Traditionell mußte ich auch dieses Jahr dem Nikolaus beim Verteilen seiner süßen Kostbarkeiten behilflich sein – zumindest bei meinen beiden ältesten Kindern, Enkel, Nichte mit Tochter und meinem Schwesterlein. Denn sie alle wohnen nur 15 Autominuten von mir entfernt.
Bevor ich diese Aktion starten konnte, türmten sich vor mir auf dem Wohnzimmertisch etliche Nikolaustüten – durchsichtig mit goldigem Sternchenmuster. Darin zusehen waren verschiedene, schokoladische Leckereien - und abschließend als Krönung meine frisch gebackenen, dunklen Weihnachtsplätzchen, mit Mandeln verziert. Noch mit Schleifchen zugebunden – fertig!
Wow, ziemlich schwer dieses Jahr… die Klappbox, mit den gefüllten Tüten.
Mit meiner dienstlichen Nikolausmütze auf dem Kopf fuhr ich um 23 Uhr mit dem Pkw los – hach, wie aufregend und lustig!
1. Fahrziel
Erstes Fahrziel: meine Schwester, die Hüterin der Zweitschlüssel aller Lieben in der Umgebung für den Notfall. Anhängend alle Haustürschlüssel… das „Sesam öffne dich“ für den Nikolaus. Meine Schwester ist dadurch die Einzige, dich mich persönlich empfängt – mit einem gegenseitigen, lachendem „Ho, ho, ho!“ fallen wir uns um den Hals.
Ich überreiche ihr dann schmunzelnd die (trotzdem große) Single-Nikolaustüte – und sogar ich Nikolaus bekomme ein Präsent in die Hand gedrückt. Und natürlich die wichtigen Haustürschlüssel! Ohne
edle Schnaps-Verkostung (!) geht es winkend weiter auf Tour.
2. Fahrziel
Vor dem Wohnblock meiner Tochter war wieder schwer ein Parkplatz zu finden, verflixt noch mal. Also etwas wagemutig am Straßenende geparkt, der Fußgänger muss beim Straße überqueren leider mal einen kleinen Umweg ums Autoheck machen… ist ja nur für fünf Minuten.
Als ich gerade beim Zuschließen der Autotür bin, erhellten plötzlich Scheinwerfer diese Szene – Polizeitaschenlampen!
„Na, na – Sie wollten doch nicht wirklich hier so Ihr Auto parken… ähm, Frau Nikolaus!?“
Erschrocken und ertappt drehte ich mich reumütig um, wobei die rote Mütze mit der weißen Bommel mir in die Stirn rutschte, mit drei gefüllten Tüten in den Armen. Nun schaute ich in die schmunzelnden Gesichter zwei junger Uniformierten zweierlei Geschlecht.
„Oh Pardon, eine große Ausnahme bitte – Nikolaus im Einsatz! Muss nur hoch in den dritten Stock und bin schnell wie der Wind wieder unten geschwind, ich schwöre!“
Schallendes Gelächter war die erleichternde Antwort und ließ mein überraschtes Gesicht sich schmunzelnd entspannen.
„Na okay, wir drücken diesmal ein Auge zu. Wir warten hier auf Sie, also hurtig Frau Nikolaus!“ Die Polizistin winkte mich lachend zum Gehen.
Mit einem freundlichen „Danke!“ nahm ich die Beine in die Hand und rannte zur Haustür auf der anderen Seite. Zum Glück bewahrte ich nun Ruhe und fand rasch den passenden Haustürschlüssel.
Mit dem Fahrstuhl im 3. Stock angekommen, zog ich mir die Schuhe aus und schlich auf Socken durch den Korridorgang zur Wohnungstür meiner Tochter. Denn die Divise hieß: Während ich versuche, unbemerkt alles vor die Tür zu stellen, versucht sie, mich schmunzelnd dabei zu erwischen. Also ganz leise ans Werk gehen …
Und da standen sie bereits wartend auf mich, die blank geputzten drei Schuhpaare, einträchtig nebeneinander! Grinsend gelang es mir diesmal, unbemerkt sie zu füllen. Doch was war das? Da stand doch tatsächlich ein großer Konfekt-Karton … und darauf lag, an die Wand gelehnt, hochkant ein Zettel: „Für den Nikolaus! Wir haben dich lieb!“ Umrahmt mit vielen Herzchen … wie süß!
Schnell nahm ich den Karton nun und verschwand rasch & leise Richtung Fahrstuhl, während der Fahrt nach unten zog ich mir wieder meine Schuhe an. Geschafft! Unten warteten tatsächlich noch die Uniformierten auf mich und lächelten mir entgegen – was für ein seltener Anblick.
„Nanu, etwa ein Geschenk für den Nikolaus?“, fragte diesmal der Polizist überrascht.
„Jawohl, das passiert schon mal. Hat er sich ja ooch verdient, ick war doch ’ne flinke Socke, oder? Danke für’s Aufpassen auf’s Nikolausauto, muss sofort weiter - und ausliefern!“ Grinsend schloß ich dabei dessen Tür auf und setzte mich hinein. Zweikehliges Lachen war die Antwort. „Na dann, gute Fahrt!“
Er beugt sich zu ihr und fragte flüsternd: „Vielleicht sollte ich ihr meine Adresse geben …“ Sie kicherte.
„Hab’s gehört! Wird schon klappen, wenn die Schuhe blank geputzt sind.“ Nun lachte ich, machte winkend die Autotür zu und fuhr davon. Zuerst vorschriftsmäßig langsame Dreißig, versteht sich … bis ich außer Sichtweite um die Ecke war.
Nun aber schnell weiter zu meiner Nichte…
3. Fahrziel
Mir war schon vorher klar, daß ich auf der Straße vor ihrem Wohnblock keinen Parkplatz finden würde. Jedoch wußte ich von drei Notparkplätze gleich in der Nähe ihres Hauseinganges, mit Zufahrt über den abgesenkten Bürgersteig - und diese waren noch frei, juchhu!
Erfreut jonglierte ich nun vorsichtig mein Fahrzeug in der engen Straße rechts die Auffahrt hoch, denn es wurde zwischen parkende Autos nur eine recht schmale Lücke zu ihr freigelassen. Es gelang mir meisterhaft… doch noch bevor ich am Parkplatz ankam, gewahrte ich im Rückspiegel zwei Autos, die mir folgten. Nanu? Bitte nicht schon wieder die Polizei!
Ach was, egal - hier war schließlich kein Parkverbot, also keine Panik… doch recht merkwürdig war das schon.
Ich wählte den Platz in der Mitte und parkte rückwärts ein. Also hielten die beiden Nachkömmlinge recht und links neben mir, jedoch vorwärts einparkend. Ich stieg klopfenden Herzens ängstlich aus, denn hier war ein finsterer Platz, an dem nur spärlich das Laternenlicht hineinlugte. Geplanter Überfall kurz vor Mitternacht? Ich versuchte schnell die hintere Wagentür zu öffnen und die süßen Beutel aus der auf dem Rücksitz stehenden Klappbox zu nehmen, noch bevor die beiden Fahrzeuge standen. Doch dazu sollte es nicht mehr kommen… sie waren schneller!
„Ho, ho, ho - danke Frau Nikolaus!“, erschallte es neben mir laut aus zwei tiefen Baßstimmen. Vor Schreck stieß ich mir den Hinterkopf an der Türfassung, als ich aus der gebückten Haltung nach oben schnellte. Da standen doch tatsächlich zwei Nikoläuse in traditionell roten Anzügen vor mir und lächelten freundlich in ihre kurzen, weißen Bärte!!!
Ich starte sie Sekundenlang fassungslos mit offenen Mund an... und prustete dann lachend los. „Oh, Invasion der Nikoläuse?“
„Nee, wohl eher die Rettung unserer Mission durch sie, Frau Nikolaus. Ohne ihre Hilfe wäre icke jetzt Parkplatz suchend verzweifelt“, erwiderte nun grinsend der neben mir stehende Mitstreiter. Im kurzen Gespräch gaben sie sich als Studenten zu erkennen, die sich als Nikolaus etwas dazuverdienten.
Einander noch schönen Abend wünschend, gingen wir lachend in drei verschiedene Richtungen auseinander – wie muss das komisch ausgesehen haben.
Hurtig lief ich nun zum Hauseingang meiner Nichte, spurtete nach dem Aufschließen zuerst schnell, dann immer langsamer werdend fünf dunkle Stockwerke hoch... keuchend kam ich oben an. Oma Nikolausi ist eben kein D-Zug mehr. Problemlos fast knisterfrei stellte ich meine süße Fracht schmunzelnd an der Wohnungstür für die dreiköpfige Familie ab und ging leise wieder nach unten.
Nanu, wo waren denn die beiden Nikoläuse abgeblieben? Haben sie inzwischen alle Aufträge erledigt? Oh, oh… diesmal war ich wohl etwas langsam gewesen.
Die Linkskurve nach dem Passieren der Ausfahrt kostete mir fast ein paar Schweißperlen… nur Millimeter Abstand meines Fahrzeugs zu deren fast zuparkenden Pkws schienen es zu sein – uff, geschafft!
Auf zur letzten Aktion bei meinem Sohn!
4. Fahrziel
Fünf Minuten später kurvte ich bereits um die Parkinsel vor seiner Haustür, sechs Hauseingänge weiter fand ich endlich einen Parkplatz.
Also Petrus, warum muß ausgerechnet jetzt der Himmel weinen? Gibt doch keinen Grund dazu, in dieser besonderen Nacht. Garantiert erfreuen dem Nikolaus gerade bedeutend mehr Artige als Unartige auf Erden, oder? Na klar hab ich Recht.
Mit der letzten gefüllten Tüte, vor Nässe sicher unter meiner geöffneten Jacke haltend, marschiere ich nun bis zur Haustür meines Sohnes.
Ähm, färbt eigentlich die Nikolausmütze ab, wenn sie nass wird? Was soll’s, dann hab ich hinterher eben rote Haare oder rote Strähnchen statt den grauen...
Schmunzelnd über diesen Gedanken stand ich nun vor der Haustür und suchte den passenden Schlüssel. Diesmal erwies sich das als sehr zeitaufwendig angesichts der Vielzahl der Möglichkeiten am großen Schlüsselbund, zumal ich nur eine Hand dafür frei hatte. Verflixt, diesen Schlüssel hab ich bestimmt schon ausprobiert, der kommt mir so bekannt vor…
„Ick gloob dat jetze nich, da steht doch tatsächlich een Nikolaus und will hier rinn – kann ick da helfen? Au ja, dat wär’ dufte, tät ick jerne machen!“
Überrascht schaue ich hoch... und links gleich über mir in das verschmitzt lächelnde, zahnlose Gesicht eines älteren Herren, welches aus dem offenen Fenster schaut.
Nur mit Mühe konnte ich mir über diesen lustigen Anblick ein lautes Lachen verkneifen, stattdessen gelang mir ebenfalls ein Lächeln. Denn irgendwie war er doch rührend… das Kind im Mann.
„Das wäre aber sehr nett von Ihnen, denn ich finde den richtigen Schlüssel grad nicht.“
„Keene Frage, ick komme sofort und mache die Türe off!“ Sein Gesicht verschwand und das Fenster wurde geschlossen, während es mir gelang, doch noch die Haustür aufzuschließen. Ich ging leise bis zum Treppenansatz und zwei Stufen hoch, wartete jedoch dort höflich vor dem Geländer auf dem nun zu hörenden Öffner der Wohnungstür vor mir.
Das Bild, welches sich mir jetzt offenbarte, war einfach zum Brüllen… es fehlte bloß noch ’ne Schlafmütze auf dem Kopf und ein Kerzenhalter mit brennendem Licht in der Hand – dann stände dort Meister Böck!!!
Die Lippen zusammenpressend winkte ich ihm mit lachenden Augen zu und flüsterte rasch: „Vielen Dank, hab gerade den richtigen Schlüssel gefunden!“
Sein anfänglich strahlender Gesichtsausdruck wurde zu einer traurig lächelnden Grimmasse – er wirkte schmerzlich enttäuscht. Und die rötliche Wangenfärbung zeugte davon, wie peinlich ihm dieser Moment war. Er schien wohl jetzt erst bemerkt zu haben, daß ich eine FRAU Nikolaus war.
Verlegen nickend winkte er und machte schnell die Tür wieder zu.
Als ich leise die Treppen zum dritten Stock hinauf ging, prustete ich zuerst tonlos lachend in die vorgehaltene Hand. Aber dann dachte ich über die Einsamkeit des alten Mannes nach, die ihn zu einem ollen Griesgram werden ließ; ich wußte darüber Bescheid. Wie ich eben mitbekam, konnte er auch ganz anders sein. Ich überlegte…
Vor der Wohnungstür meines Sohnes standen überraschend zwei paar Schuhe statt nur seine allein. Lächelnd stellte ich leise die große Tüte – ausreichend für zwei Personen – in der Mitte auf ihren linken und seinem rechten Schuh.
Zufrieden mit meiner letzten Aktion, ging ich langsam die Treppen hinunter und schmunzelte dabei in Gedanken versunken vor mich hin. Meine Beine blieben automatisch vor der Tür des alten Mannes stehen, was ich erst Sekunden später bemerkte. Mein Unterbewusstsein hat wohl schneller reagiert als mein Verstand – denn nun wußte ich, was zu tun war.
Zurück am Auto angekommen, schloß ich auf und nahm vom Rücksitz das Geschenk für den Nikolaus... meine Tochter möge es mir verzeihen.
Kurze Zeit später, zuvor unter dem noch erleuchteten Fenster vorbei schleichend, stellte ich den quaderförmigen Konfektkasten mit der riesigen Schleifenblume leise vor seiner Wohnungstür. Schade, daß ich sein Gesicht am nächsten Morgen nicht sehen kann, wenn er es bemerkt – ob es wieder so vor Freude strahlt, wie vorhin? Ich hoffe es sehr...
Mich unbeschreiblich wohl fühlend, weil ich meine Aktion erfolgreich beenden konnte, fuhr ich nach Hause. Es war bereits weit nach Mitternacht. Bevor ich später schlafen ging, befüllte ich noch die im Korridor stehenden Schuhe von mir und meiner Tochter Anita.
Tagsüber klingelte dann mehrmals das Telefon und begeistert rief man mir ins Ohr: „Juchhu, der Nikolaus war wieder da…“
Texte:
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Tag der Veröffentlichung: 07.12.2009
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