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Leseprobe




Meiner wunderhübschen Muse, die das Licht der Erkenntnis stets unbeirrt und tapfer vorangetragen hat ...




Ort der Handlung:



Rennes-le-Château – ein abgelegener, von der modernen Zeit fast vergessener Ort im Languedoc, in den östlichen Ausläufern der Pyrenäen. Ein paar enge Gassen, ein paar alte Häuser, ein verlassenes Pfarrhaus ... und eine kleine Kirche ... Erst wenn der letzte Reisebus talwärts dröhnt und die nachdenkliche Besucher- schar wieder mit sich hinunter ins 21. Jahrhundert nimmt, erwacht der magische, stille Zauber dieses wohl einzigartigen Dorfes. Die
Luft schwirrt von den Legenden über sagenhafte, biblische Goldschätze ... und über seltsame Ereignisse ... Erst jetzt wird man sich bewußt, an welch verwunschenem Ort man steht: auf einem Meer aus Knochen ...


»Wir müssen die Dinge dort unbedingt wieder in den Griff bekommen!« Der Bischof streckte sich behäbig nach der feinen Porzellantasse, die vor ihm auf dem kleinen, reich verzierten Tischlein stand.
»Die Gemeinde da oben war einfach schon zu lange ohne einen eigenen Pfarrer. Da mußte ja früher oder später etwas Derartiges geschehen.« Sein vornehm abgespreizter kleiner Finger, der kurz und dick in der Luft stand, während sein Besitzer schlürfend einen Schluck aus dem filigranen Täßchen nahm, glich eher einem Würstchen, als einem bischöflichen Körperteil.

»Mein lieber Pierre ...«, Seine Exzellenz verzog angewidert das Gesicht – mit diesen auffällig schlaff herunter- hängenden Wangenlappen – und schaufelte sich dann drei Löffel Zucker in seinen Tee, »... Sie kennen doch die Leute auf dem Lande ... dieser fürchterliche Aberglaube ... er ist ihnen einfach nicht auszutreiben.«

Das feine Silberlöffelchen, mit dem er schließlich die Porzellantasse zum Klingen brachte, lag in seiner flei- schigen Hand wie ein winziger Zahnstocher. Er machte eine unwillige Kopfbewegung hinüber zu seinem wuch- tigen Eichenholzschreibtisch, auf dem einige Stapel Papier fein säuberlich nebeneinander lagen.

»Sehen Sie sich das an!« jammerte er und setzte sich diesen ungenießbaren Zuckersud an seine Lippen. Vorsichtig nahm er einen kleinen Schlürfer davon zu sich.
»Jeden Monat bekomme ich Dutzende solcher Anzeigen aus dem ganzen Bistum.«

Die süße Brühe schien aber nun endlich seinen Wünschen zu entsprechen. Mit einem genußvollen Seufzer stellte er die Tasse schließlich zurück auf den kleinen Tisch. Dieses hölzerne Schmuckstück, das mit seinen goldenen Ver- zierungen durchaus in den Salon eines adeligen Herrschaftssitzes gepaßt hätte, war derartig mit diversen Porzellanschüsseln überladen, daß ein Maultier – gleicher Größe – unter dieser Last schon längst in die Knie gegangen wäre.

»Überall soll das Böse am Werk sein!« jammerte er, während er sich mühsam über seinen dicken Bauch nach vorne beugte und nach einer dieser Schüsseln griff.
»Wenn in meinem schönen Bistum irgendwo ein Kruzifix von der Wand fällt ...«, der Dicke hob belehrend den Finger, als er es sich wieder gemütlich gemacht hatte, »... und Gründe dafür gibt es weiß Gott genug ...«, seine Aufmerk- samkeit galt nun aber ganz der Schüssel auf seinem Schoß, »... dann muß gleich ein Exorzist her!« Neugierig liftete er den reichbemalten Deckel des Porzellanbehältnisses und legte ihn beiseite.
»Als hätte ich nicht schon genug Arbeit!«

Ermattet sank er in seinen goldenen Thronsessel, während seine dicken Finger allerdings noch die nötige Kraft dazuaufbrachten, um nach einem Schokoladenplätzchen zu angeln. Daß Pierre während dieses Termins mit einem schäbigen Holzstuhl – ohne Kissen – vorliebnehmen mußte, schien ihn nicht weiter zu belasten, als er sich das kakaofarbene Stück Gebäck genüßlich zum Mund führte.

»Aber diese Gemeinde in Rennes-le-Château, die der Herr ... leider Gottes ... ebenfalls meinem Bistum zugedacht hat, ist ein Quell fortwährender Unruhe ... eine regelrechte Qual für meinen empfindlichen Magen.« Er stockte einen kurzen Augenblick, biß dann aber herzhaft in das zucker- hafte Backwerk, das wohl, wenn Pierre das Äußere seines seltsamen Vorgesetzten richtig interpretierte, zur Lieblingsspeise Seiner Exzellenz gehörte. Das knusprige Teigröllchen zerlegte sich jedoch unterdessen unwillig in seine krümeligen Bestandteile und verteilte sich wider- spenstig über den Schoß des Bischofs.

»Seit dem ... sagen wir ...«, angeregt fischte er mit einer Hand wieder in den Tiefen der Schüssel herum »... ja ... nach dem plötzlichen Ableben des dortigen Pfarrers vor zwei Jahren, gehen in diesem Dorf Dinge vor ...«
Das Plätzchen, das er gerade ans Licht befördert hatte – und das im Moment augenscheinlich wichtiger war als sein junger Gast –, entsprach wohl irgendwie nicht ganz
den Vorstellungen Seiner Exzellenz.

»Sie glauben nicht ...«, mürrisch hielt er Pierre das ge- zuckerte Backwerk unter die Nase, »...Wie oft ich meinem Sekretär schon gesagt habe: kein Karamel!«
Erregt ließ er das runde Ding auf den Tisch fallen und nahm das Innere der Schüssel daraufhin genauer unter die Lupe.

»Wo waren wir?« murmelte er schließlich, während er ein weiteres, unwillkommenes Karamelgebäck aus dem Behältnis angelte und wütend aussortierte.
»Beim Tod des Pfarrers von Rennes-le-Château!« erwiderte Pierre artig, obwohl es offensichtlich war, daß der Bischof diesem geliebten Naschwerk mehr Aufmerksamkeit schenkte als ihm.

»Ach ja!« Er stopfte sich noch schnell mehrere Plätzchen als Ganzes in den Mund, ehe er mampfend fortfuhr. »Dieser brave Aushilfspfarrer, den ich dorthin geschickt habe«, Seine Exzellenz sprach jetzt hemmungslos mit vollem Mund, »hat mich schon nach zwei Monaten händeringend um seine Ablösung gebeten.«

Er unterbrach immer wieder für ein paar Kaubewegungen.
»Als nun mein Antwortschreiben in Rennes eintraf, in dem ich ihm mitteilten ließ, daß die Kirche dort nicht auf seine Anwesenheit verzichten konnte ... da war dieser Kerl doch tatsächlich schon nicht mehr auffindbar! Unverschämtheit! Und dabei ...«, er fischte sich ein weiteres Schokoladen- plätzchen aus dem Behältnis und stopfte es zu den anderen, »... und dabei habe ich ihm Mut zugesprochen und ihn der Hilfe des Allmächtigen versichert!«

Entrüstet stellte er die Schüssel zurück auf den Tisch.
»Ich habe einen gestandenen Mann von 45 Jahren dorthin geschickt, der felsenfest auf der Seite Gottes und der Heiligen Mutter Kirche stand. Irgend etwas ...«, er sprach auf einmal deutlich leiser, als er das andere Behältnis auf seinen Schoß holte und dessen Deckel öffnete, »... irgend etwas muß diesen schlichten Diener Gottes bis ins Mark hinein getroffen haben. Etwas, das stärker war, als das Gelübde, mit dem er versprochen hatte, seinem Bischof zu gehorchen ... und ihm keine Unannehmlichkeiten zu bereiten!«

Die kandierte Frucht, die er aus der zweiten Schüssel herausfischte – eine Kirsche oder eine große Beere – verschwand blitzartig auf Nimmerwiedersehen zwischen seinen wulstigen Lippen. Er kaute und kaute ... und schwieg.
Mühsam beugte er sich schließlich über seinen dicken Bauch nach vorn in Pierres Richtung, und seine Augen blickten starr über den Rand seiner kleinen goldenen Lesebrille.

»Ich möchte ja zu gerne wissen«, geistesabwesend legte er das kandierte Früchtchen, das er schon in der Hand hatte, zurück, »warum dieser undankbare Mensch nicht einmal mein tröstendes Schreiben abgewartet hat? Ich weiß noch genau ...«, schwups, jetzt war die gezuckerte Frucht doch, ohne daß sich Seine dicke Exzellenz dagegen wehren konnte, zwischen seinen Zähnen verschwunden, »... also damals hat er – wie Sie – dort vor mir gesessen.«

Auch ohne Kissen? Dieser verdammte Stuhl ist ja das reinste Folterinstrument!
»Er hat mir versichert, seine Aufgabe, in tiefem Vertrauen auf unseren Allmächtigen, gewissenhaft zu erfüllen.«

Mit schmatzenden Geräuschen begann er sich nun das klebrige Zuckerzeug aus den Zähnen zu ziehen.
»Was mag diese ungehorsame Seele nur dazu bewogen haben, seine Berufung als Priester«, nachdenklich stocherte er gleich- zeitig mit seinem dicken Zeigefinger im Mund herum, »mit Füßen zu treten und über Nacht das Weite zu suchen?«

Die Kauerei und Stocherei mit dem Finger hatte ein abruptes Ende gefunden. Schweigend sah er zu dem großen Kreuz an der Wand hinüber.
»Es muß ihn etwas verschreckt haben ... etwas das stärker war als sein Glaube. Etwas, das ihn zweifeln ließ an der Liebe Gottes ... und an der Liebe seines Bischofs.« Der Dicke seufzte herzzerreißend, während er mit einer Hand die Krümel auf seinem Gewand zusammenkehrte.

»Vielleicht werden wir es nie erfahren.«
Sichtlich unangenehm berührt von der unbefriedigenden Situation, rutschte er auf seinem protzigen, goldenen Thronsessel hin und her.

»Vor ungefähr zwei Wochen, da hat doch so ein Wahn- sinniger aus diesem Rennes sein eigenes Haus angezündet und ist anschließend tobend durch die Straßen gezogen!«
Schwupp! Wie aus dem Nichts hatte er ein feines Taschen- tuch aus seinem Ärmel gezaubert und tupfte sich damit seine Lippen ab. »Dieser Kreatur soll schon der Schaum vor dem Mund gestanden haben!«

Angewidert verzog der dicke Bischof sein Gesicht und wandte sich der dritten Schüssel zu, einem reichverzierten Behältnis mit einem großen Kreuz auf dem Deckel, das als Griff zum Abnehmen desselben diente. Seine Hand kreiste unschlüssig über der Öffnung der Dose, während er über den Rand hineinlugte.

»Ah!« Gespannt fischte er schließlich eine Kugel heraus.
»Hm!« Es hatte kurz in seinem Mund geknackt. »Kirschlikör!«
Nur widerwillig erinnerte er sich wohl daran, daß er einen Gast hatte, der immer noch auf die Fortsetzung dieser unappetitlichen Geschichte wartete. Er biß sich auf die Lippe und bekreuzigte sich.

»Nicht genug damit, daß dieser Sünder seine Mitmenschen mit dieser Brandstiftung in Aufruhr versetzt hat, nein, er soll sogar auch noch unseren Allmächtigen gelästert haben!«
Angeekelt tupfte er sich wieder den Mund ab. »Gott wäre tot ... und er müsse ihn begraben ... Gott habe uns alle verlassen!« Unwirsch wedelte er mit seinem Spitzen- tüchlein herum. »Sie haben diesen Irren schließlich auf einem angrenzenden Acker gefunden, als er gerade dabei war, sich sein eigenes Grab zu schaufeln.«

Er machte eine Pause, um mitleiderheischend zu stöhnen.
»Drei Gendarmen waren nötig, um diesen Sünder schließlich davon abzuhalten, sich in der Grube mit Erde zuzuschaufeln.«
»Sicher ein notorischer Säufer!«
Was sollte Pierre auch sonst zu dieser Sache sagen?

»Diese verruchte Sucht hat ihn wohl seinen Verstand gekostet!«
Der Bischof nickte.
»Was dieses Laster der Genußsucht angeht, mein junger Freund«, seine Hand steckte schon wieder in der Schüssel mit den gefüllten Pralinen, »da gebe ich Ihnen völlig recht. Begriffe wie ›Verzicht‹, ›Askese‹ oder ›Selbstbeherrschung‹ sind vielen Menschen heute regelrecht unbekannt und über die Maßen unbequem.«
Er hielt inne und es knackte in seinem Mund.

»Äh?« Er blickte gespannt an die Decke.
»Ja! Himbeergeist! Herrlich!«
Erst nach diesem Genuß fühlte er sich gestärkt genug, um sich Pierre wieder zuzuwenden.
»Aber was diese Angelegenheit mit dem Besessenen aus Rennes angeht, da liegen die Dinge leider ein wenig anders.« Das nächste Leckerchen lag schon in seiner Hand.

»Es war nämlich der örtliche Totengräber. ... Ein gottes- fürchtiger und unauffälliger Christenmann, wie man mir berichtet hat. Er hat weder getrunken, noch galt er als besonders schreckhaft.«

Der Bischof schüttelte sich vor Abscheu. »Vielleicht hat ihn ja sein unappetitlicher Beruf um den Verstand gebracht? Das ganze Leben auf dem Friedhof ... da wundert es mich ja nicht, wenn es einem beim Anblick dieser grausigen Dinge eines Tages auf den Magen ... oder Verstand schlägt«

»Wo ist er jetzt?« fragte Pierre. Sein Vorgesetzter hatte zwar eine fürchterliche Art, seine Ansprache ständig mit irgendwelchen süßen Fressereien zu garnieren – von diesem Folterstuhl, auf dem er die ganze Zeit sitzen mußte einmal ganz abgesehen –, aber seine Geschichte hatte etwas Spannendes, etwas Schauriges.

»Die Gendarmen haben ihn mitgenommen. Es war ihre Christenpflicht!« bequemte sich sein kauender Gegenüber schließlich doch zu antworten.
»Dieser Mensch hatte keine Angehörigen, die ihn gewissenhaft hinter Schloß und Riegel hätten halten können, so wie es – zum Schutze aller – vonnöten gewesen wäre.«

Teilnahmslos zuckte er mit den Achseln.
»Die Verwahrung im Gefängnis scheint mir da eine angemessene Lösung!«
Der Bischof schwieg einen Augenblick. Er hat doch nicht etwa Mitleid mit diesem armen Menschen?

»Lassen Sie uns Gott danken, daß sie ihn eingesperrt haben, bevor sich diese Kreatur auch noch am Eigentum der Kirche vergreifen konnte!« Soviel zum Thema Mitleid!
»Hat denn dieser Verwirrte den Grund für sein seltsames Betragen verraten?«
Allmählich schwante Pierre, warum ihn der Bischof zu diesem Gespräch geladen hatte.

Seine Exzellenz zog mißmutig die buschigen, weißen Augenbrauen hoch und zögerte.
»Er will den Geist dieses verstorbenen Pfarrers Saunière gesehen haben, der die Pfarrei dort oben – mehr schlecht als recht – über 20 Jahre geleitet hat.«

»Ist das etwa der, den Gott so plötzlich und unerwartet zu sich befohlen hatte?«
»Ja!« Der Bischof brauste auf und die Lust auf seine zuckrigen Naschereien war ihm erst einmal vergangen. »Dieses hysterische Nest da oben macht mich noch zum Gespött der Leute!«

Pierre bemerkte, wie sich auf dem nur noch dünn be- haarten Kopf seines Gegenübers eine deutliche Röte ausbildete. Der Blutdruck des Bischofs schien bei diesem Thema wild herumzujagen.

»Brandstiftung, sündhafter Wahn ... und jetzt auch noch dieser liederliche Spuk, bei dem einer meiner Pfarrer seinen eigenen Geist spielt!«
Der Bischof tippte sich mit seinem Zeigefinge an die Schläfe und schnappte nach Luft.
»Und das alles in meinem friedlichen und gottgefälligen Bistum!«
Gleich wird er explodieren!

»Mit diesem sündhaften Unfug muß endlich Schluß sein!« donnerte der Dicke und ließ seine fleischige Hand derart ungestüm auf das güldene Tischlein knallen, daß die Teetasse – wie bei einem Erdbeben – samt Inhalt kurz von der Tischplatte abhob und erst einige Zentimeter weiter mit einem hellen Klirren wieder aufsetzte. Die drei Konfektschüsseln mit den Leckereien taten es ihr gleich.

Er hielt inne, um zu verschnaufen. Seine Finger tasteten ungelenk nach dem großen goldenen Kreuz, das an einer Kette um seinen Hals hing. Die Sache mußte wirklich ernst sein, denn zum erstenmal während ihrer Unterhaltung hatte sein Gegenüber alles Naschwerk beiseite geschoben und sein gerötetes Gesicht in Falten gelegt.

»Mein lieber Junge«, sagte er schließlich nach einer Weile bedächtig, »Sie wissen, daß die Kirche ... solche Ereignisse ... nach Möglichkeit ignoriert. Es wäre unklug, solchen Vorgängen zu viel Beachtung zu schenken. Damit würden wir der allgemeinen Hysterie nur noch Vorschub leisten.«

»Allgemeine Hysterie?« Pierre horchte auf. »Ich denke, wir haben es dort nur mit diesem einen übergeschnappten Totengräber zu tun?«
Der Bischof biß sich auf die Lippe, so, als habe er gerade eine Dummheit begangen. Sein Kopf schwoll wieder rot an, wie der eines übelgelaunten Puters.

»Also ... ich meine ... wenn man es genau betrachtet ...«
Er sah Pierre bissig über seinen Brillenrand an.
»Ihr Onkel hat mich schon vor Ihrem stacheligen Verstand gewarnt.«

Er schnaufte ein paarmal und pumpte dabei nur noch mehr Blut in seinen bischöflichen Kopf. Aber all sein Winden half ihm nichts, da Pierre ihm keine Brücke baute, über die er sich hätte davonstehlen können. Unwirsch wischte er schließlich mit seiner Hand in der Luft herum.

»Also ... um der Wahrheit die Ehre zu geben ... es gab fast ein Dutzend dieser Vorfälle in Rennes ... dieser boshafte tote Pfarrer taucht in den letzten Monaten in meinen Berichten häufiger auf, als in den gesamten letzten zwanzig Jahren!«

Seine puterrote Exzellenz hielt inne und sah ihren jungen Gast über den Brillenrand an. Aber Pierre sagte nichts, so daß er sich schließlich genötigt sah, weitere erklärende Worte aus seinem überzuckerten Gehirn zu pressen, auch wenn es ihm eigentlich lästig war.

»Nicht genug damit, daß sie mich ständig mit diesem toten Priester belästigen ...«, der Bischof polterte wieder los, und das war wohl erst der Anlauf, »... jetzt soll sich sogar der leibhaftige Teufel unter ihnen bewegen!«
Die Augen quollen vor lauter Erregung aus seinem Kopf.

Gleich fällt er um! Nein, aber er fiel nicht. Statt dessen donnerte er abermals mit der Hand auf das güldene Tischlein, das nun wirklich nichts dafür konnte. Die feine Porzellantasse machte wieder einen erschrockenen Satz. Dieses Mal allerdings über den Rand der Tischplatte in die Tiefe. Wer konnte es ihr auch verdenken? Ein helles Klirren, und ihr Dasein war beendet.

»In dieser ...«, erregt suchte Seine tobende Exzellenz nach dem richtigen Wort, »... Gemeinde ... ist jetzt der Punkt erreicht, an dem ich nicht länger tatenlos zusehen kann!« Mit der feinen Teetasse, die zerstört zu seinen Füßen lag, hatte er kein Mitleid.

Er schob sie wütend beiseite und griff dann brummend nach dem kleinen Glöckchen neben sich.
Als sich dessen heller Klang lieblich im Raum verteilt hatte, öffnete sich sofort eine Tür, und eine fahle, in Schwarz gekleidete Person schwebte herein, um, nach einem kurzen Blick auf den Boden, augenblicklich wieder kehrt zu machen. Wenige Sekunden später tippelte dieser junge Mann – bewaffnet mit diversem Kehrgerät und einer neuen Teetasse – zu ihnen an das Tischlein heran. Unter den mürrischen Blicken Seiner Exzellenz versuchte er die Unordnung so schnell und unauffällig wie möglich zu beheben. Er hatte wohl eine gewisse Übung in diesem Punkt.

»Kein Karamel hatte ich Ihnen doch gesagt! Kein Karamel!« herrschte der Dicke dieses dienstbare Wesen von oben herab an.
»Ist das denn so schwer zu begreifen? Wollen Sie mich vergiften?«
»Ich bitte um Nachsicht, Euer Exzellenz!«
Der Geprügelte verbeugte sich untertänig, und der Bischof gab ihm mit einem mißmutigen Wink zu verstehen, zu verschwinden.

»Nachsicht?« tobte er, während sein Sekretär schleunigst die Tür hinter sich schloß.
»Haben Sie das gehört? Ja ... hat denn irgend jemand von ... von ... diesen Teufeln da ... Nachsicht mit dem Magen seines geliebten Bischofs?« schrie er und prügelte auf eine Armlehne seines Throns ein.
»Am liebsten würde ich Pater Zacharias in dieses gottlose Nest schicken! Der würde mit diesem Bauernpack kurzen Prozeß machen!«

Der Dicke ist doch nicht ganz bei Trost! Daß es mittlerweile auch den Bischöfen verboten war, Leute auf dem Scheiter- haufen verbrennen zu lassen, hatte er im Augenblick seines heiligen Zorns wohl verdrängt. Vor allem dann, wenn das einzige Vergehen der Angeklagten darin bestand, daß sie Seiner gütigen Exzellenz den Appetit verdorben hatten.

»Ich nehme an, Sie wissen, von welchem Pater ich spreche!« herrschte der nun auch noch seinen völlig unschuldigen Gast an. Aber Pierre blieb höflich.

»Oh ja! Man nennt ihn das Schwert Gottes. Sein Eifer und seine strenge Hand, mit der er dem Wort des Herrn so ... unnachahmlich ... Gehör verschafft, ist schon fast legendär.«
»Ich würde sagen ... berüchtigt!« brummte der Bischof und nickte vielsagend.
»Nur gut, daß ich als Inhaber meines Amtes sein Vorgesetzter bin und damit wohl zweifelsfrei auf der Seite des Allmächtigen stehe. Damit gehöre ich gottlob nicht mehr zu seiner Klientel!«

Soll das etwa ein kleines, bischöfliches Scherzlein gewesen sein? In diesem Falle wäre wohl eindeutig Gefahr im Verzuge. Pierre schwieg und beäugte daher vorsichtig seinen cholerischen Gegenüber.

»Mein lieber Junge!«
Diese süßliche Einleitung ließ nichts Gutes erwarten.
»Ich habe mich in dieser Sache mit meinem Amtskollegen, dem Bischof von Limoges ...«, Seine Exzellenz beugte sich leicht vor, »... Ihrem werten Herrn Onkel, beraten.«

Er lehnte sich wieder zurück und sah an die Decke.
»Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß die Anwesenheit unseres geliebten Dominikanerbruders dort in Rennes im Augenblick mehr schaden, als nutzen würde.«

Scheinbar geistesabwesend begann er damit, seinen Bischofsring an der Manschette eines Ärmels zu polieren. »Und deshalb werde ich Sie dorthin schicken, mein tapferer Junge!«
Aha! Das ist es also! Etwas in dieser Art hatte er ja schon erwartet! Die hinterlistige Exzellenz hatte währenddessen das beiläufige Polieren kurz unterbrochen, um die Reaktion des jungen Untergebenen abzuwarten.

Natürlich! Jetzt erst ergibt alles einen Sinn! Vor wenigen Tagen hatte er nämlich seinen Onkel getroffen, der eben auch zufällig Bischof von Limoges und damit ein Kollege dieser dicken Schlange da vor ihm war. Dieses plötzliche, fürsorgliche Interesse war ihm ja gleich verdächtig vorgekommen.
»Wie würde dir eigentlich ein bißchen frische Landluft gefallen?«
Erst jetzt tat sich vor ihm das dicke Ende eben dieser hinterlistigen Frage auf!

Mittlerweile hatte der Bischof den blinkenden Goldring mit roher Gewalt zurück über seinen dicken Finger gezwungen und lauerte immer noch auf eine Reaktion. Sollte er etwa Nein! sagen?
»Sie sind genau der Seelsorger, den diese Menschen dort jetzt brauchen«, setzte der Bischof schleimig nach. »Sie sind übrigens der jüngste Pfarrer, dem ich je eine derartig wichtige Aufgabe übertragen habe.«

Er lud schnell noch eine große Kelle Honig nach und schmierte sie Pierre dann hemmungslos ums Maul.
»Nicht zuletzt durch die Fürsprache Ihres werten Herrn Onkels, bin ich zu der Erkenntnis gelangt, daß unser Herr Jesus Christus in Ihnen einen braven Diener gefunden hat. Sie verfügen über ein gottgefälliges Äußeres und tragen die nötige spirituelle Hingabe an das Amt tief in Ihrem Herzen!«
Welch ein Schmalz! Das ist ja ekelerregend!

»Betrachten Sie es als ein Zeichen meines Vertrauens, daß ich Sie und nicht unseren geliebten Pater Zacharias nach Rennes schicke!« Seine honigverschmierende Exzellenz rutschte auf dem übergroßen Sessel hin und her, so als zwicke die Verantwortung des Amtes an einer wahrhaft unaussprechlichen Stelle seines bischöflichen Körpers.

»Ich möchte«, verkündete er schließlich, nachdem er sich in eine besonders aufrechte Sitzhaltung gezwungen hatte, »daß Sie das Gemeindeleben dort in diesem ... Rennes ... wieder in Gang bringen. Reden Sie mit den Leuten, und geben Sie ihnen das Gefühl, daß die Kirche die Dinge fest im Griff hat.«

Jetzt hing er wieder schlaff zwischen den Armlehnen des Throns, seine Hand mit Mühe zu einer weibischen Faust geballt.
»Nur durch die Anwesenheit Gottes und durch die feste Hand der Kirche werden wir diese Teufelshysterie in den Bergen beenden können.«

Lächelnd sah er seinen Gast an, um danach – hinterlistig – den Hebel dort anzusetzen, wo es Pierre wirklich weh tat.
»Ich bin sicher, daß Sie mich und Ihren Onkel nicht enttäuschen werden. Er hat wirklich viel für Sie getan, mein Junge!«
Du dicke Schlange! Pierre nickte und ließ sich seinen Zorn nicht anmerken.
»Nach dem Tod meines Vaters hat er mich in jeder Hinsicht selbstlos gefördert und meiner Mutter beigestanden. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.«

Seine hintertriebene Exzellenz lächelte väterlich. Dieses war ganz offensichtlich genau die Antwort, die er erwartet hatte. Pierre verkniff es sich, seine Bedenken darüber zu äußern, ob er denn wirklich der richtige Priester für diese Aufgabe wäre.

Und sein gottgefälliges Äußeres würde ihm bei dieser Aufgabe, die ihn erwartete, wohl am wenigsten helfen. Bei Lage der Dinge war doch in diesem Ort eher die Sensibi- lität einer Mistgabel gefragt. Wahrscheinlich würden ihn die Irren dort am ersten Tag in der Luft zerreißen. Dieser Haudegen Pater Zacharias wäre genau der richtige Mann für die Sache gewesen. Kurz aber schmerzhaft, eben wie der Hieb mit einer Mistgabel, so wäre wohl der Aufenthalt dieses berüchtigten Dominikanerpaters in Rennes abgelaufen.

Die dicke Exzellenz machte aber nicht den Eindruck, als ob sie diese Bedenken und Einwände unbedingt hören wollte. Sie war mittlerweile damit beschäftigt, die kleine, gold- gerahmte Lesebrille mit einem weißen Tuch aus feiner Spitze zu reiben, das sie unvermittelt aus einem Ärmel herausgezaubert hatte.

Tja! An der Entscheidung des Bischofs, die er nicht zuletzt auch der tätigen Mithilfe seines lieben Onkels zu verdanken hatte, gab es wohl nichts mehr zu rütteln. Die Verantwortung für das Seelenheil dieser Leute in Rennes hatte man schlichtweg auf ihn abgewälzt. Seinetwegen hätte er ruhig diesen Pater Zacharias schicken können, den sie gemeinhin nur »Pater Gladius« nannten. Denn irgend jemand hatte wohl schon in früherer Zeit den geistigen Witz besessen, die Herzlichkeit dieser Person am treffendsten mit dem lateinischen Wort »Schwert« zu charakterisieren. Fortan eilte dieser Beiname seinem tatsächlichen Erscheinen vor Ort schon monatelang voraus.

Aber wie dem auch sei ... dieser Kerl hätte innerhalb weniger Wochen Ruhe geschaffen. Das einzige, das den fetten Bischof nun daran hinderte, jenen Pater dorthin zu schicken, war die Sorge, daß sein – ohnehin schon anstrengendes – Leben durch eine derartig unpopuläre Maßnahme noch unruhiger hätte werden können. »Unannehmlichkeiten schlagen ihm auf den Magen, und sein Appetit ist weg.«
So hatte Onkel Robert schon häufiger über seinen dicken Amtskollegen gespöttelt. Wirklich toll!

Seit gerade hatte er also eine Pfarrei am Hals, in der die Leute ihre Häuser anzündeten, und in der der Satan und dieser tote Pfarrer Saunière umgingen. Das war es doch wohl, was ihm der Bischof gerade – scheibchenweise und unter schwersten Windungen – verkündet hatte. Es handelte sich ganz offensichtlich um eine dieser Pfarreien, die kein anderer Priester freiwillig angefaßt hätte; noch nicht einmal mit einer Kohlenzange.

Der erste Pfarrer unter mysteriösen Umständen gestorben ... der zweite geflohen. Und ich soll jetzt in die Bresche springen! Schweinerei!
Am meisten ärgerte ihn, daß man ihm nicht die geringste Chance gelassen hatte, nein zu sagen. Diese ganze Sache war schon entschieden, bevor er überhaupt zur Tür hereingekommen war.

Das freundschaftliche Verhältnis der beiden Bischofs- kollegen machte es ihm aber unmöglich, sich aus dieser verzwickten Lage zu befreien. Sie hatten ihm überhaupt keine Chance gelassen. Sein Onkel würde einen Herz- schlag bekommen, wenn er hören müßte, daß sein geliebter Neffe seinem Bischof den Gehorsam verweigert und dadurch seinen eigenen Ziehvater, auf das Un- möglichste blamiert hätte.

Die dicke Exzellenz polierte unterdessen immer noch die Brille und belauerte ihre Beute.
Nein! Vor der Schlange werde ich mir keine Blöße geben! Mit aller Gewalt – und mit der ihm eigenen Disziplin – preßte er seinen Ärger tief in sich hinein und hoffte inständig, daß dieser solange da unten blieb, bis er das Zimmer seines Vorgesetzten wieder verlassen hatte. Der hatte von seinen inneren Wallungen überhaupt nichts bemerkt.

»Kannten Sie den verstorbenen Pfarrer von Rennes-le- Château näher?« zwang sich Pierre ab, um die Situation nicht entgleiten zu lassen.
Der Dicke blickte auf und unterbrach das Polieren seiner Brille.
»Dieser Bérenger Saunière«, er runzelte die Stirn, »hat keine Gelegenheit ungenutzt gelassen, um mir Ärger zu machen. Der Kerl war eine regelrechte Heimsuchung! Ein Nagel zu meinenm Sarg! Fragen Sie Ihren Onkel!«

Der Blutfluß im Hals des Bischofs kam wieder in Fahrt.
»Ich weiß nicht warum, aber dieser Mensch ... dieser fürchterliche Mensch, hatte seit seinem Eintritt in den Dienst der Kirche kein anderes Ziel, als seine Vorgesetzten zu reizen und in Verlegenheit zu bringen.«
Er hob entsetzt die Hand.
»Schon mein Vorgänger in diesem schweren Amte mußte sich mit diesem schrecklichen Bérenger Saunière herumärgern ... bis ihm – durch eine wahrhaft göttliche Eingebung – die Lösung seines Problems offenbar wurde.«

Dem Dicken enthuschte ein hämisches Grinsen. »Um den überhitzten Verstand dieses Querulanten Saunière abzukühlen, hat er ihn seinerzeit nach Rennes-le-Château verbannt.«
Seine Zähne blitzten kurz auf.
»Dieser Saunière fühlte sich ständig zu Höherem berufen. Ein bißchen mehr Frömmigkeit und Gehorsam hätten ihm als Kirchenmann gut zu Gesicht gestanden. Statt dessen befaßte er sich permanent mit irgendwelchen intellek- tuellen Dingen, die letztlich zu dieser fürchterlichen, geistigen Verstiegenheit geführt haben. Diesem Kerl war nichts mehr heilig.«

Der dicke Bischof holte tief Luft.
»Mein Amtsvorgänger hielt es also für das beste, ihn an einen Ort zu schicken, an dem er der Kirche keine Unannehmlichkeiten mehr bereiten konnte.«
»Eben in dieses ... Rennes-le-Château«, beendete Pierre den Gedanken. Die Sache bekam für ihn nun allmählich eine interessante Note.

An seinem eigenen Schicksal war ohnehin nichts
mehr zu ändern. Und da freute es ihn doch diebisch, von einem Mann zu hören, diesem Bérenger Saunière, der es geschafft hatte, sich gleich mit zwei Bischöfen anzulegen. Er bewunderte schon jetzt den Mut oder die Verwegenheit des Mannes, den er eigentlich erst seit einer Minute kannte.

»In diesem Rennes ... da irgendwo in den Pyrenäen«, die schlaffe Hand Seiner Exzellenz wies in eine Himmels- richtung, »... mit seinen zweihundert Seelen, dort konnte er keinen Schaden anrichten und sich ganz auf den Kirchendienst konzentrieren, für den er ja schließlich bestellt war.«

Sein dicker Gastgeber seufzte.
»Das dachten wir zumindest!«
Dieser unbequeme Mensch, über den sich der Bischof so aufregte, hatte für Pierre schon jetzt etwas außer- ordentlich Sympathisches.

»Nach – gottlob – einigen ruhigen Jahren fing es wieder mit ihm an.«
Erstaunlich, zu welchem Redestrom er seinen Vorgesetzten animiert hatte. Es quoll förmlich aus der dicken Schlange heraus.
»Zuerst war alles völlig harmlos. Die Kirche in Rennes mußte seinerzeit dringend renoviert werden.«

Der Bischof verstand es, die Sache wirklich spannend zu machen, das mußte man ihm schon lassen!
»Also, bei den Arbeiten damals wurde die Altarplatte angehoben, die irgendwie auf zwei Pfeilern ruhte.«

Er machte einige gleichgültige Handbewegungen und verzog gelangweilt sein Gesicht.
»Diese Stützen sollen sogar über eintausend Jahre alt gewesen sein ... aber egal ... jedenfalls war eine von diesen beiden hohl und enthielt vier versiegelte Zylinder aus Holz ... mit merkwürdigen Pergamenten.«
Der Bischof machte eine kurze Pause.
»Sie wundern sich sicher, mein lieber Junge, woher ich das alles so genau weiß?«

In der Tat fragte sich Pierre, warum ihm dieser hinterlistige Kerl die Geschichte überhaupt so ausführlich erzählte. Es schien jenem ein regelrechtes Bedürfnis zu sein, die Ereignisse von damals noch einmal wiederaufleben zu lassen. Auch hatte er zu seiner Verwunderung nicht den Eindruck, daß der Bischof ihm irgendwelche Dinge bewußt verheimlichte.

»Ich habe diese alten Dokumente selbst in Händen gehalten. Als Vorgesetzter mußte ich entscheiden, was mit den Pergamenten weiter geschehen sollte. Vier Schriftstücke ... ich sehe sie noch genau vor mir. Zwei davon sahen aus wie Stammbäume ... sehr, sehr alte Stammbäume.«

Sein Gastgeber starrte gedankenversunken an die Decke.
»Bei den beiden anderen handelte es sich um lateinische Texte ... mit mehr oder weniger sinnvollem Inhalt.«
Der Bischof rieb sich bedächtig an seinem schlaffen Ohr.
»Ich habe diesen Saunière damals beauftragt, mit den Dokumenten sofort nach Paris zu reisen, um sie dort entziffern zu lassen.«

Angestrengt kniff er die Augen zusammen. Es fiel ihm offensichtlich schon schwer, die Lust dafür aufzubringen, sein verzuckertes Gehirn in leichte Tätigkeit zu versetzen.
»Also ... drei Wochen hat er sich damals an der Seine aufgehalten, aber soviel ich weiß, sind diese zwei lateinischen Handschriften nie enträtselt worden. Obwohl sie von unseren fähigsten Leuten untersucht worden sind.«

Er sprach immer leiser und versunkener und schwieg schließlich ganz. Irgendwann erwachte er aus dieser Trance wieder zu neuem Leben und fuhr dann nur noch mühsam fort.
»Sehen Sie, mein lieber Junge, von da an nahmen die Dinge ihren Lauf. Mit diesen Papieren hat alles angefangen.«
Unwirsch wischte er über seinen Ärmel.
»Von diesem Tage an mehrten sich die Klagen über diesen Saunière. Er werfe mit Geld um sich und führe einen – für einen Pfarrer – ausgesprochen ... unziemlichen ... Lebens- wandel!«

Unziemlich? Bei diesem Wort schossen Pierre die wildesten Vorstellungen durch den Kopf. Der Bischof tat ihm aber schließlich den Gefallen und stillte seine Neugier mit den schäbigen Details.

»Dieser Saunière«, sagte er und holte so tief Luft, als habe man ihm befohlen noch vor dem Mittagessen auf den höchsten Turm der Stadt zu klettern, »dieser ... unmögliche Mensch, hat sich doch direkt neben meiner Kirche ein luxuriöses Landhaus gebaut. Eine Villa, die größer ist, als unser bescheidenes Gotteshaus daneben!«

Entrüstet fuhr er hoch und seine Ähnlichkeit mit einem wütenden Puter war offensichtlich. »Aber nicht genug damit! Er hat sich sogar noch eine Orangerie und einen Tiergarten anlegen lassen.«

Pierre wußte gar nicht, daß ein Kopf so rot werden konnte, ohne zu platzen! Aber Seine bischöfliche Exzellenz bewies ihm gerade, daß es tatsächlich möglich war!

Er japste nach Luft.
»... Und um die Liste seiner Frechheiten zu krönen, da hat sich dieser Provokateur noch einen regelrechten Burgturm errichten lassen. So ... wie ein mittelalterlicher Herrscher!«

Der Dicke zwang sich einen Augenblick zur Mäßigung und wandte sich nun direkt an Pierre. »Wie Sie wissen, sorgt die Heilige Mutter Kirche wohlwollend für das Auskommen ihrer Diener. Aber ... bei Gott ... ich weiß nicht, welchem Dämon dieser Saunière seine Seele verkauft hat, daß der ihn dafür derartig in Geld schwimmen ließ?«

Macht er sich nun mehr Gedanken über diesen Dämon, oder über die großen Summen Geldes, die der Geistliche besessen hat?
»Dieser kleine Landpfarrer ... er ... er hat Millionen verschleudert. Mehr Geld, als sein eigener Bischof jemals in Händen gehalten hat!«

Aha! Pierres Frage war damit wohl beantwortet. Blanker Neid! Um mehr geht es hier also nicht! Aber er mußte zugeben, selbst wenn sein Vorgesetzter in seiner Wut mutwillig einige Dinge verfälscht haben mochte – wovon er eigentlich ausging –, so blieb es doch die unglaublichste Geschichte, die er je über einen Priester- kollegen gehört hatte.
Aber der Bischof war offensichtlich noch nicht fertig. In seinem hochroten Kopf pochten scheinbar noch mehr neidvolle Details, die er unbedingt loswerden mußte.

»Bankette hat er abgehalten, dieser ... dieser ... so prächtig, daß es mir als schlichtem Kirchenmann die Schamesröte ins Gesicht treibt.«
Der Dicke saß da mit dem mürrischen Gesichtsausdruck eines Kindes, das gerade erfahren hatte, daß es als einziges nicht zu einer Geburtstagsfeier eingeladen worden war, auf der es Schokolade im Überfluß geben sollte. Daher war es auch nur schwer zu entscheiden, ob bei seinem Vorgesetzten ausschließlich der Neid regierte, oder die ernsthafte Sorge um das Ansehen der Kirche.

»Woher hatte dieser Teufel Bérenger Saunière das unermeßliche Vermögen?« wiederholte er langsam.
Das ist wirklich eine berechtigte Frage! Mit dem Gehalt, das ein Landpfarrer bekam, ließ sich nämlich leider gar nichts »Unziemliches« anstellen.

»Wieder und wieder habe ich ihm als Vorgesetzter befohlen, mir zu sagen, woher das Geld stammte. Ich habe ihm verboten, dem Ansehen der Heiligen Mutter Kirche durch sein sündhaftes Treiben in der Öffentlichkeit weiterhin zu schaden ... Und?«

Er hielt inne, blickte Pierre mit großen Augen an, so als müsse der jetzt die Antwort geben.
»Nichts ist passiert!« platzte es schließlich selbst aus ihm heraus, und sein großer, roter Kopf stand wieder kurz vorm Bersten.
»Er hat seinen eigenen Bischof doch glatt zum Esel gemacht!«
Erregt wischte er sich über den Mund.
»Aber die Sache kommt ja noch besser!« tobte er.
Ah! Aufgepaßt! Jetzt das Finale! Viel länger würde sein Gegenüber die Aufregung ja auch ohnehin nicht mehr durchstehen.

»Ich habe ihn suspendiert!« Seine Exzellenz begann zu zittern.
»Von allen seinen Aufgaben habe ich ihn entbunden! Was blieb mir denn auch anderes übrig? Ich mußte doch davon ausgehen, daß er die wertvollen Meßkrüge oder die goldenen Kerzenleuchter aus Kirchenbesitz verkauft hatte ... oder irgendeinen anderen schwunghaften Handel mit dem Eigentum des Herrn betrieb! Dieser ... dieser ... verstockte Teufel wollte mir einfach nicht sagen, woher das viele Geld kam!«

Der Bischof fummelte nervös die Bügel seiner Brille über seine drohend roten Ohren
»Aber jetzt! Der Gipfel!« brauste er wieder auf.
Pierre hatte eigentlich nicht erwartet, daß sein Gastgeber noch eine weitere Steigerung überleben würde, aber ... Bitte!

»Dieser fürchterliche ... fürchterliche Mensch hat es doch tatsächlich gewagt, mich ... seinen eigenen, geliebten Bischof ... in Rom wegen seiner Suspendierung anzuschwärzen!«

Er fiel vor Aufregung fast von seinem Thron. »Er hat es mit der Hilfe dieses ... dieses ... Dämons doch wahrlich geschafft, daß ein Gremium im Vatikan meine Entscheidung aufgehoben hat!«
Seine Hände krallten sich in die gepolsterten Armlehnen.

»Meine Anweisung ... einfach aufgehoben! Dieser ... dieser ... Satan!«
Jetzt war es um seine Beherrschung geschehen. Er sprang auf und stellte sich vor Pierre, rüttelte ihn an den Schultern hin und her und tobte.
»Die haben diesem ... verkommenen Landpfarrer ... diesem ... Teufel im Priestergewand mehr geglaubt, als mir ... dem ehrenwerten Bischof von Carcassonne ... dem bescheidensten Knecht unseres Herrn Jesus Christus!«

Wie von der Tarantel gestochen sprang Seine dicke Exzellenz um das güldene Tischlein herum und riß dabei seine Hände in die Höhe.
»An welche verfluchten Mächte der Hölle hat er seine Seele verkauft?«
Keuchend und leichenblaß klammerte er sich wankend an die hohe Rückenlehne seines Throns.

»Ich habe ihm die Sterbesakramente verweigert!« Schwer atmend sackte er schließlich zurück in seinen Sessel. »Es war das einzige, was wir den Mächten der Finsternis entgegensetzen konnten!« Mit letzter Kraft hob er seinen Zeigefinger drohend gen Himmel.

»Am Tage seines Todes ist dieser Teufel mit Leib und Seele in die Hölle gefahren!«
Sein Blick war starr und seine Augen gerötet.
»Und ... gebe Gott ... daß er dort unten bleibt!«

Impressum

Texte: ISBN: 3-937312-83-8 erschienen im Verlagshaus Monsenstein und Vannerdat
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2009

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