Damit du wieder abhaust und dich anschließend aufführst wie eine Furie? Vergiss es.“ Gelangweilt stand der Blonde auf und ging zu einem Schrank aus dem er sich eine Tüte Chips nahm.

„Ich sagte du sollst das abmachen!“, schrie ich ihn an, als er an mir vorbei ging.

„Nope.“ Er schmiss die Chips auf dem Tisch und ließ sich lässig nieder und fing an sich mit dem braunhaarigen zu unterhalten, als wäre ich nicht da.

Also fing ich an mir meine Seele aus dem Leib zu schreien. Sofort wandten sich beide zu mir um und ich wusste, dass der Blonde kommen würde um mir den Mund zuzuhalten, wenn ich nichts weiteres unternahm. Deswegen schmiss ich mich auf den Boden und schlug um mich. Den Schmerz der Blutergüsse und den Rest ignorierte ich.

Ich bekam nicht mit, was um mich herum geschah. Doch plötzlich stand er neben mir und ich fasste sein Bein und brachte ihn zum fallen. Meine ganze Wut und scheiß Angst kloppte ich raus, während er versuchte mich festzuhalten.

„Okay!“

Ich erstarrte und schaute in das wütende Gesicht den Blonden.

„Okay?“, fragte ich und schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Nur wenn du versprichst keinen Aufstand zu machen und unternimm ja keine Fluchtversuche. Haben wir uns verstanden?“

Stumm nickte ich.

Er nahm ein Messer von dem braunhaarigen an und schnitt das Seil durch, das mich wie einen Köter an die Säule fesselte.

Dann erhob er sich und half mir wundersamer weise hoch, doch anschließend ließ er mich stehen und setzte sich zu dem anderen Typen, der mich weiterhin betrachtete.

„Hast du Hunger?“

Der braunhaarige Typ schaute mich fragend an und ich ignorierte, das nervige stöhnen von dem Blonden.

Ich machte keine Bewegung sondern blieb an Ort und Stelle stehen.

„Lass sie doch.“

Der braunhaarige drehte sich zu dem Blonden und schaute ihn wütend an.

„Du solltest dich ein bisschen um sie kümmern. Schließlich ist das ganze deine Schuld! Und wenn sie wieder Zuhause ist, werde ich nicht den ärger bekommen, sondern du. Aber bitte, wenn ich dich so nerve, dann kümmere du dich alleine um deinen Geisel.“

„MEINEN Geisel?!“

Nils, der Blonde starrte den braunhaarigen ungläubig an.

„Ja, deinen.“

Das Holz knirschte als der braunhaarige den Stuhl zurückschob und schnellen Schrittes das Zimmer verließ. Dann knallte eine Tür und ich war mit Nils alleine.

„Hast du jetzt Hunger oder nicht?“, hörte ich ihn mit einem genervten Unterton fragen.

Ich musterte ihn von oben bis unten und ignorierte seinen bösen Blick.

„Gut, dann hast du halt keinen Hunger. Also komm.“

Er stand auf und kam auf mich zu. Dabei ignorierte er die Tatsache, dass ich zurückwich und griff nach meinen gefesselten Händen.

„Was hast du vor?“, entfuhr es mir und meine Stimme klang viel zu schwach und ängstlich.

Doch er zog mich einfach mit, durch den Raum auf eine kleine Tür zu und ich bekam solche Angst, dass ich nichts mehr wahrnahm.

Was war hinter dieser Tür? Würde er mich vergewaltigen? Würde er mich umbringen? Ich spürte das widerliche Gefühl, der aufsteigenden Tränen und der unerträglichen Angst. Er bekam von alledem nichts mit.

Dann betrat ich ein Zimmer in dem ein Bett stand. Also doch vergewaltigen, schoss es mir durch den Kopf und der Gedanken, dass mein erstes Mal mit einem Schwerverbrecher sein sollte ließ mich weinen.

Er schloss die Tür und beachtete mich nicht, während er die Bettdecke aufschüttelte.

Ich drängte mich in eine Ecke und beobachtete ihn.

Das Raubtier, das über mich herfallen würde.

„Zieh dich aus.“ Ich verkrampfte mich und spürte das Adrenalin durch meine Blutbahnen schießen. Ich wusste es. Er wollte mich vergewaltigen. Als keine Reaktion von mir kam warf er mir einen kurzen Blick zu, drehte sich wieder weg um mich gleich darauf verwundert anzuschauen.

„Hey, was ist los?“ Seine Stimme hatte sich verändert. Von dem kalten Blonden war nichts mehr da, stattdessen stand ein sorgenvoller Junge mit großem Herz vor mir.

„Bitte vergewaltige mich nicht.“ Ich wusste wie kindisch ich klang, doch ich hatte keine Ahnung wie ich es anders sagen konnte. Ich versuchte also bei einem Schwerverbrecher an das Gewissen zu appellieren. Wie hoch wohl meine Erfolgschancen lagen?

„Hör zu, vielleicht bin ich ein widerliches Arschloch und vielleicht bin ich ein Verbrecher, aber so was würde ich nie tun. Du sollst nur deine dreckigen Klamotten ausziehen.“ Seine Miene wurde sanft und nachdenklich.

Was er nicht wusste war, dass ich mich nicht ausziehen konnte.

Nicht wollte.

Ich hatte überall Blutergüsse.

Das sollte niemand sehen.

Ich schüttelte meinen Kopf und er kam vorsichtig auf mich zu, während er seine Hände von seinem Körper weg hielt und mir so verdeutlichen wollte, dass mir nichts geschah.

„Ich tu dir nichts versprochen.“ Seine Hand glitt zu meiner Wange und wischte eine meiner Tränen weg. Plötzlich waren seinen Augen nicht mehr kalt sondern warm. Es waren die wärmsten Augen, die ich je gesehen habe.

„Ich helf dir“, sagte er leise und löste meine fesseln. Ich konnte mich nicht wehren und so zog er mir mein T-Shirt über den Kopf. Dann blickte er mich geschockt an und ich wusste, was er sah.

Ich hatte überall blaue Flecken und Schmerzen. Und ich wusste auch, dass er wusste, dass die Verletzungen nicht von ihm waren. Vorsichtig glitt er mit einem seiner rauen Finger über meine blaue Schulter. Ich zuckte zusammen, weil mich so noch niemand berührt hatte. Erst Recht kein Verbrecher.

„Wer war das?“

Ich blickte in seine Augen, die jetzt Wut spiegelten, doch ich wusste, dass diese Wut nicht mir galt.

„Niemand“, flüsterte ich und drehte meine Schulter von ihm weg, doch jetzt sah er meinen blauen Rücken.

„Wer hat dir das angetan?“

Ich hörte die Wut in der Stimme und erkannte so etwas wie Sorge, was mir unweigerlich Tränen in die Augen trieb. Niemand machte sich um mich Sorgen. Hatte zumindest noch nie Jemand.

Da spürte ich, wie seine Hand meinen blauen Rücken entlangfuhr und ich wusste, dass er die Blutergüsse musterte.

„Nicht“, versuchte ich kraftvoll zu sagen, doch meine Stimme brach.

Seine Hand hielt inne und er löste sich. Ich hörte wie eine Schubblade geöffnet wurde und Stoffe aneinander rieben. Dann waren da leise Schritte und plötzlich zog er mir, von hinten, ganz vorsichtig ein T-Shirt über den Kopf, wobei er darauf achtete, nicht meine blauen Flecken zu berühren. Als ich mich umdrehte sah ich wie er sich mit starrer Miene in das Bett legte.

Und wo schlaf ich?, fragte ich mich sofort und blieb hilflos in der Ecke stehen.

Sein Gesicht wandte sich zu mir und seine Miene wurde weich.

„Komm, ich beiße nicht.“

Er klopfte, neben sich und lächelte mich leicht an.

Zaghaft ließ ich mich auf dem Bett nieder und rückte ganz nach außen. Ich wollte nicht auf den Boden schlafen. Das würde meinen Blutergüssen nicht helfen. Im Gegenteil.

Dann roch ich sein Deo in der Bettwäsche.

Es war irgendwie stark und doch sanft was mich ziemlich verwirrte.

Ich spürte wie er meinen Fuß an etwas band und ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass er uns zusammen gebunden hatte.

„Nacht“, hörte ich ihn leise flüstern und krallte mich in die Bettwäsche.

Danach war es Still.

Totenstill.

Meine Gedanken kreisten um den weiteren Verlauf der Entführung und meinen Vater. Was er wohl tun würde, wenn ich wieder auftauche. Ich fragte mich wo ich war und wieso ich mit einem Verbrecher im selben Bett schlief.

Damit ich nicht abhaue, antwortete ich mir selber.

Doch er wusste nicht, dass ich gar nicht vorhatte abzuhauen.

Ich wollte sterben.

Dann liefen mir Tränen über die Wangen, doch ich blieb Still dabei. Ich wollte nicht schwach wirken.

Ich konnte diese Nacht nicht schlafen und ich wusste, dass Nils ebenfalls nicht schlafen konnte. Sein Atem ging zu stark und ich hörte wie seine Haare über die Bettwäsche kratzen, wenn er seinen Kopf zu mir drehte und mich musterte.

Sterben.

Das einzige was mich retten konnte.

Es sein denn, plötzlich würde ein Engel auftauchen.

Erwacht


Als ich meine Augen aufschlug starrte ich durch ein großes Glasfenster auf Blätter.

Dort waren unendlich viele Blätter.

Mein Gehirn begann zu arbeiten und allmählich kamen die Erinnerungen zurück. Ich war entführt worden. Ich hatte neben einen meiner Entführer geschlafen.

Augenblicklich schlug ich die Decke um und schaute an mir herunter. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Vielleicht, dass ich nackt und ein kleiner Blutfleck auf dem schneeweißen Lacken zu erkennen wäre. Doch das Lacken war immer noch schneeweiß und ich trug meine Jeans und ein übergroßes T-Shirt.

Ich runzelte meine Stirn und starrte auf das unendliche grün.

Wir waren in einem Wald. Soviel war sicher.

Ich kniff meine Augen zusammen und versuchte etwas durch das Grün zu erkennen, aber das einzige was ich sah, war noch mehr grün.

„Was meinst du? Schläft sie noch?“

Als ich die Stimme hörte, tauchte die Erinnerung an braune Augen auf und es lief mir eiskalt den Rücken runter.

Geschockt starrte ich aus dem Fenster.

Von meiner gestrigen Stärke und somit Kälte, war nichts mehr vorhanden.

Ein leises Quietschen verriet mir, dass jemand die Tür öffnete.

Dann hörte ich die leisen Schritte. Sie kamen immer näher.

Er hockte sich vor mir und seine blonden Haare fielen ihm leicht ins Gesicht.

„Guten Morgen.“ Er lächelte mich vorsichtig an und wollte mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen, doch ich wich zurück.

Er ließ seine Hand sinken und Denkfalten bildeten sich auf seiner perfekten Stirn.

„Alles okay?“

Als Antwort schloss ich meine Augen und versuchte an etwas anderes außer diesen Typen vor mir zu denken.

„Ich ähm…komme später nochmal wieder.“ Dann verließ er das Zimmer.

Meine Augen ließ ich geschlossen.

Vor meinem Inneren Auge sah ich meinen eigentlichen Alltag. Die verwunderten Gesichter über meinen leeren Platz in der Schule.

Denn ich fehlte nie.

Eigentlich.

Ich dachte an das Arschgesicht und sein wütendes Geschrei.

Daran, dass er jetzt niemandem zum Anschreien hatte und er sein Essen selber machen musste.

Und an den Augenblick, in dem ich wieder nach Hause zurückkehren würde.

An den Moment, in dem er mich wieder schlagen würde.

Doch soweit würde ich es nicht kommen lassen.

Diesmal nicht.

Ich wollte sterben und meine Fahrkarte in den Tod befand sich im Zimmer neben an.

Die beiden Typen hatten eine Waffe und ich war mir sicher, dass sie sie benutzen würden, wenn ich versuchen würde abzuhauen.

Doch ich hatte Angst.

Angst vor den kalten Blicken mit denen mich der Blonde mustern würde.

Angst vor den Kommentaren über meine Blutergüsse.

Angst vor der Erklärung.

Angst vor den Sachen, die sie mir antun würden.

Und ehrlich gesagt, hatte ich auch Angst vor dem Tod.

Obwohl es für mich nichts Besseres gab.

Ich versuchte diese Angst zu überspielen, indem ich mich an mein bisheriges Leben erinnerte.

Mein Vater war normal gewesen, zumindest bis meine Mutter abgehauen war.

Mit einem Jüngeren.

Und obwohl ich meine Mutter hasste, weil sie mich zurückgelassen hatte, konnte ich sie verstehen.

Mein Vater hatte sie geschlagen und wie Dreck behandelt.

Ich wäre an ihrer Stelle auch abgehauen.

Ich würde abhauen.

Nur anders.

Und es würde Menschen wehtun, doch darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen.

Ich dachte an Marie und wie sie mir immer geholfen hatte.

Sie vertraute mir, doch ich konnte ihr nicht vertrauen.

Ich vertraute niemandem.

Wieso auch?

Ich wurde nur enttäuscht und vertrauen hieß, verletzt zu werden.

Und Schmerzen hatte ich genug ertragen.

Irgendwann fielen mir erneut die Augen zu.

Ich weiß nicht, ob es an dem Adrenalin lag oder an dem weichen Bett und der kühlen Luft, die von den Bäumen ausging.

Ich träumte nichts.


Als ich wach wurde, sah ich, dass der Himmel rötlich verfärbt war.

Mein Zeitgefühl hatte vollkommen Ausgesetzt.

Mein Blick wanderte zu dem Nachttisch, auf dem ein Teller stand, der liebevoll mit Obst dekoriert worden war.

Doch ich machte keine Bewegung, aus Angst, dass der Blonde mir was antun würde, wenn er merkte, dass ich wach war.

Natürlich wusste ich, dass das ziemlich idiotisch war. Schließlich hätte er mir schon längst was antun können, wenn er es gewollt hätte.

Ich spitze meine Ohren und horchte.

Erst war alles Still.

Doch dann drang Gelächter an mein Ohr. Irgendwie war das Lachen ansteckend und ich musste grinsen, was mich völlig aus dem Konzept brachte.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ich hörte wie das Lachen verstummte.

Ich drehte mich um und schaute in das erschrockene Gesicht des Blonden.

„Könnte mir das irgendjemand abmachen?“ ich deutete auf meinen Fuß, der mit einem Seil an das Bett gebunden worden war.

Er zog seine Augenbrauen abschätzend hoch und betrachtete mich von oben bis unten.

„Und wieso?“

„Weil ich dir sonst ins Bett pinkel und ich sowieso stinke.“

Ein Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit und ich musste auch anfangen zu lächeln. Es war einfach ansteckend.

Er ging lässig zu dem Bettende und löste in aller Ruhe das Seil.

Ich reckte mich und setzte mich langsam auf. Alles drehte sich und ich brauchte einen Moment um den Kopf klar zu bekommen.

„Na komm schon.“

Der drängende Unterton entging mir nicht und der Blonde erntete einen tötenden Blick von mir.

Ich stand auf und folgte ihm aus dem Schlafzimmer in das Wohnzimmer, in dem der nettere von beiden stand und mich grinsend anschaute.

„Morgen Schneewittchen.“

Ich ließ meinen Blick umherschweifen und trat an eines der großen Fenster. Mir stockte der Atem, als ich sah wie viel Abstand zwischen dem Boden auf dem ich stand und der Erde lag.

Sofort wich ich zurück und klammerte mich an die Säule, an die ich gefesselt worden war.

„Keine Angst, sind nur fünfzehn Meter.“

Ich starrte aus dem Fenster und sah meine Fluchtmöglichkeit fliegen.

Ich saß in der Falle.

„Komm, das Klo ist da hinten.“

Ganz langsam konnte ich meinen Blick von dem Fenster abwenden und folgte dem Blonden aus dem Wohnzimmer in ein relativ großes Bad. Es hatte eine große Dusche und erinnerte mich an ein Designerbad.

Alles war aufeinander abgestimmt. Selbst die Handtücher.

Ich trat in die Mitte und sah, dass ein großes Fenster sich direkt neben der Tür befand.

Der Blonde schloss die Tür und schaute mich erwartungsvoll an.

Ich zog meine Augenbrauen hoch und starrte zurück.

Genervt verdrehte er seine braunen Augen.

„Mach schon, ich hab keinen Bock hier ewig zu warten.“

„Was machen?“

„Geh duschen und pinkeln.“

„Erst wenn du raus gehst.“

„Mein Gott, sei doch nicht so prüde ich hab schon genug nackte Frauen gesehen, du hast also nichts, was ich nicht schon gesehen habe und außerdem wird ich dich bestimmt nicht alleine lassen, damit du abhauen kannst.“ Er verschränkte seine Muskulösen Arme vor seiner durchtrainierten Brust und schaute mich leicht angepisst an.

Also verschränkte ich auch meine Arme vor meiner Brust und schaute unfreundlich zurück.

„Vergiss es.“

„Bitte, dann stinkst du eben und machst dir in die Hose.“

Jetzt hatte er einen wunden Punkt getroffen. Ich fühlte mich unwohl. Ich stank und ich musste ganz dringend auf die Toilette.

Ich kniff meine Lippen zusammen und suchte fieberhaft nach einer Lösung.

„Umdrehen“, sagte ich schließlich und fixierte ihn.

Er stöhnte genervt auf, drehte sich aber um und starrte auf die Tür.

Schnell ging ich auf die Toilette und war froh, dass ich nur pinkeln musste. Alles andere wäre mir peinlich gewesen.

Ich zog die Spülung und wusch mir die Hände. Und dann war ich verunsichert. Sollte ich mich jetzt wirklich ausziehen? Er hatte mich schon halbnackt gesehen. Zu mindestens obenrum. Aber das hier war wieder was anderes.

Ich biss mir auf die Lippe und drehte mich schließlich mit dem Rücken zu ihm.

Ich streifte mir das durchgeschwitzte T-Shirt über meinen Kopf und warf einen Blick nach hinten um mich zu vergewissern, dass er auch wirklich nicht schaute.

Ohne ihn aus den Augen zu lassen, machte ich meine Hose auf und zog sie aus.

„Macht’s dich an, dass ein Typ dabei ist, während du dich ausziehst oder weswegen lässt du mich nicht aus den Augen?“

Meine Augen weiteten sich und an seiner Stimme hörte ich, dass er gemein grinste.

Woher wusste er, dass ich ihn anschaute?!

Meine Augen suchten das Bad ab und dann sah ich das Dilemma.

An der Tür war ein Spiegel angebracht, der teilweise von Handtüchern verdeckt wurde, sodass man ihn beim ersten Blick nicht sehen konnte.

Er musste bemerkt haben, dass ich den Spiegel entdeckt hatte, denn er hob seine Hand und winkte gemein grinsend in den Spiegel.

Meine Hand griff nach der Seife, die auf dem Waschbecken stand und schleuderte in seine Richtung.

„Arschloch!“, schrie ich, doch die Seife prallte nur gegen die Tür, die gerade ins Schloss gefallen war und ich hörte wie er hinter der Tür zusammenbrach und einen Lachanfall bekam.

Das würde noch Rache geben, schwor ich ihm innerlich und beeilte mich schnell unter die Dusche zu kommen.

Schließlich wusste ich nicht, ob der Typ mir immer noch zuschaute. Und bei Verbrechern weiß man ja nie…

Gesülze


Ich stand vor dem Spiegel und föhnte meine langen braunen Haare trocken, als die Tür aufgedrückt wurde und der Blonde sich, wie selbstverständlich auf den Toilettendeckel setzte und mich beobachtete.

Ich schnaubte wütend und kämmte noch einmal meine Haare, bevor ich den Föhn ausschaltete.

Dann wandte ich mich zu ihm, hielt das Handtuch eng an meinen Körper gepresst und starrte ihn wütend an.

„Bekomme ich jetzt ein paar Klamotten?“

„Also ich kann mit diesem“ ,er betrachtete mich von oben bis unten, „Anblick durchaus Leben.“

„Wenn du nicht willst, dass ich dieses Bad zerlege und den Rest der Hütte, gibst du mir jetzt was zum Anziehen!“

Doch er bewegte sich nicht.

Er saß einfach da und betrachtete mich grinsend.

„Hier.“

Ich wirbelte herum und starrte den braunhaarigen an, der mir frische Klamotten hinhielt.

„Danke“, sagte ich leise und nahm die Sachen entgegen.

Aus dem Augenwinkel sah ich wie der Braunhaarige dem Blonden einen bösen Blick zu warf.

Plötzlich hielt er mir seine Hand hin und lächelte mich an.

„Ich bin übrigens Ben.“

Ich schaute auf und betrachtete das Gesicht, das mich freundlich anschaute.

Seine Augen waren blau und strahlten mich an.

Zaghaft nahm ich seine große Hand und schüttelte sie leicht.

„Franziska.“

Hinter mir schnaubte wer verächtlich und Ben verdrehte genervt die Augen.

„Und der Miesepeter da hinten nennt sich Nils.“

Ich drehte meinen Kopf zu Nils, der uns angepisst anschaute.

„Machen wir jetzt Gruppenkuscheln oder was?“

„Ich werde sie nicht behandeln wie eine Geisel Nils.“

„Aber du musst ihr doch nicht gleich Honig um den Mund schmieren!“

„Ignorier ihn einfach“, sagte Ben an mich gewandt und ich nickte nur stumm.

„Hast du Hunger?“

„Ja ein wenig“, gab ich zu und fasste langsam vertrauen.

„Okay, zieh dich an und dann gibt’s Abendessen.“

Er lächelte mich an und verließ das Bad.

„Was für ein Schleimer,“ hörte ich Nils hinter mir.

Ich drehte mich um und hielt das, viel zu kurze, Handtuch fest.

„Raus.“

„Nein.“

„Doch.“

„Ich gehe nicht.“

„Und ob du gehen wirst.“

„Vergiss es.“

„VERDAMMT NILS BEWEG DEINEN ARSCH AUS DEM BAD!“ Wir zuckten beide zusammen, als Bens Stimme unsere Auseinandersetzung unterbrach.

Nils schnaubte und verließ das Bad, aber nicht ohne noch einmal die Tür zu zuknallen.

„Arschloch“, flüsterte ich und schlüpfte schnell in die frischen Sachen, die Ben mir gegeben hatte. Es war eine röhren Jeans,(die eindeutig für Damen war, denn sie war hauteng!)und ein Pullover, der mir viel zu groß war.

Langsam trat ich aus dem Bad und schaute mich vorsichtig um und sah eine Tür ungefähr fünf Meter von mir entfernt.

Ob man da nach draußen kam?

„Hier hinten.“

Mein Kopf schnellte herum und ich sah in kalte braune Augen.

Langsam nervte sein Anblick mich.

Ich ballte meine Hände zusammen und stolzierte an Nils vorbei, direkt in das Wohnzimmer, in dem es verdammt lecker roch,

„Ich hoffe du magst Lasagne“, sagte Ben zu mir und lächelte mich nett an.

Ich beschloss ihm zum coolsten Entführer der Welt zu küren. Ich meine, wer bekommt schon Lasagne, wenn er entführt worden ist?

„Ich liebe Lasagne“, betonte ich und setzte mich an den großen Massivholztisch, der schön Gedeckt war.

„Ich kotze gleich. Euer geflirte ist echt wiederlich“, mischte sich dieser Vollidiot namens Nils ein und ließ sich auf den Platz neben mich fallen. Von dem netten Typen von gestern (oder wann auch immer) war nichts mehr zu erkennen.

„Sobald man nett zu einem Mädchen ist, flirtet man mit ihr?“, fragte Ben lachend.

„Das ist die weibliche Spezies, aber davon verstehst du eh nichts Ben.“

„Meiner Meinung nach versteht Ben mehr von der weiblichen Spezies als du.“

„Och nein wie Süß.“ Nils verdrehte seine Augen und schaute mich arrogant an.

„Das kleine Entführte Mädchen spricht mit uns und hat eine Meinung“, sagte er mit einer gespielten Stimme, die wahrscheinlich an eine Mama erinnern sollte.

„Lieber ein kleines Entführtes Mädchen mit einer Meinung als ein Neandertaler ohne Hirn“, fauchte ich zurück und sah wie sein Gesicht sich verzog.

Verdammt.

Ich hatte ihn wütend gemacht.

Der Stuhl knallte um und plötzlich stand er vor mir und stütze seine Hände auf meiner Stuhllehne ab.

„Ich bin also ein Neandertaler ohne Hirn für dich?“

Sein heißer Atem streifte über meine Haut und ich bekam Angst.

Richtige Angst.

„Lass sie Nils.“

„Wieso sollte ich Ben?“ fragte er ohne seinen Blick von mir abzuwenden.

Und ich starrte wieder in kalte braune Augen.

Ich hasste es.

Die Angst.

Diese Augen.

Und ihn.

Vollkommen unerwartet drehte er sich um und setzte sich auf die Couch.

Ich starrte auf meinen Teller und versuchte den Adrenalin Stoß zu kontrollieren.

Im Hintergrund fing ein Reporter an zu reden und ich wusste, dass Nils den Fernseher angeschaltet hatte.

Ich brauchte meinen Kopf nichtmal zu drehen um zu erraten worüber sie berichteten, denn ich sah Bens Blick aus dem Augenwinkel.

„…Nach der schrecklichen Entführung der jungen Franziska Meyer läuft die Fahndung auf Hochtouren. Die Polizei stuft die Verbrecher als hochgefährlich ein. Der Vater von Franziska hat sie eben mit einer Videobotschaft an die Bevölkerung gewendet.“

Der Sprecher stoppte und dann ertönte diese Stimme.

Die Stimme die ich hasste.

Die ich verachtete.

Vor der ich fliehen wollte.

„Ich flehe sie alle da draußen an, helfen sie mir meine Tochter wieder zu finden. Es war nicht Gerecht, dass man sie mir einfach so genommen hat. Sie hat doch nichts getan! Bitte bringen sie mir meine Tochter zurück!“

Das gesülze von meinem Vater stoppte.

Ich verkrampfte meine Hände, sodass meine Knöchel weiß wurden.

Meine Fingernägel bohrten sich in meine Haut und ich merkte den Schmerz, die Wut, den Hass und die Einsamkeit in mir aufsteigen.

Doch ich durfte nicht heulen.

Nicht hier.

„Alles okay?“

Die Stimme von Ben durchdrang meine Gedanken, doch ich blieb angespannt.

„Ja“, sagte ich und bemerkte, wie meine Gefühle verschwanden und in den Untergrund wanderten.

Trotzdem konzentrierte ich mich weiterhin auf den Teller und bemerkte nicht ,wie Nils mich nachdenklich musterte.

Rabenschwarze Nacht

Wie in Trance stand ich auf und bemerkte nicht, dass meine schweren Beine mich Richtung Bett trugen.

„Wo willst du hin?“

Die Worte von Ben rissen mich aus meinen Gedanken und ich zuckte zusammen.

„Bett“, flüsterte ich leise und erneut machten meine Beine sich selbstständig.

Ich wusste, ich würde mich nicht lange auf den Beinen halten können.

Dazu war ich in diesem Moment einfach nicht im Stande. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken umher und vernebelten mir die Sinne.

Ich bemerkte nicht wie ich die Tür öffnete und mich aufs Bett fallen ließ.

In meinem Kopf drehte sich alles und mir war übel.

Obwohl ich Kilometer weit weg von meinem Vater war, roch ich sein stinkendes Parfüm. Es war als würde es von jedem Gegenstand ausgehen und mich quälen wollen. Ich griff nach irgendetwas, was ich mir vor die Nase halten konnte und erwischte ein Kissen. Doch selbst das konnte den Geruch von ihm nicht aus meinen Gedanken verdrängen.

Ich drehte mich auf den Bauch und spürte die einzelnen Blutergüsse, doch es kam mir so vor, als würden diese sich über meinen Körper verteilen und in meine Knochen dringen.

Ich wollte schreien.

Ich wollte heulen.

Ich wollte sterben.

Und ohne dass ich es bemerkt hatte, liefen mir heiße Tränen die Wangen herunter und sogen sich in das Kissen.

Plötzlich waren sie wieder da.

Die Erinnerungen an die Nacht.

An die ganzen Nächte.


Ich lag allein in meinem Bett und kuschelte mit meinem Teddybären, den ich von meiner Mama dieses Jahr zu meinem siebten Geburtstag bekommen hatte.

Mein Fenster war einen Spalt weit auf und die warme Sommerbrise umspielte mein Gesicht und wirbelte meine Vorhänge durcheinander.

Ich drehte mich auf die Seite und erkannte die Umrisse des Mondes am Himmel.

Ob er wohl aus Käse gebaut ist?

Ich überlegte mir wie der Käse vom Mond wohl schmecken würde, wenn man ihn kaufen und essen könnte.

Vielleicht würde er wie ganz normaler Käse schmecken.

Ich schloss meine Augen und stellte mir vor, wie ich auf dem Mond wäre und Käse mit meiner Mama zusammen essen würde.

Meine Mama war toll. Ihr Lachen klang wie ein Glockenspiel und sie roch nach Lavendel.

Ihre Augen waren strahlend blau und sie glänzten, wenn sie sich für mich freute.

Doch am meisten mochte ich ihre langen braunen Haare.

Solche wollte ich auch haben und deswegen kam sie jeden Abend zu mir ins Zimmer und kämme sie mit einer Haarbürste von ihrer Mutter.

Irgendwann würde ich so wundervolle Haare haben.

Und wenn das sein würde, würden wir beide weggehen.

An die Nordsee.

Oder an die Karibik.

Einfach nur weg an das Meer.

Dort wo die Freiheit ist.

Ich rollte mich auf den Rücken und dachte an die Wellen, die leise brachen und die Gicht die bei einem Sturm wild umherspritze.

Doch ich konnte meine Gedanken nicht zu Ende bringen.

Ich wurde aus dem Paradies in meinem Kopf gezogen als ich wieder die Schreie meiner Mutter hörte.

Ich kniff meine Augen zusammen und presste mir die Hände auf die Ohren.

Ich wollte sie nicht wieder streiten hören. Ich wollte nicht, dass er sie wieder schlägt.

Er sollte weg.

Er sollte meine Mama in Ruhe lassen.

Eine Vase zerbrach und irgendetwas Schweres war umgeworfen worden. Wahrscheinlich ein Stuhl.

Dann hörte ich die Schritte meiner Mutter auf der Treppe.

Und ihr schluchzten.

Sie stürmte nach oben und schloss die Schlafzimmer Tür ab.

Das tat sie nur, wenn er sie geschlagen hatte. Das wusste ich genau.

Ich öffnete meine Augen und schaute an die weiße Decke.

Ganz langsam nahm ich meine Hände von meinen Ohren, doch es war still.

Wie immer.

Als wäre ein Sturm über unser Haus gefegt und hätte nur das Leid und die Trauer hier gelassen.

Ich schloss meine Augen und versuchte den Gedanken an meinen Vater und an meine Mutter zu verdrängen.

Ich schaffte es und schlief ein.

Doch nicht lange.

Ich spürte eine Hand unter meinem Schlafanzug.

Ich öffnete meine Augen und schaute in das Gesicht meines Vaters.

Es fühlte sich komisch an.

Ich wollte das nicht.

Papa, lass das.“

Sei Ruhig.“

Papa ich will das nicht!“ Ich nahm meine gesamte Kraft zusammen und versuchte seine Hände Wegzuschieben, die sich mittlerweile in meiner Unterhose befanden.

Ich strampelte und wehrte mich.

Und das fand er nicht gut.

Das fand er gar nicht gut.

Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz auf meiner Wange.

Seine Hand hielt er immer noch in der Luft.

Er hatte mich geschlagen.

Ich wollte schreien, um Hilfe brüllen, doch er hielt mir den Mund zu.

Ich war hilflos. Schwach. Alleine.

Also ließ ich es über mich ergehen.

Ich weinte nicht.

Kein einziges Mal, wenn er es Tat.

Ich weinte, wenn er weg war.

Wenn ich alleine in meinem Bett lag, dass nach ihm roch und versuchte die Erinnerungen und die Schmerzen zu verdrängen.

Dann drückte ich mir ein Kissen, meiner Mutter ins Gesicht und heulte.

Doch nie hörte es jemand.

Nie erkannte jemand dieses Schwein.

Nie.


Und jetzt lag ich wieder so auf einem Bett und drückte mir ein Kissen an das Gesicht.

Wieder war ich alleine und wieder war ich schwach.

Ich versuchte Ruhig durchzuatmen.

Versuchte die Tränen zu unterdrücken.

Doch es gelang mir nicht.

Stattdessen konzentrierte ich mich auf meine Umgebung. Auf die Geräusche die ich hören konnte.

Da war der Wind. Das Rascheln der Blätter und die Stimmen die aus dem Fernseher drangen.

„Wieso bist du so nett zu ihr?“

Die Stimme durchbrach die Stille, die hier geherrscht hatte.

„Weil du so ein Riesenarschloch bist Nils, deswegen.“

Das war Ben und er schien wütend zu sein.

Ich konzentrierte mich genauer auf die Stimmen und blendete den Rest aus.

„Wieso bin ich plötzlich das Riesenarschloch? Gestern warst du doch noch der Mistkerl!“

„ Merkst du nicht, wie fertig sie das hier macht? Wie fertig DU sie machst?!“

Dann war es still.

Und dann fing Nils an zu lachen.

Ganz plötzlich.

Als hätte er sein Leben lang nicht mehr gelacht.

Und es klang ehrlich.

Diese Erkenntnis verwunderte mich.

Wie konnte das Lachen eines Gangsters ehrlich klingen?

„Du denkst sie ist wegen mir so fertig?!“

„Ja!“

Jetzt klang Ben noch wütender. Doch in seiner Stimme schwang ein Hauch Verwunderung mit.

Gefühlte fünf Minuten hielt dieses herrliche Lachen an, dass mich beruhigte, sodass ich aufhörte zu weinen und die grauenvollen Erinnerungen glitten wie von selbst, in den Nebel des Vergessens zurück.

Dann beruhigte er sich langsam und schnappte nach Luft.

„Glaub mir eins Ben, wir, oder ich, sind nicht der Grund für ihren Zustand.“

„Ach und was dann?“

Ich spürte wie meine Muskeln sich anspannten und mein Herz anfing zu rasen.

Adrenalin schoss durch meine Blutbahnen.

Ich hatte alles bis jetzt versteckt halten können, und nun sollte ein Verbrecher, alles innerhalb von Stunden rausgefunden haben?

Unmöglich.

Doch trotzdem war ich aufgeregt, und als er antwortete, legte sich meine Verwunderung oder Neugier nicht.

Stattdessen, schlug sie teilweise in Wut um.

„Das erkläre ich dir, wenn der passende Moment da ist“, hörte ich Nils sagen.

Dann ertönten leise Schritte und ich hörte wie eine Tür geöffnet und geschlossen wurde.

„Was für ein Vollidiot“, murmelte Ben vor sich hin, doch ich hörte es.

Und mit ein bisschen Wut im Bauch, weil ich nicht wusste, was er wusste, schlief ich wieder ein.


Braune Augen


Ich spürte etwas Feuchtes, Kühles an meiner Wange.

Verwirrt öffnete ich die Augen und schaute in braune, große Hundeaugen, die mich gespannt anstarrten.

Doch ich war zu müde um vor Schreck weg zurücken. Stattdessen starrte ich zurück und erkannte einen braunen Labrador der direkt neben dem großen Bett stand und aufgeregt war vor Neugierde.

Vorsichtig hob ich meine Hand und hielt sie dem Hund hin.

Er schnüffelte begeistert dran und fing an aufgeregt mit dem Schwanz zu wedeln.

„Was bist du denn für ein Süßer?“, flüsterte ich dem Hund zu und fing an sein glänzendes braunes Fell zu streicheln.

Der Labrador fing an wie verrückt auf der Stelle hin und her zu laufen und beobachtete jede meiner Bewegungen mit seinen warmen braunen Augen.

„Verdammt Brownie, wo bist du?!“

Mein Blick wanderte zur Tür, genauso wie die Augen des Labradors.

Ganz sacht wurde die Tür einen Spalt weiter aufgestoßen und Nils’ Kopf kam zum Vorschein.

„Hab ich dir nicht gesagt, du sollst im Wohnzimmer bleiben?“, fragte er den Hund angenervt, doch in seiner Stimme schwang so etwas wie Vertrauen mit, was mich verwirrte.

Er durchquerte das Zimmer und kniete sich vor den Labrador, der nun noch aufgeregter war und begeistert anfing Nils’ Gesicht abzulecken.

Schüchtern zog ich meine Hand zurück und starrte auf Nils, meinen Entführer, der mit einem braunen Labrador kuschelte, als wären sie Brüder.

„Tschuldigung, ich hab ihm extra gesagt, er soll dich nicht wecken, aber er konnt’s mal wieder nicht lassen.“

Nils entschuldigender Blick wanderte zu mir, während er mit den Händen den Hund davon abhielt, ihn noch mehr abzuschlabbern.

„Kein Problem.“

Ein kleines Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit, was sofort auf das Gesicht von Nils überzugehen schien.

Sein Blondes Haar war zerzaust und fiel strubbelig.

Seine braunen Augen erinnerten mich an den lieben Labrador und in diesem Moment, war er nicht das Riesenarschloch von Entführer, sondern einfach nur ein netter, süßer Typ.

„Das ist übrigens Brownie.“

Er deutete auf den braunen Labrador der nun anfing wild im Zimmer umher zu springen.

„Er, ähm, ist normalerweise nicht so krank“, erklärte er mir, während der Hund einer Fliege nachjagte.

„Ach laber doch keine Scheiße Nils, der Köter hat einen an der Birne.“

Mein Blick wanderte zur Tür, wo Ben nun frech grinsend den Kopf schüttelte.

„Der Hund ist einfach nur sehr lebhaft.“

Nils stand auf und wischte sich mit dem Ärmel durch das Gesicht.

„Igitt. Hundesabber.“ Angewidert zog er eine Grimasse und ignorierte Bens lachen.

„Was ist es diesmal? Kalbsleber mit Möhre oder Huhn mit Böhnchen?“

Nils schnüffelte einmal an seinem Ärmel und kräuselte seine Nase.

„Eindeutig Kalbsleber mit Möhre.“ Sagte er sicher zu Ben.

„Ihr entschuldigt mich, das Wasser und die Seife aus dem Bad ruft mich.“

Nils drängelte sich an Ben vorbei und verschwand in dem kleinen Gang, der Richtung Badezimmer ging.

Während Ben und ich Nils nachschauten, sprang Brownie aufgeregt auf mein Bett und kroch unter die Bettdecke.

„Brownie raus da.“ Hörte ich Ben sagen, der jetzt vor dem Bett stand und die Bettdecke anhob.

Brownie kroch neben mir die Bettdecke hoch und lugte mit seinen braunen Augen darunter hervor.

„Hey Kleiner, ich sagte du sollst da raus.“

Die Augen des braunen Labradors schienen noch größer zu werden und er fing an zu fiepen.

„No Chance. Aus dem Bett mit dir!“

„Lass ihn doch.“

Ich war selber über die Kraft in meiner Stimme überrascht, als ich sprach, da ich vor wenigen Stunden noch so geweint hatte.

Bens Blick wanderte zu mir und er musterte mich nachdenklich.

„Du bist auch nicht diejenige beziehungsweise derjenige, der mit diesem Viech im Bett schlafen muss.“

„Ich hab da kein Problem mit.“

Ben zog seine Augenbrauen in die Höhe.

„Du bist, aber bald wieder Zuhause, also musst du das nicht so lange ertragen wie ich.“

„Stell dich doch nicht so an. Guck doch mal wie süß er ist.“

Vorsichtig streichelte ich den Kopf von dem wunderschönen Hund, der seinen Kopf ablegte und mich anguckte.

„Er stinkt!“

„Und du nicht, wenn du nicht duschen gehst oder was?“

„Er frisst eklige Sachen!“

„Sushi ist auch eklig.“

„Es ist ein Hund, der braucht kein Bett. Der hat ein Körbchen!“

„Du bist ein Mensch und solltest von Natur aus in Höhlen schlafen!“

„Er ist kein intellektuelles Wesen!“

„Und du schon?“

Kaum hatte ich diese drei Wörter gesagt, ertönte das schallende Gelächter von Nils.

Ben und ich wandten uns um und sahen, wie der Lachende sich an dem Türrahmen festhielt.

„Da hat sie Recht Ben, du bist kein intellektuelles Wesen“, presste er zwischen den Lachen hervor und fing an sich den Bauch zu halten.

„Sagt der Neandertaler unter uns“, konterte Ben und fing nun ebenfalls an zu lachen.

Ich saß vollkommen durcheinander auf dem Bett und betrachtete meine beiden Entführer, die sich vor Lachen krümmten, was ich nicht ganz verstand, aber das ist wahrscheinlich das Y Chromosom, was bei den beiden zum Vorschein kam!

Brownie lugte immer noch so süß unter der Decke hervor und ich guckte wahrscheinlich wie eine Kuh, während sich die beiden wieder beruhigten.

„Also Ben“, setzte Nils an, als er wieder zu Atem gekommen war „das sind zwei gegen einen. Der Hund darf ins Bett.“

„Sie ist unser Geisel! Seit wann haben die ein Stimmrecht?“

„Seitdem du Geisel wie Gäste behandelst.“

„Ach ihr könnt mich doch mal“, sagte Ben spielerisch angepisst und verschwand aus dem Schlafzimmer.

Immer noch grinsend, lehnte Nils an dem Türrahmen und schaute mich an.

„Tja Brownie, wir haben gewonnen.“

Langsam ging Nils um das Bett herum und setzte sich auf den Bettrand.

Der Labrador stand augenblicklich auf und kuschelte sich an Nils.

„Tja, jetzt musst du die Nächte vorerst nicht mehr alleine in deinem Körbchen verbringen.“

Er warf einen Blick zu mir und kraulte den Hund hinter den Ohren, der daraufhin seinen Kopf in Nils schoss vergrub.

Ein Sonnenstrahl fiel durch die Baumkronen und strahlte die beiden an, was den Kontrast zwischen den beiden noch deutlicher machte.

Zum einen war da, der braune große Hund, der verspielt und lieb war, und dem entgegen stand mein Entführer, der eiskalt war und ein Gangster.

Schlecht sah er nicht aus und so langsam Begriff ich, wieso so viele Mädchen ihn toll fanden.

Er hatte eine perfekte Haut, die seine markanten und zugleich sanften Gesichtszüge unterstrichen. Wobei so was in Kombination normalerweise nicht möglich war.

Doch das alles war nicht der größte Unterschied.

Der größte Unterschied waren die Augen.

Sie hatten dieselbe Farbe, aber doch waren seine kalt und herzlos, während die des Hundes von Liebe und Vertrauen nur so zu trotzen schienen.

Wie konnten die Beiden sich nur so gut verstehen, wenn sie doch so unterschiedlich waren?

Hieß es nicht, dass Hunde den wahren Kern des Menschen erkennen?

Wieso also, liebte dieser Hund diesen Entführer. Dieser wusste doch bestimmt nicht was Vertrauen, Zuneigung, geschweige denn Liebe hießen.

Für ihn waren das wahrscheinlich nur unbedeutende Begriffe, die im Alltag der normalen, der schwachen Menschen vorkam.

Begriffe die in meinem Alltag vorkamen.

Mit einem Schlag brach erneut die Hilflosigkeit und die Einsamkeit über mich herein und ich musste mich zusammenreißen um nichts zu zeigen.

„Hast du geweint?“

Ich zuckte zusammen und starrte den blonden Jungen vor mir an.

„Was?“

„Ob du geweint hast“, wiederholte er seine Frage mit einem leichten Grinsen auf dem Gesicht.

„Wie kommst du darauf?“, erwiderte ich voller Verwunderung und betete, dass es mir nicht zu sehr anzusehen war.

Er öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, hielt jedoch an und schloss ihn wieder.

Einen endlosen Moment saßen wir uns gegenüber und musterten den jeweils anderen.

„Ich an deiner Stelle hätte geweint.“

Seine Stimme war fest und so wie er es sagte, klang es wie eine Provokation, was von der Tatsache unterstrichen wurde, dass er mich fest im Blick hatte.

„Ich weine nicht.“

Er nickte leicht und betrachtete mich von oben bis unten.

„Na dann.“

Er stand auf und ging um das Bett herum Richtung Tür, während ich ihn mit meinen Augen folgte.

Er griff die Türklinke und drehte sich zu mir um,sein Blick blieb jedoch an Brwonie hängen.

„Danke.“

Meine Augenbrauen schossen in die Höhe und ich dachte, ich hätte eine Halluzination.

„Wofür?“

„Dank dir, darf Brownie hier oben pennen.“

Ein Lächeln umspielte seine Lippen und sein Blick blieb an mir haften, bevor er sich umdrehte und das Zimmer verließ.

Wie vom Blitz getroffen saß ich da und starrte die Tür an, die sich mit einem Leisen klicken schloss.

War in seinen Augen gerade etwas anderes als Kälte gewesen?

Hatte ich da so was, wie Wärme und Vertrauen gesehen?

Ich spürte wie Brownie sich neben mich setzte und seinen Kopf in meinen Schoss legte.

Mein Blick wanderte zu dem brauen Labrador der mich wieder mit seinen Augen anschaute und plötzlich sah ich, dass die Augen gar nicht so unterschiedlich waren…

Echtes Lachen

Vorsichtig rutschte ich zum Bettrand und ließ meine Beine vom Bett gleiten.

Sie fühlten sich schwer an und ich spürte immer noch die Erschöpfung in meinen Knochen.

Die Erinnerung war scheinbar schlimmer gewesen, als ich gedacht hatte. Ich fuhr mir mit einer Hand über das Gesicht und wuschelte mir einmal durch die Haare, in der Hoffnung, dass ich etwas wacher werden würde.

Vorsichtig stand ich auf und um mich herum fing sich alles an zu drehen. Ich stolperte zur Seite, schloss meine Augen und stütze mich an der Wand, als Brownie plötzlich anfing zu heulen.

Die Zimmertür wurde aufgerissen und ich spürte starke Arme um meiner Taille.

„Alles ok mit dir?“, ertönte Nils Stimme neben meinem Ohr.

„Ja“, nuschelte ich und öffnete meine Augen als das Schwindelgefühl nachließ.

Und dann sah ich sie.

Diese braunen Augen, die kein bisschen kalt wirkten.

Sie waren wie die Augen des Labradors.

Wundervoll warm und vertraut.

„Na komm. Ich bring dich ins Wohnzimmer und dann isst du erstmal was. Seit du hier bist hast du ja fast gar nichts gegessen, geschweige denn getrunken.“

Ich spürte wie ich den Boden unter meinen Füßen verlor und an eine starke Brust gelehnt wurde.

Doch es war nicht ruckartig und mein Schwindelgefühl nahm nicht zu, im Gegenteil, es war als würde ich fliegen.

Also ließ ich meinen Kopf auf seine Schulter gleiten und schloss noch einmal meine Augen, während ich seinen Geruch einatmete.

Ich merkte wie er mich gekonnt, durch die Wohnung trug und dann spürte ich auch schon die weiche Couch unter mir.

Ich setzte mich gerade ein wenig auf, als Brownie neben mir auf die Couch hüpfte und mich mit großen Hundeaugen anstarrte. Hinter mir ertönte das Geräusch einer Kaffee Maschine und wie aus dem Nichts saß Nils neben mir und hielt mir einen Teller mit einem geschnittenen Apfel hin.

„Kaffee kommt gleich.“

Ich nahm den Teller und mir lief das Wasser im Mund zusammen, als ich den frischen Apfel sah. Ich nahm rasch ein großes Stück und begann es gierig zu essen. Es war ein wundervolles Gefühl und erst jetzt bemerkte ich wie hungrig ich war.

„Möchtest du Pizza?“, hörte ich Nils hinter mir fragen.

„Ja“, antwortete ich eilig mit vollem Mund und vernahm ein leises Lachen von ihm.

„Margarita geht klar?“

Diesmal nickte ich nur schnell stumm und as eilig weiter, was ich hätte unterlassen sollen, denn mir wurde sofort wieder Schwindelig. Ich kniff meine Augen zusammen und lehnte mich gegen die Couch.

„Ganz Ruhig. Ich werde dich schon nicht verhungern lassen.“

Er hielt mir einen frischen, ziemlich starken Kaffee unter die Nase, sodass ich gar nicht anders konnte als meine Augen zu öffnen und gierig zu trinken. Die Tatsache, dass der Kaffee brühend heiß war interessierte mich nicht. Ich kam mir vor als hätte ich seit Wochen nur Salzwasser getrunken.

Der Kaffee wurde mir sanft entrissen und ich schaute in ein Gesicht, das sich nicht entscheiden konnte, ob es belustigt oder geschockt wirken sollte. Während mein Entführer weiter sein Mienenspiel spielte nahm ich erneut den Kaffee und trank ihn ganz aus.

Ich gebe zu, Kaffee war nicht der beste Durstlöscher, doch weitaus besser als nichts.

Nach Atem ringend, nach meiner Kaffee-Runter-Kipp-Aktion, spürte ich wie Nils die Tasse nahm. Mein Blick wanderte zu ihm und ich sah wie er die Tasse umkippte und kein Tropfen mehr herauskam.

„War der nicht etwas heiß?“

Ich zuckte mit den Schultern und leckte mir einmal um die Lippen, bevor ich mich wieder den Äpfeln zuwandte.

„Noch Durst?“

Wieder nickte ich nur, doch diesmal nicht ganz so hektisch, weil ich keine Lust auf einen erneuten Schwindelanfall hatte. Der Blonde mit den braunen Augen stand auf und bewegte sich Richtung Küche. Ich hörte das zischen einer Wasserflasche, was mich sofort noch durstiger machte. Brownie hatte seinen Kopf derweil auf meinen Schoß gelegt und schlief.

Sacht fuhr ich mit meinen Fingern über seinen Kopf und betrachtete, den schönen Hund.

„Er ist nicht vom Züchter.“

Mein Kopf fuhr herum und ich suchte nach Nils, der sich langsam, mit einer Wasserflasche, neben mich setzte.

„Nicht?“

Leicht grinsend schüttelte er den Kopf und fing nun ebenfalls an den Hund zu streicheln.

„Ich hab ihn mal an einer Straßenecke aufgetrieben und der Kleine wollte mich einfach nicht in Ruhe lassen, also hab ich ihn Kurzerhand mitgenommen. Du hättest Bens Gesicht mal sehen sollen, als ich plötzlich mit einem Hund aufgelaufen bin.“

„Mag Ben Hunde nicht oder was?“

„Ich mag große Hunde nicht.“

Lässig schlenderte Ben in das Zimmer und ließ sich auf einen Sessel nieder.

„Wieso magst du große Hunde nicht?“

„Weil er mal von einem großen Hund in den Arsch gebissen wurde, nachdem er ihm schlauerweise den Knochen geklaut hatte.“

Ein Kissen flog durch das Licht durchflutete Zimmer und traf Nils direkt am Kopf.

„Du sollst nicht soviel Scheiße labern Nils!“

„Das war die reine Wahrheit!“

„Nein, du hast vergessen zu erwähnen, dass ich den Knochen vorher gefunden habe und dieser blöde Hund ihn mir weggenommen hat!“

„Und wieso magst du nur kleine Hunde?“

„Weil er die zusammen hauen kann, wenn sie ihn beißen wollen. Bei den Großen traut er sich nicht.“

„Ach und wer suchst sich nur die schwachen Ladies aus, weil er schiss hat sie nicht abservieren zu können?“

Nils deutete mit dem Zeigefinger auf Ben, der nun siegessicher in seinem Sessel saß und grinste, während Nils sein Gesicht zu einer anklagenden Grimasse verzog.

„Der war unter der Gürtellinie.“ Äußerte Nils seinen Unmut über Bens Kommentar.

„Sogar Wortwörtlich“, warf ich ein und musste loslachen, als Ben und mein Blick sich trafen und wir die Zweideutigkeit erkannten.

Vollkommen verdattert saß Nils neben uns und seine Augen hüpften nur so hin und her zwischen Ben und mir. Denn ,während Ben sich kaum noch auf dem Sessel halten konnte, was mich unweigerlich noch mehr zum Lachen brachte, hielt ich mir den Bauch vor Lachen.

Und ich Lachte. Das erste Mal seit Jahren war ich wieder richtig am Lachen.

Ich spürte wie untrainiert meine Bauchmuskeln waren, doch es interessierte mich nicht, denn dadurch dass ich merkte wie ich echt lachte, fühlte ich mich noch glücklicher. Noch besser.

Irgendwie tat es gut hier zu sein. In dem Wald mit den Tieren und ohne meinen Vater.

Mein Spruch war nicht sonderlich lustig gewesen, doch er hatte etwas in mir gelöst, etwas, was mich gefangen gehalten hatte.

Es war die Angst und die Verzweiflung.

Ich wusste, dass es wiederkehren würde, doch ich hoffte dass es dauerte. Auf die Einsamkeit und den Schmerz konnte ich liebend gern verzichten. Also klammerte ich mich an mein Lachen und hielt es fest wie ein Rettungsseil, das mich aus der Tiefe ziehen könnte. Aus dem Strudel der Einsamkeit, obwohl ich wusste, dass das Seil wieder reißen würde. Doch diesen einen Moment konnte ich es genießen. Diesen einen Moment lebte ich. Dieser eine Moment brachte mich jedoch nicht von meinem Vorhaben ab. Es war schließlich nur ein Moment und nicht mein ganzes Leben. Und dieser Moment war vergänglich. Genau wie mein Leben. Ich musste nur sterben. Mehr nicht.

Und das war mein Ziel. Ich würde es erreichen und zwar innerhalb der nächsten Tage. Mittlerweile taten mir die beiden Gangster etwas Leid, dass sie mich umbringen mussten und dass sie das Lösegeld, falls sie welches gefordert hatten, nie erhalten würden. Schließlich hatten sie mich durchgefüttert, aber es gab für mich kein zurück mehr.

Denn ich wollte nie wieder in mein Leben zurück.

Nie wieder wollte ich in das Angesicht meines Vaters sehen und seine Schläge ertragen müssen.

Nie wieder wollte ich seinen Geruch einatmen und nie wieder wollte ich seine schmutzigen Finger an mir spüren.

Das einzige was ich wollte war der Tod. Und trotz dieses Momentes blieb der Gedanke an den Tod fest verankert. Es war wie eine Eiche auf einem Feld. Egal wie man es dreht und wendet. Sie blieb dort. Man konnte sie natürlich abreißen, doch dazu brauchte es eine Menge Kraft und diese besaß ich nun mal nicht. Also wieso sollte ich mir vormachen, dass ich das alles schaffen würde? Wieso sollte ich mein verhasstes Leben leben?

Genau.

Es gab keinen Grund dazu.

Mein Tod war beschlossene Sache.

Genau So, wie der Weltuntergang Zweitausendzwölf.



Ein letztes Mal

Langsam beruhigten Ben und ich uns wieder und atmeten entspannt aus. Draußen sangen die Vögel voller Freude, während ich meine Bauchmuskeln zu spüren bekam. Ich war vollkommen außer Atem und genoss die Ruhe die herrschte, bis Brownie mit lautem Bellen auf sich aufmerksam machte. Ich wandte mich also dem großen Labrador zu, der wild durch die Wohnung hüpfte.

„Ich glaube er muss mal“, sagte Ben in die Stille, die unter uns Dreien geherrscht hatte.

„Denke ich auch“, bestätigte Nils und erhob sich von dem weichen, weißen Sofa.

In aller Gemütsruhe lief er durch das Wohnzimmer zu einem alten Schrank und kramte aus der untersten Schublade eine Leine. Dann drehte er sich zu uns und schaute uns fragend an.

„Wollt ihr nicht mit?“

„Wir sind dabei“, antwortete Ben mit für mich und erhob sich ebenfalls. Völlig schlapp blieb ich auf der Couch sitzen und verspürte keinen Drang einen Spaziergang zu unternehmen, da mein Bauch sich nun grauenvoll anfühlte.

„Na los komm schon.“ Ben stand vor mir und hielt mir seine Hand hin. Ich stöhnte einmal auf und griff in diese riesen Hand, die sich rau anfühlte.

Mit einer eleganten Bewegung riss mich Ben von der Couch. Ich geriet kurz ins taumeln, wurde aber sofort von starken Armen umfasst, die mich auf den Beinen hielten.

„Ein bisschen weniger kräftig hätte es auch getan“, sagte Nils, der mich festhielt, und warf Ben einen bösen Blick zu. Ben murmelte daraufhin nur eine Entschuldigung und guckte beschämt zu Boden.

„Geht?“, hörte ich ihn leise neben meinem Ohr fragen und komischerweise löste es bei mir eine Gänsehaut aus. Meine Stimme war für diesen Moment weg, also nickte ich nur stumm und ging zu Brownie, der Mitten im Wohnzimmer stand und fuhr mit meiner Hand durch sein Fell. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nils wieder zu dem alten Schrank ging und aus einer anderen Schublade eine Pistole nahm.

„Brauchen wir die?“

„Da draußen laufen Wölfe und Wildschweine rum. Und ich hab keine Lust mich aufspießen zu lassen von einem aufgebrachten Wildschwein, weil Brownie seine Nase mal wieder überall reinstecken musste“, antwortete Nils Ben, der mit den Schultern zuckte und ihm zustimmte.

Doch dieses Gespräch zog irgendwie an mir vorbei. Meine Augen waren auf die Waffe gerichtet, die wie in Zeitlupe, in Nils Tasche verschwand.

Mein Gehirn fing an zu arbeiten und ich spürte wie Adrenalin durch meine Blutbahnen strömte, obwohl noch nichts Besonderes passiert war.

Vielleicht ahnte mein Körper dass ich bald sterben würde und wollte deswegen noch einmal alles verbrauchen was er hatte. Mir sollte es Recht sein. Doch trotz meiner Entschlossenheit, war noch was anderes da was mir Angst machte. Ich glaube nicht, dass es der Tod war. Ich denke eher, es war das Mitleid, das ich für die beiden Entführer empfand. Einen Menschen zu töten war schließlich nicht so einfach. Vielleicht konnte ich sie dazu ermutigen, doch bevor dieser Gedanke sich verfestigte, verdrängte ich ihn. Was für ein Schwachsinn ich doch wieder dachte. Als ob mich jemand umbringen würde, wenn er wüsste das er es tun sollte. Es waren zwar Schwerverbrecher, doch ein Mord war was vollkommen anderes. Also brauchte ich den Überraschungsmoment für mich. Den nur dann würden sie völlig Instinktiv handeln und zur Waffe greifen. Und nur dann würden sie schießen, damit ihr Geisel nicht entkam.

Also musste ich meinen Plan, der vorerst nur aus der Flucht und dem darauf folgendem Tod durch einen Schwerverbrecher der mit einer Waffe schoss, bestand, so stehen lassen und auf einen geeigneten Moment warten.

„Kommst du?“ Ich zuckte zusammen und wandte meinen Blick von der Waffe zu Nils und Ben die mich misstrauisch anschauten.

„Ja“, piepste ich und hätte mir selber in den Arsch treten können für so eine kleinliche, schwache Stimme.

Brownie stand in dem langen Flur, in dem sich das Bad befand und die Tür, bei der ich mich gefragt hatte ob es der Weg nach draußen war. Nils ging geradewegs auf die Tür zu und schloss sie auf, während Ben und ich hinterher trotteten und ich mich auf Nils Hosentasche konzentrierte in der die Waffe war.

Doch dann wurde ich abgelenkt, weil sich vor mir ein Treppenhaus aus Holz auftat, das endlos lang zu sein schien. Mir stockte der Atem und ich versuchte herauszufinden, wie so etwas hinter einer so kleinen Tür liegen konnte. Langsam schritt ich die Stufen hinab und folgte Brownie’s Gebelle. Mein Blick schweifte über das Holz, das mit wunderschönen Maserungen verziert war und ich betrachtete die Bilder, die an die Wände geklebt waren. Sie zeigten ein wunderschönes Haus an einem Stand, das von Dünen umgeben war. Es war keine Villa, aber ich fand es perfekt. Es war klein gemütlich und für mich eine Idylle. Ob so wohl der Himmel war?

„Wer hat die gemalt?“, flüsterte ich, weil ich von dieser Schönheit vollkommen überrumpelt war.

„Der Da Vinci vor uns.“ Sagte Ben hinter mir und deutete auf Nils der vor Brownie hockte und ihn beruhigte. Ich erkannte an Bens Stimme dass er grinste, doch er schien die Bilder nicht zu verachten, im Gegenteil, er schien sie selber zu bewundern.

Mein Blick wanderte zu dem Da Vinci mit den blonden zerwuschelten Haaren, dessen Kopf sich zu uns wandte.

Ich hatte ihn nie als jemanden gesehen, der sowas wundervolles malen konnte, denn wer so etwas malen konnte, musste doch gut sein.

Die braunen Augen blieben an mir haften und ich spürte einen Kloß in meinem Hals.

Mit aller Kraft versuchte ich diese warmen braunen Augen in mein Gedächtnis zu brennen und hoffte, dass ich diese Erinnerung mitnehmen konnte. Wohin auch immer ich gehen würde.

Es könnte schließlich das letzte Mal sein, dass ich diese Augen sehe.

Ich erinnerte mich an die kalten braunen Augen, die ich in dem Supermarkt vor wenigen Tagen gesehen hatte, doch sie glichen nicht denen, die mich jetzt anschauten.

Es kam mir vor, als sei eine Ewigkeit vergangen seit der Entführung.

Meinen Vater hatte ich in manchen Momenten vollständig verdrängen können, doch jetzt wo ich drüber nachdachte, kochte alles in mir wieder hoch.

Die Wut, der Hass, die Schmerzen.

Ich wandte meinen Blick von Nils ab, der mich kritisch musterte und stieg die letzten Holzstufen hinab. Unten angekommen, in einem winzigen Raum, der ebenfalls vollkommn aus Holz bestand, öffnete Nils eine Tür, die ich nie gesehen hätte, hätte er sie nicht geöffnet.

Und dann drang die frische Waldluft an meine Lungen.

Ich hörte das laute Zwitschern der Vögel und Sonnenstrahlen fielen auf mein Gesicht.

Ganz langsam trat ich heraus und blieb stehen.

Ich beobachtete das Lichtspiel, das sich die Bäume mit der Sonne lieferten und lauschte den Klängen des Waldes.

Ich roch die Bäume, das Harz, das Laub und irgendwie lag noch ein blumiger Duft in der Luft, der wahrscheinlich von einer wunderschönen Lichtung stammte. Ich schloss meine Augen und streckte meine Sinne aus. Ich Griff alles was ich wahrnehmen konnte und schloss es in mein Herz.

Plötzlich spürte ich etwas an meinen Beinen.

Langsam öffnete ich meine Augen und schaute in Brownies große Augen.

Ich hockte mich neben ihn und fuhr mit meiner Hand durch sein Fell.

Er war so wunderschön.

Normalerweise müsste mir unglaublich heiß sein.

Ich trug schließlich lange Sachen, doch mir war kalt. Fast ein bisschen zu kalt.

Doch nun wurde mir bewusst, dass meine Sachen widerlich an meiner Haut klebten, weil ich schon länger nicht mehr duschen gewesen war.

Völlig Perplex über diese Tatsache hielt ich inne. Die armen Entführer mussten die ganze Zeit mit so einem Stinktier wie mir leben.

Ein Lächeln stahl sich bei dem Gedanken auf mein Gesicht und ich betrachtete noch einmal Brownies Augen.

Sie waren freundlich.

Warm.

Einfühlsam.

Und ich würde ihn alleine lassen.

Er tat mir schrecklich Leid.

Hinter mir hörte ich, wie Nils und Ben Witze rissen. Das Laub unter ihren Füßen raschelte und kleine Äste brachen.

Es tat mir Leid.

Wirklich.

Ich wollte diesen beiden Menschen nichts Böses antun, doch meine Situation war nun mal aussichtslos und sie boten mir eine einfache Lösung.

Wenn sie sich trauten.

„Ich liebe dich Brownie.“ Flüsterte ich dem Labrador in sein Ohr und seine Augen schienen sich zu weiten und zu ahnen was passieren würde.

Dann erhob ich mich.

Ein letztes Mal betrachtete ich die Lichtspiele.

Ein letztes Mal atmete ich tief ein und genoss die Sommerdüfte.

Ein letztes Mal schloss ich meine Augen und wünschte meinen Vater in die Hölle.

Ein letztes Mal öffnete ich meine Augen.

Ein letztes Mal bekam ich einen Adrenalin schub.

Ein letztes Mal spannten sich meine Muskeln an.

Und dann fing ich an zu rennen.




Totenstille

Ich spürte die gigantischen Wurzeln unter meinen Füßen und hörte wie Äste brachen.

Die Sonne bahnte sich ihren Weg durch die Äste und fiel auf mein Gesicht.

Der Wald war verstummt und ich spürte die Blicke der Entführer auf mir.

In meinem Kopf war alles tot.

Keine wirren Gedanken, keine Erinnerungen, keine Gefühle.

Ich registrierte nichts mehr.

Es war als würde ich in Zeitlupe fliegen und doch kam es mir vor als liefe alles in Schallgeschwindigkeit ab.

Doch in meinem Kopf war eine Uhr am laufen, die die Sekunden zählte.

Ich betete, dass jemand von den beiden schoss, dass irgendetwas passieren würde.

Kein Laut ertönte aus der Umgebung. Das einzige was ich hörte waren meine Schritte.

Wo blieb er?

Wo blieb der Knall der Pistole?

Wieso lebte ich noch?

„Sie wird nicht weglaufen.“

Die Worte rissen mich zurück in die Welt der Sinne.

Die Stimme von ihm war kalt, fast tot gewesen und nichts an dieser Stimme erinnerte an den Blonden netten Jungen mit den warmen braunen Augen. Doch ich gab nicht auf. Ich konnte nicht. Dies war mein letzter Kampf den ich nicht verlieren würde!

„Was? Wieso?“

Diese Stimme war anders. Sie klang verwirrt, ängstlich und unglaublich vertraut.

„Weil sie nirgendwo hin kann.“

Schlagartig blieb ich stehen und ein Stich durchfuhr mein Herz. Es war als würde es zerreißen.

Mein Atem ging schwer und ich spürte die grauenvolle Angst in mir aufsteigen. Sie schlängelte sich von meinen Beinen hoch über meinen Rücken um mir dann die Luft zu nehmen.

Der Wald war stumm, als wären alle Tiere geflohen um dieses Spektakel nicht miterleben zu müssen. Die Sonne verschwand hinter einer Wolke und plötzlich war es düster.

„Sie kann… nirgendwo hin?“

Bens Stimme durchbrach die Stille. Ich wusste dass er direkt zu Nils sprach, der mich nicht aus den Augen ließ.

Und ich wusste ebenfalls in was für kalte Augen ich blicken würde, wenn ich mich umwandte.

„Checkst du’s nicht Ben? Ihr Vater hat sie misshandelt! Deswegen die blauen Flecken. Deswegen hatte sie keinen Hunger als sie sein kack Gelaber gehört hat. Deswegen hat sie die Pistole so angeschaut. Sie will sterben Ben!“

Seine Stimme hatte sich erhoben und hallte in den tiefen des Waldes wieder. So kam es mir zumindest vor. Es kann auch sein, dass es nur in meinen Ohren widerhallte, bis mir die Bedeutung der Worte bewusst wurde.

Er hatte es gewusst.

Er hatte es die ganze Zeit gewusst.

Und dann spürte ich die Wut in mir aufsteigen.

Wie ein Feuer brannte sie in meiner Kehle und verlangte danach rausgelassen zu werden.

Ich wirbelte herum und starrte den Menschen mit den kalten Augen und der schwarzen Seele an.

Brownie hatte sich geirrt.

Dieser Mensch war ein böser Mensch.

„JETZT SCHIEß DOCH ENDLICH!“

Ich schrie. Die Stille wurde für einen Moment in Stücke zerrissen und brach dann wieder über mich und die Entführer herein.

Doch Nils zeigte keine Regung. Sein Gesicht und sein Herz schienen tot zu sein.

Er stand einfach nur da und schaute mich an.

Mehr nahm ich nicht wahr. Es gab nur ihn und mich.

Brownies Gewinsel existierte nicht, genauso wenig wie Bens ängstliche Blicke.

Ich stürmte auf ihn los und wollte ihn zerstören. Ich wollte ihm die schlimmsten Qualen seines Lebens bereiten. Er wusste nicht wie es mir ergangen war, wieso also konnte er es nicht einfach beenden.

Ich stand vor ihm und schlug auf jeden Zentimeter seines Körpers ein, den ich erwischen konnte. Meine geballten Fäuste trafen auf seine Muskeln und ich hasste diesen Menschen abgrundtief.

Was tat er mir nur an?

„WIESO TUST DU MIR DAS AN?!“, schrie ich ihn an und hoffte, dass er ein schlechtes Gewissen bekam oder irgendeine andere Regung zeigte, doch nichts.

Er war tot. Für mich war er tot.

Die Wut loderte in mir, doch es tat sich noch etwas anderes auf.

Aus meinem inneren brach etwas hervor, das mich vollkommen irritierte und mein Herz erneut zerspringen ließ.

Es war die Angst vor der Rückkehr und die Enttäuschung, dass ich es nicht geschafft hatte.

Heiße Tränen liefen über meine Wangen und ich spürte wie meine Sicht verschwand.

„Wieso tust du mir das an?“ Meine Stimme versagte ebenso wie meine Beine und ich glitt an seinen Beinen herab.

Ich krallte mich an seiner Hose und begann zu weinen.

Ich konnte nicht mehr. Jede Kraft die ich besaß war aus mir gewichen und meine Hilflosigkeit wurde mir bewusst.

Wie dämlich war ich gewesen, zu denken, dass er nichts bemerkt hatte.

Die Erinnerungen und alle Gefühle brachen wieder an die Oberfläche und ließen mich fast Ohnmächtig werden.

„Ich hasse dich“, flüsterte ich immer wieder unter Tränen und betete um seine Einsicht. Doch ich wusste, dass ich verloren hatte.

Ich spürte wie eine Taubheit sich über mich legte. Meine Finger wurden schwach und ich fiel.


Bevor ich jedoch auf dem Boden aufschlug packten mich starke Arme und hoben mich vorsichtig hoch. Sanft wurde ich an eine starke Brust gedrückt. Sein Geruch stieg mir in die Nase und ich beruhigte mich. Es war wie eine Droge, die mich fort brachte von grauenvollen Gedanken und Erinnerungen. Vertreiben konnte sie diese jedoch nicht. Wortlos wurde ich die massiven Holztreppen hoch getragen.

Meine Augen hatte ich geschlossen, während ich verzweifelt versuchte aufzuhören zu weinen. Doch ich konnte nicht. Die Worte von Nils hatten sich in meinen Gedanken gebrannt. Bilder aus meiner Vergangenheit liefen vor meinen Augen ab und gleichzeitig echoten die Worte in meinen Ohren.

Er hatte Recht gehabt. Ich war alleine.

Das Spiel war vorbei, doch ich durfte nicht gehen. Der Kampf war schon verloren gewesen, bevor er begonnen hatte.

Meine Wut war nicht mehr da.

Es war nur noch Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, die ich nicht vertreiben konnte.

Ich spürte etwas Weiches unter mir.

Sanft löste er meine verkrampften Hände von seinem Shirt und legte meinen Kopf auf ein Kissen, das ebenfalls nach ihm roch.

Ich war zu schlapp um mich zu Bewegen.

Also blieb ich einfach so, wie er mich hingelegt hatte und ergab mich meiner Hoffnungslosigkeit und jedem anderen Gefühl, dass ich seit Jahren unterdrückte.

Nils legte sich neben mich und blieb stumm.

Er machte nichts außer da zu liegen.

Man hörte nichts außer meinen verzweifelten Schluchzern.

Es war totenstill.





Vergangenheit

Leises Plätschern drang an meine Ohren und ich merkte, dass es draußen angefangen hatte zu regnen. Im Takt prasselte das Wasser aus dem Himmel gegen die Fenster, wodurch ich mich langsam beruhigte. Meine Tränen waren schon längst versiegt, sodass mein Weinen zu einem krampfhaften Schluchzen geworden war. Doch nun hörte ich auf, denn ich wusste, dass der Himmel für mich weinte. Ich war nie gläubig oder hatte mich mit der Gottesfrage beschäftigt, doch in diesem Moment ging mir diese Frage durch den Kopf.

Gab es so etwas wie Gott?

Gab es jemanden irgendwo, der für mich weinte? Der mit mir litt? Oder waren das alles nur Hirngespinste, von Menschen, die Angst vor dem Tod hatten und sich deswegen an ein Buch krallten, dass von einem Mann handelte, der nur so vor Humanität strotzte?

Ich fand es lächerlich.

Wieso sollte es so jemanden gegeben haben? Und wieso sollte er für die Menschheit gestorben sein?

Religion war unlogisch für mich.

Ich wollte niemanden damit beleidigen, im Gegenteil. Jeder der etwas besaß ,an dem er sich festhalten und Kraft schöpfen konnte ,beneidete ich. Ich hatte es auch einmal versucht, doch ich kam damit nicht klar. Es war mir zu kompliziert, zu Human.

Allein wenn ich mir die Menschen anschaute die an Gott glaubten, gerat ich ins Zweifeln. Nach außen waren alle fromm und herzlich, doch innerlich waren sie gierig und wie jeder andere. Der Mensch hatte nun mal tierische Instinkte und in mancher Hinsicht ließen diese sich nicht Unterdrücken.

Wie konnte also ein Mensch ohne tierische Instinkte so Human sein?

Ich bezweifelte nicht, dass es etwas gab, was über uns Menschen stand. Das hatte ich nie. Es war allerdings ein Rätsel, das ein Mensch der auf der Welt lebte nie lösen würde. Dazu müssten wir erst Sterben.

Während ich über das alles nachgedacht hatte, war ich still geworden.

Doch es war nicht diese Totenstille, die zu Beginn geherrscht hatte. Der Regen brachte Gefühle zurück. Er brachte mir meinen Verstand zurück und versetzte mich somit ind die Wirklichkeit. Die Wirklichkeit war allerdings nicht so rosig.

Ich war am Leben.

Hieß ich hatte einen Vater, der mich misshandelte.

Und meine Entführer wussten das.

Sie wussten, dass ich sterben wollte.

Ich drehte mich auf den Rücken und starrte an die weiße Decke, die grau wirkte, weil die Sonne von gigantischen, schwarzen Regenwolken verdeckt wurde.

Ich lauschte und hörte, den Regen, wie er von den Blättern tropfte, sowie mein Atmen.

Und dann war da noch das Atmen von ihm.

Er hatte kein Wort gesagt, seit er mich hoch getragen hatte.

Er hatte einfach dagelegen und an die Decke gestarrt.

Was war er für ein Mensch?

In einem Moment war er freundlich, so etwas wie ein Licht und in dem anderen Moment war er eiskalt.

„Mein Dad hat mich auch geschlagen.“

Die Worte brachen die Stille wie ein Donner, obwohl sie nicht geschrieen worden waren. Sie waren einfach so in die Stille geplatzt und hatten mich aufhorchen lassen. Bis ich die Bedeutung dieser Worte verstand dauerte es einen Moment, der mir ewig erschien.

„Was?“ Ich wandte meinem Kopf zu ihm und schaute auf sein Profil. Verwunderung und Überraschung wanderte über mein Gesicht und Falten bildeten sich.

Ich sah wie ein kleines Lächeln seine Lippen umspielte, er schaute jedoch weiter an die Decke.

Machte er sich lustig über mich?

„Ich war Acht als er anfing mich zu schlagen. Er stand unter Druck nachdem er meine Mutter umgebracht hatte. Die Polizei befragte ihn und ich war der einzige Zeuge. Das wusste allerdings niemand. Wenn ich ein Wort gesagt hätte, hätte er mich umgebracht, das hatte er mir mehrmals gesagt. Also hielt ich meine Klappe und spielte den kleinen Jungen, der unter dem Tod seiner Mutter litt. Die Wahrheit kennt bis heute niemand außer Ben. Nach seinem Mord, fing er an Drogen zu nehmen. Und wenn ich ihn was zu Hausaufgaben oder so fragen wollte, schlug er mich. Am liebsten war es ihm, wenn ich in meinem Zimmer war und keinen Mucks machte. Meine blauen Flecken versteckte ich und falls das nicht möglich war, erfand ich eine Ausrede. Sie haben’s mir alle geglaubt. Und das nur, weil ich mich extra tollpatschig stellte. Das ganze ging Fünf Jahre so. Dann bin ich abgehauen. Es war Abends und er hatte mich wieder geschlagen. Kurz zuvor hatten wir in der Schule Huckleberry Finn gelesen. Naja, also bin ich weggerannt. Als er bemerkt hatte, dass ich weg war, hat er mich für Tod erklären lassen. Ich war auf meiner eigenen Beerdigung. Ich hab meinen eigenen billigen Holzsarg gesehen, wie er in die Erde gelassen wurde. Von da an war mein Vater für mich gestorben. Ich hab auf der Straße gelebt. Und eines Tages wollte ich ein Brötchen klauen, weil ich unglaublichen Hunger hatte, da kam ein kleiner schäbiger Junge zu mir und meinte, dass man nicht klauen dürfte. Dabei hab ich genau gesehen, wie er selber was eingesteckt hatte. Der kleine schäbige Junge war Ben. Wir haben uns also zusammen getan und ich hab ihm alles erzählt. Er erzählte mir von seinen reichen Eltern und deren Streit. Das war sein Grund abzuhauen. Die Straßen war hart, deswegen beschlossen wir zu trainieren. Wir mussten es schließlich mit den großen Jungs aufnehmen können. Und nach fast einem Jahr, kamen wir auf die Idee im großen Stil zu klauen. Über zwei Jahre haben wir trainiert und geplant. Währenddessen ist Brownie uns über den Weg gelaufen. Ich konnte ihn nicht im Regen stehen lassen. Er erinnerte mich zu sehr an meine Mutter. Bevor wir aber mit unserem derzeitigen „Job“ anfingen, stattete ich meinem Vater einen letzten Besuch ab und schlug ihn zusammen. Außerdem schrieb ich einen Brief an die Polizei, in dem ich den Mord schilderte. Sie haben ihn in den Knast gebracht. Und danach haben wir mit den Rauben angefangen. Es ist einfacher und nicht so hart wie auf der Straße zu leben.“

Er stoppte und ich betrachtete immer noch sein Mienenspiel. Es war hoffnungsvoll, verzweifelt, fröhlich und Wutverzerrt gewesen. Bei fast jedem Satz war ein anderer Ausdruck auf sein Gesicht getreten, der mich überrascht hatte.

Doch am meisten, hatte seine Lebensgeschichte mich überrascht.

Ich hatte ihm alles zugetraut, doch nicht so ein Leben.

Ich bemerkte, wie er seinen Kopf zu mir drehte.

„Sprachlos?“

Ich nickte stumm und abermals stahl sich ein sanftes Lächeln auf sein Gesicht.

„Du solltest dich nicht wegen deinem Dad umbringen wollen. Schau dich doch an. Du bist hübsch und klug. Du kannst tun und lassen was du willst. Also hör mit dem bescheuerten Gedanken auf, dich umzubringen.“

Seine braunen Augen durchbohrten mich, aber sein Blick war sanft. Ich verlor mich in seinen Augen, denn diese waren nicht kalt, sie waren wie die von Brownie.

Es war, als würden sie aus Verständnis, Hoffnung und Zuversicht bestehen.

In meinem Inneren begann etwas zu brennen. Langsam kroch es hoch bis ich es überall spürte. Die Leere wurde von dem Leben, das sich durch diese Augen in mich ausbreitete, vertrieben. Und das erste Mal seit einer Ewigkeit, spürte ich alles.

Hoffnung.

Vertrauen.

Zuversicht.

Wut.

Einfach alles.

Mein Vater hatte es fast geschafft mich umzubringen. Und nun schaffte es ein Entführer, der von der Gesellschaft verurteilt wird, mich in das Leben zurück zu rufen.

Böse war eben doch nicht böse. Manchmal steckte mehr hinter einer Maske, die jeder Mensch trug.

Stumm betrachtete ich ihn.

„Meine Mutter ist abgehauen als ich noch klein war. Mein Vater hat sie auch geschlagen.

Und jetzt mach ihr bitte keine Vorwürfe, wie jeder andere. Ich kann sie verstehen, ich wäre an ihrer Stelle auch abgehauen. Das schlimmste war aber, dass er mich angefasst hat. Bis ich Dreizehn war fast jede Nacht. Und niemand hat es gemerkt.“

„Mieses Schwein.“ Verwundert sah ich, wie Nils’s Gesichtsmuskeln sich anspannten.

„Es ist okay.“

Ich war über mich selber verwundert. Meine Stimme war klar und fest. Ich war sachlich.

„Es ist okay? Der Kerl hat dich misshandelt.“

Meine Miene blieb regungslos, während meine Augen auf ihm ruhten und versuchten ihn zu durchschauen.

„Ich weiß.“

„Und das willst du einfach so über dich ergehen lassen?!“ Nun stand ihm die Ungläubigkeit ins Gesicht geschrieben.

Ein kleines Lächeln breitete sich auf meinen Lippen aus.

„Nein, ich werde ihm die Hölle zeigen.“



Idylle

Ein Grinsen wanderte über die perfekten Züge von Nils.

„Na da bin ich mal gespannt.“

„Ich auch“, gab ich zu und setzte mich auf.

Einen Plan hatte ich nicht. Das würde mal wieder vollkommen spontan entstehen. Ich hoffte nur, dass dieser nicht so nach hinten losgehen würde wie mein Selbstmordversuch.

Eine Packung Taschentücher wurde mir von meinem blonden Entführer unter die Nase gehalten, der mich verständnisvoll anlächelte.

„Danke“, flüsterte ich und nahm mir eins.

Während ich mir die Nase putze öffnete jemand leise die Tür zum Schlafzimmer und als ich mich umdrehte um zu schauen wer es war, erblickte ich Ben, der zaghaft am lächeln war.

„Alles okay?“, fragte er genauso sanft wie Nils.

Ich nickte und betrachtete die beiden, durchtrainierten Schwerverbrecher vor mir.

Aber ich fand, dass man sie nicht so bezeichnen konnte.

Ich konnte das nicht.

Denn mal ehrlich, konnte jemand, der mich von meinen Selbstmordgedanken abbrachte und sich so lieb um mich kümmerte, ein brutaler Schwerverbrecher sein?

Irgendwie verstand ich langsam wieso Brwonie die beiden so mochte.

Sie waren das beste Beispiel für das Klischee ´Harte Schale, weicher Kern`.

„Oh Verdammt.“

Geschockt blickte ich auf und sah Nils an, der wie angewurzelt nach draußen starrte.

Völlig verständnislos, stand Ben in der Tür und warf mir fragende Blicke zu, die ich nur mit einer verwunderten Geste abtun konnte.

„Komm schon Franzi, beeil dich!“

Nils sprang vom Bett und griff nach meiner Hand.

Überrumpelt von der plötzlichen Nähe und dem kribbeln in meinem Bauch ließ ich mich mitziehen.

„Was ist?“, fragten Ben und ich im Chor.

„Komm einfach. Ben wir sind in einer Stunde zurück!“

Nils rannte mit mir an der Hand die Treppen herunter in den kühlen Wald, der von dem Regenschauer wie tausend Diamanten glitzerte. Ich wusste nicht wohin ich zuerste blicken sollte, denn die Schönheit der Natur brach urplötzlich über mich herein. Der Geruch von nassem Moos und Laub stieg mir in die Nase und ich hörte die schnellen Schritte von Nils und mir auf dem Waldboden, der noch feucht war.

Nils führte mich durch einen kleinen Pfad, der tief im Wald zu verschwinden schien. Um mich herum, nahm ich das zwitschern der Vögel wahr, die nach dem Regen wieder aus ihren Unterschlüpfen kam. Große Tropfen fielen von den Blättern und trafen mich mitten ins Gesicht. Ich betrachtete den Jungen, der vor mir lief und mich nicht losließ. Sei T-Shirt war an den Ärmeln, nass, da er damit das Gebüsch zur Seite schob.

Sein Blondes Haar wehte leicht und wurde ebenfalls etwas feucht.

„Komm schon. Wir müssen uns beeilen, sonst schaffen wir das nicht“, sagte er und wandte sich leicht zur mir. Ein Lächeln umspielte seinen Mund und seine Augen strahlten vor Freunde. Diese Freunde schien sofort auf mich überzugehen und ich begann ebenfalls zu lächeln. Ich beschleunigte meine Schritte und fragte mich wohin wir rannten.

Um mich herum wurde der Wald immer dichter und der Pfad schmaler. Weniger Sonnenstrahlen drangen durch die Baumkronen und erreichten mein Gesicht.

„Wo gehen wir hin?“

„Du wirst schon sehen.“

In seiner Stimme schwang ein Hauch von Glück und Vorfreunde mit, die mich an einen kleinen Jungen erinnerte.

Also respektierte ich diese ungenaue Aussage und versuchte stattdessen einen Blick von dem, was vor uns lag zu erhaschen.

Und dann sah ich es.

Am Ende des Pfades, oder wo auch immer, war grelles Sonnenlicht zu erkennen, dass mich blendete.

Ich wendete meinen Blick ab und schaute auf den Pfad. Ich wollte nicht stolpern und außerdem taten meine Augen von der plötzlichen Helligkeit, in die ich geblickt hatte weh.

Und dann trat ich in das grelle Licht.

Ich kniff meine Augen zusammen und blieb neben Nils stehen. schützend hob ich meine Hand und versuchte das Licht zu verringern, denn nach dem dunklen Wald kam mir das vor, als würde ich direkt in die Sonne blicken.

Ich spürte die Hitze der Sonne, die sich auf meiner Haut ausbreitete und durch mein Shirt drang.

Langsam öffnete ich meine Augen und erstarrte.

Ein Lichtspiel tat sich vor mir auf.

Die Sonne die sich auf dem klaren, dunkelblauen See vor mir spiegelte erinnerte mich an ein Gemälde bei der die Schönheit der Natur hervorgebracht werden sollte.

Die grünen Bäume um den See wogen sich leicht in der kühlen Brise und ein stolzer Storch stand am anderen Ufer und beobachtete uns neugierig.

„Da oben.“

Ich schaute zur Seite und folgte Nils Fingern, die auf den Regenbogen über dem See deuteten.

Ich hielt den Atem an und genoss das Spiel von Sonne und Wasser.

Die Natur um mich herum war am leben und das merkte ich in diesem Moment zum ersten Mal in meinem Leben.

„Es ist wunderschön“, flüsterte ich, weil ich Angst hatte die Schönheit durch meine Stimme zu zerstören.

„Ich weiß.“, antwortete Nils genauso leise, der gebannt auf den Regenbogen starrte und beobachtete wie dieser langsam verschwand.

Schweigend standen wir da.

Nebeneinander, während er meine Hand hielt.

Die Sonne wärmte mich von innen und seine Hand ließ meine Haut prickeln.

Ich warf einen Blick zu meinem Entführer und betrachtete seine sanften Züge.

Ich verstand es.

Ich verstand wieso Brownie diesen Menschen so liebte und ich verstand wieso so viele Mädchen ihn mochten.

Doch das Aussehen war in diesem Moment zweitrangig. Der Moment war etwas zwischen uns, was wir beide genossen und was wir beide nie vergessen würden. Dessen war ich mir sicher.

Die letzten Züge des Regenbogens verschwanden doch mein Blick blieb an dem blauen Himmel, der sich über mich auftat.

„Siehst du. Es gibt so wundervolle Sachen auf dieser Welt und ich finde nicht, dass du nur wegen einer schlechten das alles hier nicht erleben solltest. Das ist es einfach nicht wert. Und du schaffst es da raus zukommen. So schätze ich dich zumindest ein.“

Verständnisvoll lächelte er mich an.

„Danke.“

Ich erwiderte sein Lächeln und mein Blick wanderte über den wundervollen See. Das hier glich einer Idylle.

Komisch das ich so was dachte, wenn ein Schwerverbrecher neben mir stand.

„Lust schwimmen zu gehen?“

Ich wandte mich zu Nils und schaute fragend in sein breit grinsendes Gesicht.

Er würde doch nicht…


Fliegen

„Wir haben doch keine Handtücher und so was dabei“, sagte ich schüchtern und betrachtete Nils, der schon anfing seine Schuhe auszuziehen.

„Ist doch egal.“ Er zog sich sein T-shirt über den Kopf und hing es über einen Ast.

„Komm schon.“

„Nein, ich will…“

Als wäre ich eine Feder, umfasste er meine Beine und schmiss mich elegant über seine Schulter.

„Nils!“ sagte ich empört und hoffte, dass er mich runterlassen würde, während ich auf seinen harten Rückenmuskeln haute.

Er lachte nur leise vor sich hin und ging in das Wasser. Ich sah wie sich kleine Wellen von seinen Fußgelenken über den See ausbreiteten und sah ihnen nach, bis sie verschwunden waren.

„Lass-mich-runter!“

Jedes Wort unterstrich ich mit einem harten Schlag, den er sowieso nicht wahrnahm.

„Du hast es nicht anders gewollt.“

Ich spürte wie ich hochgehoben und fallen gelassen wurde.

Kaltes Wasser durchdrang meine Kleidung und traf auf meine Haut, die von der Sonne noch wärmer war, als sonst. Meine Haare schienen im Wasser zu schweben und irgendwas erinnerte mich an die unendlichen Weiten des Weltalls.

Meine Füße suchten den Grund des Sees und ich stieß mich ab. Ich stieß durch die Oberfläche des Sees und atmete tief ein. Meine Lungen füllten sich mit der warmen Sommerluft und Sonnenstrahlen trafen auf mein Gesicht, das von dem Wasser alt war.

Mit einer Hand fuhr ich mir durch die Haare und wischte mir diese aus dem Gesicht.

Ich öffnete meine Augen und erblickte Nils, der fett grinsend zwei Meter von mir entfernt stand.

„Na warte!“

So schnell ich konnte, watete ich durch das Wasser zu ihm. Er sah was ich vorhatte und versuchte zu flüchten. Doch bevor er das Ufer erreichen konnte, schmiss ich mich auf seinen Rücken. Er gab einen geschockten Laut von sich und landete, dann ebenfalls im kalten Wasser.

Ich rollte mich von seinem Rücken und saß lachend im Wasser.

Diesmal würde er mich nicht bekommen.

So schnell ich konnte, stand ich auf und sprintete das Ufer entlang.

„Na warte. Ich krieg dich schon!“

Ich hörte seine schweren Schritte im Wasser und wurde kurze Zeit später umgeschmissen.

Erneut tauchte ich in die Kälte des Sees und das unglaubliche Gefühl der Freiheit überkam mich.

Gleichzeitig tauchten mein Entführer und ich auf und fingen an, hemmungslos zu lachen.

Sonnenstrahlen knallten auf das Wasser und unsere Haut. Wasser tropfte von meinen langen Haaren herab und in mir war nichts mehr von der Hoffnungslosigkeit die ich verspürt hatte.

Ich spürte alles.

Die Sonne.

Die leichte Sommerbrise.

Die Kälte des Wassers.

Die Anwesenheit der Tiere.

Die Freude.

Das Glück.

Wirklich alles.

Doch nicht mal den Hauch von Einsamkeit. Mein Blick traf auf den Jungen, der schräg neben mir saß. Sein blondes Haar hing ihm ins Gesicht und sein durchtrainierter Körper wurde von der Sonne angestrahlt.

Langsam beruhigte ich mich, was mein Bauch mir dankte, denn dieser schmerzte schon wieder.

Mein Blick glitt über die Kulisse die sich mir bot. Der Storch, der eben noch am anderen Ufer gestanden hatte, erhob sich und glitt davon, Richtung Himmel. Sehnsüchtig schaute ich ihm nach bis er im grellen Licht der Sonne verschwand.

Fliegen können, war etwas, dass den Menschen vorbehalten bleiben würde. Wir konnten den Tieren ihren Lebensraum, ihre Gifte, ihre Heilmittel und ihre Schönheit nehmen. Doch ihre Seele und ihre Fähigkeiten würden wir nie übernehmen können. Niemals würden wir unsere Schwingen ausbreiteten können und den Wind spüren, der daher glitt. Vögel zogen ihre Kreise über dem See und ich beneidete sie für diese Freiheit, denn der Himmel, war unerreichbar für uns. Er gehörte einzig und allein der Tierwelt.

Ich wendete meinen Kopf zu Nils, der schweigend neben mir saß und mich betrachtete.

Sein Blick war nicht wie sonst, er war anders. Verschwommen. Als wäre er wo anders und nicht hier neben mir.

„Alles okay?“, fragte ich zögerlich und lächelte ihn zaghaft an.

Sofort erwiderte er dieses und nickte stumm.

Sein Blick wurde wieder klarer und er stand auf.

„Na komm.“

Er hielt mir seine Hand hin, die ich ergriff.

Sanft zog er mich hoch, sodass ich keine Zehn Zentimeter vor seinem Gesicht stehen blieb.

Das kalte Wasser, das meine Füße umspielte war augenblicklich aus meinem Bewusstsein verdrängt. Stattdessen drängten sich die wunderschönen Augen in den Vordergrund, die sich mir boten. Meine Hand hielt er immer noch, doch er machte keine Anstalten sie loszulassen, sodass sie ein Kribbeln von dort ausbreitete.

Sein Haar hing immer noch in seinem Gesicht und zum ersten Mal betrachtete ich seine sanft geschwungenen Lippen, die sich mir vorsichtig näherten.

Zwei Zentimeter bevor sie jedoch meine Lippen trafen, hielt er inne. Ohne über Konsequenzen nachzudenken schloss ich die Entfernung und legte meine Lippen auf seine.

Seine Lippen waren kalt und feucht von dem Wasser. Sonnenstrahlen trafen auf meine Haut und verstärken das unglaubliche Gefühl von Millionen Schmetterlingen auf meiner Haut um ein vielfaches. Zaghaft öffnete er seine Lippen ein Stück und sein heißer Atem streifte über meine ebenfalls kalten Lippen. Ich spürte wie er ein kleines Stück näher kam und seine rauen Hände sich auf meine Wangen legten. Mit seinen Daumen streichelte er leicht über meine kalte Haut.

In meinem inneren schien alles zu explodieren. Jede schlechte Erinnerung war wie weggeblasen und nur dieser eine Moment füllte meinen Kopf.

Das Gefühl der Gefangenschaft, das ich bei jedem Jungen, den ich geküsst hatte, hatte war nicht vorhanden. Im Gegenteil, Freiheit schien wie eine welle durch meine Gedanken und dann durch meinen Körper zu gehen. Die Sommerbrise streichelte sanft über meine Haut und ich hatte das Gefühl zu fliegen.

Ganz langsam löste er sich von mir und als ich meine Augen öffnete, schaute ich in ein paar brauner Augen, die mich anschauten als wäre ich ein Engel.

Immer noch nicht nahm ich meine Umwelt war. Das einzige was existierte, waren wir beide. Schweigend standen wir uns einfach gegenüber. Seine Hände lagen immer noch auf meiner Wange und streichelten vorsichtig über meine Haut. Als hätte er Angst, dass ich zerbrechen könnte. Sein Blick erforschte mein Gesicht und er schien zu versuchen diesen Moment für immer in sein Gedächtnis zu brennen.

Genauso wie ich.

Immer noch fühlte ich das pure Glück in mir und umso länger ich in die braunen, liebevollen Augen schaute, umso freier fühlte ich mich.

Es war, als hätte er mir das fliegen beigebracht.



Rettungsboot

Er nahm seine warmen Hände von meinen Wangen, wendete den liebevollen Blick ab und räusperte sich.

„Sorry“, murmelte er kurz und wandte dich dann ohne ein weiteres Wort ab. Das Wasser plätscherte als er sich den Weg zum Ufer bahnte und mir den Rücken zuwandte. Kleine Wellen, die er auslöste, erreichten mich nicht mehr und die Sonne war hinter einer großen Wolke verschwunden. Die Kälte des Wassers drängte sich in den Vordergrund meines Bewusstseins und ich merkte, wie ich anfing zu fieren, doch ich konnte mich nicht rühren. Was war gerade passiert?

Ich beobachtete wie er sich mit einer Hand durch seine blonden, nassen Haare fuhr und sein Hemd von dem Ast nahm um es wieder anzuziehen. Er wollte weg von hier. Ein Stein bildete sich in meinem Magen und drohte mich herunterzuziehen. Langsam setzte ich mich in Bewegung, starrte jedoch auf das Wasser und die Wellen die ich auslöste. Sanft und leise glitten diese über den See und verschwanden. Ich spürte den Boden des Sees unter meinen Füßen, wünschte mir jedoch, darin zu versinken. Das Gefühl das ich hatte, war schlimmer, als jedes Gefühl, dass ich bisher hatte. Es war nicht so ein Gefühl wie die bedrückende Einsamkeit oder das Gefühl der Hoffnungslosigkeit. Nein, dieses Gefühl war weitaus schlimmer. Die warme Sommerbrise, strich über meine Haut und spielte mit meinen langen Haaren, die teilweise schon trocken waren.

Langsam trat ich auf das kleine Stück Wiese, dass vor dem See lag und legte peinlich berührt meine Arme umeinander.

Nils schnürte sich gerade den letzten Schuh zu und schien, dafür seine volle Konzentration zu benötigen. Ich sah wie sich Falten auf seiner Stirn bildeten. Dann stand er auf, schaute mich jedoch nicht an. Stattdessen betrachtet er den Pfad und deutete mit seiner Hand hin.

„Wollen wir?“

Seine Stimme klang zögernd und keinesfalls mehr so fest, wie ich sie in Erinnerung hatte.

Ich nickte nur als er mir einen kurzen Blick zu warf.

Wieder ging er vor. Doch diesmal nahm er nicht meine Hand, denn diesmal war er schwer damit beschäftigt, Äste aus dem weg zu halten, damit wir durchkonnten.

Ich merkte wie mein Blick traurig wurde und senkte ihn, sodass ich auf den Waldboden schaute, auf dem wir liefen.

Als ich in den Schatten des Waldes trat, überkam mich sofort ein Kältegefühl und ich spürte wie sich eine Gänsehaut auf meinen Armen bildete.

Der Geruch von Harz stieg in meine Nase und das zwitschern der Vögel wurde lauter.

„Habt ihr Lösegeld gefordert?“

Meine Stimme durchbrach die Mauer des Schweigens zwischen. Überrascht schaute mich Nils über eine Schulter an, blieb jedoch nicht stehen.

„Ja.“

„Wie viel?“

„Der Millionen Euro.“

„Soviel Geld hat mein Vater nicht.“

„Dein Vater nicht, aber die Stadt.“

Erneut schwiegen wir beide und nur unsere Schritte waren zu hören. Ich sah wie Äste unter seinen Füßen brachen und beobachtete kleine Vogelnester, in denen kleine Vögel saßen und nach ihrer Mutter riefen. Die Wolken mussten sich teilweise verzogen haben, denn einzelne Sonnenstrahlen, bahnten sich den Weg durch die Blätterschicht der Bäume und erreichten mein Gesicht. Ich beobachtete ein Eichhörnchen, das mich neugierig musterte.

„Bis wann?“, fragte ich vorsichtig und war auf jede Antwort gefasst.

„In Drei Tage.“

Obwohl ich damit gerechnet hatte, dass ich zurück musste, war diese Antwort, wie ein Stich in mein Herz.

Drei Tage waren nicht lang.

Drei Tage waren Zweiundsiebzig Stunden.

Zweiundsiebzig Stunden waren Viertausenddreihundertzwanzig Minuten.

Viertausenddreihundertzwanzig Minuten waren Zweihundertneunundfünfzigtausendzweihundert Sekunden.

Das war die Zeit, die mir noch in dem Paradies blieb.

Und danach würde alles so sein wie vorher. Ich spürte wie mir bei dem Gedanken der Rückkehr kalt wurde und presste meine Arme enger an mich.

„Ist dir kalt?“

Mein Kopf fuhr hoch und ich schaute in Nils braune Augen, die mich kritisch musterten.

„Ein bisschen.“

Er zog sein Shirt aus und trat einen Schritt näher. Wie einem Kleinkind zog er mir das Shirt über den Kopf und schaute in meine Augen. Ich konnte nicht in diese Augen schauen, dich ich in wenigen Tagen nie wieder sehen würde. Sie durften mir nicht zu wichtig werden. Nicht mein Rettungsboot werden, dass anschließend verschwand. Mein Blick glitt zu Boden und ich versuchte mich auf die trockene, harte Erde unter meinen Füßen zu konzentrieren.

Ich spürte wie seine rauen Finger sich unter mein Kinn legten und er es sanft anhob und mich zwang in seine Augen zu gucken.

„Keine angst. Du schaffst das schon mit deinem Dad. Da bin ich mir sicher.“

Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen.

Ich konnte vor Angst nicht sprechen und nickte wieder nur stumm. Die Erkenntnis, dass das Wiedersehen mit meinem Vater bald war, fühlte sich an, wie ein tritt in die Magengrube.

Diese Angst schnürte mir die Kehle zu und ich fing an zu zittern.

Dann spürte ich sie. Die heißen Tränen, die wie Regentropfen meine Wangen herunter liefen.

„Hey, nicht weinen.“ Mit seinen Fingern strich er vorsichtig über meine Haut und wischte die Tränen weg. Ich konnte nicht mehr Reden. Die Angst brach über mich herein und ließ mich fast Ohnmächtig werden.

Er legte seine starken Arme um mich und drückte mich vorsichtig an sich. Seine Hände streichelten sanft meine Haare. Sein Duft stieg mir in die Nase und ich stand einfach nur da und ließ die Tränen laufen. Diese tropften auf seine Haut und bahnten sich einen Weg über seine Brust, hinunter bis zu seinem Bauch.

„Nicht weinen Kleine. Der Typ hat deine Tränen nicht verdient. Schau doch mal wie hübsch du bist. Lass dir deine Träume nicht von so einem Schwein zerstören.“

Die Worte von ihm waren behutsam gewählt und er sprach sie wie eine Formel.

Wie in Trance stand ich da, während er auf mich einredete. Doch ich verstand nicht alles was er sagte. Meine Gedanken waren bei meiner Vergangenheit. Die grauenvollen Stunden, die mein Vater nachts in meinem Zimmer war kreisten wie ein böser Geist in meinem Kopf und ich hatte das Gefühl, jeden Schlag den er mich gab, erneut zu spüren.

Ich hörte wie meine Mutter schrie und weinte vor Schmerz. In meinen Ohren war ein Chaos und das einzige was mich ein wenig beruhigte, war mein Entführer, der mich sanft im Arm hielt und meinen Rücken streichelte.

Wer war dieser Junge bloß?

Wieso brachte er mich so durcheinander und wieso konnte er mich trösten?

Was hatte er, dass er für mich zu einem Rettungsboot geworden war?

Und was würde geschehen wenn dieses versank?

Konnte ein Rettungsboot überhaupt verschwinden?

Gott war schließlich auch nicht anwesend und doch war er ein Rettungsboot für Millionen von Menschen.

Aber was würde passieren, wenn ich wieder alleine in meinem Zimmer saß und vor Schmerzen weinte.

Würde ich einfach so an ihn denken können und alles würde wieder gut sein?

Oder würde der Schmerz nur schlimmer werden?

Denn schon jetzt schmerzte der Gedanke ihn zu verlassen. Und das, obwohl ich ihn nicht kannte und er ein Schwerverbrecher war.





Reue

„Nils?“

Bens Stimme durchbrach die Stille des Waldes, die sich um uns gehüllt hatte und riss mich aus meinem Trancezustand. Ich spürte wie Nils sich langsam, aber bestimmend und schnell von mir löste und sich abwandte. Wieder stand ich vollkommen alleine und verlassen in dem tiefen Wald und betrachtete ihn von hinten.

Da er kein Hemd mehr trug, konnte man jede Kontur seiner Muskeln sehen. Ich verspürte den Drang mit meinen Fingerspitzen sanft über seine Haut zu gleiten und seine Züge nachzuzeichnen. Seine Jeans saß perfekt und selbst mit seinen durchgenässten Schuhen sah er heiß aus. Er war das genaue Gegenteil von mir. Wir waren wie Feuer und Wasser. Nicht Kombinierbar. Meine Hände verkrampften sich und ich wischte mir rasch die restlichen Tränen von der Wange. Immer öfter drang das Geräusch von brechenden Ästen und trockenen Blättern, die raschelten an meine Ohren und kaum hatte ich meine letzte Träne weggewischt, stand Ben vor Nils.

„Was gibt’s?“

Ich sah wie Ben mir einen Blick zuwarf, der Nils deutlich machen sollte, dass er die Sache nicht vor mir bereden könnte. Ich ließ meine Arme schlapp an meinem Körper herunter hängen und griff nach dem Stoff von Nils Hemd, damit ich wenigstens etwas halt hatte. Schüchtern blickte ich zu Boden und registrierte das leise Gemurmel, das ich nicht hören wollte. Mit aller Kraft verbannte ich die Stimmen meiner Entführer aus meinem Bewusstsein und konzentrierte mich auf den harten Boden unter meinen Füßen. Er war staubtrocken, obwohl es so stark geregnet hatte. Die dichten Baumkronen hatten das Wasser abgefangen und dem Boden so das Leben entsagt. Doch ich wusste, dass sobald auch nur ein Tropfen Wasser auf die trockene Erde treffen würde, dieser eine gewaltige Auswirkung haben würde. Irgendwo tief unter der harten Oberfläche steckte ein Samen der sich danach sehnte auszubrechen.

„Franzi?“

Ich zuckte zusammen und hob ruckartig meinen Kopf. Die beiden jungen Männer vor mir blickten mich an. Ben stand mir zugewandt und musterte mich kritisch, während Nils nur über seine Schulter blickte und mich nachdenklich musterte.

„Ja?“

Ich erschrak über die Schwäche in meiner Stimme und räusperte mich einmal.

„Ja?“, wiederholte ich deutlich lauter und vernahm das kleine Lächeln auf Nils Gesicht.

„Macht’s dir was aus, wenn ich dich mit Nils alleine lasse? Ich wollte was zu essen besorgen.“

Verwundert über die Tatsache, dass Ben fragte ob es in Ordnung war mich mit Nils alleine zu lassen, nickte ich und sah wie Ben, Nils einen scharfen Blick zuwarf, bevor er sich davon machte.

Schweigend lauschten mein Entführer und ich wie Ben sich durch den Wald kämpfte und leise vor sich hin fluchte. Immer noch bahnten sich Sonnenstrahlen den Weg durch die Blätter und erreichten mein Gesicht. Ich wandte meinen Blick nach oben und beobachtete das Sonnenspiel. Die leichte Brise bewegte die Blätter. Es kam mir vor als würden diese mit der Sonne spielen.

Ich vernahm ein lautes Räuspern und blickte zu Nils der sich keinen Zentimeter bewegt hatte.

„Wollen wir?“, fragte er mich und steckte seine Hände dabei in seine nassen Jeanstaschen.

Die Präsenz des Kusses wurde mir wieder bewusst, als ich seine Lippen betrachtete und leicht rot wurde, weswegen ich nur kurz nickte und versuchte mich auf den Baumstamm hinter ihm zu konzentrieren.

Er öffnete ein paar Mal seinen Mund, schloss ihn jedoch wieder und drehte sich mit einem verwirrten Blick weg. Langsam schritt er voran und ich folgte ihm.

Wir wanderten den Pfad zurück den wir her gerannt waren. Diesmal war Nils jedoch schweigsamer und wesentlich langsamer. Wenn ich einen kurzen Blick von der Seite auf ihn erhaschte, sah ich nur eine nachdenkliche Miene.

Während ich hinter ihm hertrottete realisierte ich, was ich getan hatte. Ich hatte mich versucht umzubringen und meinen Entführer geküsst. Alles innerhalb kürzester Zeit. Ob sich das wohl gut auf einer Bewerbung macht? Vor meinem inneren Auge sah ich mich in einem Bewerbungsgespräch sitzen, vor einem Anzugsschnösel, der von meinen Erzählungen über meine dramatische Entführung gebannt war. Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen. Ich würde damit bestimmt den Mitleid Bonus einheimsen und falls ich mal vor Gericht landen sollt, kann ich alles auf das traumatische Erlebnis schieben. Entführungen hatten schon was. Aber nur wenn die Entführer nett waren.

„Was grinst du so?“

Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen und starrte Nils an der frech grinste, als hätte er ein Mädchen bei etwas schlimmen ertappt.

„Ich hab mich nur gefragt wie sich eine Entführung in den Bewerbungsunterlagen macht.“

„Dann hast du den Mitleid Bonus“, erwiderte er grinsend.

„Genau das hab ich mir auch gedacht. Und sollte ich mal vor Gericht landen, kann ich alles auf mein traumatisches Erlebnis schieben.“

„Findest du es etwa so schlimm?“

„Nein, ihr scheint aber auch nicht zu wissen, wie man einen Geisel behandelt.“

„Wir haben auch noch nie jemanden entführt“, lachte er auf, wobei sein lachen bis tief in mein Herz drang.

„Stimmt, ihr habt nur Zehn Leute erpresst und Fünfundzwanzig Banken ausgeraubt.“

Er musterte mich von der Seite.

„Bist du eine kranke Stalkerin?“

„Ich nicht, aber meine Freundin vergöttert euch“, seufzte ich auf und erkannte das Ende des Pfades.

„Sieht sie gut aus?“

„Wie Aphrodite persönlich.“

„Gekünstelt?“

„Ja.“

„Dann ist sie nicht mein Typ.“

Ich blieb stehen und warf ihm einen ungläubigen Blick zu.

„Glaub mir, sie würdest auch du vergöttern.“

„Weißt du was euer Problem ist?“

„Unser?“, fragte ich irritiert und blickte mich um, worauf er nur lächelnd den Kopf schüttelte.

„Der Damenwelt.“

„Achso. Na dann. Ich höre.“

„Ihr denkt, dass Typen nur auf das äußere stehen und bis zu einem Punkt ist das auch richtig, aber für eine längere Beziehung braucht man was mit tiefe und keine Barbie.“

„Ach und das äußere ist egal?“

„Klar ist es cool, wenn du als Typ eine heiße Freundin hast. Aber wenn die stockdoof ist, kannst du mit der nirgends auflaufen.“

„Und mit einer hässlichen, die schlau ist, würdest du überall auflaufen.“

Er wandte sich zu mir und betrachtete mich von oben bis unten. Dann blickten seine braunen Augen tief in meine und schienen in meine Seele zu dringen. Vollkommen verwirrt versuchte ich seinen Blicken stand zu halten. Ich wollte nicht schon wieder die Schwächere sein.

Plötzlich machte sich ein Grinsen auf seinem Gesicht breit.

„Nein, aber mit einer wie dir würde ich überall auflaufen.“

Er zwinkerte mir zu und bahnte sich die letzten Meter aus dem Wald zu der Treppe.

In meinem Kopf liefen die Wörter in einer Endlosschleife, bis ich die Bedeutung dahinter begriff. Hatte er gerade wirklich indirekt gesagt, dass ich hübsch und schlau war? Ich runzelte meine Stirn und betrachtete den immer noch halbnackten Mann vor mir, der sich lässig mit einer Hand durch sein blondes Haar fuhr. Ein ungewohntes Gefühl der Zuneigung stieg in mir auf und breitete sich von meinem Bauch bis in die Fingerspitzen aus. So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Ich war immer das kleine, stille Mädchen gewesen, vor dem alle Jungs Angst hatten, weil es sich ab und zu Anfälle nahm. Nur wenn ihr etwas nicht passte.

Ich verließ den harten Pfadweg und trat auf die kleine Lichtung, auf der Nils stand und nach oben schaute.

Wortlos stellte ich mich neben ihm und betrachtete ebenfalls, die gigantische Eiche, die mit zierlichen Blättern geschmückt war. Erneut brachen Sonnenstrahlen durch die Blätterwand und streiften mein Gesicht. Eine angenehme wäre breitete sich in mir aus, die allerdings auch von dem Jungen neben mir verursacht wurde. Ich schloss meine Augen und genoss den Moment. Vögel zwitscherten und Blätter raschelten viele Meter über uns, doch hier unten, zwischen den Bäumen, im geschützten Wald, erreichte mich kein kleiner Luftzug.

„Bereust du es?“

Langsam öffnete ich meine Augen, starrte jedoch weiter nach oben, wie mein Entführer, der das Wort ergriffen hatte.

„Was?“

„Dass du anstelle des kleinen Mädchens mitgekommen bist.“

Erinnerungen an die kalten braunen Augen, die mich damals angeschaut hatten brachen an die Oberfläche. Das kleine Mädchen, welches geweint hatte vor Angst und welches einen Beschützerinstinkt bei mir geweckt hatte. Das Ultimatum von dem Verbrecher und meine Entscheidung mitzukommen.

Langsam drehte ich meinen Kopf zu Nils, der mein Mienenspiel neugierig betrachtet hatte.

„Nein“, sagte ich und versank in den warmen, braunen Augen meines Entführers.



Vernebelte Sinne

„Ist dir kalt?“

Die Worte rissen mich aus der Tiefe seiner Augen und brachten mich zurück auf den Boden der Realität.

„Was?“, fragte ich perplex und blinzelte ein paar Mal. Seine Mundwinkel zuckten kurz und ohne erneut zu fragen, griff er nach meiner Hand. Sofort war wieder dieses komische Gefühl in meiner Magengegend, das mich verzweifeln ließ, weil ich es nicht genau identifizieren konnte. Vielleicht war es so etwas wie Zuneigung oder Vertrauen, doch kaum war der Gedanke in meinem Kopf, erinnerte ich mich daran, dass er mein Entführer war und ich eigentlich Angst haben sollte. Doch ich musste mir eingestehen, dass ich keine Angst hatte.

Während ich meinen Gedanken nachhing, zog Nils mich die massiven Holztreppen hoch und wir betraten die Sonnendurchflutete Wohnung. Doch das nahm ich alles nur am Rande wahr.

Irgendwas zog meine Blicke auf Nils, der immer wenn ich ihn von der Seite sah, lächelte.

Gleichzeitig versuchte ich das komische Gefühl, das ich dabei hatte, auszustellen und mich auf was anderes zu konzentrieren. Allerdings gelang es mir nicht, denn das Verdrängen hatte ich verlernt, als ich mich auf meine Entführer eingelassen habe und deren Gesichte kennen gelernt hatte. Sie waren nicht länger zwei Gestalten mit einer Maske. Langsam bekamen sie Gesichter und eine Geschichte die dazugehörte.

„Hier.“ Tranceartig starrte ich auf die Klamotten die Nils mir hinhielt. Verwirrt griff ich danach und schaute ihn fragend an.

Ein kleines Lachen entfuhr ihm, woraufhin er mich an den Schultern packte und sacht rüttelte.

„Hallo. Erde an Franzi.“

„Ich bin doch da“, sagte ich leicht empört und drückte die Klamotten enger an mich.

Erneut grinste er mich an und schüttelte leicht seinen Kopf, wobei seine blonden Haare leicht in sein Gesicht fielen.

„Los geh duschen“, wies er mich lachend an. Ich verdrehte meine Augen und wandte ihm den Rücken zu. In aller Ruhe lief ich von dem Schlafzimmer, durch das Wohnzimmer in den langen Flur, an dessen ende sich die Tür in die Freiheit befand. Doch ich spürte nicht den Hauch eines Drangs diese Tür zu öffnen und zu fliehen. Sie kam mir mittlerweile eher wie eine Bedrohung vor, als wie eine Hilfe. Ich griff nach der kalten Türklinke der Badezimmertür und drückte diese herunter. Langsam trat ich in das große Badezimmer und schloss die Tür hinter mir. Genau wie der Rest der Wohnung, oder des Baumhauses, war dieser Raum hell erleuchtet von warmen Sonnenstrahlen. Ich ging in die mitte des Badezimmers und blickte zur Seite.

Ein braunhaariges Mädchen starrte mich nachdenklich an. Ihre grün-braunen Augen waren freundlich und in ihnen lag der ungewohnte Ausdruck von Vertrauen. Ihre Haare waren zerzaust und sahen schrecklich aus. Ihre Klamotten waren dreckig und sie presste ein Bündel Baumwolle eng an sich. Ihre geschwungenen Lippen waren leicht geöffnet und ihre Nase, die leicht krumm war, deutete auf das hin, was sie durchgemacht hatte. In einer ihrer Halsbeugen war eine kleine Narbe, die nicht sofort zu erkennen war. Sie war im vergleich zu früher abgemagert, sodass ihre Knochen sich auf ihrer Haut abzeichneten. Und doch wirkte sie glücklich.

Ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass ich mich in einem Spiegel betrachtete. Vorsichtig hob ich meine Hand und strich mir eine lange Strähne aus dem Gesicht. Ich hatte bei diesem Anblick von mir selber Angst zu zerbrechen. Mir war nie aufgefallen, wie stark ich in den letzten Jahren abgenommen hatte. Ich zog mir das Hemd von Nils aus und das Shirt das ich darunter trug. Ich drehte mich ein wenig und betrachtete meine blauen Flecken, die langsam verblassten. Doch sie waren immer noch da und leider immer noch zu stark.

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ich sah aus dem Augenwinkel, wie Nils mit geöffnetem Mund in der Tür verharrte.

„Sorry ich wollte nur…“, fing er an zu stottern.

„Schon okay“, redete ich ihm dazwischen und fuhr mit meiner Fingerspitze über einen besonders dunklen Fleck, woraufhin sich eine schmerzverzerrte Grimasse auf meinem Gesicht abspielte.

Erneut wollte ich drüber fahren, weil der Schmerz gut tat. Er holte mich in die Realität zurück, die daraus bestand, dass ich zu meinem Vater zurück musste. Doch bevor ich meine Finger in die Richtung bewegen konnte, hielt jemand mein Handgelenk fest.

„Verdammt Franzi, lass das“, flüsterte er neben meinem Ohr. Ich sah durch den Spiegel, dass er schräg hinter mir stand und ebenfalls in den Spiegel blickte, woraufhin ich meinen Blick abwandte. Ich vergaß allerdings, dass sie dadurch eine größere Narbe für ihn offenbarte.

Er drehte mich sanft herum und fuhr mit seinen rauen Fingern über die besagte Narbe.

„Woher hast du die?“, flüsterte er entsetzt.

„Vater…“, antwortete ich und spürte eine tiefe Traurigkeit bei der Erinnerung.

Nils stieß hart Luft aus und schaute mir wütend in die Augen. Ich wusste, dass diese Wut nicht mir, sondern meinem Erzeuger galt, der mir mein Leben zur Hölle gemacht hatte.

„Wie?“

„Er hat meiner Mutter gedroht mich umzubringen, wenn sie ihm nicht sagt, wer ihr Liebhaber ist.“ Ein bitteres Lachen kroch über meine Lippen. „Da war ich Vier.“

Die Tatsache, dass ich in Unterwäsche vor ihm stand, war irgendwie irrelevant.

Immer noch schauten wir uns in die Augen und ich spürte die Hitze von seinem Körper. Seine Hand strich zart über meine Wange und verharrte dort. Ich spürte wie er sich nach vorne beugte und unsere Lippen sich erneut näherten. Das Gefühl in meiner Magengegend, war erneut da. Diesmal jedoch extremer, als bisher. Sein heißer Atem strich über meine Lippen, bevor er seine auf meine legte. Seine Hand grub sich tiefer in mein Haar, während sein anderer Arm sich um meine Taille legte und mich enger an ihn drückte. Ohne groß nachzudenken, fuhren meine Hände über seine Brust zu seinem Nacken und drückten so, seine Lippen stärker auf meine. Ich spürte wie sein Atem sich beschleunigte, was auf mich wie ein elektrischer Stromschlag wirkte. Jedes Stück Haut, dass er berührte, fing an zu kribbeln und verstärkte meine Verwirrtheit. Sein Atem, der über mein Gesicht strich, vernebelte mir die Sinne. Ich spürte, wie wir uns in Bewegung setzten. Er ließ mich nicht los und dirigierte mich gekonnt rückwärts durch die Wohnung. Immer wieder strich seine Hand über mein Gesicht und fuhr meine Züge nach. Nur wenn es sein musste, nahm er eine Hand weg und öffnete eine Tür. Doch er hörte nicht auf mich zu Küssen und auch sein Arm um meine Taille blieb wo er war. In mir herrschte das reinste Chaos. Irgendwo tief in mir, hielt ich mir eine predigt über das was ich gerade tat, doch die anderen stimmen, die mir sagten, wie gut sich das anfühlte, überwogen.

Ich merkte wie er mich auf etwas Weiches drückte und sich über mich stütze. Wie waren wir so schnell in das Schlafzimmer gekommen?

Ich verdrängte die Frage und meine Hände glitten unter sein Shirt, wo sie sanft seine Konturen nachzeichneten. Ein leises Stöhnen entfuhr ihm, das mich dazu brachte ihn näher an mich zu drücken. Unsere Lippen lösten sich nicht voneinander. Sie waren eins geworden und bewegten sich in einem Rhythmus. Mein Gehirn hatte ausgeschaltet und so streifte ich ihm sein Shirt über den Kopf. Kaum hatte ich es über sein Kopf gezogen, pressten sich seine Lippen wieder leidenschaftlich auf meine. Ich spürte wie er das Shirt wegschmiss und seine Küsse langsam meine Halsbeuge hinab wanderten. Seine andere Hand machte sich an meiner Hose zu schaffen. Ich schnappte nach Luft und wusste worauf er hinaus wollte. Die Frage war nur, wollte ich das auch?

„Nils“, sagte ich schwer atmend.

„Hm?“, murmelte er zwischen den Küssen, die immer tiefer wanderten und sich nun auf meine Brust zu bewegten.

„Ich bin noch Jungfrau“, sagte ich und bis mir auf die Zunge. Sofort hörte er auf und blickte mich an.

Er fuhr sich mit einer Hand durch sein Haar und rollte sich von mir herunter. War er sauer?

„Sorry“, hörte ich ihn murmeln.

„Nein mir tut das Leid. Ich hätte es dir früher sagen müssen“, erwiderte ich entschuldigend und erinnerte mich an die Szene im Bad.

Ein kleines Lachen seinerseits ertönte.

„Du hättest mir das nicht sagen müssen. Geht mich schließlich nichts an.“

Schwer atmend und halb nackt lagen wir beide nebeneinander und starrten an die Decke.

„Nils?“, ertönte es laut und ich erkannte die vertraute Stimme von Ben.

Rasch setzte Nils sich auf und griff nach seinem Shirt, dass er sich elegant und schnell überstreifte.

Ich hörte wie er leise die Tür öffnete und in das Wohnzimmer trat.

„Ja?“

„Ach hier bist du“, sagte Ben neutral und stellte etwas ab, was nach Plastik Einkaufstüten klang.

„Sag mal, was ist den hier passiert?“ Ein Hauch Skepsis schwang in Bens Stimme mit.

„Was meinst du?“, fragte Nils unschuldig.

„Im Bad liegen Klamotten und du siehst..durchgevögelt aus?“

Dann war es Still. Ich hörte nur meinen eigenen Atem und starrte an die weiße Decke, während Nils Geruch von den Kissen ausging.

„Verdammt Nils!“, ertönte nun Bens wütende Stimme.

„Es ist nichts passiert!“

„Und das soll ich dir glauben?! Ich kenne dich doch!“

Nils stöhnte genervt auf und ich sah vor meinem inneren Auge wie er sich durch die Haare fuhr.

„Sie ist unser Geisel!“, betonte Ben jedes Wort lautstark.

„Ich weiß!“, brüllte Nils zurück.

Erneut war es Still. Kleine Sonnenstrahlen fielen durch das Fenster auf das Bett und so wandte ich meinen Blick von der Decke und betrachtete das grüne Meer aus Blättern, das sich leicht im Wind bewegte.

„Hast du..?“, vernahm ich plötzlich wieder Bens Stimme.

„Weiß nicht. Vielleicht. Oder auch nicht.“

„Dir ist klar, dass sie keine drei Tage mehr bei uns ist.“

„Ja.“

Die Bitterkeit in Nils Stimme jagte mir einen Schauer über den Rücken. So habe ich ihn noch nie gehört. Ich hatte die Böse und die Gute Facette von ihm gesehen, doch das war mir jemand vollkommen Fremdes. Und worüber haben die beiden gesprochen?

Wahrscheinlich darüber, ob er mich entjungfert hat. Oder ob er zu weit gegangen ist. Es war auch egal. Ich hatte schließlich keine drei Tage mehr. Ein Stich durchfuhr mein Herz bei dem Gedanken die Beiden verlassen zu müssen.



Böser Traum

Ich rollte mich auf dir Seite und schaute in das grüne Meer, in das ich schon am Anfang der Entführung geblickt hatte. Zu der Zeit wirkte es bedrohlich, fast tödlich, doch nun sah ich eine Sehnsucht und Wärme in dieser Tiefe. Ich krallte meine Finger in den Stoff der Decke und spürte leicht Verzweiflung in mir aufsteigen. In drei Tagen würde ich ihn sehen. In drei Tagen war mein Leben vorbei. Dann würde ich wieder die leblose Hülle sein, die ich einst war und wie ein Zombie weiter leben. Die Zeit der Entführung würde ich Verdrängen und meinen zombieartigen Zustand würden alle auf dieses Erlebnis zurück führen. Ein Schauer lief mir über den Rücken als schlagartig Bilder von meinem Vater vor mir auftauchten. Ich spürte schon jetzt seine Schläge und seine Wut. Heiße Tränen rannten leise über mein Gesicht und fielen auf das weiße Kissen. Langsam schloss ich meine Augen und versuchte die Tränen zurück zu halten. Ich wusste nicht wovon ich plötzlich so müde war und auch nicht wieso, doch kaum hatte ich meine Augen geschlossen glitt ich fort von der grauenvollen Realität.



Ich stand in der Küche. Vor mir stand meine Mutter und Tränen liefen ihr wie ein Wasserfall über das Gesicht. Ich wollte auf sie zugehen und in den Arm nehmen, doch dann spürte ich die große Pranke an meiner Schulter, die mich nicht zärtlich zurückhielt. Etwas scharfes setzte jemand an meinem Hals an. Alles war verschwommen. Das einzige was ich wusste, war dass gerade nichts gut war. Da spürte ich die Angst und die Tränen. Mein Mund öffnete sich und ich schrie nach meiner Mutter. Sofort wurde meine Schulter losgelassen und die Hand wanderte zu meinem Mund um dieses zu verschließen.

Sei Ruhig!“, brüllte mich jemand an.

Ich erkannte diese vertraute Stimme meines Vaters, doch sie jagte mir noch mehr Angst an, als ich die ungebändigte Wut in seinen Worten erkannte.

Bitte lass sie doch!“, flehte die Frau vor mir ihn an und hielt sich die Hände vor den Mund.

Die Szene wurde immer klarer und ich erkannte das ungewohnte Gesicht meiner Mutter.

Mit wem hast du dich getroffen? Und wehe du lügst! Dann schneide ich ihr die Kehle durch!“ schrie mein Vater und presste mir das Messer näher an den Hals.

Ich wollte schreien, als ich einen kleinen Stich spürte und etwas Heißes an meinem Hals herunter lief. Entsetzt schrie meine Mutter auf und pure Verzweiflung stand ihr in den Augen geschrieben.

Es gibt niemanden! Bitte lass sie jetzt los!“

Hoffnungslos stütze meine Mutter sich an dem Tisch ab und begann noch heftiger zu weinen. Ihre Augen waren rot angeschwollen.

Ich schwöre dir, wenn du mich anlügst, bring ich sie um!“

Es gibt wirklich niemanden!“ schrie meine Mutter zurück und fuhr sich hektisch durch die Haare. Eine Ewigkeit verharrten wir so. Das Messer lag immer noch an meinem Hals, während mein Vater meine Mutter wutentbrannt betrachtete. Ich spürte an seinem Atem wie aufgebracht er war und betete, dass er meiner Mutter nichts tat. Zu oft hatte er sie schon geschlagen

Plötzlich wurde ich unsanft weggeschubst und fiel fast in die Scherben, die auf dem Boden lagen. Doch bevor ich schmerzhaft auf diese traf wurde ich von meiner Mutter aufgefangen und in den Arm genommen. Sie drückte mich fest an ihre Brust, sodass ich über ihre Schulter gucken konnte. Ich erblickte mich in einem Spiegel und erkannte mein kindliches Gesicht. An meinem Hals lief scharlachrotes Blut langsam hinab und meine Mutter wiegte mich weinend sanft hin und her. Sie nuschelte etwas, doch ich verstand es nicht. Ich hörte ein lautes Tür knallen und wusste, dass mein Vater vorerst weg war. Doch ich wusste, dass er wieder kommen würde. Ich sah mich erneut an und erkannte die Verzweiflung in meinen Augen.


Ich wurde unsanft wach gemacht, als mich jemand an den Schultern packte und schüttelte. Langsam öffnete ich meine Augen und erblickte das gehetzte und doch liebevoll dreinblickende Gesicht meiner Mutter.

Franziska“, hörte ich ihre wundervolle Stimme ganz nah bei mir. Der wundervolle Geruch von Lavendel stieg mir in die Nase und ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen.

Mama“, flüsterte ich und betrachtete sie genauer. Und plötzlich erkannte ich die pure Verzweiflung in ihrem Gesicht.

Du musst mir jetzt genau zuhören Franziska, hast du mich verstanden?“

Falten bildetet sich auf meiner Stirn und ich nickte stumm.

Egal was Papa tut, er darf dir nichts tun. Wenn er dir etwas tut, lauf zu Mrs. Jefferson, sie wird sich um dich kümmern. Oder geh zu deinen Lehrern. Hast du verstanden? Wenn er etwas tun sollte, was du nicht willst, dann sag das jemandem. Hast du verstanden?“

Verwirrt über diese Worte und deren Bedeutung, die ich nicht verstand nickte ich.

Plötzlich nahm sich mich in den Arm und presste mich eng an sich.

Ich hoffe, dass du mich eines Tages verstehst und mich dafür nicht hasst“, nuschelte sie nah neben meinem Ohr. Sie löste sich snaft von mir und drückte mir einen Kuss auf die Strin, als ich ihre Tränen bemerkte, die auf mein Kissen tropften.

Ich liebe dich Kleines. Vergiss das nie.“

Dann drehte sie sich um und stürmte aus meinem Zimmer. Ihr schwarzer langer Mantel schlug ihr leicht um die Beine. Ich ließ mich zurück in das Kissen fallen und horchte. Ein leises Klicken der Tür machte mir bewusst, dass meine Mutter gegangen war, doch ich wusste nicht wohin und wieso. Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus und mir wurde schlagartig kalt. Ich zog meine Bettdecke höher und presste sie enger an mich. Auf einmal fühlte ich mich verlassen. Und ich wusste, dass ich meine Mutter nie wieder sehen würde. Das war ein Abschied gewesen.



Ich schlug meine Augen auf und starrte an die weiße Zimmerdecke. Kalter Schweiß stand auf meiner Stirn und mein Atem ging unregelmäßig. Ich spürte das rauenvolle Gefühl der Verlassenheit so intensiv wie schon lange nicht mehr und jeder Zentimiter meines Körpers schien zu Zittern.

Die Zimmertür wurde aufgerissen und ich vernahm die verschreckte und sorgenvolle Stimme von Nils.

„Franziska?! Was ist?“ Bevor ich etwas sagen konnte, saß er neben mir und beugte sich über mich. Eine blonde Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht.

„Alles gut. Blöder Traum“, nuschelte ich vor mir hin und verdrängte die Erinnerungen die nun wieder in meinem Kopf schwirrten. Die Nacht in der meine Mutter verschwand und der Abend an dem mein Vater herausgefunden hatte, dass meine Mutter einen Liebhaber hatte.

„Ach du meine Scheiße“, hörte ich Bens Stimme. Entsetzt schaute er mich an.

„Was?“ fragte ich leicht verwirrt und hörte meine grauenvoll, schwach klingende Stimme.

„Was ist passiert?“, fragte er nun an Nils gewandt und stürmte auf mich zu.

„Böser Traum“, antwortete dieser ohne mit der Wimper zu zucken.

„Hol ihr was zu trinken“, wies er Ben an, der daraufhin eilig verschwand.

„Was…?“, bevor ich meine Frage aussprechen konnte, unterbrach mich Nils.

„Wovon hast du geträumt.“

Ich öffnete meinen Mund, wusste jedoch nicht was ich antworten sollte.

Die brauen Augen durchbohrten mich.

„Von meinen Eltern“, flüsterte ich und dann fingen die heißen Tränen an mir die Wange herunter zu laufen.

Bevor ich etwas machen konnte, zog Nils mich in seine Arme und hielt mich fest. Eine Geste, die ich nie so liebevoll erlebt hatte. Niemand von uns beiden sagte etwas. Wir saßen einfach nur da. Ich weinte über meine Vergangenheit, während Nils mich sanft im Arm hielt. Mehr tat er nicht und doch tat er genug.





Wünsche

Ich hörte wie die Zimmertür leise geöffnet wurde und Ben hinein trat. Ohne sich von mir zu lösen, nahm Nils etwas entgegen und nickte Ben zu, der daraufhin das Zimmer verließ und die Tür schloss. Sacht strich er mir durch mein langes braunes Haar und drückte mich ein Stück weg, sodass er mit etwas kühlem über meine Stirn fahren konnte. In seinem Blick lag nicht die eiserne Kälte, sondern etwas wie Liebe und Glück, was mich von meinem Alptraum ablenkte und beruhigte. Mit einem Finger hob er sanft mein Kinn an, sodass ich ihm direkt in die Augen blickte. Mit dem kühlen Waschlappen, glitt er über meine Gesichtszüge und ich spürte wie gut es tat. Der kalte Schweiß verschwand langsam und mein Puls beruhigte sich wieder. Ich atmete tief ein und schloss meine Augen um mich etwas zu entspannen.

„Besser?“, hörte ich ihn fragen.

Ich nickte kurz, öffnete meine Augen und blickte in ein lächelndes Gesicht.

„Willst du jetzt duschen gehen?“

„Ja“, sagte ich und spürte wie meine Hose an meinen Beinen klebte.

Er legte seinen Arm um meine Taille und half mir aufzustehen. Ich spürte wie meine Beine immer noch zitterten, sodass ich fast wegsackte, doch seine starken Hände hielten mich fest.

„Geht?“

Ich nickte schwach und wurde von ihm in das Badezimmer begleitet. Langsam löste er seine Hände von mir und achtete darauf ob ich ohne ihn stehen konnte.

Sein besorgter Blick ließ ein Lächeln auf meinen Lippen entstehen, woraufhin er mich nur irritiert anschaute.

„Was?“, fragte er und schaute mich mit seinen braunen Augen an.

„Mir geht’s gut.“

Er legte mir eine Hand auf die Stirn und fing an vor sich hin zu reden.

„Starke Stimmungsschwankungen, Schwindel, Selbstmordversuche, trinkt kochend heißen Kaffee auf Ex, hat eine Entführung hinter sich. Ja, dir geht es bestimmt super.“

Ich schaute ihn grinsend an. Nun stahl sich auf seine Lippen ebenfalls ein Lächeln.

„Los geh duschen, bevor du vollkommen durchtickst.“

Er wuschelte mir einmal durch meine Haare und schloss die Badezimmertür hinter sich. Regungslos blieb ich stehen und bemerkte, dass ich kaum etwas registriert hatte, als er mich ins Badezimmer geführt hatte. Seine Nähe hatte mich alles vergessen lassen.

Verwundert über diese Tatsache zog ich meine Sachen aus und stellte die Dusche an. Das Wasser prasselte auf das kalte Keramik. Ich hielt meinen Fuß unter das Wasser um die Temperatur zu testen und stellte mich vollständig unter die Dusche, als ich das Wasser für Warm genug empfand.



Ich wickelte mir das flauschige Handtuch um und betrachtete meine glänzenden Augen in dem Spiegel.

Mit meiner Fingerspitze fuhr ich die Konturen meines Gesichts nach und erkannte kleine Veränderungen, die mich verwunderten.

In meinen Augen stand keine Verzweiflung und auch die Hoffnungslosigkeit erkannte ich derzeit nirgends an mir.

„Franzi?“, ertönte Nils Stimme, woraufhin sein wunderschönes Gesicht vor meinen Augen aufblitze.

„Ja?“, fragte ich und raffte das Handtuch enger an mich.

„Ich habe Klamotten für dich.“

Barfuss ging ich zu der Tür und öffnete sie leicht. Nils stand mit einem Haufen Stoff auf dem Arm an den Türrahmen gelehnt. Unsere Blicke trafen sich einen Moment. Ein Schauer lief meinen Rücken herunter und lähmte mich. Nils wendete seinen leicht roten Kopf ab und hielt mir die Sachen hin.

„Sorry, ich wusste nicht, dass..“, fing er an, brachte den Satz jedoch nicht zu ende.

„Danke“, murmelte ich und schaute Nils nach, der sich schnellen Schrittes ins Wohnzimmer stahl, ohne sich noch einmal umzublicken.

Leise und leicht zittrig schloss ich die Tür und schlüpfte in die Jeans und das T-Shirt, das Nils mir gebracht hatte.

Durch das Fenster in dem Badezimmer sah ich, wie sich die Sonne leicht rötlich färbte und dem Horizont entgegen glitt.

„Bin mit Brownie draußen!“, hörte ich Ben durch die kleine Wohnung Nils zurufen, der nicht antwortete.

Eine Tür wurde geschlossen und das Bellen von Brownie erstarb.

Plötzlich war es Still und mit jedem Schritt den ich tat, hatte ich Angst etwas hervorzubringen, das eigentlich nicht gesagt oder gefühlt werden sollte.

Ich schloss die Holztür hinter mir und schritt über den Holzboden in das Wohnzimmer. Meine Schritte wurden von einem leichten Knarren begleitet. An einer stabilen Holzsäule sitzend, erblickte ich Nils, der von dort den Sonnenuntergang betrachtete. Schweigend ging ich zu ihm und ließ mich neben ihm nieder.

Eine Zeit lang sagten wir nichts und betrachten nur die grelle Sonne, die den Wald mit ihrem Licht einfärbte.

„Was würdest du dir wünschen, wenn du einen Wunsch frei hättest?“, fragte er mich und durchbrach somit die Stille um uns herum.

„Den Weltfrieden“, sagte ich ironisch und erntete von Nils ein Lachen.

„Weltfrieden ist unmöglich.“

„Ich weiß. Dazu gibt es zu viele Idioten auf diesem Planeten.“

„Also, was würdest du dir wünschen?“, beharrte er, blickte mich jedoch nicht an.

„Ich würde mir einen Ort wünschen, an dem ich weit weg bin von meinem Vater. Niemand der mir in mein Leben pfuscht oder mich enttäuscht. Ein Ort, der mich verzaubert und mir voll und ganz gehört. Den Niemand mir nehmen kann.“

„Was ist mit deiner Mutter?“

Ich legte meine Stirn in Falten und konzentrierte mich auf ein Blatt, das von einer leichten Brise davongetragen wurde.

„Ich will das Leben, das meine Mutter sich aufgebaut hat nicht zerstören.“

„Findest du nicht, dass du ein Recht auf sie hast?“

„Ich will kein Recht auf sie haben. Und so doof es sich anhört, aber sie ist nicht mehr meine Mutter. Nicht weil ich sie nicht liebe oder weil sie mich verlassen hat, sondern weil ich sie vergessen habe. Sie ist nur noch ein Gesicht für mich ohne eine große Geschichte. Nur noch die Person die mich geboren hat.“

Erneut legte sich Stille über uns.

„Und was wünscht du dir?“, fragte ich nun Nils, der neugierig das Spiel der Sonnenstrahlen betrachtete.

„Dasselbe.“

Er drehte seinen Kopf zu mir und betrachtete mich durch eine blonde Haarsträhne. Seine Haut bekam durch das abendliche Sonnenlicht einen Rotstich, doch seine braunen Augen veränderten sich kein bisschen.

„Nur noch ein Tag“, flüsterte er leise und nahm meine Hand.

Ich schluckte den Kloß herunter, der in meinem Hals steckte. Wir wendeten unsere Blicke nach draußen und beobachteten die letzten Sonnenstrahlen.

„Kannst du mir eins versprechen?“

„Was?“, fragte ich leise.

„Mach keine Dummheiten, wenn ich nicht mehr da bin.“

Ich sah wie die Sonne hinter dem Horizont verschwand und uns langsam in Dunkelheit hüllte.

„Versprochen“, sagte ich und spürte wie er meine Hand fest drückte, ehe das Bellen von Brownie uns aus den Gedanken riss.


Letzte Stunden

Er entzog seine Hand meiner, was das Gefühl der Einsamkeit zurückkehren ließ. Ich schlang meine Arme um meine Beine, die ich anzog und starrte nach draußen. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Nils sich erhob und zu Ben schritt, der gerade das Wohnzimmer betrat.

„Wer hat Hunger?“, fragte dieser fröhlich und ich hörte, wie er den Kühlschrank öffnete.

„Ich bin für Pizza“, sagte Nils und ging über den Holzdielen zu der Couch, auf der er sich niederließ. Ich bewegte mich jedoch kein Stück.

„Franzi willst du auch Pizza“, ertönte Bens Stimme aus der Küche.

Bevor ich antwortete, konzentrierte ich mich auf meine Stimme und hoffte, dass sie stark klang.

„Ja“, sagte ich und war erleichtert, als ich bemerkte, wie kräftig ich mich anhörte.

Eine feuchte Hundenase, schnupperte an meinen Händen, mit denen ich mich immer noch zusammenhielt. Zumindest kam es mir so vor.

„Hey Kleiner“, flüsterte ich, als Brownie, mich mit großen Augen anguckte und seinen Kopf auf den Boden vor mir legte. Vorsichtig löste ich eine Hand von mir und fing an Brownie hinter seinen großen Ohren zu streicheln. Jedoch fiel es mir schwer, da ich das Gefühl hatte in tausend Teile zu zerspringen, sobald ich mich nicht selbst festhielt.

Ich hörte, wie Nils den Fernseher einschaltete und schlang meine Arme sofort wieder um mich, als ich bemerkte, worüber im Fernsehen geredet wurde.

„Polizeiberichten zufolge, soll Morgen um Zehn Uhr die Geldübergabe stattfinden. Dabei wird die entführte Franziska Meyer, der Polizei übergeben. Die Polizei ist schon vor Ort und sperrt die Umgebung ab.“

In meinem Kopf regte sich etwas. Hieß es nicht, dass der Deal in zwei Tagen stattfand und nicht schon morgen früh?

„Verdammte Scheiße Ben! Wir haben gesagt in zwei Tagen!“

Die Wut, die in dem Gebrüll von Nils mitschwang, ließ mich zusammenzucken. Ich drehte meinen Kopf herum und sah, wie Nils auf Ben zustürmte und ihn mit wutverzerrtem Gesicht gegen die Wand drückte.

„Sag mir, dass das ein Scherz ist!“, brüllte er und rüttelte an Ben.

„Nein es ist kein Scherz! Ich wollte es dir noch sagen!“, schrie Ben zurück.

„Du verdammtes Arschloch! Spinnst du!? Das hättest du mir früher sagen können!“

Ich sah, wie Nils mit der Faust ausholte und Ben einen Kinnhaken verpasste.

„Nils!“, schrie ich nun und klang dabei ziemlich sauer, obwohl ich eher verwundert war.

Ich raffte mich zusammen und stand mit wackligen Knien auf. Stolpernd kam ich neben Nils zum stehen und versuchte mich zwischen ihn und Ben zu stellen, der schon aus der Nase blutete.

Ich griff nach Nils Arm und klammerte mich dran fest. Augenblicklich hielt er inne und starrte mich außer Atem an.

Er schubste Ben noch einmal von sich weg, ehe er mich mit schmerzverzerrtem Gesicht anschaute. Ohne ein weiteres Wort stürmte er aus der Küche und ich hörte, wie er die Tür zuknallte.

Ich spürte wie ich zitterte und wandte mich Ben zu, der sich die Hand vor die Nase hielt.

Was war hier gerade passiert?

Bevor ich dieser Frage jedoch folgen konnte, wurde mir das Blut, das von Bens Hand tropfte bewusst.

„Oh Scheiße“, murmelte ich und schaute Ben mitleidig an.

Dieser nahm langsam seine Hand, die er vor seiner Nase hielt, weg und sah das Blut.

„Warte“, sagte ich und blickte mich hektisch in dem großen Raum um, auf der Suche nach Taschentüchern. Keine zwei Meter von mir entfernt, sah ich welche und griff hektisch nach ihnen. Ich war nie gut in solchen Stresssituationen gewesen und Blut verunsicherte mich meist, sodass ich zu nichts mehr zu gebrauchen war.

Ich fummelte ein Taschentuch aus der Packung und schob vorsichtig Bens Hand zur Seite, sodass ich ihm das Blut von der Nase tupfen konnte.

„Das sieht echt übel aus.“

„Er hatte schon immer einen harten Faustschlag“, erwiderte Ben und schnappte sich ein Taschentuch, mit dem er sich das Blut von der Hand wusch.

Ganz vorsichtig fuhr ich mit dem Taschentuch über seine Nase.

„Aua.“

„Tut mir Leid“, sagte ich und bekam grauenvolle Gewissensbisse, als Ben leicht zusammenzuckte.

Sofort zog ich das Taschentuch weg und verzog mein Gesicht zu einer entschuldigenden Miene.

Als das Taschentuch voller Blut war, schmiss ich es in den Mülleimer und nahm ein neues, das ich etwas anfeuchtete. Erneut tupfte ich vorsichtig Bens Nase ab und entschuldigte mich die ganze Zeit.

„Franzi hör auf dich zu entschuldigen“, murmelte er nach einer Weile.

Ich wischte das letzte Rest Blut weg und schmiss das Taschentuch in den Mülleimer. Ich setzte erneut eine schuldbewusste Miene auf und betrachtete Ben, der seinen Nasenrücken abtastete und zusammenzuckte.

„Er hat mir echt die Nase gebrochen“, sagte er völlig perplex.

„Der Vollidiot hat mir echt meine Nase gebrochen!“, sagte er nun lauter und schien die Tatsache zu realisieren.

„Das darf er Jenny aber schön selbst erklären“, murmelte er weiter, als er zu der Spüle ging und sich die Hände wusch.

„Wer ist Jenny?“, fragte ich Ben, der immer noch ungläubig den Kopf schüttelte.

Ich spürte wie fiese Gedanken und Vorstellungen sich in meinen Kopf schlichen und schließlich fiel auch das Gefühl der Eifersucht über mich her.

Als ich ihn fragte, sah ich wie Ben anfing zu Lächeln, als würde er an einen Engel denken.

„Jenny ist meine Freundin“, sagte er und strahlte mich an.

„Deine Freundin?“, fragte ich irritiert.

„Jap. Ob du’s glaubst oder nicht, auch Schwerverbrecher können eine Freundin haben.“

„Ist das nicht etwas… umständlich?“

„Schon. Vor allem weil Nils und sie des Öfteren unterschiedliche Meinungen haben. Und glaub mir eins, dann fliegen auch Mal Messer durch die Gegend. Und ich bin jedes Mal der, der zwischen zwei Stühlen steht.“

Ein Grinsen schlich sich bei dem Messerwurf Gedanken auf mein Gesicht, das Ben bemerkte und erwiderte.

„Weswegen bekommen die beiden sich, denn immer in die Haare?“, fragte ich, während ich mich an den Esstisch setzte und Ben beobachtete, der in Erinnerungen versunken zu sein schien.

„Jenny hält Nils für einen Player und sagt ihm, er soll sich endlich eine vernünftige Freundin suchen, und nicht immer seine Betthäschen mitbringen.“

Ben kam hinter der Küchenzeile hervor und ließ sich auf einen Stuhl neben mir nieder.

„Geht das überhaupt?“

„Was?“

„Eine Freundin haben, wenn man ein Schwerverbrecher ist. Ich meine, ihr seid immer unterwegs und weltweit gesucht. Gibt es jemanden, der dichthält oder wie läuft das ab?“

„Wir telefonieren, wenn ich länger weg bin und wenn’s nach Nils ginge, würden wir gar nicht mehr da auflaufen. Und ich kann ihn verstehen. Er fühlt sich glaub ich immer etwas einsam, wenn er mich mit Jenny sieht.“

Er seuftze einmal auf.

„Ich hab die Schläge so was von verdient“, nuschelte er vor sich hin.

„Hast du nicht!“

„Doch habe ich. Ich hätte es ihm früher sagen sollen und nicht alles hinter seinem Rücken machen sollen.“

„Wo ist er eigentlich hingegangen?“

„Keine Ahnung. Ich hoffe nur, dass er wiederkommt“, sagte Ben und blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit. In meinem inneren verkrampfte sich alles, bei dem Gedanken ihn nie wieder zu sehen. Ich musste ihn einfach wieder sehen! Also blieben Ben und ich schweigend an dem Esstisch sitzen und lauschten den Geräuschen des Waldes, in der Hoffnung, eine Tür oder seine Schritte zu hören.





Einsamer Engel

Etwas strich sanft über meine Wange und strich mir ein Haar hinters Ohr. Ich stöhnte leicht auf, als ich meine verspannten Muskeln spürte. Langsam erinnerte ich mich an den Abend und dass ich mit Ben schweigend im Wohnzimmer gesessen hatte. Wir hatten auf Nils gewartet, der abgehauen war. Ich musste eingeschlafen sein.

Ich öffnete meine Augen und erblickte Nils Gesicht. Sofort stieg mir der mir nur zu bekannte Geruch von Alkohol in die Nase und weckte Erinnerungen an meinen Vater.

In seinen Augen lag etwas Undefinierbares und sein blondes Haar fiel ihm leicht ins Gesicht.

Ich öffnete meinen Mund um etwas zu sagen, doch bevor ich auch nur einen Laut von mir geben konnte, legte er einen Finger auf meine Lippen und schüttelte den Kopf.

Verwirrt blickte ich in seine Augen und bemerkte wie sich ein schmerzlicher Ausdruck auf seinem Gesicht bildete.

Seine Augen betrachteten jeden Zentimeter meines Gesichtes, als würde er versuchen es in sein Gedächtnis zu brennen. Er beugte sich ein Stück nach vorne und küsste mich zärtlich auf die Stirn, woraufhin ein kalter Schauer über meinen Rücken lief und ein Kribbeln sich in meinem Magen ausbreitete.

„Nils?“, flüsterte ich leise.

„Pscht“, nuschelte er und drückte sein Gesicht in mein Haar. Nils atmete tief ein und legte seine Hand auf meine Wange.

„Du bist so wunderschön. Wie ein Engel“, flüsterte er in mein Haar und ich bemerkte, dass er schon ein wenig am lallen war.

„Du bist betrunken.“

Er löste sich ein Stück von mir, sodass er mir in die Augen schauen konnte.

„Kinder und Betrunkene sagen immer die Wahrheit oder?“

Nils griff neben sich und zog eine Falsche hervor aus der er einen tiefen Schluck nahm. Erneut erkannte ich den Geruch von starkem Alkohol.

Er setzte die Flasche ab und starrte mich nachdenklich an. Dann riss er mich in seine Arme und hielt mich fest. Nils fing mich mit seinen Armen ab, sodass ich nicht auf den harten Holzboden knallte.

Plötzlich spürte ich wie etwas auf meine Wange tropfte .Langsam bahnte sich die Träne den Weg zu meinem Hals um von dort in meinen Ausschnitt zu laufen. Nils entfuhr ein leises Schluchzen und ich brauchte einen Moment bis ich realisierte, dass er weinte.

Überrumpelt verharrte ich in seinen Armen und ich versuchte zu verstehen, weswegen ein Gangster, wie er einer war weinte.

Doch bevor ich nach dem Grund für seine Tränen fragen konnte, sah ich wie Jemand eine Hand auf seine Schulter legte. Ich hob meinen Kopf und erkannte die schattenhaften Umrisse von Ben.

Als hätte Ben etwas gesagt, ließ Nils mich los und erhob sich langsam. Ich rutschte auf den harten Holzboden und blickte den beiden jungen Männern nach.

„Ich will das nicht Ben“, lallte Nils aufgelöst.

„Ich weiß, aber es geht nicht anders.“

„Bitte Ben finde eine andere Möglichkeit.“

„Es geht nicht.“

„Ich KANN das nicht Ben! Ich kann das nicht.“

Nils aufgebrachte Stimme wurde immer leiser, bis sie vollkommen verstummte. Ich sah noch wie Ben Nils stütze und ihm ins Schlafzimmer begleitet.

Regungslos und trotz der Schmerzen, die der harte Holzboden auslöste, verharrte ich an der Stelle und in der Position in der Nils mich hat fallen lassen.

Nun bemerkte ich, dass mein Herz raste. Schlagartig war ich hellwach.

Das Bild, das ich einst von dem kalten, kompromisslosen Verbrecher gehabt hatte, verblasste immer mehr und zum Vorschein kam ein zerbrechlicher Junge, der schwere Schicksalsschläge gehabt hatte.

Wie in Trance blickte ich zu der Schlafzimmertür und verspürte einen Drang den Beiden zu folgen, doch ich war wie gelähmt. Jede Faser meines Körpers widersetzte sich meinem Willen. Meine Gedanken rasten zurück in die Vergangenheit und auf jede schlechte Erinnerung folgte eine gute. Und zu meinem großen Verwundern kam in jeder guten Erinnerung Nils vor. Selbst die Entführung, die in dem Supermarkt begonnen hatte, war gut für mich.

Wahrscheinlich war ich psychisch krank oder hatte Halluzinationen. So eine Entführung war schließlich traumatisierend. Das sagten immerhin alle.

Ein leises Klicken riss mich aus meinen Gedanken und ich wandte meinen Blick zu Ben, der aus dem Schlafzimmer trat.

Trotz der Dunkelheit erkannte ich seine geschwollene Nase und einen nachdenklichen Gesichtsausdruck.

„Ben?“, flüsterte ich leise, woraufhin dieser mich kalt anblickte.

„Du schläfst auf der Couch.“

Die Kälte in seiner Stimme lies mich erstarren. Wortlos schmiss er eine Decke vor meine Füße und schaute verachtend auf mich hinab.

Ohne ein weiteres Wort wendete er sich ab und verließ das Wohnzimmer. Mich ließen sie, auf dem harten Holzboden liegend, zurück. In Zeitlupe raffte ich mich auf und hob die Decke hoch, die mir wie Blei vorkam. Sie war kalt und schlicht. Nichts Besonderes. Langsam schritt ich zu der Couch auf der ich schon geschlafen hatte und setzte mich. Ich realisierte nicht was in den letzten Stunden geschehen war, jedoch wusste ich, dass etwas schief gelaufen war. Ich legte mich seitlich hin, sodass ich in den Wald blicken konnte, der in eine nächtliche Schwärze getaucht war. Die Decke zog ich mir bis zur Brust und legte meinen Kopf auf eine Hand.

Dann kamen die Erinnerungen wieder hoch. An meinen Vater und wie ich alleine in meinem Bett lag. Sofort hatte ich das Gefühl erdrückt zu werden und bildete eine Faust. Meine Fingernägel bohrten sich in meine Handflächen, doch der Schmerz war erträglicher, als die Realität.

Hatte ich etwas falsch gemacht? Wies verachtete mich Ben auf einmal? Wir hatten uns doch bis vor wenigen Stunden blendend verstanden und uns um Nils gesorgt. Was war in so kurzer Zeit geschehen, dass er mich verachtete? Verachtete mich Nils auch? Ich spürte wie die Tränen mir die Wangen runter rannten. Die Einsamkeit schlich sich durch die Nacht und ergriff mich erneut mit ihren Klauen. Ich raffte die Decke enger an mich und schlief nach einer Ewigkeit voller Tränen ein.


Ich stand in der Küche und wusch das Geschirr ab, als er eintrat. Seine Präsenz kam dem einen bösen Dämon gleich. Ich hörte wie ein Stuhl über Holz kratze und er sich anschließend mit einem Knarren niederließ.

Wo ist das Essen?“

Ich zuckte leicht zusammen als seine laute Stimme, die eben noch so ruhige Umgebung durchbrach.

Im Kühlschrank“, antwortete ich leicht sarkastisch.

Er gab ein lautes Grunzen von sich und ging zu dem Kühlschrank, doch bevor er diesen öffnen konnte, ertönte unsere Klingel. Zu meinem Verwundern ging er selber um die Tür zu öffnen. Sonst schickte er immer mich.

Ohne drüber nachzudenken, wusch ich das Geschirr weiter. Doch schon wenige Sekunden später, drangen mir bekannte Stimmen ans Ohr. Ich hielt inne und horchte.

Ich schloss meine Augen, als ich erkannte, dass Kai und Lukas die Besucher waren.

Bitte nicht“, flüsterte ich und versuchte mir selber Mut zuzureden.

Ich dachte es würde nichts passieren, denn ich hörte wie die Tür zuging und mein Vater in die Küche trat.

Erleichtert atmete ich aus, doch dann wurde ich unsanft am Arm gepackt und herum gerissen.

HABE ICH DIR NICHT GESAGT, DASS DICH NIEMAND ANPACKT AUßER MIR?!“

Ich schaute in sein Gesicht, das vor Wut rot angelaufen war, doch diesmal konnte mich die Angst vor den Schlägen nicht davon abhalten, ihm meine Meinung zu sagen.

Niemand, absolut Niemand, fasst mich ohne meine Erlaubnis an“, zischte ich, woraufhin er mit seiner Hand ausholte. Ich schloss meine Augen und wartete auf den Schmerz.


Abschied

Ein lautes Bellen riss mich aus dem Albtraum und bewahrte mich vor den Schlägen meines Vaters. Die Erinnerung in Form eines Traumes hatte sich wieder an den Vordergrund gedrängt und schwebte in meinem Kopf herum. Mein Herz raste und als ich meine Augen ein Stück öffnete blickte ich in einen Wald, der sanft von der Sonne geweckt wurde.

Während ich das Sonnenspiel beobachtete, erinnerte ich mich an Kai und Lukas. Sie waren zwei Jungen aus meiner Klasse und mit Kai war ich sogar zusammen gewesen.

Der Traum handelte von dem Tag, an dem mein Vater aufgehört hatte mich anzufassen. Der Tag an dem ich ihm meine Meinung gesagt hatte.

Etwas Raues und Feuchtes strich über meine Wange und der Geruch von Hundefutter drang an meine Nase.

„Brownie du stinkst“, sagte ich mit brüchiger Stimme zu dem großen, braunen Labrador, der neben der Couch saß und mich anhechelte.

Dann drängte sich die Geräuschkulisse um mich herum in den Vordergrund. Langsam setzte ich mich auf und erhaschte einen Blick auf Nils, der etwas in einem Schrank suchte. Ben saß stumm an dem Esstisch und blickte auf ein Blatt Papier. Brownie bellte einmal laut, sodass die gesamte Aufmerksamkeit auf mich fiel.

Wortlos starrten die Beiden mich an.

In meinem Hals bildete sich ein Kloß und ich hatte das Gefühl auf einer Bühne vor Tausend von Leuten zu stehen und gleich singen zu müssen.

Doch bevor ich etwas sagen konnte, warf Ben mir einen Mantel zu.

„Zieh den an“, sagte er in einer monotonen Stimme und warf Nils einen strengen Blick zu. Ich zog ihn über die Sachen, die ich von Nils hatte und setzte mich wieder schweigend auf die weiche Couch. Die Geborgenheit dieses Ortes verschwand immer mehr, sodass ich spürte wie Tränen in meine Augen stiegen.

„Komm“, ertönte es plötzlich vor mir. Ich hob meinen Kopf ein Stück und blickte in Bens Gesicht. Doch anstatt ein sonst mir so bekanntes Lächeln vorzufinden, waren seine Lippen zu einem schmalen Strich gezogen.

Mit zitternden Knien erhob ich mich und folgte Nils und Ben, die das Haus verließen. Ich bemühte mich jedes Detail dieses Hauses in mein Gedächtnis zu brennen und als ich durch das hölzerne Treppenhaus ging, blieben meine Blicke erneut bei den Gemälden von Nils hängen. Ich hielt innen und versuchte die Gefühle dieser Bilder in mir aufzunehmen um mich immer daran erinnern zu können. Die Schönheit war unbeschreiblich und ich könnte schwören, dass jeder Strich mit Liebe gezogen worden war.

„Nein Kleiner. Du musst hier bleiben.“

Die sanfte Stimme von Nils und das Gewinsel von Brownie ließ mich den Blick von den Gemälden wenden.

Er kniete vor dem Labrador, der ihn mit großen traurigen Augen anschaute und kraulte ihn sanft hinter den Ohren.

Ich schritt die letzten Stufen hinab und blieb neben Ben stehen, der sich die Szene ebenfalls anschaute.

Kaum erblickte mich Brownie, stand dieser auf und kam zu mir. Er setzte sich vor mich und bellte. Verabschieden konnte ich mich jedoch nicht von ihm, denn Ben griff nach meinem Arm und zog mich hinter sich her. Ich warf einen letzten Blick auf Brownie, der mir hinterher rennen wollte, jedoch von Nils abgehalten wurde. Schnell schloss er die Tür hinter sich und das Jaulen von Brownie hallte durch den Wald.

Ich wusste, dass Nils so etwas nicht ertragen konnte und blickte ihm deswegen in die Augen. Ich hoffte etwas von dem Jungen zu sehen, den ich in den letzten Tagen kennen gelernt hatte. Stattdessen blickte ich in kühle Augen, die sobald sie auf meine trafen, sich dem Boden widmeten.

Schließlich kehrte ich ihm den Rücken zu und verdrängte die Tränen, die mir langsam in die Augen stiegen.

Ich stolperte fast, als Ben mich achtlos über eine große Wurzel zog. Mit Mühe fing ich mich ab und versuchte Schritt zu halten. Den ganzen Weg über blitzen Erinnerungen wie Feuerwerke vor meinen Augen auf und jede Erinnerung war schöner, als die vorherige.

Ich war so darauf konzentriert meine Tränen zurückzuhalten, dass ich nicht bemerkt hatte, dass wir am Waldrand angekommen waren. Ich sah einen Jeep dort stehen auf den wi uns zubewegten.

Ben riss eine hintere Tür auf und drückte mich achtlos hinein, sodass ich mir mein Schienenbein an der Tür stieß. Ich wusste, dass dort ein blauer Fleck entstehen würde. Doch ich hatte überall Hämatome. Kam es also auf ein weiteres kleines an?

Ich spürte wie er den Motor startete und Nils sich neben mich setzte. Ich gurtete mich an und betrachtete die Landschaft die an mir vorbeizog.

Als hätte mich jemand ins kalte Wasser geschmissen, wurde mir bewusst was gerade geschah.

Ich war auf dem Heimweg.

Ich würde meinen Vater wieder sehen.

Ich würde die beiden nie wieder sehen.

Ich würde in mein altes Leben zurückkehren.

Ich würde wieder alleine sein.

Hatte sich etwas seit meiner Entführung verändert?

Das bezweifelte ich ganz stark.

Das Einzige was sich verändern würde, war, dass ich nun interessant war. Schließlich wurde ich von zwei Verbrechern entführt, welche Franzi als äußerst attraktiv empfand. Ich würde alles erzählen müssen und jedes Detail, jede Erinnerung, würde ein Loch in mein Herz reißen, denn ich hatte mich zum ersten Mal wie etwas Ganzes gefühlt.




Die ganze Fahrt über hatte ich aus dem Fenster geschaut und alles um mich herum ignoriert. Eine bedrückende Stille herrschte in dem Wagen und selbst als Ben das Radio angestellt hatte, hatte sich nichts geändert. Deswegen hatte er es nach kurzer Zeit wieder ausgestellt.

Ich atmete aus und konzentrierte mich auf einen Baum, der auf einem verlassenen Feld stand.

Mein Versuch wurde aber von einem lauten Dröhnen unterbrochen. Ich runzelte meine Stirn und blickte mich nach der Lärmquelle um und ein kleiner Schreck durchfuhr mich, als ich sah, dass es in Polizeihubschrauber war, der direkt über uns flog.

Wir waren also fast da.

Ich lehnte mich ein wenig zur Seite, in der Hoffnung, dass ich mich irrte und schaute an dem Fahrersitz vorbei.

Was ich dort sah, ließ mich erstarren.

Polizisten, Feuerwehr, Krankenwagen, Fernsehen und mein Vater, der inmitten einer großen freien Fläche stand mit einem Koffer in der Hand.

Ich bekam eine Gänsehaut und spürte wie meine seelischen Wunden wieder aufrissen.

Viel zu schnell fuhr Ben vor und hielt zehn Meter vor meinem Vater, welche den Wagen kalt anblickte. Ich krallte mich an die Sitze und schrie innerlich auf.

„Steig aus“, ertönte eine gleichgültige Stimme neben mir.

Obwohl ich mein Inneres gelähmt war, gehorchte ich der wunderschönen Stimme von Nils.

Ich protestierte heftigst gegen meinen Verstand, der mich dazu zwang auszusteigen. Doch ich blieb stumm, als wäre meine Zunge ein Stein. Ich spürte wie Nils mich am Arm packte und über den heißen Asphalt zog. Mein Blick wanderte immer wieder zwischen meinem Vater und Nils hin und her. Ich sah, wie ihre Münder sich bewegten, sah wie sich die Mienen beider verzogen, doch ich hörte nichts. Da war nur das Rauschen in meinen Ohren. Ich war schlapp und bemerkte, dass mein Arm leblos an meinem Körper herunter hing.

In Zeitlupe ließ mich Nils los und sprintete vor. Menschen in Uniform rannten aufeinmal überall rum. Doch mein Blick folgte meinem Entführer, der gerade in einen Helikopter stieg und mich traurig anschaute. Ich wollte schreien, ihn bitten zu bleiben oder mich mitzunehmen, doch es kam kein Laut über meine Lippen. Meine Haare wurden zur Seite geweht und der Helikopter hob ab. Ein riesen Tumult war um mich herum und fassungslos starrte ich ihnen nach, wie sie im Himmel verschwanden.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Leute auf mich zu gerannt kamen. Einer der vielen fasste mich am Arm und seine Lippen bewegten sich ebenfalls. Meine Welt blieb jedoch tonlos.

Die Tatsache, dass sie fort waren durchstach mein Herz wie ein Dolch.

Ich blickte zu meinem Vater, der mich wütend anblickte und bemerkte, wie jemand geschockt auf meine Hämatome deutete.

Mit größter Mühe brachte ich zwei Wörter aus meinem Mund.

„Mein Vater“, antwortete ich auf die Frage, wer mir dies zugefügt hatte.

Es war nur ein leises Flüstern, doch alle um mich herum schienen es verstanden zu haben, denn ihre Blicke wanderten zu ihm.

Und dann wurde alles schwarz.




Druck

Ein grelles Licht drang durch meine geschlossenen Augenlieder. Ich hob meine Hand um das Licht zu verdecken und öffnete meine Augen langsam. Alles um mich herum war in einem sterilen weiß gehalten. Nun bemerkte ich das Bett, welches nach Krankenhaus roch und die unbequeme Matratze auf welcher ich lag.

„Oh mein Gott du bist wach!“

Eine hohe Stimme erfüllte den Raum. Ich spürte wie mich jemand in seinen Arm riss und Tränen auf meinen Nacken tropften.

Langes blondes Haar fiel in mein überraschtes Gesicht und ein bekannter Geruch stieg mir in die Nase.

Nach einer gefühlten Ewigkeit löste sich Marie von mir und schaute mich an. Ihre Augen waren rot und aufgequollen.

„Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht! Geh nie wieder ohne mich einkaufen!“ schimpfte sie, brach nach dem letzten Satz jedoch wieder in Tränen aus.

Völlig überrumpelt betrachtete ich meine Freundin, die mitgenommen aussah. Sie war immer noch eine Schönheit, doch die letzten Tage schien eine Qual für sie gewesen zu sein.

„Was..? Marie mir geht’s gut“, versuchte ich sie zu beruhigen, erntete für diese Aussage jedoch nur einen bösen Blick, der daraufhin sofort von Tränen zunichte gemacht wurde.

Eine Tür wurde geöffnet und ein älterer Herr im weißen Kittel betrat das kalte Krankenhauszimmer.

„Guten Tag Frau Meyer.“

Die tiefe Stimme des Mannes unterbrach Maries Schluchzen. Er schloss die Tür hinter sich und trat zu mir ans Bett. Marie hatte sich von mir gelöst und auf einen Stuhl in der Ecke gesetzt, von dem aus sie mich mit Tränen betrachtete.

„Mein Name ist Heesen. Ich bin der Oberarzt dieser Klink.“

Er lächelte freundlich und hielt mir seine Hand hin.

„Guten Tag“, sagte ich etwas schüchtern und schüttelte dem Oberarzt die Hand, die unwesentlich größer war als meine.

„Ich würde ihnen gerne ein paar Fragen stellen, falls sie sich in der Lage dazu fühlen.“

Er warf einen Blick zu Marie, die uns beide neugierig beobachtete.

„Unter vier Augen.“

Ich nickte stumm und sah, wie Marie sich erhob und rasch das Zimmer verließ.

In meinem Kopf fing gerade alles an zu arbeiten. Die vergangenen Tage und die Realität dieser wurden mir bewusst, sodass ich plötzlich einen Stich in meinem Herz spürte.

Sie waren weg. Alle beide. Und sie hatten mich zurückgelassen.

Ich hörte wie die Tür ins Schloss fiel und mein Blick wanderte zu dem Arzt der mich immer noch freundlich anschaute.

„Wissen Sie Frau Meyer..“

„Sie können mich Franziska nennen“, fuhr ich ihm dazwischen, was er mit einem Lächeln begrüßte.

„Also Franziska, bei der Übergabe haben die Sanitäter bemerkt, dass du viele Hematome am Körper hast. Und als sie dich gefragt haben woher diese stammen, sollst du angeblich gesagt haben, dass dein Vater dir dies zugefügt hat. Stimmt das?“

Ohne eine Miene zu verziehen blickte ich in das Gesicht des Mannes, der mich neugierig und leicht besorgt musterte.

Sollte ich meinen Vater verraten?

Doch kaum hatte ich mir diese Frage gestellt, liefen Bilder meiner Vergangenheit vor meinem inneren Auge ab. Wie ein Film, führten sie mir jede schreckliche Situation meines Lebens vor Augen. Ich wollte es hm heimzahlen, dessen war ich mir sicher.

„Ja er hat mich geschlagen. Seit ich ein Kind bin und früher hat er mich missbraucht.“

Meine Stimme war kalt und gefühllos, denn ich hatte meine Gefühle ausgeschaltet. Hätte ich dies nicht getan wäre ich in Tränen ausgebrochen.

Die Miene des Arztes veränderte sich kein bisschen, er atmete einmal tief durch und legte mir die Hand auf die Schulter.

„Dir ist klar, dass dein Vater ins Gefängnis kommen kann, wenn du so was sagst?“

„Meine Mutter ist weggegangen als ich ein kleines Kind war und das nur wegen dieses Mannes den Sie alle als meinen Vater bezeichnen. Aber er ist nicht mein Vater. Er ist ein Schwein.“

Ich sprach die Worte wie Dreck aus und verzog mein Gesicht angewidert.

Der Mann öffnete seinen Mund um etwas zu sagen, wurde jedoch unterbrochen, als jemand die Tür aufriss und mit einer Krankenschwester laut am diskutieren war.

„Sie können da nicht rein!“, piepste die kleine Frau aufgebracht den dürren, grauhaarigen Herren an.

„Ich muss mit dieser Frau aber reden!“, tat er den Vortrag der Dame ab und gesellte sich zu dem Arzt.

Er und ich schauten den Mann irritiert an und hörten nebenbei, die Entschuldigungen der Krankenschwester.

Mit einer eleganten Handbewegung deutete Herr Heesen der Frau zu gehen und dass alles in Ordnung sein.

„Schönen guten Tag. Kann ich etwas für sie tun?“, fragte der Arzt den Mann, der mir die Hand hinhielt.

„Guten Tag. Mein Name ist Johannis Bauer. Ich bin bei der Polizei und kümmere mich um die beiden Verbrechern, von denen sie entführt worden sind Frau Meyer.“

Er schüttelte enthusiastisch erst meine und dann die Hand des Arztes.

„Herr Bauer ich weiß nicht, ob Frau Meyer schon in der Lage ist ihre Fragen zu beantworten“, teilte Herr Heesen dem Polizisten mit der nun einen geschäftlichen Blick aufsetzte.

„Wir haben keine Zeit zu warten. Jede Kleinigkeit, könnte dazu verhelfen die beiden Verbrecher zu schnappen.“

Der Polizist schaute mich erwartungsvoll an und zückte einen Notizblock und einen alten Kulli.

„Also Frau Meyer, wenn Sie mir bitte den Ablauf der Entführung und jedes Ereignis darin schildern würden..?“, fragte er höflich jedoch bestimmend.

Ich schaute die beiden Herren vor mir fraglos an.

Was sollte ich ihnen erzählen? Das ich meinen Entführer geküsst hatte und mit ihnen gelacht habe? Das ich sie mochte und sie freundlich zu mir waren? Das alles was in den Zeitungen stand Humbug und Lüge für mich war? Das sie mir mein Lebensgefühl wiedergegeben hatten? Das sie mich vor dem Selbstmord bewahrt hatten? Das ich die kalten braunen Augen nicht vergessen konnte, weil ich wusste, dass hinter ihnen Liebe lag?

Ich erinnerte mich an das Gefühl von seinen Finger auf meiner Haut, an das Versprechen, dass ich ihm gegeben hatte und dann erinnerte ich mich plötzlich an die Wut von Ben.

Was hatte ich getan? Wieso war er sauer geworden?

Das Bild eines Engels tauchte vor meinem Auge auf.

Nils hatte mich als Engel bezeichnet. Er war betrunken gewesen und dennoch war ich mir sicher, dass er es ernst gemeint hatte. Oder hatten sie mich verarscht? War ich nur das Mittel zum Zweck? Ging ich ihnen am Ende auf die Nerven?

Tausend weiterer solcher Fragen schwirrten in meinem Kopf und ließen meine Augen feucht werden.

Tränen rollten über meine Wange und tropften von meinem Kinn auf die Decke. Ich gab ein Schluchzen von mir und krallte meine Finger in die Decke. Um nicht laut zu schreien bis ich mir auf die Lippe. Zu sehr schmerzten die Erinnerungen.

Durch die Tränen sah ich die enttäuschte Miene des Polizisten und die wütende Maske des Arztes. Die Tür wurde aufgerissen und Marie stürmte herein und riss mich in ihre Arme.

„Sind Sie alle eigentlich Vollidioten?! Raus hier sofort! Oder ich werde Handgreiflich und es ist mir scheiß Egal ob die ein Polizist oder Arzt sind!“

Ihre aufgebrachte Stimme riss die Stille auseinander und die beiden Männer erhoben sich sofort und stürmten aus dem Zimmer. Sobald sie was sagen wollten, blickte Marie sie böse an und drückte mich enger an sich.

Ich krallte meine Hände in ihre Sachen und versuchte das Gefühl des Auseinanderfallens zu verdrängen.

„Alles wird gut meine Kleine“, flüsterte sie mir ins Ohr und wiegte mich hin und her, wie ein kleines Kind.

Ich betete darum, dass sie Recht hatte. Doch derzeit schien meine Welt zu zerbrechen. Und ich konnte nichts dagegen tun.




Gedanken

Ich sah Marie dabei zu, wie sie meine Klamotten einpackte und strich mir eine Strähne aus meinem Gesicht.

Drei scheinbar endlose Tage war ich in dem Krankenhaus gewesen und hatte unendlich viele Fragen beantworten müssen. Neben den grauenvollen Erinnerungen, die mit den Fragen aufkamen, konnte ich mich nicht mal durch Fernsehen ablenken, denn auf allen Sendern lief irgendetwas über mich. Somit verbrachte ich die Zeit schweigend und leider hatte das die Konsequenz, dass ich anfing nachzudenken.

Zuerst hatte ich über meine Entführung gegrübelt und wie es nun weitergehen sollte. Doch nach einiger Zeit fing ich an über mein bisheriges Leben nachzudenken. Ich hatte Marie gebeten mir meine alten Tagebücher und Fotoalben zu bringen, sodass ich eine Beschäftigung hatte. Im Schneidersitz hatte ich auf dem Bett gesessen und die Erinnerungen aufgefrischt, die nicht immer schön waren. Immer wieder wurde ich unterbrochen um der Polizei fragen zu beantworten und irgendwann erfuhr ich, dass mein Vater in Untersuchungshaft saß.

Obwohl ich es ihm wünschte und wusste, war es im ersten Moment ein Schock für mich. Nicht lange, denn die Erinnerungen an ihn zeigten mir, wie schrecklich er war und dass er es verdiente.

„Bist du fertig?“

Marie riss mich ungewollt, unsanft aus meinen Gedanken, sodass ich sie verwirrt anblickte.

Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie bemerkte, dass ich mit meinen Gedanken woanders gewesen war.

„Kann ich dich nach Hause bringen oder nicht? Du kannst noch hier bleiben. Oder zu mir“, fügte sie hinzu und hoffte immer noch, dass ich meine Meinung änderte.

„Nein, ich will in meinem Bett schlafen. Auch wenn dort so schlechte Erinnerung wohnen“, sagte ich zu dem Mädchen, dass zu einer sehr guten Freundin für mich geworden war.

„Hälst du das für eine gute Idee? Ich meine…“ erneut startete sie einen Versuch mich zu überreden.

„Ich will aber Marie. Ich weiß es hört sich komisch an, aber ich muss zurück, wenn ich abschließen will.“

Sie schaute mich einen Moment etwas traurig an und fiel mir, dann um den Hals.

„Ich verstehe dich Franzi. Es ist nur so, dass ich mir riesen Sorgen mache. Und ehrlich gesagt habe ich Schuldgefühle. Ich meine, wie doof war ich eigentlich, dass ich nichts bemerkt habe?!“

„Ist nicht deine Schuld.“

Ich erwiederte ihr zärtliche Umarmung und pustete ihr Haar ein wenig zur Seite, was sie sofort zum Lächeln brachte. Als ich ihn ihre Augen sah, bemerkte ich, dass sie schon wieder weinte.

„Du musst doch nicht weinen Marie.“

„Weiß ich doch, aber es tut mir halt alles so leid“, erklärte sie und wedelte mit ihrer Hand vor ihrem Gesicht um die Tränen zu vereiden.

Ich nahm ihre Hand und schaute sie lieb an.

„Können wir?“

Sie nickte, drückte mich noch einmal fest und verließ mit mir das Krankenhaus.



Die ganze Fahrt über war ich nervös gewesen. An den Ort zurück zu kehren, der für mich nie ein Ort der Zuflucht gewesen war, verunsicherte mich. Und nun stand ich vor dem Haus meines Vaters. Ich spürte einen harten Kloß in meinem Hals, der sich trotz Schluckens nicht verabschiedete. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, dass er immer mehr anschwoll.

„Schaffst du das Alleine?“

Ich nickte stumm, konnte meinen Blick jedoch nicht von dem Haus abwenden.

„Wenn was ist, rufst du an oder kommst direkt vorbei, ok?“

Erneut nickte ich und wurde von Marie in eine Umarmung gerissen. Ich konnte diese jedoch nicht wirklich erwidern, da ich wie versteinert war von der Präsenz der Erinnerungen. Natürlich hatte ich damit gerechnet, doch nicht in dem Maße. Sie gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange und stieg in das Auto, welches nach kurzer Zeit startete. Ich hörte, wie es wegfuhr.

Alleine stand ich auf dem heißen Bordstein und Schweiß lief mir den Nacken herunter, den der Asphalt glühte förmlich. Mit zaghaften Schritten bewegte ich mich auf das alte Gartentor zu, das ich langsam öffnete, wobei es quietschte. Seit Jahren war es nicht mehr geölt worden.

Ich ließ es offen stehen und schritt vorbei an den ungepflegten Beten mit den verwelkten Blumen zur Tür. Mit zitternden Händen schloss ich die Tür auf und stieß diese auf, sodass ich in den verwüsteten Flur blicken konnte. Seine Sachen lagen achtlos verstreut herum und der Geruch von Alkohol drang immer noch an meine Nase. Und das, obwohl Marie aufgeräumt hatte für mich.

Vorsichtig trat ich auf den abgenutzten Holzboden und versuchte mein Herz dabei unter Kontrolle zu bekommen. Ich hatte das Gefühl, dass es jeden Moment aus meiner Brust springen würde. Ich schloss meine Augen, dachte an den See und das kühle Wasser. An seine Lippen auf meinen und spürte, wie ein kleines Lächeln sich auf meine Lippen stahl. Mein Herz beruhigte sich und meine Muskeln entspannten sich etwas. Ich atmete tief durch und schloss die Tür hinter mir.

Mit meiner Tasche über der Schulter, schritt ich die alte Holztreppe hoch in mein Zimmer. Jeder Schritt wurde von Erinnerungen an dieses Haus begleitet. Es waren gute als auch schlechte, die mich innehielten ließen.

Das Sonnenlicht wurde weniger und ich merkte, dass es Abend wurde. Mein Körper war erschöpft, trotz der Erholung, die ich die letzten Tage teilweise genießen konnte. Als ich in meinem Zimmer stand fühlte ich mich wieder wie ein kleines Mädchen. Doch ich hatte keine Angst wie damals. Selbst die Einsamkeit machte mir nichts aus. Nach dem Trubel der letzten Tage genoss ich es alleine zu sein und meinen Gedanken nachhängen zu können.

Also ließ ich meine Tasche in eine Ecke fallen und kroch in mein Bett. Zudecken wollte ich mich nicht, denn mir war immer noch zu warm. Ich rollte mich auf die Seite und starrte in den Himmel, auf dem sich langsam Sterne abzeichneten.

Plötzlich kamen die Erinnerungen an ihn auf.

Den Menschen, der mich zum nachdenken brachte, der mich aus meinem Tief gezogen hatte und mich irgendwie aufgebaut hatte. Und das alles ohne großen Aufwand, ohne Psycho geschwatzt. Die Ärzte wollten mich zu einem Psychologen schleppen, doch ich hatte mich gewehrt, denn dank ihm wusste ich, dass ich stark genug war, alleine damit klar zu kommen. Ich war ihm nicht nur dankbar, ich war ihm auch etwas schuldig. Doch ich konnte ihm meine Dankbarkeit nicht mitteilen, denn man hätte mich als Mittäter bestraft und ich hatte von den beiden Verbrechern nichts mehr gehört, seitdem sie in einem Helikopter geflohen waren.

Ich hatte Nachrichten geguckt, obwohl ich selbst eigentlich Hauptthema war. Heimlich, mit Brille und Zopf hatte ich mir Zeitungen gekauft und nach einer kleinen Nachricht gesucht, die auf den Verbleib beider schließen ließ. Doch ich hatte nichts gefunden. Noch nicht mal der Fanclub der beiden hatte mir etwas über deren Aufenthaltsort oder Planung sagen können. Und diese hatten eigentlich immer eine kleine Idee. Meine Entführer schienen vom Erdboden verschwunden zu sein und für mich schwand mit jedem Tag die Hoffnung sie je wieder zu sehen.

Ich musste also versuchen mein Leben wieder zu Leben. Weiter zu machen, als wäre nichts geschehen. Deswegen würde ich morgen in die Schule gehen. Es half mir nicht der Zeit nachzuhängen und in alten Erinnerungen zu versinken, die mich in ein Loch rissen.

Marie hatte mich nicht gehen lassen wollen, doch sie wusste, dass ich mich davon nicht abbringen lassen würde, also hatte sie nach kurzer Zeit aufgegeben. Ich fürchtete mich ein wenig vor der Schule, auch wenn ich selber so sehr darauf bestanden hatte.

Mit einer kleinen Handbewegung stellte ich meinen Wecker und platzierte diesen anschließend wieder auf meinem alten Nachtschränkchen.

Ich redete mir ein, dass ich keine Lust hatte mir einen Schlafanzug anzuziehen, doch eigentlich wollte ich die Sachen nicht ausziehen, weil es die Kleidung von ihm war.

Außer mir wusste das in diesem Moment keiner. Und so fiel ich in einen traumlosen, tiefen Schlaf.



Normalität

Das laute, unmelodische Klingeln meines Weckers riss mich aus dem tiefen Schlaf. Ich richtete mich ein Stück auf und haute auf den Wecker, sodass das Klingeln erstarb. Ein Stöhnen entfuhr mir und ich rollte mich auf die Seite. Sanfte Sonnenstrahlen erreichten mein Gesicht. Bevor ich endgültig aufstand, genoss ich die Wärme und schloss einen Moment meine Augen. Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht bewusst, dass ich zur Schule musste. Es war eher so, als läge dieses Ereignis in einer fernen Zukunft. Trotzdem zwang ich mich selber aufzustehen und damit ein wenig Normalität in mein verkorkstes Leben zu bringen. Der Holzboden knarrte unter meinen Füßen und ich sah den Staub, den ich aufwirbelte in der Sonne. Mit schlürfenden Schritten betrat ich das Bad und betrachtete mich in dem alten Spiegel, der schon einen kleinen Sprung hatte.

Mein Haar war zerzaust und unordentlich, doch ich sah besser aus als vor einer Woche. Meine Wangen waren leicht gerötet und ich sah nicht mehr so abgemagert aus.

Ich griff nach der Bürste meiner Mutter und fuhr mir mit dieser sanft durchs Haar, während ich mich im Spiegel mit meinen braunen Augen betrachtete. Etwas an mir selber störte mich. Doch mir fiel nicht auf was, also nahm ich meine Wimperntusche und fuhr mir zögerlich damit durch die Wimpern. Ich legte meinen Kopf leicht schief und hielt inne. Mit kritischem Blick musterte ich mich, doch immer noch fiel mir einfach nicht ein, was anders war. Ich legte meine Bürste weg und verließ das Badezimmer. Schon jetzt bemerkte man die Hitze, die sich im Laufe des Tages über der Stadt ausbreiten würde. Ich stellte mich vor meinen Schrank und überlegte was ich heute anziehen wollte. Langsam setzte ich mich auf mein Bett, welches direkt gegenüber von meinem Kleiderschrank stand. Was zog ich nach einer Entführung und der Offenbarung, das mein Vater mich schlug an? Was trug man, wenn die halbe Welt auf einen blickte und über einen redete, obwohl man sich jahrelang bedeckt gehalten hatte? Wie sollte ich mit diesem Wechsel, der wenn auch nur kurz war, umgehen?

Etwas schlichtes, das meiner Meinung nach Gleichgültigkeit ausstrahlte oder etwas buntes, was Lebensfreude vermittelte?

Lustlos zog ich eine kurze beige Hose heraus und ein schlichtes blaues Top. Ich fand es perfekt, denn es war wieder das eine noch das andere. Es war ein Mittelding, das mir irgendwie ein Teil Normalität vermittelte. Ich warf einen Blick auf die Uhr, welche halb Acht anzeigte. Rasch schlüpfte ich in meine blauen Ballerinas und nahm mir meine dunkel braune Stofftasche, in der sich immer noch dieselben Schulsachen von vor ungefähr zwei Wochen befanden. Es kam mir nur schon viel länger vor.

Ich hing sie mir um und stieg die Holztreppe hinab. Es war ein komisches Gefühl alleine zu sein in diesem Haus. Ich kannte das nicht. Ich hatte immer leise sein müssen, mich in meinem Zimmer verkrochen und nun konnte ich quasi tun und lassen was ich wollte.

Über diese Tatsache grübelnd, obwohl es eigentlich nichts zu grübeln gab, verließ ich das Haus und trat ich die Sonne, die an diesem Morgen angenehm warm war. Ich durchquerte den ungepflegten Vorgarten und blickte die Straße entlang. Außer einem alten Rentnerpärchen lief hier zu dieser Zeit noch niemand rum. Ich machte mich langsam auf den Weg und sah in der Ferne schon Marie wie sie eine Tüte vom Bäcker in der Hand hielt und mich freundlich anlächelte. Ich beschleunigte meine Schritte ein wenig und wurde herzlich umarmt als ich Marie erreichte.

„Guten Morgen“, sagte sie fröhlich und drückte mir eine Tüte mit Brötchen in die Hand.

„Ich weiß, dass du morgens nie was isst“, antwortete sie auf meinen fragenden Blick.

„Danke.“

Sie hakte sich wie immer bei mir ein und so machten wir uns auf den Weg zur Schule. Während wir den mir nur zu bekannten Weg entlang schritten, betrachtete ich die Umgebung, welche ich seit Jahren kannte. Doch auch hier störte mich etwas. Es waren alles Häuser und Plätze die ich kannte. Menschen die ich schon Ewigkeiten kannte, schlossen mich in die Arme und sprachen mir Mut zu und doch war es anders. Es hatte sich geändert. Was es war wusste ich nicht, nur dass es so war.

„Sicher, dass du das tun willst?“

Ich wandte meine Augen nicht von der Schule, die sich direkt vor mir befand.

„Ja.“

„Hör zu Franzi.“ Ich spürte wie Marie mich an den Schultern packte und herumwirbelte, sodass ich ihr direkt in die Augen blickte.

„Was auch immer da draußen mit diesen beiden Typen passiert ist, was auch immer dein Vater dir angetan hat, du musst das nicht machen. Du musst niemandem etwas beweisen.“

Ein kleines Lächeln trat auf meine Lippen, als ich bemerkte wie viele Sorgen sie sich um mich machte.

„Marie, ich mach das nicht um irgendwem etwas zu beweisen. Ich mache das, weil ich ein bisschen Normalität will.“

„Aber du bist so anders. Was ist passiert? Was haben die Entführer dir angetan, dass du so anders bist?!“

„Mir angetan? Marie, die beiden haben mir gezeigt was es heißt zu Leben!“

Die Worte sprudelten aus meinem Mund ohne das ich drüber nachdenken konnte. Ich sah wie Maries Miene sich verändert.

„Was meinst du damit?“

Verdattert blickte sie mich an. Ich fuhr mir mit meiner Hand durch mein Haar und strich es zurück.

„Diese Entführung, das war alles andere als eine Entführung. Ich weiß nicht wie ich es dir erklären soll. Es ist einfach so, dass die beiden mich nie wie einen Geisel behandelt haben.“

„Aber ich dachte…“

„Das ich ein traumatisches Erlebnis habe und deswegen angefangen habe zu weinen im Krankenhaus? Ich habe angefangen zu weinen, weil ich sie vermisse. Weil ich ihn vermisse.“ Der letzte Satz war nur ein leises Flüstern, das von den Motorgeräuschen der vorbeifahrenden Autos, hätte erstickt werden müssen. Wurde es leider nicht.

„Wer ist er?“

Ich schluckte hart.

„Nils“, sagte ich immer noch leise und mied ihren Blick.

„Nils ist einer der Entführer?“

„Der Blonde mit den eiskalten Augen.“

Sanft hob sie mein Kinn an und zwang mich in ihre Augen zu blicken.

„Und du magst ihn.“

Ich nickte und spürte wie meine Augen feucht wurden.

„Das macht die ganze Sache um einiges komplizierter.“

Ich blickte schweigend auf den staubtrockenen Boden, während Marie seufzte.

„Also du hast zwei Möglichkeiten. Die erste ist zu versuchen über ihn hinwegzukommen, oder aber du suchst ihn, was ein gefundenes Fressen für die Presse ist und ich muss sagen, dass es mir nicht ganz geheuer ist, dass du mit einem Verbrecher anbandelst.“

Ich hörte wie sie sanft lachte, sodass ich einstimmte.

„Und du solltest dich schnell entscheiden. Bald ist die Presse hier.“

„Was ist wenn ich ihn nicht finde? Ich habe seit Tagen nichts von ihnen gehört.“

„Dann kommst du einfach zurück. Bei mir bist du immer herzlich Willkommen.“

Ich hob meinen Kopf und blickte in die Augen von Marie, die feucht wurden.

„Mein Vater?“

„Ich kenne ein paar Schlägertypen, die ihm die Angst beibringen werden“, sagte sie und zwinkerte mir zu, woraufhin eine Träne ihre Wanger herunter lief.

In diesem Augenblick konnte ich nicht anders, als sie in meine Arme zu schließen und fast zu zerdrücken.

„Ich danke dir Marie. Du kannst dir nicht vorstellen wie sehr ich dir dafür danke. In den letzten Tagen bist du für mich so was wie eine Schwester geworden.“

„Tu mir nur den Gefallen und pass auf dich auf.“

„Ich verspreche es dir.“

Ein letztes Mal drückte ich sie an mich. Ich drehte mich um und fang an zu rennen. Ohne einen Blick zurück zu werfen sprintete ich an Menschen vorbei, die mich verwundert anblickten. Ich spürte das Adrenalin durch meine Blutbahnen fließen. Die Hitze ließ mich Schwitzen und ich spürte die Schweißtropfen meinen Nacken herunter laufen. Doch ich wollte nicht anhalten. Ich konnte es nicht.

Mein Atem ging schnell und als ich das Auto meines Vaters sah, wusste ich, dass ich noch drei Dinge zu erledigen hatte. Zum einen musste ich einen Brief an die Polizei schreiben, in dem ich alles erklärte und die Vergangenheit schilderte. Jeder sollte erfahren was er für ein Ekel war, auch wenn er nicht in den Knast kam. Dann musste ich Marie einen Brief schreiben, in dem ich ihr sagte, dass sie die Presse informieren sollte und ihr dankte. Und zum Schluss musste ich das Lieblingsauto meines Vaters zerstören.

Ich spürte die Hitze, die der Asphalt ausstrahlte und wie eine Erleuchtung, bemerkte ich, was anders war.

Ich gehörte einfach nicht mehr dazu. Die beiden Menschen hatten meine Weltansicht verändert und mir ein anderes Leben gezeigt, dass ich haben wollte. Auch wenn ich es nur zwei Wochen gesehen hatte. Aber ich bemerkte jetzt, dass ich nie hier hin gehört hatte. Es war immer ein Zwang gewesen. Ein Zwang zu der Gesellschaft zu gehören. Nun wollte ich das nicht mehr. Ich konnte es nicht mehr. Und somit würde ich alles tun um die beiden zu finden.





Mein größtes Problem

Nils

 

Ich ließ meinen Blick noch einmal über die verlassene Straße wandern, ehe ich mit schnellen Schritten durch den verdorrten Vorgarten ging. Ich zog eine kleine Nadel aus meiner Jackentasche und blickte mich noch einmal um bevor ich die Nadel in das Schloss steckte. Nach ein paar gezielten Handgriffen spürte ich wie die Tür nachgab, sodass ich schnell in das Haus huschte. Während ich die Tür hinter mir schloss, ließ ich meinen Blick über den Flur wandern in dem ich stand. Der Holzboden sah so aus, als würde er knarren, wenn man über ihm lief und die alte Holztreppe sah aus, als wäre sie aus einem anderen Jahrhundert. Männerschuhe waren unordentlich in eine Ecke geworfen worden, dem gegenüber standen zierliche Frauenschuhe, die sortiert waren. Ansonsten war der Raum schlicht. Keine Bilder, keine Pflanzen nur eine Garderobe und ein Spiegel. Und schon an der Tür, schlug mir der Alkoholgeruch entgegen, den ich nur zu gut aus meinem früheren Leben kannte, was mich leicht die Nase verziehen ließ. Möglichst leise ging ich Richtung Treppe und versuchte ihr Zimmer zu finden. Ein Blick durch die beiden Türen verriet mir, dass hier unten nur das Wohnzimmer und die Küche waren, welche sich beide in einem katastrophalen Zustand befanden. Also beschloss ich nach oben zu gehen und dort weiter zu suchen. Wenn ich Glück hatte, war sie schon Zuhause und am Schlafen oder am Hausaufgaben machen. Vielleicht würde sie auch gleich erst auflaufen. Ich freute mich riesig sie wieder zu sehen, doch ich hatte keine Ahnung wie ich mein Auftauchen erklären sollte. Ich konnte mich schlecht hinstellen und sagen: „Hey du. Sorry, dass das alles so scheiße gelaufen ist und ich weiß, dass mein Auftauchen komisch ist, aber ich, der Schwerverbrecher, habe mich in dich verliebt.“ Hörte sich in meinen Ohren irgendwie nicht besonders romantisch oder individuell an. Es klang einfach nur bescheuert. Mit nun schweren Füßen stieg ich die Treppe hinauf und sah eine gepflegte weiße Holztür, die ebenfalls alt aussah. Vorsichtig drückte ich diese auf und blickte in ein gepflegtes Zimmer. Es war ebenfalls schlicht gehalten, hatte jedoch eindeutig ihre Ausstrahlung. Ich trat in das Zimmer und ein komisches Gefühl überkam mich, als ich in ihrem Zimmer, das ihr sonst immer Schutz bot, stand. Ich ließ mein Blick umherwandern und prägte mir jede Kleinigkeit ein. In jedem Teil, das ich sah, erkannte ich sie und langsam wurde mir bewusst, dass dieses Zimmer ein Teil von ihr war. Ein Lächeln bildete sich auf meinen Lippen und sie war plötzlich ganz nah, auch wenn sie nicht hier war. Was zwischen uns geschehen war, war auf einmal mehr als nur ein Traum. Es war etwas reales, dass ich nicht gehen lassen konnte.

Meine Aufmerksamkeit fiel dabei auf zwei Zettel und ein Buch, die auf ihrem Bett lagen. Langsam bewegte ich mich darauf zu. Stand dort etwas über mich? War das vielleicht ihr Tagebuch? Ich streckte meine Hand voller Erwartung aus.

„An deiner Stelle würde ich das lassen. Oder willst du, dass die Polizei deine Fingerabdrücke bekommt?“

Ich wirbelte geschockt herum und blickte eine junge Frau an, die groß und schlank war. Sie hatte seidiges, langes Haar und ihr Outfit war sehr Figurbetont. Strahlend blaue Augen durchbohrten mich kritisch. Ich konnte mich nicht bewegen. Zu geschockt war ich von dem plötzlichen Auftauchen des Mädchens. War ich etwa so in meine Erinnerungen vertieft gewesen, dass ich alles ausgeblendet hatte?

„Ähm. Wer bist du?“, stotterte ich rum und ermahnte mich darauf selber, selbstsicherer zu klingen.

„Marie. Franziskas Freundin“, stellte sie deutlich ihre Position klar.

„Ouh. Hi Marie“, sagte ich, woraufhin wir beide uns einen Moment anstarrten.

„Du bist also Nils.“

„Ich bin Nils“, erwiderte ich unsicher und fragte mich woher sie meinen Namen kannte.

„Sie ist nicht hier.“

„Das sehe ich.“

„Nein, du verstehst nicht. Sie ist weg.“

„Wie weg?“

„Sie ist abgehauen um dich zu suchen, du Schlaumeier.“

Ich sah, wie sie ihre Augen verdrehte und bemerkte, wie meine Miene sich in eine ungläubige Maske verwandelte.

„Wie bitte?!“

„Spreche ich eine andere Sprache oder was?“

„Sie ist..?“

„Ja verdammt! Sie ist abgehauen um dich heißen Schwerverbrecher zu suchen!“

Ich blieb regungslos mit hängenden Armen stehen. Ich war verwirrt und die bissige Schönheit verschlug mir die Sprache mit ihrer Schlagfertigkeit.

„Und was steht da drin?“

„Dass sie abgehauen ist, weil ihr das alles zuviel wird und, dass sie mich lieb hat und ich ihren Dad hinter Gitter bekommen soll.“

Ich öffnete meinen Mund um etwas zu sagen, schloss ihn jedoch wieder, weil ich keine Antwort wusste.

„Dann sollte ich besser gehen?“

Wortlos und mit hochgezogenen Augenbrauen nickte sie. Also setzte ich mich in Bewegung Richtung Tür, doch ich hörte wie sie sich räusperte, sodass ich mich diesmal genervt umdrehte.

„Was?!“

„Da unten steht die Presse und in keinen Zehn Minuten läuft die Polizei hier auf. Ich würde woanders rausspazieren, als durch die Haustür.“

Einen Moment blickte ich sie kritisch an, entschied mich, aber doch auf sie zu hören und spazierte so durch Franzis Zimmer, um dort aus dem Fenster zu steigen. Ich öffnete das Fenster und setzte ein sexy Lächeln auf.

„Weißt du Kleines, wenn Franzi nicht wäre, würde ich dich nicht von der Bettkante schmeißen“, sagte ich zwinkernd und verschwand aus dem Zimmer.

„Ich würde dich jederzeit in mein Bett lassen“, hörte ich sie murmeln, was mich unweigerlich Lachen ließ. Ich hatte es also immer noch drauf. Auch wenn ich verliebt war, was mich obwohl ich es jetzt wusste, aus dem Konzept brachte.

Ich blickte mich einmal um und erkannte Reporter, die um das Haus schnüffelten. Wenn ich mich nicht beeilte würden sie mich gleich finden.

Schnell kletterte ich die Fassade herunter und sprang die letzten Meter einfach. Der trockene Boden unter meinen Füßen linderte den Aufprall nicht wirklich, doch es war nicht zu hart.

Als ich aufblickte erkannte ich einen überwucherten Garten, der zu meinem Wundern nicht verdorrt war. Ich genoss den Anblick der blühenden Blumen, welche es hier in den verschiedensten Formen und Farben zu geben schien, und zückte nebenher mein Handy.

Ich erkannte einen Baum hinter dem ich beschloss mich zu verstecken um mit Ben zu telefonieren. Während ich zu diesem ging, achtete ich darauf auf keine Pflanze zu treten. Mich erinnerte der Garten an einen Film oder ein Buch in dem es einen verzauberten Garten gab. Es war traumhaft.

Ich trat in den Schatten des Baumes und lehnte mich an die raue Rinde. Mit der Kurzwahltaste rief ich Ben an, der nach zweimal Klingeln an sein Handy ging.

„Ben?“

„Ja?“

„Ich brauche deine Hilfe.“

„Was ist los?“

Ich hörte wie er etwas zuende kaute und sich räusperte.

„Sie ist weg.“

„Wie weg?“

„Abgehauen.“

Ein Murren verriet mir, dass es Ben nicht gefiel. Er machte sich mittlerweile Vorwürfe, dass er nicht nett zu ihr gewesen war.

„Treffen wir uns in Zwanzig Minuten am Bahnhof?“

„Ja.“

Ohne auf eine Antwort zu warten beendete ich den Anruf und atmete einmal tief durch. Die Hitze unter dem Baum war erträglich und ich genoss die Stille.

Die Stille, die plötzlich durch ein Knistern unterbrochen wurde.

Ich riss meine Augen auf und wagte einen Blick auf den Garten in dem ich mich befand.

„Scheiße“, entfuhr es mir, als ich sah, dass sich dort Polizisten tummelten und mich ein alter Bekannter mit einem ekligen Grinsen anstarrte.

„Schnappt ihn euch!“, hörte ich die bekannte Stimme von Johannis Bauer.

Ohne nachzudenken nahm ich meine Beine in die Hand und stürmte aus dem Garten, woraufhin ich fast in die Arme der Reporter rannte. Gerade so konnte ich Ausweichen und lief die verlassene Straße entlang. Dicht gefolgt von Polizisten und Reportern. Doch um ehrlich zu sein war das nicht mein größtes Problem, denn mein größtes Problem war irgendwo hin verschwunden und es gab keine Möglichkeit sie zu erreichen. Ich wusste nicht mal ob sie ihr Aussehen verändert hatte! Aber ich würde sie finden. Und wenn ich mein gesamtes Leben nach ihr suchen müsste. Mit diesem Gedanken beschleunigte ich meine Schritte erneut und versuchte der Masse hinter mir zu entkommen.

 

 

 

 

Gute Nacht, Prinzessin

Franziska

 

Ich stand an einem großen See, an den ich früher oft mit meiner Mutter gefahren war. Hier schienen die schönen Erinnerungen herumzufliegen, sodass ich diese langsam einfangen und genießen konnte. Ehe ich diese Stadt verließ, wollte ich mich von meiner Mutter verabschieden, auch wenn sie nicht hier war, sondern wo anders auf der Welt. Ich ging in die Hocke und strich mit meiner flachen Hand über das trockene Gras. Ein Schwan glitt stolz über das seichte Wasser und durchbrach das Spiegelbild der Sonne. Sacht fuhr der Wind durch mein Haar und fing an mit einer meiner Locken zu spielen. Ein Lächeln trat auf mein Gesicht, als ich daran dachte, wie meine Mutter mit ihrer Haarbürste sacht durch meine Haare fuhr und mir Märchen über diesen See, der für mich verzaubert war, erzählte.

Ein Knistern hinter mir riss mich aus meinen Gedanken. Verwundert wandte ich meinen Kopf herum und erblickte eine Gestalt, die komplett in schwarz gehüllt war.

Ich erhob mich, ohne diese aus den Augen zu lassen und schaute sie fragend an. Das Gesicht war bedeckt, doch die Statur kam mir sehr bekannt vor.

„Du warst mit deiner Mutter oft hier.“

Ich riss meine Augen auf und taumelte ein paar Schritte rückwärts, als ich die raue Stimme erkannte.

„Sie hat dir die Haare gemacht und sich an die anderen Kerle rangemacht.“

Er hob seinen Blick vom Boden und schaute mich mit hasserfüllten Augen an.

„Denkst du wirklich, ich würde im Gefängnis bleiben, während du mein Hab und Gut zerstörst du Miststück?! Denkst du ich würde dich nicht finden nur weil du abhaust?“

Mein Vater zog seine Kapuze von seinem Kopf und ich sah wie sich seine Lippen zu einem schmalen Lächeln verzogen.

„Du kannst nicht wegrennen.“

Er machte einen Schritt auf mich zu, woraufhin ich unweigerlich einen Fuß nach hinten setzte. Wie konnte es sein, dass er frei war?! Wieso tauchte er hier auf und was sollte ich jetzt tun?!

„Ich habe lange drüber nachgedacht, was ich mit dir anstellen soll. Du bist nicht besonders hübsch. Nur was für zwischendurch. Nicht intelligent und auch nicht sportlich. Du bist weniger als der Durchschnitt.“

Er sprach die Worte wie Dreck aus und griff langsam in seine Jackentasche.

„Und als du mein Auto noch verschrottet hast und mich verpfiffen hast, da habe ich einen Entschluss gefasst.“

Mein Herz raste und ich spürte wie das Adrenalin durch meine Adern schoss. Schweiß bildete sich auf meiner Stirn und meine Muskeln spannten sich an. Langsam zog er seine Hand aus der Innenseite seiner Jackentasche und hielt plötzlich eine Pistole in der Hand.

„Ich habe beschlossen dich nerviges Ding aus dem Weg zu schaffen. Und da du einen Brief hinterlassen hast, in dem du der Polizei mitteilst, dass du weggerannt bist, wird dich niemand suchen.“

„Ich habe geschrieben, was du getan hast“, flüsterte ich erbärmlich und völlig verängstigt.

Den Wunsch zu Sterben, den ich vor Tagen noch hatte, war wie ausgelöscht. Ich wollte und musste Nils finden. Mich bei ihm Bedanken. Er konnte mich nicht töten Nicht jetzt.

„Die Zeilen werde ich abschneiden und verbrennen.“

„Es wissen noch andere was du mir angetan hast.“

„Dann muss ich die wohl auch umbringen.“

Seine Augen genossen es, dass er meine Angst sah. Die Pistole richtete er auf mich und betrachtete mich noch einmal, ehe er mir in die Augen blickte.

„Stirb du Miststück“, hörte ich ihn sagen.

Doch ich wollte es nicht. Und wie von selbst setzten meine Muskeln sich in Bewegung. Ein Knall unterbrach die idyllische Stille, doch die Kugel traf mich nicht.

Ich sprintete durch den verlassenen kleinen Wald. Äste schürften an meinen Beinen lang und rissen mir kleine Löcher in die Kleidung. Haare blieben an Blättern hingen und ich wühlte die trockenen Blätter auf dem Waldboden auf.

Hinter mir hörte ich die Schritte und seine Rufe. Meine Muskeln wurden müde, doch ich hörte nicht auf zu rennen. Ein weiterer Knall und ich sah wie die Kugel den Baum vor mir traf. Er war dicht dran. Zu dicht.

Dann sah ich durch das Gebüsch vor mir Asphalt und spürte wie mein Herz einen Hüpfer machte. Ohne auf den Schmerz zu achten, als sich die kleinen, spitzen Äste in meine Haut bohrten, rannte ich weiter. Meine Füße setzten auf den harten Asphalt auf, als die Ernüchterung über mich hineinbrach. Die Straße war verlassen und nur eine Hausruine stand auf der gegenüberliegenden Seite. Weit und breit waren Felder zu sehen, jedoch nichts wo ich mich verstecken konnte.

Ein Knall ertönte und ich spürte einen stechenden Schmerz an meiner Wange, der mich aufschreien ließ. Ich setzte mich in Bewegung und rannte zu der Ruine, die mein einziger Schutz war. Während ich rannte fuhr ich mit meiner Hand an meine Wange und sah, als ich meine Hand begutachtete, scharlachrotes Blut.

Immer noch schoss Adrenalin durch meine Blutbahnen. Ich stieß die verrottet Holztür auf und stand in einem Flur, dessen Boden von abbröselnden Putz überseht war. Ohne nachzudenken, rannte ich durch die Tür die sich direkt neben mir befand.

Der Raum in dem ich nun war, war so verfallen wie der Flur, jedoch zeugte ein altes Sofa von den Menschen, die hier einst gelebt hatten. Ich schaute nach unten und sah, dass dort Blut war.

Mein Blut, das langsam meine Wanger herunter lief und nun auf den Boden tropfte. Rasch hob ich meine Hand und presste sie auf die Wunde, in der Hoffnung das Blut zu stoppen. Schmerzen hatte ich nicht. Dazu war noch zuviel Adrenalin in meinen Adern. Ich erblickte eine weitere Tür am Ende des Zimmers und rannte dort hin. Ich wusste, dass er gleich hier auftauchen würde. Der Holzboden unter meinen Füßen war morsch, sodass ich Angst hatte ein Loch in den Boden zu machen. Völlig außer Atem trat ich in einen Raum, der eine alte Küchenzeile hatte. Reflexartig öffnete ich die Schränke, die quitschten und suchte nach etwas, mit dem ich mich verteidigen konnte. Das war dann wohl mein Überlebensinstinkt.

Eine verrostete, alte Pfanne lag in einer Ecke, die ich sofort an mich nahm und hochhielt.

Ein Knarren verriet mir, dass mein Vater das Haus betreten hatte.

„Du kannst nicht weglaufen. Ich mache es auch schnell. Versprochen.“

Ein weiteres Knarren. Ich presste ich an die Wand, von der erneut etwas Putz rieselte und ich betete, dass es mich nicht verriet.

„Du hinterlässt Spuren“, ertönte es von ihm. Ich kniff meine Augen zusammen und wusste, dass immer noch Blut auf den Boden tropfte. Ich sah eine weitere Tür, die in den Flur zurückführen musste. Wenn ich Glück hatte konnte ich nachher dadurch fliehen und es verschaffte mir genug Vorsprung.

Ein quitschen verriet mir, dass er eine Tür geöffnet hatte.

„Dank deines Blutes ist das die reinste Schnitzeljagt“, lachte er laut und ich wusste, dass er in dem Zimmer neben mir war. Leise schlich ich mich zu der Tür die offen war und ich atmete erleichtert aus, als ich keinen Laut machte. Ich wagte einen Blick in den Flur der leer war.

Ganz langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, bis ich schließlich rannte. Zu meiner Überraschung war es nicht so laut, wie ich gedacht hatte, also sprintete ich auf die Straße.

Erneut hörte ich einen Knall und dann war da plötzlich der höllische Schmerz in meinem Oberschenkel. Schreiend brach ich auf dem Boden zusammen. Ich fasste mir an mein Bein, und rollte mich auf den Rücken. Mit langsamen Schritten kam er auf mich zu und betrachtete mich. Ich hatte das Gefühl, dass er nun endgültig verrückt geworden war, was mir indirekt durch seinen Blick bestätigt wurde.
Tränen rannten über meine Wangen und vermischten sich mit dem Blut. Wegen der Tränen fing meine Wunde im Gesicht an zu Brennen, was mich noch mehr weinen ließ.

Und dann war ich wieder in der Realität.

Das Adrenalin ließ nach und ich schaute durch Tränen meinen Vater an.

Nein, der Mensch, der mein Erzeuger war.

Mein Vater war er schon lange nicht mehr.

„Ich hätte dich schon längst umbringen sollen“, sagte er, während er mich abschätzend Anblickte.

Ein zweites Mal in kurzer Zeit richtete er seine Waffe auf mich und grinste höhnisch.

„Du bist so erbärmlich. Du hast es sowieso nicht verdient zu leben.“

Ich wollte, aber leben.
Ich wollte alt werden und Kinder.

Ich wollte das Erleben, was so viele Menschen vor mir schon durchgemacht hatten.

Doch das was ich am meisten wollte, war Nils wieder zu sehen. Was hätte er wohl in so einer Situation getan?

„Egal was die beiden Entführer mit dir angestellt haben, sie haben dich verändert. Und anstatt dich noch mehr einzuschüchtern, wie ich gehofft hatte, haben sie dich Widerstandsfähiger gemacht. Was für miserable Entführer.“

„Wieso hast du mich suchen lassen, wenn du mich so hasst?!“

Ich schrie die Worte. Wie etwas, dass dort seit langem geschlummert hatte, erwachten sie und ließen meinen Vater verstummen.

„Wer soll sich sonst um den Haushalt kümmern? Für mich bist du nichts weiter, als eine nervige Putzfrau, die ich bezahlen muss.“

„Ich hasse dich. Ich hasse dich für alles. Für jeden verdammten Tag den du lebst. Für jede Sekunde die ich mit dir erlebt habe. ICH HASSE DICH!“

„Hass mich Ruhig. Mir egal. Also gute Nacht Prinzessin.“

Er benutze meinen alten Kosenamen, den meine Mutter mir gegeben hatte, voller Verachtung und blickte mich an. Doch nun waren es meine Augen die ihn trotz der Tränen hasserfüllt anblickten. Auch wenn ich glich sterben würde. Ich würde ihm den Trumpf nicht gönnen. Also ließ ich meine Entführung Revue passieren und füllte meinen Kopf mit Nils und vertrieb so ein Teil der Todesangst. Egal wie schmerzvoll es sein würde, ich würde an Nils denken. Mich an ihn klammern. Denn auch wenn ich sterben sollte. Ich liebte ihn.

Und dann ertönte ein erneuter Knall.

 

 

 

 

Erklärung

Nils

 

Ich stürzte mich auf den in schwarz gehüllten Typen und schlug ihm dabei die Waffe aus der Hand. Meine Hände glitten über den heißen Asphalt und ich rollte mich mit dem Mann herum, der sich wehrte. Innerlich verspürte ich eine unglaubliche Wut, die auf ihn zurück zu führen war. Mit aller Kraft gelang es mir, den Mann von mir zu stoßen. Schnell stand ich auf und blickte auf den Vater von Franziska herab, welcher mich hasserfüllt anstarrte. Ich sah wie er sich aufraffte ohne mich aus den Augen zu lassen. Hinter mir, hörte ich die Polizisten und die Menschenmenge, die eintraf.

„Du bist also der beschissene Entführer, der es nicht übers Herz bringt ein hilfloses Mädchen umzubringen.“

„Widerlicher Mistkerl“, zischte ich ihn an und machte zwei Schritte auf ihn zu. Dabei holte ich aus und verpasste ihn einem kraftvollen Kinnhacken.

„Was denkst du Vollidiot dir eigentlich deine eigene Tochter durch die Hölle zu schicken?!“, schrie ich wütend und rammte ihn mein Knie voller Wucht zwischen die Beine. Er schrie auf vor Schmerz und krümmte sich, sodass sein Nacken freilag.

„Wag es noch einmal sie auch nur anzusehen und ich schicke dich in die Hölle“, sagte ich laut und rammte ihn mein Knie diesmal in seinen Magen. Sein fester Griff löste mich von mir und er taumelte etwas zurück. Er tastete in seiner Jackentasche nach etwas und zog schließlich ein Messer hervor. Sein Gesicht verzog sich zu einer verrückten Maske und er wollte auf mich zu rennen, doch plötzlich erblickte ich Franzi.

Sie holte mit einer alten Pfanne aus und schlug ihrem Vater mit aller Kraft auf den Kopf. Wie ein Sandsack brach der erwachsene Mann zusammen und blieb regungslos liegen.

Die Masse um mich herum existierte in dem Moment nicht für mich. Ich sah nur Franziska, die zitternd mit der schweren Pfanne vor dem schlaffen Körper ihres Vaters stand.

Ihr Blick löste sich von dem regungslosen Mann und die Pfanne glitt aus ihrer Hand. Sie schaute mich geschockt an und war kurz davor zusammen zu brechen. Ich rannte sofort zu ihr und fing ihren schwachen Körper auf.

Blut tropfte auf den Asphalt und sie krallte sich an mein Shirt.

„Nils“, flüsterte sie ungläubig und ich hatte das Gefühl, das sie immer blasser wurde.

„Ich bin da Kleine“, antwortete ich ihr und fuhr ihr sanft durchs Haar. Erst jetzt erkannte ich das Ausmaß der Verletzungen und bekam selber einen Schock.

„HOLT VERDAMMT NOCHMAL EINEN KRANKENWAGEN! UND SIE BAUER BEWEGEN IHREN ARSCH HER UND HELFEN MIR!“

Ich hatte das Gefühl mir meine Seele aus dem Leib zu brüllen und ich dachte man würde mich festnehmen, stattdessen kam Johannis Bauer angerannt und fing an sich die Wunden anzuschauen. Dabei warf er mir immer wieder einen fragenden Blick zu, den ich jedoch nicht erwiderte. Ich streichelte ihr Haar und blickte einmal zu der Menschenmasse, in der so ziemlich jeder jetzt ein Handy gezückt hatte und das Spektakel verwirrt beobachtete. Der Vater von Franziska wurde in seinem regungslosen Zustand gefesselt und mehrere Polizisten, sowie Zivilisten, fingen an die Masse zurück zu drängen.

Erneut wanderte mein Blick zu Franziska, die mich durch leicht geschlossene Augenlieder anstarrte.

„Bleib“, brachte sie mühevoll zwischen ihren Lippen hervor.

Ich nickte stumm und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, was der Polizist neben mir genaustens beobachtete.

„Nehmen Sie das Bauer. Anders können Sie die Kleine nicht verarzten.“

Geschockt von der Stimme, die mir nur allzu bekannt war, riss ich meinen Kopf herum und erblickte das leicht lächelnde Gesicht von Ben.

„Verzieh dich Ben“, keifte ich, denn er sollte wegen meiner Dummheit keinesfalls in den Knast wandern.

„Vergiss es. Wenn wir in den Knast wandern, dann zusammen“, erwiderte er und hockte sich neben mich.

„Hey Franzi“, flüsterte er grinsend, woraufhin sie ihre Augen ein Stück weiter öffnete und verwirrt dreinblickte.

„Ben?“, flüsterte sie. Er nahm ihre Hand und strich sie sacht.

„Alles wird gut. Ruh dich ein bisschen aus“, sagte er zu ihr und wie auf Kommando schloss sie ihre Augen.

In der Ferne hörte ich die Sirene des Krankenwagens und ich bereitete mich auf eine Diskussion mit Bauer vor, denn ich würde Franziska nicht alleine in das Krankenhaus lassen. Zum einen hatte sie mich gebeten u bleiben und zum anderen konnte ich es nicht, denn hätte ich sie damals nicht gehen lassen, wäre es heute nicht so weit gekommen. Ich spürte wie das grauenvolle Schuldgefühl in mir aufstieg und mir schreckliche Sachen einredete.

Was hatte ich getan? Wieso hatte ich sie gehen lassen? Ich hätte Ben in den Arsch treten sollen und nicht auf ihn hören sollen. Auch wenn ich ein Schwerverbrecher war und weltweit gesucht worden war, ich war bestimmt besser als dieser Vater.

Jemand fasste mich an den Arm und zog mich vorsichtig zurück. Ich löste meinen Blick von Franziska und sah, dass Bauer mich freundlich anlächelte und in Richtung der Sanitäter nickte, welche um uns herum standen.

Ich verstand sofort und legte Franziska, die in meinen Armen lag auf eine zusammen geknüllte Jacke, die jemand unter ihren Kopf platziert hatte.

Wortlos stand ich auf und stellte mich ein Stück weiter weg von ihr, sodass sie verarztet werden konnte. Neben dem blutüberströmten Bein und ihrer scharlachroten Wange, hatte sie überall Kratzer, die von einem Busch oder ähnlichem zu seien schienen. Ich selber hatte das Gefühl, bei diesem Anblick schwächer zu werden.

„Kommen Sie. Ich bringe sie zu einem Krankenwagen. Sie sind ziemlich blass.“

Johannis Bauers Stimme riss mich aus meinen Gedanken.

Als Antwort schüttelte ich den Kopf ohne den Blick von ihr zu wenden.

„Kommen Sie..“, setzte er an um mich zu überreden, doch ich unterbrach ihn.

„Bitte lassen Sie mich bei ihr. Ich verspreche ihnen, dass ich ihnen alles erklären werde, ich gehe in den Knast, wenn es sein muss, aber bitte lassen Sie mich bei ihr.“

Meine Stimme war flehentlich und leicht am zittern. Ich wusste, dass in meinen Augen die pure Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung stand, weswegen der Polizist auch tief durchatmete, ehe er nickte.

„Danke“, entfuhr es mir leise.

Wieder beobachtete ich Franziska, die nun in einen Krankenwagen transportiert werden sollte. Ich hatte Angst, dass sie mich nicht dabei haben wollte, dass sie mich, sobald sie wieder bei Sinnen war, verurteilen würde. Meine Beine waren wie angenagelt und so sah ich ihr nach.

„Ist ein Nils hier? Sie fragt nach einem Nils“, rief ein Sanitäter laut und blickte durch die Masse.

„Hier“, hörte ich Bauer neben mir antworten, bevor er mir einen leichten Schubs gab.

Verdattert blickte ich zu ihm, der mir ermutigend zu nickte.

Ich rannte zu dem Sanitäter und kletterte in den sterilen Krankenwagen. Dieser Polizist hatte meine Erklärungen mehr als verdient und in diesem Moment verspürte ich eine unendliche Dankbarkeit.

Ich ging zu dem zierlichen, blassen Mädchen und strich ihr eine braune Strähne aus dem Gesicht.

Ein Lächeln glitt über ihre Lippen, ehe sie ihre wunderschönen, braunen Augen schloss. Ich fuhr ihre Wangenknochen nach und strich mit meinen rauen Fingern über ihre zarte Haut. Wenn sie schlief sah sie so friedlich, so zerbrechlich aus, sodass ich jedes Mal einen Drang verspürte sie zu beschützen. Ich konnte nicht sagen, was das Mädchen mit mir angestellt hatte, doch sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich wollte sie in den Armen halten und seit unserem Kuss im See, hatte ich jedes Mal ein Deja-vu, wenn ich mit Wasser in Berührung kam. Ben hatte mich für verrückt erklärt, denn er war der Meinung, dass Franziska nie einen Schwerverbrecher nehmen würde. Zu Beginn schien sie mich gehasst zu haben, doch schon in dem Laden hatte sie meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen, denn meine Anwesenheit hatte sie scheinbar nicht interessiert. Sie war auf das weinende Mädchen konzentriert gewesen und ich hätte eine andere Person mitnehmen können. Doch etwas an ihr hatte mich gefangen und ließ mich seitdem nicht mehr los. Und als ich dann noch von ihrem Vater erfahren hatte, hatte ich sie gegen meinen Willen ins Herz geschlossen.

Ich spürte wie der Krankenwagen hielt und die Tür geöffnet wurde. Sofort stieg ich aus und sah Johannis Bauer dort stehen, der mich erwartungsvoll Anblickte.

Ich senkte meinen Blick und hielt ihm schweigend meine Hände hin. Jetzt konnte er mich abführen. Ich war bei ihr gewesen, das hatte ich als einziges gewollt. Nun würde ich sie ihn Ruhe lassen. Schließlich hatte ich genug angerichtet.

„Darf ich erfahren was das werden soll?“

Fragend hob ich meinen Kopf und blickte den Polizisten irritiert an.

„Mich festnehmen?“, fragte ich verwundert.

„Vergessen Sie das gleich wieder. Erst will ich eine ausführliche Erklärung haben. Also würden sie mich jetzt in die Cafeteria begleiten, während Frau Meyer verarztet wird?“

Stumm nickte ich und folgte dem Mann im Anzug durch das Krankenhaus. Um mich herum nahm ich nichts war. Tranceartig lief ich an Menschen vorbei, die auf mich zeigten und mir skeptische Blicke zuwarfen. Mit meinen Gedanken war ich bei Franziska, die nun wahrscheinlich operiert wurde. Und dann wunderte ich mich noch über Johannis Bauer. Er war seit Jahren hinter mir her und wollte mich hinter Gitter bringen. Jetzt jedoch lief ich hinter ihm her ohne Handschellen zu tragen und er schien mit mir reden zu wollen. Etwas hatte sein Interesse geweckt und nun wollte er dem nachgehen. Ein Polizist mit Leib und Seele.

Wir betraten die leere Cafeteria und er führte mich in eine Ecke, die von Pflanzen geschützt wurde. Schweigend setzten wir uns. Ich konnte nicht anders als auf die Tischplatte zu starren und meine Gedanken irgendwie zu ordnen. Wie sollte ich einem Polizisten diese Geschichte erklären?

„Wissen Sie, als ich Franziska im Krankenhaus traf, nach der Übergabe um sie zu befragen, ist etwas komisches passiert. Das Mädchen, das ich antraf fing an zu weinen, als ich die Entführung ansprach. Und heute erlebe ich, das einer der Entführer, bei ihr im Garten rumschnüffelt und während wir ihn jagen, trifft er auf die Entführt, die in einen Kampf mit ihrem Vater verwickelt ist. Der sich sehr um seine Tochter sorgte während der Entführung. Der Entführer stürzt sich auf den sorgsamen Vater und letztendlich knockt das junge Ding ihren Vater selbst aus. Sie bricht verletzt zusammen und verlangt nach ihrem Entführer, der sich um sie kümmert und sie sogar küsst. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll. Also ich hoffe, dass sie eine richtig gute und glaubwürdige Erklärung haben.“

Er schloss seine Rede ab und lehnte sich ein Stück zurück, wie ich aus dem Augenwinkel sah.

Ich atmete tief durch und schloss kurz meine Augen.

„Sie wollen also die ganze Geschichte hören?“, fragte ich, während ich weiter auf den Tisch starrte.

„Ja das würde ich sehr gerne.“

„Dann holen sie sich schon mal einen Kaffee. Das wird nämlich eine längere Geschichte.“

„Wo fängt sie denn an?“

„Bei meiner Geburt“, antwortete ich und hob meinen Blick nun, sodass ich ihn die Augen des Polizisten blickte, welcher mich verwirrt anblickte. Und dann, fing ich an, meine Geschichte zu erzählen.

 

 

 

 

 

 

Erwacht

Franziksa

 

Ein scharfer Geruch, der mich stark an Desinfektionsmittel erinnerte, drang in meine Nase. Ich lag auf etwas, dass mich an ein Bett erinnerte, jedoch keineswegs so bequem war, wie mein eigenes. Etwas war um mein Bein gewickelt und eine meiner Wangen wurde von etwas bedeckt. Meine Augenlieder fühlten sich wie Beton an und ich hatte alle Mühe diese zu öffnen. Zuerst war es grell und ich erkannte nichts, doch schon nach kurzer Zeit konnte ich umrisse wahrnehmen, die mich stark an das Krankenhaus erinnerten.

Ich hatte das Gefühl das alles schon einmal erlebt zu haben und wollte mich aufsetzten, was mir nicht gelang. Ich war zu schwach. Also schenkte ich meine Aufmerksamkeit der Person, die ihren Kopf auf mein Bett gelegt hatte und meine Hand hielt.

Das blonde Haar fiel in sein Gesicht und er sah friedlich aus, während er schlief. Doch was tat er hier?

Ich wollte gerade meinen Mund öffnen und ihn fragen, als ich eine weitere Person bemerkte, die auf einem Stuhl in einer Ecke saß.

„Lassen Sie ihn schlafen. Er hat eine lange Nacht hinter sich.“

Überrascht betrachtete ich das Gesicht des Polizisten, der eigentlich hinter meinen Entführern her war.

„Was..?“, setzte ich verwundert an, woraufhin er nur freundlich lächelte, seinen Finger vor seine Lippen hielt und in die Richtung von Nils nickte.

Ich verstummte und beobachtete, wie er seinen Stuhl neben mein Bett stellte und mich einen Moment ansah, ehe er anfing zu sprechen.

„Wissen Sie Franziska, Sie haben mich ziemlich verwundert, als sie ihren Vater K.O geschlagen haben. Und die Tatsache, dass du nach deinem Entführer gefragt hast, als du schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht wurdest, hat mir nicht geholfen zu verstehen, was vor sich geht.“

„Sie haben ihn nicht festgenommen“, stellte ich immer noch mit etwas schwacher Stimme fest.

„Ich wollte wissen, was wirklich los war. Deswegen habe ich mich hingesetzt und habe mich mit deinem netten Entführer unterhalten.“

Der Blick des Polizisten wurde sanft und er schaute kurz zu Nils herüber.

„Der Kleine hat fast die ganze Nacht mit mir geredet und danach ist er sofort hier her gekommen und hat sich an dein Bett gesetzt. Seitdem ist er hier nicht mehr raus gegangen. Weder zum Essen, noch zum Trinken. Ich bin ehrlich gesagt froh, dass er etwas schläft.“

„Er war die ganze Zeit hier?“, fragte ich etwas verunsichert.

„Unglaublich oder? Ich glaube er hat Sie wirklich ins Herz geschlossen. Und das obwohl es nur knapp zwei Wochen waren, die Sie mit ihm verbracht haben.“

„Was hat er ihnen denn erzählt?“

„Alles. Und mit alles, meine ich alles.“

Ich merkte wie ich rötlich anlief und schaute peinlich berührt auf meine Finger.

„Hören Sie Franziska, ich nehme ihnen das nicht übel und da ihr Vater direkt nebenan liegt, würde ich es vorziehen, sie aus diesem Krankenhaus zu bringen.“

Stumm nickte ich und blickte erneut kurz zu Nils, der in aller Seelenruhe schlief.

„Wenn Sie damit einverstanden sind, würde ich sie gerne mit Nils und Ben wegschicken. Ihre ärztliche Versorgung übernimmt eine junge Frau, die medizinische Erfahrung hat. Und Sie haben zwei wirklich gute Beschützer an ihrer Seite, also müssten Sie sich keine Gedanken machen wegen ihrem Vater.“

Ich konnte dem Polizisten nicht in die Augen schauen. Mein Blick wanderte nach draußen, wo sich der Sonnenaufgang langsam ankündigte. Das sterile Krankenzimmer wurde langsam in warme Farben gehüllt und ein Lächeln zauberte mir der wundervolle Junge neben mir auch noch aufs Gesicht. Es war also alles wirklich geschehen. Mein eigener Vater hatte versucht mich umzubringen und nun sollte ich entscheiden, ob ich mit dem Jungen, der mir das Leben gerettet hatte, mitkommen wollte. Irgendwohin, wo ich vor meinem Vater sicher war.

War es das was ich wollte? Wollte ich fort, alles vergessen und versuchen irgendwie ein neues Leben anzufangen? Soweit dies eben möglich war.

„Ja, ich bin einverstanden.“

Ich hörte, wie der Polizist erleichtert aufatmete und aufstand.

„Ich werde, dann alles vorbereiten und mit Ben reden.“

Ich nickte kurz und wartete, bis die Tür zufiel. Dann war es Still und ich fasste Nils Hand. Seine Haut war rau und doch fand ich es angenehm. Er schien die Schlägerei mit meinem Vater gut überstanden zu haben, denn ich sah keinen Kratzer.

Ich malte sanft Muster und Formen auf seine Hand. Plötzlich sah ich wie er seinen Kopf bewegte und seinen Kopf hob. Strahlend braune Augen schauten mich verschlafen an, bis sie sich vor Schock weiteten.

Eilig entzog er seiner Hand meiner und fuhr sich hektisch durchs Haar.

„Du bist wach“, stellte er fest und fummelte nervös an seinen Händen rum.

„Ich bin wach“, erwiderte ich, woraufhin eine drückende Stille zwischen uns herrschte.

Immer höher stieg die Sonne, doch wir schauten uns nur an. Seine Augen schauten mich liebevoll an, obwohl ich grauenvoll aussehen musste. Und ich erkannte nichts mehr von dem anfänglich bösen Entführer. Stattdessen erinnerte er mich gerade an einen Teenager, der keine Ahnung hatte, was er sagen sollte. Ich fühlte mich genauso hilflos.

„Franziska, ich...“, setzte er an, wurde jedoch von Ben unterbrochen, der das Zimmer betrat. Wir wandten den Blick voneinander und schauten in das lächelnde Gesicht von Ben.

„Guten Morgen Schlafmütze“, sagte er frech und wurde von einem blonden Model zur Seite geschubst.

Marie kam auf mich zugestürmt und schmiss sich halb auf mich drauf.

„Tu so was nie wieder! Nie wieder hast du verstanden! Wenn ich sage, geh, dann heißt das nicht, dass du dich von deinem Vater umbringen lassen sollst!“, schimpfte sie mit mir und war dabei mal wieder den Tränen nah.

„Ich hab deine Sachen gepackt und ich verspreche dir, dass ich dich besuchen kommen werde. Und ich verkloppe deinen Vater, sobald der Polizist da weg ist. Und..“
Ich legte ihr einen Finger auf die Lippen, sodass sie verstummte.

„Es ist alles ok Marie.“

Und dann sah ich, wie die ersten Tränen sich aus ihren Augen stahlen. Wie ein Fluss, flossen diese Maries Wangen herunter und tropften auf meine Bettdecke.

Erneut ging die Tür auf und ehe ich mich versah stand der Polizist Bauer etwas hektisch dreinblickend im Zimmer.

„Franziska, Sie sollten jetzt los. Ihr Vater wird bald wach werden und in kürze wird hier ein riesiger Auflauf von Reportern sein.“

„Verstanden“, sagte ich und wollte mich aufsetzten, wurde jedoch von zwei starken Händen zurück gehalten.

„Du denkst doch nicht wirklich, dass du laufen kannst?“ Die braunen Augen von Nils schauten mich misstrauisch an. Ohne dass ich etwas erwidern konnte, zog er die Decke zur Seite und legte meinen Arm vorsichtig um seinen Hals. Ganz vorsichtig half er mir, mich aufzusetzen.

Ich spürte, wie er mich anhob und mich sacht an sich drückte.

„Geht so?“, fragte er leise, sodass nur ich es hörte.

„Ja“, flüsterte ich und blickte ihm kurz, aber intensiv in die Augen, was er erwiderte.

„Meinst du nicht, dass ein Rollstuhl besser wäre?“

„Keine Zeit. Schnapp dir die Tasche, die Marie gepackt hat und dann weg hier.“

Die Antwort klang nach einem Befehl, den Ben wortlos befolgte.

Ich spürte, dass ich durch das Krankenhaus getragen wurde, doch ich war mit meinen Gedanken wo anders. Ich war dabei zu realisieren, dass ich vor meinem Vater floh. Das war vielleicht etwas übertrieben, da er bestimmt eine Gehirnerschütterung hatte und von Polizisten bewacht wurde, doch es kam mir so vor. Und zu meiner Verwunderung, fühlte ich mich gerade absolut sicher. Ich hatte keine Schmerzen. Entweder weil die Betäubungsmittel noch wirkten, oder weil ich in seinen Armen lag. Ich spürte seine Atemzüge und lehnte mich gegen seine Brust. Sein T-Shirt roch nach ihm und ich fühlte mich in dem Moment einfach nur gut. Was eigentlich bei den Umständen, nicht hätte der Fall sein dürfen, doch es war so. Etwas an ihm beruhigte mich. Das Etwas hatte mich schon auf dem heißen Asphalt beruhigt, als ich die Schussverletzungen hatte.

Ich schloss meine Augen und ließ die letzten Reste des Narkosemittels wirken. Mit einem wunderwollen Gefühl der Geborgenheit, tausenden von Schmetterlingen im Bauch und dem Geruch von ihm in der Nase, fiel ich für eine kurze Zeit zurück in das Land der Träume.

 

 

 

 

Fahrt ins neue Leben?

Nils

 

Vorsichtig legte ich ihren Kopf in meinen Schoss und streichelte ihr sanft über das Haar.

„Beeilen Sie sich Ben und melden Sie sich sobald Sie angekommen sind.“ Johannis Bauer schmiss die Wagentür zu und Ben startete den Motor. Ich wandte meine Augen nicht von Franziska, die aussah wie ein Engel, während sie schlief.

Ihr braunes Haar fiel ihr ins Gesicht und ich verspürte einen unglaublichen Drang meine Lippen auf ihre zu legen. Aber nicht jetzt. Jetzt mussten wir nämlich erstmal aus der Stadt und sie in Sicherheit bringen. Meine Pläne Franziskas Vater zu Morcheln hatte Ben leider wütend abgetan, obwohl ich mir sicher war, dass er das nur getan hatte um vernünftig zu sein.

„Schläft sie noch?“, fragte Ben leise und blickte kurz in den Rückspiegel.

„Ja. Sie hat auch eine ordentliche Menge Narkosemittel bekommen.“

„Keine Angst. Jenny peppelt sie wieder auf.“

Ein grimmiges Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.

„Jenny wird mich erst umbringen.“

Ein kehliges Lächeln ertönte von dem Fahrersitz.

„Wahrscheinlich, aber ich denke, dass ich sie beruhigen kann. Du machst dir schon genug Vorwürfe.“

„Du machst dir Vorwürfe?“

Die zarte Stimme von Franziska drang an mein Ohr und ich sah, wie sie mich liegend, verschlafend dreinblickend, musterte.

Ich merkte, dass mein Kopf sich rot färbte und so blickte ich etwas beschämt an ihr vorbei.

„Ein bisschen“, flüstere ich und war Ben dankbar, dass er das Radio etwas aufdrehte und sich aus dem Gespräch hielt.

„Wieso?“

Nun war ihr Blick schärfer. Sie versuchte mich zu durchschauen und ich hoffte, dass sie es nicht schaffte. Ich wollte ihr schließlich nicht vor Ben sagen, wie wichtig sie mir war.

„Erklär ich dir später“, sagte ich etwas bestimmend und strich ihr über die Wange.

„Glaub ja nicht, dass ich das vergesse!“

„Ich bin mir sicher, dass du das nicht vergisst.“

Ich lächelte sie an und merkte, dass mein Herz einen kleinen Hüpfer machte, als sie dies erwiderte.

„Wo fahren wir eigentlich hin?“

„Lass dich überraschen“, ertönte es von Ben auf Franzis Frage.

„Ich bin mir sicher, dass es dir gefallen wird“, flüsterte ich ihr zu und zwinkerte einmal.

„Woher willst du das, denn wissen?“, fragte sie mich neckisch und zog dabei eine Augenbraue leicht hoch.

„Ich hab in deinem Zimmer rumgeschnüffelt.“

Ihre Augen weiteten sich geschockt und ihr Mund ging ein kleines Stück auf, sodass ich einen Blick auf ihre strahlend weißen Zähne bekam.

„Keine Angst ich habe nicht deinen Schrank durchwühlt. Das hat Marie für mich erledigt.“

„Nicht dein Ernst oder?! Ihr habt das Packen nicht wirklich Marie überlassen!“

„Doch.“

„Na Super.“

Sie legte ihre Hand auf ihr Gesicht und stöhnte genervt auf.

„Was ist daran so schlimm?“, fragte ich unschuldig.

„Marie zeigt unglaublich gerne viel Haut“, sagte sie bissig, woraufhin ich mir ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

„Also ich habe da persönlich kein Problem mit.“

Sie holte aus und schlug mich gegen die Schulter.

„Was? Ich bin auch nur ein Mann!“, verteidigte ich mich entrüstet und sah, dass sich ein kleines Lächeln auf ihre Lippen stahl.

Etwas an ihr hatte mich plötzlich vollkommen im Griff. Ich hätte in diesem Moment alles für sie getan. Und wenn sie verlangt hätte, dass ich mich vor einen Zug schmiss. In diesem Moment hätte ich das für sie getan. Und weil sie mich so gefangen hatte, konnte ich meinen Blick nicht mehr von ihr Wenden. Um mich herum bemerkte ich, dass Ben und Franziska Witze rissen, doch meine Gedanken glitten fort. Das Lachen auf ihren Lippen zog mich hinfort. Weg von der grausamen Realität in der ihr Vater im Krankenhaus lag und nicht Tod war. Weg von dem Gedanken, dass sie mich nicht lieben konnte. Weg von der Tatsache, dass sie verletzt war und auch weg von den Vorwürfen, die ich mir machte. Ich konnte nicht anders als in meinen Träumen zu versinken, die daraus bestanden, dass sie mich liebte und wir für immer zusammen sein würden. Träume die mir zeigten, wie wunderschön es mit ihr sein könnte. Und ich wusste, dass ich nur sie wollte. Nie in meinem Leben war mir eine Person so wichtig gewesen. Noch nicht mal Ben und Bownie zusammen waren mir je so wichtig gewesen und sie waren mein Leben gewesen. Bis sie aufgetaucht war.

Sie war die erste Person, die mich so verwirrt hat. Die ich nicht sofort durchschauen konnte. Ich hatte ihr Vertrauen gewinnen müssen und der Gedanke, dass sie nicht bei mir oder gar Tod sein könnte, trieb mir Tränen in die Augen, die ich schnell wegblinzelte.

Seit Tagen grübelte ich nun schon darüber, was sie mit mir angestellt hatte. Doch um ehrlich zu sein wusste ich das nicht.

„Was hast du?“

Die sanfte Stimme von Franziska riss mich aus meinen Gedanken. Ich schaute in ihre wunderschönen Augen, die mich gerade durchbohrten.

„Nichts“, sagte ich mit brüchiger Stimme und verfluchte mich selber für diese Schwäche, die ich ihr vor Ben zeigte.

Sie hob ihre Hand und strich mir etwas feuchtes von der Wange. Einen kurzen Moment haftete ihr Blick auf ihrer Fingerspitze auf der eine Träne von mir verweilte, doch nur kurz. Ihre Augen suchten mein Gesicht nach einen Grund für diese Träne ab, doch ich lächelte nur und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Es ist alles gut“, flüsterte ich ihr zu.

„Aber wieso..?“

„Weil du hier bist“, antwortete ich auf die unausgesprochene Frage.

„So schlimm bin ich doch gar nicht“, sagte sie etwas beleidigt und kleine Falten bildeten sich auf ihrer Stirn.

„Du verstehst mich falsch.“

„Tue ich das?“

„Ich bin glücklich, dass du hier bist.“

Die Falten auf ihrer Stirn legten sich und ein sanfter Ausdruck trat auf ihr Gesicht, der sie wie ein Engel aussehen ließ.

„Ich bin glücklich, dass ich bei dir bin“, sagte sie so leise, dass selbst ich sie kaum verstand und ich war nur wenige Zentimeter von ihr entfernt.

Ich hatte das Gefühl, dass mein Herz aus meiner Brust springt und auf einmal schwirrten Abermillionen Schmetterlinge in meinem Bauch herum und ich hatte Angst, dass diese aus meinem Mund flattern würden, sobald ich diesen öffnete. Also saß ich mit diesem unbeschreiblichen Gefühl einfach nur da, hielt sie in meinem Armen und schaute sie an.

Selbst Ben war Still geworden und konzentrierte sich auf die Fahrt.

Ich hätte sie in diesem Augenblick am liebsten geküsst, doch ich wollte Ben nicht dabei haben.

„Du hast deinem Vater, aber ordentlich eins auf die Zwölf gegeben. Wenn die Pfanne ein Baseballschläger gewesen wäre und dein Vater ein Baseball, wäre das ein Homerun geworden.“

Froh über meinen Themawechsel, der mich leicht aus meinem Gefühlchaos zog, fing ich frech an zu Grinsen, was sie sofort erwiderte.

„Vielleicht sollte ich Profi-Baseballspielerin werden“, sagte sie gespielt nachdenklich.

„Oder du wirst eine aufbrausende Fünf Sterne Köchin“, warf Ben von vorne hinzu.

„Ach Quatsch. Ich geh in die Waffenschmiede!“

Ich hörte, dass Ben lachend etwas erwiderte, doch es kam mir vor, als wäre das alles weit weg. Die Worte wurden zu einem Rauschen, das langsam verstummte. Und dann fing jeder Augenblick an sich in die Länge zu ziehen. Jede Bewegung die Franziska machte war in Zeitlupe, sodass ich mir jeden Handgriff einprägen und sie noch besser bewundern konnte.

Ich wusste nicht wie sie das alles geschafft hatte, denn welches Mädchen überlebte so einen Vater? Ich hatte auch viel Kacke durchgemacht, doch sie schien mir weitaus stärker zu sein, als ich es je gewesen war. Natürlich, ich hatte gesehen, wie mein Vater meine Mutter ermordet hatte, doch sie war nie gegangen aus Angst. Sie hatte mich nie zurück gelassen. Außerdem war Ben schon Jahre an meiner Seite und sie war Jahre alleine gewesen. Wie war aus ihr so ein wundervoller Mensch geworden? Denn ich hätte nie gedacht, dass ein Mensch soviel Leid ertragen konnte. Und doch hatte sie es mir bewiesen. Sie hatte mir eine völlig neue Sichtweise gezeigt und zum ersten Mal in meinem Leben, war ich mir todsicher, dass ich sie liebte. Mehr als mein eigenes Leben.

 

 

 

Realer Traum

Franzi

 

Völlig verzaubert starrte ich aus dem Fenster und versuchte die Dünen um die Straße herum zu begreifen. Für mich war es ein Traum. Das Meer war für mich immer ein unerreichbarer Hoffnungsschimmer gewesen. Ich hatte das Gefühl die Wellen in der Ferne hören zu können und um mich herum war alles ausgeschaltet. Das einzige was ich wahrnahm, war das Meer, das sich vor mir auftat, als wie über eine große Düne fuhren. Innerlich passierte das alles in Zeitlupe für mich und ich konnte schon so das Salzwasser schmecken.

Es dauerte einen unendlich langen Moment bis ich das kleine Häuschen entdeckte, das zwischen den Dünen versteckt war und als ich es dann noch erkannte, stockte mir der Atem.

„Die Bilder“, entfuhr es mir leise.

„Ja“, hauchte Nils zurück und es fühlte sich an, als würde der Ort mich immer mehr verzaubern. Ich spürte, dass er meine Hand nahm und sie sanft drückte, doch ich konnte meinen Blick nicht von meiner Traumwelt abwenden, die sich vor mir auftat.

Das Kreischen der Möwen vermischte sich mit dem fernen Rauschen der Wellen und der Wind strich sanft durch das Dünengras.

Immer näher kamen wir dem Haus, das ich von den Bildern erkannte die Nils gemalt hatte. Langsam hielten wir vor diesem und ich wollte schon aufstehen, als ich von Nils am Handgelenk festgehalten wurde. Ich drehte mich um und schaute in Nils kritisch dreinblickendes Gesicht.

„Du kannst und wirst nicht laufen“, sagte er bestimmt und stieg aus.

„Und wie soll ich, dann ins Haus kommen?!“, fragte ich leicht genervt.

Die Tür auf meiner Seite wurde geöffnet und bevor ich protestieren konnte, hatte Nils mich auf seine Armen genommen und trug mich Richtung Haus.

„Ich kann das alleine!“

„Kannst du nicht. Dafür brauchst du Krücken und die sind im Haus“, konterte er lässig und wollte die Haustür auftreten, diese wurde jedoch ruckartig aufgerissen und ein roter Blitz schoss an uns vorbei, begleitet von einem aufgeregten Kreischen.

Nils drehte sich mit mir auf dem Arm herum zu Ben, um dessen Hals ein Mädchen mit schulterlangen, roten Haaren hing.

Sie presste ihre Lippen auf seine und beide versanken in einem endlosen Kuss, der mich an zwei Tiere erinnerte, die sich auffressen wollten.

„Lassen wir den Beiden mal ihre Wiedersehensfreude ausleben“, hörte ich Nils neben meinem Ohr lachend sagen. Er drehte sich herum und trat durch die offen stehende Tür in das Haus. Eine wunderschöne, alte Holzkommode zog meine Aufmerksamkeit auf sich und ein Bild, das in einem selbstgebauten Holzrahmen aus Treibholz an der Wand hing, erinnerte mich an meine Entführung. Das Bild zeigte einen See auf dem sich die Sonne spiegelte und große, grüne Bäume umrahmten diesen. Langsam Schritt Nils herein und zu meinem verwundern, wurde er immer langsamer und hielt schließlich mitten im Flur.

„Franzi?“

„Hm?“ Ich wandte meinen Kopf zu Nils und bemerkte sein nachdenkliches Gesicht.

„Du ähm… also…“ Er atmete tief durch und schloss einen Moment die Augen, als müsste er eine schwere Entscheidung treffen.

„Du weißt, dass du nicht alleine leben kannst?“, fragte er nach einem Moment und schaute mich irgendwie mitleidig an.

Ich spürte, dass in mir etwas zerbrach. In meinem inneren hatte ich das immer gewusst, doch plötzlich war es real und als er es ausgesprochen hatte, hatte ich das Gefühl ihn gleich wieder gehen lassen zu müssen. Ich war nun mal nicht volljährig und solange war ich an meinen Vater gebunden. Oder an das Heim.

„Ja“, brachte ich mühevoll über die Lippen und senkte meinen Blick.

„Also, weißt du, ich hab mir da was überlegt und ich hoffe, dass du mich dafür nicht hasst.“

„Und was?“, fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Ich zeig’s dir“, flüsterte er und drückte mir einen Kuss auf die Stirn, was mir einen Schauer den Rücken runter jagte. Er drückte mich an sich und setzte sich dann in Bewegung. Langsam.

„Versprich mir, dass du mich nicht umbringst“, sagte er leise und ich bemerkte die Hoffnung in seiner Stimme.

„Ich versprech’s dir“, antwortete ich und schmiegte mich enger an ihn.

Ich merkte, wie er erleichtert ausatmete und seine Schritte beschleunigte. Er drückte eine Tür auf, die direkt gegenüber von der Eingangstür lag und ich erblickte ein lichtdurflutetes Zimmer. Ein großes weißes Sofa stand so, dass man auf das Meer blicken konnte und eine Frau saß dort. Sie hatte uns wohl gehört, denn sie erhob sich und wirbelte herum, sodass sie mir direkt ins Gesicht schaute. Ich hatte das Gefühl in einen Spiegel zu schauen der mich älter machte. Die Haare der Frau waren wie meine und auch die Augen kamen mir bekannt vor. Nur unsere Gesichtszüge unterschieden sich, denn ihre waren etwas härter. Ich kannte diese Frau.

„Mum?“, kam es mir über meine Lippen und ich sah, dass sich Tränen in ihren Augen bildeten. Ein leises Schluchzen entfuhr ihr und sie kam auf Nils zugestürmt und drückte mich an sich.

„Oh mein Schatz!“, brachte sie schluchzend hervor und strich mir durchs Haar. Der vertraute Geruch von Lavendel stieg mir in die Nase und benebelte meine Sinne. Wie lange hatte ich darauf gehofft sie wiederzusehen? Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden und sich auch nun bei mir heiße Tränen die Wange herunter bahnten.

„Es tut mir alles so Leid! Ich wollte dich nicht alleine lassen! Eigentlich wollte ich dich nachholen, doch es hat nichts so funktioniert wie ich wollte und als ich dort war, hat er mir gedroht. Es tut mir so Leid!“ Sie presste die Worte zwischen ihren Tränen hervor und nahm mich nun endgültig auf ihren Arm. Ich krallte mich an ihrer Kleidung fest und ließ die Tränen laufen. All die Hoffnung und Zuversicht hatte sich nun ausgezahlt. Ich war in Sicherheit bei meiner Mutter. Natürlich wusste ich nicht, ob sie das Sorgerecht hatte oder je bekommen würde, doch es interessierte mich nicht. Die Tatsache nicht mehr alleine zu sein mit meinen Qualen und meinen Vater weit weg zu wissen, war eine Erleichterung. Die Qual und der Hass der Jahre fielen mir vom Herzen, wie ein Stein.

Ich spürte, dass sie sich setzte und sie fing an mich sanft hin und her zu wiegen, wie früher. Immer wieder fuhr sie mir durchs Haar und küsste mich auf die Wange, während unsere Tränen sich vermischten.

„Pscht. Nicht weinen Kleines“, flüsterte sie in mein Ohr, woraufhin ich mir ein Lachen nicht verkneifen konnte.

„Aber du weinst doch!“, sagte ich und wischte mir grinsend die Tränen weg.

„Stimmt“, gab sie zu und nahm das Taschentuch, das Nils ihr reichte. Sie tupfte ihre Tränen weg und schaute mich Stolz an.

„Du bist so Stark.“

Ich betrachtete sie einfach und genoss das Gefühl der Geborgenheit. Ich wusste, dass ich sie nicht hatte treffen wollen, doch ich merkte, dass ich mich selbst belogen hatte. Natürlich wollte ich sie nicht aus ihrem Leben reißen, aber das war auch der einzige Grund. Schließlich wusste ich, wie schlimm das Leben mit meinem Vater war. Innerlich hatte ich sie scheinbar immer bei mir haben wollen. Wie hatte ich auch was anderes denken können?! Sie war mein Zufluchtsort gewesen und nachdem sie fort war, saß ich oft stundenlang auf einer Wiese und roch an Lavendel. Doch selbst der hatte nie exakt ihren Geruch getroffen. Ich hatte sie immer gebraucht. Und ich hatte es immer geleugnet. Nie zuvor in meinem Leben war mir so stark bewusst, dass ich sie brauchte als meine Mutter. Als Zufluchtsort.

„Du bist so wunderschön mein kleiner Engel.“

Ihre sanfte Stimme riss mich aus meinen Gedanken und ließ mich erröten.

„Ich hätte nie gedacht, dass ich eine so wundervolle Tochter habe“, nuschelte sie in mein Haar und küsste mir das Haar.

„Ich habe dich vermisst.“

Meine Worte waren ernst und schon jetzt bemerkte ich die aufkommenden Tränen.

„Ich dich auch. Und du hättest allen Grund mich zu hassen.“

Und sie hatte Recht. Ich könnte sie hassen und sie für das Leid, welches mir widerfahren war verurteilen, doch es war nicht das was ich wollte. Ich hätte sie suchen können, doch ich hatte es gelassen. Ich hatte ihr ein neues Leben gewünscht und insgeheim hatte ich gehofft, dass sie mich holte. Und nun schien meine Hoffnung wahr zu werden. Ein Traum der plötzlich Realität wird.

 

 

 

Schlechter Entführer und dumme Geisel

Nils

 

Ich reichte Franziska ein Taschentuch mit dem sie sich die Tränen wegwischte. Ihre Augen waren rot aufgequollen und doch fand ich sie wunderschön. Leicht lächelnd schaute ich zu ihr und ihrer Mutter. Sie waren sich wirklich unglaublich ähnlich.

„Ach du meine Güte“, sagte Jenny, als sie mit Ben an der Hand das Wohnzimmer betrat und Franzis Schniefen hörte. In Windeseile stürmte der rothaarige Blitz zum Sofa und quetschte sich zwischen mich und Franzi. Sie nahm Franzi in den Arm und riss mir mit einem bösen Blick die Taschentuch Packung aus der Hand. Ich hatte das unglaubliche Bedürfnis sie zu erwürgen, doch leider würde Ben mir das Übel nehmen.

Aus dem Augenwinkel sah ich die warnenden Blicke von Ben. Ich schnaubte einmal wütend und verschränkte meine Arme vor der Brust.

„Alles okay Kleine?“, hörte ich die liebevolle Stimme von Jenny neben mir.

„Ja, schon gut“, erwiderte Franzi mit brüchiger Stimme und ich hatte das komische Gefühl, dass sie mir einen kurzen Blick zuwarf, auch wenn ich sie nicht sehen konnte.

Ich stand auf und stellte mich vor Franzi. Sie schaute mich leicht verwirrt an, weswegen ich belustigt die Augen verdrehte. Ohne auf die Fragen um mich herum zu antworten, nahm ich sie auf den Arm und bewegte mich Richtung Terrasse.

„Nils Scholz! Lass das arme Mädchen sofort runter!“

Genervt und doch süffisant Lächelnd drehte ich mich zu Jenny, bei der ich eine wachsende Mordlust verspürte.

„Vielleicht will das Mädchen namens Franzi mitkommen?“

Sofort blickten alle das überraschte Mädchen in meinen Armen an. Sie warf mir einen flüchtigen Blick zu ehe sie zu Jenny blickte.

„Ja, ich möchte mit ihm mitgehen.“

Ihre Stimme war fest und sie zauberte mir mit ihrer bestimmten Antwort ein siegessicheres Lächeln auf die Lippen, was Jenny sofort bemerkte. Doch ehe sie protestieren konnte, verschwand ich mit schnellen Schritten nach draußen.

Das vertraute Rauschen der Wellen drang an meine Ohren und der Geschmack von Salzwasser legte sich auf meine Zunge. Die Vertrautheit der Umgebung war schon fast gruselig, doch ich fühlte mich hier sicher und geborgen.

„Du hast echt gedacht ich wäre sauer auf dich.“ Ich öffnete meine Augen und blickte zu Franzi, die mich aus meinen Armen kritisch musterte. Doch das was sie sagte war keine Frage, das war eine Feststellung.

„Du meintest, dass du nichts von ihr wissen willst.“

Mit diesen Worten setzte ich mich in Bewegung und stieg die Stufen zum Stand hinunter.

„Wie hast du sie gefunden?“

„Ich hatte meine Connections.“

Ich spürte, wie der Sand sich den Weg in meine Schuhe bahnte und zum Glück reichte ich nun das Wasser, sodass ich auf dem festen Sand laufen konnte. Die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages glitten über das Meer und ließen es glitzern wie Diamanten. Nicht weit von uns entfernt, erblickte ich meinen Baumstamm zwischen den Dünen.

„Du musst mich nicht tragen.“

„Doch muss ich, sonst bringt Jenny mich um.“

„Das rothaarige Mädchen?“

„Ja.“

„Sie war ziemlich…“

„Gemein zu mir? So werde ich immer von ihr behandelt. Sie will, dass ich erwachsen werde und mir endlich eine vernünftige Freundin zulege.“

Ich konnte nicht anders als ihr einen verstohlenen Blick zuzuwerfen, schließlich wollte ich sie als meine Freundin bezeichnen und keine Andere.

„Wie lange sind die beiden schon zusammen?“

„Zu lange“, sagte ich lachend und dachte an die vielen Abend, die ich mich schon mit Jenny gezofft hatte und doch war ich ihr dankbar, dass sie Ben im Auge behielt.

„Du hältst nicht viel von Beziehungen?“

„Doch. Aber nur mit der Richtigen. So wie bei Ben und Jenny.“

Ich spürte ,dass der Sand weicher wurde und ich tiefer einsackte bei jedem Schritt, doch ich wollte ihr den schönsten Ort der Welt zeigen. Immer näher kam ich den Ziel und langsam stieg die Nervosität in mir auf. Wie zum Teufel sagte ich ihr, dass ich sie liebte und das, obwohl ich ungefähr eine Woche mit ihr verbracht habe. Konnte ich sie überhaupt schon lieben?

Vorsichtig setzte ich sie auf dem Baumstamm ab und ließ mich neben ihr nieder. Ich betrachtete das sanfte Lächeln, das ihre Lippen umspielte, während sie den Anblick des Sonnenuntergangs betrachtete. Immernoch erinnerte sie mich an einen Engel und ich musste mich zusammenreißen um nicht ihre Hand zu nehmen.

„Was hat Ben gegen mich?“ Ihre Frage lenkte mich von meinen Gedanken ab und als sie mich mit ihrem wunderschönen Gesicht anschaute, merkte ich wie ich immer verwirrter wurde. Ein Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus.

„Er hat nichts gegen dich. Er..naja… es passt ihm nicht, dass du mich so durcheinander bringst“, flüsterte ich und wendete den Blick ab.

„Was?“

Verwunderung schwang in ihrer Stimme mit, doch ich konnte ihr nicht in die Augen schauen.

„Du verwirrst mich halt.“

„Und wie schaffe ich das?“, flüsterte sie leise und ich konnte ihren heißen Atem förmlich an meinem Ohr spüren.

„Ich habe keine Ahnung. Du bist einfach irgendwie anders.“

Ein kurzes Schweigen brach zwischen uns aus, doch sie durchbrach die Stille, die ich gedanklich nutze um Varianten meines Liebesgeständnisses durchzugehen.

„Wieso machst du dir Vorwürfe?“

Ich bemerkte den Knoten in meinem Hals und konnte keinen Ton herausbringen. Etwas ließ das nicht zu. Ihre Augen durchbohrten mich und ich wusste das ich mich jetzt irgendwie zusammen reißen musste.

„Ich hab dich alleine gelassen und nur, weil ich Vollidiot dich hab gehen lassen, hatte dein Vater die Chance dich umzubringen. Du hast allen Grund mich zu hassen.“

Ich bemerkte, wie sie ihre Hand auf meine legte. Verwundert schaute ich in ihr Gesicht und wurde von dem liebevollen Lächeln regelrecht umgehauen.

„Du denkst wirklich, dass ich dich hassen könnte?“

„Ja.“

„Ich kann dich nicht hassen. Dazu hast du mir zu sehr geholfen.“

„Ich habe dich zurück zu deinem Vater gelassen.“

„Du hast mich vor einem Selbstmord bewahrt und mich vor meinem Vater gerettet.“

„Ich habe fast angefangen zu heulen, als ich mit Ben in den Hubschrauber musste. Und als du Ohnmächtig geworden bist, bin ich ausgetickt.“

Ich wusste nicht wieso ich ihr das sagte, doch ich hatte das Gefühl ihr es sagen zu müssen.

„Ich hab angefangen zu weinen, als ich im Krankenhaus aufgewacht bin und ich gemerkt habe, dass ich dich nie wieder sehen werde.“

Ich wusste nicht was ich auf das ehrliche Geständnis antworten sollte. Zärtlich strich ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schaute in ihre Augen.

„Ben war in den letzten Wochen total genervt von mir. Ich habe dauernd an dich gedacht und war mies drauf. Irgendwie hab ich ihn, dann doch überzeugen können kurz nach dir zu schauen. Du warst nicht da. Und dann auf einmal, während ich von der Herde Polizisten fliehe, sehe ich, wie dein Vater eine Waffe auf dich richtet. Mir ist das Herz in die Hose gerutscht. Und mit dem Kuss im Wald hast du mich voll aus der Bahn geworfen. Dann hat Ben dich auch noch früher weg geschickt und du hast mich davor bewahrt meinen besten Freund zusammen zu schlagen. Ich bin mit einer halben Flasche Tequila durch den Wald gerannt und habe wütend jeden Baum angeschrieen. Nur weil ich dich nicht gehen lassen wollte. Du bist mir zu wichtig geworden. Wichtiger als jemals Jemand zuvor“, beendete ich meinen verwirrenden Vortrag, der einen Bruchteil von dem enthielt was ich ihr sagen wollte.

„Du bist ein schlechter Entführer“, murmelte sie.

„Stimmt. Ein guter Entführer verliebt sich nicht in seinen Geisel.“

„Und ein schlauer Geisel verliebt sich nicht in den Entführer“, flüsterte sie.

Ich brauchte einen Moment bis ich ihre Worte realisierte. Ein ungläubiges Lächeln stahl sich auf meine Lippen und ich wusste, dass ich nun wie einer von diesen verliebten Vollidioten in den Filmen wirkte, doch es war mir egal.

Ich beugte mich ein Stück vor und ich merkte, dass sie das letzte Stück zwischen unseren Lippen schloss. Ein kribbeln breitete sich von meinen Lippen bis in meine Fingerspitzen aus und in meinem Bauch schienen eine Milliarde Schmetterlinge einen Tanz aufzuführen. Ihre sanften Lippen bewegten sich zaghaft auf meinen. Ich legte meine Hand auf ihre Wange und strich sie zärtlich. Jede Berührung war für mich wie ein Gottesgeschenk und sie war der Engel der mich aus der Hölle rettete. Ihr Duft stieg mir in die Nase und benebelte meine Sinne. Langsam löste sie sich von mir und ich sah, dass sie sich auf die Zunge biss.

Mit immer noch benebelten Sinnen drückte ich ihr einen Kuss auf die Wange und zog sie in meine Arme.

„Ich lass dich nie wieder los“, flüsterte ich und küsste ihr braunes Haar.

„Ich hoffe es“, ertönte es leise neben meinem Ohr. Sie drückte mir ein Kuss auf die Wange und entspannte sich in meinen Armen. Für mich war die Welt ab diesem Moment perfekt. Ich streichelte ihr Haar und wusste, dass ich ihr alles erzählen konnte. Ab jetzt hatten wir alle Zeit der Welt. Jede Sekunde mit ihr würde ich genießen und für sie würde ich mich der Polizei stellen. Irgendwie würde ich nicht ins Gefängnis wandern. Irgendwie würde ich es schaffen bei ihr zu bleiben. Ich liebte sie und ich wusste, dass sie mich auch liebte. Nie wieder würde ich sie gehen lassen ohne vorher alles versucht zu haben, dass sie blieb.

Sie war mein Engel. Für immer und ewig.

 

 

 

 

 

 

 

 

Epilog

 

9 Monate später…

 

Franzi

 

Nils drückte mir einen Kuss auf den Kopf und setzte sich zu mir auf unseren Baumstamm.

„Wie war’s?“, fragte ich und schaute von meinem Buch auf. Er zog sich sein Sakko aus und legte es neben mich.

„Sieht gut aus. Wahrscheinlich werden’s noch ein paar Stunden Sozaialarbeit, aber die Geschichte mit dem Gefängnis hat sich erledigt.“

Ich schmiss mich in seine Arme und drückte ihn einem Kuss auf den Mund in der Hoffnung, dass er verstand, wie wichtig er mir war.

Sanft löste er sich von mir und schaute mich frech grinsend an.

„Du darfst heute Nacht gerne über mich herfallen.“

Ich haute ihm leicht gegen die Schulter, doch sein schelmisches Grinsen verringerte sich dadurch nicht.

„Achja, Jenny und deine Mum sind am kochen. Wir sollen gleich zum Essen kommen.“

Ich sah, dass er seinen Zeichenblock griff und sich vor mir in den Sand setzte. Er zog einen Kohlestift aus seiner Tasche und begann gezielte Striche auf das Papier zu tragen. Immer wieder warf er mir kurze Blicke zu und ich konnte nicht anders, als mich an unsere Geschichte zu erinnern.

Nächste Woche würde Marie mich besuchen kommen und zusammen mit Ben, Jenny und Nils wohnten wir in dem Haus. Meine Mutter hatte sich einen kleinen Bungalow bauen lassen, sodass die Behörden sich nicht beschweren konnten.

Mein Blick haftete immer noch auf den blonden jungen Mann mit den braunen, warmen Augen. Ich liebte ihn und er bemühte sich unglaublich mich glücklich zu machen. Immer wieder unternahm er mit mir etwas, dass ich in meinem bisherigen Leben verpasst hatte.

Das Bellen von Brownie riss mich aus meinen Gedanken. Ich warf einen Blick zum Stand und sah, dass der braune Labrador von Jenny verfolgt wurde. Brownie jedoch, jagte einer Zeitung hinter her und ich wusste, dass auf der Titelseite ein Artikel über meinen Vater und meine Entführer stand. Ich wusste, dass er zu einer Haftstrafe verurteilt worden war und meinen Entführern wurde von fast allen vergeben, nachdem die Polizei die wirkliche Geschichte meiner Entführung veröffentlicht hatte. Ich wusste, dass Nils und Ben mit Sozialarbeit davon kamen. Ich wusste, dass ich meinen Vater nie wieder sehen würde. Und ich wusste, dass mein Leben eine vollkommene Wendung genommen hatte und das, dank meinem Entführer mit den kalten, braunen Augen, die ich lieben gelernt habe.

 

 

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Texte: © by J. Moldenhauer
Cover: © by J. Moldenhauer
Tag der Veröffentlichung: 15.10.2011

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