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Der Königsrebell - 1. Teil - Rebellenzeit


Über das Buch:

Sascha Zandorra – Anführer der Rebellen gegen den tyrannischen König Wolfram.
Nach der grausamen Ermordung seiner Familie an seinem Hochzeitstag begann der bisher unauffällige Mann, sich gegen die tyrannische Herrschaft des Königs aufzulehnen. Er rettete Menschen aus den Arbeitslagern, überfiel Menschentransporte und half den armen, oftmals unschuldigen Menschen zur Flucht, befreite Gefangene aus dem Kerker, aus den Folterkammern, rettete somit viele Menschen vor dem Tod.
Somit konnte er eine große Anzahl Rebellen um sich sammeln.
Die Blauen Berge wurden der Hauptsitz der Rebellen. Nach der Befreiung der Zirkusleute, sowie der Menschen aus dem Arbeitslager in Stade teilte er die Rebellen auf und führte die Hälfte in die Sümpfe. Hier lebten sie auf einer riesigen Insel inmitten des Moores, die lediglich über einen schmalen Moorpfad zu erreichen war.
Sascha Zandorra, auf dessen Kopf eine so hohe Prämie ausgesetzt wurde, wie sie noch nie vorher für einen einzelnen Menschen gestellt wurde, kämpfte gegen Verrat, Intrigen und Gewalt. Seine engen Freunde Ingo und Rolf, sowie die Zirkusleute Milo, Tankred und das Zirkusmädchen Zita, der Arzt Fürst Oliver von Stryth und später, nach der Befreiung aus Iserloh auch Seine Lordschaft James Edwards von Homer, sie alle bewiesen ihm mit ihrer Freundschaft, ihrer Treue und ihrer Bereitschaft, ihm zu folgen, dass es sich lohnt, gegen diese Terrorherrschaft zu kämpfen. Trotz Verletzungen, Demütigungen und ohne Rücksicht auf sich selber, mit unglaublichem Ideenreichtum und Mut führte er seine Rebellen an, rettete ein ganzes Dorf vor der Vernichtung durch den Terrorkönig und floh mit ihnen zu den Höhlen von Savurn, wo er viele Behinderte, Kranke oder andersweitig Verfolgte verstecken konnte.
Durch seine Spione erfuhr Sascha Zandorra, dass der Tyrann einen Krieg gegen zwei Länder anzetteln wollte. Nordsoldaten sollten ihm dabei helfen. Die Kopfgeldprämie auf die Ergreifung des Rebellenführers wurde unermesslich hoch, der Terror des wahnsinnigen König Wolframs immer brutaler und rücksichtsloser. Die Lage spitzte sich zu, als ein alter, kranker Zigeuner eine Bekanntmachung veröffentlichte, die das ganze Land in Aufruhr versetzte.Über das Buch:

Sascha Zandorra – Anführer der Rebellen gegen den tyrannischen König Wolfram.
Nach der grausamen Ermordung seiner Familie an seinem Hochzeitstag begann der bisher unauffällige Mann, sich gegen die tyrannische Herrschaft des Königs aufzulehnen. Er rettete Menschen aus den Arbeitslagern, überfiel Menschentransporte und half den armen, oftmals unschuldigen Menschen zur Flucht, befreite Gefangene aus dem Kerker, aus den Folterkammern, rettete somit viele Menschen vor dem Tod.
Somit konnte er eine große Anzahl Rebellen um sich sammeln.
Die Blauen Berge wurden der Hauptsitz der Rebellen. Nach der Befreiung der Zirkusleute, sowie der Menschen aus dem Arbeitslager in Stade teilte er die Rebellen auf und führte die Hälfte in die Sümpfe. Hier lebten sie auf einer riesigen Insel inmitten des Moores, die lediglich über einen schmalen Moorpfad zu erreichen war.
Sascha Zandorra, auf dessen Kopf eine so hohe Prämie ausgesetzt wurde, wie sie noch nie vorher für einen einzelnen Menschen gestellt wurde, kämpfte gegen Verrat, Intrigen und Gewalt. Seine engen Freunde Ingo und Rolf, sowie die Zirkusleute Milo, Tankred und das Zirkusmädchen Zita, der Arzt Fürst Oliver von Stryth und später, nach der Befreiung aus Iserloh auch Seine Lordschaft James Edwards von Homer, sie alle bewiesen ihm mit ihrer Freundschaft, ihrer Treue und ihrer Bereitschaft, ihm zu folgen, dass es sich lohnt, gegen diese Terrorherrschaft zu kämpfen. Trotz Verletzungen, Demütigungen und ohne Rücksicht auf sich selber, mit unglaublichem Ideenreichtum und Mut führte er seine Rebellen an, rettete ein ganzes Dorf vor der Vernichtung durch den Terrorkönig und floh mit ihnen zu den Höhlen von Savurn, wo er viele Behinderte, Kranke oder andersweitig Verfolgte verstecken konnte.
Durch seine Spione erfuhr Sascha Zandorra, dass der Tyrann einen Krieg gegen zwei Länder anzetteln wollte. Nordsoldaten sollten ihm dabei helfen. Die Kopfgeldprämie auf die Ergreifung des Rebellenführers wurde unermesslich hoch, der Terror des wahnsinnigen König Wolframs immer brutaler und rücksichtsloser. Die Lage spitzte sich zu, als ein alter, kranker Zigeuner eine Bekanntmachung veröffentlichte, die das ganze Land in Aufruhr versetzte.


Über die Autorin:

M.B. Cimmey ist das Pseudonym der Autorin Monika Bettina Cimander, geborene Meyer, die in der unterfränkischen Stadt Würzburg geboren wurde. Ab ihrem 5. Lebensjahr wuchs sie dann in der Kurstadt Bad Mergentheim auf, im schönen Taubertal. Hier ging sie auch zur Schule, machte ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau und begann schon früh, Geschichten zu schreiben, die sie jedoch nie veröffentlichte. Mit ihrer Schwester, die im Jahre 2008 ihr 1. Buch veröffentlichte, verfasste sie Bildergeschichten mit Texten, zeichnete und schrieb Geschichten jeglicher Art, doch noch war dies reines Vergnügen.
Die Zahl 7 wurde für sie eine besondere Zahl: 7 Jahre war sie mit ihrem späteren Ehemann zusammen, 7 Jahre hielt die Ehe, aus der zwei Töchter hervorgingen, die sie dann jedoch alleine erzog.
M.B. Cimmey forderte ihre Schwester zur Veröffentlichung auf, selber wagte sie jedoch erst jetzt diesen Sprung für ihr eigenes Manuskript über den Königsrebell. Trotz ihrer zwei Jobs, ihrer beiden Töchter, ihrer vier Hunde, der Vogelvoliere, Haushalt und ihr ehrenamtlicher Job in ihrem Verein verschafft sie sich genügend Zeit zum Schreiben. Ein wenig vergleicht sie sich mit ihrer Romanfigur, auch sie stößt mit ihrem sturen Kopf und ihrer Zähigkeit oftmals auf Unverständnis. Auch sie hasst Unfairness, Ungerechtigkeiten und Gewalt, befürwortet Ehrlichkeit, Verständnis für andere und Toleranz.

Sämtliche vorkommende Personen und Namen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten oder Namensgleichheit mit Personen sind rein zufällig und haben keine Bedeutung.
Diese Geschichte habe ich mir selber ausgedacht, irgendwelche Ähnlichkeiten mit anderen Werken sind ebenfalls rein zufällig. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, ich alleine bin dafür verantwortlich.


Der Königsrebell


An einem heißen Sommertag geschah im Land etwas Schreckliches: König Gerald, der gerechte und beliebte König, wurde in seinem Garten hinterrücks erstochen. Die Menschen waren am Verzweifeln! Das Land war ohne König, führerlos.
Und die vergangenen Sommer waren heiß, heiß und trocken und das ganze Land litt unter der Hitze. Auf den Feldern verbrannte das Korn, das Gemüse in den Gärten verdorrte, die Sonne saugte das Wasser aus den Flüssen. Den Menschen ging es schlecht, Nahrung und Wasser waren knapp. In den Brunnen war das Wasser tief gesunken und man musste die Eimer weit hinunterlassen. Täglich bildeten sich Schlangen von Durstigen vor den Brunnen in den Dörfern und Städten, um an das kostbare Naß heranzukommen und den quälenden Durst zu stillen. Man schlachtete das Vieh, bevor es zu dürr wurde und keine Nahrung mehr geben konnte. Doch bald musste man stark reduzieren, es war keine Wetteränderung in Sicht und die Anzahl des Viehs nahm stetig ab.

Die Hungersnot, die das Land heimsuchte, war hart. Viele Menschen mussten ihr Leben lassen.
Doch da erschien plötzlich ein Mann, in Begleitung von unzähligen Soldaten, und ernannte sich selbst zum König! Er versprach, die Hungersnot zu bekämpfen, brachte Säcke und Wagenladungen voll Körnern und Samen mit. Er kam aus dem hohen Norden und übernahm das Land mit einer Selbstverständlichkeit, die an Hochmut grenzte.
Wolfram, so hieß der selbsternannte König, zog in das leerstehende Schloß mitsamt seinen Soldaten, seiner Frau Franziska und seinen beiden Söhnen Boris und Ian. Die beiden Jungen himmelten ihren Vater an und auch die Frau war ihm absoluter Untertan.
Nun, auch dieser harte, trockene Sommer verging, er dauerte länger als normal, doch endlich fielen die ersten Regentropfen!
König Wolfram befahl den Bauern, die Körner und Samen, die er mitgebracht hatte, auszusäen. Er beschlagnahmte sämtliche Felder im Namen der Krone, stellte Wachen auf, die aufpassen mussten, dass niemand etwas stahl oder die Felder betrat. Plünderei, Diebstähle oder Aufsässigkeiten bestrafte er mit dem sofortigen Arrest im Kerker, bei Brot und Wasser. Zwar schaffte er es, das Land in kürzester Zeit wieder aus der Hungersnot zu bringen, doch war seine Herrschaft sehr streng. Er mochte auch weder Zigeuner, noch Zirkusleute oder sonstige Menschen, die ohne festes Zuhause waren. Erst jagte er diese Leute davon, doch dann ließ er sie gefangen nehmen und in Arbeitslager stecken, wo sie für das Volk in riesigen Gärtnerein für Nahrung sorgen mussten, in großen Wäschereien die Wäsche in Ordnung brachten oder sich in Mühlen, Krämereien, Sattlereien und Fabriken nützlich machen mussten.
„Wer essen will muss auch dafür arbeiten.“ So war seine Devise. Und die Menschen in diesen Lagern mussten hart arbeiten!
Nachdem die Menschen sich von der Hungersnot, dem heißen Sommer und dem großen Verlust ihrer Mitmenschen und ihres Königs endlich etwas erholt hatten, waren sie nicht mehr begeistert von diesem neuen König, der ein zu strenges Regiment führte. Doch die meisten hatten Angst vor ihm, seiner Macht und vor allem seiner vielen Soldaten und fügten sich still seinen Anordnungen.

Eines Tages jedoch schlug seine bereits harte Herrschaft in den absoluten Terror um! Kein Mensch wusste, was geschehen war, doch seine Strafen für Aufsässigkeit und Diebstahl, für Widerspruch und Ungehorsam wurden nun zur „Todesstrafe“, die beim Erwischen sofort aufgeführt werden durfte.
Er befahl seinen Soldaten, sämtliches fahrende Volk, sowie Helfer dieser Menschen gefangen zu nehmen und in die Arbeitslager, die nun überall erschaffen wurden, zu bringen.
König Wolfram besuchte die Krankenhäuser des Landes, sprach mit den Kranken und befahl den meisten von ihnen, sich wieder an ihre Arbeit zu begeben, da er keine Krankheit feststellen könne und für Taugenichtse und Simulanten keine Geduld und Toleranz hätte. Es wurden einige Krankenhäuser geschlossen und umgebaut in Arbeitslager, wo teilweise Gewehre und andere Waffen hergestellt wurden. Unheilbar Kranke ließ er zusammen nach Iserloh bringen, wo sie in einer großen Baracke erschossen wurden. Er akzeptierte keine Krankheiten und Krüppel, die nicht arbeiten konnten, ließ er ebenfalls ermorden. Viele flohen in die Berge oder versteckten sich in Stadtnähe, wo sie von den Bewohnern heimlich versorgt wurden.

Doch eines Tages verbreitete sich die Kunde, dass es einen Mann gab, der gegen den König kämpfen wollte! Dieser Mann baute sich eine Festung in den Blauen Bergen, ein ganzes Stück westlich von Janten. Und der Hass dieses Mannes gegen den König schien ebenso gewaltig zu sein, wie der Terror des Herrschers! Warum – keiner wusste es! Aber man hieß diesen Rebell willkommen!

Sein Name war – Sascha Zandorra!!!

Es fing damit an, dass er einige Zigeuner auf dem Weg in die Arbeitslager befreite und sie mit sich nahm. Kurz darauf wurde eine Wagenladung Nahrungsmittel kurz vor dem Schloss in Janten überfallen und ausgeraubt. Die Soldaten fand man gefesselt und geknebelt in den Wagen. König Wolfram tobte, brüllte die schlimmsten Strafen, die er diesem Mann antun würde, doch der Rebell entkam den Soldaten immer wieder.

Mehrere Jahre ging das nun schon so. Sascha Zandorra hatte sich offen gegen den König erhoben, ließ überall verlauten, dass er gegen die Terrorherrschaft ankämpfte und half den Menschen, die vom König wegen irgendwelchen Verstößen, Gebrechen, Krankheiten oder ihrer Hautfarbe verfolgt wurden. Er sammelte all diese Verurteilten und Verfolgten um sich, um irgendwann, sobald er genug starke und tapfere Menschen bei sich hatte, den König zu stürzen. Es war auch kein Geheimnis, wo das Versteck dieser Rebellen sich befand: Die Blauen Berge – uneinnehmbar für die Soldaten des Königs, denn es führte nur ein schmaler Pfad hinauf, der jedoch streng bewacht wurde.

Eines Tages kam ein Botschafter zum König. Er wurde von einer Wache in den Thronsaal geführt und musste sich vor dem König hinknien.
„Majestät,“ keuchte er, „Majestät, ein kleiner Zirkustrupp lagert an den Wasserfällen. Sie besitzen ein paar wunderschöne Pferde. Es sind nicht viele und sie fühlen sich offensichtlich sehr sicher.“
Die Augen des Königs bekamen einen gierigen Glanz. Er liebte schöne Pferde!
„Okay,“ der König erhob sich. „Geht zum Stallmeister und lasst zwanzig Pferde satteln. Das müsste reichen gegen ein paar Zirkusleute. Sie sollen sie erst mal in den Kerker von Janten werfen, wir werden später einen Trupp zu den Arbeitslagern nach Stade schicken. Ach ja, und lasst die neue Kanone mitnehmen!“

Während sich der Soldat beeilte, den Befehl auszuführen und zum Stallgebäude rannte, war es bei den Zirkusleuten ruhig und friedlich. Sie ahnten nicht die Gefahr, in der sie sich befanden. Die Pferde standen im Schatten der Bäume, nahe am Flussufer und dösten. Die Zirkusleute hatten sich ebenfalls in den Schatten zurückgezogen. Sie hatten eine Wache auf dem Felsen oberhalb des Wasserfalles aufgestellt und aßen Orangen, die fruchtig süß und herrlich saftig waren. Ein paar Kinder spielten am Wasser mit den Hunden, die Frauen nähten und schwatzten und die Männer spielten Karten. Es war ein überaus friedliches Bild – noch!
Ein junges Mädchen mit schwarzen Locken und dunkler Hautfarbe stand nun auf und ging zu einem der Pferde. Sie strich über die samtigen Nüstern und klopfte dem Tier den Hals.
„Na, Fabian, wollen wir ein wenig spazieren reiten?“ fragte sie schmeichelnd. „Carlito, möchtest du mit?“ fragte sie dann einen kleinen Jungen, der mit seinem kleinen Hündchen spielte. Der sprang sofort auf und nickte begeistert! Einer der Männer hob den Kopf.
„Zita, pass aber auf, dass dich niemand sieht. Reitet in den Wald. Vielleicht trefft ihr Milo und Tankred. Sie jagen dort.. Seid auf jeden Fall bei Einbruch der Dunkelheit wieder hier!“
„Ja, Sir!“ das Mädchen lachte und hob den kleinen Jungen auf das Pferd, mitsamt seinem Hündchen.
„Wir werden aufpassen!“ Sie sprang ebenfalls auf s Pferd, wendete das Tier und ritt in leichtem Galopp davon.
„Diese Zita,“ murmelte der Mann. „Keine Minute Ruhe. Wie ihre Mutter war: ungeduldig, ungehorsam und keine Ruhe, aber man kann sich auf sie verlassen. Auf, lasst uns weiterspielen, du bist dran, Warren.“


Der Überfall

Zita und Carlito genossen den Ritt. Es war zwar heiß und die Sonne brannte gnadenlos vom hellblauen Himmel, aber bald tauchten sie in den Wald ein, die Bäume spendeten Schatten und ein wenig Abkühlung.
„Ich reite mit dir so gerne, Zita.“ bemerkte der Kleine und fügte bewundernd hinzu: „ Du kannst so gut reiten!“
Zita lachte, dass ihre weißen Zähne blitzten.
„Ich bin schließlich als Reitkünstlerin aufgetreten.“
„Warum seid ihr so lange nicht mehr aufgetreten, Zita? Ich möchte euch so gerne mal sehen.“
Zita schwieg nachdenklich. Wie sollte sie einem Kind von sechs oder sieben Jahren erklären, dass jeder Auftritt für die Zirkusleute Lebensgefahr bedeuten könnte? Wenn Soldaten des Königs davon erfahren würden, würde man sie alle gefangen nehmen. Sie traten nur noch auf, wenn wirklich nichts mehr zu essen da war und es die Wahl gab zwischen entdeckt zu werden oder zu hungern.
„Milo und Trankred sind auf der Jagd. Wir brauchen im Moment nicht auftreten. Außerdem ist es zu heiß.“ erklärte sie dem Kleinen.
„Aber die Soldaten haben die Jagd doch verboten.“ flüsterte Carlito ängstlich.
„Milo und Tankred lassen sich nicht erwischen.“ beruhigte ihn Zita. Sie zügelte das Pferd und lenkte es dann in langsamen Schritten durch den Wald. Carlito schaute sich neugierig um.
„Wohin reiten wir?“ frage er. Zita zuckte die Schultern.
„Kreuz und quer durch den Wald. Mal sehen, vielleicht entdecken wir Milo und Tankred.“
Aufmerksam sahen sie sich um. Doch alles blieb ruhig und dämmrig im dichten Wald. Irgendwo sang ein Vogel trotz der Hitze unermüdlich sein Lied. Ab und zu raschelte es im trockenem Laub. Nach einiger Zeit wurde Carlito unruhig.
„Was ist mit dir, Carlito?“ fragte Zita. „Magst du nicht mehr? Sollen wir eine Pause machen?“
„Zita, was ist, wenn wir uns verirren?“ Ängstlich wandte sich der Kleine um. Zita lachte.
„Ach, Carlito! Ich verirre mich nicht. Du musst keine Angst haben!“
Plötzlich ertönte ein lauter Knall! Sie fuhren erschrocken zusammen, das Pferd stieg schrill wiehernd hoch, doch Zita beruhigte es sofort wieder.
„Was war das?“ fragte Carlito mit zitternder Stimme.
„Ich weiß nicht. Jedenfalls war es sehr laut!“ antwortete Zita und blickte sich unruhig um. Das Echo des Knalles verklang und sie ritten langsam weiter. Nach einiger Zeit hörten sie plötzlich ferne Stimmen. Zita hielt sofort ihr Pferd an und lauschte angestrengt. Die Stimmen schienen näher zu kommen, offensichtlich gab jemand Befehle aus.
„Halt dich fest, Carlito, und sei ruhig. Pass auf Thilo auf, dass er nicht runterfällt.“ flüsterte Zita und lenkte ihr Pferd in ein dichtes Gestrüpp hinein. Das Tier scheute und stieg hoch, aber Zita konnte wirklich hervorragend reiten und hatte es sehr schnell wieder unter Kontrolle. Inmitten des dichten Gestrüppes zügelte sie das Pferd und glitt von seinem Rücken. Sie zog Carlito hinunter und duckte sich mit dem Kleinen hinter einen Busch. Es dauerte nicht lange, da erschienen ein paar Soldaten. Sie waren bewaffnet und unterhielten sich unbekümmert.
„Na, das ging ja recht einfach. Niemand hat Widerstand geleistet, sie haben sich sehr sicher gefühlt.“ lachte einer der Soldaten.
„Eigentlich war es auch ein guter Platz.“ meinte ein anderer. „Das Tosen der Wasserfälle hat ihre Gespräche übertönt und die Wache auf dem Felsen konnte herannahende Feinde früh erkennen.“
„Ja, nur hatten sie nicht mit der Kanone gerechnet, die so weit schießen kann. Er hat bestimmt nicht gedacht, dass wir es auf sie abgesehen hatten. Wir waren ja noch weit entfernt.“
„Der König hat die Kanone von einem seiner Jagdzüge erbeutet. Der beste Fang! Da hat niemand eine Chance!“
„Ja, erst recht nicht, wenn ein Verräter die eigenen Leute an den König verkauft.“ lachte ein anderer Soldat.
„Zita, sie haben das Zirkuslager überfallen.“ wisperte Carlito entsetzt. Zita legte eine Hand über seinen Mund.
„Pst, sei still. Sie dürfen uns nicht entdecken.“
Sie spürte heiße Tränen, die über ihre Hand liefen und drückte den Kleinen beruhigend an sich.
Die Soldaten ritten vorbei, als letztes sahen sie die Kanone, die von vier Pferden und einigen Männern gezogen und geschoben wurde. Sie verschwanden keuchend im dunklen Wald. Nur noch ihre Unterhaltung war zu hören, doch auch sie verklang langsam und es wurde wieder still.
Zita stand vorsichtig auf.
„Komm, Carlito, wir müssen nachsehen, ob jemand noch da ist.“
„Zita, ich habe Angst, ich will nicht.“ weinte der Kleine.
Zita stand ratlos da, drückte das Kind an sich und dachte angestrengt nach.
„Zita, Carlito!“ ertönte plötzlich eine Stimme. Zita fuhr mit einem Aufschrei herum.
„Milo! Du hast mich aber erschreckt!“ Erleichtert schaute sie dem Mann entgegen, der nun hinter einem großen Stapel gefällter Bäume hervortrat. Er war mittelgroß, breitschultrig und athletisch. Mit seinen schwarzen, schulterlangen Locken, der dunklen Hautfarbe und den dunklen Augen sah er Zita ähnlich. Ihm folgte ein jüngerer Mann, dessen Haare ebenfalls über die Schultern hingen, jedoch von dunkelbrauner Farbe waren. Er hatte einen dichten Schnauzbart, war etwas kleiner und drahtiger.
„Was macht ihr hier?“ fragte Milo erstaunt.
„Wir sind spazieren geritten.“ antwortete Zita. „Habt ihr die Soldaten gesehen? Sie haben offenbar das Lager überfallen. Sie haben eine Kanone! Und wer ist der Verräter? Die Soldaten haben gesagt, jemand vom Lager hat uns an den König verraten! Wer kann das gewesen sein?“
„Wir waren gerade am Lager, als sie es überfielen.“ teilte Tankred ihnen mit. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand aus unserem Lager uns verraten haben soll. Irgendwas ist da faul. Sie haben niemanden zurückgelassen. Selbst die Kinder haben sie mitgenommen. René und Salvatore wurden verletzt, als sie die Kanone abgeschossen hatten. Aber sie haben sie trotzdem mitgenommen. Und Ronald ist tot.“
Sie schwiegen und nur das leise Weinen von Carlito war zu hören.
„Was machen wir jetzt?“ fragte Zita ratlos.
„Wir reiten zu den Blauen Bergen.“ sagte Milo entschossen.
„Sascha Zandorra wird uns helfen. Er ist der einzige, der offen gegen den König kämpft.“
„Meinst du, er kann uns helfen? Meinst du, er befreit die anderen?“ fragte Zita zweifelnd.
„Wenn wir dort sind, kannst du ihn ja fragen. Hat jemand einen anderen Vorschlag? Wir können nichts unternehmen. Aber in den Blauen Bergen soll ein richtiges Rebellenlager sein.“
„Hab ich auch schon gehört.“ nickte Tankred. „Sascha Zandorra hilft allen, die durch den König in Not geraten sind, oder denen Unrecht getan wurde. Der König hat auf seinen Kopf eine hohe Prämie gesetzt.“
„Wo sind denn die Blauen Berge?“ fragte jetzt Carlito. „Ist das weit?“
„Einige Tagesritte ist es schon entfernt.“ nickte Milo. „Ich weiß zwar nicht, wie wir reinkommen, das weiß niemand, aber wenn wir so nahe wie möglich hinreiten, werden uns die Posten schon entdecken.“
„Also, worauf warten wir noch?“ fragte Tankred. „Je eher wir losreiten, desto besser.“
Milo und Tankred holten ihre Pferde zwischen den Bäumen hervor und dann ritten sie los. Carlito saß wieder bei Zita und umklammerte seinen kleinen Hund.


Die Blauen Berge

In den Blauen Bergen ging es inzwischen recht lebhaft zu. Im Schatten der Felsen arbeiteten einige Frauen und Männer auf kleinen, rechteckigen Feldern, die zwischen den hohen Felsen angebaut waren. Kinder spielten mit Hunden und Katzen, einige Frauen holten Wasser in großen Eimern aus dem Ziehbrunnen, der in der Mitte des freien Platzes stand. Es war der größte, ebene Platz zwischen den Felsen und somit der zentrale Mittelpunkt der Felsenburg. Hier standen auch einige Holztische mit Holzbänken, auf denen ein paar Schalen mit Obst und Gebäck standen. Äpfel, Birnen, Zwetschgen und Aprikosen gab es genug in den Bergen, denn wilde Obststreuwiesen mit unzähligen Bäumen standen zwischen den kühlenden Felsen. Sie wurden von Bächen gespeist, die zum großen Teil unterirdisch verliefen und den Wurzeln die nötige Feuchtigkeit gaben. Die Sonne hatte die Flüsse und Bäche an der Oberfläche fast ausgetrocknet.
Einige Frauen buken aus Maismehl, Eiern, Milch und Obst leckere, kleine Kuchen, die Männer gingen alle paar Tage auf die Jagd und dann gab es frisches Fleisch. Ja, die Rebellen in den Blauen Bergen lebten nicht schlecht! In der Nähe des Brunnens, im Schatten der Felsen, saßen an einem der Tische einige Männer und studierten eine große Karte, die auf dem Tisch ausgebreitet lag.
„Hier,“ sagte nun einer der Männer und zeigte mit seinem Zeigefinger auf einen Punkt der Karte. „Hier ist dieses Arbeitslager, in dem die Frauen mit ihren Kindern untergebracht sind.“
„Hast du sie sehen können, Marwin?“ frage einer der anderen Männer.
„Ja, aber oben vom Felsen. Erkennen konnte ich nur Stecey und ihren Sohn. Und das auch nur, weil sie beide so rote Haare haben.“ antwortete der Mann. „Da kommt Sascha.“ Er zeigte in Richtung Brunnen, wo gerade ein großer, schlanker Mann mit schulterlangen, blonden Locken mit großen Schritten herankam. Er trug ein weites, weißes Hemd, rote Hosen und schwarze Stiefel. Um die Taille hatte er eine schwarze Schärpe gebunden.
Er trat zum Tisch und fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare.
„Mann, ist das heiß.“ stöhnte er. „Gibt es etwas neues?“
„Ja.“ nickte der Mann, der Marwin genannt wurde. „ Ich habe Stacey und ihren Sohn gesehen.“
„Wo?“ fragte Sascha Zandorra kurz.
„Im Arbeitslager bei Stade.“ erklärte Marwin und zeigte wieder mit dem Finger auf die Karte.
„Haben wir etwas Zeit für einen Plan, oder muss sie sehr hart arbeiten?“ fragte Zandorra weiter.
„Sie muss auf die Felder. Es ist bei der Hitze die härteste Arbeit, Sascha.“ Marwin schaute auf.
Zandorra runzelte nachdenklich die Stirn. Er setzte sich auf die Tischkante und studierte die Karte.
„Rolf, du kannst so gut Karten lesen. Schau einmal her...“ er winkte dem dritten Mann zu, der sich auch gleich über die Karte beugte, „...hier, ist das ein Flussbett? Und dieser rote Strich, was bedeutet er?“
Rolf, ein großer, schlanker Mann mit schulterlangem, glatten, braunem Haar, blauen Augen und einem Oberlippenbart, nickte langsam. „Ja, Sascha, das ist ein Flussbett. Es dürfte aber noch einiges an Wasser führen, es sieht nach einem großen Fluss aus. Und der rote Strich dort, das ist die Grenze zum Nachbarland. Ziemlich nah am Arbeitslager, was?“
„Ja, zu nah.“ murmelte Zandorra nachdenklich. „Wir können durch das Flussbett kommen. Es schlängelt sich halb um das Arbeitslager herum. Es wäre möglich, das Lager zu umzingeln.“
„Woher willst du die Leute nehmen?“ fragte Rolf und blickte Zandorra ins Gesicht.
Bevor der jedoch antworten konnte, ertönte Stimmengewirr am Tor. Die Kinder unterbrachen ihre Spiele und rannten zum Tor, die Frauen erhoben sich und standen abwartend da. Zandorra erhob sich ebenfalls.
Das Tor wurde aufgestoßen und ein kräftiger, bärtiger Mann, der recht verwegen aussah in seinen grünen Hosen, dem grünen Wams und den braunen Stiefeln, trat ein. Er blieb kurz stehen, entdeckte Zandorra, nickte kurz und winkte zum Tor hin. Zwei weitere Männer erschienen, ebenfalls in grün und braun gekleidet. Jeder von ihnen hielt einen schwarzhaarigen Mann am Arm. Ein dritter erschien und führte zwei Kinder in die Felsenburg.
Der Bärtige trat zu Zandorra und sagte: „Sascha, das sind Milo, Tankred und zwei Kinder aus dem Zirkuslager am Wasserfall. Der König ließ den Zirkus überfallen und die hier konnten angeblich fliehen.“
„Lasst sie los.“ sagte Zandorra den Männern, die sofort gehorchten.
„Wo haben sie euch gefunden?“ fragte Zandorra die Zirkusleute.
„Unten am Waldrand.“ antwortete der eine. „Du bist Sascha Zandorra, der Rebellenführer?“
„Ja,“ nickte der. „ Und wer seid ihr? Von welchem Zirkus kommt ihr?“
„Ich bin Milo, das sind Tankred, Zita und Carlito.“ Er wies mit der Hand auf die einzelnen Personen. „René Feselmann heißt unser Zirkusdirektor.“
„Ja, den kenne ich. Ist er verletzt? Erzählt, was passiert ist.“ Zandorra wies zur Bank. „Setzt euch dazu, esst und trinkt. Ihr müsst sehr durstig sein bei der Hitze.“
„Oh ja, das sind wir!“ rief der Kleine begeistert aus und griff nach einer Aprikose.
Zandorra lächelte und setzte sich wieder auf die Tischkante.
Milo biss herzhaft in einen Apfel und begann zu erzählen: „Tankred und ich waren auf der Jagt. Da der König Zirkusauftritte verboten hat, müssen wir ab und zu auf Jagd gehen, um unsere Frauen und Kinder zu ernähren. Meistens übernehmen Tankred und ich diese Sache, wir jagen gerne.“
„Die Jagd ist auch verboten.“ stellte der Bärtige fest.
„Ach, Ingo,“ lächelte Zandorra, „freilich ist sie verboten. Aber wenn man sich nicht erwischen lässt....“
„Nun, jedenfalls hatten wir einen Rehbock erlegt. Wir ritten zurück zum Zirkuslager, hörten aber plötzlich einen furchtbaren Knall! Es war die Kanone des Königs, mit der er auf das Lager geschossen hatte. René und Salvatore wurden verletzt und Ronald getötet. Wir konnten es aus den Felsen beobachten, wir hatten uns nach dem Knall vorsichtig näher geschlichen. Ich weiß nicht, wie der König vom Lager erfahren konnte, es war sehr gut geschützt zwischen den Felsen am Wasserfall.“
„Die Soldaten sagten etwas von einem Verräter!“ rief Zita dazwischen.
Zandorra blickte das Mädchen an.
„Du bist Zita, nicht wahr?“ fragte er . Zita nickte.
„Gehörst du zum Zirkus? Wo warst du während des Überfalls?“ fragte Zandorra weiter.
„Carlito und ich sind spazieren geritten. Ich kann nicht den ganzen Tag faulenzen. Ich reite zu gerne.“
„Zita ist Reitkünstlerin und es gibt niemanden, der besser reiten kann, als sie!“ rief Carlito dazwischen und stopfte den Rest der Aprikose in den Mund.
„Oh, da hast du ja einen feschen, kleinen Bewunderer, junge Dame.“ lachte Zandorra.
„Ist das dein Bruder?“
„Aber nein,“ Zita schüttelte wild die schwarzen Locken. „Er kommt aus Janten, aber er wohnt bei Madam Konradi im Kinderarmenhaus. Seine Eltern wurden vom König fortgebracht. Er und seine Geschwister wohnen im Heim.“
„Und weil es mir dort gar nicht gefällt, bin ich zu Zita in den Zirkus gegangen!“ rief Carlito.
Zandorra musterte den Kleinen mitleidig. Er hatte schon von Madam Konradi gehört: sie war die Vorsteherin des Kinderarmenhauses, einer Einrichtung des Königs, wo verwaiste oder streunende Kinder hingebracht wurden. Sie lernten unter strengem Regiment Lesen, Schreiben und Rechnen, mussten mit den Waffen üben und immer wieder dem König Gehorsam schwören. Die Strafen bei Ungehorsam, Faulheit oder sogar bei offen gezeigtem Heimweh oder Traurigkeit waren sehr hart, von Prügeln zu Essverbot und sogar Tageshaft. Die Kinder allesamt waren verängstigt und unglücklich. Nur wenigen gelang die Flucht aus dem Heim. Offenbar war Carlito einer der Glücklichen, die abhauen konnten.
„Wie hast du es geschafft, dort fortzukommen?“ fragte Zandorra erstaunt.
„Mit Zita´s Hilfe.“ antwortete Carlito.
„Nun, auf jeden Fall hast du es geschafft. Wenn ihr wollt, könnt ihr in den Blauen Bergen bleiben. Allerdings haben auch wir einige Regeln zu beachten. Es ist nun mal so, wenn viele Menschen zusammen an einem Ort leben.“ Zandorra blickte sie fragend an.
„Ja, wir bleiben hier.“ nickte Milo zustimmend.
„Wir haben ja auch keinen Ort, wo wir hinkönnen.“ wandte Zita ernst ein.
„Mann, ich wohne bei den Rebellen!“ jubelte Carlito begeistert. „Warum befreien wir nicht die anderen Kinder aus dem Heim? Sie würden gerne hier leben, viel lieber als mit Madam Konradi!“
„Tja, das ist nicht so einfach, wie du dir das vorstellst, junger Mann.“ antwortete der Rebellenführer und setzte sich wieder auf die Tischkante. „Kent,“ wandte er sich an einen weißblonden jungen Mann, der auf der Bank saß. „Kent, lauf schnell hinüber zu Bernard und frage ihn, welche Zimmer oder Häuser noch frei sind. Milo und Tankred werden zusammen bleiben, oder?“
Die beiden Artisten nickten.
„Gut...“ bevor Zandorra weiter sprechen konnte, rief Zita dazwischen:
„Und Carlito und ich bleiben auch zusammen! Ich werde auf ihn aufpassen!“
„Aber nur unter der Bedingung, dass ihr ein Zimmer neben Rebecca bekommt.“ stimmte Zandorra zu. „Rebecca kann sehr gut mit Kindern umgehen. Sie war früher mal eine Kinderfrau bei einem Fürsten. Zu ihr könnt ihr dann jederzeit gehen, wenn etwas sein sollte.“
Kent stand auf und ging davon.
„Dort drüben...“ Zandorra zeigte auf einen großen Eingang im Felsen, der offenbar zu einem riesigen Gang führte, „dort drüben hängte eine Liste mit den nötigsten Regeln. Lest sie euch durch. Dort in dem Gang könnt ihr euch auch zu essen holen. Aber jeder hat hier eine Aufgabe, das muss so sein, da wir kein Geld haben und es auch nicht oft wagen, irgendwo etwas offen zu kaufen. Ich werde euch eure Aufgaben heute Abend nach dem Essen erklären.“
„Bekommen wir auch eine Aufgabe?“ fragte Carlito neugierig.
„Natürlich.“ nickte Zandorra ernst. „Du und Zita, ihr habe die Aufgabe, euch jeden Morgen drei Stunden unterrichten zu lassen.“
„Unterricht? Wofür denn das?“ fragte Zita und krauste die Nase.
„Damit ihr Rechnen, Lesen und Schreiben lernt. Und natürlich auch Selbstverteidigung. Wir haben hier in der Felsenburg einige Fachmänner, die euch alles beibringen können.“
„Naja, das klingt ja recht langweilig.“ murmelte Zita. „Dürfen wir auch reiten?“
„Ja, natürlich.“ lächelte Zandorra. „Die Pferde sind in einer Felsenschlucht untergebracht.“
„Nicht in einem Stall?“ fragte Zita erstaunt.
„Nein, sie leben frei in der Schlucht. Später zeige ich sie dir mal. Doch jetzt muss ich noch etwas mit Rolf und Ingo besprechen, ihr könnt euch inzwischen umsehen.“
Zandorra wandte sich um und musterte nachdenklich die Karte auf dem Tisch.
„Wir kennen die Gegend sehr gut, können wir euch helfen?“ fragte Milo zögernd. Zandorra wandte sich zu ihm.
„Kannst Du auch Karten lesen?“ fragte er. „Kennst du das Arbeitslager bei Stade?“
„Oh ja,“ antwortete Milo grimmig. „Dorthin sollen unsere Leute gebracht werden. Es ist das härteste Arbeitslager des Landes.“
„Ja, hab ich auch schon gehört.“ seufzte Zandorra. „Rolf, Milo, schaut einmal her...“ er winkte den beiden Männern zu, die sich über die Karte beugten.


Zita und Ulf

Inzwischen war es Zita zu langweilig. Sie hatte die Regeln kurz angeschaut und festgestellt, dass das Lesen ihr viel zu anstrengend war. So nahm sie Carlito bei der Hand und ging den Pfad hinab.
„Wo laufen wir hin?“ fragte Carlito neugierig.
„Wir fragen, wo die Schlucht mit den Pferden ist. Dorthin gehen wir dann und sehen uns mal an, was die Rebellen für Pferde haben.“ sagte Zita vergnügt und blinzelte in die Sonne.
Gleich darauf trafen sie auf eine Horde Jugendlicher, die zwischen einigen höheren Felsen herumlungerten und selbstgedrehte Zigaretten qualmten. Einer der Jugendlichen stand auf und versperrte ihnen den Weg.
„Wohin wollt ihr denn?“ fragte er und musterte die beiden. „Pfui, ihr seid Zigeuner. Ich finde es immer wieder widerlich, dass Zandorra auch dieses Pack hier wohnen lässt.“ Er spuckte aus.
„Wir sind Zirkusartisten, keine Zigeuner.“ verbesserte Zita ihn und reckte ihr Kinn trotzig vor.
„Kommt aufs selbe raus.“ Der Junge warf verächtlich seine Zigarette hinter sich. „Also, wohin wollt ihr? Ihr seid neu hier, nicht wahr?“
„Ja, und ich glaube kaum, dass es Dich etwas angeht, wohin wir gehen.“ antwortete Zita frech.
„Ich glaube aber schon, dies hier ist mein Revier. Los, schick den Kleinen weg, dann werde ich dir zeigen, wie das hier in der Felsenburg zugeht.“ Er grinste höhnisch.
„Ich will bei Dir bleiben.“ flüsterte Carlito Zita zu. Die drückte beruhigend seine Hand.
„Warum muss der Kleine fort? Er gehört zu mir.“ bestimmte sie mit fester Stimme.
„Komm, Ulf, lass das Pack gehen! Du kriegst nur Ärger!“ reif ein blasser, blonder Junge vom Felsen her.
„Außerdem wird dein Bier schal, wenn du es nicht bald trinkst. Es ist zu heiß!“
Der Junge, der mit Ulf angeredet wurde, blickte sich kurz um.
„Ich will aber nicht, dass sie diesen Weg weitergehen. Es ist unser Weg.“ erklärte er stur.
„Wenn es hier entlang zur Pferdeschlucht geht, wirst Du mich nicht zurückhalten können.“ sagte Zita mit warnendem Unterton.
„Das werden wir ja sehen.“ Ulf musterte sie verächtlich. „Ich glaube, Britt und Brenda, ihr nehmt euch kurz dem Kleinen mal an, ich werde seiner Freundin unsere Regeln beibringen.“
Sofort sprangen zwei junge Mädchen von den Felsen.
„Komm mit, Kleiner, wir zeigen Dir eine Höhle.“ Brenda, groß, schlank mit langen, dunkelbraunem, glatten Haar nahm Carlito am Arm und zog ihn von Zita fort.
„Lass mich, ich will nicht!“ rief er und schlug um sich.
„Bringt ihn zu Rebecca, sie soll sich seiner annehmen.“ Befahl Ulf und die Mädchen nahmen Carlito in die Mitte, packten seine Ärmchen, damit er nicht mehr um sich schlagen konnte und zerrten ihn davon. Zita wollte hinterher, doch Ulf stellte ihr ein Bein, so dass sie lang hinschlug.
Noch bevor sie sich wieder erheben konnte, warfen sich drei Jungs auf sie und hielten sie am Boden fest.
„Was wollt ihr? Laßt Carlito in Ruhe!“ Zita wehrte sich wie eine Wildkatze und ihre schwarzen Augen funkelten wütend.
„Wir zeigen Dir, wer hier das Sagen hat in der Felsenburg.“ höhnte Ulf. „du wirst dich daran halten, ist das klar?“
„Das Sagen hat hier wohl Sascha Zandorra und er wird bestimmt nicht mit eurem Benehmen einverstanden sein!“ rief Zita wild und versuchte, einen der Jungen in die Hand zu beißen.
„Verdammt, sie ist ganz schön wendig! Wir werden sie fesseln müssen.“ fluchte ein rothaariger Junge. Er zog einen Strick aus seiner Tasche und band ihn dem Mädchen um die Handgelenke.
„An deiner Stelle würde ich Ruhe halten, sonst könnte es etwas schmerzhaft werden!“ warnte Ulf mit böser Stimme und gab ihr eine Ohrfeige. Zita spuckte ihn zornig an. Ulf wurde feuerrot im Gesicht, wischte sich angewidert die Spucke weg und hob die Hand, um Zita zu schlagen. Doch plötzlich wurde seine Hand fest umklammert. Er fuhr herum und auch die anderen Jungs ließen von Zita ab und standen langsam auf. Jetzt konnte Zita den Rebellenführer erkennen, der noch immer Ulf´s Hand umklammert hielt.
„Ich weiß nicht, was das hier soll, doch bin ich dagegen, dass drei Jungs sich auf ein Mädchen werfen und dieses misshandeln.“ Die Stimme des Mannes klang scharf und er blickte mit funkelnden Augen auf die Jungen. „Ulf, Dirk und Taylor, schämt ihr euch nicht? Geht sofort in eure Räume, ich werde später nochmals mit euch reden.“
Er ließ Ulf los und die Jungs verschwanden so schnell sie konnten. Zandorra hielt dem Zirkusmädchen die Hand hin.
„Komm, steh auf, Zita. Bist du verletzt?“
„Nein, Sir.“ Zita erhob sich und schüttelte die schwarzen Locken. „Wer war das denn? Empfangen die Fremde immer so?“
„Das waren Ulf und seine Freunde.“ Zandorra seufzte. „Sie sind in einem ungünstigen Alter und langweilen sich. Ich glaube nicht, dass sie dir ernsthaft weh tun wollten. Sie wollen sich nur wichtig machen. Wo ist dein kleiner Freund?“
„Zwei Mädchen haben ihn zu Rebecca gebracht.“ antwortete Zita. „Führt dieser Pfad zu den Pferden?“
„Ja, da wollte ich auch gerade hin.“ lächelte der Rebell. „Komm mit, ich muss nochmals zum Fluss runter, kannst mitkommen, wenn du willst“
„Auja, Sir!“ jubelte Zita. „Haben Eure Männer unsere Pferde auch in die Schlucht gebracht?“
„Sicher.“ nickte Zandorra und umrundete einen hohen Bergkamm. Dann blieb er stehen und zeigte nach vorn.
„Schau, hier leben unsere Pferde.“
Zita bekam große Augen. Zwischen den Felsen lag hier eine Schlucht, deren Grund voller saftigem Gras stand. Ein schmaler Pfad führte hinunter und dort unten weideten unzählige Pferde. Die Sonne stand bereits zu tief, um den Grund der Schlucht zu erreichen. Ein kleiner Bach schlängelte sich durch das Gras und fiel als kleiner Wasserfall weit hinten die Felsen wieder hinab. Ein paar offene Holzbauten standen verstreut herum, sie dienten als Unterschlupf für die Pferde bei Regen oder zu starkem Sonnenlicht.
„Hier möchte ich ein Pferd sein.“ flüsterte Zita begeistert.
„Gefällt es Dir?“ lächelte Zandorra und stieß einen Pfiff aus. „Und hier darf ich Dir meinen Sultan vorstellen.“
Ein schneeweißer Hengst riss bei dem Pfiff seinen Kopf hoch, keilte aus und galoppierte dann zu dem Mann, der ihm eine Mohrrübe fütterte.
„Ist der aber schön!“ Zita strich dem Tier ehrfürchtig über die samtigen Nüstern.
„Er ist ein Prachtpferd.“ bestätigte sie dann nochmals.
Zandorra lachte und holte aus seiner Hütte, die h inter ihnen dicht am Felsen gebaut war, Sattel und Zaumzeug hervor.
„Er hat nur den Nachteil, dass niemand außer mir auf ihm reiten darf.“ erklärte er. „Ich habe ihn schon einige Jahre lang und er ist fast so treu wie ein Hund.“
„Ich wette, dass er mich reiten lassen würde.“ sagte Zita herausfordernd.
„Nein, Zita, das probieren wir lieber nicht aus.“ Zandorra stieg auf sein Pferd. „Es ist mir zu gefährlich, auch wenn du Reitkünstlerin bis. Hast du dein Pferd schon gefunden? Wir müssen los, sonst wird es dunkel, bevor wir unten sind.“
Zita pfiff schrill und schon trabte ein goldfarbener Hengst heran, schmiegte seinen großen Kopf an die Schulter des Mädchens und schnaubte leise. Zita flüsterte kurz mit ihm, kraulte Nüstern und Ohren und sprang auf den Rücken des Tieres.
„Nimmst du keinen Sattel?“ fragte Zandorra.
„Nein, brauch ich nicht. Los geht´s! Reitet Ihr voran?“ Zita ließ ihr Pferd übermütig hochsteigen. Zandorra lenkte seinen Schimmel den schmalen Pfad hinauf.
Zita blieb dicht hinter ihm. Am Tor winkte der Rebell dem Torwächter zu.
„Öffne und halte dich bereit. Wir sind bald wieder zurück.“ Der Wächter nickte und schob das schwere, riesige Tor zur Seite. Die beiden Reiter lenkten ihre Pferde hindurch und vorsichtig den steilen Weg zwischen den Felsen hindurch.
„Es ist schön hier. Man kann so weit sehen.“ stellte Zita zufrieden fest.
„Ja, daher ist es ein ideales Versteck. Im Winter bei Schnee ist es allerdings etwas schwierig, den Weg hinauf zu kommen und auch in der Burg haben wir mit Lawinen, Eis und Schnee zu kämpfen. Aber die Soldaten können hier nicht unbemerkt eindringen. Sie kennen nur diesen Weg zu unserer Burg und der ist gut überschaubar.“
Zandorra lenkte seinen Schimmel um die letzte Felsengruppe, dann standen sie zwischen ein paar schattenspendenden Bäumen. Vor ihnen lag eine Wiese mit einer großen Obstplantage. Weiter hinten begann der Wald, jetzt, wo die Sonne am untergehen war, sah er dunkel und bedrohlich aus. Davor schlängelte sich als silbernes Band der Fluss.
Zandorra spähte aufmerksam zum Wald hinüber.
„Im Wald könnten sich Soldaten leicht verstecken.“ flüsterte Zita unruhig.
„Im Wald verstecken sich aber auch Rebellen, die als Wachposten Alarm geben, wenn Soldaten den Wald betreten.“ erwiderte Zandorra kurz.
Er ritt langsam aus dem Schatten der Bäume heraus und lenkte sein Pferd durch die Obstplantage. Zita folgte ihm und pflückte im Vorbeireiten ein paar Äpfel.
Sie erreichten den Fluss, der leise plätschernd mit rascher Strömung dahin floss. Zandorra stieg vom Pferd, das sofort den Kopf senkte und trank.
„Steig ab, Zita. Hab keine Angst, hier sind keine Soldaten.“ forderte Zandorra das Zirkusmädchen auf. Zita sprang hinunter.
„Woher wisst Ihr das?“ fragte sie und starrte wieder zum dunklen Wald hinüber.
„Weil Rebellen hier Wache halten.“ Zandorra pfiff zweimal kurz. Gleich darauf erschienen zwei Männer, grün und braun gekleidet, wie die, die Zita und ihre Freunde in die Burg gebracht hatten, aus dem Dunkel des Waldes.
„Hallo, Sascha! Kommst Du rüber oder sollen wir zu dir rüberkommen?“ rief der größere der beiden, ein kräftiger, großer Mann mit dichtem Schnauzbart.
„Heute seid ihr dran, Gregor, außerdem bin ich in Begleitung!“ rief Zandorra zurück.
Die beiden Männer zerrten ein Floß aus dem Gestrüpp am Ufer des Flusses und sprangen hinauf. Sie ruderten heftig und doch trieben sie einige Meter weit ab. Zandorra half ihnen, das Floß zu verstauen und ans Ufer zu gelangen.
„Zita, das sind Gregor Hinnes und Leander Swend. Sie sind mit noch fünf Männern im Wald verteilt und passen auf. Leute, das ist Zita, ein Zirkusmädchen, das heute mit zwei Zirkusartisten und einem kleinen Jungen zu uns gestoßen ist.“
Die Männer nickten Zita freundlich zu und wandten sich dann an den Rebellenführer:
„Vor etwa zwei Stunden ist ein Trupp Soldaten durch den Wald geritten. Sie waren bis an die Zähne bewaffnet und führten eine Gruppe Zirkusleute als Gefangene mit.“
„Bestimmt waren das meine Leute und sie bringen sie jetzt ins Arbeitslager!“ rief Zita bestürzt dazwischen.
„Das kann schon sein, sie ritten Richtung Stade. Allerdings liegen in dieser Richtung auch Urntal und Janten.“ Meinte Leander Swent mit einer leisen, für einen Mann ziemlich hellen Stimme. Zandorra rieb sich das Kinn.
„Wie schnell kamen sie voran?“ fragte er.
„Nun, die Zirkusleute mussten laufen und hatten kleine Kinder dabei. Sie können also nicht allzu schnell vorwärts kommen und müssen auch immer wieder Pausen machen.“ Antwortete Gregor und pflückte sich einen Apfel vom Baum.
„Gut, dann haben wir noch Zeit, uns einen Plan einfallen zu lassen. War sonst noch etwas Besonderes? Wie geht es Henry?“
„Wieder besser. Er ist in der Hütte bei der alten Kendra. Sie wird ihn wieder gesund pflegen. Sonst war alles ruhig. Ich rechne auch nicht mit etwas Schlimmen.“ Gregor biss herzhaft in seinen Apfel und lehnte sich an den Baumstamm.
„Gut.“ Zandorra legte seine Hand auf Gregor´s Schulter. „Seid trotzdem wachsam. Meistens passiert etwas, wenn man gar nicht darauf gefasst ist. Und grüßt die alte Kendra von mir, sie soll Henry nicht allzu quälen mit ihrer fürchterlichen Arznei.“ Er lächelte und stieg auf seinen Schimmel. Gregor und Leander holten das Floß hervor und sprangen hinauf.
„Lass es uns wissen, wenn Du die Zirkusleute befreien willst. Du wirst jede Hilfe brauchen!“ rief Leander, während sie kräftig gegen den Strom ruderten.
„In Ordnung, wann kommt eure Ablösung?“ fragte Zandorra noch.
„Um Mitternacht, es sind Stan, Kilroy, Olli und Webster!“
Zandorra nickte kurz und lenkte seinen Schimmel wieder durch die Obstplantage zur Felsenburg. Zita ritt dicht hinter ihm.
„Wie viele waren es in eurem Zirkuslager?“ fragte Zandorra und zügelte sein Pferd, um neben Zita zu reiten.
„Naja, ich denke so an die dreißig Leute, fragt am besten Milo, der weiß es genau.“ Antwortete Zita und schaute ihn mit leuchtenden, schwarzen Augen an.
„Ich möchte dabei sein, wenn Ihr meine Leute befreit!“
„Aber Zita, das ist nichts für Dich!“ Zandorra lachte. „Schließlich ist das kein Spiel!“
Zita zog eine Grimasse und richtete sich auf.
„Aber ich kann Euch helfen, Sir,“ versicherte sie eifrig. „Ich bin doch eine Reitkünstlerin. Bestimmt könnt Ihr mich gut gebrauchen!“
„Milo und Tankred sind doch auch Artisten, oder etwa nicht? Und sie sind erwachsene Männer, Zita. Und außerdem brauche ich erst einmal eine Idee, was wir am besten unternehmen könnten, um die Zirkusleute zu befreien.“ Zandorra runzelte die Stirn.
Zita stieß einen tiefen Seufzer aus und schwieg. Sie erreichten den schmalen Pfad, der recht steil zur Felsenburg führte und ritten hintereinander. Inzwischen war es auch dämmrig geworden und im Westen glühte der Himmel vom Sonnenuntergang.
Zandorra brauchte nicht am Tor zu klopfen, der Wächter sah und erkannte ihn und öffnete den schweren Flügel. So ritten sie gleich durch und über den Marktplatz, der jetzt ruhig im Abendlicht dalag. Nur wenige Menschen hielten sich noch hier auf. Sie ritten im Schritt zur Schlucht, stiegen von den Pferden und führten die Tiere in den Holzverschlag, wo sie sie absattelten und trockenrieben.
„Sagt Ihr mir wenigstens Bescheid, wann Ihr die Zirkusleute befreit?“ fragte Zita beiläufig.
„Also, gut, wenn Du es so gerne möchtest, werde ich Dich informieren.“ lächelte Zandorra und entließ seinen Schimmel in die Schlucht. Auch Zita ließ ihren Fabian laufen und gemeinsam trotteten sie zur großen Höhle.
„Ich habe Hunger, meint Ihr, wir bekommen noch etwas zu essen?“ fragte Zita und legte eine Hand auf ihren Bauch.
„Aber ja. Die dicke Babsi hat sicher etwas für uns.“ versicherte Zandorra ihr.
„Und Carlito? Meint Ihr, er hat schon etwas gegessen?“ fragte Zita weiter.
„Bestimmt.“ Nickte Zandorra. „Er wird mit den anderen Kindern gegessen haben, die ohne Eltern hier sind. Rebecca, Brenda und die anderen Frauen kümmern sich um sie. Normalerweise isst Du auch mit ihnen.“
Zita schaute ihn erstaunt an.
„Die Kinder, die ohne Eltern hier sind? Sind es denn viele und warum ohne Eltern?“
„Ach Zita, Du kannst fragen.“ seufzte Zandorra. Er öffnete die Tür zur großen Höhle und sie traten ein.
„Natürlich sind es viele. Der König hat während seiner Terrorherrschaft viele Opfer gefordert. Und er nahm niemals Rücksicht, ob die Opfer Frauen oder Männer waren und ob sie Kinder hatten oder nicht. Und die Kinder, die eben zu Waisen wurden oder deren Eltern zu den Soldaten eingezogen worden sind wurden zu Madame Konradi gestickt, wo auch dein kleiner Freund war. Manchmal ist es mir gelungen, so einen `Kindertransport´ aufzulauern und die Kinder zu mir zu holen Hier werden sie auch unterrichtet und erzogen, aber sie haben wesentlich mehr Freiheit und vor allem keine sauertöpfische, ungeduldige Lehrerin, sondern eben Brenda und ihre Freundinnen, die sich sehr liebevoll der Kinder annehmen.“
„Warum habe ich nur das Gefühl, dass Ihr es mir unbedingt schmackhaft machen wollt, bei den Kindern zu bleiben?“ murmelte Zita mürrisch.
Sie erreichten die Küche und traten ein. Zandorra gab Zita einen Klaps auf die Schulter.
„Wart es ab, es wird auch Dir gefallen. Hallo, Babsi, habt Ihr noch etwas zu essen für zwei hungernde Rebellen?“ rief er einer sehr dicken, aber äußerst liebevoll und gemütlich aussehenden Frau mit roten Bäckchen zu, die sofort eifrig nickte.
„Klar, Sir, für Euch doch immer! Ich weiß doch, dass Ihr oft spät abends noch fort seid und dann hungrig wiederkommt!“ zwitscherte sie mit heller Stimme, während sie Teller, Besteck und Becher auf den Küchentisch stellte. „Hallo, kleines Fräulein,“ wandte sie sich an Zita. „Habt Ihr heute ausreiten dürfen mit unserem Rebellenführer. Was für ein Glück für Euch.“
Zita starrte die dicke Babsi verdutzt an. Noch nie in ihrem Leben wurde sie für ein `kleines Fräulein´ gehalten! Zandorra lachte leise.
„Babsi, Ihr könnt Du zu Zita sagen, ich glaube, das würde ihr besser gefallen. Ich habe sie von Ulf Handel weggeholt. Er hat wieder einmal gemeint, er muss den großen Boss spielen.“
Babsi seufzte übertrieben auf, stellte Brot, Butter, Wurst, Käse, Eier und Schinken auf den Tisch und verteilte die Messer. Dann füllte sie Milch in die Becher.
„Ulf Handel! Den Jungen hat uns der Teufel geschickt! Nichts als Ärger, seit er laufen kann!“
„Ich werde ihn mir nachher mal vorknöpfen.“ versprach Zandorra und belegte sein Brot mit Schinken. „So kann es nicht weitergehen.“
Noch während sie aßen, öffnete sich die Küchentür und der große, bärtige Mann, der Milo, Tankred, Zita und Carlito hergebracht hatte, trat ein. Ihm folgte Rolf, den Zita bereits beim Empfang kennen gelernt hatte.
„Hier bist Du, hätte ich mir denken können.“ brummte der Bärtige.
„Hallo, Ingo, hallo, Rolf.“ grüßte Zandorra mit vollem Mund. „Wir waren unten bei Leander und Gregor. Ihr wusstet doch, dass ich nochmals zu ihnen reite.“
„Jaja, gibt es etwas Neues?“ fragte Ingo mit seiner tiefen Stimme.
„Soldaten sind durch den Wald gezogen mit einem Trupp Zirkusleute als Gefangene. Ich denke, sie bringen sie nach Stade ins Arbeitslager. Wir müssen überlegen, was wir unternehmen können. Kommt nachher in mein Zimmer, wir werden uns einen Plan ausdenken und bringt Milo und Tankred, die beiden Zirkusmänner mit. Achja, und Hannes, Josh und Randolph möchte ich auch dabei haben.“
Der Bärtige brummte etwas und verließ die Küche. Rolf setzte sich jedoch auf einen freien Stuhl am Tisch. Er musterte Zandorra nachdenklich.
„Was ist jetzt mit Stacey und ihrem Sohn?“ fragte er.
„Wir hatten das doch heute Mittag besprochen,“ antwortete Zandorra und schluckte einen Bissen herunter. „Das läuft diese Nacht, wie gehabt. Die Soldaten mit den Zirkusleuten kommen sehr langsam vor, vielleicht schaffen wir es noch, sie auch in dieser Nacht zu befreien, ansonsten in der nächsten.“
„Soso, und wann willst Du mal schlafen?“ fragte Rolf und runzelte die Stirn. „Sascha, so geht es bereits seit zwei Nächten: Vorletzte Nacht hast Du die Krämers-Familie gerettet und geholfen, das Feuer zu löschen, letzte Nacht war der Überfall, bei dem Henry verletzt wurde und du ebenfalls geholt wurdest, diese Nacht willst Du Stacey befreien und nächste die Zirkusleute. Und da Du am Tag ja auch nicht zum Schlafen kommst, erklär mir bitte, wie Du das durchhalten willst?“
Zandorra seufzte tief auf und schob seinen Stuhl zurück.
„Ganz einfach, Rolf, ich werde mich jetzt hinlegen. Es ist noch früh am Abend und bis Ingo die Männer zusammen hat, dauert es bestimmt noch eine Stunde. Bereitet alles vor, und weckt mich dann. Aber nicht später als in zwei Stunden, sonst schaffen wir es nicht, nach Stade zu reiten und Stacey zu befreien. Besser wäre es,...“ er rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ja, besser, Du weckst mich in einer Stunde. Es wird sonst zu knapp.“
„Aber Sascha,“ begann Rolf, winkte dann jedoch seufzend ab. „Es ist ohnehin nutzlos, wenn ich etwas sage. Du hörst ja doch nicht zu. Okay, ich weck Dich, jetzt mach, dass Du ins Bett kommst!“ Zandorra grinste und verließ die Küche.
„Es stimmt schon, erkommt weder zum Schlafen, noch zum ordentlichen Essen.“ Brummte die dicke Babsi und räumte die Teller in die Spüle. Zita lauschte und machte sich ganz klein, um nicht aufzufallen und vielleicht hinausgeschickt zu werden.
„Er hat in letzter Zeit nur einen raschen Imbiss hier in der Küche eingenommen.“ teilte die Köchin Rolf mit.
„Ich weiß, er bräuchte mal einen Tag und eine Nacht totale Ruhe, aber mach das diesem Kerl mal klar. Er hält sich für unheimlich hart im Nehmen und meint, er hat es nicht nötig, zu schlafen! Naja, ich werde mich mal aufmachen und alles für nachher vorbereiten.“ Rolf erhob sich. Babsi schaute ihn nachdenklich an.
„Ich denke, dass auch Du und Ingo Schlaf nötig hättet.“ stellte sie fest.
„Bei uns ist das nicht so wild,“ lachte Rolf. „Den Überfall haben wir verschlafen, bei so etwas wird immer nur Sascha geweckt. Und wir können uns vor allem auch mal tagsüber hinlegen, wenn wir müde sind. Aber er nicht. Den ganzen Tag will jemand etwas von ihm oder er muss Streit schlichten oder Einkäufe zusammenstellen und Leute auswählen, die verschiedene Arbeiten verrichten oder Wasche halten sollen. Wir nehmen ihm schon soviel ab wie möglich, nicht nur Ingo und ich, sondern auch die anderen Männer und sogar Tafny, Julchen und Daphne, aber das meiste bleibt doch an ihm hängen.“
Rolf winkte kurz und ging hinaus.
„Julchen? Tafny? Daphne?“ fragte Zita leise. „Dürfen denn auch Frauen mit, wenn sie ausreiten, um jemanden zu befreien?“
„Nein, für diese gefährlichen Dinge nicht, aber für Einkäufe in Janten zu erledigen oder zur Mühle oder zur Krämerei oder einfach auf Spionageritten, da schickt er schon mal Julchen oder Tafny. Die sind auch dafür wie geschaffen. Du musst sie kennen lernen. Ich denke, sie dürften prima zu Dir passen.“ Die dicke Babsi musterte Zita und lachte leise.
„Gut, das zu wissen, ich werde mir die beiden mal anschauen.“ grinste Zita. „Jetzt muss ich gehen, ich will doch den Abgang der Männer zur Befreiung dieser Stacey nicht verpassen.“ Sie zögerte kurz. „Wer ist Stacey?“ fragte sie dann zögernd.
„Och, Stacey ist ein armes Luder,“ erklärte Babsi, „Ihre Eltern wurden von König Wolfram hingerichtet, da sie Sascha Zandorra´s Bruder als Patenonkel für ihre Tochter nahmen. Eine Amme konnte mit Stacey fliehen, sie war damals noch ein junges Mädchen. Sie hielten sich versteckt, als das Massaker mit den Zandorras passierte. Viel später erst entdeckten die Soldaten Stacey durch Zufall. Sie hatte geheiratet und ihr Mann arbeitete beim Sattler. Als König Wolfram erfuhr, dass ein Patenkind eines Zandorra´s noch lebte, ließ er die Sattlerei niederbrennen und alle Menschen erschlagen. Bis heute weiß niemand, warum der König diesen Hass auf alle Zandorras hat. Stacey konnte schwerverletzt fliehen. Eine alte Zigeunerin fand sie im Wald und pflegte sie gesund. Stacey gebar dort auch ihren Sohn, dann brachte die Zigeunerin die beiden hier in die Felsenburg. Doch vor kurzem war Stacey, ihr Sohn und drei weitere Frauen im Maisfeld unten am Fluss, als sie von Soldaten überfallen und gefangen genommen wurden. Anscheinend wissen die Soldaten nicht, wer Stacey ist, darum muss sie befreit werden, bevor König Wolfram von ihrer Festnahme erfährt.“ Babsi seufzte.
„Er wird sie töten lassen, nicht wahr?“ Es war mehr eine Feststellung, als eine Frage von Zita. „Der König ist grausam. Warum ist er nur König?“
„Er hat Soldaten aus dem Norden auf seiner Seite.“ Wusste Babsi zu berichten. „Die sind so brutal, da wagte es niemand, sich gegen ihn zu stellen.“
„Außer Sascha Zandorra!“ rief Zita und sprang auf. „Und wir müssen ihn alle kräftig unterstützen! Sein Kampf ist unser Kampf!“
„Aber Kind, was sind das für Wort für ein so junges Mädchen.“ Tadelte Babsi gutmütig.
„Wahre Worte!“ rief die übermütige Zita und rannte aus der Küche. Kopfschüttelnd räumte Babsi den Tisch ab.
Zita dachte kurz nach. Dann lief sie den Flur entlang, raus aus der Felsenburg und quer über den Marktplatz. Da es nun schon recht spät war und die Sonne nur noch als goldener Streifen im Westen zu sehen war, lag der Platz ruhig und still vor ihr. Zita trottete weiter, langsamer jetzt und wachsamer, denn gleich kam sie an die Stelle, an der Ulf und seine Freunde sie überfallen hatten. Aber auch hier war alles ruhig. Ob Zandorra mit Ulf gesprochen hatte? Hoffentlich hat er ihm gehörig die Meinung gesagt, dachte das Zirkusmädchen wütend.
Sie erreichte die Schlucht, hüpfte den Pfad hinunter und schlüpfte durch den Zaun. Dann suchte sie die Heuraufe, in der immer frisches Heu für die Pferde bereit stand. Ein paar Tiere standen dösend vor der Raufe und wichen erschrocken zurück, als Zita erschien.
„Still, ich tu euch nichts. Ich schlaf nur besser bei euch Pferden, als in einem Bett. Ihr habt ja wohl nichts dagegen, dass ich es mir in eurem Heu gemütlich mache. Dafür bringe ich euch morgen Äpfel, ich kenne einen Ort, da wachsen ganz viele.“
Während sie so auf die Pferde einsprach, kuschelte sie sich gemütlich ins Heu. Die Pferde näherten sich neugierig und Zita strich jedem von ihnen sanft über die Nüstern. Dann schlief sie irgendwann ein. Die Pferde standen herum, dösten wieder und es schien, als wäre es überhaupt nichts besonderes, wenn plötzlich ein Mädchen im Heu schlief.


Die Befreiung

„Hannes, Josh, Randolph, Milo, Tankred, Rolf und ich, dazu Sascha selber,“ zählte Ingo auf, als die Männer zusammen an der Küchentür standen und ihre Proviantpäckchen entgegennahmen. „Wir werden noch mehr Männer brauchen für Sascha´s Plan. Wir acht werden es niemals schaffen, Stacey aus Stade zu befreien.“
„Sascha wird schon wissen, was er tut.“ Meinte Hannes, ein großer, kräftiger Mann mit blonder Stoppelfrisur über einem gerötetem Gesicht.
„Ich werde ihn jetzt wecken, wir sind schon längst über der Zeit.“ Verkündete Rolf und wandte sich ab.
„Warum nimmt er Kilroy und Webster nicht mit?“ fragte Ingo verdrossen.
„Die beiden haben ab Mitternacht Wache im Wald.“ Erklärte Josh.
„Aber es gibt auch noch andere Männer im Lager.“ Widersprach Ingo.
„Wenn Sascha meint, er braucht nicht mehr, wird er wohl wissen, warum.“ Meinte Hannes kurz. Sie warteten schweigend.
Rolf klopfte nur kurz an Zandorra´s Tür und trat dann ein. Der Rebellenführer lag schlafend auf seinem Bett. Rolf zögerte kurz, dann berührte er ihn an der Schulter.
„Sascha, wach auf, wir sind soweit.“
Zandorra blinzelte und rieb sich dann mit beiden Händen über das Gesicht.
„Danke, Rolf. Seid ihr fertig? Habt ihr für jeden etwas Proviant eingepackt? Ich weiß nicht, wann wir wieder da sind.“ Er setzte sich auf, schwang die Beine aus dem Bett und ging zu einer alten, großen Holztruhe. Nachdem er kurz herumgekramt hatte, kam er ans Bett und zog sich frische Strümpfe an, schlüpfte dann in seine Stiefel und zog ein weißes Hemd mit weiten Ärmeln über. Er stand auf, band sich die schwarze Schärpe um die Taille und verstaute sein Messer darin. Während Zandorra seinen Rucksack packte, wandte er sich an Rolf:
„Was haben wir an Waffen dabei? Wir können keine Pistolen oder Gewehre mitnehmen, sie sind zu laut.“
„Jeder hat seinen Degen und zwei Messer. Ingo und Josh haben ihre Peitschen dabei.“
Rolf nahm den Rucksack des Rebellenführers an sich, während Zandorra sich noch einen nachtblauen Umhang über die Schultern warf.
Leise gingen sie hinunter zum Küchentrakt, wo die anderen Männer warteten.
„Alles bereit?“ fragte Zandorra leise. Die Männer nickten und murmelten zustimmend.
„Gut, auf zu den Pferden. Wisst ihr, was zu tun ist, wenn wir in Stade angekommen sind?“
„Ja, Rolf und Ingo haben uns in euren Plan eingeweiht.“ Antwortete Hannes.
Leise huschten sie durch die Burg und über den Marktplatz. Sie erreichten die Schlucht und Zandorra pfiff seinem Hengst. Der Schimmel warf seinen herrlichen Kopf herum und galoppierte heran. Ihm folgten ein paar andere Pferde und als Tankred seinem Pferd ebenfalls pfiff, tänzelten kurz darauf fast zwei Dutzend Pferde vor dem Zaun. Die Männer holten ihre Tiere heraus, sattelten sie und stiegen auf. Tankred lenkte sein Pferd dicht an Milo heran.
„Hast Du Zita irgendwo gesehen?“ flüsterte er. „Sie schläft doch immer bei den Pferden.“
Milo schaute sich um.
„Nein, ich habe sie schon seit wir hier sind nicht mehr gesehen.“ Flüsterte er zurück.
„Fabian steht aber dort an der Heuraufe.“ Bemerkte Tankred leise und wies auf den goldfarbenen Hengst, der gelangweilt zu den Männern schaute und langsam Heuhalme zermalmte. Milo runzelte die Stirn.
„Sie ist sicher nicht weit. Aber lassen wir´s gut sein, Tankred. Sie ist selbstständig genug, als dass wir uns um sie kümmern müssen.“
„Hoffentlich,“ murmelte Tankred und lenkte sein Pferd hinter den anderen her, die bereits über den Marktplatz ritten. Die Wache an der Tür sprach kurz mit Zandorra, öffnete die schweren Tore und sie ritten hinaus in die mondhelle Nacht.
Zita sprang auf, schüttelte das Heu von sich und kletterte auf die Felsen. Von her konnte sie die Männer sehen, die aus dem Tor ritten. Rasch sprang sie auf ihr Pferd Fabian, das erschrocken wieherte. Dann trabte sie zum Tor. Kurz, bevor die Wasche das Tor schließen konnte, schlüpfte sie auf ihrem Fabian noch durch.
„Heh, wer ist da? Was willst Du draußen, ich schließe jetzt wieder!“ rief der Wachtmann ihr zu. Zita winkte ihm zu und rief leise zurück:
„Ist schon in Ordnung, ich gehöre zur Truppe! Ich habe mich nur verspätet!“ Dann trabte sie vorsichtig den steilen Pfad hinunter. Bei jeder Biegung lenkte sie Fabian an die Seite und spähte über die Felsen, ob sie unbemerkt weiter reiten konnte.
Zandorra und seine Männer ritten zum Fluss.
„Gregor!“ rief der Rebellenführer leise. Der große Mann am anderen Ufer trat zwischen den Bäumen hervor.
„Wir reiten jetzt nach Stade. Ihr werdet gegen Mitternacht, wie gehabt, abgelöst! Sobald Du dich ausgeruht hast, bereitet die beiden großen Räume vor, dass darin soviel wie möglich schlafen können. Und bereitet eine Menge zu essen zu, notfalls muss jemand auf die Jagd, aber vorsichtig! Alles klar?“
Der Mann nickte und winkte.
„Passt auf euch auf und lasst euch nicht erwischen. Du weißt, Sascha, dass Dein Kopf einiges wert ist.“ Rief er leise zurück und verschwand wieder im Dunkel der Bäume.
Zandorra wandte sich an seine Männer.
„Wir reiten jetzt so schnell es geht. Wir müssen noch während der Nacht in Stade sein, sonst müssen wir die Befreiung aufschieben. Also los jetzt!“
Er galoppierte an und die anderen folgten ihm. Sie ritten so schnell sie in der Dunkelheit konnten, ohne sich oder die Pferde zu gefährden.
Es war bereits nach Mitternacht, als Zandorra seinen Schimmel plötzlich zügelte. Er hob die Hand und sprang vom Pferd.
„Wartet hier, dort vorne habe ich ein Licht gesehen.“ Flüsterte er und übergab Ingo die Zügel seines Schimmels. Dann huschte er in die Dunkelheit.
Kurz darauf erschien der Rebellenführer wieder. Die Männer waren inzwischen abgestiegen und hatten schweigend gewartet.
„Es sind die Zirkusleute. Sie raten dort unten am Waldrand.“ Teilte Zandorra leise mit. „Siw werden recht streng bewacht, doch ich glaube, wir schaffen es, sie zu befreien.“
„Die Zeit wird aber knapp, wenn Du vorher die Zirkusleute befreien willst.“ Wandte Ingo ein.
„Ich weiß, wir müssen uns beeilen.“ Zandorra rieb sich das Kinn. „Wir müssen sie umkreisen und von allen Seiten gleichzeitig angreifen. So haben wir den Überraschungseffekt auf unserer Seite. Kommt, binden wir die Pferde hier an die Büsche.“
„Sascha, wir sind zu acht.“ Sagte Rolf zweifelnd. „Wieviel Soldaten sind dort unten?“
„Auf Wache habe ich nur fünf gezählt.“ Antwortete der Rebell ruhig. „Die anderen werden schlafen. Aber keine Bange, die Zirkusleute sind mit Sicherheit auf unserer Seite und wenn die Wachen ausgeschaltet sind, werden sie uns sofort helfen.“
„Ohja, da bin ich überzeugt.“ Nickte Milo sofort. „Es müsste sich einer von uns ins Lager schleichen und ihnen mitteilen, dass wir einen Angriff planen. Dann können sie sofort den Wachen die Waffen abnehmen, bevor die anderen überhaupt aus ihren Zelten kriechen können. Soll ich ins Lager schleichen?“
„Nein, Milo, wir brauchen jeden Mann, um die Wachen zu überwältigen. Doch du hast recht, es wäre nicht schlecht, wenn wir die Zirkusleute vorwarnen könnten.“
„Ich kann mich ins Lager schleichen.“ Meldete sich so plötzlich eine helle Stimme von den Felsen, dass sie alle erschrocken herumfuhren.
Zita sprang mit einem Satz vom Felsen hinunter und landete direkt vor Zandorra, der sie wenig begeistert anstarrte.
„Was, zum Kuckuck, tust Du hier?“ fragte er halb ärgerlich, halb erstaunt.
„Ich werde mich ins Lager schleichen und meine Leute warnen.“ Antwortete Zita lächelnd. „Es ist die beste Lösung, Sir, denn ich bin wendig und die Zirkusleute kennen mich.“
„Zita, wenn Du erwischt wirst, werden sie...“ begann Zandorra, doch Tankred unterbrach ihn:
„Sie hat recht, sie ist ein Zirkuskind, kann sich fast unsichtbar machen. Warum sollte sie erwischt werden? Die Soldaten rechnen nicht damit, dass sich jemand ins Lager schleicht. Und sie kann die Zirkusleute schneller warnen, da René, unser Zirkusdirektor, auf sie hört.“
„Trotzdem, sie ist noch ein Kind und ich lasse keine Kinder solche gefährlichen Sachen machen.“ Widersprach Zandorra. „Wie kommst Du überhaupt hierher?“
„Ich bin Euch gefolgt, Sir.“ Murmelte Zita trotzig. „Ich habe doch gesagt, dass ich....“
„Die Zeit drängt, Sascha,“ warnte Rolf. „Klären wir dies doch später.“
„Also gut.“ Zandorra holte tief Luft. „Okay, Zita. Wenn Du es Dir zutraust, dann schleich Dich ins Lager. Wir warten hier. Gib uns ein Zeichen, wenn die Zirkusleute informiert sind. Und sei vorsichtig, lass Dich auf keinerlei Gefahren ein, hörst Du?“
„Ja, Sir!“ Zita strahlte und verschwand in der Dunkelheit. Zandorra blickte ihr stirnrunzelnd nach. Milo und Tankred stellten sic neben ihn.
„Lass sie nur, Sascha, sie weiß, was sie tut.“ beruhigte Milo den Rebell.
„Sie ist noch ein Kind.“ Murmelte Zandorra.
„Aber sie ist für sich selbst verantwortlich. Mach die keine Sorgen, Zita wird ihre Sache gut machen.“ Versprach Tankred.
Es dauerte nicht lange, da sahen sie das Feuer plötzlich kurz aufflammen.
Das dürfte das Zeichen sein, das Zita ihnen gab.
„Los jetzt, umzingeln wir das Lager,“ flüsterte Zandorra und die Männer schwärmten aus. Zandorra lag auf dem Boden unter einem Busch. Vor ihm marschierte ein Soldat mit dem Gewehr über der Schulter auf und ab, immer in die Dunkelheit starrend. Er rauchte, das rote Glimmen der Zigarettenspitze leuchtete. Zandorra wartete, bis er sicher war, dass jeder von ihnen an seinem Platz sein dürfte. Dann sprang er auf und warf sich auf den Soldaten, den Arm um dessen Hals geschlungen, dass dieser nicht schreien konnte. Aus den Augenwinkeln erkannte er, dass die anderen Wachen ebenfalls überfallen wurden und die Zirkusleute huschten herum, sammelten Waffen ein und überwältigten die Soldaten in den Zelten. Es ging alles sehr still und sehr schnell vor sich. Zandorra ließ den bewusstlosen Soldaten zu Boden sinken und rannte zum Feuer. Er traf hier auf den Zirkusdirektor René Feselmann, der bei dem Angriff der Soldaten verletzt wurde und einen Arm in der Schlinge hielt.
„Hallo, Sascha, das klappte ja super.“ Freute sich der Zirkusmann und schlug Zandorra auf die Schulter. Der Rebell lächelte.
„Wo ist Zita?“ fragte er, während er sich suchend umschaute.
„Hier bin ich, Sir.“ Meldete sich das Zirkusmädchen neben ihm.
„Prima gemacht, Zita. René, schick eure Frauen und Kinder mit der Hälfte der Männer zu den Blauen Bergen. Sie sollen in der Felsenburg Schutz suchen. Die andere Hälfte kommt mit uns, wir müssen nach Stade und eine Frau und ihr Kind befreien, die sonst umgebracht werden.“
Der Zirkusdirektor fragte nicht lange und teilte seine Leute ein. Da die Zirkusleute keine Pferde hatten, nahmen sie die Pferde der Soldaten.
„Was passiert mit den Soldaten?“ fragte Rolf.
„Wir fesseln sie und lassen sie in den Zelten liegen. Sie sind in Stade sicher schon angemeldet und wenn sie dort nicht erscheinen, werden sie sie suchen.“ Antwortete Zandorra. „Los, wir müssen unsere Pferde holen und weiter reiten, sonst wird es hell und wir werden die Sache vielleicht nicht einmal bis nächste Nacht aufschieben können.“
Es gab noch ein kleines Problem: Es waren zu wenig Pferde da.
„Die Frauen und Kinder brauchen die Pferde.“ Bestimmte Zandorra. „Wir werden zu zweit immer auf einem Pferd reiten.“
„Dann können wir aber nicht die ganze Strecke durchgaloppieren.“ Warnte Milo.
„Umso schneller müssen wir jetzt los.“ Zandorra winkte einen Zirkusmann zu sich heran.
„Komm, spring auf mein Pferd. Ihr anderen verteilt euch auf die Pferde! Vorwärts!“
Der Zirkusmann, es war Balto, sprang leichtfüßig hinter Zandorra und schon galoppierten sie los, während die Hälfte der Zirkusmänner mit den Frauen und Kindern in die entgegengesetzte Richtung, zurück zu den Blauen Bergen, ritt.
Im Osten erschienen bereits die ersten hellen Streifen am Himmel, als sie endlich Stade erreichten. Sie sprangen von den völlig erschöpften Pferden und blickten auf das Arbeitslager, das von dicken, hohen Mauern umgeben war.
„Wie wollt ihr das schaffen?“ fragte René Feselmann erstaunt.
Es schien tatsächlich unmöglich, diese Festung zu überfallen. Stade war ein riesiges Gebiet, wo auf großen Feldern Mais, Gerste, Hafer, Roggen und Kohl, Rüben und Rettiche angebaut wurden, eingerahmt wurden die Felder von langen Mauern, getrennt vom Lager nochmals mit Mauern und Stacheldraht. Innerhalb dieser zweiten Barriere standen Glashäuser, in denen Tomaten, Gurken, Erdbeeren, Radieschen, Salate und verschiedene Beeren wuchsen und von den Gefangenen versorgt wurden. Die Wachposten wohnten auf den Mauern in kleinen Steinhütten, von wo sie das Lager gut überblicken konnten. Einige Wachen liefen schwerbewaffnet ihre Runden durch Stade. Die Gefangenen wurden nachts in kleine, runde Häuschen eingesperrt, wo sie teilweise alleine, höchstens jedoch bis zu fünft eingeschlossen wurden. Jeden früh wurden die Arbeiten verteilt und die Gefangenen nach einem kargen Frühstück auf die Felder, in die Gewächshäuser oder in die beiden Mühlen am Fluss, in die Sattlerei oder die Brennerei verteilt, wo sie den ganzen Tag über arbeiten mussten. Natürlich wurden sie auch dabei schwer bewacht und gnade dem, der zu langsam arbeitete. Mit Peitschen und Stockhieben wurden sie angetrieben. Wer zusammenbrach oder verletzt war und daher nicht arbeiten konnte, wurde in ein altes Haus gebracht, das nah an der westlichen Mauer stand. Von zwei Ärzten und fünf Krankenschwestern `gepflegt´, wollten sie so schnell wie möglich wieder an die Arbeit.
Dies war Oststade. Es gab noch Weststade, wo es genauso zuging, jedoch noch etwas größer, da dort auch Obstplantagen gezogen wurden. West- und Oststade waren durch eine tiefe Schlucht getrennt, die nur über die Mauern zu überqueren war. Oststade grenzte im Nordöstlichen Teil an einen großen Fluss, der auch die Grenze zum Nachbarland war. Warnschilder standen an den Flussufern und auch auf den Ufern des anderen Landes sah man uniformierte Männer mit Gewehren patrouillieren.
„Wie wollen wir dort jemanden herausholen?“ fragte René Feselmann wieder.
„Über den Fluss. Schau, René, er führt nicht allzu viel Wasser, wir werden bis Stade hineinschwimmen und dort an der Mauer und den Mühlen aus dem Wasser steigen.“ Zandorra hatte die Männer um sich geschart und erklärte leise seinen Plan.
„Der Fluss wird schwer bewacht.“ Wandte Hannes ein.
„Deswegen darf man uns nicht sehen.“ Erklärte Zandorra geduldig. „Wir müssen Halme zum Atmen in den Mund nehmen und die ganze Zeit unter Wasser bleiben, bis wir entweder an den Mühlen, oder an der Mauer angekommen sind. Dicht an den Mauern können wir dann auftauchen, es ist noch dunkel genug, das sie uns dort nicht erkennen können. Dann müssen wir leise aus dem Wasser und uns auf den Mauern verteilen. Zuerst werden die Wachen ausgeschaltet, dann die schlafenden Soldaten. Es muss so lautlos geschehen, wie bei der Befreiung der Zirkusleute. Währenddessen werden Ingo, Rolf, Milo und ich zu den Häuschen gehen und sie versuchen zu öffnen. Sobald die Gefangenen frei sind, führen wir sie wieder dicht an den Mauern entlang zum Fluss und sie müssen ebenso wie wir unter Wasser schwimmen...“
„Das wird Probleme geben, es sind auch Kinder dabei,“ warf Ingo zweifelnd ein.
„Es muss gehen.“ Sagte Zandorra fest. „Stell Dir vor, die Wachen jenseits des Flusses entdecken uns. Sie wissen, nicht, was dies für ein Lager ist und werden der Meinung sein, dass wir in ihr Land eindringen wollen. Nun, egal, ob sie dann schießen oder erst schreien, wir sind dann jedenfalls entdeckt. Also, ist noch etwas unklar? Nein? Dann los, jeder weiß, was er zu tun hat.“ Zandorra zog Umhang und Hemd aus, schlüpfte aus den Stiefeln und den Socken und behielt nur seine rote Hose an, in die er sein Messer stecken konnte. Die anderen Männer machten es ihm nach, dann huschten sie zum Fluss und ließen sich lautlos ins Wasser gleiten. Sie brachen dicke Schilfrohre ab, die innen hohl waren. Zandorra fertigte rasch ein ganzes Bündel dieser Halme an, das er fest in der Hand hielt.
Das Wasser war kalt, aber klar. Und als sie an der Mauer auftauchten, versteckte sich gerade der Mond hinter einer dicken Wolke. Lautlos, nur mit Gesten, schickte Zandorra einige Männer weiter zu den Mühlen, während die anderen dicht an der grauen Mauer aus dem Wasser stiegen und an ihr entlang huschten. In der ersten Öffnung verschwanden zwei Zirkusmänner, in der nächstfolgenden wieder zwei. Zandorra wartete dicht an der Mauer gepresst, bis er sah, dass die Wachen auf Mauer plötzlich lautlos verschwanden. Dann huschte er gebückt zu den Häuschen. Rasch umrundete er das erste, doch hier standen keine Waschen. Er klopfte leise an eines der Fenster. Gleich darauf erschien ein Gesicht am Fenster. Das Gesicht einer älteren Frau, die ungläubig die Augen aufriss, als sie den halbnackten Rebell erkannte. Sie wandte sich rasch um und sagte etwas in den schwarzen Raum hinein. Zandorra huschte zur Tür. Sie war natürlich verschlossen. Mit seinem Messer drehte er vorsichtig das Schloss heraus, bis es ihm in die offene Hand fiel.
„Wer seid Ihr? Wie kommt Ihr hierher?“ fragte die Frau vom Fenster flüsternd.
„Ich bin Sascha Zandorra.“ Flüsterte der Rebell zurück. „Beeilte Euch, wir haben nicht viel Zeit. Wie viele sind in Eurer Hütte?“
„Wir sind zu viert.“ Wisperte die Frau. „In den anderen Hütten sind es auch fast überall vier. Außer bei Stacey, sie ist alleine mit ihrem Sohn.“
„Welche Hütte ist die von Stacey?“ fragte Zandorra, während sie zur nächsten Hütte schlichen.
„Dort drüben, die mit den Eisengittern am Fenster.“ Flüsterte die Frau.
„Gut. Hier habe ich noch ein Messer, Versucht, die Schlösser herauszudrehen, wir haben die Schlüssel nicht und die Zeit ist zu knapp, um sie zu suchen.“ Zandorra drückte der Frau das Messer in die Hand. „Am Fluss liegen dicke, hohle Binsen. Achtet darauf, das jeder einen in den Mund nimmt und taucht dann den Fluss entlang bis zu den Bergen. Niemand darf über Wasser schwimmen, meint Ihr, ihr schafft das?“
„Wir werden es müssen. Keine Bange, wir passen auf die Kinder auf, es wird schon gehen.“
Zandorra drückte der Frau kurz den Arm und huschte weiter zu Stacey´s Hütte.
„Stacey, kannst Du mich hören?“ fragte er dicht am Fenster leise.
Das Gesicht einer Frau erschien. Es wirkte blass, aber ungläubig erfreut, umrahmt mit roten, langen Locken.
„Sascha, ich wusste, dass Du uns nicht im Stich lässt.“ Flüsterte sie. „Kannst Du die Türe öffnen?“
„Ja, mach dich bereit, wir müssen dann sofort verschwinden.“ Wisperte er zurück. Mit einem kurzen Rundblick erkannte er, dass noch alles in Ordnung war. Kein Warnschrei ertönte, kein dumpfer Schlag eines fallenden Körpers, nicht einmal eines der Kinder weinte laut.
Die Tür öffnete sich nach kurzer Zeit, als er das Schloss in der Hand hielt. Stacey trat heraus, auf dem Arm trug sie einen kleinen Jungen.
„Schnell, zum Fluss. Wir müssen tauchen, schafft er das?“ fragte Zandorra und blickte den Kleinen zweifelnd an.
„Ja, wir werden es schon schaffen, nicht wahr, Randy?“ Sie küsste das Kind rasch auf die Stirn und gemeinsam schlichen sie von Hütte zu Hütte. Das letzte Stück zum Fluss führte über freie Wiese. Zandorra nahm ihr das Kind ab.
„Lauf los, ich gebe ihn Dir am Fluss wieder. Keine Bange, ich bleibe dicht bei euch.“ Hauchte er Stacey ins Ohr. Sie nickte kurz und rannte los. Überall huschten und rannten nun befreite Gefangene zum Fluss. Zandorra blieb dicht an der Mauer stehen und schaute zurück.
Stacey stellte sich neben ihm.
„Wie viele seid ihr denn in diesem Lager? Das hört ja gar nicht auf mit dem Gerenne zum Fluss.“ Staunte er. Stacey nickte und lehnte sich an ihn.
„In jeder Hütte sind ungefähr vier Personen eingesperrt gewesen und es sind fast achtzig Hütten.“ Flüsterte sie mit zitternder Stimme.
Ungeduldig blickte Zandorra nach Osten. Der Himmel dort war bereits recht hell und die Dämmerung breitete sich schnell aus. Noch immer rannten die Befreiten zum Fluss, nahmen einen Halm und tauchten lautlos unter. Frauen, die ihren Kindern Halme in den Mund steckten und ihnen auf dem Weg zum Fluss rasch erklärten, was sie tun mussten.
Zandorra bewunderte diese Frauen und auch die Kinder, die klaglos alles mit sich machen ließen. Schließlich gesellte sich Rolf zu ihnen.
„Du hast nicht gesagt, wie viele Gefangene das waren, Sascha.“ Flüsterte er vorwurfsvoll. „Es müssen mindestens dreihundert sein.“
„Tut mir leid, ich wusste auch nicht, dass es so viel sind. Sind jetzt alle draußen?“ Zandorra blickte wieder zum Himmel hoch. „Los, wir müssen uns schließlich noch ein ganzes Stück von Stade entfernen, bis die Wachablösung kommt. Wir müssen es zum Wald schaffen.“ Dränge er. Endlich erschienen die Rebellen und die Zirkusleute bei ihm.
„Nun sind alle fort.“ Gab René bekannt. Zandorra nickte erleichtert.
„Meinst Du, Randy bleibt bei mir? Dann hast Du freie Hand zum Schwimmen.“ Fragte er Stacey. Die Frau nickte.
„Ja, ich denke schon. Randy,“ wandte sie sich an den Kleinen. „Du darfst mit Sascha Zandorra schwimmen, okay? Ich bin auch im Wasser, vielleicht kannst du mich sehen? Wir wollen doch mal schauen, wer schneller schwimmt, Sascha oder ich? Du passt auf, das er nicht schummelt, ja?“ Der Kleine nickte schweigend. Zandorra gab Stacey einen Halm, dann steckte er dem Kind einen in den Mund.
„Sascha, die Binsen sind leer. Es fehlen noch fast acht Stück.“ Flüsterte Ingo plötzlich.
„Verdammt.“ Zandorra zögerte kurz. „Meint ihr, Ingo, ihr schafft es, ohne Halm die Strecke zu schwimmen?“ Ingo zögerte.
„Ingo, du kannst meinen haben.“ Meldete sich Tankred und reicht einen Halm dem Bärtigen.
„Als Zirkusartisten können wir auch die Luft länger anhalten als ihr.“
Seinem Beispiel folgten noch einige Zirkusleute.
„Die Strecke ist aber verdammt lang, Leute,“ zweifelte Zandorra. „Wenn es nicht mehr geht, schwimmt so dicht wie möglich zum Ufer und taucht im Gestrüpp auf.“
„Und du? Hast du keinen Halm?“ fragte Milo.
„Nein, ich werde es auch so schaffen. Ich mache es wie ihr, tauch im Gestrüpp auf, wenn es nötig ist.“ Zandorra stieg ins Wasser. Der Kleine klammerte sich fest an ihn.
Die Strecke bis hinter die Biegung an den Bergen kam ihm endlos vor. Zweimal musste er auftauchen, er glaubte, seine Lunge würde platzen! Völlig erschöpft erreichte er die Biegung und zwei Männer zogen ihn die Böschung hinauf. Stacey war auch da und nahm ihren Sohn in Empfang. Zandorra kniete keuchend am Boden. Dann blickte er auf und sah in die hoffnungsvollen Gesichter der Befreiten. Er strich sich das Haar aus dem Gesicht und lächelte den Menschen aufmunternd zu.
„Wir haben weder Decken noch genug Pferde.“ Erklärte er den Menschen noch immer keuchend. „Wir setzen die Kinder und die Schwächeren auf die Pferde und sehen zu, dass wir den dichten Wald erreichen. Danach geht es einfacher, im Wald gibt es Verstecke und wir können auch rasten.“
„Der Wald erstreckt sich fast bis zu den Blauen Bergen.“ Erklärte Ingo den Menschen weiter. „Hier werden uns die Soldaten kaum finden, aber wir müssen zusammenbleiben, dass sich niemand verirrt.“
„Wann sind wir denn in den Blauen Bergen?“ fragte eine helle Kinderstimme.
„Wenn wir kräftig durchmarschieren, sind wir nächste Nacht dort. Aber wir werden Pausen machen müssen, also rechne ich mit morgen Mittag.“ Zandorra hatte sich etwas erholt und hob Stacey und ihren Sohn auf sein Pferd. Es folgten noch zwei weitere kleine Kinder. Auch die anderen Pferde wurden nun mit mehreren Kindern und Frauen beladen. Auch einige Männer, die von den Soldaten misshandelt wurden, mussten auf den Pferden reiten. Die Dämmerung hatte inzwischen einem hellen Tag Platz gemacht und die Sonne schien bereits warm. Noch begrüßten sie die warmen Strahlen, trockneten sie doch die nassen Kleider. Zandorra hatte seinen Umhang dem kleinen Randy umgehängt und Stacey bekam sein Hemd. Zu erschöpft, um zu protestieren, ließ sie es geschehen.
Es wurde ein langer Zug zu den Wäldern. Zandorra hoffte, dass die Wachablösung die Soldaten nicht allzu früh entdeckte, doch die warnenden Fanfaren erklangen schon nach einiger Zeit.
Obwohl die Menschen erschöpft waren, trieb sie der drohende Klang vorwärts.
Endlich erreichten sie den Wald. Zandorra führte sie tief hinein in die dunklen Tannen, die so dicht standen, dass kaum Sonnenlicht hindurchfiel. Es war kühl in der Dämmerung der Bäume, doch der Boden war tückisch, durchwachsen von Dornengestrüpp, Unkraut, Farnen und hochstehenden Wurzeln. Sie kamen nur sehr langsam voran und Zandorra befürchtete schon, dass die Soldaten sie im Wald entdecken könnten. Immer wieder trieb er zur eile an, doch die Menschen waren zu erschöpft, stolperten oft und plötzlich brach eine Frau, die an der Spitze nahe des Rebellenführers ging, zusammen. Zandorra lief zu ihr und kniete sich nieder. Der Zug kam ins Stocken.
„Geht weiter, Ingo, führ sie weiter!“ rief Zandorra und beugte sich über die Frau.
„Tankred!“ rief er dann dem Zirkusmann zu, der gerade vorüber kam. „Ich brauche ein Pferd für die Frau!“
„Es tut mir so leid,“ flüsterte die Erschöpfte und Tränen kullerten aus ihren Augen.
„Es muss Euch nicht leid tun.“ Beruhigte Zandorra sie. „Ihr habt bisher prima durchgehalten. Wir kommen bald an eine große Lichtung, dort können wir uns kurz ausruhen und eine Kleinigkeit essen. Ihr dürft jetzt auch reiten. Sagt Ihr mir Euren Namen?“
„Judith,“ hauchte die Frau. „Ich heiße Judith Lonemann.“
„Warum seid Ihr im Arbeitslager?“ fragte Zandorra, während sie auf Tankred warteten und die anderen an ihnen vorbei gingen.
„Mein Mann und ich hatten Soldaten nicht erlaubt, in unserem Haus zu übernachten. Wir haben eine halbwüchsige Tochter, sie hätten sie vergewaltigt. So haben sie uns ein paar Tage später verhaftet. Zum Glück konnten wir unsere Tochter noch in Sicherheit bringen, doch mein Mann ist im Kerker und ich kam nach Stade.“
Zandorra schwieg. Was sollte er auch dazu noch sagen? Es war immer dasselbe, dieser Terror! Er musste versuchen, dem ein Ende zu bereiten, doch noch war er nicht soweit, hatte noch nicht genug Männer, die mit ihm gegen den König antreten würden. Noch wäre dies reiner Selbstmord! Er blickte ungeduldig auf. Da kam Tankred endlich an, führte ein graues Pferd, auf dem bereits eine Frau saß.
Gemeinsam halfen sie Judith auf das Tier, dann ging es weiter durch den dunklen Wald. Sie waren nun der Schluss der ganzen Truppe.
„Meinst Du nicht, wir sollten eine Rast einlegen?“ fragte Tankred müde. „Es werden noch weitere Menschen zusammenbrechen, sie haben schließlich in Stade hart arbeiten müssen und dann diese Flucht, die Menschen sind ausgelaugt.“
„Das weiß ich, Tankred.“ Zandorra seufzte und blieb stehen. „Doch Du hast auch die Fanfaren gehört. Sie werden uns suchen und wir müssen so tief in den Wald hinein wie möglich. Glaube mir, mir reicht es auch.“ Er ging weiter, stolperte über eine Wurzel und schlug der Länge nach hin. Tankred half ihm beim Aufstehen.
„Bist Du verletzt?“ fragte er. Zandorra schüttelte den Kopf.
„Nicht der Rede wert.“ Murmelte er und strich sich Tannennadeln von der Brust. „Es dürfte nicht mehr weit sein zur Lichtung. Wir haben alle ein Paus nötig.“
Tatsächlich zeigte verhaltener Jubel, dass die Lichtung endlich erreicht worden ist.
Die erschöpften Pferde wurden rund um die Lichtung an die Bäume gebunden, dann legten sich die Menschen auf den weichen Waldboden. Die meisten schliefen sofort ein, die Müdigkeit war stärker als der Hunger. Zandorra rieb sich die vom Schlafmangel geröteten Augen und lehnte sich an eine dicke Tanne.
„Schläfst Du nicht?“ fragte ihn Tankred und blickte auf die schlafenden Menschen.
„Jemand muss Wache halten. Wenn wir alle schlafen, können uns die Soldaten völlig überraschen.“ Er unterdrückte ein Gähnen.
„Ich schicke ein paar Zirkusleute auf die Bäume.“ Schlug Tankred vor. „Sie klettern wie Eichhörnchen hinauf und haben von oben den besten Überblick.“
„Seid ihr Zirkusleute denn gar nicht müde zu kriegen? Euch muss es doch auch reichen.“ Murmelte Zandorra. Tankred lächelte.
„Meine Leute mussten den letzten Tag nur laufen. Das sind wir gewöhnt. Und durch die Kinder kamen sie auch nicht schnell voran. Also sind sie nicht so kaputt wie ihr. Da können schon ein paar Männer wachen.“
„Das wäre prima, dann kann Sascha endlich auch mal schlafen.“ Meldete sich eine Stimme neben ihnen. Es war Ingo, der Bärtige, der herangekommen war. „Immerhin war das Deine dritte durchwachte Nacht, Sascha.“
Zandorra rieb siech wieder über das Gesicht.
„Du hast recht, ich glaube nicht, dass ich noch weiter komme. Ich schlafe sonst im Gehen ein.“ Er lächelte. „Okay, Tankred, schick ein paar Zirkusleute auf die Bäume. Aber es sollen auch ein paar hier unten Wache halten, die Baumkronen sind sehr dicht.“
Tankred huschte davon. Zandorra setzte sich auf den weichen, kühlen Waldboden und Ingo hockte sich daneben.
„Wir rasten hier zwei Stunden, dann müssen wir weiter.“ Sagte Zandorra mit müder Stimme. „Wir müssen so schnell wie möglich zu den Blauen Bergen kommen, dort sind wir sicher.“
„Okay, schlaf jetzt, ich wecke Dich rechtzeitig.“ Versprach Ingo.
Kurz darauf war der Rebellenführer eingeschlafen.


Hilfe von den Zirkusleuten

Viel zu schnell vergingen die zwei Stunden. Ingo reckte sich gähnend und blinzelte in den Himmel, der über der Lichtung zu sehen war. Er war tiefblau und die Sonne, die die Mittagszeit bereits überschritten hatte, warf ihr Strahlen auf die Lichtung. Ingo stand auf.
Die meisten schliefen noch, nur einige Zirkusleute standen bei den Pferden und unterhielten sich. Ingo wusste, dass auf den Bäumen ebenfalls ein paar Zirkusmänner saßen, jedoch waren sie von unten nicht zu sehen. Er schlenderte zu der Gruppe bei den Pferden.
„Ich glaube, es ist an der Zeit, weiter zu gehen.“ Meinte er.
„Es tut mir richtig leid, diese armen, erschöpften Menschen jetzt wecken zu müssen.“ Bedauerte René Feselmann, der Zirkusdirektor, und musterte die Ruhenden.
„Auf, es hilft nichts, wir müssen alle aufwecken. Aber macht nicht zuviel Lärm, wir müssen leise sein.“ Warnte Ingo. „Ich übernehme Sascha und die Leute dort bei ihm.“
Kurz darauf erfüllte lautes Gähnen, unwilliges Murren, leises Schimpfen und das Weinen der Kinder die Luft. Auch Zandorra kam nur langsam zu sich, blinzelte in den hellen Sonnenschein und rieb sein Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben.
„Es tat gut, sich ein wenig auszuruhen,“ murmelte er dabei. „Es hätten ur ein wenig länger sein können.“ Seufzend stand er auf und klopfte sich die Tannennadeln von seiner inzwischen wieder getrockneten Hose. Sein Oberkörper war noch nackt, da er Stacey das Hemd und dem kleinen Randy seinen Umhang gegeben hatte.
„Auf, Leute, wir müssen weiter. Es tut mir leid, aber wenn wir bei den Blauen Bergen sind, könnt ihr euch länger ausruhen!“ rief er mit gedämpfter Stimme. Dann wandte er sich an René Feselmann. „Haben Deine Leute Wache gehalten? War etwas Besonderes?“
„Sie sind noch auf den Bäumen.“ Antwortete der Zirkusdirektor und strich über seinen dicken Schnurrbart. „Es war alles ruhig.“
„Gut, dann lasst uns weiterziehen!“ Zandorra ging zu seinem weißen Schimmel, auf dem wieder Stacey, Randy und zwei andere Kinder saßen. Alle sahen sie noch müde und blass aus.
„Hast Du Dich ein wenig ausruhen können, Stacey?“ fragte Zandorra.
„Ja, doch jetzt wünsche ich nur, dass wir schnell in Deiner Felsenburg ankommen und ich zwei Tage lang durchschlafen kann.“ Die junge Frau lächelte. „Und vorher will ich noch ein kräftiges Essen, ich habe schrecklichen Hunger.“
„Leider haben wir nichts...“ begann Zandorra, wurde jedoch von einem warnenden Ruf aus einem der hohen Tannen unterbrochen:
„Soldaten kommen! Sie durchkämmen den Wald!“
Zandorra packte die Zügel seines Schimmels und lief an die Spitze der Truppe.
„Ingo, komm her, Du führst die Leute von Stade in die Blauen Berge. Haltet euch nicht mehr auf, rasten könnt ihr in der Felsenburg. Beeilt euch, so schnell es geht. Ihr müsst es schaffen!“
„Und was hast Du vor?“ fragte Ingo.
„Die Zirkusmänner, Rolf und ich werden die Soldaten ablenken. Ihr seid so viele, ihr hinterlasst eine sichtbare Spur. Wir müssen sie von eurer Spur wegkriegen. Los jetzt, sie kommen näher, bis ihr alle außer Sichtweite seid, dauert es einige Zeit, immerhin seid ihr fast dreihundert Leute. Wir sehen uns in der Burg.“ Drängte Zandorra und schob Ingo vorwärts.
Es dauerte wirklich eine Weile, bis die Befreiten alle im dunklen Wald verschwunden waren und mit ihnen Ingo, Hannes, Josh und Randolph, die Zirkusfrauen und die Kinder.
Zandorra stand auf der Lichtung mit ungefähr zwölf Zirkusmännern, Tankred, Milo, Rolf und René Feselmann, der noch immer seinen Arm in einer Schlinge trug.
Sie lauschten, doch noch hörten sie nur das Knacken der Äste und Schnauben der Pferde von den Flüchtenden.
„Carlos, klettere rasch auf einen Baum und schau nach, wie nah sie sind.“ Flüsterte Zandorra zu einem der Zirkusmänner. Carlos, ein kleiner, drahtiger junger Mann mit unrasiertem Gesicht und schulterlangen schwarzen Haaren kletterte wieselflink auf eine der Tannen.
Es dauerte eine Weile, dann sprang er plötzlich auf den weichen Boden.
„Wir müssen verschwinden, sie sind bereits sehr nahe.“ Flüsterte er. „Ich konnte ihre Uniformen erkennen, sie sind vielleicht hundertfünfzig Schritte entfernt.“
„Verdammt,“ Zandorra dachte kurz nach. „Los, wir trennen uns. Schwärmt aus und knickt überall Äste ab, macht deutliche Spuren in alle Richtungen. Sie sollen nicht wissen, in welcher Richtung Ingo mit den anderen verschwunden sind. Aber lasst euch nicht erwischen. Wenn sie zu nahe sind, verhaltet euch ruhig und lasst sie vorbeiziehen. Bleibt immer zwei oder drei zusammen, damit ihr euch gegenseitig helfen und auch breitere Spuren legen könnt. Rolf, du bleibst bei mir.“
Kaum hatte er ausgesprochen, schwärmten die Zirkusleute in sämtliche Richtungen, brachen geräuschvoll durch das Unterholz und verschwanden in der Dämmerung des Waldes.
Zandorra und Rolf wandten sich nach Südwesten.
„Du hättest Dir das Hemd wieder anziehen sollen, du wirst nachher völlig verkratzt sein.“ Meinte Rolf mit einem Blick auf den nachten Oberkörper seines Freundes.
„Ich habe es Stacey gegeben und nicht mehr daran gedacht.“ Sagte Zandorra. „Schau, hier liegt ein recht langer Baumstamm. Meinst du, wir können eine schöne Spur mit ihm machen?“
Rolf musterte den Stamm kritisch.
„Versuchen wir es.“ Stimmte er dann zu. Jeder an einem Ende packten sie den Baumstamm und stolperten nebeneinander, den Stamm zwischen sich mitziehend, durch das dichte Unterholz. Der Baumstamm pflügte und knickte Äste und Büsche und sie hinterließen tatsächlich eine imposante Spur. Doch lange konnten sie das nicht durchhalten, viel zu schwer wog der Stamm.
„Halt, Sascha, ich kann nicht mehr.“ Keuchte Rolf und ließ den Baumstamm zu Boden gleiten. „Meine Arme tun weh, ich kann ihn nicht mehr länger halten.“
Zandorra ließ ihn ebenfalls fallen und fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare.
Zweifelnd blickte er zurück, dann nickte er zufrieden.
„Wir haben eine schöne Spur gemacht, Rolf, jetzt lass uns verschwinden, bevor die Soldaten uns einholen.“
„Wir haben euch schon eingeholt! Hände hoch!“ erscholl eine befehlende Stimme hinter ihnen. Die beiden Männer fuhren herum. Eine Handvoll Soldaten stand auf dem Weg, die Gewehre auf sie gerichtet. Rolf hob die Hände, Zandorra zögerte.
„Hände hoch, sofort, wir zögern nicht zu schießen, Rebell!“ schrie der Soldat und kam näher. Auch die anderen näherten sich vorsichtig mit schussbereiten Waffen. Zandorra überlegte fieberhaft, wie sie entkommen konnten, doch ihm fiel nichts ein, so hob er langsam die Hände.
Der Soldat war nun bei ihm angekommen, beugte sich vor und zog Zandorra´s Degen aus dessen Schärpe. Er warf den Degen in den Wald und entwaffnete ebenso Rolf.
„Wo sind die anderen?“ herrschte der Soldat sie an. „Antwortet!“
Die Rebellen schwiegen.
„Sir, irgendetwas stimmt hier nicht.“ Meldete sich ein anderer Soldat zu Wort. „So eine Menge Menschen können nicht im Wald einfach so verschwinden. Die Spuren führen in alle Richtungen seit der Lichtung.“
„Fesselt die beiden, sie werden uns zu den anderen führen.“ Befahl der Soldat.
Ziemlich brutal rissen die Soldaten Rolf und Zandorra die Arme nach hinten und ketteten sie zusammen. Dann verbanden sie die beiden Rebellen noch miteinander, so dass sie nicht einzeln fliehen konnten.
„Vorwärts, auf die Lichtung zurück.“ Befahl der Soldat und stieß Zandorra das Gewehr in die Rippen. Der Rebell stöhnte kurz auf, stolperte über eine Baumwurzel und fiel hin. Rolf wurde mitgezogen und fluchend zerrten die Soldaten die beiden wieder auf die Beine.
Auf der Lichtung warteten mehrere Soldaten und blickten ihnen entgegen.
Ein Hauptmann kam auf sie zu.
„Wen habt ihr denn da gefangen? Wenn das nicht Sascha Zandorra ist, der Rebellenführer!“ rief er überrascht aus. „Da habt ihr aber einen guten Fang gemacht!“
Die fünf Soldaten, die sie gefangen genommen hatten, blickten sich erstaunt an.
„Sascha Zandorra persönlich.“ Wisperte einer überrascht. „Wenn ich das gewusst hätte...“
Die Soldaten umringten die beiden Gefangenen. Zandorra hob stolz den Kopf und blickte ihnen ruhig entgegen.
„Es kann auch nur Sascha Zandorra gewesen sein, der die Gefangenen aus Stade befreit hat.“ Stellte der Hauptmann mit harter Stimme fest. „Niemand anderes würde sich an das Arbeitslager herantrauen und niemanden würde es sonst auch gelingen, dreihundert Gefangene dort herauszuholen wie hast Du es angestellt, Rebell?“
Zandorra schwieg.
Der Hauptmann ging dicht an ihn heran und zischt: „Ich werde es schon noch erfahren, Rebell. Du wirst es mir freiwillig sagen.“
„Finde es doch selber heraus, Hauptmann,“ antwortete Zandorra ruhig.
Der Hauptmann fuhr zornig zurück, holte aus und schlug seine Faust in Zandorra´s Magen. Der Rebell krümmte sich keuchend, doch die Faust des Hauptmanns schleuderte ihn zurück. Zandorra prallte gegen Rolf, beide taumelten, doch blieben sie stehen. Wieder schlug der Hauptmann zu, doch Zandorra hob blitzschnell sein Bein und trat ihm in den Unterleib. Mit einem Schmerzensschrei krümmte sich der Soldat, seine Augen glühten vor Zorn, als er zu dem Rebell hochblickte. Zandorra trat noch einmal zu, erwischte den Hauptmann am Kinn und schleuderte ihn zurück. Doch weiter kam er nicht, mehrere Soldaten stürzten sich auf ihn und schlugen auf ihn ein. Rolf versuchte, seinem Freund zu helfen, doch das sie zusammengekettet waren, konnte er nicht viel mehr tun, als Zandorra ein wenig zu stützen, bevor der fiel. Das Gemetzel dauerte nicht sehr lange, dann rief die raue, harte Stimme des Hauptmanns:
„Lasst es nun gut sein! Er hat seine Lektion hoffentlich gelernt! Lasst von ihm ab! Er muss schließlich noch laufen können!“
Die Soldaten zogen sich zurück. Zandorra lag am Boden, Blut strömte aus einer Stirnwunde, aus seiner Nase und von seinen aufgesprungenen Lippen. Auch an seiner rechten Schulter klaffte eine heftig blutende Wunde. Rolf saß neben ihm, er hatte auch ein paar Schläge abbekommen, jedoch bei weitem nicht so schlimm.
Die Soldaten gingen zu einer Beratung an den Rand der Lichtung, nur drei blieben bei den beiden Rebellen, hielten jedoch die Gewehre auf sie gerichtet.
„Sascha,“ flüsterte Rolf und stieß seinen Freund vorsichtig an. „Sascha, bist du sehr verletzt?“
Zandorra blinzelte, Blut lief ihm ins linke Auge. Er richtete sich leise stöhnend auf.
„Sascha, wie geht es Dir? Meinst Du, Du kannst laufen?“ fragte Rolf besorgt.
„Es wird schon gehen,“ murmelte der Rebell schwer atmend und setzte sich langsam und vorsichtig auf. Er leckte sich mit der Zunge über die blutenden Lippen und legte das Gesicht auf seine Knie. Dann geschah alles blitzschnell:
Von den Bäumen fielen wie reife Früchte einige Zirkusleute, fielen direkt auf die Soldaten, die die beiden Rebellen bewachten. Ein Gewehr löste sich und der Knall ließ die anderen Soldaten am Rande der Lichtung herumfahren. Doch schon wurden sie von Tannenzapfen und Steinen bombardiert und zwar mit solcher Wucht, dass sie nur in den Wald fliehen und Schutz suchen konnten. Der Hauptmann brüllte etwas, die anderen Soldaten fluchten und schrieen. Zwei Zirkusmänner rissen Rolf und Zandorra auf die Füße und zogen sie entgegengesetzt der Soldaten in den Wald hinein. Dies ging so schnell vor sich, dass Zandorra, noch immer halb bewusstlos, kaum mitbekam, was geschah, er spürte nur, wie er plötzlich mitgezogen wurde und rannte instinktiv weiter. Sehen konnte er nicht viel, da ihm das Blut in die Augen lief und er immer wieder heftig blinzeln musste.
„Schnell, ihr müsst euch zusammenreißen, wir haben eine Höhle entdeckt, dort können wir Schutz suchen.“ Flüsterte die bekannte Stimme von Milo und zog Zandorra am Arm weiter. Gerade, als Zandorra vor Schmerzen das Bewusstsein wieder verlor, erreichten sie die Höhle, von der Milo sprach. Zwei Zirkusleute hielten das dichte Dornengestrüpp zur Seite, während Milo und Tankred die beiden Rebellen in die Höhle zerrten. Einer der Zirkusleute stieß einen schrillen Pfiff aus, dann liefen sie noch ein Stück in die dunkle Höhle hinein.
Endlich hielten sie an und ließen die beiden Rebellen zu Boden gleiten.
Rolf beugte sich gleich über seinen freund, jedoch konnte er in der Dunkelheit kaum etwas erkennen.
„Sascha, was ist mit dir?“ drängte er flüsternd.
„Pst, sei leise, das Echo ist draußen zu hören.“ Wisperte Tankred.
Sie schwiegen und lauschten den wütenden Flüchen der Soldaten, die noch völlig überrascht von dem plötzlichen Angriff nach ihnen suchten. Die Höhle fanden sie nicht, das dichte Dornengestrüpp am Eingang machte sie unsichtbar. Es dauerte eine geraume Zeit, bis die Stimmen der Soldaten leiser wurden und auch das Rascheln und Knacken der Äste bewies, dass sie sich entfernten. Und dann vergingen noch einmal lange Minuten, doch endlich erschienen sämtliche Zirkusleute in der Höhle. Drei von ihnen trugen Fackeln und erhellten damit die finstere Höhle. Sie beugten sich über die beiden Rebellen.
„Was ist mit ihm?“ fragte René Feselmann leise.
„Er wurde zusammengeschlagen.“ Antwortete Rolf ebenso leise.
„Ja, wir haben es gesehen, doch konnten wir noch nicht dazwischen. Sie waren zu dicht bei euch, wir konnten nichts unternehmen. Tut mir leid, ist er schwer verletzt?“
„Ich weiß nicht.“ Rolf stieß Zandorra vorsichtig an. „Sascha, wach auf. Sascha, wir sind in Sicherheit, wach auf.“
Zandorra stöhnte und öffnete langsam die Augen. Er blinzelte in das helle Licht der Fackeln. Benommen starrte er einige Sekunden auf das Feuer.
„Woher habt ihr die Fackeln?“ fragte er dann mit heiserer Stimme und setzte sich mühsam auf.
„Sie brennen nicht sehr lange, wir haben sie mit Moos und Ästen gedreht.“ Erklärte René Feselmann. „Es tut mir leid, dass wir nicht früher eingreifen konnten. Kannst du laufen?“
Zandorra streckte vorsichtig seine Beine aus und hob den Kopf.
„Ja, ich denke schon. Könnt ihr die Ketten entfernen?“ fragte er dann mit noch immer rauher, heiserer Stimme.
„Nein, dazu bräuchten wir Werkzeug, das haben wir nicht.“ Bedauerte Feselmann. „Komm, wir gehen durch die Höhle und sehen zu, dass wir zu den Blauen Bergen kommen. Dort könnt ihr sie sicher wegkriegen.“
Sie halfen Zandorra auf die Beine und langsam stolperten sie durch die dunkle Höhle. Der Boden war uneben, die Wände waren feucht und kalt. Rolf stieß sich einmal den Kopf an der Decke an und fluchte. Dann erreichten sie endlich das Ende der Höhle. Milo und Tankred traten als erstes in den Sonnenschein und blickten sich vorsichtig und aufmerksam um. Sie waren am Waldrand herausgekommen, vor ihnen lagen Felder, rechter Hand verliefen einige Felsen und wieder Wald. Wenige Schritte entfernt plätscherte ein kleiner Bach und wand sich durch das Gras.
„Die Luft ist rein, ihr könnt herauskommen.“ Rief Tankred halblaut. Erleichtert traten sie ins Freie und genossen die noch warmen Strahlen der Sonne. In der Höhle war es recht kalt gewesen und vor allem Zandorra, der ja nichts weiter trug als seine Hose und Stiefel, fror heftig. Die Sonne stand bereits recht tief im Westen, ihre Strahlen wärmten zwar noch, doch es war schon merklich kühler.
„Ist das dort ein Bach?“ fragte Zandorra und wies mit dem Kinn in die Richtung.
„Ja,“ antwortete Milo.
„Prima, ich habe schrecklichen Durst und außerdem kann ich mir das Blut aus den Augen waschen.“ Zandorra wandte sich zu dem Bach. „Komm, Rolf, wir beide werden die nächste Zeit noch zusammenbleiben müssen.“
Rolf lächelte und mit auf dem Rücken geketteten Armen, zusammengefesselt, taumelten sie zu dem Wasserlauf, ließen sich auf die Knie fallen und tauchten die Köpfe in das erfrischende, klare Wasser. Prustend richteten sie sich auf.
„Das tut gut. Jetzt geht es mir wieder besser.“ Meinte Zandorra und schüttelte den Kopf.
Dann blickte er sich aufmerksam um.
„Wo sind wir hier?“ fragte Carlos. „Ist es noch weit zu den Blauen Bergen?“
Zandorra stand auf, und auch Rolf musste sich erheben. Wieder schaute sich Zandorra um.
„Wir müssen uns südwestlich halten, aber das bedeutet, dass wir über das freie Feld laufen müssen.“ Stellte er fest. „Es ist der kürzeste Weg, dann sind wir bald in der Felsenburg. Wir werden nicht vom Tor aus hereinkommen, sondern aus der Schlucht.“
„Aus der Schlucht? Dort, wo die Pferde stehen?“ fragte Tankred erstaunt.
„Ja, wir müssen nochmals durch eine Höhle, doch die ist recht kurz und auf der anderen Seite geht es einen schmalen Grat hinab in die Schlucht.“ Nickte Zandorra.
„Gibt es keinen anderen Weg?“ fragte Rolf. „Wir beide können nicht klettern.“
„Wir müssen nicht viel klettern, Rolf und die Zirkusleute werden uns helfen. Der andere Weg ist noch recht weit, da erreichen wir die Felsenburg nicht vor dem Morgengrauen.“
„Okay, gehen wir über das Feld.“ Seufzte Rolf.
„Es ist ein gutes Stück Weg ohne Schutz, Sascha,“ gab Carlos zu bedenken.
„Ich weiß, doch können wir auch gut erkennen, wenn jemand kommt. Wir können nicht wieder überrascht werden und bis die dann über das Feld uns erreicht haben, sind wir in den Felsen verschwunden,“ sagte Zandorra und blickte die Männer an.
„Du schaust ganz schön furchterregend aus,“ lachte plötzlich Milo. „Wenn du so in der Burg erscheinst, werden sie einen Schock bekommen.“
Zandorra runzelte die Stirn, ließ dies jedoch gleich wieder, da die Platzwunde an seiner Stirn dabei heftig schmerzte.
„Nimm meine Schärpe und wasch mir das Blut vom Gesicht, bitte, Milo,“ bat er dann den Zirkusartist. Milo grinste noch immer, während er Zandorra die Schärpe auszog und in den Bach tauchte. Dann wusch er vorsichtig das Blut aus dem Gesicht des Rebellen, verband anschließend auch gleich mit der Schärpe die Schulterwunde, indem er sie um die Schulter und den Oberarm schlang.
„Können wir dann weiter gehen?“ drängte nun Rolf. „Ich möchte ungern im Dunkeln klettern, vor allem, wenn meine Arme hinten gefesselt sind.“
Zandorra nickte und sie liefen aus dem Schutz des Waldrandes über das freie Feld. Die Dämmerung brach herein, am Himmel zeigten sich die ersten Sterne. Für Zandorra und Rolf wurde es schwierig, da, sobald einer von ihnen auf dem unebenen Feld stolperte, auch der andere das Gleichgewicht verlor. Doch endlich erreichten sie die Felsen. Die Zirkusleute halfen den beiden gefesselten Rebellen beim Klettern. Zum Glück mussten sie nicht allzu hoch hinauf, der Eingang der Höhle lag hinter einem Geröllhaufen, von unten unsichtbar. Sie mussten jedoch hintereinander gehen, da die Höhle sehr schmal war. Auch hier bekamen die beiden Rebellen Probleme, nach einigem Hin und Her liefen sie seitwärts, Rücken an Rücken.
Wie Zandorra jedoch gesagt hatte, war der Weg durch die Höhle recht kurz und sie traten bald darauf wieder ins Freie. Die Luft hatte sich inzwischen abgekühlt und in der Schlucht war es bereits ziemlich dunkel. Ein paar Pferde waren als dunkle Schatten zu erkennen.
„Welche Richtung müssen wir?“ fragte Milo. Zandorra setzte sich auf einen Felsen, Rolf musste dicht bei ihm stehen.
„Dort hinunter.“ Antwortete der Rebellenführer schließlich und zeigte mit dem Kinn in die Richtung.
„Wie weit ist es jetzt noch?“ fragte Rolf seufzend.
„Ungefähr zweihundert Schritte. Gehen wir weiter, wir haben es bald geschafft.“ Er erhob sich und die Zirkusmänner halfen ihnen, die Felsen hinab zu klettern. Langsam stolperten sie durch die Schlucht, die letzten Meter schienen sich endlos zu dehnen. Doch endlich, endlich erreichten sie die Stelle, wo der Pfad hinauf zur Felsenburg führte. Mühsam stiegen sie den Pfad hinauf.
„Halt! Wer seid ihr?“ rief plötzlich eine drohende Stimme. Sie hörten, wie ein Gewehr in Anschlag gebracht wurde.
„Ich bin es, Sascha Zandorra,“ rief Zandorra mit erschöpfter, heiserer Stimme. „Hilf uns lieber, Ingo, statt uns zu bedrohen.“
Kaum hatte er ausgesprochen, erschienen auch schon einige Rebellen mit Fackeln und beleuchteten die Gruppe.
„Was ist euch denn passiert?“ fragte Ingo entsetzt, als er sah, wie Rolf und Zandorra aneinander gekettet waren. Dann sah er Zandorra´s Gesicht.
„Sascha! Was ist geschehen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten wandte er sich an einen der Männer hinter sich. „Pepe, lauf und hol Werkzeug, wir müssen die Ketten der beiden durchschneiden. Niko, du holst Daphne und Daniela, sie sollen ihr Verbandszeug mitbringen und du, Quentin, läufst zu Babsi, sie soll etwas zu essen herrichten.“
Zandorra, der sich inzwischen wieder auf einen Felsen gesetzt hatte, diesmal Rücken an Rücken mit Rolf, schaute lächelnd auf.
„Du kannst ja richtig organisieren, Ingo. Du erstaunst mich immer wieder.“
„Sie haben euch erwischt, nicht wahr?“ fragte Ingo statt einer Antwort.
„Was meinst Du? Glaubst Du, wir haben uns selber aneinander gekettet?“ Zandorra lächelte immer noch, obwohl sein Gesicht und seine Schulter heftig schmerzten, ihm so kalt war, dass er zitterte, was teilweise auch von der Erschöpfung kam und er heftigen Hunger verspürte.
Inzwischen hatte sich die Nachricht trotz der späten Stunde schnell verbreitet, dass der Rebellenführer mit den Zirkusleuten erscheinen war und der ganze Platz war mit Rebellen gefüllt. Fackeln erhellten die Nacht und ihr zuckendes Licht fiel auf die Zirkusmänner, auf Rolf und Zandorra, die noch immer erschöpft auf den Felsen saßen.
„Seid ihr gut angekommen, Ingo? Hat alles geklappt?“ fragte Zandorra nun.
„Ja, die Soldaten sind uns nicht gefolgt, ich weiß auch nicht warum. Wir kamen nicht sehr schnell vorwärts, eigentlich hätten sie uns einholen müssen.“ Antwortete Ingo.
„Sascha und Rolf haben eine so breite Schneise in den Wald gelegt, dass die Soldaten nicht mehr wussten, welchen Weg sie nehmen sollten.“ Teilte Milo nun mit. „Dabei wurden sie aber leider auch entdeckt und gefangen genommen.“
„Wir konnten von den Bäumen aus alles beobachten, doch waren es zu viele, als dass wir eingreifen konnten.“ Erzählte René Feselmann weiter. „Sie brachten die beiden auf die Lichtung zurück und ketteten sie aneinander. Dann hatte der Hauptmann von Sascha wissen wollen, in welche Richtung ihr verschwunden seid und als er nichts sagte, hat er ihn geschlagen.“
„Und Sascha hat sich gewehrt, dann haben sich mehrere Soldaten auf ihn gestürzt und ihn zusammengeschlagen,“ warf nun Tankred ein. „Erst, als sie sich zu einer Beratung zurückgezogen hatten und nur drei Soldaten Wache standen, konnten wir eingreifen.“
„Gelobt seien die Tannenzapfen!“ rief Carlos aus. „Damit haben wir die überraschten Soldaten in den Wald zurück getrieben und konnten mit Sascha und Rolf in einer Höhle verschwinden. Sie haben uns zwar gesucht aber nicht mehr gefunden.“
Daphne und Daniela erschienen mit einem großen Korb. Die Rebellen machten ihnen Platz, so dass sie durch die Gasse zu Rolf und Zandorra gehen konnten.
„Ich brauche etwas mehr Licht!“ rief Daphne und zwei Rebellen senkten die Fackeln.
„Hör zu, Sascha, ich bin keine Ärztin und Daniela auch nicht. Aber wir können Dich verbinden, wir haben beide früher als Schwestern in einem Krankenhaus gearbeitet. Allerdings haben wir nicht all die Medikamente, doch für Deine Verletzungen dürfte es reichen.“
Sie musterte den Rebell kritisch und krauste die Nase.
„Deine Platzwunde an der Stirn und die aufgeplatzten Lippen sind von den Schlägen, das kann ich ja noch verstehen, die Schrammen und Kratzer auf Deiner Brust ebenso, die sind vom Wald, aber woher stammt die Verletzung an Deiner Schulter?“
„Ich weiß es nicht, ich habe davon nichts mitgekriegt. Ich sah nur Fäuste und Sterne.“ Zandorra blickte auf seine rechte Schulter. Daphne hatte die Schärpe abgenommen und er konnte die klaffende Wunde sehen.
„Kann nicht mal jemand den beiden die Ketten abmachen? Ich kann ihn doch nicht verbinden, wenn er die Hände auf dem Rücken gebunden hat.“ Rief Daphne mit ihrer angenehmen, tiefen Stimme.
„Pepe ist schon unterwegs und holt Werkzeug“ sagte Ingo. „Aber Du kannst ihn so besser verarzten, er kann sich nicht wehren und wird still halten müssen.“
„Stimmt schon, aber....“ begann Daphne, doch Zandorra unterbrach sie:
„Ist schon okay, fangt ruhig an. Es wird ohnehin eine Weile dauern, bis die Ketten durch sind.“
Also wuschen die beiden Frauen Zandorra das Gesicht sauber, dann die Schulterwunde aus. Zandorra biss die Zähne zusammen und gab keinen Ton von sich.
„Sieht aus wie eine Stichverletzung.“ Murmelte nun Daniela. „Schau, Daphne, die Wunde hat ganz glatte Ränder, wie von einem Messer oder Degen.“
„Du hast recht,“ nickte die große Frau nun. „Sascha, da hat einer der Soldaten nicht geprügelt, sondern zugestochen.“
Zandorra schwieg. Er zuckte vor Schmerz zurück, als Daniela nun die Wunde desinfizierte. Es brannte höllisch!
„Tut mir leid, das tut ein wenig weh, aber es muss sein,“ entschuldigte sich Daniela.
„Ein wenig ist stark untertrieben,“ presste Zandorra zwischen zusammengebissenen Zähnen heraus. „Seid ihr endlich fertig?“
„Nein,“ Daphne blickte ihm ins Gesicht. „Die Wund muss genäht werden. Hältst Du das aus?“
„Mach schon, bringen wir es hinter uns.“ Zandorra schloss die Augen und lehnte sich gegen Rolf, der noch immer an ihm gefesselt war und hinter ihm saß.
„Ich habe eine Zange, ein Beil und ein paar Drähte!“ rief Pepe dazwischen, als er nun mit dem Werkzeug angelaufen kam.
„Du wirst jetzt noch warten müssen, erst wird er verarztet.“ Herrschte Daphne ihn an.
Pepe legte das Werkzeug auf den Boden und musterte die große Frau.
„Was hast Du denn mit der Nadel vor?“ fragte er argwöhnisch.
„Ich werde seine Schnittwunde an der Schulter nähen. Jetzt sei still und lass uns in Ruhe.“ Daphne schob ihn etwas zurück und beugte sich über Zandorra. Daniela tupfte noch etwas über die Verletzung, dann begann Daphne zu nähen.
Zandorra biss sich auf die ohnehin geschwollenen und aufgesprungenen Lippen. Blut rann ihm übers Kinn, er presste die Augen fest zu und war froh, dass Rolf hinter ihm saß und er sich an ihn lehnen konnte. Rolf indes war froh, dass er seinem Freund wenigstens als Stütze dienen konnte. Er blickte auf die Rebellen, die um sie herumstanden. Einige schauten zur Seite, konnten nicht mit ansehen, wie Zandorra ´gequält` wurde.
„Quentin hat bestimmt in der Küche schon alles vorbereiten lassen für eine kräftige Mahlzeit!“ rief Ingo jetzt. „Die Zirkusleute können schon mal essen gehen!“
Bewegung kam in die Umstehenden. Die Männer, die mit ihnen gekommen waren, bahnten sich nun einen Weg durch die Rebellen und liefen zur Küche. Einige Rebellen verschwanden ebenfalls. Die Zeit tröpfelte dahin, Daphne arbeitete konzentriert weiter.
Endlich richtete sie sich auf und holte tief Luft.
„Geschafft,“ verkündete sie, legte ein dünnes Tuch auf die Naht und klebte noch eine weitere Bandage darauf. Dann klebte sie noch ein Pflaster auf die Platzwunde an der Stirn und während Daniela mit einem kühlen Tuch das schweißnasse Gesicht des Rebellenführers abtupfte, packte sie ihre Sachen wieder in den Korb.
„sobald er sich etwas erholt hat, werden wir euch von den Ketten befreien.“ Sagte Ingo nun zu Rolf. „Dann könnt ihr etwas essen und zu Bett gehen.“
Zandorra blinzelte und atmete tief ein.
„Mir ist schlecht, ich brauche nichts zu essen,“ murmelte er. „Fangt schon an, die Ketten zu lösen. Ich will nur noch schlafen.“
Ingo winkte Pepe zu sich. Drängelnd schoben sich zwei Rebellen vor.
„Wir sind Spezialisten im Aufbrechen von Ketten, Schlössern und Tresoren. Lasst uns an die Sache ran gehen.“ Sagte der eine, ein hünenhafter Kerl mit Narben im Gesicht.
„Ich bin übrigens Karl, das ist mein Freund Gerwin,“ stellte er sie vor, während er die Ketten und die Handschellen der Rebellen abtastete.
„Ja, ich kenne euch,“ nickte Zandorra. Seine Stimme klang heiser und gepresst. „Du wurdest erwischt, als du in Hernes an der Grenze in ein Soldatenhaus eingedrungen warst und die Waffen klauen wolltest.“
„Sehr richtig,“ nickte der Hüne. „Ich wollte sie für die Mädchen der Schule stehlen, damit sie sich wehren könnten, wenn die Soldaten kommen. Ihr habt mich aus den Fängen der Soldaten befreit.“
Zandorra nickte. Er erinnerte sich an die Schicksale fast aller Rebellen.
Der Hüne grinste breit. Dann nahm er die Zange und zwei Drähtchen, winkte seinem Freund Gerwin und gab ihm einen Draht.
„Könnt ihr euch hinstellen, damit wir besser drankommen?“ fragte er die beiden Rebellen.
Zandorra erhob sich, doch Schmerzen, Erschöpfung und Hunger ließen ihn taumeln und er sackte zusammen. Ingo packte ihn am Arm und hielt ihn, sonst wäre er gestürzt. Rolf stand ruhig da und wartete geduldig ab, während nun zwei Rebellen Zandorra stützten.
Es dauerte gar nicht lange, da hielten Karl und Gerwin die Kette triumphierend in die Luft. Die Rebellen jubelten und klatschten, doch noch immer waren Zandorra´s und Rolf´s Hände hinter ihren Rücken mit Handschellen gefesselt.
„Ihr könnt Euch wieder setzen, Sir, wir können die Handschellen auch so entfernen.“ Sagte Karl und Ingo und Olli, der Zandorra mit gehalten hatte, ließen ihn auf die Felsen nieder.
Karl winkte dem Fackelträger und machte sich hinter Zandorra´s Rücken zu schaffen, dasselbe tat auch Gerwin bei Rolf und wieder vergingen nur Minuten, bis die Hände der Rebellen von den Handschellen befreit waren. Erleichtert nahmen sie ihre Arme vor und rieben sich die schmerzenden Gelenke.
„Ich mag Dich ja gern, Sascha, aber so eng will ich nicht mehr an Dir hängen,“ stellte Rolf fest und bewegte die Arme.
„Beruht auf Gegenseitigkeit,“ murmelte Zandorra, während er vorsichtig seine verletzte Schulter abtastete. „Ich werde mich jetzt in mein Zimmer begeben und schlafen.“
„Das ist eine hervorragende Idee,“ nickte Rolf und gähnte. „Ich bin so müde, dass ich nicht einmal mehr Hunger habe.“
Ingo und Olli halfen Zandorra beim Aufstehen und stützten ihn bis in sein Zimmer.
„Soll ich dir etwas zu essen bringen lassen?“ fragte Ingo.
„Nein, danke, Daphne hat dafür gesorgt, dass mein Hunger vergangen ist,“ murmelte Zandorra und legte sich aufseufzend auf sein Bett.
„Sei bloß ruhig, sie hat dich prima verarztet,“ verteidigte Ingo die große Frau.
„Sie hat mich gequält,“ brummte Zandorra und schloss die Augen. Ingo holte tief Luft, doch Zandorra schlug seine dunklen Augen auf und lächelte ihn an.
„Aber du hast recht, sie hat ihre Sache super gemacht. Kannst ihr ausrichten, dass ich ihr und Daniela sehr dankbar bin. Sobald ich ausgeruht bin, werde ich zu ihnen gehen. Achja, bevor ich es vergesse,“ er wurde ernst, „hast Du Zita irgendwo gesehen? Sie ist nach der Befreiung der Zirkusleute verschwunden.“
„Ja, sie ritt mit ihren Leuten hierher zurück und hat uns dann ein paar Pferde entgegengebracht. Das letzte Stück konnten fast alle reiten, es hat uns sehr geholfen, die Leute waren völlig erschöpft.“ Ingo ging zur Tür. „Schlaf jetzt, Zita ist gerade bei Rebecca mit den anderen Kindern. Sie muss lernen und das gefällt ihr gar nicht. Du kannst ja später mit ihr sprechen.“
Zandorra murmelte etwas, dann war er auch schon eingeschlafen.


Angriff mit Kanone

Schritt im Gang, Rufen, Stimmen und das Weinen und Lachen von Kindern weckten ihn schließlich auf. Verschlafen blinzelte er, sein eines Auge war etwas geschwollen. Zandorra hob die Hand und rieb sich vorsichtig die Augen. Er hatte Durst, seine Lippen fühlten sich trocken und rissig an und waren noch immer etwas geschwollen. Als er sich erheben wollte, spürte er die Prellungen von den Schlägen, die er hatte einstecken müssen und seinen rechten Arm konnte wegen der Schulterwunde nicht richtig bewegen.
Etwas steif richtete er sich auf, blieb auf dem Bettrand sitzen und lauschte den Stimmen im Flur. Offenbar nur der normale Betrieb, nichts ernstes. Er erhob sich schwerfällig, ging zu seinem Wasserkrug und schüttelte sich das kalte Wasser über seinen Kopf. Dann trocknete er sich ab, schlüpfte in ein frisches Hemd und zog sich saubere Hosen an. Zandorra ging zur Tür, öffnete sie und trat in den dämmrigen Flur. Ein paar Kinder huschten an ihm vorbei, ohne weiter auf ihn zu achten. Er schlenderte den Flur entlang zur Küche.
„Hallo, Babsi,“ grüßte er die dicke, gutmütige Frau, die erschrocken herumfuhr.
„Oh, hallo! Ihr habt mich erschreckt, ich bereite gerade den Teig für einen Pflaumenkuchen.“ Die dicke Babsi lächelte und wusch sich eifrig die Hände.
„Ihr wollt sicher etwas essen,“ stellte sie dann fest.
„Ja, das wäre nicht schlecht,“ nickte Zandorra und setzte sich auf einen Stuhl. Er sog genüsslich den Duft des Kaffees und der verschiedenen Gewürze ein, mit denen Babsi und ihre Frauen so hantierten.
„Ihr seid gestern ja sehr spät gekommen,“ stellte Babsi fest. „Die anderen waren alle schon längst da, hatten gegessen und sind schon teilweise schlafen gegangen, als Ihr endlich erschienen seid. Ich habe gehört, Ihr seid gefangen genommen worden?“
Neugierig blickte Babsi den Rebell an, stellte dabei einen Teller mit duftenden Speckeiern, Brot und Tomaten vor ihn und goss aus einer Kanne Kaffee in einen großen Becher.
Zandorra schob sich eine Gabel voll Eiern genüsslich in den Mund, nickte dann und antwortete: „Ja, Rolf und ich sind erwischt worden, als wir die falsche Spur legten. Die Zirkusleute konnten uns befreien. Wir sind so rasch wie möglich hergekommen, doch da Rolf und ich zusammengekettet waren, kamen wir nicht sehr schnell vorwärts. Jetzt lass mich erst essen, Babsi, ich habe seit einer Ewigkeit nichts mehr gegessen.“
„Ja, Ihr habt das Frühstück auch versäumt,“ nickte Babsi und hantierte wieder an ihrem Teig.
„Wie spät ist es denn?“ fragte Zandorra erstaunt.
„Nun, der Braten für das Mittagessen ist demnächst fertig, dann können erst mal die Kinder und die Frauen essen, die Männer bekommen etwas später ihre Mahlzeit, sonst reicht der Platz nicht. Ich wusste ja nicht, dass Ihr so viele Leute anbringt. Gut, dass Gregor und Leander auf der Jagd waren, sonst müssten wir nur Gemüse essen.“ Während Babsi weiter plauderte, aß Zandorra nachdenklich weiter. Als er fertig war, trank er seinen Kaffee aus und stand auf.
„Danke, Babsi, das tat gut. Jetzt fühle ich mich wieder wie ein Mensch.“ Er lächelte der dicken Frau freundlich zu und verließ die Küche. Die Mittagshitze schlug ihm entgegen, als er aus der großen Höhle auf den freien Platz trat. Die Sonne blendete und er blinzelte mehrmals.
„Ah, da bist Du ja! Hast Du endlich ausgeschlafen?“ begrüßte ihn die tiefe Stimme von Ingo.
„Hallo, Ingo,“ murmelte Zandorra und ging zum Brunnen, wo Ingo, Randolph, Webster, Marwin, Gregor und Leander an den Tischen im Schatten der Felsen saßen. „Wo ist Rolf?“
„Der müsste auch gleich kommen, ich habe ihn vorhin geweckt,“ teilte Ingo ihm mit. „Sascha, es sind nicht genug Räume da, um die ganzen Leute unterzubringen.“
„Wo haben die Leute denn die Nacht geschlafen?“ fragte Zandorra und blickte auf das Gewimmel um ihn herum. Auf dem großen, ebenen Platz spielten unzählige Kinder, lachten, kreischten, rannten herum, stritten sich auch mal. Dazwischen saßen Frauen an den groben Holztischen, nähten, strickten oder putzten Gemüse und plauderten lebhaft miteinander. Einige trugen ihre Babys in Tüchern an ihren Körpern. Ein Trupp Zirkusmänner erschien, bewaffnet mit langen, selbstgebauten Angeln, selbstangefertigten Keschern und Eimern.
René Feselmann führte sie an und sie blieben am Tisch bei Zandorra stehen.
„Hallo, wie fühlst Du dich?“ begrüßte er den Rebellenführer und musterte ihn.
„Wollt ihr angeln gehen?“ fragte Zandorra statt einer Antwort.
„Ja, wir wollen zum Fluss. An der westlichen Biegung gibt es riesige Karpfen und für die Unmenge Menschen hier brauchen wir jede Menge zu essen.“ Antwortete René Feselmann.
Zandorra nickte und warf wieder einen Blick auf das Gewimmel um ihn herum.
„Ja, ich muss mir etwas einfallen lassen, wo die ganzen Leute wohnen sollen. Jetzt im Sommer geht es ja, da können viele im Freien übernachten, doch später....“
Helles Stimmengewirr unterbrach ihn. Es übertönte durch zornige Ausrufe sogar den Lärm um sie herum. Zandorra und die Männer auf der Bank standen auf und schauten suchend herum. Es wurde ruhiger auf dem Platz, die Kinder und Frauen unterbrachen ihre Aktivitäten und lauschten ebenfalls den aufgebrachten Stimmen, die jedoch so durcheinander redeten, dass kaum ein Wort zu verstehen war.
Zandorra ging mit festen Schritten über den Platz, bog an dem Pfad zur Schlucht bei den Felsen ab und entdeckte auch schon den Trupp Jugendlicher, die sich lauthals zankten und rauften. Zwischen all diesen Jugendlichen, es mochten vielleicht sieben oder acht sein, konnte er einen schwarzgelockten Kopf erkennen. Dann ertönte ein greller Pfiff und bevor Zandorra noch eingreifen konnte, kam aus der Schlucht ein goldfarbenes Pferd herbeigaloppiert.
Die Jugendlichen fuhren auseinander, als der Hengst schnaubend hochstieg und der schwarze Lockenkopf sprang mit einem Satz auf das Tier. Zita!
Mit einem triumphierenden Schrei trieb sie ihr Pferd zurück und musste es scharf abbremsen, sonst hätte sie Zandorra über den Haufen geritten. Der blieb ruhig stehen und musterte Pferd und Reiterin mit zusammengezogenen Brauen.
Die Jugendlichen waren verstummt und starrten mit gemischten Gefühlen auf den Rebell.
„Darf ich fragen, was hier los ist?“ fragte der nun und seine ruhige Stimme hatte einen scharfen Beiton.
Schweigen.
„Wo willst du denn hin, Zita?“ fragte Zandorra weiter.
Das Zirkusmädchen blickte trotzig auf ihn herab und schwieg.
„Ulf, ich möchte Dich sprechen, komm bitte zum Wachhäuschen am Tor. Du auch, Zita. Bring dein Pferd wieder in die Schlucht und komm dann ebenfalls. Dirk, Taylor, auch ihr könnt mitkommen, ihr anderen verschwindet und haltet Ruhe, sonst werde ich sauer.“
Ohne ein weiteres Wort wandte er sich ab und ging zum unteren Tor.
„Ich brauche Dein Wachhäuschen kurz für eine Besprechung,“ teilte er dem Mann mit, der am großen Tor Wache hatte. Der nickte kurz und kam aus dem kleinen Häuschen heraus. Dieses war wirklich nicht sehr groß. Es diente der Torwache, meistens zwei bis drei Männer, als Unterschlupf gegen Regen, Sonne oder Schnee und einfach auch mal zum Hinsetzen und essen. „Ist Euer Besprechungsraum in der großen Höhle belegt?“ fragte der Wachmann erstaunt.
„Ja, es waren gestern mehr Menschen in Stade, als ich gedacht hatte und dazu noch die Zirkusleute. Überall wimmelt es jetzt von Menschen,“ antwortete Zandorra und setzte sich auf die harte Bank in dem Häuschen.
„Was wollt Ihr dagegen unternehmen?“ fragte der Mann.
„Ich muss darüber noch nachdenken, mir wird schon etwas einfallen.“ Zandorra blickte den Pfad entlang, auf dem jetzt langsam, sehr langsam Dirk, Taylor und Ulf herantrotteten.
Zandorra seufzte tief auf und lehnte sich zurück. Der Wachmann nickte kurz zu dem Trio hin.
„Gab wohl wieder Schwierigkeiten mit Ulf?“ vermutete er.
„Er kann nicht aufhören, sich aufzuspielen und herumzuprügeln.“ Zandorra seufzte wieder.
„Lasst Euch warnen, Sir, es wird immer wieder Schwierigkeiten mit diesem Jungen geben,“ warte der Wachmann. „Jetzt ist er noch recht jung, in wenigen Jahren ist er alt genug um zu erkennen, wie stark er selber ist und er wird sich mit Gewalt nehmen, was er will. Ich kenne seinen Vater, er schlägt ihm nach.“
„Ich werde ein ernstes Wörtchen mit ihm reden, vielleicht lässt er sich noch überzeugen, dass die Wahl seines Vorgehens nicht die richtige ist,“ meinte Zandorra.
„Warum redet Ihr nicht mit seinem Vater?“ fragte der Wachmann.
„Nein, das kann ich immer noch machen,“ lehnte Zandorra ab.
„Stören wir?“ fragte Ulf Handel und blickte frech durch die offene Tür.
„Nein, kommt rein,“ antwortete Zandorra und machte dem Wachmann ein Zeichen. Daraufhin ging dieser aus dem Häuschen und nahm seinen Beobachtungsplatz am großen Tor ein. Zandorra blieb auf seinem Stuhl sitzen und wirkte Ulf, Taylor und Dirk, sich ebenfalls zu setzen. Mürrisch ließen sich Ulf und Dirk auf die beiden Stühle nieder, während Taylor ein wenig schüchtern an der Tür stehen blieb.
„Hört zu, so geht es nicht weiter,“ begann Zandorra mit ruhiger Stimme. „Ich finde es nicht sehr lustig, wie ihr euch in letzter Zeit benehmt. Was wollt ihr damit bezwecken?“
„Ihr habt selber einmal gesagt, dass, wenn viele Menschen zusammen leben, einer oder eine kleine Gruppe die Chefs sein müssen, sonst gibt es ein Chaos.“ Ulf´s Stimme klang trotzig.
„Ach, und du willst jetzt versuchen, hier Chef zu werden?“ fragte Zandorra erstaunt.
„Und wenn schon. Außerdem werde ich Euch nicht in die Quere kommen, ich werde nur Chef von den Jugendlichen,“ sagte Ulf und blickte Zandorra herausfordernd an.
„Weißt Du, Ulf, diese Idee ist nicht mal schlecht, aber wie du sie ausführst, ist der falsche Weg.“ Zandorra beugte sich ein wenig vor. „Wenn die Jugendlichen jemandem von euch gehorchen sollen und Respekt vor euch haben sollen, musst du versuchen, fair, gerecht und trotzdem streng, gutmütig und doch hart zu sein. Du musst Unrecht von Recht unterscheiden können, musst versuchen, Streitigkeiten zum Besten für beide Seiten zu schlichten und....“
„Halt, Sir,“ unterbrach Ulf den Rebellenführer und hob die Hand. „Ihr versucht, mir da irgendetwas einzureden, damit ich von diesem Plan abkomme. So schwierig kann es nicht sein, wie Ihr sagt. Respekt verschaffen, da bin ich gerade dabei.“
„Aber doch nicht, indem du Mädchen verprügelst!“ Zandorra runzelte die Stirn.
„Diese Zigeuner- und Zirkusbrut, die Ihr hergebracht habt, muss wissen, wer hier ihr Herr ist und das fängt bei den Kleinen bereits an. Sicher kennt Ihr das Sprichwort: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.“ Ulf war von sich überzeugt.
„Ulf, diese Zirkusbrut, wie du sie nennst, hat mir das Leben gerettet. Mir und auch Rolf und den Menschen aus Stade.“ Zandorra´s Stimme klang nicht mehr so ruhig, es lag ein etwas drohender Unterton darin. Ulf zuckte die Schultern.
„Und? Die von Stade wolltet Ihr doch sowieso befreien und hattet bereits einen Plan. Es war nur einfacher mit den Zirkusleuten. Und ich bin sicher, Ihr und Rolf hättet Euch auch so befreien können, auch ohne die Hilfe dieser Brut.“
„Irgendwie willst du nicht verstehen. Ich möchte, dass Du Zita die Hand gibst und dich bei ihr entschuldigst. Immerhin habt ihr sie bereits das zweite Mal vermöbeln wollen.“
„Ich soll was?“ Ulf sprang empört auf. „Sir, das könnt Ihr nicht von mir verlangen! Ich fass dieses dreckige Gör nicht an und entschuldigen werde ich mich sowieso nicht!“
„Wenn Du mit mir keinen größeren Ärger haben willst, wirst Du das tun, Ulf Handel. Wenn Du jemals ein Chef werden willst, musst Du Dich überwinden und auch mal Sachen tun, die du vielleicht nicht tun willst. Wo bleibt übrigens Zita? Sie müsste doch auch längst da sein.“
„Seht Ihr, auf diese Leute ist kein Verlass!“ triumphierte Ulf sofort.
„Zita muss erst noch ihr Pferd versorgen und auch Du und Deine Freunde hattet es schließlich nicht eilig, zu kommen,“ stellte Zandorra richtig.
„Da kommt das Zirkusgör,“ meldete in dem Moment Taylor von der Tür her. Ulf zog eine Grimasse und blickte finster vor sich hin.
Gleich darauf kam auch schon Zita hereingestürmt, bremste dicht vorm Tisch, dass der Staub aufwirbelte und blickte Zandorra mit rotem Gesicht, blitzenden Augen und völlig verstrubbelten Locken an.
„Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat,“ keuchte sie. „Ich musste noch....“
„Schon gut, Zita, hol erst mal tief Luft,“ Zandorra lächelte kurz. „Ich habe gerade schon mit Ulf gesprochen. Warum provozierst du ihn, Zita? Ich denke, wenn Du ihn in Ruhe lässt, wird er Dich auch nicht immer angreifen.“
„Pah,“ machte Zita verächtlich. „Ulf ist ein Angeber und er.....“
Ulf sprang auf und schon standen sich die zwei wieder gegenüber mit wütend funkelnden Augen und bösen Gesichtern.
„Das glaub ich fast nicht. Hört ihr jetzt endlich auf? Jetzt ist Schluss damit! Gebt euch die Hände und haltet endlich Ruhe!“ Zandorra stand ebenfalls auf. „Ulf! Zita! Ich werde.....“
„Soldaten!!!“ ertönte plötzlich ein Schrei vom Wachturm. Zandorra fuhr herum und rannte aus dem Häuschen. “Wir sind noch nicht fertig“ rief er den beiden Streithähnen über die Schulter zurück. Dann kletterte er die Leiter zum Turm hinauf und stellte sich neben den Wachmann. Der zeigte hinunter zur Ebene.
„Seht, Sir, sie kommen vom Fluss. Sie fahren in großen Booten.“
Schweigend beobachteten sie den Fluss. Unzählige Boote, voll besetzt mit bis an die Zähne bewaffneten Soldaten, näherten sich und schon legten die ersten Boote unterhalb der Felsen an. Von hier oben sahen sie winzig aus, doch die Waffen glänzten im Sonnenlicht.
„Können sie uns gefährlich werden?“ fragte eine helle Stimme hinter ihnen. Zita. Dieses unverbesserliche Zirkuskind war natürlich die Leiter ebenfalls hochgeklettert und blickte mit aufgerissenen Augen hinunter auf den Fluss.
„Normalerweise nicht, aber sie sind sehr viele und wirken sehr entschlossen. Wir werden den Alarm auslösen. Wir müssen....“ er verstummte plötzlich und beugte sich vor.
„Zita,“ Zandorra griff nach dem Mädchen und zog es zur Mauer. „Zita, schau, ist dies diese Kanone, die sie benutzt haben, um euer Zirkuscamp zu überfallen?“
Zita starrte hinunter. Dort hievten gerade viele Soldaten ein langes, glänzendes Etwas, das sehr schwer sein musste, aus einem Boot, zerrten mühsam dieses Ding über das Ufer.
„Ja, Sir, das muss diese Kanone sein,“ flüsterte Zita entsetzt.
„Wache, ihr gebt Alarm. Zita, du läufst zu Rebecca. Sie soll die Kinder und die Frauen in die Höhlen bringen, so tief wie möglich. Geh mit ihnen. Ulf!“ rief er die Leiter hinab und die drei Jungen schauten ängstlich hinauf. „Lauf mit Zita zu Rebecca, geht in die Höhlen. Beeilt euch!“ Noch während er die Worte rief, ertönte der Warnruf der Wachen, pflanzte sich fort und hallte von den Bergen wider. Auf dem großen Platz verstummten Geschrei und Unterhaltung und alle erstarrten und blickten zum großen Tor.
Während nun die Rebellen loshasteten, standen diejenigen, die aus Stade kamen und die Zirkusleute verwirrt herum.
„Verdammt, freilich, sie sind erst seit gestern hier. Sie kennen den Alarm nicht und wissen auch nicht, wie sie sich verhalten sollen,“ murmelte Zandorra. Dann wandte er sich an den Wachmann neben sich.
„Behalte die Soldaten im Auge. Ich muss wissen, wohin sie dieses Ungetüm von Kanone bringen.“ Er wandte sich um und stieß gegen Zita.
„Verdammt, was tust du noch hier? Ich habe doch gesagt, du sollst zu Rebecca laufen.“ Schimpfte er, packte das Mädchen an den Schultern und schob sie zur Leiter. Rasch kletterten sie hinab. Schon kamen einige der Rebellen angelaufen.
Zandorra rannte zum Brunnen, sprang auf den Rand und rief mit lauter Stimme:
„Leute aus Stade, Zirkusleute! Ihr kennt unseren Alarm nicht! Wir üben hier mehrmals den Notfall, doch dies ist keiner! Soldaten kommen über den Fluss! Sie werden wieder versuchen, unsere Festung zu stürmen! Habt keine Angst, noch ist es ihnen nicht mal gelungen, bis an unsere Mauern zu kommen! Tief in den Höhlen haben wir Lebensmittel, Fackeln und Wasser, um für eine Flucht oder eine längere Versteckzeit oder Belagerung gewappnet zu sein! Folgt den Anweisungen der Bergrebellen! Diejenigen von euch, die gesund und kräftig sind und nicht gefoltert wurden, bleiben hier, die anderen gehen in die Höhlen!“
„Sascha, es sind zu viele. Die Höhlen können nicht so viele Menschen aufnehmen.“ Das war Ingo, der herangekommen war.
„Ich weiß. Hört her! Einige von euch erden auf die Berge steigen! Das können nur die, die keine Kleinkinder haben und keine Verletzungen! Alle Jugendlichen, die gesund sind, werden hinaufsteigen! Stan, Albert und Bertram werden euch die Pfade hinauf führen! Wenn ihr ihnen folgt, ist es ziemlich ungefährlich! Jetzt beeilt euch und bringt euch in Sicherheit!“
„Was ist mit Dir? Was willst Du und die anderen Männer hier tun?“ fragte Stacey, die vor dem Brunnen stehen geblieben war. Sie trug ihren Sohn auf dem Arm.
Zandorra sprang herunter. „Hab keine Angst, Stacey. Wir werden die Soldaten auf Abstand halten. Wir stehen relativ sicher hinter diesen Mauern. Geh jetzt in die Höhlen, du kannst Rebecca und Daphne helfen, die Kinder zu beruhigen.“ ER legte ihr die Hand auf die Schulter. Stacey stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen kurzen Kuss auf die Wange.
„Pass auf die auf, ich sorge mich um dich,“ flüsterte sie. „Du bist der letzte, der von euch übrig geblieben ist. Du musst für uns alle weiterkämpfen, sei vorsichtig.“
Zandorra strich Randy über das rote Haar und drückte Stacey kurz an sich.
Dann lief die Frau mit ihrem Kind zu den Höhlen.
„Ingo, Rolf, Hannes, Josh, Milo und Tankred, kommt mal her. Ihr anderen hört ebenfalls zu!“ Er winkte die Männer heran.
„Es gibt diesmal ein Problem. Die Soldaten bringen eine Kanone heran. Sie haben damit das Zirkuscamp überfallen.....“
„Oh Gott, diese Kanone hat eine unglaubliche Reichweite,“ sagte Milo entsetzt.
„Gunnar, der Wache hat, beobachtet die Soldaten und teilt uns dann mit, wohin sie die Kanone gebracht haben!“ sprach Zandorra weiter, ohne auf Milo zu achten. „Wir werden uns auf der gesamten Felsbrüstung verteilen und die Soldaten an der Kanone immer wieder beschießen. Vielleicht lassen sie dann von ihr ab. Wir müssen v ersuchen, sie so anzugreifen, dass sie sich nicht mehr an die Kanone trauen. Wir haben von hier oben bessere Chancen als sie. Uns schützen die Felsen und wir haben den freien Ausblick. Nehmt jetzt die Gewehre und verteilt euch.“
Ingo und Rolf teilten die Gewehre aus. Die bewaffneten Männer erklommen die Leitern und verteilten sich auf der Felsenpalisade, die teils auf natürliche Art, teils von den Rebellen erschaffen wurde und die harmloseren, somit auch gefährdeten Stellen der Berge absperrten.
Zandorra ging wieder zum großen Tor und stieg dort hinauf zu Gunnar, dem Wachposten.
„Und? Haben sie sie schon platziert?“ fragte der Rebellenführer und stellte sich neben Gunnar.
„Ich fürchte, sie werden sie dort stehen lassen, Sir.“ Gunnar zeigte hinab und Zandorra konnte nur ein kleines Stück der riesigen Kanone sehen, das hinter einer natürlichen Felsbarriere hervorspickte.
„Verdammt, an die große Barriere habe ich nicht gedacht,“ murmelte Zandorra. „Wir werden nicht an die Soldaten herankommen.“
„Sie werden vielleicht nicht bis hierher treffen,“ hoffte Gunnar. „Immerhin sind sie fast fünfzig Meter unterhalb der Felsenburg.“
Täusch dich nicht, diese Kanone hat eine unglaubliche Reichweite. Sie haben....“ Zandorra wurde durch einen ohrenbetäubenden Knall unterbrochen. Gleich darauf hörten sie ein singendes Zischen, dann wurde kurz vor der Felspalisade ein riesiger Gesteinsbrocken praktisch in die Luft gesprengt. Es regnete tausende kleine Steinsplitter. Die Rebellen duckten sich hinter die Felsen. Das Echo des Knalles pflanzte sich in den Bergen fort, ein paar Vögel flohen kreischend, danach herrschte erst mal Stille.
„Rebellen!“ durchschnitt plötzlich die scharfe Stimme eines Soldaten die Ruhe. „Dies war nur eine kleine Kostprobe. Die Felsenburg in den Blauen Bergen ist uns wohlbekannt, der Zutritt zur Burg war bisher unmöglich. Die Wahl eures Versteckes war gut! Doch jetzt ist die Zeit gekommen, wo es für euch besser ist, aufzugeben! Kommt mit erhobenen Händen einzeln heraus, ihr erspart euch so ein brutales, langes und blutiges Ende! Der König wird Gnade vor Recht ergehen lassen, jedoch verlangt er von euch die Herausgabe eures Rebellenführers Sascha Zandorra! Der Überfall auf Stade war ein Überfall zuviel! Der König ist erzürnt über die Dreistigkeit Zandorra´s. Er wird euch alle verschonen, doch diesen einen Rebell will er haben! Rebellen, überlegt es euch gut: Freiheit und Herausgabe Zandorra´s oder es wird Blut fließen! Wir lassen euch ein Stunde zur Beratung, dann eröffnen wir das Feuer!“
Der Soldat trat wieder hinter die Felsbarriere zurück. Erregtes Flüstern auf der Palisade zeigte, dass die Rebellen miteinander heftig diskutierten.
Zandorra setzte sich auf einen großen Stein und schaute auf den großen Platz seiner Felsenburg. Er runzelte die Stirn.
„Sascha,“ erklang die Stimme Ingo´s hinter ihm, „solltest Du gerade darüber nachdenken, ob Du Dich opfern sollst, damit nicht soviel Blut fließt, vergiß es.“
Zandorra wandte sich erstaunt zu seinem Freund um.
„Wie kommst du darauf?“ fragte er. Ingo musterte ihn.
„Nun, ich kenne Dich lange genug. Aber wir werden dich nicht herausgeben. Wir haben doch nicht solange für unsere Freiheit gekämpft und geben jetzt einfach so auf.“
„Halt, Ingo,“ Zandorra hob eine Hand. „Es ist gut, dass ihr so denkt. Ich selber sage mir auch, dass wir kämpfen müssen. Wenn wir jetzt aufgeben, mal davon abgesehen, was der König mit mir anstellen wird, waren alle bisherigen Opfer umsonst. Die ganze Zuflucht, die Befreiungen, unsere gesamten Übungen – alles wäre für nichts gewesen. Glaubt doch nicht, dass der König auch nur einen Rebell verschonen wird! Er wird euch alle nach Stade bringen lassen, kein einziger von euch wäre noch frei! Die Rebellion wird völlig zusammenbrechen und der Tyrann Wolfram mit seiner Macht und seiner Brutalität noch stärker werden!“
„Wir wissen es und wir wollen kämpfen!“ rief Hannes, der ungefähr acht Meter entfernt auf der Felspalisade stand und zu ihnen blickte. Diesen Ruf nahmen nun die anderen Rebellen auf und sie waren sich einig.
„Gut, dann brauchen wir keine Stunde Zeit.“ Zandorra stand auf. „Wir werden sie auffordern, zuerst zu schießen.“ Er kletterte auf die Felsenmauer. Ingo hielt die Luft an, denn jetzt war Zandorra nicht nur ein gutes Ziel für die Soldaten, sondern es reichte ein falscher Tritt und er stürzte meterhoch in die Tiefe. Doch Zandorra hatte offenbar keinerlei Hemmungen.
„Soldaten!“ rief er mit klarer, lauter Stimme. „Wir sind uns einig und wir brauchen keine Stunde Zeit dazu! Wir ziehen einen ehrlichen Kampf der Sklaverei des Königs vor! Denn jeder weiß, dass König Wolfram sein Wort niemals hält! Und ich habe nicht bisher gekämpft, um mich kampflos in die Hände des Tyrannen zu begeben!“
„Ihr seid verrückt, Rebellen!“ brüllte der Hauptmann zurück. „Wir haben eine Kanone! Wißt ihr nicht, was das heißt? Wir werden euch auslöschen! Wollt ihr das wirklich?“
„Wir werden nicht aufgeben! Wir werden kämpfen!“ riefen die Rebellen im Chor.
Dann knallte ein Schuß. Zandorra sprang rasch von der Mauer und nahm sein Gewehr auf.
„Rebellen!“ rief er seinen Leuten zu. „Schießt nur, wenn ihr sicher seid! Laßt sie ihr Pulver verschwenden!“ Die Soldaten schossen inzwischen immer wieder. Das Echo der Berge warf die Schüsse immer wieder zurück, so dass der Lärm ohrenbetäubend anschwoll. Dann zerriß der fürchterliche Donnerknall der Kanone die Luft, ließ die Erde erzittern. Ein Stück der Felspalisade flog in die Luft, zwei Rebellen stürzten hinab. Zandorra lief los und kam an die Unglücksstelle. Beide Rebellen waren tot – erschlagen von umherstürzendem Gestein. Obwohl Zandorra bereits viele Tote gesehen hatte, obwohl er auch selber schon hatte töten müssen um zu überleben, traf ihn der Anblick des Todes immer wieder h art. Er wandte sich ab und begann, den steilen Felsen hochzuklettern. Er hörte Ingo rufen, achtete jedoch nicht darauf. Mit zusammengebissenen Zähnen stieg er weiter, das Gewehr in die Schärpe gesteckt. Wieder übertönte der Knall der Kanone die Schüsse, explodierte die Kugel in den Felsen. Die Soldaten an dieser Kanone konnten sie in aller Ruhe immer wieder laden, sie saßen sicher hinter der Felsbarriere, die ihnen perfekten Schutz vor den Schüssen aus der Burg bot.
Zandorra kletterte verbissen weiter. Eine Kugel prallte kurz über ihm vom Felsen ab und jaulte als Querschläger weiter. Der Rebellenführer zog den Kopf ein, verharrte kurz und stieg weiter hinauf. Plötzlich erschien neben ihm keuchend ein schwarzer Kopf.
„Sascha, he, wenn du Zielscheibe spielen willst, warum stellst du dich nicht einfach auf die Mauer?“ Milo war ihm gefolgt! Klar, als Zirkusartist fiel ihm die Kletterei wesentlich leichter als dem Rebell, zumal Zandorra noch durch seine verletzte Schulter behindert wurde.
„Milo!“ keuchte er und spähte zu dem Zirkusmann. „Was tust du hier? Geh wieder hinunter, es ist zu gefährlich hier.“
„Eben,“ antwortete Milo, der jetzt auf gleicher Höhe war. „Warum kletterst dur hier herum? Die Soldaten werden ein Scheibenschießen auf dich veranstalten.“
„Ich muss versuchen, von oben an die Soldaten an der Kanone heranzukommen. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, diese Kanone ist ein Teufelsding. Sie hat wirklich eine ungeheure Reichweite.“ Zandorra zog sich ein Stück höher, duckte sich, als wieder eine Kugel dicht neben ihm einschlug und scharfe Steinsplitter aus der Felswand riß.
Gleich darauf schlugen gleich mehrere Gewehrkugeln um sie herum ein, jaulten teilweise als Querschläger weiter. Zandorra hörte, wie Milo scharf die Luft einsog.
„Komm noch ein Stückchen höher, dann können wir uns hinter einer Felsengruppe verschanzen. Ich hoffe, wir sind dann hoch genug. Milo, bist zu verletzt?“ Zandorra wandte den Kopf und blickte auf den Zirkusmann, der sich neben ihm an die Felsen klammerte.
Milo antwortete nicht und so stieg Zandorra weiter, schwang sich über einen großen Gesteinsbrocken und packte den Artist von oben an die Schulter.
„Achtung, Milo, ich helfe dir! Ich ziehe dich hoch.“ Keuchte er. Während um sie herum die Kugeln einschlugen, schafften sie es, bis hinter die großen Steinbrocken zu kommen, wo sie sich erst einmal hinkauerten und verschnauften.
„Haben sie dich erwischt, Milo?“ fragte Zandorra dann.
„Ist nicht so schlimm, nur mein Bein,“ presste Milo zwischen den Zähnen heraus. Zandorra blickte auf Milo´s Bein. Etwas oberhalb des Knies breitete sich ein immer größer werdender roter Fleck aus. Wortlos riß Zandorra seine Schärpe ab, legte das Gewehr auf den felsigen Boden und zog ein Messer aus seinem Stiefel. Mit raschem Schnitt zersäbelte er das Hosenbein des Artisten, presste es auf die Wunde und band seine Schärpe sehr fest darüber. Milo atmete keuchend, sein Gesicht war verzerrt.
„Daphne muss dich nachher verarzten, solange musst du noch aushalten,“ sagte Zandorra und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Bleib hier liegen, Milo, ich versuche, die Soldaten zu erwischen.“ Er griff nach dem Gewehr und spähte über den Felsen.
„Milo, ich kann sie sehen,“ rief er erleichtert aus. Milo lächelte verzerrt.
„Dann hat es sich wenigstens gelohnt,“ murmelte er und schloss die Augen.
Zandorra hob sein Gewehr, zielte sorgfältig und schoß. Er sah die Soldaten dort unten, erkannte ihr Entsetzen, als einer von ihnen getroffen zusammensackte. Sie hatten sich sicher gefühlt hinter der Felsbarriere, nun mussten sie einsehen, dass sie auch Zielscheiben waren!
Trotzdem luden sie die Kanone neu, feuerten den ohrenbetäubenden Schuß! Wieder wurde ein Teil der Felspalisade zerstört. Eine Kugel war sogar bis über die Ebene gekommen und hatte den Brunnen zerfetzt. Zandorra schoß wieder, wandte sich dann an Milo, um zu sehen, wie es ihm ging. Da sah er jemanden über den großen Platz huschen und schaute genauer hin.
„Nein! Das darf nicht wahr sein!“ rief er dann ärgerlich aus. „Zita!!!“ brüllte er gleich darauf. In dem lauten Knallen und Krachen, dem explodieren der Felsen, dem Schreien der Verletzten und dem Widerhall des Echos konnte das Zirkusmädchen ihn unmöglich hören.
Milo wandte sich um und jetzt entdeckte er sie auch, wie sie zur Schlucht laufen wollte.
„Sie will zu den Pferden,“ rief er Zandorra zu.
„Das kann ich mir denken, doch sie läuft praktisch direkt über das Zielgebiet! Ist denn lebensmüde? Zita!!! Verschwinde!!!“ Zandorra brüllte, so laut er konnte, doch er musste einsehen, dass es zwecklos war. Zita konnte ihn gar nicht hören, lief in raschem Zickzack und in geduckter Haltung über den Platz. Milo zog Zandorra gerade rechtzeitig wieder hinunter, bevor eine Gewehrkugel haarscharf neben ihm einschlug.
„Sie kann dich nicht hören,“ murmelte Milo und lehnte sich zurück. Zandorra musterte den Zirkusartist besorgt. Verzweifelt dachte er nach, wie er die Situation retten könnte. Hier lag Milo, verletzt und daher unfähig, hinunter zu klettern, dort lief Zita quer über das Gebiet, das am meisten unter Beschuss stand und er selber hockte zwischen den Felsen auf dem Berg. Er musste irgendwie versuchen, die Kanone unschädlich zu machen, doch wie? Die Zeit rannte ihm davon, die Soldaten zerstörten mit jedem Kanonenschuss etwas mehr von der sicheren Felsenburg. Außerdem brauchte Milo unbedingt ärztliche Hilfe und Zita musste in Sicherheit gebracht werden.


Zandorra´s Überraschung für die soldaten

Zandorra rieb sich über das Gesicht. Dann blickte er über die Felsen hinunter zu den Soldaten an der Kanone. Sie luden gerade das Mörderding wieder.
Zandorra fasste einen Entschluß. Er drückte Milo sein Gewehr in die Hände.
„Hier, wenn du es schaffst, versuche die Soldaten abzulenken.“
„Was hast du vor?“ fragte Milo und richtete sich auf.
„Entweder mein Plan klappt, oder die Felsenburg wird vernichtet,“ antwortete der Rebellenführer kurz und huschte geduckt um die Felsenwand. Hier musste er an der Wand entlang steigen, vorsichtig an die Steine gepresst, tastete er sich langsam weiter. Er hielt den Blick starr auf eine Art Höhle gerichtet, die etwa zahn Meter entfernt mitten in den Felsen ragte. Die Höhle war eigentlich nur ein etwas größerer Spalt und es führte ein Weg dorthin. Zandorra hatte sie einmal entdeckt, als er die Felslandschaft erkundet hatte und fand es nicht allzu schwer, dorthin zu gelangen. Es war für einen schwindelfreien, einigermaßen geübten Kletterer sicher nicht schwierig, doch nun ging es um Milo, um Zita und die anderen Rebellen und er stand unter Zeitdruck. Dies machte die Kletterei gefährlich, doch mit jedem vorsichtigen Schritt kam er dieser kleinen Höhle näher. Keuchend erreichte er sie endlich, hockte sich in den schmalen Eingang der Höhle und atmete erst einmal kräftig durch. ER blickte nach unten: steil führte die Felswand mindestens zwanzig Meter hinab, zwischendurch hingen größere Felsblöcke wie festgeleimt am Berg. Zandorra wandte sich um und kroch in die Höhle. Er tastete herum, bis er fand, was er suchte. Schwarzpulver, Munition, Wurfmesser, Pistolen und Säbel, Degen und Floretts lagen hier herum. Dies war sein Waffennotlager. Eines Nachts, nach seiner Entdeckung dieser Höhle, hatte er mühselig die Sachen heraufgebracht. ER hatte niemanden davon gesagt, es sollte wirklich nur ein Notlager sein. Wie kam es ihm jetzt zugute!
Zandorra stopfte sich nun mehrere Messer in seinen Hosenbund, hängte sich einen Degen über die Schulter, dann zog er sein Hemd aus und füllte es mit Schwarzpulver und Pistolen, sowie Bleikugeln als Munition und band es sich sorgfältig um die Hüften. Er kroch vorsichtig aus der Höhle, nahm noch ein paar Schwefelhölzchen, die er auch noch ins Hemd stopfte und begann eine gefährliche Kletterpartie in die andere Richtung als die, aus der er gekommen war. So kletterte er um den Berg herum und würde die Soldaten überraschenderweise von hinten überfallen können. Einmal hielt er kurz an und zog seine Stiefel aus, die er auf einen Felsen stellte. Barfuß konnte er besser ertasten, wohin er treten musste, um nicht abzustürzen. Seine Schulterwunde fing durch den Verband zu bluten an und der Schmerz breitete sich über den ganzen Arm aus. Zandorra biss die Zähne zusammen und versuchte, den Schmerz zu ignorieren.
Immer wieder donnerte die Kanone, knallten die Gewehre und schrieen die Verletzten. Das Echo in den Bergen warf diesen Lärm ununterbrochen zurück und Zandorra brauchte sich keine Mühe zu geben, leise zu sein. Niemand würde ihn kommen hören.
Endlich erreichte er die letzte Biegung um den Berg und – zuckte erschrocken zurück. Er stand fast direkt hinter einem Soldaten, der einen Pulverbeutel in der Hand hielt. Zandorra band sein Hemd ab und legte es auf den Felsenboden. Er öffnete es, so dass Pistolen, Messer, Pulver, Munition und Schwefelhölzchen offen vor ihm lagen. Dann gab er dem Soldaten vor ihm einen kräftigen Stoß, dass dieser mit einem überraschtem Schrei vom Felsen stürzte. Zandorra griff blitzschnell nach seinen Messern und warf sie auf die nichts ahnenden Soldaten. Schreie ertönten, Verwirrung machte sich breit. Wo kamen die Messer her? Die Soldaten konnten es sich nicht vorstellen! An der Kanone standen etwa zwölf Soldaten, unterbrachen ihr Laden und suchten aufgeregt nach dem Schützen. Zandorra hockte hinter seinem Felsen und lud seine Pistolen. Dann sprang er auf und schoß so schnell hintereinander auf die Soldaten, wie er mit den Pistolen schießen konnte.
Einige stürzten getroffen zu Boden, die anderen suchten verzweifelt nach Deckung. Doch wenn sie vor ihm in Deckung gehen wollten, würden sie sich außerhalb des Schutzes dieser Felsbarriere begeben und von den Rebellen unter Beschuß genommen werden.
Zandorra warf die leeren Pistolen zur Seite und nahm zwei andere. Wenn er diese Soldaten an der Kanone überwältigen konnte, wären sie gerettet! Die anderen Soldaten belagerten die Felsenburg viel weiter unten, im Schutz der Felsen, doch um zur Kanone zu kommen, mussten sie beinahe zehn Meter steil bergauf und völlig schutzlos herankommen. Eine zu große Entfernung, da sie dann in der Zeit völlig unter dem Beschuß der Felsenrebellen waren!
Zandorra riß die letzten zwei Pistolen an sich und schoß. Er wusste nicht, ob und wie viel Soldaten er getroffen hatte, er wollte sie zur Flucht oder zur Aufgabe bewegen!
Dann wurde er angegriffen! Er packte seinen Degen und setzte sich verbissen zur Wehr. Da die Überraschung noch immer auf seiner Seite stand, hatte er gute Chancen, sich gegen die geschockten vier Soldaten zu wehren, die auf ihn einstürmten. Dank der Übungen im Rebellenlager war er flink und wendig!
Fassungslos schauten die Rebellen von der Felsenmauer zu. Sie konnten wegen der Felsbarriere nicht allzu viel erkennen, doch sahen sie die Soldaten plötzlich herumrennen, umfallen und verzweifelt nach ihren Waffen suchen.
„Was ist da unten los?“ brüllte Ingo verblüfft.
„Keine Ahnung, es sieht so aus, als würden die Soldaten angegriffen, aber von wem?“ antwortete Rolf und suchte angestrengt die Felsen ab.
Da packte ihn Ingo am Arm.
„Rolf, das ist doch nicht möglich!“ stieß Ingo fassungslos hervor. „Sag mir, dass ich mich täusche! Das kann nicht wahr sein!“
„Wo? Was siehst du?“ fragte Rolf. Ingo streckte seinen Arm aus und zeigte hinab.
„Schau, dort, Rolf! Am unteren Ende des steilen Berges, zwischen den Felsen! Siehst du ihn?“
„Ja, da kämpft jemand mit dem Degen gegen ein paar Soldaten.“ Rolf kniff die Augen zusammen. „Ingo, das ist Sascha!“ rief er dann aus.
„Eben,“ nickte Ingo trocken. „Ich weiß zwar nicht, wie dieser Teufelskerl dorthin kommt, aber wir müssen ihm die anderen Soldaten vom Leib halten. Rebellen!“ brüllte er dann aus Leibeskräften. „Rebellen, schießt, was das Zeug hält! Wir müssen die Soldaten in Schach halten, sie dürfen nicht näher kommen! Dort unten kämpft Sascha Mann gegen Mann, haltet ihm die unteren Soldaten vom Leib!“
Seine Stimme wurde vom Echo ebenso übernommen, wie die Schüsse und sofort begannen die Rebellen, loszuballern.
Befriedigt nahm Zandorra zur Kenntnis, dass seine Rebellen ihn vor den anderen Soldaten schützten. So sprang er aus seiner Felsennische und bedrängte die letzten zwei Soldaten so heftig, dass der eine seine Waffe verlor.
„Verschwinden wir, das ist der Teufel!“ brüllte der Soldat seinem Kumpel z und die beiden rannten hinab über die freie Fläche zu den anderen Soldaten. Diese beiden wurden von den Rebellen verschont, sie schossen nicht auf die hilflosen, flüchtenden Männer.
Zandorra wandte sich zur Kanone, versuchte, sie umzudrehen. Natürlich schaffte er das nicht. Waren doch fast ein Dutzend Soldaten nötig, um dieses Monstrum zu transportieren!
„Soldaten, das Blatt hat sich gewendet! Ich habe die Kanone unter Kontrolle und auf euch gerichtet!“ Zandorra hoffte, sie würden nicht sehen können, dass die Kanone keineswegs auf die Soldaten gerichtet war. Und sein Bluff klappte!
„Was verlangst du, Rebell?“ brüllte der Hauptmann. „Gebt auf, ihr habt keine Chance!“
„Im Gegenteil, wir haben alle Chancen!“ widersprach Zandorra. „Zieht euch zurück, geht hinunter in eure Boote und verschwindet von hier. Jeder Soldat, der sich hier zeigt, wird erschossen. Euer Rückzug wird dagegen gedeckt sein. Wir werden nicht auf die Soldaten schießen, die den Berg hinuntergehen, doch wehe dem, der sich umdreht und wieder hinaufsteigt! Richtet dem König aus, dass er sich Sascha Zandorra selber holen soll! Ich weiß, dass er niemals Mann gegen Mann mit mir kämpfen wird, doch wir könnten ein Treffen veranstalten und über die Zukunft dieses Landes beraten! Vielleicht werden wir uns sogar einig und seine Tyrannei hat ein Ende!“
„Du musst verrückt sein, Rebell!“ brüllte der Hauptmann verblüfft. „Du willst den König herausfordern? Willst ihn treffen? Der König haßt dich so sehr, dass er auf deinen Kopf eine hohe Belohnung gesetzt hat. Höher, als jemals eine Belohnung für einen Mann war! Und er will dich lebendig! Du willst dich freiwillig in seine Fänge geben? Das werde ich ihm ausrichten, doch er wird es mir niemals glauben!“
„Laß es mich wissen, wie er sich entscheidet! Und jetzt geht! Dreht euch nicht um, lauft rasch den Berg hinunter, ohne Zögern!“ Zandorra riß einen Ärmel von seinem Hemd, füllte ihn mit Schwarzpulver, knotete ihn zu und steckte eine Schnur hinein, die er ebenfalls festband. Dann zündete er die Schnur an und warf es zu den Soldaten. Wenige Sekunden später explodierte das Schwarzpulver zwischen den Soldaten, die erschrocken und entsetzt aufschrieen und den Berg hinab flohen.
„Ihr Feiglinge, das war nicht die Kanone!“ brüllte der Hauptmann hinter den Flüchtenden her. „Das war eine harmlose Schwarzpulverbombe, die in Stoff gewickelt war und daher nicht mal großen Schaden anrichten kann!“ Doch es war sinnlos, die fliehenden Soldaten zurückhalten zu wollen. Zandorra grinste zufrieden, kletterte auf die Kanone und beobachtete den Rückzug der Soldaten. Dann winkte er den Rebellen, die auch sogleich laut jubelnd aus der Festung stürmten. Bevor sie jedoch Zandorra erreichen konnten, tauchte plötzlich der Hauptmann auf und warf sich von hinten auf den Rebell. Beide stürzten von der Kanone, landeten in staubigem Geröll. Die Rebellen verhielten erschrocken in ihrem Lauf, vom Felsengang donnerten ein paar Schüsse, um die anderen Soldaten weiter zur Flucht zu treiben. Zandorra und der Hauptmann kämpften verzweifelt. Beide waren waffenlos und es war ein Kampf Mann gegen Mann.
„Gib auf, Rebell!“ keuchte der Hauptmann. „Du bist wahnsinnig!“
„Warum folgt Ihr dem König? Er ist derjenige, der wahnsinnig ist!“ japste Zandorra.
„Der König hat sein Volk unter Kontrolle!“ widersprach der Hauptmann.
„Er tyrannisiert sein Volk, das nennt Ihr unter Kontrolle?“ fragte Zandorra.
Ingo schüttelte ungläubig den Kopf.
„Jetzt unterhalten die sich auch noch beim Kämpfen,“ murmelte er dabei.
„Er wird dich früher oder später erwischen, Rebell, dann wird er jedoch nicht mehr gnädig sein!“
„Gnädig? Der König kennt dieses Wort nicht!“ Zandorra wich geschickt einem Schlag aus und stellte dem Hauptmannein Bein. Dieser stolperte, warf sich jedoch herum und landete auf de Rebell, dem keuchend die Luft aus den Lungen gepresst wurde.
„Du hast keine Chance gegen die Macht des Königs! Warum kämpfst du gegen ihn? Für wen?“
Zandorra schaffte es, den Hauptmann von sich zu stoßen und taumelnd auf die Füße zu kommen.
„Ich kämpfe für die Rache, dafür, dass er meine Familie umgebracht hat!“ stieß Zandorra hervor.
„Und warum? Weil die Zandorras Rebellen waren!“ japste der Hauptmann und warf sich von neuem auf den Rebell.
„Nein, wir waren friedliche Bürger und es war meine Hochzeit, als die Soldaten kamen,“ keuchte Zandorra und warf sich seinerseits auf den Hauptmann. Sie prallten mit heftiger Wucht aufeinander, beide stießen die Luft aus und stöhnten auf, fielen seitwärts und schlugen in den Staub.
„Der König wird schon wissen, warum er euch strafte,“ presste der Hauptmann hervor. „Und ich werde dich dem König präsentieren. Du wirst als mein Gefangener ins Schloß geführt werden und ich werde erster Minister beim König! Sein bester Mann!“
„Ihr träumt, Hauptmann! Soweit kann es gar nicht kommen!“ Zandorra sprang wieder auf die Füße und der Hauptmann, der nach ihm getreten hatte, verfehlte sein Ziel. Dann tastete der Hauptmann nach einem großen Stein, hob ihn hoch und warf ihn auf den Rebell. Der Stein verfehlte Zandorra um Haaresbreite und er warf sich wieder auf den Soldaten.
„He, Hauptmann, bisher war der Kampf fair, doch wenn Ihr Steine nehmt, hört die Fairneß auf!“ keuchte er wütend.
„Ich pfeife auf deine Fairneß, Rebell! Ich will dich haben, tot oder lebendig!“ stieß der Hauptmann hasserfüllt aus.
Beide kamen auf die Füße und umkreisten sich langsam. Keiner von ihnen ließ den Blick vom anderen. Und plötzlich stolperte der Hauptmann, schnappte dabei einen Stein und eine Handvoll Staub und schleuderte beides dem Rebell ins Gesicht. Zandorra schrie überrascht auf, fiel hintenüber und schon war der Hauptmann wieder über ihm.
„Jetzt ist es aus mit dir, Rebell!“ zischte er Zandorra ins Ohr und holte aus. Doch der Rebellenführer wandte sich blitzschnell zur Seite und rollte sich weiter, bis er and en Rand des Felsplateaus kam. Er blinzelte und rieb sich verzweifelt den Staub aus den Augen und richtete sich auf. Nur schemenhaft erkannte er den heranstürmenden Hauptmann, warf sich zur Seite und beide stürzten in den Abgrund! –
Zandorra griff blitzschnell zu, erwischte einen Felsvorsprung und hielt sich mit letzter Kraft verzweifelt fest. Der Hauptmann indes stürzte mit einem gellenden Schrei hinunter. Die Rebellen rannten heran und Ingo und Rolf zogen Zandorra hinauf. Hustend, keuchend und die Augen reibend kniete der Rebell im Staub, während die anderen Rebellen um ihn herumstanden.
„Wie bist du dorthin gekommen?“ fragte Ingo nach einer Weile neugierig.
„Ich zeige dir den Weg später,“ Zandorra hustete, spuckte Staub und richtete sich auf. „Rebellen, ran an die Kanone! Wir bringen sie in die Felsenburg!“
Sofort kam Bewegung in die Rebellen. Keuchend und fluchend zogen und schoben sie die tonnenschwere Kanone den Pfad hinauf.
„Jemand muss zum Felsplateau oberhalb des Tores klettern. Milo liegt dort oben. ER ist verletzt.“ Sagte Zandorra mit heiserer Stimme, strich sich die staubigen, strähnigen blonden Haare aus dem Gesicht und tastete dann vorsichtig seine verletzte Schulter ab.
„Die Zirkusleute sollen ihn herunterholen,“ bestimmte Ingo und schickte ein paar der Artisten zu Milo hinauf. „Komm, Sascha, du siehst aus, als könntest du jetzt eine Pause gebrauchen.“
„Ja, ich muss nur erst nach diesem ungezogenen Zirkuskind schauen, diese Zita. Ich sah sie mitten über den großen Platz laufen, als sie zu den Pferden wollte.“ Schwer atmend und ein wenig humpelnd trottete er zum Eingang der Felsenburg.
„Wo hast du deine Schuhe, Sascha?“ fragte Ingo mit einem Blick auf die nackten Füße des Rebells.
„Irgendwo oben in den Felsen,“ antwortete der. „Ich werde sie später holen.“
„Einer der Zirkusleute könnte doch....“
„Nein, die müssen erst einmal Milo dort hinunterholen und das wird nicht leicht werden,“ meinte Zandorra und blieb stehen. Er kniff die Augen zusammen und schaute hinauf zu den Felsen, hinter denen Milo liegen musste. Ein paar Zirkusartisten kletterten gerade die steile Felswand empor, Tankred allen voraus, er hatte auch ein langes, festes Seil um die Brust geschlungen.
„Ingo, sobald Milo in Sicherheit ist hole mich. Ich werde mal zur Schlucht gehen und nach diesem ungezogenen Zirkuskind sehen. Hoffentlich ist sie nicht verletzt worden.“
„Wo sollen die Rebellen die Kanone hinstellen?“ fragte nun Rolf.
„Achja, das Mörderding,“ murmelte Zandorra und rieb sich den Nacken. „Stellt sie am besten an die Mauer und zwar so, dass das Rohr aus einem Loch hinaus schaut. Wenn nötig, müsst ihr ein Loch in die Felsenwand brechen. Nur so nützt uns das Ding etwas. Achja, Rolf, mach mir eine Liste von den Verletzten und Toten und sieh zu, dass die Verletzten verarztet werden. Ingo, kümmere dich bitte noch um die Aufräumarbeiten. Es gibt jetzt allerhand zu tun, um dieses Chaos von Felsengestein wieder wegzuräumen. Da können ruhig auch die Kinder und vor allem die Jugendlichen mit anfassen. Dann kommen auch Ulf und seine Freunde nicht mehr auf dumme Gedanken. Und Zita werde ich ebenfalls zu euch schicken, sobald ich mit ihr fertig bin.“
Rolf und Ingo liefen davon, um die Aufträge auszuführen. Zandorra ging vorsichtig über den mit Steinen, Geröll und Felsstücken übersäten Platz zur Schlucht. Er stieg den Pfad hinunter und hatte freien Blick auf die Pferdeherde, die dicht beisammen in der Schlucht stand. Die Tiere waren unruhig, schnaubten und warfen die Köpfe, blieben jedoch friedlich zusammen stehen. Zandorra runzelte die Stirn und musterte die große Herde. Nirgends konnte er hier einen Menschen entdecken. Da die Schlucht geschützt und etwas abseits der restlichen Felsenburg lag, waren die Kanonenkugeln bis hierher nicht gekommen und auch die herabstürzenden Felsen hatten in der Schlucht keinerlei Spuren hinterlassen. Einzig und allein der aufgewühlte Bodengrund bewies, dass bei den Pferden während der donnernden Schüsse Panik ausgebrochen sein musste. Jedoch jetzt war alles friedlich und ruhig. Zandorra seufzte und ging hinab zum Gatter.
„Zita!“ rief er besorgt. „Zita, komm heraus! Ich weiß, dass du hier irgendwo bist!“
Er wartete, während das Echo seine Stimme zurückgab und die Pferde unruhig zu tänzeln begannen.
„Zita!“ rief er nun etwas lauter.
„Nicht so laut, Sir, es war schwierig genug, die Pferde zu beruhigen,“ mahnte eine helle Mädchenstimme plötzlich aus dem H olzbau neben ihm. Zandorra fuhr herum, konnte jedoch niemanden sehen. Er ging um die Holzwand herum und – blickte auf Zita, die am Boden hockte und einer hellen Stute beruhigend über die Nüstern strich. Die Stute lag im Heu, ihr Körper war schweißnaß und sie zitterte.
Zandorra holte tief Luft, schluckte seine Strafpredigt hinunter und kniete sich neben das Zirkusmädchen.
„Was ist mit ihr?“ fragte er.
„Durch diesen Lärm hat sie sich unheimlich aufgeregt und jetzt wird bald ihr Fohlen zur Welt kommen,“ murmelte Zita, während sie unablässig die Stute streichelte.
„Bist du den verletzt?“ erkundigte sich Zandorra, musterte das Mädchen kurz und untersuchte mit schickten Händen den aufgetriebenen Bauch des Pferdes.
„Nein, Sir, natürlich nicht,“ brummte Zita und beobachtete ihn fasziniert.
„Was heißt hier natürlich nicht?“ knurrte der Rebell, unterbrach seine Untersuchung und starrte Zita stirnrunzelnd an. „Immerhin bist du mitten durch das Schlachtfeld gelaufen. Was fällt dir überhaupt ein, nicht in den Höhlen zu bleiben? Kannst du denn nie gehorchen?“
„Sir, es tut mir leid, aber die Pferde, sie waren so verängstigt, ich...“ murmelte Zita zerknirscht und schielte von unten zu dem Rebell hoch.
„Schon gut, aber das nächste Mal tust du, was ich sage, verstanden?“ Zandorra widmete sich wieder der Stute, die heftig zu keuchen angefangen hatte. Zita antwortete vorsichtshalber nichts darauf, beugte sich über den Kopf des Tieres und redete leise auf sie ein. Die Stute wurde ruhiger, dann erzitterte ihr Körper und ein Stönen ertönte. Gleich darauf erschienen die Vorderhufe des Fohlens. Zandorra packte sie und unterstützte die Stute während der Geburt. Inzwischen waren einige Rebellen erschienen, die nach Zandorra sehen wollten. Ihnen voran natürlich Ingo! Sie blieben schweigend am Eingang des Holzbautes stehen und beobachteten Zita und Zandorra, die der Stute bei der Geburt halfen. Dann, endlich, lag das winzige Fohlen im Heu! Es war noch ganz naß, sah schwarz aus und die Stute wandte sofort den großen Kopf zu ihrem Kind und begann, es sorgfältig abzulecken. Die Rebellen hielten den Atem an und endlich bewegte sich das neugeborene Pferdchen, hob den Kopf und versuchte, sich aufzurichten.
Die Rebellen brachen in verhaltenen Jubel aus, Zandorra ging zu Zita und legte den Arm um das Mädchen.
„Das Fohlen ist zu früh, es hätte erst nächste oder übernächste Woche geboren werden dürfen,“ teilte Zita ihm ernsthaft mit. „Darum ist es so schwach.“
„Aber es lebt und die Stute wird schon dafür sorgen, dass es kräftiger wird,“ lächelte der Rebell. „Komm, wir lassen Mutter und Tochter nun alleine. Du kannst vor dem Dunkelwerden noch mal nach ihnen sehen.“
Zögernd wandte sich Zita ab und ging mit den Rebellen den Pfad hinauf. Hier oben waren sämtliche Menschen beschäftigt, die Geröll- und Felsenstücke fortzuräumen, während ein paar Männer versuchten, den Brunnen zu reparieren.
Zandorra sah auch Ulf und seine Freunde, die fleißig die großen Felsstücke zerschlugen, damit andere Jugendliche sie in große Kisten werfen konnten, die sie dann gemeinsam über den Rand der Felsenschlucht vor dem Tor kippten.
„Ist alles in Ordnung?“ fragte Zandorra nun Ingo.
„Ja, die Verletzten sind in der großen Höhle, es sind vier Tote zu betrauern,“ teilte Ingo mit.
„Ist Milo in Sicherheit?“ erkundigte sich Zandorra weiter.
„Milo?“ rief Zita überrascht aus. „Was ist mit Milo?“
„Er wurde von einer Kugel getroffen,“ sagte Zandorra kurz und schob sie zu den anderen Jugendlichen. „Du kannst den anderen helfen, die Steine wegzuräumen.“ „Wie geht es ihm?“ fragte Zita und stemmte sich gegen Zandorra´s Griff.
„Verdammt, Zita, du kannst nachher nach ihm sehen, er muss erst versorgt werden! Jetzt geh endlich und mach dich nützlich!“ Brummend und zögernd trottete das Mädchen zu den anderen Jugendlichen. Zandorra wandte sich ab.
„Komm, Ingo, gehen wir zu den Verletzten. Wer verarztet sie denn?“
„Tja, Sascha, das ist ein Problem“ murmelte Ingo und strich sich über den Bart. „Wir haben keinen richtigen Arzt unter den Rebellen. Daphne, Daniela und Stella tun ihr bestes, aber sie können nicht operieren.“
„Es sind so viele Rebellen in der Felsenburg und da soll kein Arzt dabei sein? Auch niemand, der die Verletzten notversorgen kann?“ fragte Zandorra ungläubig.
„Nun, außer Daphne und Daniela, die Krankenschwestern waren und Stella, die ihnen hilft, hat sich niemand gemeldet, der eine Ahnung von ärztlicher Kunst hat,“ antwortete Ingo. „Und sie weigern sich, zu operieren. Daphne meint, dazu reichen ihre Kenntnisse nicht aus, es wäre zu gefährlich, sie hat auch nicht die richtige Medizin und Geräte dazu.“
„Hm,“ machte Zandorra nachdenklich, „ich kenne einen sehr guten Arzt, doch der wohnt in Janten. Wie lange halten es die Verletzten ohne Arzt noch aus?“
„Ich weiß es nicht, gehen wir zu Daphne, sie kann dir Auskunft geben,“ schlug Ingo vor. Zandorra nickte.

„Okay, beeilen wir uns. Wir müssen auch unbedingt die Rebellen aufteilen und einen Teil in ein anderes Versteck bringen. Die Felsenburg ist zu klein für so viele Menschen.“
„Aber wohin sollen sie denn gehen?“ fragte Ingo. „Kennst du noch einen Ort, der so sicher ist wie die Blauen Berge?“ Zandorra schwieg nachdenklich und sie erreichten die große Höhle, wo die Verletzten auf Matratzen und auf dem Boden lagen. Einige stöhnten vor Schmerzen, einige waren bewusstlos und andere, die nicht so schwer verletzt wurden, bekamen von den Frauen gerade etwas zu essen gebracht.
Zandorra und Ingo gingen zu Daphne, die einem jungen Mann gerade das Bein verband.
„Hallo, Daphne,“ grüßte Zandorra leise. Die große Frau wandte sich um.
„Oh, hallo Sascha,“ sie lächelte kurz, beendete den Verband und erhob sich. „Sascha, wir brauchen dringend einen Arzt. Ich....“
„Ich weiß, Daphne, Ingo erzählte es mir,“ unterbrach Zandorra die Frau. „Sag Du mir jetzt, wie schwer die Verletzungen sind. Und wo ist Milo? Geht es ihm sehr schlecht?“
„Die Blutungen konnten wir soweit stoppen, doch bei einigen Leuten müssen Splitter und Kugeln entfernt werden. Zwei sind sehr schwer verletzt, sie halten ohne ärztliche Hilfe höchstens noch zwei Tage durch. Und mehrere Männer haben Knochenbrüche durch die Felsenstücke erhalten. Komm, Milo liegt dort drüben. Es war ein schweres Stück Arbeit für die Zirkusleute, ihn von dort oben herunter zu holen. Er muß auch operiert werden, die Kugel steckt in seinem Schenkel. Sascha, es tut mir leid, aber das kann ich nicht.“
„Schon gut, Daphne, du leistest hier ganze Arbeit. Ich wüsste nicht, was wir ohne Dich, Stella und Daniela tun sollten,“ Zandorra lächelte die Frau beruhigend an und wandte sich dann an den Zirkusartisten, der mit geschlossenen Augen auf einer Matratze lag.
„Milo, hast du starke Schmerzen?“
„Daphne hat mir zum Glück ein Mittel gegeben, dass sie nicht so schlimm sind,“ murmelte Milo, öffnete seine kohlschwarzen Augen und blickte den Rebellenführer erschöpft an.
„Was ist passiert, Sascha? Du warst plötzlich verschwunden, dann erschienen nach ewiger Zeit die Zirkusleute und holten mich runter.“
„Ich bin um den Berg herumgestiegen und konnte die Soldaten von hinten angreifen.“ Zandorra hockte sich neben den Artist auf den Boden. „Du hättest mir nicht nachklettern sollen, Milo.“
„Doch, Sascha, wir konnten dich doch nicht einfach ganz alleine dort hoch steigen lassen. Jemand musste dir Beistand leisten,“ flüsterte Milo. „Nur leider habe ich mich erwischen lassen und alles verbockt.“
„Nichts hast du verbockt, mein Lieber,“ Zandorra lächelte leicht. „Alles wäre wahrscheinlich anders ausgegangen, wenn du nicht getroffen worden wärest.“
Milo blickte ihn erstaunt und verständnislos an.
„Ehrlich, Milo. So musste ich mir schnellstens etwas ausdenken. Unten lief Zita übers Schlachtfeld, oben lagst du schwer verletzt und die Soldaten waren dabei, mir meine Festung zu zerstören. Also hatte ich mich wieder an meine längst vergessene Munitionshöhle erinnert und bin ohne Nachzudenken losgeklettert.“
„Ohne Nachzudenken, das ist bei Dir sowieso normal,“ brummte Ingo hinter ihm. Ohne auf ihn zu achten erzählte Zandorra kurz, wie er die Soldaten überraschen, sie überwältigen und zum Rückzug bringen konnte.
„Nur ein Hauptmann hatte mich noch angegriffen. Nach einem kurzen Kampf ist er in die Tiefe gestürzt. So, Milo,“ Zandorra erhob sich. „Ich werde nach Janten reiten und den Arzt aus dem Krankenhaus holen. Er ist ein guter Freund von mir und kann dir helfen. Hälst du solang durch?“
Milo nickte mit geschlossenen Augen.
„Er wird gleich einschlafen, ich habe ihm ein starkes Mittel gegen die Schmerzen gegeben,“ teilte Daphne leise mit. „Willst du wirklich nach Janten reiten? Das ist gefährlich, du weißt, du wirst gesucht.“
„Ich paß schon auf. Immerhin bin ich ihm das schuldig. Ohne mich wäre er nie dort hinaufgeklettert.“
„Ja, die Idee war schon verrückt,“ stimmte Ingo ihm zu. „Aber es war die einzige Möglichkeit, und somit völlig vertretbar. Soll ich mit dir reiten? Es ist sicherer, zu zweit.“
„Danke, Ingo, aber ich brauche dich hier.“ Zandorra blickte ihn ernst an. „Auf dich hören die Leute, du hast sie hergeführt. Du musst hier bleiben und dafür sorgen, dass alles in Ordnung ist. Und frag mal René, ob bei den Zirkusleuten nicht jemand dabei ist, der Daphne unterstützen kann. Auch sie müssen doch jemanden haben, der sich mit Medizin ein wenig auskennt.“
„Gut.“ Die beiden Männer wandten sich ab und gingen aus der Höhle. Aber nimm wenigstens Rolf mit. Du selbst hast uns allen nahe gelegt, dass wir niemals alleine aus der Burg reiten sollen.“
„Also schön, Rolf soll mich begleiten. Halt, Kleiner,“ er winkte einen kleinen Jungen zu sich, der gerade vorbeigelaufen kam. „Sei so lieb und suche Rolf. ER soll bitte gleich zu mir in mein Zimmer kommen.“
„Jawohl, Sir!“ rief der Kleine und stürmte davon.
„Gut, Ingo, du kümmerst dich hier um alles, ich bin in meinem Zimmer und werde mir etwas anziehen und packen, damit wir gleich heute noch losreiten können.“ Zandorra wandte sich ab und ging ein wenig humpelnd wegen der vielen Stein, über die er barfuß gehen musste, zum Höhleneingang, wo die Wohnräume der meisten Rebellen lagen.
Der kleine Junge, dem Zandodrra den Auftrag gegeben hatte, Rolf zu suchen, war niemand anderes als Carlito. Und der hatte natürlich nichts anderes zu tun, als zuerst zu seiner Freundin Zita zu rennen. Er fand sie bei den Felsen, wo sie in aufreizender Langsamkeit die zerschmetterte und im Wege herumliegenden Steine in Eimer und Handkarren räumte, damit diese dann von anderen Jugendlichen über die Schluchten entleert werden konnten. Ulf Handel blickte immer wieder stirnrunzelnd zu dem Zirkusmädchen. Er ärgerte sich, dass Zandorra darauf bestanden hatte, dieses eigensinnige Mädchen ausgerechnet in seiner Gruppe arbeiten zu lassen. Ulf war nämlich der Boß seiner Gruppe, doch Zita dachte gar nicht daran, auf ihn zu hören. Nun erschien auch noch dieser Kleine, der genauso struppige, schwarze Haare hatte, auch so dünn und zart war und so schmutzig und staubig aussah wie Zita. Zwar hatte er nicht ganz diese gebräunte Haut und auch nicht so dunkle Augen, doch gehörte er zu der Menschenart, die Ulf verabscheute.
Carlito zog Zita heftig am Ärmel und wisperte aufgeregt mit ihr. Ulf schlenderte unauffällig näher, doch obwohl er die Ohren spitzte konnte er nicht verstehen, was der Kleine dem Zirkusmädchen ins Ohr flüsterte.
Zita nickte mehrmals. Dann warf sie einen faustgroßen Stein zur Seite, nahm den Jungen an die Hand und gemeinsam rannten sie zu den Höhlen. Ulf starrte ihr wütend hinterher.
„He, Zirkusgör!“ brüllte er. „Die Arbeit ist noch nicht beendet! Was fällt Dir ein, enfach davonzulaufen!“
Zita achtete nicht auf ihn und verschwand mit Carlito in der kleinen Höhle, wo ein Großteil der Lebensmittel untergebracht waren, da hier quer durch die Höhle ein schmaler, eiskalter Rinnsal strömte und durch die Kälte die Waren frisch blieben.
„Woher weißt Du, dass Rolf hier drinnen ist`?“ fragte Carlito atemlos.
„Ich habe ihn vorhin sagen hören, dass er nach der Nahrung sehen wolle.“ Antwortete Zita. Es war eigentlich nicht gestattet, in die Höhle zu gehen; normalerweise wurde sie sogar versperrt, damit die Übersicht über die vorhanden Lebensmittel nicht durch heimliche Naschereien bestehen bleiben konnte. Doch die Tür stand auf und Rolf und drei weitere Rebellen beugten sich über ein dickes Buch, das auf einem der derben Holztische lag. Zwei der Rebellen waren Frauen.
„Was macht denn ihr hier?“ fragte eine der Frauen erstaunt, als sie die beiden Kinder erblickte.
„Wir sollen Rolf suchen,“ antwortete Carlito ernsthaft.
„Hier bin ich,“ Rolf richtete sich auf und musterte die beiden. „Von wem aus sollt ich mich denn suchen?“
„Sascha Zandorra hat Carlito den Auftrag gegeben, Rolf zu suchen und ihm zu sagen, dass er gleich zu ihm in sein Zimmer kommen soll,“ sagte Zita und blickte sich neugierig um.
„Dann musst du wohl gehen, Rolf,“ lächelte die Frau. „Petra, Fredo und ich werden hier weitermachen.“
„Also gut, schreibt auf, was wir brauchen, ich komme und hole die Liste. Hat Sascha gesagt, um was es geht?“ wandte sich Rolf an die Kinder, während sie aus der Höhle traten.
„Er will nach Janten reiten und einen Arzt holen für die Verletzten,“ teilte ihm Zita mit.
Rolf musterte sie erstaunt.
„Das hat er dir erzählt?“ fragte er ungläubig.
„Naja, Sir, ich habe das so mitgekriegt,“ murmelte das Zirkusmädchen und wich seinem Blick aus.
Rolf seufzte.
„Okay, ihr beide geht wieder zu den Felsen und helft beim Aufräumen. Ich glaube nicht.....“
„Och nein, Sir, ich versteh mich nicht so gut mit Ulf und wir zanken dauernd. So geht die Arbeit nie voran und ich könnte doch mitkommen und ihr braucht sicher meine Hilfe und....“
Rolf lachte laut. Er legte dem Mädchen die Hand unters Kinn und blickte ihr ins Gesicht.
„Warum sollten wir deine Hilfe gebrauchen? Meinst du, wir können nicht reiten?“ er lachte wieder und ging weiter. „Außerdem könnt ihr meinetwegen auch am Brunnen mithelfen. Im Moment gibt es überall genug zu tun, da musst du nicht unbedingt mit Ulf zusammenarbeiten. Geht jetzt und danke für die Auskunft.“ Noch immer lächelnd erreichte er die große Höhle, während Zita und Carlito empört stehen geblieben waren.
„Ich habe aber keine Lust zum Aufräumen,“ stellte Zita trotzig fest.
„Ich auch nicht,“ stimmte Carlito ihr zu. „Und zu den anderen Kindern will ich auch nicht,. Sie helfen in der Küche.“ Er zog eine Grimasse. „Was wollen wir machen, Zita?“
„Wir gehen zu den Pferden, ich zeige dir das Fohlen,“ schlug Zita vor, woraufhin der Kleine begeistert zustimmte.


Der Arzt wird geholt

Rolf indessen klopfte an Zandorra´s Zimmertür und trat dann ein. Der Rebellenführer hatte sich gewaschen und umgezogen und sah mit seiner dunkelblauen Hose, dem weinroten Hemd und der schwarzen Schärpe wieder sauber und ordentlich aus. Seine blonden, schulterlangen, lockigen Haare waren noch naß und er blickte Rolf lächelnd entgegen, während er in leichte Lederhalbschuhe schlüpfte.
„Hallo, Rolf, hat dich der Kleine gefunden? Das ging aber schnell.“
„Der Keine und Zita,“ antwortete Rolf und schüttelte den Kopf. „Diese Zita. Sie wollte mit uns reiten, weil wir sicherlich ihre Hilfe gebrauchen können.“ Er lächelte wieder, doch Zandorra runzelte die Stirn.
„Ich fürchte, mit diesem Kind haben wir uns eine Laus in den Pelz gesetzt,“ murmelte er. „Sie wird versuchen, uns zu folgen, Rolf. Ich glaube, das Mädchen macht, was sie will. Es gibt für sie keine Regeln und schon gar keine Verbote. Ich weiß nicht, wie ich mit ihr klarkommen soll. Sie hat das Herz auf dem rechten Fleck, ist mutig, hilfsbereit und entschlossen, aber sie geht ihren Weg, egal, was man zu ihr sagt.“
„Ich habe beide zum Brunnen geschickt, damit sie dort helfen sollen. Sie versteht sich mit Ulf nicht und streitet sich immer mit ihm.“
„Ich weiß, Ulf und Zita, irgendwann werde ich das mal in die Hand nehmen müssen, doch momentan haben wir Wichtigeres zu tun. Rolf, wir müssen nach Janten.“
Rolf nickte.
„Ich weiß, du willst den Arzt aus dem Krankenhaus holen, damit er die Verletzten behandeln kann.“
„Woher weißt du das? Das habe ich doch mit Ingo besprochen?“ fragte Zandorra erstaunt.
„Zita sagte es mir,“ Rolf zuckte die Schultern. „Sie hat ihre Ohren überall, Sascha. Wenn wir nach Janten reiten, können wir auf dem Rückweg Lebensmittel einkaufen. Petra, Fredo und Sandy stellen gerade eine liste zusammen, was uns fehlt.
„Gut,“ Zandorra stand auf und griff nach einer Tasche. „Hole Du deine Sachen, ich bin soweit fertig und werde die Liste holen gehen. Wenn wir gleich losreiten, können wir uns noch in der Dunkelheit nach Janten reinschleichen. Vielleicht schaffen wir gerade die Wachablösung im Morgengrauen, das wäre die beste Möglichkeit.“
„Wo sind deine Stiefel? Warum hast du diese leichten Schuhe an?“ fragte Rolf mit einem Blick auf Zandorra´s Füße. Der grinste.
„Tja, meine Stiefel stehen irgendwo in den Felsen und ich habe keine anderen Schuhe. Zieh dir etwas dunkles an, damit wir nicht so auffallen.“ Er klopfte Rolf kurz auf die Schulter, lief aus dem Zimmer und zum Höhlenausgang. Rolf ging in sein Zimmer, um sich umzuziehen.
Zandorra traf Sandy auf dem großen Platz. Die Frau winkte mit der Liste in ihrer Hand.
„Wann reitet ihr los, Sascha?“ fragte sie. „Wir haben eine recht lange Liste zusammen, könnt ihr beiden alles transportieren?“ Zandorra griff nach dem Zettel und las ihn sorgfältig durch.
„Wir werden noch ein Pferd extra mitnehmen, da können wir dann alles tragen.“ Er steckte die Liste in seine Tasche und wandte sich zur Pferdeschlucht. „Rolf und ich werden jetzt gleich losreiten. Die Verletzten brauchen so schnell wie möglich einen Arzt.“
„Gut, viel Glück und lasst euch nicht erwischen,“ mahnte Sandy und lief weiter. Zandorra blieb am Gatter der Schlucht stehen und pfiff seinem Schimmelhengst. Das Tier, das weiter hinten in der Schlucht graste, warf den Kopf hoch und kam angaloppiert. Zandorra streichelte seine Nüstern und flüsterte ruhig mit ihm. Dann legte er dem Pferd den Sattel auf, hängte die Tasche darüber und streifte ihm das Zaumzeug über. Er sprang über das Gatter und ging mit ruhigen Schritten zu Rolf´s Pferd, einem kräftigem Fuchs mit einer weißen Blesse. Zandorra zäumte das Tier ebenfalls auf, führte es dann zum Gatter und legte den Sattel auf den Rücken. Zum Schluß holte er noch ein drittes Pferd, zum Tragen der Einkaufssachen und band es an seinen Schimmel fest. Da erschien auch schon Rolf, hängte seine Tasche an seinen Sattel und blickte sich um.
„Hast du Zita hier irgendwo gesehen?“ fragte er dabei.
„Nein, warum? Ist sie denn hier? Du hast sie doch zum Brunnen geschickt.“ Zandorra runzelte die Stirn.
„Dort ist sie nicht, ich war gerade da,“ antwortete Rolf unruhig.
„Warum tut sie nicht das, was man ihr aufträgt?“ brummte Zandorra wütend. „Wir haben keine Zeit, dieses Gör zu suchen. Wenn jemand sie sieht, sollen sie sie einsperren, bis wir wieder hier sind. Dann werde ich sie mir mal vorknöpfen.“ Er schwang sich auf den Schimmel und auch Rolf stieg auf sein Pferd.
Am Tor zur Felsenburg wandte sich Zandorra an den wachhabenden Rebell.
„Gregor, hör zu, wenn du Zita, dieses Zirkusmädchen, siehst, dann halte sie fest. Sie darf uns nicht folgen. Sperr sie von mir aus ein, wenn sie Ärger macht, ich werde mit ihr reden, sobald ich wieder hier bin.“
„Okay, Sir, werden wir machen,“ der Rebell Gregor grinste und öffnete das schwere Tor. Zandorra und Rolf ritten den schmalen Pfad hinab.
Inzwischen hockten Zita und Carlito im Heu und blickten sich empört an.
„Hast du das gehört?“ fragte Carlito ungläubig, „Er will dich einsperren!“
„Und ob ich das gehört habe!“ Zita schnaubte zornig. „Ich laß mich aber nicht einsperren!“
„Was willst du tun?“ fragte Carlito ängstlich.
„Ich hau ab! Sobald ich mich hier blicken lasse, werde ich eingesperrt! Also werde ich fortreiten, bis Zandorra und Rolf wieder da sein. Dann kann ich ernsthaft mit dem Rebellenführer reden.“ Zita stand auf und schüttelte sich das Stroh von der Kleidung.
„Darf ich mit dir gehen?“ bettelte Carlito und erhob sich ebenfalls. „Ich will nicht alleine hier bleiben.“
„Von mir aus,“ stimmte Zita zu. „Aber du darfst keine Angst haben. Wenn ich dabei bin, wird dir nichts passieren. Ich pass auf dich auf, aber du musst tun, was ich dir sage.“
„Ja, Zita, natürlich!“ jubelte der Kleine. „Aber,“ er wurde wieder ernst, „wie willst du von hier fortkommen? Du hast doch gehört, dass die Wache dich aufhalten soll und auch die anderen werden dich festhalten, wenn du wegreiten möchtest.“
„Wir reiten einfach die Schlucht entlang. Irgendwo wird sie ja wohl enden.“ Sagte Zita unbekümmert. „Nimmst du ein eigenes Pferd oder willst du zu mir mit aufsteigen?“
„Ich habe doch gar kein eigenes Pferd,“ gab Carlito zu bedenken.
„Wenn du eines willst, bekommst du eins,“ bestimmte Zita, pfiff ihrem Fabian und holte ein kleineres, stämmiges Pferd mit hellblonder Mähne heran. Darauf hob sie nun den Jungen, dessen Augen glücklich strahlten. Dann schwang sich Zita selber auf ihr Pferd und die beiden ritten in die Schlucht hinein.

Zandorra und Rolf ritten in leichtem Galopp am Fluß entlang. Beide schwiegen. Am Nachmittag zogen dicke Wolken am sonst so blauen Himmel auf. Zandorra blickte besorgt auf die Wolkenwand und ließ seinen Schimmel in langsameres Trab fallen. Rolf lenkte sein Pferd neben ihn und meinte:
„Es sieht fast so aus, als würden wir endlich etwas Regen kriegen.“
„So, wie sich die Wolken auftürmen, könnte es etwas mehr als `ein wenig` werden,“ sagte Zandorra und zog eine Grimasse. „Hoffentlich wartet der Regen noch bis morgen Abend. Dann sind wir vielleicht mit dem Arzt wieder in den Bergen.“
Rolf nickte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Ich hätte momentan nichts gegen etwas Regen einzuwenden,“ murmelte er. „Es ist verdammt heiß und er wäre bitter nötig.“
„Ja, stimmt schon, doch wenn es zu heftig regnet, kann die ausgetrocknete Erde das Wasser kaum aufnehmen. Was das bedeutet, weißt du ja.“
„Ach, Sascha, sieh nicht immer so schwarz,“ seufzte Rolf. Er kniff die Augen zusammen und blickte in den Himmel, der sich immer mehr verdunkelte. War das die langsam einsetzende Dämmerung oder kam dieses gedämpfte Licht von den dicken Wolken? Sie wurden immer dicker und dunkler, die Luft schien zu stehen und die Hitze ließ alles in kurzer Entfernung schon verschwimmen. Es wehte kein Lüftchen.
„Können wir nicht mal eine Rast machen?“ fragte Rolf nach einiger Zeit. „Nicht nur die Pferde sind erschöpft, mein Hintern und mein Magen sagen mir auch, dass es Zeit ist, mal eine Pause einzulegen.“
„Okay, dort hinten, bei der Baumgruppe werden wir rasten,“ antwortete Zandorra, ohne langsamer zu werden und zeigte auf eine kleine Baumgruppe, die mitten im Fluß stand, auf einer kleinen Insel. Rolf zügelte sein Pferd und blickte Zandorra nach, der noch weiter trabte. Dann zügelte auch er seinen Schimmel und wandte sich um.
„Was ist los, Rolf?“ fragte Zandorra ungeduldig.
„Du willst tatsächlich auf dieser Insel rasten?“ Rolf lenkte seinen Fuchs zu dem Rebellenführer.
„Warum nicht? Dort sind wir wenigstens sicher. Wenn jemand kommt, muss er durchs Wasser und das werden wir hören.“ Meinte Zandorra achselzuckend. „Jetzt komm weiter, wir können nicht lange rasten. Wenn es tatsächlich regnet, werden wir nicht mehr so schnell voran kommen.“
Rolf sagte nichts und so ritten sie ans Ufer hinunter und lenkten ihre Pferde in den Fluß. Die Strömung war hier nicht sehr stark und das Wasser nicht sehr tief. Beide Pferde schnaubten erfreut, als sie das erfrischende Naß spürten und auch Rolf spritzte sich, aus dem Sattel beugend, Wasser in sein verschwitztes Gesicht.
„Mach du uns ein Feuer, wenn es geht, ohne Rauch, ich werde mich kurz umschauen, ob wir wirklich alleine sind,“ sagte Zandorra und sprang vom Pferd. Rolf lockerte den Tieren die Sättel und nahm ihnen die Taschen ab. Dann suchte er nach trockenem Holz, während Zandorra durchs Unterholz schlich, um die kleine Insel zu inspizieren. Bis auf ein paar Vögel, die er aufscheuchte, ein paar Enten, die erschrocken ins Wasser flüchteten und einem Eichhörnchen, das schleunigst im nächsten Baumwipfel verschwand, fand er nichts auf der kleinen Insel. Während er durch die Bäume zurück zu Rolf ging, bemerkte er, wie dunkel es bereits geworden war. Den Himmel konnte er kaum erkennen, die Bäume standen zu dicht. Er trat aus dem dichten Unterholz und setzte sich neben Rolf, der bereits ein kleines Feuer entfacht und über dem Feuer ein Tuch gespannt hatte, damit der Rauch nicht kerzengerade in die Luft stieg und von weitem schon gesehen werden konnte. Er war gerade dabei, Würste aufzuspießen und über dem Feuer zu brutzeln.
„Nimm dir Tee, er ist schon fertig.“ Er zeugte mit dem Ellbogen auf einen Krug, der mit dampfendem Tee gefüllt war. Zandorra goß sich einen Becher ein, trank vorsichtig einen kleinen Schluck und blickte über den Fluß.
„Wie lange brauchen die Pferde, bis sie wieder einigermaßen fit sind?“ fragte er.
„Nun, ich denke, zwei Stunden können wir ihnen schon gönnen,“ meinte Rolf und biß ein Stück Wurst ab. „Hier,“ er reichte eine seinem Freund und brach ihm auch ein Stück Brot ab. Dann streckte er sich gemütlich neben Zandorra aus.
„Gut, du kannst ein wenig schlafen, Rolf, ich werde Wache halten,“ schlug Zandorra vor und spülte seine Wurst mit einem langen Schluck Tee hinunter. Rolf gähnte und legte sich zurück.
„Das ist eine gute Idee. Weck mich in einer Stunde, dann löse ich dich ab und auch du kannst ein wenig ruhen.“
Rolf war schnell eingeschlafen. Zandorra stand auf und löschte vorsichtig das Feuer mit staubiger Erde. Die Pferde dösten zwischen den Bäumen, nachdem auch sie sich satt gegessen und genug Wasser getrunken hatten. Wieder blickte Zandorra zum Himmel. Kein Stern war zu sehen. Er hatte ein ungutes Gefühl, es war zu still!
Kein Windhauch war zu spüren, außer dem monotonen Plätschern des Flusses war nichts zu hören. Unruhig lief Zandorra herum. Die Zeit tröpfelte dahin. Nach einer Stunde blickte er auf den schlafenden Rolf und beschloß, diesen noch schlafen zu lassen. Er selber war zu unruhig, um sich hinzulegen.
Plötzlich zerriß ein gewaltiger Donnerschlag die Stille!
Rolf fuhr erschrocken aus dem Schlaf, die Pferde wieherten entsetzt auf.
Zandorra lief zu den Tieren, nahm sie am Zügel und redete beruhigend auf sie ein.
„Was war das?“ fragte Rolf und ging zu ihm. Bevor Zandorra antworten konnte, zerschnitt ein greller Blitz den schwarzen Himmel, gefolgt von eine krachenden Donner.
„Rolf, hol unsere Sachen, wir reiten weiter!“ rief Zandorra und hatte alle Mühe, die Pferde zu halten.
„Aber du hast noch nicht....“ begann Rolf, wurde von einem Blitz, gefolgt vom krachenden Donner, unterbrochen. Zandorra schüttelte den Kopf.
„Mach schon, die Pferde beruhigen sich am ehesten, wenn wir in Bewegung sind. Beeil dich, ich kann sie nicht sehr viel länger halten, sie sind offenbar noch verängstigt durch den Kanonendonner.“
Rolf warf die Becher in die Taschen, trank den Rest Tee leer und verstaute auch die Kanne. Dann verteilte er die restliche Asche und lief zu seinem Fuchs.. Sie zogen die Sättel fest und saßen auf. Die Pferde wieherten ängstlich, als ein neuer Blitz, wieder gefolgt von lautem Krachen, den Himmel zerriß.
Sie waren gerade am anderen Ufer angelangt, al der Himmel seine Schleusen öffnete. Wie aus Eimern schütteten die Wolken ihre Wassermassen auf die Erde. In Sekundenschnelle waren die Männer völlig durchnässt.
In stillem Einverständnis trieben sie die Pferde zu schnellem Galopp an. In kurzer Zeit würden kleine Sturzbäche von den Felsen herabströmen, sich auf den ausgetretenen Wegen sammeln und als reißende Bäche zum Fluß fließen. Schon jetzt ritten sie durch fast knöchelhohes Wasser, denn die ausgetrocknete Erde konnte diese Wassermengen nicht aufnehmen. Nach einiger Zeit mussten sie die Pferde zügeln und langsamer reiten, denn der Boden war nun so glitschig und sumpfig, dass die Gefahr bestand, eines der Pferde könnte ausrutschen oder in ein vom Wasser ausgespültes Erdloch treten und stürzen.
Endlich erblickten sie die Stadtmauer, die um Janten herumführte schemenhaft durch die Regenmassen. Rolf zügelte sein Pferd, doch Zandorra trabte weiter.
„Komm, Rolf!“ rief er seinem Freund zu. „Die Wachen werden in den Turmhäuschen Schutz gesucht haben! Außerdem kann man uns kaum erkennen durch den Regen!“
Rolf ritt zu ihm, wischte sich das Wasser aus den Augen und blinzelte zur Stadtmauer hinauf. Kein Schatten einer Wache war zu sehen. Alles war still, bis auf das heftige Prasseln des strömenden Regens.
„Wie willst Du denn hinein kommen?“ fragte Rolf und zeigte auf das fest verschlossene Stadttor.
Zandorra antwortete nicht, sprang vor dem Tor vom Pferd und hämmerte gegen die festen Holzbohlen.
„Bist du verrückt?“ fragte Rolf entsetzt. „Du kannst doch nicht offen durch Janten spazieren!“
„Warum denn nicht?“ Zandorra blickte ihn kurz an und hämmerte nochmals gegen das riesige Tor. „Keine Angst, Rolf, bei dem Regen werden alle Schutz gesucht haben. Ich glaube kaum, dass wir aufgehalten werden.“
„Wer seid Ihr?“ fragte eine raue, etwas ärgerliche Männerstimme barsch.
„Zwei Reisende, die vom Regen überrascht wurden!“ rief Zandorra zurück. „Wir suchen eine trockene Herberge!“ Durch das Prasseln hörten sie kaum, wie der Riegel des kleineren Tores zur Seite geschoben wurde. Ein dicker Soldat, eingehüllt in eine durchnässte Decke, ließ sie herein.
„Beeilung, ich will mir nicht den Tod in diesem Wasserfall holen.“ Drängte er ungeduldig, gab Rolf´s Pferd einen Klaps auf das Hinterteil und schloß sorgfältig das Tor. „Geht die Hauptstraße entlang, zum Gasthof. Dort ist gewiß noch ein Zimmer frei.“
Zandorra dankte dem Soldat höflich und führte seinen Schimmel weiter. An der nächsten Biegung wandte er sich jedoch nach links. Rolf holte auf und ging nun neben ihm.
„Ist dies der Weg zum dem Arzt?“ fragte er. Zandorra nickte.
„Ja. Fürst Oliver von Stryth arbeitet und wohnt im Krankenhaus.“
„Woher kennst du ihn? Woher weißt du, wo das Krankenhaus ist?“
Zandorra wischte sich die nassen Haare aus dem Gesicht und blickte gedankenverloren durch die Regenmassen.
„Ich habe ihm bei dem Massaker kennengelernt, als der König meine Familie umbringen ließ,“ erklärte er kurz. „Und die Krankenhäuser sind immer östlich am Stadtrand, damit die Kranken die aufgehende Sonne sehen können und neuen Mut fassen. Schau, dort vorne ist es schon.“ Er zeigte auf ein großes, weißes Gebäude, das nur schemenhaft zu erkennen war. Zudem war es inzwischen sehr dunkel geworden und nur die von flackernden Kerzen erhellten Fenster der Häuser zeigten ihnen den Weg. Straßenlaternen wurden bei diesem Wolkenbruch keine angezündet. Sie erreichten das offene Tor vor dem großen Hof des Krankenhauses. Zandorra band seinen Schimmel an einen Pfosten. Rolf schlang die Zügel seines Pferdes ebenfalls um einen Pfosten und folgte Zandorra schweigend. Sie tragen durch das Eingangsportal und sahen sich suchend um. Eine junge, blonde Krankenschwester lief auf sie zu.
„Kann ich Euch helfen? Seid Ihr verletzt?“ fragte sie freundlich mit heller Stimme und musterte die beiden triefenden Männer.
„Wir suchen den Fürsten. Wo finden wir ihn?“ fragte Zandorra.
„Der Doktor ist nicht mehr hier. Er müsste zuhause sein,“ teilte die Schwester ihnen mit.
„Aber er wohnt doch hier im Krankenhaus. Könnt Ihr ihn nicht rufen?“ Zandorra lächelte sie freundlich an.
„Also gut, ich versuche, ob ich ihn erreichen kann,“ seufzte die junge Frau. „Bleibt hier, Ihr setzt sonst alles unter Wasser. Ich werde Euch Handtücher zum Abtrocknen bringen lassen, bis der Arzt kommt. Wen soll ich ihm denn melden?“
Zandorra zögerte. Es wäre gefährlich, seinen Namen zu nennen, doch es wäre nur zu gut möglich, dass der Arzt bei dem Wetter und um diese Zeit keine Störung wollte.
„Sagt ihm, Sascha braucht ihn.“ Rolf hielt den Atem an und blickte erschrocken auf den Rebell.
Doch die junge Schwester nickte nur kurz und lief davon. Kurz darauf erschien ein kleines Mädchen und reichte den beiden Männern schweigend ein paar Handtücher. Dankbar trockneten sie sich die nassen Haare.
Das Mädchen verschwand wieder und sie blieben alleine in der Halle zurück. Rolf schaute sich um. Alles wirkte sauber und steril, es roch nach Seife. Kein Mensch ließ sich blicken, sie standen alleine in der Halle. Es dauerte eine Weile, bis die junge Krankenschwester wieder erschien.
„Kommt mit, der Doktor möchte, dass ich Euch zu ihm führe. Er kennt keinen Sascha und will Euch sehen.“ Teilte sie ihnen mit und sie folgten ihr durch den langen, blitzsauberen Korridor. Ihre nassen Schuhe hinterließen Wasserflecken und quietschten auf dem Boden. Vor einer großen Treppe blieb die Frau stehen und zeigte nach oben. „Geht dort hinauf und den Gang rechts hinunter. Ihr kommt dann geradewegs zu seiner Wohnung.“
Zandorra bedankte sich höflich und stieg die Treppen hinauf. Rolf folgte ihm langsam.
„Warum ist niemand zu sehen?“ fragte er unruhig. „Niemand zu sehen und zu hören.“
„Rolf, dies ist ein Krankenhaus, kein Gasthof. Außerdem ist es schon spät, die Kranken werden ruhen.“ Zandorra hob die Hand und klopfte leise an der Tür. Fast sofort wurde diese geöffnet und ein Mann mittleren Alters stand vor ihnen. Er musterte die beiden nassen Männer erstaunt, dann packte er Zandorra am Arm und zog ihn in die Wohnung. Rolf folgte misstrauisch. Rasch schloß der Mann die Tür wieder und wandte sich ihnen zu.
„Sascha! Seid Ihr verrückt, einfach hier so herein zu spazieren und Euch auch noch mit richtigen Namen vorzustellen?“ zischte der Arzt. „Wißt Ihr immer noch nicht, wie gefährlich es ist, wenn der König von Eurer Anwesenheit erfährt?“
Zandorra befreite ruhig seinen Arm aus dem griff des Arztes und lächelte.
„Ach, Fürst, bei dem Wetter geht keiner hinaus und schaut, wer da durch die Straßen marschiert. Und Ihr wusstet doch auch erst nicht, wer `Sascha´ sein könnte. Also, wo ist das Problem?“
„Klar konnte ich mir darunter nichts vorstellen. Wer denkt denn daran, daß unser im ganzen Land gesuchter Rebellenführer sich mit seinem Namen offen im Krankenhaus vorstellt,“ brummte Fürst Oliver von Stryth. „Jetzt kommt erst einmal herein und trinkt heißen Tee. Ich habe gerade einen aufgebrüht. Ihr seid völlig durchnässt. Wer ist übrigens Euer Begleiter?“
„Oh, entschuldigt! Dies ist Rolf, ein Rebell und mit Ingo meine rechte Hand.“ Die beiden Rebellen folgten dem Arzt in die Wohnstube, wo auf dem niedrigen Holztisch eine runde Teekanne und eine Tasse standen. Rasch holte der Fürst aus einem Wandschrank noch zwei Tassen und goß den würzig duftenden Tee ein.
Zandorra umschloß seine Tasse mit beiden Händen und schlürfte langsam das heiße Gebräu.
„Das tut gut,“ seufzte er.
„Setzt Euch. Was führt Euch zu mir?“ Der Fürst ließ sich in einen der dunken Ledersessel nieder.
„Wir bleiben lieber stehen, Fürst, wir sind zu naß,“ stellte Zandorra fest und nahm noch einen Schluck heißen Tee. „Wir wollten Euch bitten, ob Ihr mitkommen könnt. Der König hat die Blauen Berge mit einer Kanone angegriffen und wir haben einige Verletzte, die dringend ärztliche Hilfe benötigen.“
Der Fürst sprang auf.
„Mit einer Kanone?“ rief er entsetzt. „Wie konntet Ihr da fliehen?“
„Aber Fürst.“ Zandorra blickte ihn vorwurfsvoll an. „Ich fliehe nicht! Der Kampf ist schon längst beendet und die Kanone in den Händen der Rebellen. Also, was ist nun, kommt Ihr mit? Unter den Verletzten ist auch Milo, ein Zirkusartist, der durch meine Schuld verletzt wurde. Er hält nicht allzu lange mehr aus. Wenn wir die Nacht durchreiten, sind wir morgen gegen Mittag in den Blauen Bergen.“
„Selbstverständlich komme ich mit, Sascha, das wisst Ihr genau.“ Fürst Oliver lief aus dem Zimmer. „Ich hole nur meine Notfalltasche und ein paar Sachen, dann können wir los!“ rief er aus dem Nebenraum. „Habt Ihr ein Pferd für mich?“
„Nein, aber das ist kein Problem. Wir gehen rasch bei Baron Hano vorbei, der wird uns sicher eines leihen,“ antwortete Zandorra, trank seinen Tee aus und trat ans Fenster. Es goß immer noch in Strömen. Zudem war es nun stockdunkel draußen.
„Sascha, kann man dem Arzt trauen?“ fragte Rolf leise.
„Ja, unbedingt, Rolf,“ nickte Zandorra überzeugt. „Wir müssen uns beeilen, sonst kommen wir nicht mehr über den Fluß und bis zur Brücke ist es zu weit. Die Einkäufe müssen wir aufschieben.“
Der Fürst betrat das Zimmer. Er trug einen weiten, dunklen Umhang, einen breiten Hut und in jeder Hand eine schwarze Ledertasche. Seine Füße steckten in schwarzen Lederstiefeln.
„Geht schon voraus, ich muss mich bei der Schwester abmelden,“ sagte er, als sie durch die Wohnungstür in den Krankenhausflur traten.
„Wundert sie sich nicht, wenn Ihr einfach ein paar Tage verschwindet?“ fragte Rolf erstaunt.
„Nein,“ antwortete der Fürst. „Es gibt überall Kranke oder Verletzte. Da kommt es schon mal vor, dass man zu einem Notfall gerufen wird und einige Tage unterwegs ist.“
Rolf und Zandorra verließen das Krankenhaus auf dem selben Weg, den sie hereingekommen waren. Obwohl es nicht sehr kalt war froren sie in ihren nassen Kleidern bei dem heftigen Wind, der aufgekommen war und dem strömenden Regen.
„Rolf, warte auf den Arzt und geh mit hm zum Osttor. Wartet dort, ich hole bei Baron Hano ein Pferd und komme dann nach.“ Zandorra schwang sich auf seinen prachtvollen Schimmel und ohne eine Antwort abzuwarten trabte er in die Dunkelheit davon. Bald war er nicht mehr zu sehen. Rolf stellte sich so gut es ging unter einen dicken Baum und war so einigermaßen vor dem Regen geschützt. Er erschrak, als plötzlich eine dunkle Gestalt vor ihm stand.
„Ich bin es, Fürst Oliver,“ murmelte die Gestalt und gesellte sich zu ihm unter den schützenden Baum.
„Sascha ist zu Baron Hano geritten und besorgt für Euch ein Pferd, Fürst,“ teilte Rolf dem Mann mit. „Unser Packpferd wird zwar jetzt nicht gebraucht, aber es trägt die Taschen, da kann man nicht reiten. Wir gehen zum Osttor und treffen uns da mit Sascha.“
Rolf führte sein Pferd, nachdem er die beiden Taschen des Fürsten auf das Packpferd geladen hatte, das Zandorra nun an sein Pferd gebunden hatte. Schweigend trotteten sie durch den Regen. Wie vorher auch waren die Straßen wie leergefegt und sie begegneten keiner Menschenseele. Schließlich erreichten sie das Osttor. Wie erwartet war es geschlossen zu dieser Zeit. Sie stellten sich dicht an die Mauer und warteten darauf, dass der Rebellenführer erschien.
Nach einiger Zeit wurde Rolf ungeduldig und begann, auf und ab zu laufen.
„Meint Ihr, es ist ihm etwas passiert?“ fragte der Arzt.
Rolf zuckte die Schultern, obwohl der Fürst das ja nicht sehen konnte, und lief weiter hin und her.
„Rolf, Ihr macht mich nervös. Erzählt mir, was sich in den Blauen Bergen abgespielt hat. Und wer ist Milo, warum wurde er durch Sascha´s Schuld verletzt?“
Rolf seufzte und blieb dicht beim Fürsten stehen. Leise erzählte er von dem Überfall. Plötzlich hörten sie Hufschlag durch das Prasseln des Regens. Sofort verstummte Rolf und lauschte angestrengt. Endlich erschien, wie ein Geisterpferd durch die schwarze Nacht, das weißschimmernde Pferd des Rebellenführers. Rolf atmete erleichtert auf. Schon sprang Zandorra vom Pferd und landete neben ihnen in einer Pfütze. „Hier, Fürst, eine freundliche, braune Stute. Sie heißt Luna.“ Er drückte dem Arzt die Zügel in die Hand.
„Jetzt lasst uns losreiten, der Fluß führt bereits Hochwasser und in der Dunkelheit wird es sehr schwierig werden, die Furt zu finden.“
„Warum hat das so lange gedauert?“ fragte Rolf.
„Wie wollt Ihr aus der Stadt herauskommen?“ fragte der Fürst.
„Es hat nicht lange gedauert, Rolf. Erst musste ich dem Baron erklären, was los ist, dann mussten wir ein Pferd für den Fürst aussuchen und satteln. Und nun zu Eurer Frage, Fürst: wir öffnen einfach die kleine Flügeltür und reiten hinaus.“
Zandorra stieg auf seinen Schimmel.
„Einfach so, ja?“ fragte der Fürst ungläubig. „Ihr öffnet einfach so die Tür. Und die Wachen?“
„Fürst, habt Ihr eine Wache gesehen? Bei dem Wetter sind die in ihren Häuschen. Wer wird denn jetzt aus der Stadt reiten? Bis die merken, was los ist, sind wir in der Dunkelheit verschwunden. Und dank dem Regen werden sie uns nicht verfolgen können.“ Zandorra winkte ungeduldig. „Jetzt steigt endlich auf, wir müssen los!“
Langsam trabten sie zum kleinen Tor, rechts neben dem Haupttor. Zandorra sprang vom Pferd und schob den schweren Riegel zur Seite. Das leise Quietschen ging im Regen unter. Er zog das Tor auf und ließ Rolf und den Fürst hinausreiten. Dann sprang er in den Sattel und ritt hinterher. Kein Ruf, kein Alarm durchdrang das Prasseln des Regelns. Sie trabten die aufgeweichte Straße entlang in die schwarze Nacht hinaus.

In der Felsenburg herrschte absolute Ruhe. Nachdem das Gewitter sich verzogen hatte und nun nur der Regen herunterprasselte, war es wieder still und die Rebellen hatten sich in die Höhlen zurückgezogen, wo es trocken war. Sie saßen und lagen sehr eng beisammen, denn es waren viel zu viel Menschen in der Rebellenzuflucht, als eigentlich sein müssten.
„Hoffentlich hat Sascha eine Idee, wie wir das Problem der vielen Rebellen lösen können,“ meinte Ingo und schaute auf die unzähligen Körper, die hier im großen Saal eng beieinander lagen und schliefen.
„Es ist nicht nur das Platzproblem, das würde bei schönem Wetter noch gehen, sondern auch das Essen. Wie sollen wir auf Dauer so viele Menschen ernähren?“ überlegte Olli, der neben Ingo an der Tür stand.
„Bei einem Wetter wie gerade ist es schon lausig eng und ungemütlich.“ Marwin, ein großer, recht dürrer Mann schüttelte den Kopf. „Und dieser Lärm den ganzen Tag, das Kindergeschrei, Gerede, Lachen uns so weiter. Mich macht das ganz fertig.“
„Tja, nur fällt mir keine Lösung ein.“ Ingo zuckte die Schultern. „Hoffentlich hat Sascha sich was überlegt.“
„Wann denn?“ fragte Olli. „Er hatte doch noch gar keine Zeit zum Nachdenken. Und jetzt ist er bei dem Wolkenbruch unterwegs, da hat er andere Sorgen, als sich um dieses Problem zu kümmern.“
„Ja, du hast Recht.“ Seufzte Ingo. „Hoffentlich ist alles gut gegangen bei ihm und Rolf. Und hoffentlich kommt der Arzt mit.“
Sie schwiegen und blickten hinaus in den Regen. Schlafen wollte keiner von ihnen, es war ihnen einfach zu wenig Platz.


Zita´s Entdeckung

Inzwischen hatten auch Zita und Carlito einen Unterschlupf gefunden. Sie waren die Schlucht entlang geritten, stundenlang, immer dem Bächlein nach. Und als das Gewitter losging, fanden sie Schutz in einer Höhle, die an einer Biegung nicht weit des Baches sich befand. Der Bach wurde langsam zum Fluß und trat über seine Ufer. Neben sich hörten sie Geröll herabfallen, das vom Regen fortgespült wurde.
„Sind wir hier sicher, Zita?“ fragte Carlito ängstlich. „Was ist , wenn die Höhle einstürzt?“ Zita schüttelte den Kopf.
„Quatsch, Carlito!“ schnaubte sie. „Mach dir nicht selber Angst. Diese Höhle besteht schon viele, viele Jahre und hat schon unzählige Unwetter überstanden. Warum soll sie ausgerechnet jetzt, wenn wir zwei Unterschlupf in ihr gesucht haben, einstürzen?“
Carlito nickte erleichtert. Sie schwiegen und irgendwann bemerkte Zita, dass der Kleine eingeschlafen war. Sie ließ ihn vorsichtig auf den Boden gleiten und stand auf. Dann ging sie zu den Pferden, die weiter hinten in der Höhle standen. Erstaunt stellte sie fest, dass diese Höhle sehr groß war und offenbar noch viel weiter in den Berg hinein führte. Ihre Abenteuerlust und Neugier wurden geweckt. Sie ging zu Carlito und weckte ihn auf.
„Komm, wir erforschen die Höhle. Ich bin mal gespannt, wo sie endet.“ Forderte sie den Kleinen auf, der mürrisch und noch müde sich die Augen rieb.
„Du kannst reiten, wenn du willst. Du bist klein, wo die Pferde durchkommen, musst du dich nicht ducken. Ich werde vorausgehen und die Pferde führen.“ Sie hob das Kind auf sein Pferd und marschierte los. Carlito klammerte sich an die Mähne. Er war noch zu müde, um zu widersprechen. Zita suchte trockenes Gras zusammen, was etwas schwierig war, denn es wuchs nur spärlich in die Höhle hinein. Trotzdem hatte sie nach kurzer Zeit einen großen Büschel zusammen, teilte diesen in drei Stränge und band jeden mit einem Band, das sie aus ihrer Tasche kramte, fest zusammen. Dann zündete sie einen mit Schwefelhölzchen an. Triumphierend hielt sie die brennende Fackel hoch.
„Schau, Carlito, ich habe Fackeln gemacht! Wir können jetzt gehen!“
Immer weiter kamen sie in den Berg hinein. Der Höhlengang war breit und hoch, der Boden ziemlich steinig und mit Felssteinen übersät. Die Hufe der Pferde waren ein Echo zurück, doch nachdem sich die Tiere daran gewöhnt hatten, regte es sie nicht mehr auf. Zita schaute sich entzückt um. Sie liebte Höhlen und ihre Geheimnisse. Ab und zu kamen sie an kleinen Gängen vorbei, doch viele waren verschüttet oder so schmal, dass Zita sie nicht weiter beachtete. Sie hielt sich an den Hauptweg, der sich in sanften Biegungen, ohne jemals viel schmäler oder tiefer zu werden, durch den Berg schlängelte.
„Zita, mir ist kalt, ich habe Hunger,“ quengelte Carlito nach einiger Zeit. „Wann reiten wir denn wieder zurück? Ich bin auch müde.“
„Ich denke, dass wir bald aus diesem Gang heraus kommen.“ Antwortete Zita. „Mal schauen, wo wir überhaupt dann sind! Bist du nicht neugierig, Carlito?“
„Nein,“ murrte der Kleine, „ich will nur zurück. Ich habe Hunger und friere.“
Zita seufzte.
„Wir sind jetzt schon so weit, es wäre doch dumm, wenn wir jetzt umdrehen.“ Meinte sie. „Paß auf, wir gehen noch ein Stück weiter, ich habe die letzte Fackel angezündet und wenn sich nichts verändert, drehen wir um und reiten zurück, bevor sie ganz aus ist. Die Höhle ist so hoch, dass ich auch reiten kann und dann kommen wir auch schneller voran, okay?“
Carlito nickte und Zita lief weiter über Geröll und Gestein, sie zog die beiden Pferde mit, die geduldig hinter ihr her trotteten.
Und gerade, als sie sich umdrehen und vorschlagen wollte, dass sie nun umkehren würden, hörte sie Regenprasseln. Dann spürte sie auch einen Luftzug, die Fackel flackerte unruhig und sie konnte die nasse, regendurchtränkte Luft riechen.
„Schau, Carlito!“ rief sie aus und das Echo warf ihre Stimme mehrfach zurück. „Dort vorne ist ein Ausgang!“
Carlito reckte den Hals und schaute nach vorne. Sehen konnte er nicht viel, in der Höhle war es dunkel, die letzte Fackel von Zita hatte nur noch eine kleine Flamme und der Ausgang der Höhle, auf den Zita aufgeregt zeigte, war ein schwarzes Loch, denn draußen war es stockfinster. Er sah nur dichte, im kümmerlichen Fackelschein leuchtende Regenstränge.
„Wir werden ganz naß werden, es regnet noch immer so arg,“ quengelte er.
„Hör zu, Carlito! Du wolltest unbedingt mitkommen und hast versprochen, artig zu sein. Hör auf zu meckern!“ sagte Zita ungeduldig. Sie stand nun vor dem Höhlenausgang und blickte in den Regen. Es war dunkle Nacht, kein Stern am Himmel, nur Regen, Regen, Regen. Sie krauste die Nase.
„Ich kann nicht erkennen, wo wir sind. Es ist zu dunkel und ich habe keine Möglichkeit, die Umgebung zu erkennen,“ stellte sie fest. „Wir machen uns hier ein Lager und schlafen, morgen hört es sicher auf zu regnen und wir können schauen, wo wir sind und vielleicht im warmen Sonnenschein zurück reiten.“
Carlito war einverstanden, kletterte vom Pferd und sie legten sich auf den harten Boden dicht beieinander. Carlito wagte nicht mehr zu klagen, dass er Hunger hatte. Er kuschelte sich an seine Freundin und schlief ein.
Als sie erwachten, war es draußen hell, doch es regnete noch immer sehr heftig. Zita ging vor die Höhle in den Regen hinaus. Es machte ihr nichts aus, naß zu werden. Sie schaute sich aufmerksam um.
„Puh, ich habe keine Ahnung, wo wir sind.“ Stellte sie dann fest. „Nicht mal nach der Sonne kann ich mich richten, da sie nicht scheint. Wir können aber am Berghang entlang reiten, die Höhle führte direkt durch den Berg. Vielleicht kommen wir so zu den Blauen Bergen zurück.“
„Dann werden wir aber naß und es ist sicher auch noch weit.“ Jammerte Carlito.
„Ich gebe dir meine Jacke, dann bist du etwas geschützt. Komm, steig auf dein Pferd, je eher wir losreiten, umso schneller kannst du etwas essen.“ Sie half dem Kleinen in ihre Jacke, die ihm bis über die Knie hing und hob ihn auf sein Pferd. Dann stieg sie selber auf ihren Fabian und sie ritten in lockerem Trab entlang des Berges.
„Meinst du, die anderen sind mit dem Arzt auch schon in den Blauen Bergen und können Milo helfen?“ fragte Carlito.
„Nein, sie können doch nicht in diesem Regen so schnell durchreiten. Ich glaube, dass sie erst gegen Mittag ankommen werden. Vielleicht sind wir sogar noch vor ihnen dort.“ Sie schwiegen und ritten durch den dichten Regen.


Die Idee mit den Sümpfen

Tropfnaß und müde kamen Zandorra, Rolf und Fürst Oliver bei den Blauen Bergen an. Der Torwächter erkannte sie in dem dichten Regen aber nicht.
„Halt, stehen bleiben!“ rief er, als er sie an der großen Felsbarriere entdeckte. Zandorra zügelte sein Pferd, das nervös tänzelte.
„Wir sind es, Rolf und ich mit dem Arzt!“ rief er dem Wächter zu. „Thimo, bist du es? Laß uns rein, es ist eklig naß und kalt!“
„Ach, du bist es, Sascha!“ rief der Mann zurück und öffnete das Tor. „Kommt rein, macht schnell, ich habe euch nur als Schatten im Regen gesehen!“
„Schon gut,“ lächelte Zandorra, während sie durch das Tor ritten. „Gibt es was besonderes?“
„Nein, alles ruhig.“ Antwortete Thimo und schloß das Tor wieder. Zandorra nickte kurz und die drei Männer ritten zum großen Platz. Sie stiegen von den Pferden und rannten in die große Höhle.
„Sascha, Rolf!“ rief Ingo sofort, der an der Tür saß und sprang auf. „Gut, dass ihr da seid! Geht euch erst mal trocknen, dann schauen wir mal, ob Babsi was zu essen für euch hat.“ Schlug er dann vor.
„Gute Idee,“ stimmte Zandorra zu. „Erst mal was trockenes anziehen, ich fühle mich furchtbar klamm und kalt.“ Er winkte dem Fürst zu. „Kommt mit, ihr könnt von mir trockene Kleidung bekommen. Wie geht es Milo und den anderen?“ wandte er sich dann an Ingo, während sie zu ihren Zimmern gingen.
„Unverändert,“ antwortete Ingo. „Es ist gut, dass der Arzt da ist. Jetzt trocknet euch, dann esst was, dann kann der Fürst nach den Verletzten schauen.“
Zandorra verschwand mit dem Fürst in seinem Zimmer. Er holte zwei große Handtücher und kramte in seiner Truhe nach frischen Kleidern.
„Hier, Fürst, ich hoffe, es passt einigermaßen.“ Er überreichte dem Arzt ein Bündel und zeigte zum Nebenraum. „Ihr könnt euch dort umziehen.“
„Ich habe auch ein wenig Kleidung in meiner Tasche dabei.“ bemerkte der Fürst.
„Die dürfte leider auch feucht sein,“ meinte Zandorra. „Wir geben sie den Frauen, sie sollen sie trocknen.“ Er zog das nasse Hemd aus und trocknete sich ab. Der Fürst ging in den Nebenraum. Kurz darauf waren die beiden trocken und frisch bekleidet und gingen zum Küchentrakt. Überall trafen sie auf Rebellen, Kinder liefen durch die Gänge.
„Ist es hier immer so voll oder nur, weil es regnet?“ fragte der Fürst und schaute sich um. Zandorra seufzte.
„Einmal wegen dem Regen, ja, aber wir sind viel zu viele. In Stade waren es an die dreihundert Menschen, die mitkamen, auf so viele waren wir nicht eingestellt.“
„Sascha!“
Zandorra drehte sich um. Hinter ihm kamen Rolf und Ingo angelaufen.
„Sascha, wir müssen etwas unternehmen! Es sind viel zu viele Leute hier!“ rief Ingo ihm zu.
„Ja, ich weiss, ich überlege die ganze Zeit, was wir machen können. Ich habe auch schon so eine Idee...“ murmelte Zandorra und blieb nachdenklich stehen. „Geht ihr schon mal zu den Verletzten, ich komme gleich nach.“ Sagte er dann und lief zurück zu seinem Zimmer. Ingo schaute ihm verdutzt nach.
„Naja, dann bringen wir Euch mal zu Milo und den anderen, Fürst.“ Meinte er dann schulterzuckend. Sie gingen weiter und erreichten den kleinen Saal, wo die Verletzten auf Matratzen lagen. Daphne, Daniela und Stella wuselten schon herum, wuschen die Männer, verteilten Essen und verbanden frisch.
„Könnt ihr mal kurz kommen, Daphne?“ rief Ingo. „Ich möchte euch den Arzt vorstellen! Dies ist Fürst Oliver von Stryth aus dem Krankenhaus in Janten. Fürst,“ er wandte sich an den Arzt, „dies sind Daphne, Daniela und Stella, unsere Krankenschwestern, die unglaubliches geleistet haben in den letzten beiden Tagen.“
„Nun übertreib mal nicht so, Ingo,“ lachte Daphne. Sie war eine große, hübsche Frau mit einer dunklen, angenehmen Stimme. „Willkommen in der Felsenburg, Fürst. Ich bin froh, dass Ihr da seid. Wir können nicht operieren und ich fürchte, dass ein paar der Verletzten dringend operiert werden müssen.“
Der Fürst nahm ihre Hand und lächelte.
„Ich sehe, dass die Männer bisher in den besten Händen waren. Gehen wir gleich zu den schlimmsten Fällen, während ich dann die anderen untersuche, könnt ihr sie eventuell für eine Operation vorbereiten.“
Ingo ließ die Frauen mit dem Fürst alleine und wandte sich an Rolf, der die ganze Zeit schweigend hinter ihnen stand.
„Komm, wir holen uns was zu essen und bringen dem Fürst auch etwas. Dann schauen wir mal nach Sascha.“ Schlug er vor.
In der Küche trafen sie auf Zandorra, der von der dicken Babsi gerade ein voll beladenes Tablett entgegen nahm.
„Ah, gut, dass ihr kommt.“ Begrüßte er die beiden Freunde. „Ingo, du kannst gleich mal die Kanne mitnehmen, Rolf du übernimmst die Tassen.“ Er selber balancierte das Tablett zur Tür. „Wir gehen zu den Verletzten. Der Fürst hat sicher Hunger, er kann zwischendurch ruhig mal was essen, meint ihr nicht?“
„Jetzt spann uns nicht so auf die Folter, Sascha,“ drängte Ingo, während sie nun beladen mit Tassen, Kannen und Tablett zum kleinen Saal gingen. „Was für eine Idee hast du wegen der Menschenmasse hier? Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, ich wusste gar nicht, wo ich mich hinlegen sollte.“
„Du hast doch ein Zimmer?“ fragte Zandorra stirnrunzelnd. „Warum hast du dich nicht in dein Zimmer zurückgezogen?“
„Tja,“ machte Ingo verlegen, „Ich habe mein Zimmer einer Familie überlassen, die mehrere kleine Kinder haben. Ein paar der Kinder hat Husten und Bauchschmerzen und bei dem Weinen haben sie ständig die anderen gestört.“
„Und wo hast du dann geschlafen?“ fragte Rolf.
„Gar nicht, hab ich doch gesagt.“ Antwortete Ingo. „Ich saß die Nacht über an der Tür, habe mich mit Olli unterhalten und mit Marwin, die Wache hatten.“
„Dann musst du ja jetzt auch ganz schön müde sein.“ Bemerkte Zandorra, während sie ins `Krankenzimmer´ traten.
Stella kam ihnen entgegen und lotste sie zu einem großen Tisch, der an der Stirnseite des Raumes stand. Sie stellten Tablett, Kanne und Tassen ab.
Zandorra schaute sich im Raum um. Er entdeckte Milo, bei dem gerade der Fürst hockte. Rasch lief er zu ihnen.
„Hallo, Milo,“ grüßte er den Zirkusartist, der ihn mit fiebrig glänzenden Augen anschaute, aber lächelte. „Wie geht es Dir?“
„Es wird schon wieder, mach dir keine Sorgen,“ antwortete Milo leise.
„Ich habe keine schmerzstillenden Mittel mehr, er hat Schmerzen und gibt es nicht zu. Es geht ihm nicht so gut, wie er tut,“ teilte Daphne mit, die herangekommen war.
„Ich habe genug dabei,“ beruhigte der Fürst und untersuchte rasch Milo´s Bein.
„Tja, Milo, da muss die Kugel herausgeholt werden. Ich werde Euch als erstes drannehmen.“ Er drückte Milo kurz den Arm. „Keine Angst, ich werde vorsichtig sein.“
„Wenn Ihr Daphne erklärt, was sie tun soll, könnt Ihr erst mal was essen, Fürst.“ Schlug Zandorra vor. Der Fürst nickte und winkte Daphne zu sich. Zandorra erhob sich und ging mit Ingo und Rolf zum Tisch.
Auch sie griffen nun zu und aßen hungrig.
„Los, Sascha, heraus mit der Sprache: was hast du dir überlegt?“ fragte Ingo dann.
„Ja, passt auf, ich kenne einen Ort, der genauso sicher ist wie die Blauen Berge.“ Begann Zandorra. „Allerdings ist es dort feucht und kühl, und es gibt nur einen einzigen Weg dorthin. Wir werden die Rebellen aufteilen, die kleinen Kinder bleiben hier mit der Hälfte der Männer und den Verletzten und Kranken. Die anderen kommen mit uns.“
„Wohin?“ fragte Rolf nun stirnrunzelnd. „Wo gibt es noch so einen sicheren Ort?“
„In den Sümpfen.“ Antwortete Zandorra und trank seine Tasse Kaffee leer.
„Die Sümpfe?“ Ingo schaute ihn kopfschüttelnd an. „Niemand kann in den Sümpfen leben, Sascha. Schon gar nicht hundert Rebellen. Dort ist es morastig, es gibt keinen festen Grund, der Boden ist tückisch.“
„Glaub mir, Ingo, es gibt einen Weg in die Sümpfe und es gibt eine Art Moorinsel, die so groß ist, dass man ein Dorf dort draufbauen könnte.“ Zandorra hob die Schultern. „Momentan stehen nur ein paar alte Holzhäuschen drauf, aber es gibt Holz genug, da könnten wir Häuser bauen.“
„Was du alles für Orte kennst,“ staunte Rolf. „Wie kommst du denn zu den Sümpfen?“
„Nun, die Sümpfe liegen nicht allzu weit entfernt von dem Ort, wo ich aufgewachsen bin. Mein Vater hatte uns hin und wieder dorthin gebracht, um Holz zu schlagen. Auch wohnte dort ein Freund meines Vaters, ein Zigeuner namens Murango. Er kannte viele Geschichten und hat uns oft unterhalten. Nur sehr wenige kennen den Weg durch die Sümpfe, aber ich sagte ja, das ist ein sicherer Ort.“
„Wohnt jetzt noch jemand in den Sümpfen?“ fragte Ingo. „Was ist aus deinem Zigeuner geworden?“
„Ich weiss es nicht,“ murmelte Zandorra leise und goß sich noch eine Tasse Kaffee ein. „Ich glaube nicht, dass noch jemand dort lebt.“
Der Fürst kam heran und Zandorra überreichte ihm eine volle Tasse.
„Greift zu, Fürst, stärkt Euch, Ihr habe einen anstrengenden Tag vor Euch.“
„In der Tat,“ nickte der, während er durstig aus der Tasse schlürfte. „Milo wird gleich schlafen, dann werde ich mit ihm anfangen. Als nächstes kommen die beiden mit den Knochenbrüchen dran.“ Er schüttelte den Kopf. „Ihr hattet Glück, dass es nicht noch mehr Tote und Verletzte gab, Daphne hat mir kurz die Kanone gezeigt. Das ist ein Mörderding, der König hat es aus dem Norden bringen lassen und wird noch mehr bekommen. Es sind Extraanfertigungen, mit besonders weiter Schusskraft.“
„Das haben wir gemerkt,“ nickte Zandorra trocken. „Woher wisst Ihr, dass noch mehr Kanonen angeschafft werden?“
„Nun, verletzte Soldaten können auch viel erzählen, während sie behandelt werden,“ lächelte der Fürst.
„Wißt Ihr auch, wann die anderen Kanonen kommen werden und auf welchem Weg?“ fragte Zandorra weiter.
„Nein,“ der Fürst schüttelte langsam den Kopf und steckte sich den Rest seines Brotes in den Mund. „Aber Ihr könnt sie nicht abfangen, Sascha. Ein so ein Ding wiegt Tonnen!“
„Ich weiß, wir haben dieses Ding schließlich in die Felsenburg geschoben.“ Zandorra stieß sich vom Tisch ab. „Kommt, Rolf und Ingo, während der Arzt operiert, werden wir eine Liste zusammen stellen mit all denen, die mit auf die Moorinsel gehen.“
„Moorinsel?“ Der Fürst hielt Zandorra am Arm zurück. „Was für eine Moorinsel?“
„Sascha hat ein neues Versteck, genauso sicher wie die Blauen Berge, aber nicht ganz so komfortabel.“ Teilte Ingo mit.
„Gut,“ nickte der Fürst, „es ist nicht gut, wenn so viele Menschen auf einem Haufen leben. Wann bringt Ihr die Rebellen auf die Moorinsel? Wie weit ist es bis dorthin?“
„Naja, wir müssen um den Berg herum, das dauert schon eine Weile. Ich denke, dass wir innerhalb von zwei, drei Tagen dort sind. Und wann? Tja, sobald wir eine Liste derjenigen zusammengestellt haben, die mitkommen und die Rebellen informiert haben. Wir werden uns sofort ranmachen.“ Zandorra winkte Rolf und Ingo und die drei gingen hinaus. Vor der Tür trafen sie auf Tankred, der nach Milo schauen wollte.
„Halt, du kannst gleich mitkommen, Tankred.“ Zandorra hielt ihn fest. „Milo wird gerade behandelt, du kannst ohnehin nicht zu ihm.“
„Okay,“ Tankred blickte suchend herum.
„Was ist los? Suchst du was?“ fragte Zandorra stirnrunzelnd.
„Ja, ich suche Zita.“ Tankred hob die Schultern. „Ich habe sie schon ewig nicht mehr gesehen und normalerweise drückt sie sich doch immer dort herum, wo was los ist.“
„Stimmt, jetzt wo du es sagst vermisse ich sie auch,“ stimmte Zandorra zu. „Ich habe der Wache gesagt, als wir losgeritten sind, um den Fürst zu holen, dass er sie keinesfalls herauslassen soll. Sie konnte uns also nicht folgen.“
„Aber wo kann sie stecken? Ich habe sie schon überall gesucht.“ Überlegte Tankred.
„Wir haben keine Zeit, sie jetzt zu suchen. Wir müssen über eine Aufteilung der Rebellen reden. Komm mit, um das Zita-Problem kümmern wir uns danach.“ Zandorra zog eine Grimasse. „Eigentlich komisch, seit dieses Mädchen da ist, wird sie laufend Gesprächsstoff.“
Es dauerte bis weit in den Abend hinein, bis sie eine annehmbare Liste zusammen hatten. Der Fürst kam herein, gerade, als sie fertig waren.
Zandorra reckte sich und gähnte verhalten.
„Hallo, Fürst, seid ihr fertig? Alle verarztet?“
„Ja, es sah schlimmer aus, als es ist,“ lächelte der Arzt und rieb sich müde über das Gesicht. „Milo ist wieder recht fidel, er hat noch einige Zeit geschlafen nach der Entfernung der Kugel, aber als er aufgewacht war, wollte er am liebsten sofort aufstehen. Morgen Mittag darf er dann herumlaufen, an Krücken natürlich. Diese Zirkusleute sind unglaublich zäh.“
Tankred lachte erleichtert.
„Danke, Fürst, ich bin froh, dass es Milo besser geht. Ich werde nicht ohne ihn in die Sümpfe gehen.“
„Habt Ihr was gegessen, Fürst?“ fragte Zandorra, gähnte wieder und stand auf.
„Ja, danke, Daphne hat mir etwas gebracht. Eigentlich möchte ich nur noch schlafen.“ Der Fürst rieb sich die Augen. „Vor allem, wenn ich Euch so gähnen sehe, da werde ich gleich noch müder.“
„Tut mir leid,“ lächelte Zandorra, „Listen aufzustellen macht mich immer so müde.“
„Und die durchwachten Nächte nicht, was?“ fragte Ingo und stieß ihn an. Zandorra nickte:
„Ich schlage vor, wir gehen erst mal schlafen und gehen morgen früh die Liste noch mal durch. Übrigens, Tankred, wenn Du Zita findest, bringe sie zu mir. Sie kommt auf jeden Fall mit auf die Moorinsel, ich möchte sie einigermaßen wenigstens unter Kontrolle haben.“
Die Männer gingen hinaus, nur Zandorra und der Fürst blieben im Zimmer.
„Ihr könnt mein Bett nehmen, Fürst, ich schlafe auf der Couch.“ schlug Zandorra vor.
„Normalerweise würde ich jetzt widersprechen, aber ich bin viel zu müde dazu.“ gähnte der Fürst und stellte seine Taschen ans Bett. Zandorra ging in den Nebenraum, wo die Couch stand.
„Habt Ihr Eure Sachen wieder?“ rief er dem Fürst zu. „Sind alle Sachen trocken?“
„Ja, Daniela hat sie mir vorhin gebracht.“ Antwortete der Fürst, schlüpfte aus seiner Kleidung und legte sich ins Bett. Er hörte Zandorra noch kurz rumoren, dann schlief er auch schon ein.


Zita taucht auf

Gegen Morgen, es war noch ganz dunkel draußen, doch es regnete noch immer sehr heftig, wurde heftig und laut an Zandorra´s Tür geklopft. Der Fürst fuhr aus dem Schlaf hoch und schaute verwirrt umher. Zandorra kam schon aus dem Nebenzimmer gerannt. Er trug nur seine rote Hose und war barfuß. Er riß die Tür auf. Draußen standen zwei Rebellen, Simon und Fredo, und wirkten recht aufgeregt.
„Was ist los?“ fragte Zandorra sofort.
„Sir, dieses Zirkusmädchen mit dem kleinen Jungen kommt angeritten. Aber wir schwören, wir haben sie nicht aus dem Tor gelassen! Es ist mir schleierhaft, wie sie aus der Burg kommen konnte!“
Zandorra fuhr sich durch die verstrubbelten Locken und rieb sich die Augen.
„Sie kommt von draußen heran geritten?“ wiederholte er fragend. „Und niemand hat sie herausgelassen?“
„Ehrlich, Sascha!“ bestätigte Simon. „Und sie kann auch nicht heimlich durch das Tor geschlüpft sein! Gibt es denn einen zweiten Ausgang aus der Felsenburg?“
„Ja, klar, den, durch den Rolf und ich gekommen sind, als uns die Zirkusleute aus den Fängen der Soldaten befreit hatten. Durch die Schlucht. Aber das geht nicht mit Pferd.“ Er rieb sich den Nacken. „Also los, gehen wir zum Tor und nehmen die beiden in Empfang. Hat sie ihr Pferd dabei?“
„Ja, Sir, es ist sicher ihr eigenes Pferd. Deswegen ist es so unheimlich.“
„Wollt Ihr mitkommen, Fürst?“ wandte sich Zandorra nun an den Arzt, der inzwischen aufgestanden und in Hose, Hemd und Stiefel geschlüpft war. „Dann könnt Ihr gleich das unmöglichste Mädchen kennen lernen, dass ich je gesehen habe.“
„Ja, freilich komme ich mit. Das laß ich mir nicht entgehen,“ grinste der Fürst und gemeinsam folgten sie den beiden Wachmännern zum großen Tor. Es regnete heftig und die vier Männer waren im Nu durchnässt.
Zandorra öffnete und trat aus dem Tor, während die drei anderen im Torbogen, regengeschützt, stehen blieben. Tatsächlich, durch den Regen konnte man schemenhaft das goldene Pferd und ein kleineres, stämmigeres erkennen. Auf dem goldenen Pferd, Zita´s Fabian, saß eine völlig durchnässte Zita und hielt den schlafenden, kleinen Carlito im Arm. Sie ritt langsam näher und zügelte ihr Pferd vor dem Rebellenführer. Einen Moment sagte niemand etwas, nur das Prasseln des Regens war zu hören. Dann räusperte sich Zandorra.
„Hallo, Zita. Darf man fragen, wo ihr herkommt?“
„Können wir vielleicht erst ins Trockene, Sir?“ fragte Zita mit ganz kleiner Stimme. „Und ich würde gerne Carlito ins Bett bringen. Er ist ganz schön schwer, hätt ich nie gedacht, er ist doch so klein.“
Zandorra reckte die Arme nach dem Kleinen aus und Zita ließ ihn vorsichtig hineingleiten.
„Okay, Zita,“ sagte Zandorra dann, „wir bringen den Kleinen zu Rebecca, du versorgst die Pferde und ich will dich danach sofort in meinem Zimmer sehen, verstanden?“
„Darf ich mich noch abtrocknen?“ fragte Zita kleinlaut.
„Nein!“ Zandorra hob fröstelnd die nackten Schultern. „Das kannst du bei mir machen, ich habe auch Handtücher und wegen dir sind wir alle hier auch naß geworden!“
„Gut, Sir, ich beeile mich,“ flüsterte Zita und trabte zur Schlucht.
Zandorra übergab das schlafende Kind an Simon.
„Bring ihn zu Rebecca, sie soll ihn trocknen und ins Bett bringen, bitte.“
Simon ging mit dem Kleinen davon.
„Kommt, Fürst, gehen wir wieder ins Zimmer, ich friere.“ Zandorra und Fürst Oliver wandten sich um. „Danke, Fredo, lasst euch am besten ablösen, damit ihr euch trocknen könnt.“ Er klopfte dem Mann kurz auf die Schulter und ging mit dem Fürsten zurück in sein Zimmer.
„Bisher war Euer unmögliches Mädchen ein ganz normales Ding mit schlechtem Gewissen, würde ich sagen.“ Bemerkte der Fürst, während er sich die Haare abrubbelte.
„Wartet, bis Ihr sie näher kennen gelernt habt, Fürst,“ Zandorra ging in den Nebenraum, um sich eine trockene Hose anzuziehen. Gleich darauf klopfte es zaghaft an der Tür. Der Fürst öffnete. Zita stand da, triefend wie eine nasse Katze und schaute scheu lächelnd zu ihm auf.
„Komm rein, Zita!“ rief Zandorra und kam aus dem Nebenraum. Nun trug er eine blaue Hose und diesmal auch seine Leinenschuhe. Er warf Zita ein Handtuch zu und setzte sich an den Tisch.
„So, mein Fräulein, setz dich und erzähle.“ Forderte er das Mädchen auf.
„Sir,“ fing Zita aufgeregt an, rubbelte kurz durch die schwarzen Locken und blieb neben dem Tisch stehen. „Sir, das glaubt Ihr nicht! Ich habe eine Höhle entdeckt! Eine riesige....“
„Zita,“ unterbrach Zandorra das Mädchen. „Ich will als erstes hören, warum du fortgeritten bist. Und warum du den Kleinen mitgenommen hast. Und wie du aus der Felsenburg herausgekommen bist.“
„Aber das will ich doch gerade erklären, Sir!“ rief Zita. „Laßt mich doch ausreden!“
Zandorra blickte sie finster an.
„Ich möchte nicht, dass du in dem Ton mit mir sprichst.“
„Tut mir leid, Sir,“ murmelte Zita.
Zandorra nickte kurz und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
„Okay, wenn du dich gefangen hast, kannst du ja jetzt anfangen. Am besten von vorne.“
„Carlito und ich hatten keine Lust, Steine zu klopfen und ich habe ihm das Fohlen gezeigt,“ begann Zita und wischte sich mit dem Handtuch über das nasse Gesicht. Sie ließ sich auf den letzten Stuhl plumpsen und musterte kurz den Fürst.
„Dann seid Ihr gekommen mit Rolf und Ihr habt der Wache gesagt, dass sie mich einsperren sollen, wenn sie mich sehen. Und weil ich doch nicht eingesperrt werden will, sind Carlito und ich durch die Schlucht geritten. Wir wollten doch nur solange herumreiten, bis Ihr wieder da ward, dann wollte ich mit Euch reden, wegen dem Einsperren und so,“ Zita machte eine kurze Pause und holte tief Luft.
Zandorra seufzte tief.
„Das war doch gar nicht so gemeint,“ sagte er dann. „Ich wollte bloß nicht, dass du uns wieder folgst, denn wir wollten so schnell wie möglich den Fürst holen. Und immerhin hast du das mit dem Gehorsam nicht so drin, nicht wahr?“
Zita lächelte ihn zaghaft an.
„Übrigens darf ich dir Fürst Oliver von Stryth vorstellen, den Arzt.“ Zandorra wies kurz zu dem Arzt, der nickte dem Mädchen zu.
„Guten Morgen, Sir,“ grüßte Zita ernsthaft und sehr höflich.
Da musste Zandorra plötzlich lachen.
„Du bist unmöglich, Zita!“ Er gab dem Mädchen einen Klaps auf die Hand. „Jetzt erzähl weiter.“ Zita grinste und setzte sich zurecht.
„Wir sind am Bach entlang geritten und kamen dann zu einer Höhle. Sir, die ist riesig! Man kann durch sie durchreiten, ohne sich anzustoßen! Und ratet mal, wo sie endet! Sie hat nämlich einen riesigen Ausgang, aber wir mussten erst die Morgendämmerung abwarten, damit ich mich orientieren konnte. Doch da ja wegen dem Regen keine Sterne, keine Sonne, einfach keine Orientierungspunkte da waren, sind wir einfach am Berg entlang zurück geritten. Aber ratet mal, wo die Höhle endet, ich weiss jetzt, wo wir waren!“
„Zita, ich will nicht raten, sag es einfach,“ brummte Zandorra.
„Sir, kennt Ihr die Sümpfe, die großen in der Nähe von Janten? Nur ungefähr knapp zwei Tagesritte von Janten entfernt! Es gibt dort ja mehrere Sümpfe, aber einer ist unglaublich groß, ja riesig und man kommt oberhalb dieses Moores heraus. Es ist eine tolle Abkürzung nach Stade, man braucht nicht erst am Fluß entlang zu reiten oder am Berghang, man kann durch die Höhle, ist nach einem halben Tagesritt bei den Sümpfen und ungefähr noch mal so weit, dann ist man in Stade!“
Zandorra musterte das Zirkusmädchen.
„Bist du dir sicher, Zita?“ fragte er nach.
„Na klar, Sir!“ rief Zita aus. „Ihr dürft mir ruhig glauben!“
„Jaja, ich glaub dir ja,“ murmelte Zandorra nachdenklich.
„Sind das dieselben Sümpfe, die auch Ihr meint, Sascha?“ fragte der Fürst.
„Es können nur dieselben sein. Es gibt keine weiteren, großen Sümpfe in der Nähe. Was für ein Zufall, da reitet dieses ungezogene Zirkusmädchen los und findet eine Abkürzung zu unserem neuen Versteck.“ Murmelte Zandorra und schüttelte den Kopf. Zita schaute von einem zum anderen.
„Sir, von was redet Ihr?“ fragte sie neugierig.
„Wir müssen die Rebellen aufteilen, es sind zu viele für die Burg. Ich möchte einen Teil der Menschen in die Sümpfe bringen.“ Erklärte Zandorra kurz.
„In die Sümpfe?“ Zita rümpfte die Nase. „Ich bleibe lieber hier.“
„Oh nein, dich möchte ich unter meiner Fittiche haben, mein Fräulein, also wirst du mitkommen. Rolf, Ingo und ich haben schon eine Liste angefertigt, wer mitkommt.“
Zandorra reckte sich.
„Wie weit reitet man am Bach in der Schlucht entlang, bis man zur Höhle kommt?“ fragte er dann das Mädchen.
„Naja, ich kann das nicht so direkt sagen, wir sind nach Euch losgeritten und so gegen frühen Nachmittag, kurz nachdem der Wolkenbruch angefangen hatte, bei der Höhle angekommen. Wir haben uns dort untergestellt.“
„Gut, Zita, du kannst dich jetzt umziehen, etwas essen und dann schlafen legen.“ Zandorra stand auf.
„Bei mir lohnt es sich nicht, dass ich mich auch noch mal hinlege. Es gibt viel zu tun, bevor wir losziehen. Zita, ich brauche dich später, wo kann ich dich finden?“
„Na, im Heu bei den Pferden, natürlich,“ Zita sprang auf. „Sir, darf ich noch eine Frage stellen?“
„Ja, natürlich,“ nickte der Rebell.
Zita zögerte.
„Können wir Ulf und seine Bande hier lassen?“ fragte sie dann leise.
„Nein, auch die werden mitkommen,“ antwortete Zandorra. „Es werden nur die Frauen mit kleinen Kindern, die Kranken und Verletzten, die Hälfte der Männer als Wachen und Stella und Iris dableiben. Daniela kommt mit, Daphne wird später nachkommen, sobald sich die Verletzten erholt haben.“
„Ach, Sir, warum müssen wir denn Ulf mitnehmen?“ fragte Zita mürrisch.
„In die Sümpfe kann ich nur Gesunde mitnehmen, die Luft dort ist feucht und nichts für Kranke. Und Ulf und seine Bande sind gesund und kräftig. Ihr könnt euch ja aus dem Weg gehen, die Moorinsel ist groß genug.“ Zandorra lächelt ihr zu. „Jetzt verschwinde, dass du dich noch ausruhen kannst. Ich komme später zu dir.“
Zita brummte etwas und schlüpfte aus der Tür.
„Sascha, wer ist dieser Ulf?“ fragte Fürst Oliver und stand ebenfalls auf.
„Ein Jugendlicher, der sich für den Chef hält. Er hat sich einige Male mit Zita angelegt, die beiden können sich nicht ausstehen.“ Zandorra holte ein Hemd und zog es über. „Es ist noch sehr früh, Fürst. Wollt Ihr Euch noch mal hinlegen?“
„Nein,“ Der Fürst erhob sich auch. „Ich werde mal nach den Verletzten sehen. Sie schlafen sicher noch, doch sicher kann ich erfahren, wie die Nacht verlaufen ist.“
„Die Nacht,“ Zandorra lachte kurz auf. „Es ist ja noch fast Nacht! Ich möchte mal wissen, wann ich endlich mal ausschlafen kann.“
Er ging zur Tür.
„Kommt, Fürst, wenn wir schon so früh munter sind, können wir uns auch einen starken Kaffee erlauben, bevor wir uns aufmachen, um unsere Pflichten zu tun.“
In der Küche wuselte schon Babsi herum. Zandorra war erstaunt.
„Aber Babsi, so früh seid Ihr schon auf? Es ist noch gar nicht richtig morgen.“
„Wißt Ihr, es wollen so viele Menschen Frühstück, da muss ich rechtzeitig anfangen.“ Lächelte die dicke Frau und brühte Kaffee auf. „Und warum seid Ihr schon auf? Ihr kommt immer sehr spät oder sehr früh in die Küche zum essen. Und die wievielte Nacht ist es denn jetzt, die Ihr Euch um die Ohren schlagt?“
„Ich weiß nicht, aber ich habe ein paar Stunden schlafen können,“ antwortete Zandorra. „Habt Ihr schon einen Kaffee für den Arzt und mich?“
„Aber ja, Sir,“ die dicke, freundliche Frau reichte ihnen jedem eine Tasse starken Kaffee. „Die paar Stunden reichen Euch nicht, Sir, wenn ich das mal sagen darf. Ein paar Stunden Schlaf in fast einer Woche, das ist viel zu wenig. Warum seid Ihr denn heute schon so früh auf?“
„Zita, das Zirkusmädchen, ist aufgetaucht.“ Zandorra trank vorsichtig einen Schluck Kaffee. Der Fürst nippte ebenfalls an seiner Tasse und musterte Zandorra verstohlen.
„Soso, ein paar Stunden Schlaf in einer Woche?“ murmelte er leise. „Sehr lange könnt Ihr das aber nicht mehr durchhalten, Sascha. Ihr solltet Euch doch noch mal hinlegen.“
„Gerne, Fürst, aber wann? Es gibt jetzt sehr viel zu tun, bis wir aufgeteilt sind.“ Er wandte sich an die dicke Babsi. „Es wird demnächst leichter für Euch, Babsi, ich werde die Hälfte der Rebellen in die Sümpfe führen. Seid so lieb und sucht einen Teil der Küchenhilfen aus, die mit uns gehen können. Und macht uns Proviantpakete zurecht, ich weiss nicht, wie lange wir zu den Sümpfen brauchen.“
„Wann geht´s denn los?“ fragte Babsi.
„Nun, wenn wir es schaffen, morgen schon. Je eher, desto besser.“
„Wartet, bis der Regen aufhört, Sir,“ schlug Babsi vor.
„Zita hat einen Weg durch eine Höhle entdeckt, da ist es egal, ob es regnet.“ Erwiderte Zandorra. Er trank seine Tasse leer und wandte sich zum Gehen.
„Sir, viel Proviant kann ich nicht mitgeben, ich habe nicht mehr viel!“ rief Babsi noch.
„Stimmt ja, wegen dem Regen konnten wir nichts mehr besorgen, wir mussten rasch über den Fluß, bevor der zuviel Wasser hatte.“ Zandorra dachte kurz nach. „Nun, dann gebt uns nur etwas Obst mit und vielleicht ein wenig Brot für jeden. Auf der Moorinsel werden wir dann jagen.“
Die Männer gingen aus der Küche und zum kleinen Saal, wo die Verletzten schliefen. Leise traten sie ein. Hier war noch alles ruhig und dunkel. Hin und wieder ertönte ein leises Stöhnen oder ein kurzer Schnarchlaut. Sie gingen zu Milo. Und Milo schaute ihnen entgegen!
„Nanu, Milo, schläfst du nicht?“ wisperte Zandorra und hockte sich neben den Verletzten. Milo lächelte.
„Ich habe gehört, dass jemand herein kam.“ Antwortete er.
„Zirkusleute und ihr feines Gehör,“ murmelte der Fürst. „Wie geht es Euch, Milo?“
„Wenn ich das Bein ruhig halte, geht es mir gut,“ Milo lächelte wieder. „Kann ich heute aufstehen?“
„Ja, ich werde Euch Krücken besorgen, dann könnt Ihr herumlaufen.“ Nickte der Fürst.
„Milo, wir werden die Rebellen aufteilen,“ erzählte Zandorra leise. „Ein Teil wird mit mir in die Sümpfe kommen. Es sind einfach zu viele hier.“
„Oh ja, die Idee ist wirklich prima,“ Milo setzte sich auf. „Was ist mit mir? Wer soll alles mit in die Sümpfe?“
„Wir haben eine Liste angefertigt. Wenn du nachher laufen kannst, dann komm zu mir und wir gehen die Namen durch.“ Zandorra erhob sich. „Ich werde die Liste auch noch mal durchgehen. Bleibt Ihr hier, Fürst?“
„Ja, ich werde hier bleiben. Wir sehen uns dann später, Sascha.“
Zandorra ging zurück in sein Zimmer, nahm die Liste und setzte sich an den Tisch. Nachdenklich ging er die Namen durch, hakte ab, setze ein Fragezeichen dahinter, strich durch, schrieb dazu. Dann nahm er ein zweites Blatt und fertigte eine weitere Liste an, auf der er die Sachen aufschrieb, die sie auf der Moorinsel brauchen werden. Es klopfte leise an seiner Tür. Zandorra sah auf.
„Ja?“ rief er leise. Die Tür wurde geöffnet und Rolf kam herein.
„Guten Morgen, Sascha,“ grüßte er. „Mann, du schaust ja aus, als hättest du schon wieder eine Nacht durchgemacht.“
Zandorra reckte sich gähnend.
„Sieht man mir das wirklich an?“ fragte er dann und rieb sich über das Gesicht. „Zita ist heute nacht aufgetaucht. Irgendwann gegen früh, aber es war noch stockdunkel,“ teilte er Rolf dann mit.
„Wo war sie denn?“ fragte Rolf und überflog die Listen, die auf dem Tisch lagen.
Zandorra erzählte kurz Zita´s Geschichte.
„Na, so ein Zufall,“ grinste Rolf. „Wir überlegen wegen der Sümpfe und da kommt dieses Mädchen daher und kennt den kürzesten Weg dorthin.“
„Ja, es ist manchmal schon merkwürdig, wie das Leben so spielt,“ nickte Zandorra und nahm die Liste mit den Sachen in die Hand. „Rolf, schau diese mal durch, ob dir noch etwas einfällt, was wir mitnehmen müssen. Wir werden Hütten bauen, also Bäume fällen, die Einrichtungen teilweise selber bauen müssen, es gibt eine Menge Arbeit.“ Er seufzte und rieb sich das Genick. „Zeig sie auch Ingo, er hat in so was immer gute Ideen, was benötigt wird.“
„Was hast du jetzt noch vor? Hast du schon gefrühstückt?“ fragte Rolf.
„Nur einen Kaffee getrunken. Babsi war noch dabei, Frühstück zu richten. Ingo und du, ihr könnt hier frühstücken, bringt mir was mit. Ich werde hier bleiben müssen, Zita und Milo kommen nachher hierher.“
Rolf ging hinaus.
Er traf Ingo im Flur und drückte ihm die Liste in die Hand.
„Hier, hat Sascha angefertigt, du sollst sie nochmals durchgehen, ob du noch was feststellen kannst, was fehlt. Wir frühstücken bei Sascha, Milo und Zita kommen auch später.“
„Und wo gehst du hin?“ fragte Ingo.
„Ich hole uns Frühstück, das kommt nicht von alleine. Geh schon mal rein zu Sascha und leiste ihm Gesellschaft.“ Rolf grinste und ging weiter. Ingo seufzte. Dann öffnete er die Tür zu Zandorra´s Zimmer. Der Rebellenführer saß am Tisch und blickte ihm entgegen.
„Hier geht es zu wie in einem Taubenschlag,“ meinte Zandorra, „Guten Morgen, Ingo. Hat Rolf mit dir schon gesprochen?“
„Ja, ich weiss Bescheid.“ Ingo setzte sich zu ihm an den Tisch. „Du schaust furchtbar aus, irgendwann solltest du mal schlafen,“ stellte er dann fest.
„Oja, dasselbe hat mir Rolf auch gesagt,“ Zandorra nickte kurz. „Schau die Liste durch und sag mir lieber, ob noch was fehlt.“
Ingo nahm die Liste und blickte den Rebellenführer weiterhin an.
„Wann möchtest du los?“ fragte er dann.
„Nun, wenn wir alles bis dahin schaffen, morgen.“
„Und wann schläfst du?“ Ingo winkte ab, als Zandorra etwas sagen wollte. „Sascha, ehrlich, der Weg zu den Sümpfen ist weit, auch wenn wir Zita´s Abkürzung gehen. Du brauchst deine Kräfte und wenn du dich nicht bald mal richtig ausruhst, bist du es, der den Weg nicht schaffen wird. Wir brauchen dich, ruh dich aus, wir brauchen dich munter und gesund. Auf der Insel gibt es viel zu tun, da brauchst du deine Kräfte.“
Ingo legte seine Hand auf Zandorra´s Arm. „Leg dich jetzt noch mal hin. Ich bleibe hier und wenn Zita, Milo, der Fürst oder wer auch immer kommt, wecke ich dich. So gewinnst du vielleicht ein paar Stunden Schlaf. Das reicht zwar auch nicht, aber schau dich doch mal an, deine Augen sind rot vor Müdigkeit!“
Zandorra wollte etwas einwenden, zögerte dann jedoch und stand auf.
„Okay, Ingo, vielleicht hast du recht. Aber ich verlaß mich drauf, dass du mich weckst. Die Zeit ist zu kostbar, als dass ich sie verschlafe.“
„Großes Ehrenwort, Sascha Zandorra!“ Ingo hielt feierlich eine Hand hoch. Zandorra lächelte und ließ sich auf sein Bett fallen. Es dauerte nicht lange, da schlief er auch schon. Ingo arbeitete während dessen an den Listen, überflog die Eintragungen Zandorra´s, schrieb etwas dazu, verbesserte.


Die Besprechung

Dann wurde die Tür geöffnet und Rolf erschien mit einem großen Frühstückstablett.
Er schaute erstaunt auf den schlafenden Rebellenführer und stellte das Tablett auf den Tisch.
„Sei bloß leise und weck ihn nicht,“ flüsterte Ingo. „Ich habe meine ganze Überredungskunst gebraucht, bis er sich hin gelegt hat. Er sah aus wie sein eigener Geist! Den Schlaf braucht er dringend! Wir können ja schon mal frühstücken und dann hoffen wir, dass Milo und Zita erst mittags kommen.“
„Der Fürst will Milo erst gegen Mittag aufstehen lassen,“ teilte Rolf mit. „Das passt prima, dann hat Sascha tatsächlich noch ein paar Stunden Schlaf.“
Nachdem sie mit ihrem Frühstück fertig waren, klopfte es leise an der Tür. Rolf sprang sofort auf und öffnete. Der Fürst stand draußen.
„Pst, seid leise, Fürst, Sascha schläft und er hat einen sehr leichten Schlaf,“ wisperte Rolf und zog den Fürst ins Zimmer, schloß die Tür und somit die lauten, lebhaften Geräusche aus.
„Er hat sich doch noch mal hingelegt?“ fragte der Fürst erstaunt. „Eigentlich hatte er es nicht vor.“
„Ingo´s Überredungskunst,“ grinste Rolf. „Wollt Ihr noch was essen? Sascha´s Frühstücksportion ist noch übrig.“
„Danke, ich habe schon gegessen.“ Der Fürst zeigte auf die Listen. „Darf ich die mal anschauen? Wenn das Rebellenlager verlegt werden soll, interessiert mich das auch, zumal ich wissen möchte, wen von den Verletzten er mitnehmen will.“
Ingo schob ihm die Listen zu.
„Hm, Milo ist dabei, Stan und Joshua, die beiden sind auch unter den Verletzten, doch ich denke, sie schaffen es, mitzugehen. Sie sind nicht so schlimm dran wie manch andere. Aber Milo? Er kann nicht die ganze Strecke laufen.“
Murmelte der Fürst vor sich hin.
„Tankred und auch René gehen nicht ohne Milo und Sascha braucht auf der Moorinsel kräftige Männer, die die Hütten bauen können. Also muss Milo mit. Er kann ja reiten, Zita sagte, die Höhle ist so groß, dass man reiten kann,“ meinte Ingo.
„Nun gut, lassen wir uns überraschen. Wann soll es denn los gehen?“ Der Fürst lehnte sich zurück.
„Morgen schon will Sascha losziehen,“ antwortete Rolf. „Das heißt, dass er noch heute die Menschen informieren, alles zusammenpacken und auf die Pferde verteilen muss und eventuell mit einigen diskutieren darf, die sich vielleicht sträuben, die Burg zu verlassen.“
„Oder andere, die unbedingt mit wollen,“ warf der Fürst ein.
Sie schwiegen eine Weile. Dann wurde so heftig gegen die Tür geklopft, dass sie zusammen zuckten und Zandorra erschrocken hochfuhr. Ingo lief zur Tür und riß sie auf. Draußen standen Zita, Tankred und Milo, der sich auf zwei Krücken stützte. Offenbar hatte er mit den Krücken gegen die Tür geklopft.
„Ich soll mich bei Sascha Zandorra melden!“ verkündete Zita fröhlich. „Hier bin ich und habe Milo und Tankred gleich mitgebracht!“
Zandorra stieg aus dem Bett, gähnte und kam zum Tisch.
„Fein, ich denke, wir sind beinahe vollzählig,“ meinte er dann mit einem Blick auf die ganzen Anwesenden. „René fehlt noch, sowie Olli, Marwin, Gregor und Hannes. Ich möchte sie gerne bei der Besprechung dabei haben. Achja, Ingo, kannst du sie holen und dazu Daphne, Julchen, Tafny und Stacey?“
Ingo ging hinaus, Tankred folgte ihm.
„Es geht schneller, wenn wir beide die Leute holen,“ rief er über die Schulter zurück.
Zandorra nickte kurz. Er rieb sich über sein Gesicht und ging in den Nebenraum.
„Rolf, hier sind noch zwei Stühle und die Couch, könnt ihr die rüberbringen?“ rief er seinem Freund zu. „Ich muß mich noch waschen und umziehen, die Zeit drängt, wenn wir morgen los wollen!“
Rolf und der Fürst gingen in den Nebenraum, wo Zandorra in einer Truhe nach einem trockenen, sauberen Hemd kramte.
„Der Platz reicht trotzdem nicht für alle, Sascha,“ meldete Rolf, nachdem Couch und Stühle im anderen Zimmer standen. „Es fehlen noch mindestens fünf Plätze.“
„Ich bleibe stehen, Zita wird sich sicher auch nicht setzen, sie springt ohnehin dauernd auf und es können sich ja ein paar auch auf den Tisch setzen. Es wird schon gehen, wir machen ja schließlich keine Party, sondern eine kurze Besprechung.“ Zandorra kam ins große Zimmer, er trug nun eine weiche, braune Lederhose, ein hellbeiges Hemd und leichte Lederschuhe. Seine Haare waren feucht, er hatte sich sogar rasch rasiert und band sich eine schwarze Schärpe um die Taille. Er ging zum Tisch und musterte das Tablett.
„Habt ihr schon gegessen?“ fragte er.
„Ja, das ist deine Portion,“ teilte Rolf mit.
Zandorra setzte sich und begann, hungrig zu essen.
„Ich hätte nicht schlafen dürfen,“ murmelte er dann. „Dadurch haben wir kostbare Zeit verloren. Ihr hättet mich früher wecken sollen, Rolf.“
„Das war schon in Ordnung so,“ widersprach der Fürst. „Ihr brauchtet ein wenig Ruhe. Selbst diese Zeit war eigentlich zu kurz, aber besser als nichts.“
„Es spricht der Arzt,“ brummte Zandorra. Der Fürst grinste.
„Ihr habt mich geholt, jetzt bin ich da und ich bin Arzt und werde mich auch so verhalten.“ Zandorra hob die Schultern und schob den Teller zurück.
In dem Moment erschien auch Ingo wieder und mit ihm kamen Olli, René, Marwin, Tafny und Stacey. Stacey hatte ihren kleinen Sohn bei Rebecca gelassen. Die Rebellen verteilten sich auf die Sitzgelegenheiten und murmelten neugierig miteinander. Außer Rolf, Milo, Zita und dem Fürst wusste noch keiner, um was es ging. Tankred kam und brachte die restlichen mit, also Julchen, Daphne, Gregor und Hannes. Für alle war tatsächlich kein Platz, doch Julchen setzte sich kurzerhand auf den Boden und Hannes, René und Gregor taten es ihr gleich.
Zandorra stand auf und überließ Daphne seinen Stuhl.
„Okay, ich denke, jetzt sind wir vollzählig.“ Er stellte an die Tür, damit er den Überblick hatte. „Wie ihr alle bemerkt habt, sind wir unheimlich viele Leute hier in der Felsenburg. Es ist nicht nur ein Platz, sondern auch ein Nahrungsproblem. Ich habe beschlossen, dass die Hälfte der Rebellen mit mir in die Sümpfe gehen wird.....“
er wurde von dem einsetzenden Murmeln und Fragen unterbrochen und hob die Hand. „Heh, ruhig, lasst euch alles erklären, dann können wir darüber reden!“ rief er aus. „Ich kenne einen Ort, der genauso sicher ist wie die Blauen Berge! Es ist das große Moor, von dem ihr alle bestimmt schon gehört habt. Ich kenne den Weg zur Moorinsel, er ist nur wenigen Menschen bekannt! Wir werden dort ein zweites Rebellenlager aufschlagen. Die Insel ist riesig, es kann dort eine ganze Stadt gebaut werden! Bisher stehen allerdings nur zwei Hütten drauf, es gibt also allerhand zu tun! Daher müssen wir so schnell wie möglich losziehen, denn der Sommer geht bereits in den Herbst über und auf dem Moor ist das Wetter noch kühler und feuchter als hier. Bis das Wetter umschlägt, müssen wir uns auf dem Moor eingerichtet haben! Ingo, Rolf und ich haben Listen angefertigt, eine mit den Personen, die mit zur Moorinsel gehen und eine mit Materialien, die wir brauchen werden! Nahrungsmittel können wir kaum mitnehmen, wir müssen jagen und uns erst mal versuchen, so durchzuschlagen, denn hier in den Blauen Bergen wird die Nahrung auch gebraucht und es ist nicht mehr viel da! Leider konnten Rolf und ich, als wir den Fürst holten, nichts kaufen, erstens war es Nacht und alles zu und zweitens mussten wir uns beeilen, denn es regnete so heftig, dass wir so schon Mühe hatten, über den Fluß zu kommen!“ Zandorra holte tief Luft.
„Darf ich die Liste sehen, wer mitkommt?“ fragte Hannes.
„Wir lassen die Listen rumgehen.“ Antwortete Zandorra und übereichte eine an Hannes, die andere an Julchen.
„Stehen die Listen oder können sie noch geändert werden?“ fragte Daphne.
„Wir können sie natürlich noch ändern, wenn ihr andere Vorschläge habt!“ antwortete Zandorra.
„Wie kommen wir zur Moorinsel?“ fragte nun Marwin. „Es ist ein wenig gefährlich, wenn wir in einer großen Karawane den Berg hinunter ziehen und Richtung Janten gehen. Wir müssen fast an Janten vorbei, das Moor liegt zwischen Janten und Stade, wenn ich das noch richtig in Erinnerung habe.“
„Ja, aber einiges östlicher,“ nickte Zandorra. „Zita hat aber einen Weg entdeckt, der wesentlich kürzer ist.“
René Feselmann, der Zirkusdirektor, blickte auf das wilde Mädchen.
„Natürlich du, Zita, wer sonst sollte so was auch entdecken?“ grinste René Feselmann und Zita lachte vergnügt.
„Es geht durch eine riesige Höhle!“ rief sie aus.
„Ja,“ nickte Zandorra. „Der Vorteil ist, dass wir trocken bleiben, sollte es morgen noch genauso regnen.“
„Aber erst mal müssen wir zu der Höhle kommen,“ gab Zita zu bedenken. „Wir müssen eine ganze Weile durch die Schlucht am Bach entlang gehen. Da sind wir sicherlich naß, bis wir dort sind.“
„Schön, aber wenn sie so groß ist, wie du sagst, können wir dort sicherlich unsere erste Rast einlegen, etwas essen und uns trocknen,“ meinte Zandorra.
„ja, klar, das stimmt!“ nickte das Zirkusmädchen. „Kommt Carlito auch mit?“
„Nein,“ antwortete Zandorra. „Die Kinder bleiben mit Rebecca, Bianca und Iris hier. Ich kenne deinen Weg selber nicht, es wäre zu anstrengend, die Kleinen auf so eine Tour mit zu nehmen. Außerdem ist die Luft hier in den Bergen gesünder für die Kinder, als die Luft im Moor. Allerdings werde ich Ulf und seine Bande mitnehmen, ich möchte sie unter Kontrolle haben.“
Zita zog eine Grimasse.
„Wir hätten mehr Ruhe, wenn die hier bleiben würden,“ wagte sie einzuwerfen.
Zandorra lachte.
„Ich glaube, du meinst, du hättest mehr Ruhe!“
„Naja, Sir, wir sind nicht gerade die besten Freunde und ich könnte jedes Mal aus der Haut fahren, wenn ich ihn nur sehe!“
„Weiß du, Zita,“ Zandorra wurde wieder ernst, „es wird wirklich nicht einfach sein, Ulf unter Kontrolle zu haben. Aber, ehrlich, wird es denn einfacher, dich unter Kontrolle zu halten?“
„Sir,“ Zita lief empört einmal um den Tisch herum, während die Anwesenden grinsen mussten. „Sir, Ihr könnt mich doch nicht mit diesem Typ vergleichen! Nein! So geht das nicht! Ich habe noch niemand vermöbelt! Außerdem.....“
„Halt, halt!“ rief Zandorra aus, packte Zita am Arm und lachte wieder. „Ich werde mich hüten, dich mit ihm zu vergleichen! Ihr seid so grundverschieden, wie es überhaupt geht! Und doch seid ihr beide hitzköpfig genug, dass man auf euch beide aufpassen muß!“ Rolf grinste breit und beugte sich zu Ingo hinüber:
„Seine eigene Hitzköpfigkeit sieht er aber nicht. Er passt auch dazu, meinst du nicht auch?“ flüsterte er ihm zu. Ingo grinste auch und nickte.
„So, genug jetzt davon, Du und Ulf, Dirk, Taylor und Todd kommt mit zur Moorinsel.“ Zandorra ließ Zita´s Arm los. „Habt ihr euch die Listen angeschaut? Irgendwelche Einwürfe, Verbesserungen oder Veränderungen?“ wandte er sich an die Rebellen.
„Nur eines,“ sagte jetzt Daphne, „wenn ich das richtig verstehe, soll ich hierbleiben bei den Verletzten?“
„Ja, bis es ihnen wieder gut geht.“ Nickte Zandorra. „Aber ich möchte, dass du dann so schnell wie möglich nachkommst. Wir brauchen dich und Daniela auf der Moorinsel. Iris, Tessa und Valerie können in der Zeit von dir einiges über Krankheiten und deren Heilung lernen und euch dann in den Blauen Bergen vertreten. Wenn ich das richtig weiß, haben sie dir ohnehin die ganze Zeit schon geholfen.“
„Das hast du bemerkt?“ fragte Daphne erstaunt. „Ich hätte nicht gedacht, dass du auf so etwas achtest.“
„Wenn du wüsstest, wo er überall seine Nase reinsteckt!“ grinste Rolf. „Er ist über fast alle Vorkommnisse informiert.“
„Das ist eben das, was einen guten Rebellenführer aus macht,“ stellte Stacey fest.
Das zustimmende Gemurmel machte Zandorra ganz verlegen. Er goß sich eine Tasse Kaffee ein und trank sie halb aus.
„Hat jemand sonst noch etwas einzuwenden oder zu fragen?“ er schaute in die Runde. Dann meldete sich Zita zu Wort:
„Wir müssen ja recht viele Pferde mitnehmen. Sind denn so viele da, dass wir reiten können und zudem noch das viele Gepäck aufteilen?“
„Gut, dass du das ansprichst, Zita,“ lächelte Zandorra. „Wir haben vier Wagen, auf die wir einiges an Werkzeug und so weiter laden können. Jeder Wagen kann von bis zu vier Pferden gezogen werden.....“
„Wo hast du denn Wagen her?“ fragte Olli erstaunt.
„Ich habe hier noch keine Wagen gesehen,“ wandte Julchen stirnrunzelnd ein.
„Wie sollen denn hier Wagen hochkommen?“ wollte Hannes wissen.
Zandorra stellte seine leere Tasse ab und antwortete dann:
„Es ist schon einige Zeit her, als ich mal ein paar Kolonnen überfallen hatte. Zwei Kolonnen, um genau zu sein. Eine transportierte Nahrungsmittel nach Janten, die andere war ein Kindertransport.“ Er schwieg kurz und hob die Schultern. „Naja, ich habe die Wagen dann mitgenommen, wir brauchten frische Nahrungsmittel in der Burg und den Kindern stand eine schlimme Zukunft bei Madam Konradi bevor, also habe ich sie lieber mitgenommen und in die Burg gebracht. Rebecca und Brenda haben sich ihrer angenommen.“
„Warum wissen wir nichts davon?“ fragte Ingo jetzt brummig.
„Und wo sind die Wagen?“ erkundigte sich Tafny.
„Die Wagen habe ich im Wald versteckt. Sie sind bestens getarnt und bis heute noch von niemanden entdeckt worden.“
„Im Wald?“ rief Olli überrascht aus. „Aber nicht hier unten in dem Wald, wo der Fluß entlang fließt? Ich habe ja sehr oft Wache im Wald, aber mir ist noch niemals ein Wagen aufgefallen und so ein Wagen ist doch immerhin recht groß, oder?“
„Sag schon, Sascha, wo hast du die Wagen versteckt?“ Rolf gab ihm einen Stoß in die Rippen. Zandorra grinste.
„Ich sagte doch, sie sind gut getarnt. Ich zeige sie euch nachher, wir müssen ohnehin sehen, wie wir sie zur Schlucht bringen können. Das wird noch recht schwierig.“
„Unmöglich würde ich eher sagen,“ murmelte Hannes.
„Nicht unmöglich, mein Lieber,“ widersprach Zandorra, „die Kanone haben wir auch hier, oder etwa nicht? Und sie ist einiges schwerer als ein Wagen!“
„Könnte nicht Milo auf einem der Wagen mitfahren?“ fragte jetzt der Fürst.
„Jemand muss sie doch ohnehin lenken und mit seinem Bein kann er nicht laufen und länger reiten sicherlich auch noch nicht.“
Zandorra blickte ihn überrascht an. Dann nickte er langsam.
„Natürlich, gute Idee, daran habe ich noch nicht gedacht. Milo,“ wandte er sich an den verletzten Zirkusartisten. „Du kannst ja sicher einen Wagen lenken, oder?“
Der blickte ihn nun entrüstet an.
„Aber selbstverständlich,“ antwortete er dann fast beleidigt.
„Entschuldige, ich wollte dich nicht kränken,“ Zandorra lächelte ihn an. „Du wirst also einen der Wagen lenken. Die anderen können dann Stan und Joshua fahren, die beiden sind auch verletzt und ich weiss nicht, ob sie einen langen Ritt durchhalten können.“
„Das ist richtig,“ meinte der Fürst dazu. „Dann bleibt nur noch ein Wagen übrig.“
„Ich werde später entscheiden, wer den lenkt. Jetzt müssen wir endlich was tun.“ Zandorra begann, im Zimmer herum zu gehen. „Daphne, kannst du einige Medikamente und so zusammenpacken, die ihr nicht unbedingt braucht, damit wir für Notfälle ausgerüstet sind? Und Ingo, du nimmst dir einige Männer und ihr bringt an Werkzeug, was wir benötigen zur Schlucht. Julchen und Tafny, ihr besorgt ein paar Lebensmittel, ich habe schon mit Babsi gesprochen, da wir nicht mehr viel hier haben, nehmt vor allem Obst und Brot mit. Wir werden unterwegs jagen. Hannes, du und ...“
„Mein Gott, Sascha, kannst du nicht mal stehen bleiben?“ rief Rolf nun entnervt aus. „Du bist fast so schlimm wie Zita, man wird ganz wirr, wenn man euch zuschaut!“
Zandorra warf ihm einen finsteren Blick zu, während Zita breit grinste.
„Hannes, du, Gregor und Marwin, ihr sucht die restlichen Sachen, wie Möbelstücke, Truhen und so weiter, die auf der Liste stehen, zusammen. Wir lagern erst mal alles in der Schlucht, dort werden wir dann die Wagen aufladen.“
„Sobald wir sie oben haben,“ brummte Rolf.
„Ja, da sind wir schon bei der nächsten Sache,“ nickte Zandorra und begann wieder, hin und her zu laufen. „Rolf, Olli, René und Tankred, ihr kommt mit mir, wir versuchen die Wagen zu holen....“
„Und ich?“ Zita hüpfte ungeduldig herum, „Ich kann beim Wagenholen helfen!“
Rolf verdrehte die Augen, griff mit einer Hand nach Zita, mit der anderen nach Zandorra und hielt beide fest. Stacey, Julchen, Tafny, Hannes und René Feselmann lachten laut.
„Wir werden die Wagen holen,“ fuhr Zandorra fort, als wäre er nicht unterbrochen oder festgehalten worden. Ruhig nahm er seinen Arm weg, lief aber nicht mehr herum. „Stacey und Zita, ihr werdet die Pferde holen und für alle fertig richten. Wenn ihr noch Hilfe dazu braucht, holt euch ein paar Leute. Zita, du suchst auch die Pferde aus, die die Wagen ziehen können. Achja, Fürst, bleibt Ihr noch hier, bis die Verletzten wieder okay sind?“ Der Fürst räusperte sich.
„Eigentlich müsste ich wieder zurück ins Krankenhaus. Oder braucht Ihr mich dringend? Die Verletzten sind versorgt, das restliche liegt an Daphne, die sie super versorgen kann. Höchstens, dass Milo mich noch benötigt?“
„Nein, schon gut, Fürst, ich komme gut zurecht!“ sagte Milo sofort.
„Also gut, dann könnt Ihr natürlich ins Krankenhaus zurück, Fürst. Wenn etwas passieren sollte, können wir dann wieder mit Euch rechnen?“
„Natürlich, Sascha, das wisst Ihr doch!“
„Oh, Fürst,“ Daphne lächelte Zandorra dabei zu, „könnt Ihr Euch noch Sascha´s Verletzung anschauen? Ich habe sie genäht, so gut es ging, aber es wäre mir lieber, wenn Ihr als Arzt sie euch mal kurz anschaut.“
„Sascha ist auch verletzt?“ fragte der Arzt jetzt erstaunt und blickte auf den finster schauenden Rebell. Der winkte ab.
„Nicht so schlimm, Fürst.“
„Er wurde vor ein paar Tagen zusammengeschlagen, von Soldaten, als wir die Leute aus Stade befreiten.“ erklärte Rolf. „Einer der Soldaten hat nicht geschlagen, sondern zugestochen.“ Kurz erzählten sie, wie Zandorra und Rolf die falsche Spur legten und erwischt wurden, wie sie zusammengekettet und gequält wurden und wie die Zirkusleute sie befreiten.
Zandorra schwieg dazu. Schließlich hob er die Hand.
„Es genügt, der Fürst ist jetzt informiert! Daphne, das war unfair, es geht mir gut!“
Stacey grinste.
„Das würdest du auch sagen, wenn du halbtot wärst,“ meinte sie dazu. Daphne nickte heftig.
„Es dauert schließlich nicht lange, Eure Verletzung zu untersuchen,“ meinte der Arzt.
„Zieht euer Hemd aus, dann können wir es gleich hinter uns bringen.“
Zandorra zögerte und meinte dann: „Ihr könnt alle schon mal gehen. Jeder hat jetzt seine Aufgabe, wir müssen uns schicken, solange es noch hell ist.“
Die Rebellen standen auf und verließen den Raum, alle, außer Olli, René, Rolf, Tankred und Milo, die ja mit Zandorra die Wagen holen sollten. Der Fürst stellte seine schwarze Tasche auf den Tisch und öffnete sie. Dann blickte er auffordernd auf den Rebell. Zandorra seufzte und schlüpfte aus seinem Hemd.
Der Fürst löste vorsichtig den Verband, den Daniela ihm auf die Wunde geklebt hatte. Er war ohnehin blutig.
„Daphne hat sehr ordentlich genäht,“ stellte er befriedigt fest. „Allerdings ist sie an einigen Stellen aufgebrochen. Ihr schont Euch ja auch nicht, wenn Ihr verletzt seid. Ich weiß gar nicht, wie Ihr mit so einer Verletzung klettern konntet, geschweige denn, gegen den Hauptmann kämpfen. Das musste doch unsagbar schmerzen!“
Zandorra lächelte verzerrt.
„Man kann den Schmerz auch unterdrücken, Fürst, wenn andere Sachen wichtiger sind. Milo war verletzt, Zita mitten auf dem Schlachtfeld, die Burg wurde beschossen, ich musste klettern, egal, ob Schmerzen oder nicht! Und der Hauptmann hatte beschlossen, mich tot oder lebendig dem König auszuliefern. Was blieb mir denn anderes übrig?“ Er zog scharf die Luft ein, als der Fürst eine Salbe auf die Wunde strich, „das tut wesentlich mehr weh!“ presste er dann hervor.
„Daphne hat Euch wirklich ohne Narkose genäht?“ fragte der Fürst und blickte dem Rebell ins Gesicht.
„Ja, aber das rate ich niemanden. Es tat höllisch weh, Fürst, das kann ich Euch sagen.“ Der Fürst schüttelte den Kopf.
„Ihr hattet Glück, es ist eine Fleischwunde, zwar tief, aber nicht gefährlich. Es wurden keine wichtigen Gefäße oder Nerven verletzt. Aber ich werde aus Euch nicht schlau, Sascha. Ich verstehe nicht, wie Ihr das alles durchhalten könnt!“
„Das verstehe ich manchmal selber nicht, Fürst,“ lächelte Zandorra. „Seid Ihr bald fertig? Wir müssen los.“ Der Fürst legte einen frischen Verband an, dann packte er seinen Salbentigel wieder in die Tasche.
„Ich würde ja sagen, Rolf, passt ein wenig auf, dass er es nicht wieder übertreibt, aber ich glaube, das ist hoffnungslos,“ wandte er sich dann an den Rebell, während Zandorra wieder sein Hemd anzog. Rolf nickte.
„Ja, Fürst, das ist hoffnungslos. Man kann nicht auf ihn aufpassen. Aber wenn ich weiss, dass diese Verletzung nicht so schlimm ist, dann bin ich schon mal beruhigt.“
„Können wir jetzt losreiten?“ fragte Zandorra ungeduldig. „Fürst, bleibt Ihr noch, bis wir morgen alle aufbrechen, oder möchtet Ihr noch heute zurück?“
„Am besten, ich reite noch heute los,“ antwortete der Fürst. „Ihr habt jetzt genug zu tun, ich schau noch mal nach den Verletzten und werde mich dann aufmachen. Dann bin ich morgen Mittag vielleicht im Krankenhaus.“
„Wartet, reitet mit uns runter zum Fluß, Ihr nehmt den Weg ja ohnehin. Dann können Euch Pepe und Quentin begleiten, die beide Wache im Wald haben. Ich möchte nicht, dass Ihr alleine nach Janten reitet. Die beiden können dann ein paar wichtige Lebensmittel in Janten besorgen. Rolf, hast du noch die Einkaufsliste von Sandy?“
Rolf wühlte in seinen Taschen, dann fiel ihm ein, dass er sich inzwischen ja längst umgezogen hatte.
„In meinem Zimmer, in den Klamotten, die ich anhatte. Ich hole sie rasch.“ Er sprang auf und lief hinaus. Der Fürst folgte ihm.
„Ich bin dann bei den Verletzten, Sascha, Ihr könnt mich dort abholen, wenn Ihr losreitet. Ich habe meine Sachen beisammen und kann dann sofort mit reiten.“
Zandorra wandte sich an René Feselmann, Olli und die beiden Zirkusartisten.
„Wir gehen zur Schlucht und holen unsere Pferde. Milo, du ruhst dich noch aus, leg dich auf mein Bett, wenn du möchtest. Du musst dein Bein schonen. Wir kommen, sobald wir die Wagen in der Schlucht haben.“
Milo wollte kurz widersprechen, sah dann aber ein, dass der Rebellenführer recht hatte. Sein Bein schmerzte und er fühlte sich müde und ausgelaugt. So schwieg er und schaute den vier Männern nach, als sie aus dem Zimmer gingen.


Die vier Wagen

Es hatte aufgehört zu regnen, doch alles war naß und überschwemmt.
Die Luft war rein und klar, der Himmel noch bewölkt. Einzelne Tröpfchen kamen noch herunter.
In der Schlucht trafen sie auf Stacey und Zita, die eifrig beschäftigt waren, die Pferde zusammen zu treiben. Zandorra pfiff seinem Schimmel, der sich aus der Herde löste und schnaubend angaloppiert kam. Zita winkte fröhlich, sie war in ihrem Element.
„Seid vorsichtig, Sascha, du weißt, außerhalb der Burg ist es gefährlich,“ mahnte Stacey und umarmte den Rebellenführer kurz. Er drückte sie an sich und lächelte.
„Mach dir keine Sorgen, Stacey, die Wachen sind im Wald und passen auf. Es wird nichts passieren. Der Überfall war ja erst, auch, wenn der König gleich wieder ein Überfallkommando schickt, ist es frühestens morgen hier. Dafür lasse ich ja die Hälfte der Männer hier, damit sie die Burg weiterhin verteidigen können.“
„Und wenn der König wieder mit einer Kanone kommt?“ fragte Stacey ängstlich.
„Er hat nur die eine gehabt.“ Beruhigte Zandorra. „Er wird allerdings demnächst noch ein paar aus dem Norden bekommen. Aber bis dahin vergeht noch einige Zeit. Und wenn es wirklich mal eng wird hier, dann muß jemand halt losreiten und mich holen.“
„Und was willst du dann ausrichten?“ fragte Olli erstaunt. „Wenn es hier so eng wird, dass dich jemand holen müsste, dann kannst du alleine doch auch nichts ausrichten!“ Zandorra hob ungeduldig die Schultern.
„Das wird sich dann zeigen, jetzt los, wir müssen die Wagen holen! Wo sind der Fürst und Rolf?“
In dem Moment kamen die beiden angelaufen. Rolf winkte mit der Liste.
„Hier, die gebe ich dann Pepe oder Quentin, sobald wir im Wald sind!“ rief er .
Zandorra nickte kurz, dann stiegen sie auf ihre Pferde und ritten los. Zita schaute ihnen hinterher.
„Ich würde gerne mitreiten, aber anderseits will ich auch die Pferde richten.“ Murmelte sie. Stacey lachte.
„Mir geht es auch so, also laß uns die Pferde vorziehen, das ist schließlich unsere Aufgabe.“ Gemeinsam gingen sie wieder zur Herde.

Vorsichtig ritten die sechs Männer den felsigen, nassen und glitschigen Pfad hinunter. Sie schwiegen dabei, erreichten die Felsbarriere, hinter der die Kanone gestanden hatte, ritten nachdenklich weiter und erreichten schließlich die Obstwiese, die völlig unter Wasser stand. Sie trieben die Pferde in leichtem Galopp bis zum Fluß. Dann suchten sie die Furt, was gar nicht so einfach war, denn der Fluß führte Hochwasser und strömte sehr schnell und weit über die Ufer dahin. Sie lenkten die Tiere langsam und vorsichtig durch das Wasser und wurden dabei völlig durchnässt.
„Hallo, Sascha!“ Quentin trat aus der Sicherheit des Waldes. „Ist was passiert?“
„Nein, passiert ist nichts, aber wir müssen die Wagen, die ich hier im Wald versteckt habe, holen.“ Rasch erzählte Zandorra von dem Vorhaben. „Und ihr reitet mit dem Fürst nach Janten und könnt dann die Einkäufe erledigen. Rolf, gibst du ihm die Liste?“
„Wo hast du hier im Wald Wagen versteckt?“ fragte Quentin.
„Ich weiss nicht, wie oft ich das jetzt gefragt wurde,“ seufzte Zandorra. „Sie sind eben sehr gut getarnt. Los jetzt, reitet mit dem Fürst los, wir müssen uns auch beeilen, die Wagen zu holen und in die Burg zu bringen. Das dauert seine Zeit und wir müssen bis zum Dunkelwerden die Wagen oben haben.“
„Also gut, Sascha!“ Der Fürst lenkte sein Pferd neben das des Rebellenführers. „Ich bin bereit, wenn ich den Rebellen irgendwie helfen kann. Paßt auf Euch auf, Ihr werdet gebraucht, es gibt viele Menschen, die an Euch glauben.“
„Schon gut, Fürst, ich werde mich bemühen. Vielen Dank für alles, kommt gut im Krankenhaus an.“ Zandorra und der Fürst gaben sich die Hand, dann lenkte der Fürst sein Pferd Richtung Südwesten und er, Quentin und Stan ritten entlang des Flusses Richtung Janten.
Zandorra schaute ihnen nach, bis sie zwischen Bäumen und Felsen verschwunden waren. Dann wandte er sich an seine Männer.
„Okay, wir müssen zuerst zu Kendra.“
Die Männer schwiegen, als sie durch den Wald ritten. Sie ließen die Pferde in flottem Schritt gehen, denn durch den Wald war es tückisch, der Boden durchzogen mit Wurzeln und Gestrüpp und außerdem völlig durchweicht und glitschig. Schließlich erreichten sie eine kleine Lichtung, wo sich in der Mitte ein kleiner Teich befand und an dessen anderem Ende schmiegte sich ein kleines Holzhaus zwischen zwei große Tannen. Aus dem Kamin quoll dichter Rauch, in den Fenstern standen trotz des hellen Tages Kerzen. Zandorra lenkte sein Pferd um den Teich herum und sprang dann vor der Hütte herunter. Die anderen stiegen ebenfalls ab. Zandorra klopfte an die feste, stabile Holztür. Es dauerte eine Weile, dann wurde die Tür aufgerissen und eine alte, kleine, kräftige Frau stand vor ihnen. Sie reichte Zandorra gerade mal bis zu den Schultern, hatte langes, graues Haar, das unter einem Kopftuch hervor lugte, ein runzliges Gesicht mit lebhaften, hellblauen Augen und ... war bewaffnet mit einem langen Gewehr, das sie im Anschlag hielt.
„Hallo, Kendra, kennt Ihr mich noch?“ Zandorra hielt beide Hände in Brusthöhe. Die Alte musterte ihn kurz, dann senkte sie das Gewehr und lächelte ein fast zahnloses Lächeln, dabei wurde ihr Gesicht noch runzliger, aber die hellen Augen strahlten!
„Sascha!“ rief sie aus. „Es ist lange her, dass du mal vorbei geschaut hast! Schön, dich zu sehen!“ sie nahm ihn an der Hand und zog ihn in die Hütte. „Kommt mit hinein, Sascha´s Freunde sind auch meine Freunde! Tut mir leid, dass ich dich gleich mit der Waffe begrüßt habe, aber man muss heutzutage sehr vorsichtig sein!“
„Ihr habt völlig recht, Kendra,“ nickte Zandorra. „Wie geht es Henry? Er ist doch noch bei Euch?“
„Ja, er liegt im Nebenzimmer.“ Das Gesicht der alten Frau wurde ernst. „Er war ja nicht transportfähig, als er gebracht wurde. Nur mit Gottes Hilfe habe ich ihn durchbringen können, er wurde sehr schwer verletzt. Mehrere Kugeln hatten ihn getroffen, du kannst ihn noch nicht mitnehmen.“
„Nein, ich will ihn gar nicht mitnehmen, Ihr pflegt ihn erst gesund, dann kann er in die Felsenburg gehen.“ Zandorra ließ sich von der alten Frau ins Nebenzimmer ziehen. Hier standen drei Betten, eines war völlig zerwühlt, offenbar das von Kendra selber, zwei andere standen an der Wand. In beiden lagen verletzte Männer. Einer von ihnen hatte sich auf den Ellenbogen gestützt und schaute ihnen entgegen.
„Hallo, Henry,“ grüßte Zandorra leise und setzte sich auf den Bettrand. „Wie geht es dir? Du schaust ja noch ziemlich krank aus.“ Henry grinste.
„Brutal ehrlich, Sascha, das baut mich nicht gerade auf,“ meinte er dann. „Ich weiss, dass ich furchtbar aussehen muss, aber noch oft fühle ich mich auch so.“
„Tut mir leid, ich wollte das nicht so direkt sagen,“ murmelte Zandorra verlegen. „Ich war nur erschrocken, als ich dich so sah. Aber ich bin sehr froh, dass du offenbar das schlimmste überstanden hast.“
„Ja, Kendra hat mich besser gepflegt, als es jeder Arzt hätte tun können. Schade, dass sie nicht im Krankenhaus arbeiten will.“
„Du weißt, dass sie eine Einsiedlerin ist. Sie wird niemals aus ihrem Wald und ihrer Hütte gehen. Aber sie nimmt Verletzte auf und pflegt sie gesund.“
„Warum bist du hier, Sascha?“ fragte jetzt Henry. „Du bist sicher nicht gekommen, um einen Krankenbesuch zu machen.“
„Und warum nicht? Ist das so abwegig?“ Zandorra lächelte leicht.
„Nun, du hast eine Menge um die Ohren, da wird nicht viel Zeit bleiben für Krankenbesuche,“ meinte Henry.
„Okay, ich geb dir ja Recht. Trotzdem habe ich Zeit, nach dir zu schauen. Wer liegt übrigens dort im Nebenbett? Ist er auch verletzt?“ Zandorra schaute hinüber.
„Ja, ein ganz armer Teufel,“ Henry seufzte und legte sich zurück. „ Es ist ein Soldat, er wurde schwer verletzt, Kendra hat ihm das Bein abnehmen müssen. Seine Kameraden haben ihn einfach im Wald liegen lassen, haben wohl gedacht, er sei schon tot. Er hatte auch eine schwere, heftig blutende Kopfwunde.“
„Ist er über dem Berg oder schwebt er noch in Lebensgefahr?“ Zandorra stand auf und ging zu dem Schwerverletzten hinüber.
Der Mann lag still in seinem Bett, die Decke bis zu den Achseln hochgezogen, die Arme ruhten ruhig auf der Decke. Der Kopf war kahlrasiert, eine gezackte, frisch genähte Wunde zog sich vom linken Ohr bis über die Schädelmitte. Der Mann hatte die Augen geöffnet und blickte starr zur Decke.
„Sir, könnt Ihr mich hören?“ fragte Zandorra leise.
„Er kann dich sicher hören, Sascha, aber er wird nicht reagieren,“ flüsterte die alte Kendra, die leise herangetreten war. „Seit er hier ist, hat er sich nicht gerührt. Ich habe ihm das Bein amputieren müssen, sonst wäre er gestorben, aber ich weiss noch nicht, ob das gut für ihn war. Die Zeit wird es zeigen.“
„Von wem wurde er denn so schwer verletzt?“ fragte Zandorra erschüttert.
„Von Soldaten,“ antwortete Kendra. Zandorra schaute sie bestürzt an.
„Aber er ist doch auch ein Soldat, habt Ihr gesagt.“
„Ja, aber es waren andere Soldaten,“ erklärte Kendra. „Ich habe es gesehen, sie waren nicht allzu weit von hier. Es waren nur drei Fremde, aber sie waren schwerst bewaffnet und trafen im Wald auf eine Patrouille des Königs. Sie gerieten aneinander und es kam zum Schusswechsel. Die Männer der Patrouille hatten keine Chance, einer wurde erschossen, der hier schwer verletzt, die anderen beiden flohen. Die fremden Soldaten ritten ihnen dann langsam nach.“
„Warum wurde ich darüber nicht informiert? Ich habe doch extra meine Männer im Wald, damit sie solche Vorkommnisse melden!“ Zandorra stand auf.
„Deine Männer haben mir geholfen, diesen armen Kerl her zu bringen. Einer ist dann los, um dir Bescheid zu sagen. Wenn er dich nicht erreicht hat, ist ihm etwas zugestoßen.“ Die alte Kendra schaute traurig auf den regungslosen Soldaten.
„Kendra, Ihr kennt meine Männer, wer ist losgeritten, um mich zu informieren? Und wo sind die anderen nun?“
„Es war Warren, der losgeritten ist. Die anderen haben sich aufgeteilt, zwei wollten den Soldaten folgen, die anderen sind wieder an ihre Plätze gegangen.“ Kendra schloß die Tür zu den Verletzten.
Zandorra rieb sich das Kinn.
„Wir haben niemanden getroffen, als wir hergeritten sind,“ murmelte er nachdenklich. „Es ist aber der kürzeste Weg und einigermaßen gut zu reiten, trotz dem aufgeweichtem Boden. Wo ist Warren geblieben?“
„Sascha, wir haben keine Zeit mehr,“ drängte Rolf nun. „Wir haben noch nicht mal einen Wagen und ....“
„Ja, du hast recht,“ unterbrach Zandorra seinen Freund. „Kommt, beeilen wir uns. Kendra, wir müssen eilen, pflegt die beiden gesund, ich weiß, Ihr tut Euer bestes. Ich bin Euch sehr dankbar dafür. Sobald die Rebellen sicher auf der Moorinsel sind, werde ich Euch noch mal besuchen.“ Die alte Frau winkte lächelnd ab.
„Geh nur, Sascha, geh! Du hast viel zu viel zu tun, als dich um uns groß zu kümmern. Wir kommen doch gut klar, mach dir keine Sorgen. Paß einfach auf dich auf, dass dir nichts passiert, du weißt, du bis ein wichtiger Mann.“
Zandorra drückte sie kurz an sich und winkte dann den Männern zu.
„Kommt, hinter der Hütte steht der Wagen!“ rief er und sie liefen um die Hütte. Dahinter sahen sie eigentlich nur ordentlich aufgeschichtetes Feuerholz.
Erstaunt schauten sich die Rebellen um. Zandorra zeigte auf das Holz.
„Los, wir müssen einen Berg Holz abtragen, der Wagen steht mitten drin.“ Er begann bereits einen Scheit nach dem anderen zur Seite zu räumen. Rolf, Olli, René und Tankred halfen schweigend dazu. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Holzschichten soweit weggeräumt waren, dass dahinter ein großer Wagen zum Vorschein kam. Er war leer, ein einfacher Holzwagen, groß genug, um locker zwanzig Menschen zu transportieren, auf großen Holzrädern, mit einer langen Deichsel vorne dran.
„Irre,“ staunte Tankred. „Und so was soll noch dreimal im Wald versteckt sein.“
„Ja, aber die anderen sind nicht ganz so aufwendig getarnt,“ versprach Zandorra.
„Das ist gut, sonst würden wir es bis zur Dämmerung nicht schaffen, sie alle frei zuräumen,“ stellte Rolf fest.
„René, hol zwei Pferde und spann sie vor den Wagen. Wir gehen zum nächsten, du kannst uns dann folgen.“ Zandorra wandte sich um.
„Halt, ich weiss doch gar nicht, wohin ihr geht!“ rief René ihm zu.
„Bring sämtliche Pferde mit, wir gehen zum kleinen Steinbruch, den kennst du sicher,“ meinte Zandorra.
„Ja, den kleinen Steinbruch kenn ich. Wo soll da ein Wagen stehen?“ fragte René.
„Du wirst es gleich sehen, beeil dich!“ René lief los, band zwei der Pferde ab und führte sie zum Wagen. Die anderen gingen zu Fuß in den Wald hinein. Es dauerte nicht lange, da erreichten sie einen Steinbruch mitten im Wald. Oberhalb der Felsen führte der Wald weiter, als würde es keinen Steinbruch geben und auch unten wuchsen die Bäume bis dicht an die Felsen heran.
„Kommt mit, wir müssen um den dicken Felsbrocken da herum,“ Zandorra winkte den Männern zu. Doch hinter dem Felsbrocken war nichts zu sehen außer Büsche und weitere Felsen. Zandorra ging geradewegs auf ein dichtes Dornengestrüpp zu.
Vorsichtig schob er ein paar Dornenzweige zur Seite, tatsächlich, dahinter war ein Wagen zu erkennen, etwas kleiner, als der erste.
„Oje, wir werden völlig zerkratzt sein, bis wir den draußen haben,“ stöhnte Olli.
„Ihr habt doch eure Degen und Messer, oder nicht?“ fragte Zandorra. „Wir bahnen uns einen Weg durch dieses Gestrüpp, dann wird es nicht so schlimm.“
Gesagt, getan. Fleißig arbeiteten die Rebellen an den Dornenbüschen und hatten nach einiger Zeit den Wagen einigermaßen frei gelegt. Inzwischen war auch René angekommen. Er führte die beiden Pferde, die den Wagen zogen und er hatte die anderen Pferde hinten angebunden. Zandorra holte zwei der Pferde und Rolf und er spannten sie vor den zweiten Wagen. René wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Es ist wieder ganz schön schwül geworden,“ meinte er dann. „Und Wolken ziehen auch wieder auf, wir müssen uns beeilen, sonst schaffen wir es nicht zur Felsenburg. Der Weg ist jetzt noch sehr aufgeweicht, hoffentlich bleibt kein Wagen stecken. Doch wenn es auch noch regnet, so wie gestern, haben wir kaum eine Chance.“
„Ja, wir müssen schnell machen,“ stimmte Zandorra ihm zu. „Nehmt eure Pferde, wir reiten zu Wagen Nummer 3! René, du fährst den ersten Wagen, Olli, du den nächsten!“
Weiter ging es, tiefer in den Wald hinein. Es wurde schwierig mit den Wagen, sie konnten nicht so gerade durch den Wald, sondern mussten sich die breitesten Wege aussuchen. Doch schließlich gelangten sie an das Ende des Waldes. Die Bäume hörten einfach auf, ein großes Feld lag vor ihnen. Weit hinter dem Feld führte der Wald weiter. Zandorra zeigte auf einen Wagen, der völlig verrottet schien und am Feldrand lag.
„Dieses Ding ist schon lange nicht mehr fahrfähig,“ stellte Rolf überrascht fest. „Was willst du mit dem?“
Wortlos zog Zandorra an den alten Holzrädern, wuchtete einen Balken zur Seite.
„Wollt ihr mir nicht helfen?“ keuchte er. „Wir müssen die alten Bretter wegräumen, dann kommt hinter dem Wrack ein stabiler Wagen hervor.“
Die Rebellen staunten nur, während sie Stück für Stück den Wagen freilegten.
„Wie kommst du immer nur auf solche Verstecke?“ fragte Rolf.
Zandorra zuckte die Schultern und verzog das Gesicht. Seine Stichwunde fing an zu schmerzen durch die Anstrengungen. Doch er sagte nichts.
„Rolf, willst du den dritten Wagen fahren?“ fragte er, nachdem sie die nächsten beiden Pferde vorgespannt hatten. Rolf schwang sich auf den Kutschbock.
„Der letzte Wagen ist ganz in der Nähe,“ teilte Zandorra ihnen mit.
„Gott sei dank, es wird langsam dunkel und wir haben noch eine ganze Strecke vor uns!“ murmelte Olli mit einem misstrauischen Blick zum Himmel. Vor einem in einer Böschung gegrabenem Getreidesilo machten sie abermals Halt. Der vierte Wagen stand in diesem Silo, kaum getarnt, da er völlig darin verschwand. Sie konnten die letzten beiden Pferde einfach davor binden, dann schwang sich Tankred auf den Wagen und lenkte ihn aus dem Silo heraus.
„So, jetzt aber nichts wie zurück zur Felsenburg!“ rief Zandorra aus. Er ritt voraus und suchte die besten Wege aus, damit sie nicht durch eingesunkene Räder behindert wurden. Nur langsam kamen sie voran, denn Wurzeln, Felsen und Gestrüpp bremsten immer wieder, obwohl Zandorra ihnen den Weg von den dichtesten und schlimmsten Büschen frei schlug. Die Dämmerung war schon fortgeschritten, Sterne waren am wolkenverhangenen Himmel keine zu sehen, als sie endlich den Fluß erreichten. Noch immer hatte er Hochwasser, doch Zandorra fand die Furt und sie schafften es, die Wagen bis ans andere Ufer zu bringen. Allerdings wurden sie alle tropfnaß und die Pferde mussten erst einmal kurz ruhen, bevor sie nun die Wagen über die Obstwiese und dann den steilen Pfad bergauf ziehen konnten. Es wurde immer schwieriger, den schmalen Pfad entlang zu gehen, der sich in vielen, teilweise recht engen Kurven empor wand. Die Männer stiegen von den Wagen und führten die Pferde, denn bald ging es auf der einen Seite des Pfades steil abwärts, auf der anderen ebenso steil bergauf. Regen setzte ein, als sie endlich die große Felsbarriere erreichten. Hier war die Kanone deponiert gewesen, hier hatte Zandorra mit dem Hauptmann gekämpft, der daraufhin über das Felsplateau abgestürzt war. Sie umrundeten den großen Felsen und konnten die Felspalisade der Felsenburg als schwarzen Schatten gerade noch so erkennen. Die Pferde waren erschöpft, die Männer ebenso. Das letzte Stück war nun nicht mehr so schlimm, denn es ging über freien Fels bis kurz vor das Tor. Die Wache sah sie kommen, erkannte Zandorra´s weißen Schimmel und öffnete.
„Wir haben uns schon Sorgen gemacht, wo ihr bleibt,“ sagte er.
„Es hat länger gedauert, als ich dachte,“ keuchte Zandorra. „Fahrt die Wagen auf den großen Platz, gebt den Pferden noch Wasser und Heu und dann geht schlafen. Wer Hunger hat, kann sich noch vorher was bei Babsi holen. Wir haben morgen einen langen Tag vor uns.“
„Morgen?“ fragte der Wachmann und grinste. „Es ist längst Mitternacht vorbei, also heute.“
„Schon nach Mitternacht?“ murmelte Zandorra müde, während er half, die Pferde zu versorgen. Dann gingen die fünf Männer zum Küchentrakt. Hier war alles dunkel, niemand mehr in der Küche.
„Nehmt euch was zu essen und verschwindet in eure Betten. Gute Nacht, schlaft gut und schnell!“ Zandorra klopfte jedem von ihnen auf die Schulter, griff nach einem Apfel und einem Stück Brot und ging dann kauend mit Rolf zu seinem Zimmer.
„Du kannst bei mir schlafen, wenn du willst, dann brauchst du Ingo nicht zu wecken,“ flüsterte Zandorra. Rolf nickte müde und legte sich sofort auf die Couch, die noch immer im vorderen Zimmer stand. Zandorra ließ sich auf sein Bett fallen. In wenigen Minuten waren beide Rebellen eingeschlafen.


Die Trennung der Rebellen

Zita erwachte, als ein dicker Wassertropfen mitten auf ihr Gesicht fiel. Sie rollte sich herum und spähte blinzelnd aus dem Heu, ließ ihren Blick über die große Pferdeherde schweifen, die sie am Tag vorher zusammengetrieben hatten, dann schaute sie zum Himmel. Es zogen noch immer schwere Wolken auf, doch es regnete nicht und hin und wieder ließ sich sogar eine blasse Morgensonne blicken. Zita schaute nach oben, zum Dach des Holzschuppens. Ja, hier tropfte es herab, das Dach war undicht. Und offenbar hatte es in der Nacht noch mal geregnet. Zita gähnte ausgiebig, streckte sich und sprang dann mit einem Satz aus der Heuraufe. Die Pferde, die um die Raufe herum dösten, blickten nur kurz auf, sie waren es inzwischen gewöhnt, dass das Zirkusmädchen hier schlief. Zita schüttelte sich das Heu aus den Kleidern und den wilden, schwarzen Locken und rannte zur Felsenhöhle. Sie verhielt kurz auf dem großen Platz, musterte die vier Wagen und die Pferde, die davor gespannt waren und lief weiter. Sie sauste direkt zur Küche.
„Hallo, Babsi!“ rief sie, als sie die dicke Frau entdeckte, die gerade Kaffee überbrühte. „Kann ich ein wenig zu essen haben? Ich verhungere! Heute ist der große Tag, wo wir zum Moor losziehen! Ist schon jemand munter?“
Babsi drehte sich zu ihr um und lachte.
„Hallo, Zita! Du bist ein echter Wirbelwind! Es wird einem ganz schwindlig von dir!“ Sie stellte einen Teller mit Pfannkuchen vor Zita auf den Tisch. „Nimm dir Blaubeermarmelade dazu. Milch kannst du dir selber eingießen, ich muss Frühstück für all die anderen richten.“
„Hilft Euch denn keiner?“ fragte Zita kauend.
„Doch, doch, natürlich, das könnte ich alleine nicht schaffen,“ lachte Babsi, während sie nun Pfannkuchen in der Pfanne buk und auf einen Teller häufte. „Aber Ulla und Edith sind gerade bei den Kindern und bringen ihnen Frühstück, Janna ist mit Ines in der Vorratskammer und holt Nachschub und Conni habe ich zu den Verletzten geschickt.“
„Sascha Zandorra und die anderen sind noch nicht hier?“ fragte Zita weiter.
„Nein, doch sie sind erst gegen Morgen mit den Wagen gekommen.“
„Ja, die habe ich gesehen! Tolle Dinger, war sicher ein schweres Stück Arbeit, die hier hoch zu bekommen!“ Zita nahm sich noch einen Pfannkuchen, strich ihn mit Blaubeermarmelade ein und rollte ihn zusammen. Dann trank sie in einem Zug ihr Glas Milch aus und sprang auf.
„Ich werde mal die Rebellen aus dem Bett jagen, wir wollen doch nachher los! Und Sascha Zandorra hat den anderen allen noch gar nicht Bescheid gesagt! Er muss erst noch alle informieren und dann all die, die mitkommen, müssen dann noch packen und .... das dauerte alles so lange!“ Sie jagte aus der Küche, stieß an der Tür mit Janna und Ines zusammen, die erschrocken aufschrieen, rief den beiden Frauen eine kurze Entschuldigung zu und rannte zu den Schlafräumen der Rebellen. Babsi stand in der Küche und lachte, dass ihr die Tränen kamen.
„Diese Zita ist schon eine Schau!“ japste sie, „es wird sicher sehr ruhig, wenn sie fort ist.“ Janna und Ines stellten ihre Tüten auf den Tisch und lachten auch.
Währenddessen rannte Zita durch die Gänge, hämmerte an jede Tür und brüllte dazu: „Aufstehen, es ist heller Morgen, das Frühstück ist fertig und Sascha Zandorra hat Neuigkeiten für alle!!!“ Vor Zandorra´s Tür bremste sie, zögerte und lief vorsichtshalber weiter zur nächsten Tür.
Ingo fuhr aus dem Schlaf hoch, als an seine Tür gedonnert wurde. Bevor er jedoch aus dem Bett springen konnte, hörte er Zita´s Rufen und auch, wie sie zur nächsten Tür lief. Er seufzte tief auf, ging zum Wasserkrug und wusch sich erst einmal mit dem kalten Wasser. Dann schlüpfte er in seine Kleidung und wandte sich zu Rolf´s Bett. Erstaunt bemerkte er, dass es leer war, so lief er aus dem Zimmer und traf im Gang auf viele Rebellen, die ebenfalls noch naß vom Waschen, teilweise noch verschlafen aussahen und ihn nun bestürmten, was denn los sei?
Ingo hob die Hand.
„Halt, seid doch mal still!“ seine tiefe Stimme klang ruhig, so dass bald darauf alle verstummten. „Sascha hat uns allen etwas zu sagen, das stimmt. Wir werden uns in, sagen wir, in 1 Stunde auf dem großen Platz treffen, so hat jeder Zeit, noch zu frühstücken. Mehr Zeit brauchen wir, denke ich nicht, Zita hat ja alle bereits geweckt.“
„Wo ist Sascha denn?“ fragte Balko, einer der Zirkusmänner.
„Ich bin hier,“ ertönte die leise Stimme Zandorra´s, der noch verschlafen, verstubbelt und barfuß aus seinem Zimmer kam. „Was ist denn schon wieder los?“
„Wenn man eine Zita hat, braucht man keinen Hahn zum Wecken,“ grinste Ingo. „Sie hat ganze Arbeit geleistet und alle Rebellen aus dem Bett geschmissen. Du musst ihnen etwas wichtiges mitteilen, hat sie gebrüllt. Ich habe gesagt, dass wir uns in ungefähr einer Stunde auf dem großen Platz treffen, dann kannst du mit allen reden und vorher noch etwas essen.“
Ingo hielt ihn am Arm fest, als Zandorra wieder in sein Zimmer wollte.
„Wann seid ihr denn gestern gekommen? Hat alles geklappt? Wo ist Rolf?“
„Komm mit rein, ich habe keine Lust, hier im Flur alles zu erzählen,“ brummte Zandorra. „Macht euch fertig und frühstückt etwas! In einer Stunde am Platz!“
rief er den Rebellen zu, die sich jedoch nicht zurück zogen, sondern aufgeregt miteinander schwatzten. Zandorra schloß die Tür und rieb sich das Gesicht.
„Ich wird mal mit dieser Zita ein ernstes Wörtchen reden,“ murmelte er müde. „Sie kann doch hier nicht alles durcheinander bringen, was denkt sie sich denn?“
Er ging in den Nebenraum und schüttete sich den ganzen Krug Wasser über den Kopf. Ingo ging zu Rolf, der auf der Couch saß und setzte sich neben ihm.
„Es wurde spät heute nacht, nicht wahr?“ vermutete er. Rolf nickte.
„Es war echte Schwerarbeit, die Wagen aus ihren Verstecken zu holen und hier her zu bringen. Wir haben bis weit nach Mitternacht gebraucht, deshalb habe ich auch hier geschlafen, ich wollte dich nicht wecken.“
„Danke,“ Ingo grinste. „Wäre nicht so schlimm gewesen, ich konnte früher ins Bett gehen. Ich hatte eigentlich gehofft, dass Sascha heute noch ein wenig länger schlafen könnte, doch wer rechnet mit Zita?“ Er hob die Schultern.
„Ich werde mich mal frisch machen, wenn Sascha nicht das ganze Wasser aufgebraucht hat,“ meinte Rolf und stand auf. Zandorra kam herein, frisch angezogen, gewaschen, rasiert und gekämmt.
„Die Wagen stehen auf dem großen Platz, Ingo, wir haben es geschafft, sie hier herauf zu bringen,“ verkündete er. „War aber nicht so einfach!“
„Rolf hat schon Andeutungen gemacht,“ nickte Ingo. „Ihr habt ganz schön lange gebraucht und du bist wieder um deinen Schlaf gebracht worden.“
„Was ich jetzt brauche, ist ein sehr starker Kaffee,“ sagte Zandorra. „Kommt, wir gehen zu Babsi, sie hat hoffentlich noch etwas übrig, nachdem die anderen ja alle auf einmal frühstücken wollen, da Zita ja bereits alle zusammengetrommelt hat.“ Rolf kam aus dem Nebenzimmer. Er trug frische Kleidung von Zandorra, die er in der Truhe gefunden hatte. Da die beiden Männer fast die gleiche Figur hatten, passten ihm die Sachen. Ingo, der breiter und etwas größer war, hätte da eher Probleme.
Sie gingen zum Küchentrakt. Frischer Kaffeeduft und das knusprige Aroma gebackener Pfannkuchen stieg ihnen in die Nase.
„Guten Morgen, Babsi, hier riecht es aber gut. Habt Ihr noch etwas übrig?“
grüßte Zandorra, als sie eintraten.
„Für Euch doch immer!“ rief die dicke Frau fröhlich und stellte sofort drei Teller auf den Tisch, dazu drei Tassen mit dampfendem Kaffee. Dann legte sie jedem einen Pfannkuchen auf den Teller.
„Zita hat als allererstes gefrühstückt,“ teilte sie mit und lachte leise, „ dieses Mädchen ist mit einem Wirbelsturm zu vergleichen. Unglaublich, sie ist so voller Energie geladen, dass sie sie gar nicht ganz herauslassen kann!“
Zandorra seufzte, statt einer Antwort. Er aß seinen Pfannkuchen auf und schlürfte genüsslich seinen Kaffee.
„Ich habe schon gehört, dass es gestern wieder sehr spät wurde,“ meinte jetzt Babsi teilnahmevoll. „Wollt Ihr das mit dem Umsiedeln ins Moor den Rebellen nachher sagen?“
„Ja, sie werden sich schon wundern, woher die Wagen auf dem Platz kommen und warum sie dort stehen,“ nickte Zandorra und stand auf. „So, ich glaube, es ist Zeit. Irgendwie ärgert es mich schon, dass Zita einfach so herumrennt und eine Versammlung einberuft.“
„Du hättest es doch sonst auch tun müssen, sie hat dir doch eigentlich nur Arbeit erspart,“ verteidigte Rolf das Mädchen.
„Schon, aber trotzdem, es gehört sicherlich nicht zu ihren Aufgaben,“ knurrte Zandorra missmutig. „Babsi,“ wandte er sich dann an die Köchin. „Ihr müsst auch mit hinaus kommen, Ihr und Eure fleißigen Helferinnen. Habt Ihr mir ein paar ausgesucht, die mitkommen können?“
„Oh, ja, natürlich!“ Babsi winkte in die Küche herein. „Kommt, ein Treffen auf dem Platz! Schaltet alles aus und kommt mit hinaus!“
Nun erschienen fünf Frauen, die schüchtern lächelnd an den Rebellen vorbei aus der Tür traten und zum großen Platz eilten. Die Männer folgten langsamer.
Hier herrschte schon reges Treiben! Um die Wagen herum standen die Rebellen, die Kinder kletterten auf die Wagen, es lagen noch immer Felsentrümmer überall vom Angriff der Soldaten, Gruppen standen beieinander und diskutierten eifrig und immer wieder schienen wieder Rebellen und Zirkusleute aus der Höhle. Zandorra, Rolf und Ingo bahnten sich einen Weg zum ersten Wagen. Zandorra stieg hoch, während die beiden Freunde unten stehen blieben. Der Rebellenführer blickte auf die vielen, vielen Menschen, die den Platz füllten. Hinter ihm, auf dem Wagen, saßen einige Kinder und lachten und plapperten fröhlich. Zandorra stellte sich auf den Kutschbock und hob eine Hand. Die andere hob er an die Lippen, steckte zwei Finger in den Mund und stieß einen gellenden Pfiff aus. Die Pferde vor den Wagen scheuten, warfen schnaubend die Köpfe hoch, doch die Rebellen, die um sie herum standen, hatten sie rasch wieder unter Kontrolle. Die Gespräche verstummten fast schlagartig, alle blickten neugierig und erwartungsvoll auf den Rebellenführer.
„Hört her, Rebellen! Wir haben ein großes Problem, denn ich hatte nicht bedacht, dass so viele Menschen ins Stade sind und dazu noch die Zirkusleute! Wir sind nun einfach viel zu viele hier in den Blauen Bergen! Babsi kommt kaum noch nach mit dem Essen richten, sie steht noch vor dem Morgenrauen auf, schafft den ganzen Tag in der Küche und geht erst spät abends zu Bett, damit alle satt werden!“
Er machte eine kleine Pause und die Rebellen klatschten Babsi Beifall und riefen ihr lobende Worte zu, jubelten und grölten.
„Man kann kaum noch etwas arbeiten!“ fuhr Zandorra nun fort, „überall stößt man auf jemanden! Ich habe mir Gedanken gemacht und einen Ausweg gefunden! Wir werden die Rebellen aufteilen, ein Teil, vor allem die Kranken, die Kinder und die Verletzten, natürlich mit entsprechend genügend Frauen und Männern, die pflegen und wachen können, bleibt hier in der Felsenburg, die anderen nehme ich mit in die Sümpfe....“ Aufgeregte Rufe wurden laut, Murmeln, Widersprüche, Fragen, erregtes Reden, Zandorra musste wieder eine Pause einlegen, bis sich alle etwas beruhigt hatten.
„Keine Bange, mitten im großen Moor gibt es eine Insel, die so groß und sicher ist wie eine große Stadt! Sie besteht aus festem Untergrund, es wachsen Bäume und Büsche auf ihr und man kann Häuser bauen. Es führt nur ein Pfad durch das Moor zu dieser Insel, sie ist somit genauso sicher wie die Felsenburg! Das Moor ist eine sumpfige, große Ebene, da kann sich kein Soldat anschleichen und sie können schon gar keine Kanone bringen! Nur wenige Menschen kennen den Weg durch den Sumpf, ich kenne ihn....“
„Woher denn?“ „Was passiert, wenn man neben den Pfad tretet?“ „Führt Ihr uns über das Moor?“ „Muß man hintereinander den Moorpfad entlang gehen?“ „Kommen diese Wagen mit?“ „Können die denn überhaupt über den Pfad fahren?“
Zandorra hob beide Hände, doch die Fragen hörten nicht auf. Er stieß wieder seinen Pfiff aus, eines der Pferde vor seinem Wagen stieg hoch und er plumpste auf den Sitz, als der Wagen anruckte. Der Rebellenführer rappelte sich auf und stieg wieder auf den Kutschbock.
„Hört her! Bitte noch mal um Ruhe!“ rief er laut und langsam wurden die Menschen leiser. „Ingo, Rolf und ich haben eine Liste angefertigt mit all denen, die mit in die Sümpfe kommen werden. Zuerst brauchen wir hauptsächlich kräftige Männer und fleißige Frauen, es müssen dort Hütten gebaut werden, Gärten angelegt und Feuerholz geschlagen! All eure Fragen kann ich euch später beantworten, sofern sie sich nicht von selber erübrigen! Ich werde jetzt die Liste vorlesen und bitte diejenigen, die aufgerufen werden, sich gleich aufzumachen, um die Sachen zu packen! Wir haben gestern bereits Werkzeuge, einige Möbelstücke, etwas Nahrung und anderes in die Schlucht gebracht, die werden wir, sobald die Wagen in die Schlucht gefahren wurden, auf die Wagen laden. Wenn noch Platz ist, können einige ihr Gepäck ebenfalls noch drauf tun, ansonsten müsst ihr es auf eure Pferde binden. Milo, Stan und Joshua, die bei dem Soldatenangriff verletzt wurden, werden drei der Wagen fahren. Den vierten übernimmt René Feselmann, der Zirkusdirektor! Also, jetzt hört her, wenn jemand Fragen dazu hat oder einen Vorschlag, bitte kommt dann danach zu mir, wir können das dann durchsprechen, sonst werden wir nicht fertig! Ich möchte heute noch losziehen, morgen werden Quentin und Pepe mit Lebensmitteln kommen, dann seid ihr hier in den Blauen Bergen wieder gut versorgt!“
Zandorra nahm die Liste, die Rolf ihm reichte und begann, die Namen vorzulesen. Nach jedem Namen gab es ein kurzes Gerangel, als der Aufgerufene sich durch die anderen Rebellen schob, um in die Höhle zu kommen, damit er seine Sachen richten konnte. Die Zeit verging, die Sonne stieg am Himmel auf und die Wolken verschwanden. Es wurde warm und da überall noch die Nässe der vergangenen zwei Tage war, wurde es feucht und schwül. Zandorra gab nach einiger Zeit die Liste an Ingo weiter, der auf den Wagen kletterte und die Namen weiter vorlas. Der Rebellenführer sprang vom Wagen.
„Wenn ich noch weiter lese, bin ich bald stockheiser,“ sagte er zu Rolf. „Komm, ich brauche etwas zu trinken, meine Kehle ist ganz trocken.“
Sie gingen zu den Höhlen, es war bei weitem nicht mehr so voll auf dem Platz, viele hatten sich schon aufgemacht und packten, nachdem sie aufgerufen wurden. „Hoffentlich habe ich keinen vergessen,“ murmelte Zandorra und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Dann würde derjenige halt hier bleiben, ist doch nicht schlimm,“ meinte Rolf nur. Sie holten sich aus der Küche einen Krug mit Apfelwein und ein paar Becher und gingen zurück auf den großen Platz. Zandorra goß etwas Apfelwein in einen Becher und reichte ihn Ingo, dann füllte er einen zweiten und trank ihn auch gleich leer.
„Ich könnte eigentlich, bis Ingo fertig ist, mit Zita reden, meinst Du nicht auch?“ fiel ihm plötzlich ein und er schaute sich suchend um. „Hast du sie irgendwo gesehen?“
Rolf schüttelte den Kopf.
Zandorra kletterte kurzerhand auf den Wagen.
„Kurze Unterbrechung, Ingo, entschuldige!“ sagte er zu dem Bärtigen und rief dann in die Menge: „Zita, das Zirkusmädchen, soll bitte sofort zu mir kommen! Ich habe mit ihr zu reden! Zita, komm bitte her! Okay,“ wandte er sich dann an Ingo, „Du kannst weitermachen.“
Er sprang vom Wagen, lehnte sich an eines der Räder und verschränkte die Arme. Es dauerte nicht lange, da kam Bewegung in die umstehenden Rebellen und Zita erschien. Sie blieb vor Zandorra stehen, musterte ihn kurz und sprudelte sofort los:
„Sir, war das nicht toll? Das hat doch prima geklappt, dass alle sich versammelten! Es wäre sonst viel zu spät geworden, wir wollen doch heute noch los, nicht wahr? Ich habe gerade noch mal nach den Pferden geschaut, sie sind bereit. Da ich weiss, dass ich ja mitkommen soll, kann ich ja.....“
„Hol mal Luft und sei still, ich habe mit dir zu reden,“ unterbrach Zandorra das Mädchen. Zita schaute ihn treuherzig an.
„Ihr seid ärgerlich auf mich, nicht wahr?“ fragte sie leise.
„Nun, ja, eigentlich schon,“ Zandorra blickte ihr ins Gesicht. „Du nimmst dir ziemlich viel heraus, mein Fräulein. Wer hat dir denn gesagt, dass ich die Versammlung heute Vormittag einberufen möchte? Und wer hat dir erlaubt, dies zu tun? Und warum...“
„Sir, ich habe....“ begann Zita sich zu verteidigen. Zandorra hob die Hand.
„Nein, jetzt rede ich und du wirst endlich einmal zuhören. Es gefällt mir gar nicht, wie du dich aufführst. Du kannst hier nicht einfach eine Versammlung einberufen, auch wenn ich vor hatte, dies zu tun. Und du kannst nicht einfach verschwinden, einfach davon reiten, weil dir danach ist und schon gar nicht mit einem so kleinen Jungen!
Das ist verantwortungslos. Du hast hier Freunde, die sich um dich sorgen, wenn du plötzlich verschwindest. Die Zeiten sind ohnehin für deinesgleichen absolut nicht sicher und ich möchte, dass du einfach mehr Verantwortungsgefühl zeigst und, wenn es möglich ist, vorher nachdenkst, bevor du etwas tust.“
Zita schwieg. Zandorra konnte nicht ganz einordnen, ob es ein trotziges Schweigen war, ob aus schlechtem Gewissen oder ob sie sich seine Worte gerade zu Herzen nahm. Er seufzte tief und fasste Zita unters Kinn, hob ihr Gesicht und schaute ihr in die kohlschwarzen Augen.
„Zita, ich weiss, du bist halbwild aufgewachsen und hast keine Familie, du hast dich immer selber durchkämpfen müssen, doch die Zirkusleute waren immer für dich da, oder nicht? Und sie sind es immer noch, dazu auch noch die Rebellen. Du bist nicht alleine und du kannst deine Pläne sicherlich mit Milo und Tankred, Ingo, Rolf oder mit mir besprechen. Handel nicht immer so kopflos, du bringst dich und andere in Gefahr. Ich möchte mich auf dich verlassen können und ich brauche dich, denn nur du kennst den Weg zu der Höhle und durch sie hindurch. Sei so gut und verschwinde nicht wieder, sondern bleib in meiner Nähe, okay? Ich habe keine Lust, dich immer zu suchen.“
Zita blickte ihn an. Ihre dunklen Augen glühten. Sie schwieg und kaute auf ihrer Unterlippe, ein Zeichen, dass sie nachdachte.
„Okay, Zita?“ fragte Zandorra nach und ließ sie los.
„Sir,“ begann das Mädchen zögernd, „Ich bin, wie ich bin. Okay, ich werde mich bemühen, so zu sein, wie Ihr es wollt, aber ich kann nichts versprechen. Wißt Ihr...“ sie blickte jetzt ganz ernst, „wisst Ihr, viele Sachen, die ich tue, kommen ganz spontan aus mir heraus, ich denke überhaupt nicht darüber nach. Und dann ist es meistens schon zu spät, mir Rat bei Milo oder Tankred zu holen.“
Zandorra nickte nachdenklich.
„Also gut, denk einfach mal über meine Worte nach, vielleicht bleibt ja dies oder jenes bei dir hängen und bremst dich vor der nächsten Dummheit. Okay, das war alles, wir treffen uns dann gleich in der Schlucht.“ Er gab ihr einen kleinen Klaps auf die Schulter und das Mädchen verschwand sofort. Inzwischen war Ingo fertig mit seiner Liste und beantwortete bereits Fragen. Rolf schaute zu Zandorra.
„Meinst du, es hat was gebracht, dass du mit Zita gesprochen hast?“ fragte er.
„Ich weiss es nicht. So ein Mädchen ist mir noch nie begegnet, ich kann sie einfach nicht einschätzen. Weißt du, sie ist ja in Ordnung, hat das Herz auf dem rechten Fleck, weiss Recht und Unrecht zu unterscheiden, wenn sie nur nicht so hitzköpfig wäre. Nun, lassen wir das Thema erst mal, wir werden sehen, wie sich alles entwickelt. Ingo, kommst du klar?“ wandte er sich an den Bärtigen. Ingo nickte.
„Ja, alles in Ordnung. Bisher hat keiner etwas daran auszusetzen, mit zu den Sümpfen zu kommen. Allerdings habe ich weder Ulf, noch seine Freunde gesehen, auch nicht, nachdem ich sie aufgerufen hatte.“
„Nein, bitte nicht noch mehr Jugendliche,“ stöhnte Zandorra. „Eine Zita reicht völlig. Ich brauche nicht noch eine Bande Jugendlicher, die genauso störrisch sind!“
„Du könntest sie hier lassen,“ schlug Ingo vor.
„Oh, nein, das kommt nicht in Frage!“ widersprach Zandorra sofort. „Er bringt es fertig und tyrannisiert hier die Menschen. Er ist schwierig und möchte jemand darstellen, Ingo, und er ist dabei, eine Bande um sich zu gründen. Ich habe ja nichts dagegen, solange alles im Rahmen bleibt, und genau das möchte ich beobachten. Außerdem kann ich mir vorstellen, dass er nicht mit möchte und schon aus dem Grund wird er mitkommen müssen.“
„Was willst du also tun?“ fragte Ingo und trank einen Becher Apfelwein.
„Was kann ich denn schon tun?“ Zandorra goß sich auch einen Becher ein, trank ein paar Schlucke und schüttelte den Kopf. „Ich werde ihn suchen gehen und ihm klarmachen, dass er mitzugehen hat, ob er will oder nicht. Seine Eltern und Geschwister sind schließlich auch dabei. Und er ist noch zu jung, um alleine hier zu bleiben.“ Er trank leer und stellte den Becher auf den Wagen.
„Ich komme mit dir, es ist besser, wenn wir zu zweit sind.“ Brummte Ingo.
„Warum? Meinst du, ich komme nicht mit ihm klar?“ Zandorra zog eine Grimasse. „Aber gut, mach, was du willst. Wir müssen uns nur beeilen, die Rebellen treffen sich bereits in der Schlucht. Tankred, hole Milo und eure Sachen, und bring Joshua und Stan herbei. Ihr könnt die Wagen in die Schlucht bringen, damit sie vollgeladen werden können! Wo ist René?“
„Ich bin bereit, meinen Wagen zu übernehmen,“ meldete sich der Zirkusdirektor hinter ihm. Zandorra drehte sich um.
„Gut, dann kannst du schon losfahren. Hast du deine Sachen? Ich weiss, viel ist es nicht, was hier alle als ihr Eigen besitzen, doch gerade deshalb ist es wichtig, dass jeder sein Hab und Gut mit nimmt. Komm, Ingo, gehen wir Ulf suchen.“ Die beiden Rebellen gingen Richtung Schlucht, denn hier war an der Felsenecke Ulf´s Stammplatz. Er konnte von hier aus die Schlucht und die Ebene einsehen, daher hatte er sich diesen Platz gewählt. Doch nirgends waren der Junge und seine Freunde zu sehen. Zandorra blieb stirnrunzelnd stehen.
„Wo, zum Kuckuck, stecken sie?“ murmelte er ärgerlich.
„Schau, ist das dort nicht Britt, eines der Mädchen, mit denen Ulf immer zusammen ist?“ Ingo zeigte auf ein junges Mädchen mit langen, braunen Haaren, das mit einem anderen Mädchen zusammen stand. Die beiden waren ganz in ihr Gespräch vertieft und fuhren erschrocken zusammen, als Zandorra sie ansprach:
„Hallo, Britt. Ich möchte wissen, wo Ulf und seine Freunde stecken.“
Das Mädchen lief rot an und schwieg.
„Britt, auch wenn Ulf zu dir gesagt hat, du sollst schweigen, denke ich, dass das nicht für mich gilt. Ich frage noch einmal: Wo ist er? Und ich erwarte eine Antwort!“
Die Stimme des Rebellenführers hatte eine leichte Schärfe und das Mädchen begann zu weinen.
„Sir, er hat wirklich gesagt, ich soll ihn nicht verraten,“ schluchzte sie.
„Dies hier ist kein Spiel mehr, Britt. Wo ist er?“
Britt schluchzte und weinte, doch Zandorra blieb ruhig stehen und starrte sie an.
„Er ist den Berg hoch geklettert,“ flüsterte Britt schließlich, „dorthin, wo sich einige der Rebellen bei dem Angriff der Soldaten in Sicherheit bringen sollten. Er möchte dort warten, bis alle weg sind. Er will nicht mit in die Sümpfe.“
„Das kann ich mir denken,“ knurrte Zandorra. „du gehst jetzt zu deiner Familie und hilfst beim Packen. Wir treffen uns in der Schlucht und ich will dich dort sehen, ist das klar? Und deine Freunde auch! Du kannst es ihnen ausrichten. Und jetzt werde ich zu Ulf hinaufsteigen.“
Während Britt und ihre Freundin davonrannten, wandte sich Zandorra dem Berg zu.
Er war zornig, die Zeit drängte und er musste sich um widerspenstige Jugendliche kümmern. Ingo stieg dicht hinter ihm hinauf.
Schon hinter der ersten Biegung, von unten nicht mehr zu sehen, erreichten sie ein kleines Plateau und hier saßen Ulf, Todd, Dirk und Taylor und rauchten. Zwischen ihnen stand eine Flasche Apfelwein, sie lachten gerade über einen Witz.
„Ulf Handel!“ rief Zandorra scharf, als er die letzten Felsen erklommen hatte. Die Jugendlichen sprangen entsetzt auf, die Flasche fiel um, der Apfelwein lief über den Felsen. „Ihr vier werdet sofort nach unten kommen und euch für die Abfahrt richten!“ Zandorra`s Gesicht war gerötet von der Hitze, der Anstrengung des Kletterns und vom Zorn. Er musterte kurz die Zigaretten und die Apfelweinflasche, blickte dann in das vom Alkohol gerötete Gesicht von Ulf, der ihm trotzig entgegenblickte, während seine Freunde sich bis zu den Felsen zurückzogen.
„Ich will aber nicht in die blöden Sümpfe,“ widersprach Ulf mit zitternder Stimme.
„Ob du willst oder nicht, deine ganze Familie kommt mit und auch du wirst mitkommen!“ antwortete Zandorra streng. „Los, verschwindet zu euren Familien, sonst werdet ihr eine andere Seite von mir kennen lernen!“
Die drei Jugendlichen rannten zum Ende des Plateaus und machten sich eilends an den Abstieg. Nur Ulf blieb trotzig stehen.
„Was ist mit dir? Beweg dich endlich!“ Zandorra trat zu dem Jungen. Der duckte sich etwas und wich ein wenig zurück.
„Ihr könnt mich doch nicht zwingen, Sir,“ flüsterte er heiser.
„Oh doch, ich kann,“ widersprach Zandorra und holte tief Luft. „Mann, das ist doch eigentlich zu dumm, das alles. Warum machst du ständig Schwierigkeiten, Ulf? Deine Familie ist auch dabei, warum um alles in der Welt sträubst du dich so, mit zu der Moorinsel zu kommen?“
„Weil ich nicht will, darum!“ schrie Ulf los. „Und meine Familie interessiert sich doch gar nicht für mich, ob ich dabei bin oder nicht! Laßt mich doch einfach in Ruhe hier bleiben!“
„Deine ganzen Freunde werden mitkommen. Willst du wirklich ganz alleine hier bleiben, Ulf?“ fragte Zandorra. Der Junge zögerte, schüttelte den Kopf, blickte dann den Rebellenführer auffordernd an.
„Und wenn?“ fauchte er wütend. „Ich will jedenfalls nicht mit diesem Zirkuspack gehen, lieber bleibe ich ganz alleine in der Felsenburg!“
Zandorra ballte die Fäuste und holte ein paar Mal tief Luft.
„Die Moorinsel ist groß genug, du kannst allen, die du nicht magst, aus dem Weg gehen,“ sagte er dann mit erzwungener Ruhe. „Jetzt mach keinen Aufstand und komm endlich. Wir sind spät dran und wollen noch ein gutes Stück schaffen heute.“
Ingo wurde ungeduldig.
„Wenn du mein Sohn wärest, würde ich dich einmal so durchprügeln, dass du freiwillig mitkommst. Das alles hier ist doch mehr als nervig! Und so unnötig! Wenn du deinen Dickkopf gewaltsam durchsetzen willst, Ulf, dann musst du erst noch einiges dazu lernen. Schluß mit der dummen Debatte, los jetzt!“
In dem Moment stürmte Ulf los, rammte seinen Kopf Zandorra in den Magen. Der Rebell war überhaupt nicht auf so etwas gefasst, stieß keuchend die Luft aus und stürzte hintenüber. Ulf kniete sich auf ihn und schlug blindlings zu. Bevor jedoch Ingo dazu sprang, schüttelte Zandorra den Jungen ab, rollte sich zur Seite und erwischte Ulf´s Arme. Er drehte sie ihm auf den Rücken und stieß den Jungen zum Plateaurand.
„Ich habe jetzt endgültig die Nase voll, Ulf Handel,“ keuchte er schwer atmend. „Soll ich dich hier herunter zerren? Soll jeder sehen, dass du unterlegen bist? Oder ziehst du es vor, freiwillig hinunter zu klettern und zur Schlucht zu gehen?“
„Ich gehe freiwillig,“ wimmerte Ulf, „Ihr tut mir weh!“
„Ja, das ist auch beabsichtigt,“ knurrte Zandorra, noch immer atmete er schwer, ihm war übel von dem Stoß und seine Schulterverletzung, die von Ulf´s Fäusten getroffen wurde, schmerzte heftig. Er stieß den Jungen vorwärts und sie stiegen hinunter. Unten angekommen zögerte Ulf kurz, doch Zandorra zischte ihm nur zu:
„Mach keine Dummheiten, hörst du? Es reicht für die nächste Zeit! Ich will keine Klagen mehr über dich hören. Du wirst jetzt in die Schlucht gehen und dort mit allen anderen warten und ich will dich weder bei Dirk, noch bei Todd oder Taylor sehen!“
Ulf trottete los. Ingo blickte Zandorra an, der eine Hand auf seinen Magen gelegt hatte und heftig keuchte. Der Verband an seiner Schulter war blutig und sein Hemd zierte ein roter Fleck.
„Möchtest du dich noch umziehen?“ fragte Ingo. „Oder was trinken?“
„Nein, laß mich einfach kurz in Ruhe, Ingo.“ Zandorra lehnte sich an den Felsen. „Geh schon in die Schlucht und bereitet alles vor, ich komme gleich nach.“
Ingo zuckte die Schultern, zögerte kurz und ging dann davon.
„Habt ihr Ulf gefunden?“ fragte Rolf, als Ingo bei ihm ankam.
„Ja,“ brummte Ingo und erzählte kurz, was sich abgespielt hatte.
„Das beste wäre, der Kerl würde hier bleiben,“ murmelte Rolf.
„Nein, das wäre gar nicht gut,“ widersprach Ingo. „Sascha hat schon recht, wenn er ihn mitnehmen möchte.“ Er blickte sich um, „Ah, dort ist Ulf. Gut, dann richten wir die Kolonne mal aus.“ Ingo ging zu Milo´s Wagen.
„Milo, du wirst als erstes fahren, die anderen schließen sich an. Ein paar Männer, dazu Sascha, Rolf, Tankred und ich reiten voraus, Zita führt, bleibt aber bei uns. Ulf, du wirst auch bei uns reiten. Sind die Wagen beladen? Ist noch Platz oder sind sie sehr voll?“
„Die Wagen sind voll,“ meldete René Feselmann. „Wir können nichts mehr aufladen, sonst wird es zu schwer für die Pferde.“
„Okay, sind alle da und bereit?“ Ingo blickte sich um. Er winkte Zita und Ulf. Zita kam auf ihrem Fabian heran und reihte sich an der Spitze ein. Ulf ließ sein Pferd langsam herantrotten. Sein Gesicht war finster und feuerrot.
„Seid bloß auf der Hut vor dem,“ flüsterte Tankred Ingo zu. „Er sieht aus, als würde er böse Sachen überlegen.“
Ingo erzählte in kurzen Sätzen vom Zusammenstoß zwischen Zandorra und Ulf. Tankred nickte wissend.
„Wo ist Sascha?“ fragte jetzt Rolf.
„Er kommt gleich!“ Ingo lenkte sein Pferd an die Spitze. „Los, wir reiten ab! Wir müssen am Bach entlang, richtig, Zita?“
„Ja, Sir, sollen wir nicht auf Sascha Zandorra warten?“
„Er wird gleich kommen, er holt uns locker ein. Wir müssen los, wir können ohnehin nicht so schnell vorwärts kommen durch die Wagen.“
Da kam Zandorra auch schon an. Sein Gesicht war bleich, er zügelte sein Pferd neben Ingo.
„Alles bereit? Dann los!“ Er hob die Hand und der ganze Zug setzte sich in Bewegung. Rolf blickte zu Zandorra hin.
„Geht es dir gut?“ fragte er besorgt. „Du siehst nicht sehr gut aus.“
„Mir ist ein wenig übel von dem Schlag in den Magen, den Ulf mir verabreicht hat,“ antwortete Zandorra, „aber kein Grund zur Sorge, es geht schon wieder.“
„Und deine Schulter?“ Rolf blickte zu dem roten Fleck auf Zandorra´s Hemd.
Der winkte ab. „Laß gut sein, Rolf, ist jetzt nicht zu ändern. Ich habe gesehen, Ulf reitet mit uns vorne? Ingo´s Idee?“
“Ja, ist das okay für dich?”
„Na klar, so kann er sich vorerst keine Dummheiten ausdenken,“ stimmte Zandorra zu.

Die Höhle

Sie kamen tatsächlich nicht sehr schnell voran. Die Wagen waren schwer und der Weg am Bach entlang vom Regen noch aufgeweicht. Die Sonne brannte am Nachmittagshimmel, der inzwischen wieder blau war, als hätte es nie geregnet. Die schwüle Wärme drückte auf die Gemüter, die Gespräche verstummten immer mehr, je länger sie ritten.
„Bei der Geschwindigkeit können wir in der Höhle unser Nachtlager aufschlagen, Sir,“ sagte Zita zu Zandorra.
„Gibt es eine Höhle in dem Gang?“ fragte der erstaunt.
„Na klar, mehrere,“ nickte Zita. „Eine ist riesig groß, dort können wir übernachten. Wir brauchen nur eine Wache, die den Eingang beobachtet, von wegen wilder Tiere und so. Und wir können Feuer anmachen und was kochen, den Rauch sieht keiner.“
„Kann es sein, dass du Hunger bekommst?“ Zandorra grinste.
„Naja, Sir, es ist schon Stunden her, als ich das letzte Mal was gegessen habe,“ verteidigte sich Zita. „Habt Ihr keinen Hunger?“
„Ich weiss nicht, ob ich etwas zu essen vertrage,“ murmelte Zandorra und legte verstohlen eine Hand auf seinen Magen. „Aber du hast recht, wir werden in deiner Höhle übernachten. Wie lange dauert es noch, bis wir zum Eingang kommen?“
„Ich denke, wir schaffen es bis zum Einbruch der Dunkelheit. Wir kommen wirklich recht langsam voran,“ seufzte Zita.
Zandorra schwieg.
„Sir, darf ich ein Stück galoppieren?“ fragte Zita nach einer Weile.
„Warum?“ fragte Zandorra verblüfft.
„Es geht mir zu langsam!“ sagte Zita ungeduldig.
„Du kannst mal zurück reiten und den ganzen Zug umrunden. Dabei kannst du schauen, ob hinten auch alles in Ordnung ist,“ schlug Zandorra vor. „Es ist mir nicht wohl, wenn du voraus reitest.“
Zita wendete ihr Pferd und nickte heftig.
„Ist mir auch recht, Sir! Bis dann!“ Schon galoppierte sie los. Zandorra schaute ihr kurz hinterher.
„Wenn die zurück reiten darf, darf ich das doch auch, oder?“ fragte eine etwas nörgelnde Stimme neben ihm. Zandorra blickte zur Seite. Ulf hatte sein Pferd neben seines gelenkt und sah angespannt zu ihm hin.
„Nein,“ antwortete Zandorra kurz. „Du bleibst hier.“
Ulf wollte auffahren, doch Zandorra blickte ihn nur finster an. Also schwieg er lieber. Irgendwann kam Zita angaloppiert. Sie zügelte ihr Pferd neben dem von Zandorra.
„Alles in Ordnung, Sir!“ meldete sie zackig und lachte vergnügt.
Zandorra nickte kurz. Schweigend ritten sie weiter. Als es zu dämmern begann, stieß Zita plötzlich einen leisen Schrei aus und zeigte aufgeregt voraus.
„Seht, dort! Dort ist die Höhle!“
Zandorra kniff die Augen zusammen und starrte angestrengt in das Zwielicht. Ja, noch ein gutes Stück entfernt zwar, doch er konnte die Felswand erkennen, die sich vor ihnen auftürmte und in dieser Felswand klaffte ein Stück oben ein riesiges, schwarzes Loch.
„Kriegen wir die Wagen denn dort hoch?“ fragte Zandorra.
„Aber klar, Sir, es führt ein Pfad hinauf, offensichtlich ein Wildpfad, der recht breit ist.“ Antwortete Zita sofort.
Zandorra wendete sein Pferd und lenkte es ein Stück zurück.
„Rebellen! Schaut voraus, dort könnt ihr das Felsmassiv sehen, wo die Höhle anfängt! Wir werden ein Stück in den Gang hineinreiten, dort befindet sich eine riesige Höhle, dort werden wir übernachten. Ihr könnt Feuer anmachen und ein Essen kochen, dann werden wir ruhen bis zum Morgen!“ Er blickte zu Zita.
„Du kannst dich noch mal nützlich machen. Ich weiss nicht, ob alle mich hören konnten, reite noch mal zurück und verkünde allen, dass wir bald die erste Rast machen werden.“
„Jawohl, Sir, mit Vergnügen!“ Zita trieb ihr Pferd an und jagte los.
„Sicher werden alle froh sein, wenn wir endlich rasten. Wir sind schon Stunden unterwegs,“ meinte Rolf aufatmend. „Mir zumindest geht es so.“ fügte er hinzu. Zandorra lächelte.
Ja, ich bin auch froh, wenn ich runter vom Pferd komme.“
Nun dauerte es nicht mehr lange und sie erreichten den kurzen, steilen Pfad, der zur Höhle führte. Die Zugpferde waren jedoch erschöpft, der Weg aufgeweicht, die Wagen schwer, jedenfalls schafften sie es nicht den steilen Pfad hinauf. Zandorra sprang von seinem Pferd.
„Wir brauchen ein paar Pferde, die wir noch vorspannen können. Vielleicht kommen wir dann hinauf!“ rief er und begann schon, Sultan vor Milo´s Wagen zu spannen. Ingo machte es ihm nach und noch andere Rebellen stiegen von ihren Tieren und spannten sie vor die Wagen.
„Milo, René, Stan, Joshua, ihr steigt ab. Wir führen die Pferde hinauf.“ Die Männer kletterten von den Wagen, Tankred half Milo dabei, da der noch nicht laufen konnte. Tankred reichte ihm auch die Krücken. Mit vereinten Kräften, Zandorra, Ingo und einige Rebellen zogen die Pferde, andere schoben von hinten, schafften sie den Pfad und erreichten den Höhleneingang. Er war tatsächlich so hoch, wie Zita erzählt hatte und breit genug, dass zwei oder drei Pferde nebeneinander reiten konnten.
„Lassen wir unsere Tiere noch dran, sie können die Fuhrpferde unterstützen.“ Zandorra strich seinem Schimmel über die Nüstern. „Wir führen sie am besten weiter. Es tut ganz gut, ein wenig zu laufen.“
Draußen war es inzwischen ganz dunkel geworden, bis auch der letzte Reiter in der Höhle verschwand. Ingo hatte an alles gedacht und verteilte Fackeln, die den Höhlengang erleuchteten. Immer tiefer drangen sie hinein und das Echo warf den Hufschlag der unzähligen Pferde und das Knarren der Wagen, hin und wieder auch ein paar Worte, mehrfach zurück. Zuerst scheuten die Tiere ein wenig vor dem Echo, doch bald gewöhnten sie sich daran. Nach einiger Zeit erreichten sie die riesige Höhle. Sie wirkte wie eine Kirchenhalle, hoch und eindrucksvoll. Zandorra hielt an und sprang auf den Wagen.
„Rebellen, das erste Stück haben wir hinter uns!“ rief er laut. Seine Stimme hallte von den Wänden wieder. „Wir lenken die Wagen außen herum und lagern in der Mitte! Macht Feuer an und versucht, aus den wenigen Lebensmitteln, die wir haben, etwas zu essen zu richten! Ihr braucht nicht zu sparen, wir werden spätestens morgen Abend in den Sümpfen sein! Und für morgen Mittag können ein paar Männer auf die Jagd gehen! Danach legt euch schlafen, es werden noch anstrengende Tage auf uns zu kommen!“
Er sprang vom Wagen und führte die Pferde zum Höhlenweg, den sie am nächsten Morgen weiter gehen werden. Dann spannte er die Pferde aus. Ingo und Rolf halfen ihm, während René, Tankred, Olli, Hannes und Kevin bei den anderen Wagen halfen. Da Milo, Stan und Josuah verletzt waren, konnten sie nicht helfen und ließen sich am ersten Feuer nieder. Zandorra blickte zu Ulf, der vom Pferd gestiegen war und sich nun ebenfalls ans Feuer setzte. Doch als Zita hinzukam, stand Ulf auf und wollte fort. Zandorra ging zu ihm.
„Bleib hier, du wirst bis zur Moorinsel entweder bei deinen Eltern oder bei mir bleiben, klar?“
Ulf blickte finster, schwieg aber und setzte sich wieder.
Tafny, Julchen und Daniela hatten einen großen Kessel auf das Feuer gestellt und bereiteten eine Art Eintopf vor. Es flackerten noch mindestens ein Dutzend Feuerstellen auf, bei denen gekocht wurde. Um jedes Feuer saßen zehn bis zwanzig Rebellen und sie lebten alle langsam wieder auf, vereinzeltes Gelächter, Stimmengewirr und das Scheppern von Geschirr verriet, dass die erste Strapaze überwunden war. Zandorra setzte sich zu Rolf, Ingo, Milo, Tankred, René und den Frauen Tafny, Julchen und Daniela dazu. Ulf saß neben ihm, Zita auf seiner anderen Seite. Die beiden vermieden es, sich anzusehen und wenn ihre Blicke sich mal trafen, waren diese bitterböse. Zandorra musste insgeheim lächeln, schwieg jedoch dazu. Tafny reichte ihm eine Schüssel mit Eintopf und eine Scheibe Brot und er begann, hungrig zu essen. Sein Magen hatte sich wieder beruhigt, stellte er erleichtert fest. Nachdem sie fertig gegessen hatten, säuberten sie das Geschirr, räumten es in die Wagen und legten sich in ihre Schlafsäcke. Noch eine ganze Weile drang leises Flüstern, Kichern und Reden durch die Höhle, wurde jedoch langsam immer weniger und schließlich schliefen alle, bis auf Pablo, der Zirkusmann und Hannes, die sich bereit erklärt hatten, die erste Wache zu übernehmen.

Da es in der Höhle dunkel war, bis auf die Feuerscheine, wusste man nicht, welche Tageszeit nun war.
„Ich gehe zurück zum Eingang und schaue nach, ob die Sonne schon aufgeht,“ flüsterte Hannes zu Pablo. „Sobald es hell wird draußen wecken wir Sascha auf.“
„Okay, aber nimm dir jemanden mit, dann könnt ihr am Höhleneingang warten, bis die Sonne aufgeht“ schlug Pablo vor. „So brauchst du nicht ständig hin und her zu reiten. Du kommst zurück, sobald der Tag anbricht.“
Hannes stimmte ihm leise zu, sie weckten Olli und informierten ihn kurz über den Plan. Der Rebell nickte und die beiden Männer liefen den Weg zurück zum Höhleneingang. Draußen war es noch stockfinster, sie setzten sich auf Felsbrocken und unterhielten sich leise.
Hannes wurde von einem hellen Sonnenstrahl geweckt. Er fuhr erschrocken hoch und blickte auf einen blassblauen Himmel.
„Verdammt, ich bin eingeschlafen,“ brummte er und stieß Olli an, der ebenfalls schlief. „Heh, Olli, es ist Tag, wir laufen zurück und wecken Sascha!“
Rasch rannten die beiden Rebellen zurück in die Höhle. Als sie ankamen, schliefen noch alle, außer Gerold, der Pablo bei der Wache abgelöst hatte.
Sie suchten unter den schlafenden Rebellen Zandorra und Hannes berührte ihn leicht an der Schulter. Sofort fuhr der Rebell hoch.
„Pst, es ist nichts passiert,“ flüsterte Hannes, „draußen ist es hell, du wolltest am Morgen weiter ziehen.“
„Oh, gut, ja,“ murmelte Zandorra und rieb sich über die Augen. Er setzte sich auf und blickte einen Moment verwirrt um sich, dann jedoch sprang er auf. „Woher wisst ihr das? Hier drinnen ist es ziemlich dunkel.“
„Olli und ich waren am Höhleneingang und haben dort gewartet, bis die Sonne aufging,“ sagte Hannes.
„Da habt ihr weiter gedacht als ich.“ Zandorra lächelte. „Ich glaube, ich war doch müder, als ich gemerkt hatte. Jedenfalls hat der Schlaf jetzt gut getan, ich fühle mich wesentlich frischer.“ Er reckte sich, gähnte und schaute sich um. Die Feuer waren fast völlig heruntergebrannt, obwohl Pablo und später Gerold immer wieder ein wenig nachgelegt hatten.
„Auf geht´s, wir wecken die Rebellen auf, damit wir weiter kommen. Wenn noch was zu essen da ist, können wir noch rasch was zu uns nehmen.“
Sie gingen von Lager zu Lager und schüttelten die Rebellen an den Schultern. Kurz darauf flackerten die Feuer wieder auf und Essensduft erfüllte die Luft. „Was meinst du, Zita, wann erreichen wir den Höhlenausgang?“ fragte Milo beim Essen. Zita dachte kurz nach.
„Ich schätze, gegen Mittag, wenn wir gleich losreiten,“ antwortete sie.
„Und dann?“ fragte Milo weiter. „Ziehen wir am hellen Tag weiter zu den Sümpfen? Und die Soldaten? Wir sind recht nah bei Janten.“
„Ja, das habe ich mir auch überlegt,“ nickte Zandorra und stellte seinen Teller zur Seite. „Aber uns bleibt keine andere Wahl. Wir werden am Nachmittag bei den Sümpfen sein und es muss noch hell sein, wenn wir über den Moorpfad gehen. Im Dunkeln ist das viel zu gefährlich.“
„Außerdem sollten wir noch ein wenig Licht haben, um uns ein Lager zu bauen,“ bemerkte Ingo. „Da sich niemand außer dir dort auskennt, wird auch das nicht leicht.“
„Da hast du recht, also, los, gehen wir weiter!“ Zandorra stand auf.
Sie packten zusammen und stiegen wieder auf die Pferde. Milo, Joshuah, Stan und René kletterten auf die Wagen.
Zandorra schaute sich nach Ulf und Zita um. Während Zita bereits auf ihrem Pferd saß und dieses ungeduldig tänzelte, bummelte Ulf noch immer am Feuer herum. Zandorra holte tief Luft.
„Laß gut sein, ich mach das schon,“ sagte Ingo zu ihm und hielt ihn am Arm zurück. „Reite du zur Spitze mit Zita. Ich komme mit Ulf sogleich zu euch.“
Zandorra nickte kurz, wendete sein Pferd und winkte Zita zu.
„Okay, Leute, auf geht´s!“ rief er laut und verschwand mit Zita als erstes im dunklen Gang. Wieder wurden Fackeln angezündet, Rolf reichte eine zu Zandorra rüber.
„Hier, nimm. Wo ist denn Ingo?“
„Er ist bei Ulf,“ antwortete Zandorra mürrisch. „Der meinte wohl wieder, mich provozieren zu können, indem er extra langsam macht.“
„Verstehe,“ Rolf nickte. „Und Ingo hat dich weggeschickt, bevor ihr zwei wieder aneinander geratet.“
„He, ich bin nicht Zita!“ fuhr Zandorra auf. „Ingo muss mich nicht wegschicken. Und ich sage dir, ich werde sicher noch oft mit Ulf aneinander geraten!“
„Jaja, ist ja schon gut, er ist dein wunder Punkt. Laß jetzt gut sein, wir werden beobachtet,“ er wies mit dem Kinn zur neugierig lauschenden Zita. Zandorra warf ihr einen Blick zu und schwieg.
Sie ritten weiter, mehrmals mussten die Fackeln erneuert werden. Hinter ihnen hörten sie, wie die Gespräche immer leiser wurden und die paar Stimmen, die man noch hören konnte, klangen gereizt.
Die dunkle Höhle, das ständige Echo, die Ungewissheit, die nicht enden wollende Höhle, das alle machte die Rebellen nervös und zerrte an den Nerven. Ingo war mit Ulf im Schlepptau erschienen und gesellte sich zu Zandorra, Rolf und Zita. Ulf schwieg verbissen und starrte wütend vor sich hin. Ingo gab acht, dass Ulf weder neben Zandorra, noch neben Zita ritt, sondern entweder hinterher oder immer mit noch einem Reiter dazwischen. Bei der jetzigen Stimmung befürchtete er einen weiteren Zusammenstoß, was sich sehr nachteilig auf alle auswirken konnte. Rolf und Tankred beobachteten seine Bemühungen und unterstützten ihn dabei. Zandorra schien es nicht zu bemerken, zumindest ließ er sich nichts anmerken und Zita, nun, sie ritt unbekümmert an der Spitze.
Plötzlich jubelte sie auf.
„Wir nähern uns dem Ausgang! Dort vorne ist Tageslicht und schaut, die Fackeln flackern!“ rief sie laut aus und trieb ihr Pferd an.
„Halt, Zita!“ Zandorra lenkte seinen Schimmel halb vor Zita´s Pferd. Da sie ohne Zügel ritt, konnte er ihren Fabian nicht anders anhalten.
„Du kannst nicht einfach aus der Höhle reiten. Es ist heller Tag. Wartet hier, ich werde erst mal nachsehen, ob die Luft rein ist.“ Zandorra sprang vom Pferd, während hinter ihm die Kolonne zum Stehen kam. Er lief zum Höhlenausgang, der genauso riesig war wie der Eingang. Allerdings lag er nicht so hoch oben, sondern eine breite, wilde Wiese erstreckte sich von der Höhle bis zu einer Gruppe von Bäumen, die noch weit entfernt standen. Dahinter schien erst wieder Gebüsch zu wachsen, das Gras der Wiese war etwa hüfthoch, bewegte sich sanft im Wind und war durchwachsen von Kräutern, Wildblumen und kleinen Rankgewächsen. Der Himmel war bewölkt, sie Sonne hinter den Wolken verschwunden. Aufmerksam schaute Zandorra sich um. Ja, da die Gegend sehr eben war, konnte er am Horizont die Sümpfe erkennen. Krüppeleichen markierten den Beginn des Moores, Pfützen glänzten in der Ferne. Zandorra erkannte den Wildpfad am Berg entlang, den Zita offenbar zurück geritten war, als sie ihren Ausflug mit Carlito machte. Keine Menschenseele war zu sehen. Alles lag ruhig und friedlich da. Weiter hinten auf der Wiese erkannte er ein paar Rehe, die friedlich grasten.


Soldaten kommen

Zandorra winkte in die Höhle und trat zur Seite. Schon kam Zita heraus getrabt, seinen Schimmel am Zügel haltend. Ihr folgten gleich darauf Ingo, Rolf, Ulf und Tankred. Zandorra winkte sie weiter. Er zeigte zu den Sümpfen.
„Dorthin, Ingo! Siehst du das Moor? Jetzt müssen wir wachsam sein, damit wir keine Überraschung erleben! Reitet gleich weiter, wir machen jetzt keine Rast und keine Unterbrechung! Je schneller wir die Sümpfe erreichen, desto eher sind wir in Sicherheit!“
Zita lenkte ihr Pferd seitlich und ritt zu Zandorra.
„Hier, Euer Schimmel, Sir.“ Sie überreichte ihm die Zügel.
„Danke, Zita.“ Der Rebellenführer schwang sich in den Sattel und blieb neben der Kolonne stehen. Die Wagen fuhren vorbei. Zita stand neben ihm.
Es tat ihnen allen gut, wieder im Freien zu sein, die frische Luft zu atmen und den Wind zu spüren. Es war noch warm, fast schwül, denn die Wiese dünstete noch die Feuchtigkeit des Regens aus. Doch der Boden war gut befahrbar.
Zandorra und Zita warteten, bis auch der letzte Reiter an ihnen vorbei gekommen waren und setzten sich an den Schluß.
„Jetzt muss ich nicht mehr führen, Sir, nicht wahr?“ bemerkte Zita. „Den Weg zu den Sümpfen kennt Ihr von hier aus auch.“
„Hast du nicht gerne geführt?“ fragte Zandorra erstaunt.
„Nein, ich bin keine Führerin wie Ihr,“ Zita schüttelte die schwarzen Locken. „das einzig gute daran war Ulf´s Gesicht.“ Sie kicherte. „Mann, wie hat der sich geärgert, weil ich wichtiger war als er.“
Zandorra nickte.
„Da magst du recht haben, er hat sich geärgert. Aber bitte, laß ihn in Ruhe, geh ihm einfach aus dem Weg. Tu es von mir aus meinetwegen, wir haben doch viel wichtigeres zu tun, als zu streiten.“
Zita kicherte wieder.
„Ich habe gehört, was Ingo und Rolf gesagt hatten, dass Ingo Ulf von Euch fern gehalten hat. Ihr seid auf ihn auch nicht gut zu sprechen, nicht wahr?“
„Du musst deine Nase auch überall hinein stecken. Das geht dich gar nichts an, hörst du? Ich will nur Ruhe haben.“ Bevor Zita etwas erwidern konnte trieb er sein Pferd an und ritt zum letzten Wagen.
„Alles in Ordnung, Stan? Was macht die Verletzung?“ fragte er den Rebell auf dem Kutschbock. Der grinste ihn fröhlich an.
„Mir geht es gut! Jetzt, wo wir aus dieser Höhle heraus sind, ist wieder alles okay!“
„Ja, es hat sich schon recht lange hingezogen, vor allem, da stundenlang nichts anderes zu sehen war als Fackeln und Felsen und von dem Echo konnte man Kopfschmerzen bekommen!“ Zandorra ritt weiter zum nächsten Wagen.
„Geht es noch, Josh?“ fragte er den Rebell. Der nickte mit zusammen gebissenen Zähnen. Zandorra betrachtete ihn prüfend.
„Was ist los? Schmerzen?“ fragte er.
„Ich wird´s überleben, Sascha,“ Joshua sah blaß aus und saß ein wenig zusammengesunken da.
„Nein, Josh, du musst dich nicht quälen. Leg dich eine Zeitlang auf den Wagen. Es ist zwar auch nicht sehr bequem, aber besser, als hier auf dem harten Kutschbock zu sitzen.“
„Laß nur, es geht schon,“ winkte der verletzte Rebell ab.
„Du brauchst deine Kräfte noch auf der Moorinsel,“ gab Zandorra zu bedenken. „wir brauchen dich, übertreib es jetzt nicht. Ich schau noch kurz nach Milo, dann löse ich dich ab und du legst dich hin.“
Er trabte zum vorderen Wagen. Tankred saß bei Milo auf dem Kutschbock und die beiden Zirkusartisten alberten fröhlich herum. Milo hatte sein Bein auf der harten Holzbank ausgestreckt und saß schräg. Sie winkten Zandorra zu, der winkte lächelnd zurück und trabte zurück zu Joshua. Ohne anzuhalten sprang er vom Pferd auf den Wagen.
„Okay, Josh, ich akzeptiere keine Widerworte. Komm, ich helfe dir nach hinten.“ Er half dem Verletzten, sich auf ein paar Säcke zu legen. „Wenn du dich wieder besser fühlst, kannst du ja wieder lenken. Doch jetzt mach erst mal Pause.“
Joshua schloß die Augen und nickte. Zandorra kletterte wieder auf den Kutschbock, nahm die Zügel auf und trieb die Pferde wieder an, die wesentlich langsamer geworden waren. Sein Schimmel lief neben dem Wagen her.
„Schwierigkeiten?“ fragte eine Stimme auf der anderen Seite des Wagens. Zandorra schaute sich um. Hannes blickte auf den verletzten Rebell.
„Er muss sich etwas ausruhen, er hat Schmerzen,“ antwortete der Rebellenführer. „Du kannst mal losziehen und schauen, ob du zwischen all den Reitern Daniela finden kannst. Sie kann ihm sicher etwas geben, damit er sich nicht quälen muss.“
Hannes nickte und trabte voran. Zita erschien neben dem Wagen und nahm die Zügel des Schimmels. „Soll ich ihn anbinden oder kann ich ihn führen?“ fragte sie mit scheinheiliger Stimme.
„Du kannst ihn auch führen, wenn du willst,“ meinte Zandorra arglos.
Nach einer Weile erschien Daniela.
„Gibt es Probleme, Sascha? Hannes sagte, du brauchst mich?“
„Nicht ich, Joshua. Es geht ihm nicht gut, kannst du mal nach ihm sehen?“ Er half Daniela von ihrem Pferd auf den Kutschbock, ohne die Pferde anzuhalten. Dann kletterte die Frau weiter nach hinten und beugte sich über den Rebell. Als Zandorra wieder nach vorne sah, durchzuckte ihn ein heftiger Schreck: Zita saß auf seinem Schimmel, der aufstieg und mit den Vorderhufen in die Luft wirbelte. Dann beugte er den Rücken und keilte nach hinten aus. Zita lenkte ihn mit konzentriertem Gesicht abseits, damit er die anderen nicht scheu machte.
„Zita! Runter von dem Pferd!“ rief Zandorra ihr zu, doch entweder konnte oder wollte sie ihn nicht hören. Sultan versuchte, seitlich auszubrechen, doch Zita schien auf ihm zu kleben. Immer wieder klopfte sie beruhigend den Hals des Tieres und redete auf es ein. Jede Kapriole des Pferdes, jeden Versuch, sie abzuwerfen, konterte sie mit einem Schwall leiser Worte. Zandorra starrte ihr mit gemischten Gefühlen zu. Dann, plötzlich, trabte der Schimmel friedlich neben dem Wagen her, schlug einige Male heftig mit dem Kopf, schnaubte laut, schien aber seine neue Reiterin akzeptiert zu haben. Zita lachte glücklich.
Sie lenkte das Pferd in verschiedene Richtungen, ließ es in langsamen Schritt fallen, trieb es nach einiger Zeit in rasches Galopp und verschwand aus den Augen des Rebellen.
Zandorra stellte sich auf den Kutschbock, doch er konnte sie nicht sehen. Also setzte er sich wieder hin und wartete. Daniela kam zu ihm geklettert und setzte sich neben ihn auf den Kutschbock.
„Du siehst so finster aus, was ist denn los?“ fragte sie.
„Zita reitet meinen Schimmel Sultan,“ brummte Zandorra . „Ich weiss nicht, warum ich mir das antue. Ich hätte Ulf und Zita beide in den Blauen Bergen lassen sollen, dann hätte ich sicherlich mehr Ruhe.“ Er wandte sich zu Daniela. „Entschuldige, ich bin nur gehörig erschrocken, weil Sultan doch niemanden auf sich reiten lässt. Wie geht es Joshua?“
„Ich habe ihm ein Schmerzmittel gegeben. Seine Wunde ist aufgebrochen und er verliert Blut, ich konnte sie aber stillen. Zudem hat er eine leichte Gehirnerschütterung, weil ihn doch der Felsbrocken getroffen hatte und heftige Kopfschmerzen. Wegen Zita mach dir mal keine Sorgen. Sie ist Reitkünstlerin und wird mit jedem Pferd fertig. Außerdem ist sie eine Katze, die fallen immer wieder auf die Beine.“
„Ja, du hast recht,“ seufzte Zandorra. „sind sonst alle okay? Keine Verletzungen oder irgendwelche Probleme bei den anderen?“
„Nein, alles in Ordnung.“ Daniela lächelte. „Ich glaube, wir sind alle froh, endlich die Höhle hinter uns gelassen zu haben. Schau, da kommt Zita angaloppiert.“
Das Zirkusmädchen zügelte den prachtvollen Schimmel am Wagen und ließ ihn langsam nebenher gehen. Sultan schien der wilde Ritt gut getan zu haben, er wirkte ruhig und zufrieden und Zita strahlte.
„Was für ein wunderbares Pferd,“ schwärmte sie.
„Hab ich dir nicht gesagt, dass du ihn nicht reiten sollst?“ Zandorra blickte sie finster an. Zita lachte.
„Und ich habe Euch gesagt, dass ich es kann! Er ist so prächtig und eigenwillig! Und er hat eine Kraft und...“ schwärmte Zita begeistert.
Bevor Zandorra jedoch noch etwas sagen konnte, erscholl ein Warnruf:
„Soldaten! Soldaten kommen aus Richtung der Berge!“
Zandorra warf Daniela die Zügel zu.
„Rasch, Zita, gib mir Sultan und hilf du Daniela, die Kutsche zu fahren.“
Wenn es darauf ankam, machte Zita keine Schwierigkeiten und so sprang sie sofort auf den Kutschbock und half Zandorra auf Sultan. Der trieb ihn sofort in Galopp und ritt nach vorne. Einige Männer hatten sich bereits versammelt und standen abseits, während sie den Soldaten entgegen blickten.
„Wieviele sind es? Ist Ingo noch vorne?“ fragte Zandorra.
„Sie sind noch zu weit, ich kann nicht erkennen, wie viele es sind. Ja, Ingo führt den Zug weiter an,“ beantwortete Rolf beide Fragen.
„Gut, Fredo, reite zu Ingo und sag ihm, er soll alle so schnell wie möglich zu den Sümpfen führen. Da er den Pfad nicht kennt, nehmt vorsichtshalber, wenn ihr dort seid, eine Verteidigungsstellung ein und wartet auf uns. Wir anderen verteilen uns, wir ziehen eine lange Schlange mit etwas Abstand, wenn möglich in zwei Reihen. Wir reiten ihnen entgegen, damit sie gar nicht so nah heran kommen können. Auf,“ rief er zur Kolonne, „wir brauchen noch ein paar Männer zur Verteidigung!“ Er wollte sein Pferd antreiben, doch Rolf hielt ihn zurück.
„Du bist der einzige, der den Moorpfad kennt. Es wäre besser, wenn du nicht ausgerechnet ganz vorne dabei bist.“
„Ich kann meine Rebellen nicht kämpfen lassen und mich heraushalten!“
„Dann reite wenigstens in der zweiten Reihe,“ bat Rolf.
Zandorra erklärte sich dazu bereit, da sie ohnehin keine Zeit für Diskussionen hatten. Sie ritten in raschem Trab den Soldaten entgegen, zwei lange Schlangen Männer. Schon konnten sie die einzelnen Soldaten erkennen, es waren etwa vierzig Stück, also eine kleine Schwadron, die herankam. Die Soldaten erkannten nun auch die bewaffneten Rebellen und griffen zu ihren Waffen.
„Vorsicht, sie haben Gewehre!“ rief Zandorra. „Wir müssen versuchen, nah heranzukommen, um sie zum Schwertkampf zu zwingen!“
Schon bellten die ersten Schüsse. Zandorra blickte sich besorgt um, doch die Rebellen ritten in Zickzack-Linien, so dass sie kein richtiges Ziel abgaben. Schließlich prallten Soldaten und Rebellen aufeinander. Zwischen Schüssen ertönte das Klirren der Schwerter, Stöhnen der Verletzten und das Wiehern der Pferde. Die Rebellen konnten die Soldaten umzingeln und auch von hinten angreifen. Schließlich rissen die Soldaten ihre Pferde herum und jagten zurück, Richtung Janten. Schreiend verfolgten die Rebellen sie noch ein Stück, dann hielten sie an.
„Los,“ keuchte Zandorra atemlos, „wir nehmen alle Rebellen mit! Wir müssen uns beeilen, sie werden in Janten Alarm schlagen! Olli, bist du verletzt? Nein? Dann fang du die Pferde wieder ein, Kevin, Pepe und Hannes können dir helfen!“
Er sprang vom Pferd und suchte die am Boden liegenden Männer ab. Sie hatten Glück gehabt, dadurch, dass sie vorbereitet waren und dank Zandorra´s Strategie wurden nur acht Rebellen verletzt, leider gab es auch einen Toten. Sie nahmen die Verletzten und den Toten auf die Pferde und galoppierten der Kolonne hinterher. Die Soldaten ließen sie liegen, denn sicherlich dauerte es nicht mehr lange, bis deren Verstärkung kam, die sich dann um die verletzten Soldaten kümmern konnte.
Olli, Kevin und Pepe brachten die Pferde herbei, während Hannes einen Schwerverletzten vor sich auf seinem Pferd hielt. Zandorra und die anderen Männer halfen den leichteren Verletzten auf die Pferd. Noch zwei schwerer verletzten Rebellen wurden zu Rolf und Björn gesetzt und dann ritten sie so schnell sie es schafften, ohne die Verletzten gar zu quälen, zu der Kolonne, die inzwischen einiges entfernt war.
„Verdammt,“ fluchte Zandorra, „es wäre auch zu schön gewesen, unbehelligt die Sümpfe zu erreichen.“
„Gut, dass du Daniela und Stella mitgenommen hast,“ meinte Rolf und verlagerte den schwer verletzten Rebell auf seinen anderen Arm. „Schade, dass Daphne nicht da ist“
„Daniela ist fast so gut wie Daphne, sie schafft das schon.“ Zandorra schaute sich besorgt nach den verletzten Rebellen um. „Geht es noch? Ihr müsst durchhalten, wir haben die Kolonne bald erreicht. Ihr könnt dann auf die Wagen. Rolf, Björn, Hannes, halten eure drei noch durch?“
„Haben sie eine andere Wahl, Sascha?“ fragte Hannes zurück.
Zandorra schwieg bedrückt.
Sie erreichten den letzten Wagen, den Daniela und Zita fuhren. Joshua lag auf den Säcken hinten mit geschlossenen Augen.
„Haltet an, wir haben Verletzte, die werden auf dem Wagen weiterfahren!“ rief er den beiden zu. Sofort zog Daniela die Zügel an.
Zandorra winkte den Rebellen zu.
„Los, wir laden ein paar der Sachen auf die freien Pferde, dann haben wir Platz, die Verletzten etwas besser zu lagern! Zita, reite bitte nach vorne zu Ingo und sage ihm, dass der letzte Wagen ein Krankentransport ist. Er soll nicht auf uns warten, wir haben die meisten Männer bei uns und können den Wagen beschützen, sollte noch ein Angriff erfolgen. Wir werden nämlich sicherlich recht langsam vorankommen.“
„Darf ich Euer Pferd nehmen, Sir?“ fragte Zita. „Es ist viel schneller als Fabian.“
„Meinetwegen, ich werde den Wagen übernehmen. Daniela kann dann während der Fahrt, so gut es halt geht, nach den Verletzten sehen.“
Während die Rebellen die acht Männer auf den Wagen legten, kletterte Zandorra auf den Kutschbock und übergab Zita seinen Schimmel. Sofort galoppierte das Mädchen davon.
Daniela stieg nach hinten und begann mit der Notversorgung des ersten Patienten. Zandorra drehte sich um.
„Sind alle auf dem Wagen? Das Gepäck auf den Pferden? Gut. Daniela, sag mir Bescheid, wie es um die Männer steht.“ Er trieb die Pferde an und sie trabten der Kolonne hinterher, die sich trotzdem immer weiter entfernte. Ja, sie waren einiges langsamer, doch auch so schaukelte der Wagen genug, damit die Verletzten vor Schmerzen stöhnten.
Zita erschien wieder.
„Ingo meinte, dass die Sümpfe nun nicht mehr weit seien,“ teilte sie mit. „Er sagt, Ihr sollt nach vorne, damit alle ohne große Pause auf die Moorinsel kommen können. Ihr sollt den Moorpfad zeigen. Ingo meint, dass es nicht mehr so lange hell sei und die Dämmerung im Moor noch tückischer ist als die richtige Dunkelheit. Daher sollte es keine Verzögerung mehr geben.“
Zandorra seufzte.
„Kannst du den Wagen fahren, Zita?“ fragte er.
„Aber klar doch, Sir!“ nickte Zita heftig. „Ich habe schon Wagen gelenkt, da war ich vielleicht fünf Jahre alt!“
Zandorra musterte sie nachdenklich, dann tauschten sie Wagen und Pferd.
„Okay, Zita, fahr langsam und vorsichtig, damit die armen Männer nicht mehr leiden müssen, als nötig. Die Rebellen bleiben bei euch als Beschützer. Ich bin sicher, ihr kommt zum Moor an, noch bevor wir alle drüben auf der Insel sind. Schließt euch dann einfach an, wenn ihr aber unsicher seid wegen dem Weg, dann wartet. Es ist sicherer, wenn ich euch dann holen komme, als wenn ihr ins Moor geratet. Rolf,“ wandte er sich dann an seinen Freund, „du passt ein bisschen auf, dass alles glatt geht. Ich reite jetzt nach vorne, Ingo hat recht, wir können uns keine Verzögerungen mehr leisten.“
Er trieb Sultan zu einem schnellen Trab an, ließ in dann in leichtes Galopp fallen und erreichte nach wenigen Minuten die Spitze. Er lenkte seinen Schimmel neben Ingo´s schwarzbraunem Wallach. Etwas hinter Ingo ritt Ulf auf einem braunem Pferd mit Dirk und Tafny, die sich wischen den beiden Jugendlichen befand.
„Aha, Zita hat dir ausgerichtet, was ich ihr aufgetragen habe,“ bemerkte Ingo und lächelte leicht.
„Ja, und du hast recht, so ist es am besten,“ stimmte Zandorra ihm zu. Er blickte nach vorne. „Es ist wirklich nicht mehr weit.“
„Wie denkst du dir den Übergang?“ fragte Ingo.
„Wir müssen hintereinander reiten, der Pfad ist zu schmal.“


Die Moorinsel

Nach kurzer Zeit erreichten sie die drei Krüppeleichen und ein drei Meter langes Holzgatter, das den Beginn des gefährlichen Moores kennzeichnete. Es wurde vor langer Zeit schon extra aufgestellt, um sorglose Reiter oder Wanderer zu warnen.
Zandorra hob die Hand und die Kolonne kam langsam zum Stehen.
„Wir müssen jetzt hintereinander reiten!“ rief der Rebellenführer mit lauter Stimme. „Paßt auf, wo ihr hintretet! Steigt von den Pferden und führt sie! Ich gehe voraus und markiere mit langen Stäben die gefährlichen Stellen! Seht zu, dass ihr immer in die Spuren eures Vordermannes tretet! Ingo wird direkt hinter mir gehen, Wir nehmen die Wagen dazwischen! Milo, du bleibst auf deinem Wagen, Stan und René, ihr steigt ab und führt die Pferde. Tankred, du führst eure Pferde. Noch Fragen, oder können wir los?“
„Was ist, wenn jemand ins Moor gerät?“ fragte Julchen.
„Wenn ihr meinen Spuren folgt, kann das nicht passieren. Und wir wollen nicht das Schlimmste annehmen, passt einfach auf, dass nichts passiert!“ Zandorra sprang vom Pferd und schlug einige dicke Äste von den Bäumen, sammelte noch en paar am Boden liegende Äste auf und führte dann seinen Schimmel vorwärts. Sultan scheute kurz, als sie das Gatter durchquerten, doch dann folgte er seinem Herrn. Der führte ihn mit konzentriertem Gesicht auf einen unsichtbaren Weg. Ingo staunte, wie Zandorra den Pfad finden konnte, er konnte kaum einen Unterschied zum tückischen Bereich ausmachen. Langes Moorgras wuchs hier und dort, auch ein paar Büsche standen im Morast, ab und zu ein Baum, schief und krumm gewachsen. Mooraugen, große und kleine Pfützen schimmerten auf der Oberfläche des völlig ebenen Geländes. Es roch nach Erde und fauligen Pflanzenteilen. Fliegen summten, ansonsten war es ganz still. Ab und zu ertönte ein lautes Blubbern, wenn aus dem sehr morastigen Stellen Luftblasen emporstiegen und zerplatzten.
Ingo achtete darauf, direkt hinter Sultan zu gehen und hoffte, dass die anderen ihnen genauso sorgfältig folgten. Der Pfad führte nicht gerade durch das Moor, er hatte Kurven und Winkel, verlief mal Richtung Westen, dann wieder Richtung Süden. Dadurch wurde der Weg natürlich noch länger und schwieriger. Außer dem dumpfen Stampfen der Pferdehufe und dem Knarren der Wagen war nichts zu hören. Ingo kam der Pfad fast endlos vor, doch endlich erreichten sie wieder ein kurzes Holzgatter. Zandorra ließ seinen Sultan laufen und drehte sich zu Ingo um.
„Wir sind da, hier ist die Insel!“ rief er leise. „Hier ist es sicher und fest. Siehst du dort die beiden Hütten? Wir führen sie alle bis zu ihnen hin, dort werden wir lagern. Heute können wir ohnehin nichts mehr unternehmen, es wird schon dunkel.“ Er zeigte auf zwei alte, verfallene Holzhütten, die unter ein paar Tannen und Pappeln standen.
„Kannst du wieder die Ordnung hier übernehmen, Ingo?“ fragte Zandorra. „Ich werde mal zurück gehen und nach den anderen schauen.“
„Wie kannst du zurück, ich denke, der Pfad ist zu schmal?“ fragte Ingo.
„Ich halte mich eng an die anderen. Keine Bange, Ingo, es ist zwar schon eine ganze Weile her, dass ich hier war, aber ich kenne den Pfad sehr genau.“ Zandorra ließ Sultan stehen und ging zurück auf den Pfad. Sorgfältig achtete er darauf, nicht zu weit daneben zu treten und drängte sich an den Rebellen vorbei.
„Alles klar mit dem Wagen?“ fragte er René, der als erstes kam.
„Puh, Sascha, das ist ein schweres Stück Arbeit und Konzentration, was du uns da zugemutet hast!“
„Ich weiss, aber ihr schafft das schon.“ Zandorra klopfte ihm kurz auf die Schulter und drängte sich langsam weiter nach hinten. „Ihr habt es gleich geschafft, ihr macht das prima, schön eng zusammen bleiben,“ so redete er den Rebellen zu. So drängte er sich an ihnen vorbei bis zu den letzten Rebellen. Über die Hälfte des Pfades war geschafft. Und auf dem Festland tauchte nun auch der letzte Wagen auf, auf dem die verletzten Rebellen lagen. Während er weiter den Pfad entlang lief, beobachtete er, wie Zita die Pferde führte und am Rande stehen blieb. Sie blickte ihm entgegen. Es war nun schon recht dämmrig und die Spuren bereits ziemlich schlecht zu erkennen. Dämmerlicht und der morastige Boden ließen die Spuren der vielen Rebellen und Pferde fast unsichtbar werden. Dichte Nebelschwaden stiegen aus dem Moor auf.
„Warte, Zita, ich komme und hole euch!“ rief Zandorra ihr zu. Folgsam wartete Zita, bis er heran war.
„Also, vor diesem Sumpf habe ich schon Respekt, Sir,“ murmelte sie, als er sie erreicht hatte. Zandorra nahm ihre Hand in seine Rechte und die Zügel der Pferde in seine Linke und führte sie langsam ins Moor.
Nebel stiegen aus dem fauligen Wasser empor, die Dämmerung wich langsam der Dunkelheit, Irrlichter, hervorgerufen durch die fauligen Gase, tanzten im Moor. Zita war ganz still und folgte Zandorra. Der ging jetzt noch langsamer, tastete selber hin und wieder mit dem Fuß über das Moor.
„Sascha!“ hörten sie in der Stille Ingo rufen. „Sascha! Alles in Ordnung, kennst du den Weg im Dunkeln?“
„Ja, ja!“ rief Zandorra zurück. „Wir sind unterwegs, aber es wird noch etwas dauern, im Dunkeln kommt man hier nicht so schnell voran!“
Sie konnten die Rebellen auf der Moorinsel reden hören.
„Sir,“ wisperte Zita, „sind wir bald da?“
„Ja, gleich da vorne sind wir in Sicherheit,“ murmelte Zandorra konzentriert.
Endlich erreichten sie die Moorinsel. Die Rebellen jubelten verhalten. Sie waren nun alle erschöpft, müde und schmutzig.
„Wir schlagen rasch unser Lager auf, es war ein sehr anstrengender Tag für alle!“ rief Zandorra, nachdem das Stimmengewirr etwas nachgelassen hatte. Dann ging er zum Wagen der Verletzten.
„Daniela? Bist du noch oben?“ fragte er nach. Es war inzwischen so dunkel und neblig, dass nur noch schwarze Schatten zu erkennen waren.
„Ja, aber ich kann nichts tun, es ist zu dunkel,“ antwortete die Frau.
„Wartet, ich komme gleich! Bleibt alle zusammen auf diesem Platz, bevor jemand jetzt noch ins Moor gerät!“ rief Zandorra. Er tastete sich zu einer der verfallenen Holzhütten und stolperte, als er durch die Tür gehen wollte, über einen am Boden liegenden Balken. Er landete auf den Knien und verzog das Gesicht.
„Sascha?“ fragte Ingo, der nur den Fall gehört hatte. „Alles in Ordnung?“
Zandorra antwortete nicht, kam jedoch nach wenigen Minuten mit einer hell erleuchteten Fackel aus der Hütte heraus. Er reichte die Fackel Ingo.
„Hier, ich habe noch mehr. Damit können wir Feuerholz holen, das zwischen den Hütten gestapelt ist und einige Feuer anmachen.“
Er entzündete eine weitere Fackel an der ersten und reichte sie weiter. Sie machten sich sofort daran, das Feuerholz aufzuschichten und kurz darauf flackerten mehrere Feuerstellen und erleuchteten die Moorinsel. Einige Rebellen halfen den Verletzten vom Wagen und führten sie zu den Decken, die sie auf dem weichen, von Heidekraut, Gras und Unkraut übersäten Boden gelegt hatten. Daniela kniete neben einem der Schwerverletzten.
„Wie schaut´s aus, Daniela?“ fragte Zandorra und hockte sich neben sie.
„Bei ihm sehr schlecht, die anderen schaffen es,“ antwortete die Frau. „Es wäre gut, wenn der Fürst hier wäre, Sascha, aber er wird nicht schon wieder kommen wollen, oder?“
„Doch, er wird kommen,“ versicherte Zandorra. „Ich werde jemanden losschicken, der ihn holt. Aber es geht erst morgen früh, reicht das noch?“
„Der Weg nach Janten ist nun ja nicht mehr so weit, wie von den Blauen Bergen aus,“ meinte Daniela. „Er wird solange durchhalten, ich tu mein Möglichstes.“
Zandorra drückte ihren Arm und lächelte.
„Das weiß ich, Daniela.“ Er erhob sich. „Ich bringe dir etwas zu essen und deinen Schlafsack.“
„Danke. Ach, Sascha,“ Zandorra wandte sich nochmals um und Daniela schaute nachdenklich zu ihm hoch. „Ich brauche dringend Schlafsäcke und Decken für die Verletzten. Sie haben viel Blut verloren und es ist kalt und feucht hier. Wir haben schon sämtliche zusammengesucht, Stella und ich, aber es reicht nicht ganz. Nicht jeder hat einen Schlafsack und eine Decke wird die Feuchtigkeit nicht abhalten.“
„Ich bringe dir meinen und meine Decke dazu.“
„Und du?“ fragte Daniela stirnrunzelnd. „Wenn ich dir so etwas sage, heißt das nicht, dass du dann immer deine Sachen weggibst. Du brauchst sie schließlich auch. Ich dachte nur, du hättest vielleicht eine Idee...“
„Er braucht die Wärme dringender als ich, also bekommt er meinen Schlafsack. Ist schon okay, Dani, ich komm schon klar.“ Er wandte sich um und verschwand im Dunkeln. Nach einiger Zeit erschien er wieder am Feuer bei Daniela und den Verletzten. Vorsichtig ließ er Decke und Schlafsack zu Boden gleiten und reichte dann einen dampfenden Teller mit Löffel an Daniela weiter.
„Rolf und Olli bringen gleich noch etwas zu essen für die Verletzten. Ich konnte nicht mehr tragen, jetzt iss etwas, du hast es dir verdient.“
„Danke, lieb von dir,“ Daniela nahm den Teller und aß hungrig ein paar Löffel.
„Hast du schon.....“ begann sie dann.
„Hör auf damit, Dani, ich kann mich um mich selber kümmern,“ sagte Zandorra heftig. Daniela schwieg und schob sich einen weiteren Löffel in den Mund.
„Tut mir leid, ich wollte nicht so heftig sein. Ich weiss, du meinst es nur gut.“ Zandorra setzte sich neben sie auf den Boden. Beide schwiegen. Kurz darauf kamen Rolf und Olli und brachten ein paar Teller mit Eintopf, die sie an die verletzten Rebellen verteilten. Sie gingen gleich darauf nochmals los und brachten wieder Essen. Dann setzten sie sich zu Daniela und Zandorra ans Feuer und aßen selber. Rolf reichte dem Rebellenführer auch einen Teller. Sie aßen schweigend. Etwas später begannen die meisten der Rebellen, ihre Schlafsäcke und Decken auszubreiten und sich auf den feuchten, weichen Boden zu legen. Der Nebel, der aus dem Moor aufstieg, war so dicht, dass selbst die einzelnen Feuerstellen nur als schwache Leuchtpunkte zu sehen waren.
„Wo sind Ulf und Zita?“ fragte Zandorra und breitete eine Decke auf den Boden.
„Zita saß vorhin bei Ingo, sie haben sich gut unterhalten beim Essen,“ teilte Rolf mit und schlüpfte in seinen Schlafsack. Er gähnte. „Gute Nacht!“
„Ich seh mal nach Ulf,“ murmelte Zandorra und stand auf. Rolf antwortete nicht. Zandorra nahm sich eine Fackel, zündete sie am Feuer an und ging vorsichtig um die am Boden liegenden Schläfer herum. Noch immer hörte man leises Erzählen einzelner Unermüdlichen, das Prasseln der Feuer, in die hin und wieder Holzscheite geschmissen wurden, sowie ab und zu das Schnauben oder Stampfen eines der Pferde. Zandorra kam zu der Feuerstelle, bei der Ingo lag. Der bärtige Rebell blickte ihm entgegen.
„Kannst du nicht schlafen?“ fragte er leise. „Warum schleichst du herum? Suchst du etwas?“
„Wo sind Ulf und Zita? Ich will nur keine Überraschung mehr erleben.“ Flüsterte Zandorra. Ingo richtete sich auf.
„Zita müsste rechts von mir im Schlafsack liegen, Ulf habe ich zu seinen Eltern geschickt, sie haben schließlich seinen Schlafsack und Decken für ihn mitgenommen.“
„Gut. Hör zu, Ingo, ich werde morgen früh zwei Männer über den Pfad bringen und nach Janten zum Fürst schicken. Neal ist sehr schwer verletzt, sagt Daniela und braucht dringend den Arzt. Ich würde bei der Gelegenheit auch gerne ein paar der vertrauenswürdigsten Männern den Moorpfad zeigen, damit ich nicht der Einzige bin, der ihn kennt.“
„Das ist eine gute Idee,“ stimmte Ingo ihm zu und legte sich wieder zurück. „Geh jetzt schlafen, es ist alles in Ordnung. Bert und Simon sind mit der Wache dran, obwohl es eigentlich Blödsinn ist. Bei dem dichten Nebel kann man ja ohnehin nichts sehen und über den Moorpfad im Dunkeln wird auch niemand kommen.“
„Du hast recht, ich werde ihnen sagen, sie können sich auch hinlegen,“ murmelte Zandorra und stand auf. Er suchte die beiden Männer und fand sie am Gatter zum Moorpfad. Simon saß auf den Holzbalken, Bert lehnte dagegen.
„Ihr könnt schlafen gehen, wenn ihr müde seid, es ist nicht wirklich sinnvoll, Wache zu schieben. Wer soll denn bei Nacht und Nebel über den Pfad kommen?“
„Eine gute Idee, ich bin bereit, mich hinzulegen,“ gähnte Simon und sprang vom Balken. „Es ist lausig kühl hier im Moor. In den Bergen war es zwar nachts auch recht frisch, aber es war nicht so furchtbar feucht.“
Zandorra suchte sich seinen Weg zurück zu Rolf und Daniela und setzte sich auf die am Boden liegende und inzwischen recht feuchte Decke. Er fröstelte. Die Gespräche waren nun verstummt, man hörte nur noch das Atmen und hin und wieder ein Schnarchen. Selbst die Pferde gaben Ruhe. Zandorra rieb sich müde die Augen, aber er konnte nicht schlafen. So stand er wieder auf und ging leise um die Feuer herum zu einer der verfallenen Holzhütten. Er erschrak, als eine Eule lautlos auf ihn zuflog und kurz vorher zur Seite drehte. Seine Fackel erhellte das Innere der Hütte. Trostlos sah es aus, die Feuerstelle war schwarz und kalt, die Holzbänke und der alte Holztisch morsch. Über der Feuerstelle hing noch ein alter Kupferkessel, schwarz, verbeult. Ein altes Vogelnest lag auf dem Boden, dessen Dielenbretter nicht sehr vertrauenserweckend aussahen. Zandorra leuchtete etwas weiter in die Hütte hinein und dann sah er einen Stofffetzen bei der alten Bank. Vorsichtig ging er näher und hob ihn auf. Es war eine Art Schärpe, rot und grün gemustert, schmutzig.
„Was tust du hier? Warum schläfst du nicht?“
Zandorra erschrak so heftig, dass er herumfuhr und über die morsche Bank stolperte. Er konnte sich gerade noch fangen und stieß sich das Knie an der Bank.
„Mensch, Milo, hast du mich erschreckt,“ zischte er leise. Milo kicherte.
„Hör mal, ich kann ja verstehen, wenn ich nicht schlafen kann, ich bin den ganzen Tag auf dem Wagen gesessen. Aber du, du bist den ganzen Tag geritten, hast gekämpft, organisiert, hast uns über den Pfad geführt. Du musst doch müde sein. Was tust du hier?“ Milo humpelte auf seinen Krücken auf ihn zu.
„Vorsicht, Milo, der Boden ist morsch,“ warnte Zandorra. „Irgendwie kann ich keine Ruhe finden. Ich bin zwar müde, aber ich kann nicht schlafen.“
Milo blickte ihn neugierig an.
„Du kennst das alles hier von früher, nicht wahr?“ fragte er dann. „Vielleicht sind es die alten Erinnerungen, die dich wach halten?“
„Ja, kann sein,“ Zandorra blickte wieder auf den Stofffetzen ins einer Hand.
„Was ist das?“ fragte Milo.
„Ich glaube, es ist das Tuch, das Murango immer über seine Augen gebunden hat,“ murmelte Zandorra. Milo schaute ihn verständnislos an.
„Murango?“
„Ja, ich habe euch doch von dem Zigeuner erzählt, der hier lebte. Er wurde kurz nach dem Massaker an meiner Familie gefangen genommen und gefoltert. Ich weiss nicht, warum sie diesen alten Zigeuner folterten, was der König dachte, was der wissen könnte, doch jedenfalls konnte ich ihn retten. Leider kam ich aber zu spät, um auch seine Augen retten zu können. Der König hatte ihn blenden lassen und seitdem trägt Murango solch ein Tuch über seine Augen. Ich brachte ihn hier auf die Moorinsel zurück und Kendra, Lena und ich pflegten ihn gesund. Dann ging er fort und lebt seitdem als Einsiedler in den Bergen, in der nähe von Janten.“ Zandorra hob die Schultern und blickte aus dem Fenster in die von Nebel durchzogene Dunkelheit. „Kendra kennst du ja, sie lebt seitdem als Einsiedlerin im Wald, was aus Lena wurde, weiß ich nicht. Ich habe sie völlig aus den Augen verloren.“
„Dann ist das Tuch da noch von dem Zigeuner?“ fragte Milo.
„Es liegt kaum seit damals hier,“ sagte Zandorra nachdenklich, „Mäuse und anderes Getier hätten es inzwischen zerfetzt. Es kann noch nicht allzu lange hier sein...“
„Aber, das würde ja bedeuten, dass dein Zigeuner zwischenzeitlich mal hier auf der Moorinsel gewesen sein muss,“ meinte Milo.
„Ja, wahrscheinlich ist es so. Ich möchte nur wissen, warum? Was hat ihn aus seiner Höhle hierher getrieben?“ Zandorra hob fröstelnd die Schultern. „Ich zeige euch morgen den Moorpfad. Außerdem muss jemand den Arzt holen, Neal geht es sehr schlecht. Vielleicht kann ich mich bei der Gelegenheit mal umsehen.“
„Sascha, laß uns erst hier auf dem Moor einrichten, wir müssen Hütten bauen, damit wir nicht mehr auf dem Boden schlafen müssen. Es ist so naß hier alles und so kalt.“
„Du hast recht,“ stimmte Zandorra zu. „Wir brauchen erst mal jeden Mann. Sieh du zu, dass du schnell wieder gesund wirst. Ich brauche dich. Du kannst übrigens, solange du noch nicht laufen kannst, Zita und Ulf bewachen, das wäre doch eine feine Aufgabe für dich, oder?“ Zandorra grinste.
„Tu mir das nicht an,“ stöhnte Milo. „Auf Zita kann man nicht aufpassen, das war uns ja schon fast unmöglich, als sie gerade laufen konnte. Und es wurde immer schwieriger, sie hat Energie für drei und ist auch so neugierig. Und sie kennt keine Angst. Und Ulf? Nun, ich habe eigentlich gar keine Lust, mich diesem Rotzlöffel anzulegen.“
„Ich werde ihn kräftig mit anpacken lassen, vielleicht treibt das seine dummen Gedanken aus seinem Kopf,“ meinte Zandorra und rieb sich die Arme.
„Komm, Sascha, gehen wir schlafen. Mir ist kalt und du frierst doch auch, wie ich sehe. Morgen sieht dann alles ganz anders aus, wenn es endlich hell ist und sich der Nebel verzogen hat.“ Milo humpelte zur Tür. „Wo hast du deine Schlafstelle eingerichtet? Ich bin bei Tankred, Balko und Zita, willst du zu uns kommen?“
„Ja, kann ich,“ nickte Zandorra. „Ich hole meine Decke.“
Kurz darauf kuschelte sich Milo in seinen Schlafsack. Zandorra wickelte sich in die Decke und lehnte sich an das Rad des Wagens, streckte die Beine zum Feuer, in das er einige Holzbalken geworfen hatte.
„Wo ist dein Schlafsack? Hast du keinen?“ fragte Milo.
„Doch, aber Neal brauchte ihn dringender. Er hat sehr viel Blut verloren,“ antwortete Zandorra und gähnte.
„Du wirst morgen bestimmt ein halber Eiszapfen sein,“ murmelte Milo verschlafen. Zandorra schwieg dazu. Es dauerte lange, bis er einschlafen konnte, seine Gedanken kreisten um Murango und die nasse Kälte hielt ihn zudem wach.


Kalter Nebel

Noch bevor es richtig hell war, erwachte Zandorra. Er zitterte vor Kälte, seine Kleidung und die Decke waren naß vom Nebel und Morgentau. Das Feuer war heruntergebrannt. Zandorra stand mit steifen Gliedern auf und reckte sich. Dann kletterte er leise auf den Wagen und suchte nach seiner Tasche, in der seine Kleidungssachen waren. Das nasse Hemd klebte eiskalt an ihm und er zog es ungeduldig aus. Die Tasche fand er trotzdem nicht. So stieg er vom Wagen und ging zum nächsten. Auch hier kletterte er hoch und suchte weiter. Aber von über hundert Taschen eine herauszusuchen und das auch noch in der zwielichten Morgendämmerung schien unmöglich. Frustriert seufzte er auf.
„Guten Morgen, Sir,“ ertönte plötzlich eine Stimme neben dem Wagen. Zandorra war so in Gedanken, dass er erschrak und fast vom Wagen gefallen wäre. Er konnte sich gerade noch festhalten. Dann hörte er Zita kichern.
„Ich wollte Euch nicht erschrecken, Sir,“ prustete sie, „tut mir leid.“
„Schon gut, hör auf zu lachen,“ knurrte Zandorra. Er schlang die Arme um seinen nackten Oberkörper und setzte sich auf ein paar Taschen.
„Es ist kalt hier,“ stellte Zita fest.
„Was du nicht sagst,“ brummte Zandorra schlecht gelaunt.
„Ich mach Feuer, dann könnt Ihr Euch aufwärmen. Soll ich auch Kaffee kochen?“
„Kannst du Kaffee kochen?“ fragte Zandorra erstaunt.
„Naja, ich hab es noch nie probiert, ich trinke ja keinen Kaffee,“ gab Zita zu. „Aber irgendwann ist immer das erste Mal, nicht?“ Zandorra musste lachen.
„Also gut, versuche du dein Glück mit Kaffee, ich versuche mein Glück weiterhin, trockene Kleidung zu finden. Du hast ja so recht, es ist sehr kalt und ich fühle mich wie ein Eiszapfen, wie Milo vorausgesagt hatte.“ Zita kicherte wieder und lief zur Feuerstelle. Feuer anzumachen war für sie gar kein Problem, das konnte sie schon als ganz kleines Mädchen. Wasser aufsetzen war auch nicht schwer. Aber bevor sie Kaffee machen konnte, wachte Ingo auf und schälte sich aus seinem Schlafsack. Er reckte sich, gähnte und blickte dann auf das Zirkusmädchen, das die Dose mit den Kaffeebohnen in der Hand hielt und nachdenklich anschaute.
„Hallo, Zita,“ brummte der Bärtige, „was hast du denn vor?“
„Ich will Kaffee machen für Sascha Zandorra. Er ist durchgefroren und braucht was Warmes,“ erklärte Zita ernsthaft. „Aber ich habe noch nie Kaffee gemacht und....könnt Ihr mir helfen? Wie wird aus diesen komischen Bohnen denn eine braune Brühe?“
Ingo lachte leise, stand auf und nahm Zita die Dose aus der Hand.
„Die muss man mahlen, dann kann man das Pulver mit kochenden Wasser überbrühen“ erklärte er. „Ich zeig dir, wie, paß auf.“ Er holte sich die Kaffeemühle, die in einer Truhe neben dem Wagen lag, schüttete Kaffeebohnen hinein und drehte an der Mühle. Zita schaute fasziniert zu. Und sie war völlig begeistert, als Ingo dann die kleine Schublade herauszog, indem sich nun das Pulver befand.
„Hallo, Ingo, wenn du deine Lernstunde beendet hast, kannst du mir vielleicht ein Hemd von dir leihen?“ fragte Zandorra leicht entnervt vom Wagen herunter. „Ich finde meine verdammte Tasche nicht und mir ist so kalt, dass ich vor lauter Zittern mich kaum noch bewegen kann.“
Ingo schaute auf und runzelte die Stirn.
„Mir wäre auch kalt, wenn ich halbnackt in dem Nebel herumturnen würde,“ brummte er. „Warum hast du dich ausgezogen? Ist doch klar, dass du frierst.“
„Mein Hemd war eiskalt und naß, dann besser ohne. Was ist, kann ich ein Hemd und eine Hose von dir bekommen?“
Ingo gab die Kaffeemaschine an Zita weiter und griff nach seiner Tasche, die er am Abend vorher neben sich gestellt hatte. Er kramte ein Flanellhemd und eine dunkelgrüne Baumwollhose hervor und reichte sie Zandorra.
„Wird dir wahrscheinlich nicht so gut passen, dürfte wohl ein wenig zu groß sein,“ grinste er. Zandorra schauderte und meinte nur:
„Ist mir egal, aber es ist trocken und warm. Danke, Ingo.“
Er schlüpfte in das Hemd und ging mit der Hose hinter den Wagen. Ingo grinste und zeigte Zita, wie sie das Kaffeepulver nun überbrühen musste.
Kurz darauf erschien Zandorra wieder. Die Hose musste er mit einer Hand festhalten, sie war ihm viel zu weit, das Hemd schlotterte ebenfalls um ihn herum. Er stellte sich dicht ans Feuer und ignorierte das Kichern von Zita und Ingo. Finster blickte er in die Flammen.
„Hier, ich habe auch noch eine Schärpe, binde sie dir um die Hose, sonst verlierst du sie noch,“ grinste Ingo und reichte sie ihm. Wortlos nahm Zandorra die Schärpe. Es war ihm sehr peinlich, dass ausgerechnet Zita dies alles mitbekam, doch er beschloß, gar nicht weiter darauf einzugehen. Er stopfte das Hemd in die Hose und nahm dankend eine Tasse heißen Kaffees entgegen, die Zita ihm, frech grinsend, reichte. Er trank ein paar Schlucke des heißen Gebräus und legte seine eiskalten Hände um die Tasse.
Rolf erschien in Begleitung von Olli, Hannes, Milo und Tankred. Sie blickten erstaunt auf den Rebellenführer.
„Wie siehst du denn aus?“ fragte Rolf verblüfft. „Bist du über Nacht eingegangen oder ist dir deine Kleidung zu groß geworden?“
Zita prustete los. Zandorra warf ihr einen wütenden Blick zu.
„Er trägt meine Sachen,“ verkündete Ingo lachend. „Steht ihm nicht so gut wie mir, nicht wahr?“
„Warum? Hast du nichts dabei?“ fragte Olli nun.
Zandorra schwieg und trank langsam seinen heißen Kaffee.
„Er findet seine Tasche nicht!“ krähte Zita vergnügt. „Ingo musste aushelfen, da seine eigenen Klamotten ganz naß waren!“
„Ich habe dir ja gesagt, dass du ein Eiszapfen sein wirst,“ grinste Milo.
„Ich finde, er sieht doch recht gut aus in Ingo´s Kleidern, oder nicht?“ spottete Olli. „er kann zumindest noch reinwachsen!“
„Paß nur auf, dass du die Schärpe nicht verlierst, sonst stehst du plötzlich ohne Hose da!“ warnte Hannes mit einem breiten Grinsen.
„Ich glaube, ihr habt genug gelästert,“ murmelte Zandorra verlegen. „Ich finde das nicht sonderlich komisch. Wenn ihr euch ausgelacht habe, können wir dann wieder vernünftig reden?“ fragte er dann ungeduldig, während die sechs Männer und Zita weiterhin lachten und spotteten.
„Amüsiert euch nur weiter auf meine Kosten, ich gehe dann solange zu Daniela,“ rief Zandorra ärgerlich und wollte los, doch Ingo hielt ihn am Arm fest.
„Schon gut, tut mir leid, sei nicht so empfindlich,“ grinste er. „Bleib hier, erzähl uns, was du heute so vorhast. Setz dich hin, hier, auf die Truhe, und wärm dich erst mal richtig auf. Wir machen Frühstück und dann sprechen wir darüber, was wir machen.“
„Das mit dem Frühstück ist so ein Problem,“ murmelte Tankred. „Wir haben fast nichts mehr zu essen.“
Zandorra, der sich tatsächlich auf die Truhe gesetzt hatte, goß sich nun noch einen Kaffee ein. Milo setzte sich neben ihn und streckte sein verletztes Bein von sich. Tankred reichte auch ihm eine Tasse Kaffee.
„Ich zeige euch, sobald sich der Nebel verzogen hat, den Moorpfad. Ihr müsst ihn euch gut merken, es gibt Orientierungspunkte, auf die man achten kann,“ sagte Zandorra nun und starrte ins Feuer. „Dann werde ich zwei Männer, am besten Fredo und Karl, zum Krankenhaus schicken, sie sollen den Fürsten holen. Neal geht es gar nicht gut....“
„Na, der wird sich freuen, wenn er schon wieder kommen darf,“ brummte Hannes. „Er ist doch erst vorgestern wieder zurück ins Krankenhaus gekommen.“
„Wir haben keine andere Wahl, Hannes,“ meinte Zandorra und blickte ihn an. „Wir können Neal nicht ins Krankenhaus bringen. Er wird den Transport nicht überstehen und es wäre auch zu gefährlich.“
„Was ist mit jetzt mit dem Essen?“ fragte Tankred. „Ich kann doch auf die Jagd gehen, Milo fällt ja leider aus, ich werde Branko mitnehmen und Pepe.“
„Ja, aber seid vorsichtig,“ stimmte Zandorra zu. „Ingo, du bist der Bauherr und leitest hier die Hüttenbauten. Wir brauchen zuerst zwei große Hütten, damit niemand in der nächsten Nacht mehr draußen schlafen muss....“
„Du sprichst aus Erfahrung, nicht wahr? War doch recht kalt ohne Schlafsack?“ neckte Milo ihn.
„Ach, du hast gar keinen Schlafsack gehabt?“ fragte Ingo erstaunt. „Dann wundert es mich nicht, dass du so durchgefroren bist. Wo ist dein Schlafsack denn? Hast du ihn in den Blauen Bergen vergessen?“
„Er hat ihn Neal gegeben, der brauchte ihn dringender, weil er so viel Blut verloren hatte“ erklang die Stimme von Daniela, bevor Zandorra antworten konnte. Die junge Frau kam heran und streckte die Hände zum Feuer.
„Die Verletzten haben recht ruhig geschlafen, aber Neal und Mirko waren gegen Morgen sehr unruhig,“ teilte sie Zandorra nun mit. „Schickst du nach dem Arzt?“
„Ja, ich werde mit Fredo und Karl gleich losgehen.“ Zandorra stand auf. „Rolf, du und Olli, ihr könnt nach Urntal reiten und dort einige Lebensmittel einkaufen. Das ist nicht so weit wie Janten, dann dürftet ihr gegen Abend wieder da sein. Ich habe noch etwas Geld in meiner Tasche....“
„die du aber erst mal finden musst,“ beendete Rolf grinsend. „Laß sein, ich habe auch noch einiges an Geld, ich zahle heute.“
„Haben noch mehr Kaffee gekocht?“ fragte Ingo nun.
„Ja, ich habe die Verletzten schon versorgt.“ Daniela schaute zu Milo. „Dich wollte ich auch noch frisch verbinden, aber du bist einfach verschwunden. Komm mit, damit ich dich verarzten kann, Milo.“
Der Zirkusartist stand auf und langte nach seinen Krücken. Er humpelte hinter Daniela her.
„Ich geh mal Fredo und Karl suchen,“ verkündete nun Zandorra. „Wartet hier, wir reiten dann alle zusammen über den Pfad.“ Er verschwand im Nebel.
„Ich gehe mit euch auf die Jagd, Tankred,“ verkündete Zita nun fröhlich.
„Nein, das wirst du nicht tun,“ widersprach Ingo sofort.
„Und warum? Ich habe schon oft gejagt,“ trotzte Zita.
„Laß es Sascha entscheiden, ich jedoch wäre dagegen,“ sagte Ingo.
„Wenn der es entscheidet, darf ich eh nicht mit,“ brummte Zita, sprang auf und lief in den dichten Nebel hinein.
Zandorra erschien wieder und mit ihm Karl und Fredo.
„So, holt eure Pferde, wir treffen uns am Gatter. Ihr folgt mir, ich werde euch an den bestimmten Stellen die Orientierungspunkte zeigen auf die ihr unbedingt achten müsst. Führt die Pferde, das ist sicherer. Später, wenn ihr den Pfad richtig gut kennt, könnt ihr reiten.“
„Ich fang mit den Männern schon mal den Hüttenbau an, sonst werden wir nicht mal mit einer Hütte fertig bis heute abend,“ verkündete Ingo. „Rolf kann mir den Pfad später zeigen.“
„Okay, tu das,“ stimmte Zandorra zu. „Und ihr anderen kommt jetzt mit mir.“


Zita ist verschwunden

Es dauerte bis zum Mittag, bis Rolf, Hannes, Olli und Tankred den Pfad soweit kannten, dass sie zwar langsam, aber sicher über das Moor gehen konnten.
„Gut, ich werde jetzt Branko und Pepe holen, wir gehen jagen, damit wir bald wieder etwas zu essen bekommen können.“ Tankred lief davon. Die Nebel waren verschwunden, ein blauer Himmel und eine blasse Sonne wärmten den Tag. Rolf und Olli machten sich auf, nach Urntal zum Einkaufen zu reiten. Bis zum Abend wollten sie wieder da sein. Karl und Fredo mit dem Arzt, der ja in Janten geholt werden musste, wurden erst am nächsten Tag erwartet.
Zandorra und Hannes gingen zu Ingo.
„Na, wie schaut´s aus?“ fragte Zandorra und schaute sich um. Sämtliche Rebellen waren eifrig dabei zu sägen, hämmern und auszumessen. Eine große Hütte, in die gut und gerne dreißig bis vierzig Menschen hinein passen würden, war schon fast fertig. Der Boden war mit Holzdielen grob ausgelegt, auf dem Dach standen einige Rebellen und deckten es mit Holzlatten und Ried. Selbst die Frauen halfen mit. Eine große Gruppe Jugendlicher, unter ihnen Ulf Handel und seine Freunde, befanden sich auf dem Dach und halfen beim Abdecken. Zandorra sah sämtliche Zirkusleute, die inzwischen mit der zweiten Hütte angefangen hatten. Ingo wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hatte sein Hemd ausgezogen, wie die meisten Männer, und sein haariger Körper glänzte. Er reckte sich und lächelte Zandorra und Hannes entgegen.
„Na, kennen sie jetzt den Pfad?“ fragte er. „Ihr habt lange gebraucht.“
„Es ist nicht so einfach,“ sagte Zandorra. „So, wo können wir helfen?“
„Hier sind wir fast fertig, geht rüber zu den Zirkusleuten, die brauchen noch jede Hand.“
Die beiden Männer gingen zum zweiten Bau und wurden auch sofort eingespannt. Die Arbeiten gingen gut voran. Nach einiger Zeit zog auch Hannes sein Hemd aus.
„Willst du deines nicht auch ausziehen?“ fragte er Zandorra.
„Nein, ich verliere sonst die Hose,“ flüsterte Zandorra ihm zu. „Sie ist viel zu weit, ich habe gar nicht gemerkt, dass Ingo so viel dicker ist als ich.“
Hannes lachte und gab ihm einen Stoß.
Sie arbeiteten weiter, bis die Dämmerung einsetzte. Tankred, Balko und Pepe waren bereits erfolgreich von der Jagd zurückgekehrt und fast fertig mit dem Abendessen. Sie hatten Kessel aufgestellt und ihre Beute gekocht und gegart. Balko hatte Wurzeln und Kräuter gesucht, Pepe bereitete aus verschiedenen Obstsorten einen leckeren Nachtisch. Sie merkten alle, wie hungrig sie waren, aber da sie durchgearbeitet hatten, konnte diese Nacht jeder in den Hütten schlafen. Sie waren trocken und geschützt, zwar noch keine Schönheiten, doch zum Schlafen für alle reichten sie erst mal aus.
Verschwitzt, erschöpft und hungrig setzten sie sich alle um die Feuer herum. Der übliche Moornebel wallte auf.
„Hoffentlich kommen Rolf und Olli bald, wenn der Nebel zu dicht wird, können sie nicht mehr auf die Insel kommen,“ murmelte Zandorra unruhig.
„Was sollen sie dann tun?“ fragte Ingo nervös.
„Ich hoffe, dass sie sich bemerkbar machen und gehe sie dann holen,“ antwortete Zandorra. „Haben wir eigentlich Fackelhalter an den Hüttenwänden angebracht? Es wird sonst stockdunkel sein dort drinnen.“
„Ja, natürlich,“ nickte Ingo. „Und Fackeln haben wir auch eine ganze Menge angefertigt.“
Nach dem Essen saßen sie noch einige Zeit zusammen, dann verschwanden die meisten Rebellen in den Hütten. Sie waren müde und ausgelaugt.
Zandorra, Ingo, Milo, Tankred, René, Balko, Pepe und, natürlich, Zita blieben am Feuer sitzen. Am Feuer nebenan saßen Ulf und seine Freunde. Immer wieder zeigten sie zu den Männern hinüber und kicherten. Doch die kümmerten sich nicht weiter darum. Es war bereits ganz dunkel und der Nebel wieder so dicht, wie in der Nacht vorher, als Balko als erstes einen Lichtschein entdeckte.
„Dort!“ rief er und sprang auf. „Schaut, seht ihr es? Sicher sind das Rolf und Olli! Sie können nicht mehr rüber kommen!“
Zandorra stand auf. „Ich geh sie holen, ich kenne den Pfad auch im Dunkeln.“
„Paß bloß auf, Sascha!“ warnte Ingo unruhig.
Zandorra sagte nichts, schnappte sich eine Fackel und ging los. Angestrengt beobachteten die Männer, wie er langsam und vorsichtig auf dem Pfad entlang ging. Keiner achtete auf das Zirkusmädchen, das leise und vorsichtig, unsichtbar im Dunkeln und im Nebel, Zandorra folgte. Ulf und seine Freunde grölten und lachten über irgendwelche Witze. Es dauerte lange, die Fackel Zandorra´s war kaum noch zu erkennen, bis er offenbar das andere Ufer erreicht hatte.
„Erste Etappe geschafft,“ atmete Ingo erleichtert auf. „Jetzt weiss ich, dass er den Pfad wirklich kennt, jetzt bin ich beruhigt.“
„Was hättest du denn tun können, wenn er daneben getreten wäre?“ fragte Olli erstaunt. „Es hätte ihm niemand helfen können.“
„Nun, noch sind sie nicht hier,“ brummte René. „Jetzt kommt der Rückweg und der ist schwerer, weil Sascha sich auch um Rolf und Olli kümmern muss.“
„Jetzt hast du mir die ganze Euphorie genommen,“ klagte Ingo. „Jetzt werde ich wieder unruhig.“
„Unruhig wie Zita,“ bemerkte Tankred mit einem Grinsen und schaute neben sich, wo eigentlich Zita sitzen müsste. „Nanu, wo ist sie denn hin?“
„Vielleicht ist sie auch schon schlafen gegangen, sie hat auch fleißig mitgearbeitet,“ meinte Ingo.
„Da kennst du Zita aber schlecht, die wird nicht so schnell müde,“ sagte Tankred. „Ich fürchte, ich weiss, wo sie steckt,“ murmelte René Feselmann, „aber ich hoffe, dass ich mich irre.“
„Du denkst, sie ist.... Sascha gefolgt?“ fragte Ingo ungläubig.
„Wie gesagt, ich hoffe, dass ich mich irre,“ brummte der Zirkusdirektor.
Sie warteten angespannt. Inzwischen war es wieder kalt geworden und der Nebel dick und klebrig. Sie hängten sich die Decken um die Schultern und warfen noch ein paar Scheite auf das Feuer.
„Der Nebel ist eklig,“ beschwerte sich Milo. „Und man kann weder Mond noch Sterne sehen.“
„Schaut, jetzt haben sie es bald geschafft,“ Pepe stand auf, nahm eine Fackel und ging zum Gatter. Die anderen folgten ihm. Es dauerte nicht mehr sehr lange, da konnten sie Zandorra, Rolf und Olli schemenhaft erkennen, die die Pferde führten. Jeder von ihnen hielt eine Fackel in der anderen Hand.
Und endlich erreichten sie den festen Boden.
„Warum seid ihr so spät, Rolf?“ fragte Ingo.
„Wir mussten uns zweimal vor Soldaten verstecken,“ erklärte der. „Jetzt lasst uns die Lebensmittel verstauen, die Feuchtigkeit des Nebels tut ihnen nicht gut.“
„Ja, aber wohin?“ fragte Ingo.
„In die zweite verfallene Hütte,“ schlug Zandorra vor. „Dort hängen wir sie auf. Die Hütte ist für die Lebensmittel gebaut worden und hat extra Vorrichtungen dafür. Allerdings auch verfallen und alt, aber besser als nichts, oder?“
„Okay, bringen wir sie dort hin,“ nickte Rolf und führte sein vollgepacktes Pferd zur verfallenen, kleinen Hütte. Es hingen tatsächlich Haken von der Decke, die allerdings nicht allzu vertrauenserweckend aussah. Es hingen auch Netze an den Wänden, zwar löchrig, aber stabil.
Die Rebellen luden die Lebensmittel in die Netze und hängten die größeren Säcke an die Haken, damit keine Tiere rankamen.
„Habt ihr schon etwas gegessen, Rolf?“ fragte Ingo.
„Ja, wir haben uns was gekauft,“ antwortete der Rebell. „Wie weit seid ihr mit den Hütten gekommen?“
„Wir können heute nacht alle in ihnen schlafen,“ teilte Balko mit.
„Fein, das wird bequemer, als draußen im Nebel und auf dem feuchten Boden.“ Sie brachten die Pferde fort, gaben ihnen Wasser und Heu und gingen dann zum Feuer zurück. Am anderen Feuer saßen immer noch Ulf und seine Freunde.
Zandorra blieb bei ihnen stehen.
„Was ist los? Dürfen wir keinen Spaß mehr haben?“ fragte Ulf frech.
„Gewöhn dir einen anderen Ton an, wenn du mit mir sprichst, Ulf Handel,“ sagte Zandorra mit leiser Schärfe in der Stimme.
„Sonst?“ fragte Ulf und stand vorsichtshalber auf.
„Sonst werde ich dir gegenüber etwas andere Seiten aufziehen. Seiten, die dir nicht so gefallen könnten.“
„Soll das eine Drohung sein, Sir?“ Ulf machte einen Schritt zurück.
„Keine Drohung, eine Warnung,“ stellte Zandorra richtig. „Und jetzt würde ich sagen, ihr geht in die Hütte und legt euch hin. Es ist spät und die nächsten Tage werden genauso anstrengend werden. Wir müssen viele Hütten bauen.“
„Meine Frage: Dürfen wir keinen Spaß mehr haben?“ Ulf´s Stimme klang herausfordernd.
„Ulf, ich glaube, was du unter Spaß verstehst, ist für andere kein Spaß. Jetzt reiz mich nicht weiter und geh schlafen. Du hast noch viel genug Zeit für deine Späße, sobald die Arbeiten erledigt sind.“
Ulf spuckte ins Feuer.
„Ich brauche keine eigene Hütte, ich bin mit der großen zufrieden, solange das Zirkuspack in der anderen Hütte schläft. Somit ist doch die Arbeit erledigt.“
Zandorra sagte gar nichts, starrte Ulf nur an. Er und Ulf standen sich gegenüber und starrten sich an. Ulf´s Blick flackerte, er wurde unruhig, schaute ins Feuer, zu den wartenden Männern hin, blickte zu seinen Freunden, die sich ganz zurückhielten und schließlich schweiften seine Augen wieder zurück zu Zandorra. Er schluckte schwer, senkte den Blick und ging dann mit hoch erhobenen Kopf an Zandorra vorbei.
„Das wird Euch noch leid tun, das alles,“ zischte er wütend, als er an ihm vorbei kam. Zandorra schaute ihm ruhig hinterher.
„Ihr geht jetzt besser auch schlafen,“ forderte er Todd, Taylor und Dirk auf, die erleichtert davonrannten.
„Gehen wir,“ Zandorra ging mit raschen Ritten zur zweiten großen Hütte. Rolf, Ingo, Milo, Tankred, Olli, Hannes und René wechselten ein paar Blicke miteinander. Schweigend folgten sie Zandorra.
„Holst du unsere Schlafsäcke, Rolf, ich glaube, wir schlafen heute in der Hütte Nr. 2,“ flüsterte Ingo. Rolf nickte und lief los.
Die Zirkusleute hatten ihre Schlafsäcke ohnehin dort und kurz darauf kam Rolf mit denen von Ingo, Olli, Hannes und seinem eigenen.
„Sascha, wo wirst du schlafen, ich meine, deine Decke ist noch feucht und du hast keinen Schlafsack,“ erkundigte sich Ingo.
„Ich finde schon einen Platz, der Boden ist ja zumindest trocken.“ Zandorra rieb sich über das Gesicht. „Was mach ich nur mit Ulf Handel?“ murmelte er mit müder Stimme. „Und wo ist Zita? Ich habe sie die ganze Zeit schon nicht mehr gesehen.“
„Zita!“ rief Tankred entsetzt aus. „Mein Gott, wir haben sie total vergessen!“
Zandorra blickte auf.
„Was ist mit Zita? Wo ist sie?“
„Wir vermuten,“ murmelte Ingo, „wie gesagt, wir vermuten es nur, dass sie dir gefolgt ist, als du Rolf und Olli abgeholt hast.“
Zandorra blieb stehen.
„Sag, dass das nicht wahr ist,“ flüsterte er ungläubig.
Die Männer schwiegen. Zandorra rannte zum Gatter zurück, die Rebellen folgten ihm. „Zita!“ rief Zandorra laut.
Er lauschte. Es war nichts weiter zu hören, als hin und wieder leises Blubbern aus dem Moor. Der Nebel verschluckte fast alle anderen Geräusche.
„Ich gehe den Pfad noch mal ab,“ sagte Zandorra. „Gib mir eine Fackel, Ingo.“
Schweigend reichte Ingo ihm eine brennende Fackel. Zandorra ging vorsichtig los.
„Sollten wir nicht erst schauen, ob sie nicht vielleicht doch schlafen gegangen ist?“ fragte Milo leise.
„Aber, Milo, du kennst doch Zita,“ wandte Tankred ein. „Sie wird nicht schlafen gehen, solange hier noch was los ist.“
Milo schwieg.
„Wenn Zita ihm wirklich gefolgt ist, dann lege ich sie höchstpersönlich übers Knie, sobald sie gesund und munter wieder hier ist,“ knurrte Ingo zornig.
Zandorra ging inzwischen langsam weiter, angestrengt starrte er auf den Boden vor sich. Irgenwann, er wusste nicht mehr, wie weit oder wie lange er unterwegs war, kam er an eine kleine, magere Baumgruppe vorbei, die im Moor standen.
„Pst, Gott sei Dank, dass Ihr hier seid, Sir,“ flüsterte plötzlich eine heisere Stimme neben ihm. Zandorra hob die Fackel und der zuckende Schein traf auf Zita, die am Stamm stand und sich an den Baum klammerte. „Ich dachte schon, ich muss hier die ganze Nacht bleiben.“
„Wir reden später darüber,“ knurrte Zandorra . „Jetzt sehen wir zu, dass wir zurück kommen. Nimm meine Hand.“ Er streckte ihr die Hand hin. Zita ergriff sie und der Rebellenführer zog sie vorsichtig zu sich.
„Bist du verletzt?“ fragte er, als er merkte, dass das Mädchen zusammen gezuckt war. Zita schluchzte trocken.
„Ich bin gestürzt, nicht weiter schlimm, Sir, nur eine kleine Platzwunde an der Stirn,“ murmelte sie.
Zandorra schwieg und ging vorsichtig mit ihr im Schlepptau zurück.
Nach einiger Zeit merkte er, wie Zita schwankte und blieb stehen.
„Was ist los?“ fragte er sofort. Das Mädchen stöhnte kurz auf und sackte zusammen. Er fing sie gerade noch auf, bevor sie zu Boden fiel.
Zandorra hob das Mädchen hoch, was nicht ganz einfach war, da er die Fackel in der Hand halten musste. Mühsam kämpfte er sich vorwärts, die bewusstlose Zita auf den Armen und krampfhaft die Fackel haltend.
Endlich erreichte er den festen Boden. Tankred nahm ihm sofort das bewusstlose Mädchen ab, Zandorra fiel die Fackel aus der kraftlosen Hand. Er taumelte und Ingo griff nach seinem Arm.
„Wo war sie?“ fragte René besorgt. „Was ist mit ihr?“
„Gehen wir noch mal ans Feuer,“ schlug Zandorra heiser vor.
Sie ließen sich wieder am Feuer nieder, Olli legte ein paar Scheite auf. Tankred ließ Zita vorsichtig auf den Boden gleiten.
„Ich hole Daniela,“ schlug er vor. Zandorra nickte nur.
Kurz darauf kam Daniela, noch etwas verschlafen, ans Feuer. Sie trug eine Tasche in der Hand.
„Tankred, kannst du sie ins Trockene bringen? In die zweite Hütte, dort sind nicht so viele. Du kannst mir dann leuchten, während ich sie untersuche.“
Tankred nickte und nahm Zita wieder hoch.
„Wo hast du sie gefunden?“ fragte Ingo noch mal.
„Bei den drei Krüppeleichen mitten im Moor,“ Zandorra rieb sich die Augen. „Sie hat mich angesprochen, ich hätte sie sonst nicht gefunden. Sie konnte auch eine ganze Weile mitgehen, sie sagte, sie wäre gestürzt. Ich glaube nicht, dass sie schwer verletzt ist, wahrscheinlich nur eine kleine Platzwunde, aber ich denke, sie ist völlig erschöpft.“ Zandorra streckte die Beine ans Feuer. „Warum machen diese Jugendlichen ständig Schwierigkeiten? Haben wir nicht genug Ärger mit den Soldaten und dem König?“
Keiner antwortete ihm. Schließlich räusperte sich Ingo.
„Ich glaube, du bist auch völlig erschöpft. Gehen wir schlafen, du kannst meinen Schlafsack haben.“
„Danke, Ingo, ich habe schon deine Kleidung, jetzt noch deinen Schlafsack, das ist etwas viel.“ Zandorra lächelte müde.
„Es ist mein Ernst, Sascha.“ Sie standen auf und gingen zur Hütte. Ingo drückte seinen Schlafsack dem Rebellenführer in die Arme.
„Hier, kriech jetzt rein und schlaf endlich mal. Du siehst so fertig aus, dass man bei deinem Anblick schon müde wird,“ brummte er dazu.
Zandorra war viel zu erschöpft, um zu diskutieren und nahm den Schlafsack dankend an. Ingo wickelte sich in seine Decke und lehnte sich an die Hüttenwand. Es dauerte nicht lange, da schliefen sie tief und fest.


Die verschwundene Tasche

Am nächsten Morgen verschliefen erst einmal sämtlich Rebellen. In den Hütten war es dämmrig, die Fackeln niedergebrannt und da die Sonne im Moor meistens erst gegen Mittag sich gegen den Nebel durchgekämpft hatte, blieb es auch lange dämmrig. Die harte Arbeit des Hüttenbaues machte sich bemerkbar und es war bereits später Vormittag, als die Rebellen aus den Hütten kamen. Einige machten sich sofort daran, Feuer zu entfachen und aus den mitgebrachten Lebensmitteln, die Tankred und Olli aussuchten, ein Frühstück zu bereiten. Zandorra war schlecht gelaunt, einerseits weil es schon so spät war, einerseits noch wegen Zita und Ulf. Auch nach dem Frühstück besserte sich seine Laune nicht sehr und so gingen die meisten Rebellen ihm aus dem Weg. Sie machten sich ohnehin wieder daran, Hütten zu bauen, einfache Holzhütten, die auf festen, trockenen Böden standen, die sie aus Holzbrettern, Lehm und Sand auslegten. Die Wände waren einfache Holzstämme, die in Querstreben ineinander gefasst wurden und somit sehr stabil wurden. Die Dächer bekamen lange, flache Holzbretter, auf denen sie langes Schilf und Ried befestigten. Zuletzt bekam jedes Dach noch einen dicken Lehmanstrich, vermischt mit einer Art Teer, die im Moor vorkam. Das dichtete die Dächer ab. Die Fenster in den Hütten blieben frei, hier konnte man später Decken davor hängen. Sobald eine Hütte grob fertig gebaut war, überließ man die Feinarbeiten den Tischlern und Handwerkern unter den Rebellen, der Rest begann sofort mit dem Bau der nächsten Hütte. Am Spätnachmittag rief plötzlich Janis, der auf dem Dach einer der Hütten stand:
„Ich sehe Reiter am anderen Ufer! Sie geben ein Zeichen mit einer Fackel! Ich glaube, das sind Fredo und Karl mit dem Arzt!“
Zandorra, der gerade dabei war, mit Tankred und Ingo einen Querstreben auf einen anderen zu legen, blickte hinüber. Da das Moor so eben war, konnte er weit entfernt drei Reiter erkennen, die mit einer Fackel wedelten.
„Ich gehe sie holen,“ sagte er. Sie befestigten den Balken, dann machte sich Zandorra auf, holte seinen Schimmel und trabte zum Moorpfad.
„Mir wird ganz schlecht, wenn ich sehe, wie schnell er den gefährlichen Pfad entlang reitet,“ murmelte Ingo.
„Schau am besten weg,“ schlug Tankred vor. „Sascha kennt den Weg genau und bei Tag ist er auch nicht so schwer zu begehen.“
„Sascha hat heute eine furchtbar schlechte Laune, meint ihr nicht auch?“ meinte Rolf nun. „Man wagt es gar nicht, ihn anzusprechen.“
„Naja, einerseits verständlich,“ fand Ingo, „überleg mal, gestern erst die Sache mit Ulf, das ist ein richtiger Nervenkrieg, den Sascha zwar noch haushoch gewinnt, der ihn aber ganz schön mitnimmt und dann die Sache mit Zita. Der Schreck ist uns allen in die Glieder gefahren. Was wäre, wenn sie ins Moor geraten wäre? Sascha fühlt sich verantwortlich für alle, das hätte er sich nie verziehen. Und Neal, der um sein Leben kämpft, und nicht zu vergessen die vorletzte Nacht, in der er vor Kälte kaum schlafen konnte. Dann die Sache mit seinen Kleidern, er nimmt so was sehr persönlich.“ Er schwieg nachdenklich.
„Auf, machen wir weiter,“ schlug Rolf vor. „Tankred, du kannst wieder etwas zu essen kochen. Euer Menue gestern war excellent!“
Tankred lachte.
„Ich hole wieder Balko und Pepe dazu, wir haben Übung darin, für so viele zu kochen, dann können die Frauen auch eine Kochpause einlegen und weiter bauen.“ Er lief davon.
„Wie geht es übrigens Zita?“ fragte Ingo.
„Nun, mit dem übers Knie legen würde ich an deiner Stelle noch warten,“ meinte Rolf. „Daniela sagt, sie hätte eine leichte Gehirnerschütterung. Sie ist anscheinend unglücklich über eine Wurzel gestolpert und auf irgendwas hartem aufgeprallt. Aber in ein, zwei Tagen ist sie wieder fit, sofern sie heute Ruhe hält.“

Zandorra hatte endlich die drei Reiter erreicht.
„Hallo, Fürst, danke, dass Ihr schon wieder gekommen seid!“ grüßte er den Arzt und gab ihm die Hand.
„Ihr habt es ja nicht lange ohne mich ausgehalten,“ grinste der. „Fredo und Karl haben mir schon von dem Angriff berichtet.“ Er wurde ernst. „Ihr hattet trotzdem Glück, dass nicht mehr Soldaten euch angegriffen haben. Es kommen immer mehr aus dem Norden nach Janten, es wimmelt regelrecht von Soldaten. Und die Nordischen sind ganz schön brutal.“
Er musterte Zandorra nachdenklich.
„Ihr seht verändert aus, habt Ihr so stark abgenommen oder habt Ihr die falsche Kleidung an, Sascha?“
Zandorra wandte sich verlegen ab.
„Ich kann meine Tasche nicht finden in dem Gewühle auf den Wagen und Ingo hat mir ausgeholfen. Meine Kleidung war durch den Nebel naß und kalt. Kommt, reiten wir zurück.“
„Reiten? Über den Moorpfad?“ fragte der Fürst ungläubig.
„Achso, ja,“ Zandorra sprang vom Pferd. „Ist okay, Fürst, wir führen die Pferde. Ich vergaß, dass weder Ihr noch Fredo und Karl den Pfad kennen. Bleibt einfach dicht hinter mir.“
Wieder ging er voraus, während die anderen ihm nacheinander folgten.
Nach geraumer Zeit erreichten sie endlich die feste Insel. Der Fürst atmete erleichtert auf.
„Solche Wege sind nichts für mich,“ stellte er fest.
„Ich führe Euch jetzt zu den Verletzten, danach würde ich gerne unter vier Augen mit Euch sprechen,“ sagte Zandorra. „Oder seid Ihr zu müde?“
„Nein, nein, das ist schon in Ordnung so,“ nickte der Fürst.
Während sie zur großen Hütte gingen, blickte sich der Fürst erstaunt um.
„Ihr habt ja schon eine Menge fertig gebracht in der kurzen Zeit,“ bemerkte er bewundernd. Er betrachtete die fertigen Hütten und beobachtete die fleißigen Rebellen. Dann betraten sie die große Hütte, in der an den Wänden Fackeln brannten und sie einigermaßen erhellten. Die Verletzten acht Männer lagen in ihren Schlafsäcken auf dem Boden. Daniela, Stella und Iris waren bei ihnen.
„Ich laß Euch jetzt hier und geh wieder zum Bau, Fürst, ruft einfach, wenn Ihr fertig seid.“ Zandorra ging ohne weitere Worte hinaus. Der Fürst schaute ihm erstaunt hinterher.
„Hallo, Doktor,“ Daniela kam auf ihn zu und lächelte. „Ihr müsst ihn heute entschuldigen, er ist nicht gut drauf.“
„Das hab ich schon gemerkt,“ nickte der Fürst. „Ich habe ihn selten so kurz angebunden erlebt.“
„Naja, er fühlt sich nicht wohl in den Kleidern von Ingo und dann der ganze Ärger mit Zita und Ulf und die Sorge um Neal und die anderen und, ach, das kann er Euch nachher alles erzählen. Kommt mit, wir gehen zuerst zu Neal, ihm geht es am schlechtesten.“
Der Fürst verschluckte seine Fragen und kniete sich neben den Schwerverletzten.
Zandorra war inzwischen wieder bei Ingo und Rolf angelangt. Er schwieg, während er sogleich wieder mit anpackte. Ingo und Rolf warfen sich einen Blick zu und schwiegen auch. Eine Weile arbeiteten sie weiter, bis die Dämmerung aufkam und mit ihr der ständige Nebel, somit auch die Feuchtigkeit und die Kälte. Einige Rebellen zündeten um den großen Platz Fackeln an, die sie in den Boden gesteckt hatten und ein paar Feuer wurden entfacht. Somit lag der Platz recht hell erleuchtet da. Tankred, Balko und Pepe hatten das Essen fertig und riefen nun zum Feierabend. Die Rebellen sammelten sich laut schwatzend um die Feuer, nachdem sie sich ihr Essen bei den drei Köchen abgeholt hatten.
Die meisten der Rebellen hängten sich am Abend ihre Decken über, denn der dichte Nebel ging durch und durch und die Decken gaben doch ein wenig Schutz. Ingo und Rolf saßen wieder mit Milo und Tankred, Olli, Hannes und Zandorra, Julchen und Tafny am Feuer.
„Hast du deine Tasche gefunden?“ fragte Tafny an den Rebellenführer gewandt.
„Nein, sie ist nicht da,“ brummte der kurz.
„Was? Wo soll sie denn sein?“ wunderte sich Tafny. „Jeder hat seine Truhe, seine Tasche oder seinen Beutel geholt, deine müsste doch übrig sein. Du hast sie doch nicht in den Blauen Bergen vergessen?“
„Nein, sie war auf dem Wagen.“ Zandorra stand auf. „Der Fürst kommt. Ich will mit ihm reden, wir sind hinten am Steg.“
Er ging dem Fürst entgegen, reichte ihm eine Decke und einen Teller und ging mit ihm an den Feuern und den Rebellen vorbei. Als sie an Ulf vorbei kamen, hörten sie provozierendes Kichern und hin und wieder eine gehässige Bemerkung über Zandorra´s Kleidung. Der Fürst blickte kurz in dessen Gesicht. Zandorra starrte stur geradeaus, seine Miene zeigte jedoch deutlich, dass er innerlich kochte.
„Mann, wenn Ulf doch endlich Ruhe halten würde,“ stöhnte Ingo. „Sascha ist heute absolut nicht in so toleranter Laune, dass er sich das lange gefallen lassen würde.“
„Ich möchte mal wissen, wo seine Tasche mit seinen ganzen Kleidungsstücken und Habseligkeiten ist,“ murmelte Tafny.
„Ja, das ist merkwürdig,“ stimmte Rolf ihr zu. „Ich weiss, dass er die Tasche auf den Wagen getan hatte, ich war selber dabei. Sie muss doch da sein.“
„Bevor wir morgen an die Arbeit gehen, suchen wir nach seinen Sachen,“ bestimmte Ingo. „Dass ihn das nervt, kann ich verstehen. Er sieht in meinen Kleidern irgendwie unterernährt und mickrig aus und ich glaube, er fühlt sich auch nicht sonderlich wohl so.“
„Vielleicht ist er auch deswegen heute so sauer,“ vermutete Julchen.


Sascha Zandorra´s schlechte Laune

Inzwischen hatten der Fürst und Zandorra das letzte Feuer hinter sich gelassen und kamen zum Steg. Zandorra wandte sich nach rechts. Da am Steg und weiterhin am Rande der Moorinsel Fackeln flackerten, konnte man recht gut sehen. Sie kamen an eine kleine, von Büschen verdeckte Stelle, an der sieben Baumstümpfe im Kreis herum standen, in der Mitte ein dicker, großer Stumpf und aussen herum verschieden hohe, verschieden dicke Stümpfe. Der Fürst staunte und schaute sich neugierig um.
„Das sieht ja richtig gemütlich aus, wie in einem Konferenzsaal,“ meinte er.
„Setzt Euch und hängt Euch die Decke um, es ist kalt und nass,“ sagte Zandorra und ließ sich auf einen der Stümpfe nieder. Der Fürst stellte seinen Teller auf den dicken Stumpf, wickelte sich in die Decke und ließ sich nieder. Er begann hungrig zu essen, blickte aber nach einigen Bissen zu Zandorra, der schweigend da saß und mit gerunzelter Stirn ins Dunkle starrte.
„Jetzt erzählt mal, Sascha, was ist inzwischen passiert? Wo sind Eure Kleider?“
Zandorra wandte den Blick zum Arzt.
„Das Thema Kleider lassen wir am besten weg, Fürst, ich reagiere inzwischen sehr allergisch darauf.“
„Gut, aber Ihr solltet Euch etwas anderes anziehen. Ihr kennt Ulf, wollt Ihr ihm einen Grund zum Lästern geben?“
Zandorra blickte noch finsterer.
„Ich habe auch gehört, wie sie mich verspottet haben, Fürst. Ich kann es momentan aber nicht ändern, meine Tasche mit all meinen Sachen ist verschwunden. Glaubt mir, mir ist diese ganze Sache auch zuwider, ich laufe sicher nicht gerne in Hosen herum, in die ich dreimal hereinpasse.“
„Paßt auf Ulf auf, er wird versuchen, Euch bloßzustellen. Wenn er Euch die Schärpe wegnimmt....“
„Ich weiss, Fürst!“ rief Zandorra und schlug mit der Faust auf den dicken Baumstumpf. Der Fürst schwieg. Zandorra sprang auf und lief wütend herum.
„Setzt Euch wieder hin, Sascha, reden wir über die Verletzten.“
Zandorra lehnte sich an den dicken Stumpf.
Er holte mehrmals tief Luft, um sich wieder zu beruhigen.
„Wie geht es Neal?“ fragte er dann.
„Er wird es überleben. Es hat ihn sehr schwer erwischt, aber ich denke, er ist über dem Berg. Ich würde ihn gerne ins Krankenhaus bringen, sobald er transportfähig ist, geht das?“
„Warum? Kann er hier nicht behandelt werden?“ fragte Zandorra kurz.
„Nein, er hat zuviel Blut verloren und es schwächt ihn sehr. Das verzögert die Gesundung und die Heilung. Außerdem ist das Krankenhaus steriler als hier. Sollte er hier eine Infektion bekommen, könnte er ein Bein verlieren oder an einer Blutvergiftung sterben,“ erklärte der Fürst mit betont ruhiger Stimme.
Zandorra schwieg nachdenklich. Er stieß sich vom Baumstumpf ab und begann wieder, hin und her zu laufen. Der Fürst schob seinen leeren Teller zurück und räusperte sich.
„Okay, Fürst, bringen wir ihn ins Krankenhaus,“ stimmte Zandorra zu und blieb vor dem Baumstumpf wieder stehen.
„Ihr wohl nicht, Sascha,“ meinte der Fürst, „Ihr bleibt schön hier. Ich habe doch gesagt, dass es in Janten von nordischen Soldaten nur so wimmelt. Und Euer Bild hängt überall, Ihr werdet gesucht!“
„Wie sieht es mit den anderen Verletzten aus?“ Zandorra ging gar nicht darauf ein. Er rieb sich die Oberarme.
„Wo habt Ihr Eure Decke, Sascha? Euch ist doch kalt und Ihr habt nur das leichte Hemd an.“
„Ich weiss nicht, wo sie ist,“ brummte Zandorra. „Heute früh haben Rolf und ich unsere Decken aufgehängt, wie alle hier, damit die Sonne sie trocknet. Und meine ist verschwunden.“ Er seufzte. „Wie geht es den anderen Verletzten?“
„Sie könnten hierbleiben. Milo und fünf der Männer sind fast wieder hergestellt. Daniela und ihre Freundinnen haben ganze Arbeit geleistet, besser hätte ich es auch nicht gekonnt. Bei Mirko sieht es noch etwas kritisch aus, wenn wir Neal ins Krankenhaus bringen, würde ich ihn gerne mitnehmen, aber zur Not könnte er auch hierbleiben. Aber nun zu Euch....“
„Fürst,“ unterbrach Zandorra ihn ungeduldig, „wie schlimm ist eine Gehirnerschütterung?“
„Warum?“ fragte der Fürst zurück.
Zandorra erzählte kurz von Zita.
„Ich kann mal nach ihr schauen, wenn Ihr wollt. Aber ich vertraue auch Daniela, wenn sie sagt, es ist nur eine leichte. Und Zita ist unglaublich zäh.“
„Oh ja, das weiß ich, Fürst, das ist mir nicht entgangen,“ nickte Zandorra und setzte sich auf den Stumpf. „Aber sie ist auch unglaublich ungehorsam. Dadurch bringt sie sich in große Schwierigkeiten. Sie hat uns einen riesigen Schreck eingejagt, im ersten Moment dachten wir, sie wäre im Moor versunken.“
Er sprang wieder auf und begann, herum zu laufen. „Ich weiß gar nicht, wie ich mit Zita und Ulf umgehen soll. Sie sind so grundverschieden und beide so anstrengend!“
„Es sind so viele Rebellen auf dieser Insel, warum müsst ausgerechnet Ihr Euch um alles kümmern?“ fragte der Fürst, stand ebenfalls auf und stellte sich Zandorra in den Weg.
„Weil....weil....ach, ich weiss auch nicht, es ist halt nun mal so. Ich bin so,“ Zandorra setzte sich wieder hin.
„Ich weiß, Sascha, und Ihr könnt nicht aus Eurer Haut raus. Ihr bürdet Euch die Probleme von allen auf, das könnt Ihr nicht auf Dauer aushalten.“
„Fürst, es geht hier nicht um mich. Ich habe verletzte Rebellen, zwei ungezogene Jugendliche und wir müssen noch eine Menge Hütten bauen, bis das Wetter umschlägt. Dann muss ich noch meine ganzen Habseligkeiten suchen. Ich habe nichts mehr, nichts!“ Zandorra sprang wieder auf.
„Mein Gott, Sascha, ein Gespräch mit Euch ist ermüdend. Könnt Ihr nicht mal sitzen bleiben?“ Der Fürst zog ihn wieder auf den Baumstumpf zurück.
„Mir ist kalt und da hilft Bewegung am besten, oder nicht?“ fauchte Zandorra.
„Ihr müsst mir gegenüber nicht so heftig reagieren, ich kann wohl nichts dazu.“ Zandorra setzte sich wieder, musterte den Arzt finster und nickte dann.
„Entschuldigt, Fürst,“ murmelte er. „Ich bin heute nicht so gut drauf. Ich bin Euch natürlich sehr dankbar für Eure Hilfe. Ich bin ... einfach genervt.“
„Laßt uns ans Feuer zurück gehen, dort könnt Ihr Euch wärmen,“ schlug der Fürst vor. Zandorra stand wieder auf und sie gingen zurück. Der Fürst zischte ihm leise zu: „Ignoriert Ulf und seine Freunde, so, wie vorhin. Kümmert Euch nicht darum, was sie lästern.“
Zandorra nickte nur kurz und ging mit steifen Schritten weiter. An der Feuerstelle, wo Ingo und Rolf saßen, ließen sie sich nieder.
Ingo musterte den Rebellenführer. Rolf stieß ihn an und schüttelte leicht den Kopf. Ingo verbiß sich seine Frage.
„Gibt es noch Decken? Sascha seine ist verschwunden,“ fragte der Fürst.
„Hast du sie nicht von der Leine genommen?“ fragte Rolf erstaunt. „Sie hing doch neben meiner Decke.“
„Nein, sie ist weg,“ murmelte Zandorra.
„Und seine ganzen Sachen auch,“ vollendete der Fürst.
Betretenes Schweigen. Dann räusperte sich Ingo.
„Sascha, das kann nicht sein. Wer soll denn deine Sachen und deine Decken nehmen? Und warum?“
Zandorra hob die Schultern und schwieg.
„Jeder soll ein Hemd oder eine Hose abgeben, der annähernd deine Figur hat, Sascha,...begann Tafny.
„Nein!“ Zandorra fuhr herum. „Die Sache ist mir peinlich genug, sie muss nicht auch noch weiter geführt werden! Ich will nicht, dass jemand von euch mit irgendeinem der anderen Rebellen spricht oder Kleidung leiht! Ich komme schon irgendwie klar!“
„Ja, mit meinen Kleidern, die dir nicht nur drei Nummern zu groß sind, sondern inzwischen auch äußerst schmutzig! Sascha, die Sache ist lächerlich, laß dir helfen! Du bist hier der Rebellenführer, alle wollen zu dir aufschauen, also....“
„Du meinst, ich bin lächerlich?“ fauchte Zandorra zornig. „Gut, dann bin ich es. Du kannst deine Klamotten morgen wieder kriegen, ich werde schon was anderes finden, ohne von den Rebellen Almosen zu bekommen1“
Er drehte sich um und lief mit großen Schritten davon, verschwand zwischen den Feuern.
„Ich gehe ihm nach,“ sagte der Fürst nach einigen Minuten betretenem Schweigen und stand auf.
„Ich komme mit.“ Auch Rolf erhob sich. Sie fanden den Rebellenführer am Gatter zum Moorweg. Er stand dort und starrte ins dunkle, im dichten Nebel liegende Moor.
Die beiden Männer stellten sich links und rechts neben Zandorra.
„Was soll das werden?“ brummte Zandorra nach einigen Minuten. „Eine Leibgarde? Damit ich nicht ins Moor springe?“
Wieder schwiegen sie.
„Ich werde morgen mit Neal und Euch, Fürst, nach Janten reiten und mir Kleider besorgen und Waschzeug und so. Ich weiß, Fürst, es sind viele Soldaten da, ich werde vorsichtig sein.“ Zandorra schlang die Arme um seinen Oberkörper.
„Morgen noch nicht, Neal braucht noch ein, zwei Tage, bis er transportiert werden kann,“ bemerkte der Fürst.
„Das ist alles so demütigend,“ flüsterte der Rebellenführer verzweifelt, „ich habe mir noch nie große Gedanken gemacht, was ich anziehe, doch jetzt habe ich überhaupt nichts mehr. Ich besitze nicht mehr als die Stiefel an den Füßen. Und mein ganzes Geld war auch in der Tasche, mir kommt diese ganze Situation vor wie ein Alptraum..“
„Irgendjemand sabotiert dich, wenn du mich fragst,“ meinte Rolf.
„Ja, aber derjenige weiss auch genau, wie er mich am besten treffen kann,“ sagte Zandorra und holte tief Luft. „Ich will nicht, dass das alles bekannt wird, habt ihr gehört, Fürst? Rolf? Das ist alles so beschämend, so furchtbar erniedrigend: der Rebellenführer Sascha Zandorra hat nichts zum Anziehen. Das klingt so lächerlich!“
„Was hälst du davon, wenn ich dich begleite?“ fragte Rolf nach einer Weile. „Ich meine, der Fürst braucht sicher Hilfe auf dem Weg ins Krankenhaus. Und du kannst von mir was zum Anziehen bekommen, es wird dir zwar auch nicht richtig passen, aber besser als Ingo´s Sachen. Dann fallen wir in Janten nicht ganz so auf. Wir können uns auch gleich wegen der Soldaten aus dem Norden umhören. Und du kaufst dir in Janten neue Kleider. Ingo leiht dir bestimmt ein wenig Geld und du kannst auch meinen Rest bekommen.“
Zandorra schwieg und starrte in den dichten Nebel. Dann räusperte er sich.
„Okay, gut Rolf, machen wir´s so. Es bleibt mir sowieso keine andere Wahl.“
„Nun, dann komm, ich gebe dir gleich einen Pulli und eine Hose, damit du morgen nicht mehr aussiehst wie eine Vogelscheuche.“ Zandorra warf ihm einen wütenden Blick zu. „Und du kannst auch meine Decke haben, ich habe ja den Schlafsack,“ fuhr Rolf fort und zog Zandorra am Ärmel.
„Paßt aber auf die Sachen auf,“ warnte der Fürst, „sobald der Saboteur merkt, dass Ihr neue Kleider habt, wird er sie Euch auch versuchen, weg zu nehmen. Ich glaube, er will Euch lächerlich machen und Euch demütigen. Könnt Ihr Euch nicht denken, wer das sein könnte?“
„Mir kommt nur Ulf in den Sinn, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er den Mut besitzt, meine Sachen zu klauen,“ murmelte Zandorra.
„An ihn habe ich auch schon gedacht, aber du hast recht, eigentlich ist er viel zu feige dazu,“ stimmte Rolf zu. „Jetzt komm, damit wir zurück zum Feuer kommen und du dich aufwärmen kannst. Du zitterst wie Espenlaub und uns ist auch nicht gerade warm, oder, Fürst?“
Der schüttelte den Kopf und sie gingen zu dritt zur zweiten großen Hütte. Hier kramte Rolf in seiner Tasche und brachte eine schwarze Hose und einen dunkelgrauen Strickpullover zum Vorschein.
„Ich nehme die Sachen, Sascha, und Ihr holt sie morgen früh bei mir ab. Bei mir klaut niemand etwas, aber Euer Saboteur wird Euch im Auge behalten,“ sagte der Fürst und nahm die Kleidung an sich. Zandorra nickte müde.
Sie gingen zurück zum Feuer, wo sich die anderen bemühten, nicht zu neugierig zu erscheinen. Rolf reichte Zandorra seine Decke und sie setzten sich dicht an die Flammen, die wunderbar wärmten. Ingo legte schweigend noch einige Scheite auf. Ein Gespräch kam nicht in Gang, keiner wusste so recht, was er sagen sollte. Schließlich stand Tafny auf.
„Ich gehe jetzt schlafen, es ist spät und wir haben, wie ihr wisst, anstrengende Tage vor uns, bis sämtliche Hütten stehen.“
„Wieviele Hütten müssen es denn sein?“ fragte der Fürst.
Ingo blickte zu Zandorra, aber als der schwieg, antwortete er selber:
„Naja, wir sind über 150 Rebellen. Wenn man berechnet, dass die Familien zusammenwohnen und der Rest auch in einer Art Wohngemeinschaft hausen können, dann schätze ich mal, so an die dreißig Hütten werden wir schon benötigen. Diese beiden großen sind ja erst mal nur eine Notlösung gewesen.“
„Wie viele Hütten sind schon fertig?“
„Fünf, die sechste ist im Bau,“ teilte Hannes jetzt mit. „Es wird jetzt nicht mehr so eng in den großen Häusern, da die ersten Familien in die Hütten umziehen können.“
„Wo schläft der Fürst, solange er hier ist?“ fragte Julchen. „Und du, Sascha?“
Zandorra räusperte sich.
„Ich werde die nächsten Nächte in der verfallenen Hütte bleiben. Dort gibt es eine Schlafecke. Ihr könnt auch dort mit schlafen, Fürst, wenn Ihr wollt. Immerhin seid Ihr es gar nicht gewöhnt, in so einem Gemeinschaftsraum zu übernachten.“
„Ja, danke, das ist mir wirklich lieber,“ stimmte der Arzt zu.
„Okay, dann ziehe ich mich jetzt auch zurück,“ meinte Julchen und stand auf.
„Ich sage Daniela Bescheid, wo Ihr zu finden seid, Doktor, falls was mit Neal oder einem der anderen ist.“
„Ja, danke und gute Nacht!“
Nach und nach zogen sich die Rebellen zurück. Am Feuer bei Ulf jedoch ertönte weiterhin leises Kichern und geflüsterte Gespräche.
Zandorra blickte finster hinüber, machte aber keinerlei Anstalten, hin zu gehen.
Ingo stand auf, legte ihm die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm zu:
„Laß sie einfach mal tun, was sie wollen. Wir werden sie morgen beim Bau hart rannehmen, dann werden sie merken, dass der Schlaf fehlt.“
Zandorra blickte kurz zu ihm auf und nickte.
„Ingo,“ begann er dann zögerlich, „es tut mir leid, ich wollte dich vorhin nicht so anfahren. Ich meine, ich wollte es schon, aber jetzt ...“
„Hör schon auf, du hast ja recht gehabt,“ brummte der Bärtige. „mir wäre diese ganze Kleidersache auch peinlich und ich kann schon verstehen, dass du empfindlich und wütend reagiert hast. Wenn jemand dich wirklich sabotieren will, dann weiss er genau, dass du über deinen Stolz getroffen werden kannst. Und dein Stolz verbietet dir, diese Sache verlauten zu lassen. Dein Saboteur will dich einfach lächerlich machen.“
„Was ihm ja auch gelingt,“ murmelte Zandorra.
„Nein, es wird ihm nicht gelingen,“ widersprach der Fürst und stand auf. „Kommt, wir gehen auch schlafen, morgen habt Ihr frische Kleidung und seid hoffentlich auch wieder etwas besser gelaunt.“


Pläne für Janten

Der nächste Tag begann relativ ruhig. Zandorra, der sich in Rolf´s Kleidern wesentlich wohler fühlte, als in Ingo´s übergroßen Sachen, war tatsächlich etwas besser gelaunt, wie am Vortag. Niemand verlor ein Wort darüber. Sie arbeiteten weiter an den Hütten. Der Fürst war bei den Verletzten.
Gegen Mittag erschien Zita. Sie sah recht blaß aus, ein breites Pflaster zierte ihre Stirn. Und sie wirkte recht kleinlaut.
Zandorra sprang vom Balken, auf dem er stand und Balko und Pepe auf dem Dach Bretter reichte, und ging zu dem Mädchen.
„Komm, ich glaube, wir müssen einmal ernsthaft miteinander reden,“ sagte er zu ihr, nahm sie am Arm und führte sie zur verfallenen Hütte, in der er und der Fürst übernachtet hatten. Zita duckte sich ein wenig und trottete mit.
„Setz dich,“ befahl Zandorra in der Hütte und zeigte auf die etwas morsche Bank.
Zita ließ sich am äußersten Rand nieder und schwieg.
„Was du dir da geleistet hattest, Zita, war nun wirklich kein Spaß mehr,“ begann Zandorra, verschränkte die Arme, lehnte sich an den baufälligen Tisch und blickte ernst auf das Mädchen.
„Das hätte sehr leicht sehr schlimm ausgehen können. Wir wollen uns jetzt gar nicht ausmalen, was alles hätte passieren können, sind wir einfach froh, dass es gut ausgegangen ist. Aber jetzt möchte ich von dir ein Versprechen: versuch einfach mal, ein wenig zu gehorchen und etwas nachzudenken. Du hast doch selber gesehen, in welche Lage du dich gebracht hast. Ich kann nicht ständig auf dich aufpassen und ich will mir auch nicht ständig Sorgen machen müssen, was du gerade wieder anstellst. Du bist hier bei den Rebellen, also auch eine Rebellin und für die Rebellen fühle ich mich nun mal verantwortlich. Aber ich kann nicht für einhundertfünfzig Rebellen die Verantwortung übernehmen, wenn sie nicht ein wenig selber aufpassen. Hast du das verstanden?“
Zita nickte. Zandorra stieß sich vom Tisch ab.
„Gut, behalte das dann bitte auch im Kopf,“ brummte er. „Jetzt auf, ich habe zu tun und du wirst heute noch absolute Ruhe halten, klar?“
„Ja, Sir!“ Zita sprang auf. „Mein Kopf ist ein wenig lädiert, Sir, ich weiß nicht, ob ich alles darin behalten kann, aber ich verspreche Euch, dass ich es versuche!“ Das Zirkusmädchen lächelte ihm zu und rannte aus der Hütte. Zandorra schüttelte ungläubig den Kopf. „Diese Zita, immer das letzte Wort,“ murmelte er dann und ging wieder Richtung Bau. Er kam nicht weit, da rief ihn jemand. Er wandte sich um und erblickte Hannes.
„Sascha, kann ich dich kurz mal sprechen?“ fragte er. Zandorra nickte und ging mit Hannes wieder in die baufällige Hütte zurück.
Hannes zögerte, blickte sich etwas nervös um und blieb schließlich am Tisch angelehnt stehen. Zandorra warf ihm einen aufmunternden Blick zu.
„Ich möchte gerne zum Festland reiten, Sascha,“ begann der kräftige, große Mann. „Ich habe Nachricht erhalten, dass meine Schwester ein Baby bekommt und es müsste jetzt bald soweit sein. Sie möchte, dass ich dabei bin, die Soldaten haben meinen Schwager gefangen genommen, weil er sich darüber mokiert hatte, dass so viele fremde Soldaten in Janten weilen.“
„Der Fürst, Rolf und ich werden, sobald es Neal besser geht, ihn ins Krankenhaus bringen. Das wäre wahrscheinlich morgen, spätestens übermorgen,“ teilte Zandorra ihm mit. „Reicht dir das? Du kannst dann mit uns mitreiten. Es ist immer riskant, ganz alleine zu reiten.“
Hannes nickte erleichtert.
„Ja, ich denke, das reicht von der Zeit her,“ sagte er. „Können wir irgendwie versuchen, meinen Schwager zu befreien und dann ihn, meine Schwester und das Baby, sobald es da ist, zu den Rebellen bringen? Hierher oder in die Blauen Berge?“
„Hm, wo ist er denn gefangen? Ist er in einem der Arbeitslager oder im Kerker?“ Hannes hob die Schultern.
„Ich muss meine Schwester fragen, die wird es wissen,“ murmelte er.
„Also schön, warten wir es ab,“ meinte Zandorra. „Hör dich mal um, bis wir losreiten, ob jemand etwas von Warren weiß.“
„Warren? Der hatte doch Wache bei den Blauen Bergen. Warte mal, hat nicht die alte Kendra gesagt, er wollte dir Bescheid geben wegen der fremden Soldaten?“
„Ja und er ist verschwunden,“ nickte Zandorra und runzelte die Stirn. „Er ist nicht in den Blauen Bergen angekommen. Vielleicht weiss ja jemand etwas von ihm. Und ich muss mich noch umhören, warum Murango hier im Moor war und wann. Außerdem will ich versuchen zu erfahren, woher diese fremden Soldaten kommen und warum sie hier sind.“
„Na, da hast du ja allerhand vor,“ stellte Hannes fest. „Wie, in alles in der Welt, willst du das denn alles schaffen?“
„Das wird sich zeigen,“ antwortete Zandorra. „Ich werde.....“
Es klopfte an der baufälligen Tür, dann traten Milo und Tankred ein.
„Hallo, Sascha! Oh, Hannes, du bist auch da?“ Milo winkte kurz mit einer Krücke. „Sascha, wir würden gerne auch nach Janten reiten und uns einkleiden. Wir haben für dieses nasse Wetter nicht genug Kleidung.“
„Aber Milo, wie denkt ihr euch das?“ fragte Zandorra erstaunt. „Ihr seid Zirkusleute, ihr werdet sofort gefangen genommen, sobald ihr euch blicken la
sst. Ich werde....“
„Du bist auch bekannt wie ein bunter Hund!“ stellte Milo fest.
„Ja, aber ich werde....“
Wieder wurde er unterbrochen, als der Fürst in die kleine Hütte trat.
Zandorra blickte von einem zum anderen.
„Darf ich jetzt mal aussprechen?“ fragte er dann und musste grinsen. „Ich fang jetzt zum dritten Mal einen Satz an, vielleicht schaffe ich es noch, ihn zu beenden. Also, ich werde Rolf und Ingo mitnehmen und wir können für euch ebenfalls Kleider einkaufen, Milo, ich muss mich ja auch neu einkleiden.“ Er zog eine Grimasse. „Und wir werden uns in Janten aufteilen, so dass jeder eine Aufgabe übernehmen kann.“
„Ihr wollt alleine durch Janten spazieren?“ fragte der Fürst.
„Nun, ja, habe ich vor.“ nickte Zandorra. „Wie geht es Neal, Fürst?“
„Deshalb bin ich gekommen,“ antwortete der Arzt. „Ich denke, wir können morgen früh losreiten. Wir werden aber nur langsam vorwärts kommen, ich möchte Neal auf einer Trage transportieren. Ich schätze, dass wir dann übermorgen abend im Krankenhaus ankommen.“
„Ihr seid ein Optimist, Fürst,“ stellte Zandorra fest. „Übermorgen abend? Und mit einer Trage? Das ist kaum zu schaffen. Und ich glaube nicht, dass wir mit Neal im Freien übernachten können, wir werden versuchen, in Bauernhöfe oder einzeln stehenden Häusern unter zu kommen. Daher können wir euch nicht mitnehmen, Milo und Tankred. Du bist ohnehin noch nicht so weit gesund, dass du solange reiten kannst, Milo.“ Milo wollte etwas sagen, noch Zandorra fuhr fort: „Olli und Sven würde ich gerne noch mitnehmen. Sven sieht mit seinen hellen Haaren und der hellen Augen wie ein Nordländer aus und gegen Nordländer hat der König nichts. Er wird sich am ungefährdesten umhören können. Und Ihr, Fürst, braucht sicher auch jemanden, der sich mit Euch um Neal und Tom kümmert während dem Weg nach Janten.“
„Ja, ich dachte, dass eventuell Daniela oder Stella mitkommen könnten?“ meinte der Arzt. Zandorra nickte.
„Gut, Daniela kennt sich besser aus, sie soll auf der Moorinsel bleiben und die anderen versorgen, doch Stella kann mitreiten. Und am besten nehmen wir noch Iris mit, sie kennt sich mit Verletzungen auch ganz gut aus. Die beiden können dann auch gleich noch Medikamente aus dem Krankenhaus mitnehmen.“
„Habt Ihr denn Geld? Ich meine, Medikamente, Kleider, Nahrungsmittel, das kostet schon eine ganze Menge,“ gab der Fürst zu bedenken. „Zur Not kann ich etwas aushelfen, doch es würde auffallen, wenn ich zuviel ausgebe, Ihr wisst doch sicher, dass der König die Ersparnisse der Menschen genaustens beobachtet.“ Zandorra schaute erstaunt auf.
„Nein, das wusste ich nicht,“ sagte er. „Aber das kann er doch nicht tun! Warum? Was hat er davon, wenn einer von seinen Ersparnissen sich mal etwas leistet?“
„Er will absolute Kontrolle, über alles und jeden. Nur dann fühlt er sich sicher und wohl. Und er will unter allen Umständen vermeiden, dass Geld zu den Rebellen fließen könnte. Das ist der Hauptgrund seiner Kontrollen. Eine Rebellion ohne Geld ist zum Scheitern verurteilt. Ihr wisst selber, wie viel nötig ist für Waffen und so weiter.“ Der Fürst blickte Zandorra nachdenklich an. „Habt Ihr das nicht gewusst? Was meint Ihr, warum er so viele Menschen enteignet hat? Alle, bei denen die Gefahr besteht, dass sie Kontakt mit Rebellen haben, wurden Ländereien, Ersparnisse, Häuser weggenommen. Und mit Drohungen und ab und zu gewaltsamen Maßnahmen schüchtert er die Menschen so ein, dass niemand es wagt, sich dagegen aufzulehnen.“
„Hat er Euch auch schon enteignet?“ frage Zandorra leise.
„Nein, enteignet noch nicht, er hat nur die Gelder konfisziert, ich kann nur auf Antrag einen gewissen Betrag ausgeben und muss beweisen, was ich mit dem Geld getan habe.“ Der Fürst hob die Schultern. „Es ist nun mal so, es geht ja allen so. Er ist ein Tyrann und ich glaube, er hat panische Angst vor Euch, aus welchem Grund auch immer, daher jagt er Euch auch.“
Zandorra schwieg setzte sich auf die baufällig Bank, die gefährlich knackte.
„Fürst, das wusste ich nicht. Das bedeutet, wir müssen mit den Geldern äußerst sparsam sein.“ Er verzog das Gesicht. „Und ausgerechnet jetzt brauche ich Kleidung. Das ist so unnötig! Das Geld hätten wir sparen können. Ich möchte zu gerne wissen, wer meine Tasche fort hat!“
„Hör auf, Sascha, sonst bist du gleich wieder so schlecht gelaunt!“ sagte Hannes. „Das Thema Kleider ist erledigt, du kaufst dir, was du brauchst, du musst einigermaßen ordentlich aussehen als Anführer der Rebellen, nicht wie....“
„...eine Vogelscheuche, ich weiss,“ brummte Zandorra und stand auf. „Hat Rolf auch schon gesagt. Also gut, macht euch fertig, damit wir morgen so früh wie möglich los können.“ Er ging zum Kamin, blieb kurz davor stehen, dann ging er weiter zum Lager, wo er und der Fürst übernachtet hatten, drehte sich um und blickte die vier Männer an.
„Darf ich Euch darauf aufmerksam machen, Sascha, dass Ihr schon wieder herum lauft?“ bemerkte der Fürst. „Das macht mich ganz nervös!“
„Entschuldigt, Fürst,“ Zandorra lächelte kurz. „Milo und Tankred, ihr haltet hier die Stellung. Achtet auf Zita und auf Ulf. In ein paar Tagen sind wir wieder hier. Seht zu, dass dann sämtliche Hütten stehen und bewohnbar sind. Tankred, du kennst den Moorpfad. Du kannst ihn noch sämtlichen Rebellen zeigen, es sollte niemand auf der Moorinsel gefangen sein. Aber paß auf, dass weder Ulf noch Zita den Pfad kennen, die beiden habe ich ganz gerne auf der Insel gefangen, bevor sie im Übermut davon reiten und irgendetwas passiert.“ Zandorra machte wieder ein paar Schritte, ein Räuspern des Arztes ließ ihn jedoch inne halten.
„Schon gut, Fürst, ich bin jetzt ohnehin fertig. Wir können wieder nach draußen gehen und ihr könnt euch für morgen richten. Ich sage Rolf, Ingo, Sven und Olli Bescheid. Fürst, Ihr unterrichtet bitte Iris und Stella davon, dass sie mitkommen.“


Ein überraschender Angriff

Sie verließen die Hütte und blinzelten erst einmal im hellen Sonnenschein. Es war früher Nachmittag und kaum zu glauben, dass die Nächte im Moor so kalt und neblig waren. Jetzt jedenfalls war der Himmel blau, die Sonne schien und es war recht warm. Das Hämmern und Sägen erfüllte die Luft, dazwischen fröhliches Rufen und Reden. Über drei Lagerfeuern brutzelten Wildenten und Wildkaninchen, ein paar Frauen standen dabei, drehten die Spieße und erzählten miteinander. Der Duft der Braten lag schon in der Luft. Kein Lüftchen regte sich. Zandorra entdeckte Rolf und Ingo bei einer Hütte, wo sie Balken zurecht sägten. Olli befand sich bei ihnen, stand auf dem Dach und Sven konnte er am nächsten Bau ausmachen.
Er ging zu Ingo und Rolf. Ingo schaute auf.
„Da bist du ja,“ brummte er und grinste. „Wichtige Besprechung gehabt?“
„Ja. Wir reiten morgen sehr früh Richtung Janten,“ teilte Zandorra ihnen mit.
„Ich möchte, dass ihr beiden mitkommt. Und Olli und Sven ebenfalls. Sagt Olli Bescheid, ich klettere jetzt nicht extra aufs Dach.“
Ingo und Rolf nickten und arbeiteten weiter. Zandorra ging zum nächsten Neubau und winkte Sven zu sich.
„Du wirst morgen mit uns nach Janten reiten,“ verkündete er dem blonden Mann. „Und ich brauche dich für einen Spionageauftrag. Du fällst am wenigsten auf, deshalb,....“ er unterbrach sich und wies Richtung Flüsschen. „Komm mit, ich erkläre es dir dort am Fluß, da haben wir mehr Ruhe.“
Rolf, der zufällig aufsah, entdeckte plötzlich eine Gestalt zwischen dichtem Gebüsch, die Zandorra und Sven in einigem Abstand folgte. Er richtete sich auf.
„Was ist los?“ fragte Ingo. „Brauchst du eine Pause?“
Rolf runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. „Nein, eigentlich nicht,“ murmelte er. „Schau mal unauffällig zu Sascha und Sven. Kannst du seitlich hinter ihnen jemanden erkennen? Ich bin sicher, gerade eine Person gesehen, die den beiden hinterher schleicht.“
Ingo blickte nun ebenfalls in die Richtung.
„Nein, ich sehe niemanden,“ brummte er. „Bist du sicher, dass.... halt, jetzt habe ich auch etwas gesehen, aber ich kann nicht genau sagen, ob ihnen jemand folgt oder ob das überhaupt ein Mensch war.“
„Oh doch, ich werde mal nachschauen, wer so dreist ist und Sascha ausspionieren möchte,“ knurrte Rolf und ging los. Ingo seufzte auf.
„Ständig passen wir auf Sascha auf, was würde er wohl ohne uns tun,“ brummelte er, während er wieder zur Säge griff.
Rolf lief nach rechts um die Büsche herum und dann vorsichtig am Rande der Moorinsel hinter den Büschen weiter. Er versank fast bis zu den Knöcheln im Morast, doch nach den dichten Büschen kam eine sandige Fläche, auf der festen Grund hatte. Hier entdeckte er auch wieder die Gestalt, die in den Büschen lauerte und angespannt zu den beiden Männern starrte. Rolf sah Sven und Zandorra an den Baumstümpfen stehen, an denen am Abend vorher der Rebellenführer mit dem Fürst geredet hatte. Die beiden Männer unterhielten sich, Zandorra sprach hauptsächlich, erklärte Sven gerade seine Aufgabe. Rolf schlich sich vorsichtig zu dem Lauscher hin. Dann sprang er mit einem Satz vor und packte ihn!
Entsetzt schrie der auf, beide stürzten ins Gebüsch. Zandorra und Sven fuhren erschrocken herum. Mit wenigen Schritten war Zandorra bei den Büschen. Rolf zerrte den sich heftig wehrenden und um sich schlagenden Mann aus dem Busch hervor. Zandorra griff zu und erwischte ihn am Arm. Sie zogen ihn zu den Baumstümpfen und stießen ihn gegen den dicken, in der Mitte stehenden, großen Stumpf. Sven kam hinzu.
„Kevin!“ rief Zandorra überrascht aus. „Was hast du hier zu suchen?“
„Er ist hinter euch her geschlichen, ich sah, wie er euch beiden folgte,“ keuchte Rolf und wischte sich Blut von der Wange, wo ihn der Busch zerkratzt hatte.
Der Mann lehnte am Baumstumpf und starrte finster und wild auf die drei Rebellen. Auch er war zerkratzt vom Gebüsch. Er schwieg und atmete heftig.
„Warum spionierst du uns nach?“ fragte Zandorra nochmals.
Keine Antwort. Doch plötzlich stieß sich der Mann vom Baumstumpf ab und warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Rebellenführer. Der taumelte zurück, stolperte über einen der kleineren Stümpfe und beide fielen hart auf den Boden.
Kevin rollte sich blitzschnell von Zandorra hinunter, duckte sich unter dem raschen Griff von Rolf weg, trat Sven gegen das Schienbein, so dass dieser aufstöhnte und sprang dann hinter Zandorra, der sich gerade aufrappelte. Kevin riß dem Rebellenführer den Kopf an den Haaren zurück und hielt ihm plötzlich ein Messer an die Kehle. Mit wildem Blick starrte er zu Rolf.
„Einen Schritt und ich schneide ihm die Kehle durch,“ fauchte er. Rolf hob beide Hände.
„Laß ihn los, Kevin, was soll das?“
„Ihr beiden, ihr setzt euch jeder auf einen der kleinen Baumstümpfe, los, wird´s bald?“ Kevin packte Zandorra am Arm, das Messer immer noch an dessen Kehle. Ein Blutstropfen quoll unter der Schneide hervor. Rolf schluckte und setzte sich. Er machte Sven ein Zeichen, damit der sich auch setzte. Jetzt zerrte Kevin den Rebellenführer zu den Büschen. Zandorra bemühte sich, rückwärts mit zu stolpern, Kevin hatte seinen Arm schmerzhaft nach hinten gedreht und er hatte keine Chance, sich zu befreien.
„Was willst du, Kevin?“ presste er mühsam hervor.
Der antwortete jedoch nicht. Er hielt inne, als er die Büsche erreicht hatte.
„Ihr beiden bleibt, wo ihr seid!“ zischte Kevin mit hochrotem Gesicht und merkwürdig glänzenden Augen. „Wenn ich bemerke, dass einer von euch aufsteht, landet Sascha im Moor.“
Er riß Zandorra seitwärts und stieß ihn dann voran. Zandorra stolperte, doch da Kevin seinen Arm gepackt hielt, fiel er nicht. Aber das Messer ritzte die Haut an seiner Kehle auf. Zandorra atmete heftig
„Ich würde vorsichtiger sein und brav mitgehen, sonst kann ich nichts dazu, wenn das Messer zu tief einschneidet,“ flüsterte Kevin ihm ins Ohr.
„Was willst du?“ fragte Zandorra nochmals mit heiserer Stimme.
„Das wirst du schon noch sehen, warte einfach ab.“ Kevin stieß ihn vorwärts, an den Rand des Moores, wo Rolf vorher gelaufen war, als er ihm folgte. Doch dann ging alles sehr schnell: eine Gestalt sprang aus dem Busch, warf sich mit seinem ganzen Gewicht auf Kevin, alle drei stürzten zu Boden, Zandorra stieß einen Schmerzenschrei aus, da Kevin seinen Arm noch immer auf dem Rücken umklammert hielt, der neue Angreifer fasste nach Kevin´s Messerhand und riß sie weg von Zandorra, dafür bekam der Rebellenführer von Kevin noch einen so heftigen Tritt, dass er ins Moor geschleudert wurde. Nun kamen auch Rolf und Sven angerannt und warfen sich auf Kevin, der endlich überwältigt wurde. Der neue Angreifer war ... Ingo! Während sie den sich immer noch heftig wehrenden Kevin zu dritt festhielten, schaute sich Rolf nach Zandorra um.
„Rolf, hilf mir,“ keuchte der und versuchte verzweifelt, aus dem dicken Morast zu kommen. Er steckte bis zum Bauch im Sumpf.
Rolf erschrak, holte aus und versetzte Kevin einen Kinnhaken, dass der Mann zusammensackte und in Ingo´s Armen bewusstlos hing.
Dann lief Rolf zum Inselrand, doch er konnte Zandorra´s ausgestreckten Arm nicht erreichen.
„Wir brauchen einen Stock, damit wir ihn rausziehen können!“ rief Rolf und Ingo ließ Kevin zu Boden fallen. Sie suchten nach langen Ästen, doch es lagen nur kleinere Prügel oder völlig morsche Äste herum. Ingo riß sich seine Schärpe vom Leib und warf sie zu Zandorra, der inzwischen fast bis zur Brust im Morast steckte. Er hatte einen Arm erhoben, der andere hing ihm kraftlos herab. Verbissen versuchte er, die Schärpe zu erwischen und endlich hatte er sie gefasst. „Halt dich fest, wir ziehen jetzt!“ rief Rolf und die drei Männer zogen mühsam und angestrengt. Zandorra umklammerte krampfhaft die Schärpe, während er Stück für Stück aus dem dicken, zähen Morast gezogen wurde. Endlich hatten sie es geschafft, Zandorra hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Er kniete zusammengesunken am Ufer, keuchte und atmete schwer. Rolf hockte sich neben ihn, während Ingo und Sven Kevin hochzogen, der gerade wieder zu sich kam. Ingo nahm seine völlig verschmutzte Schärpe und band Kevin die Arme auf den Rücken zusammen.
Keiner von ihnen sagte etwas. Sie waren noch viel zu erschrocken, einmal über den völlig überraschenden Angriff von Kevin und zum anderen darüber, wie schnell man im Moor versinken konnte. Kevin hob den Kopf und starrte auf Zandorra, hob das Bein plötzlich hoch und trat nach dem Rebellenführer. Da er jedoch etwas weiter entfernt stand, erwischte er ihn nicht mit voller Wucht, doch reichte der Tritt, den erschöpften Rebell auf die Seite zu schleudern. Zandorra stöhnte auf und blieb auf dem Rücken liegen. Ingo riß Kevin zornig zurück.
„Das reicht jetzt!“ rief er. „Rolf, kümmere dich um Sascha, Sven, pack diesen Verräter, wir bringen ihn zu den anderen. Dort wird er gefesselt und an einen der Wagenräder gebunden, damit er keine Dummheiten mehr machen kann! Wir kommen mit dem Fürst wieder!“ Ingo und Sven zerrten Kevin durch die Büsche davon. Rolf kniete neben Zandorra am morastigen Boden. Zandorra´s Gesicht war verzerrt, er atmete keuchend und war über und über mit Schlamm verschmiert.
„He!“ brüllte Ingo, kaum waren sie aus dem Gestrüpp auf die freie Fläche getreten. „Olli! Hannes! Tankred! Kommt her!“
Seine Stimme hallte so laut, dass sie sogar das Hämmern und Klopfen übertönte und die Rebellen mit ihren Baumaßnahmen aufhörten, um zu ihnen zu starren. Kaum erkannten sie, dass Ingo und Sven einen gefesselten Mann in ihrer Mitte voran zerrten, kamen die Rebellen heran.
„Was ist passiert?“ fragte Olli.
„Warum habt ihr Kevin gefesselt?“ erkundigte sich Hannes.
„Wo kommt ihr überhaupt her?“ wollte Tankred wissen.
„Ruhe!“ rief Ingo mit seiner tiefen Stimme. „Kevin hat Sascha angegriffen! Jemand muss den Fürst holen! Und ihr anderen nehmt diesen Verräter und fesselt ihn an ein Wagenrad, so dass er sich nicht mehr befreien kann! Laßt ihn nicht aus den Augen, er ist gefährlich!“
„Wo ist Sascha?“ fragte Tankred.
„Dort hinten am Flüsschen, bei der Baumstumpf-Gruppe. Komm mit, wir werden zu ihm gehen und schauen, ob wir ihn herbringen können.“
„Ist er verletzt?“ fragte Olli.
„Ja, ich denke schon,“ nickte Ingo und ging mit großen Schritten, gefolgt von Olli, Hannes, Tankred, Milo und einigen anderen Rebellen zurück.
Zandorra hatte sich inzwischen auf einem der kleineren Baumstümpfe gesetzt, Rolf saß neben ihm. Die Rebellen umringten die beiden.
„Kannst du laufen, Sascha? Gehen wir zurück, der Fürst kann nach dir schauen,“ schlug Ingo vor. Zandorra schaute auf. Sein schlammverspritztes Gesicht war bleich, aus dem Schnitt an seinem Hals sickerte Blut und vermischte sich mit dem Dreck. Auch von seinem Kinn tropfte Blut auf seine Hose. Er hielt sich die Schulter, der Arm hing kraftlos herab.
„Natürlich kann ich laufen,“ antwortete er mit rauer, heiserer Stimme.
Rolf, der ganz zerkratzt von den Büschen aussah, half ihm, sich zu erheben und mit der Begleitung aller Rebellen taumelte der Rebellenführer über den Platz.
Der Fürst kam aus der großen Hütte, in der die Verletzten waren und rannte ihnen entgegen.
„Was ist passiert?“ rief er bestürzt aus.
„Kevin hat Sascha angegriffen,“ sagte Ingo kurz. „Ihr könnt ihn euch gleich mal anschauen, ich glaube, er hat einiges abgekriegt.“
„Erst muss ich mich waschen,“ stieß Zandorra heiser hervor, „Sonst wird der Fürst ganz schmutzig.“
„Das wäre wohl das kleinste Problem,“ meinte der Arzt. „Aber bei dem Dreck kann ich Euch nicht richtig untersuchen. Wir brauchen einen Waschzuber mit heißem Wasser!“ rief er aus. Sofort machten sich einige Rebellen daran, Kessel mit Wasser über die Feuer aufzustellen, ein paar andere schleppten einen der Waschzuber heran.
„Aber nicht hier auf dem Platz, vor allen Rebellen,“ protestierte Zandorra schwach. „Bringt den Zuber in die baufällige Hütte.“
Er ließ sich am Feuer auf einer der Truhen nieder und wischte sich mit der einen Hand Schlamm und Blut aus dem Gesicht, verschmierte es dadurch noch mehr.
„Ihr könnt alle wieder an die Arbeit gehen, außer dem Fürst kann ihm jetzt keiner helfen!“ rief Ingo. Zögernd traten die Rebellen den Rückzug an. Nur Ingo, Rolf und der Fürst blieben bei Zandorra stehen.
„Danke, Rolf, ohne dich...“ begann Zandorra , doch Rolf unterbrach ihn:
„Ohne mich hätte Kevin dich zwar belauscht, aber wahrscheinlich gar nicht angegriffen.“
„Wer weiß, Rolf,“ Zandorra tastete seine Schulter ab. „Wer weiß, was er vor hatte. Jedenfalls kann ich immer noch nicht glauben, dass Kevin....“ er verstummte und schüttelte vorsichtig den Kopf.
„Und danke, Ingo, du hast im rechten Moment eingegriffen.“
Ingo brummte etwas.
„Das Wasser ist heiß, der Zuber gefüllt!“ rief nun Julchen. „Sascha kann jetzt baden!“ Der Rebell stand mühsam auf und ging langsam und in Begleitung der drei anderen Männer zur baufälligen Hütte. Am Eingang drehte er sich um.
„Ich kann alleine baden,“ murmelte er. „Ich danke euch noch mal für eure Hilfe.“
„Äh, Sascha,“ begann Rolf zögernd und musste ein wenig grinsen, „du hast meine Klamotten völlig verdreckt. Was willst du jetzt anziehen?“
„Ach ja, das Problem existiert ja nach wie vor.“ Zandorra lehnte sich an den Türrahmen. „Ich kann gerade nicht richtig denken,“ murmelte er und rieb sich die Stirn, wobei getrockneter Schlamm abbröselte.
„Ich bin dran,“ meldete sich der Fürst. „Ihr habt mir in den Blauen Bergen Eure Kleidung geliehen, als wir durch den Regen so naß wurden, jetzt leihe ich Euch von mir etwas. Auf jetzt, rein mit Euch!“ Er schob den Rebell durch die Tür.
„Wir melden uns, sobald wir fertig sind,“ sagte der Arzt dann zu Ingo und Rolf und schloß die morsche, schiefe Tür, so gut es ging.
„Was war denn los?“ fragte er Zandorra dann, während er vom Bettenlager seinen schwarzen Arztkoffer holte.
Zandorra versuchte mit einer Hand mühsam, den schlammverkrusteten Pullover auszuziehen und schaute dann zum Arzt.
„Ich würde lieber alleine baden, Fürst,“ murmelte er verlegen.
„Abgelehnt.“ Der Fürst trat hinzu. „Ihr könnt Euch nicht mal alleine ausziehen. Was ist mit Eurer Schulter? Woher stammt der Schnitt am Hals?“
Zandorra seufzte.
„Ich habe keine Kraft, mich mit Euch auseinander zu setzen, Fürst, ich erzähle Euch alles nachher, okay?“
Der Fürst nickte und half ihm, die schmutzige Kleidung auszuziehen. Dann half er dem schlammigen Rebell in den Waschzuber. Zandorra lehnte sich an den Rand und schloss die Augen.
Der Fürst setzte sich auf die Tischkante und wartete geduldig. Endlich öffnete der Rebell seine Augen und blickte zum Arzt.
„Rolf hat Kevin erwischt, als er Sven und mich belauschte. Und dann hat sich Kevin auf mich gestürzt. Er hatte ein Messer und...“ er senkte den Blick, „er hielt es mir an die Kehle, verdrehte mir den Arm auf den Rücken und zerrte mich zum Moor. Ich weiss nicht, was er vor hatte, ich...“ er rieb sich über das Gesicht, „das ganze ist mir völlig unverständlich. Warum Kevin? Was wollte er von mir?“

Draußen hatten sich Ingo und Rolf nun vor Kevin aufgebaut. Drohend blickten sie zu dem Rebell hinab, der fest an das Wagenrad gefesselt da saß.
„Warum hast du das getan, Kevin?“ fragte Rolf. „Wolltest du Sascha umbringen?“
„Ich würde an deiner Stelle antworten, vielleicht kannst du dich damit noch retten,“ knurrte Ingo böse.
Doch der Rebell schwieg,
„Komm, lass ihn, vielleicht kriegt Sascha nachher mehr aus ihm raus.“
Rolf legte Ingo die Hand auf die Schulter. Der warf dem gefesselten Rebell noch einen wütenden Blick zu und wandte sich dann ab.
„Sascha wird für heute die Nase voll haben und morgen reiten wir nach Janten,“ Ingo ging zu den neugebauten Hütten. „Ich helfe beim Bauen, Rolf, wenn Sascha fertig ist, sag mir Bescheid. Ich muss mich abreagieren.“
Rolf nickte und ging selber zur baufälligen Hütte. Er klopfte, wartete jedoch keine Antwort ab und schob die morsche Tür auf.
Zandorra saß noch immer im Waschzuber. Er blickte auf, als Rolf eintrat.
„Was gibt es, Rolf?“ fragte er müde.
„Ich wollte nach dir schauen,“ Rolf trat näher und lehnte sich an den Kamin. „Wir haben versucht, aus Kevin etwas heraus zu bekommen, aber er schweigt.“ Rolf seufzte. „Kevin war immer so unauffällig, hat getan, was ihm auftrug, war freundlich und hilfsbereit. Was ist passiert, dass er so reagierte?“
Zandorra schwieg. Der Fürst räusperte sich.
„Ich glaube, Sascha braucht erst mal Ruhe, Rolf. Ich muss ihn auch noch verarzten. Wir können gegen Abend mit Kevin reden.“
Rolf wandte sich um und ging wieder zur Tür. Dort drehte er sich noch mal um.
„Was sollen wir mit Kevin machen? Ihn dort am Wagen gefesselt zu lassen, finde ich riskant. Zumindest sollten wir ihn bewachen.“
„Ach, Rolf, du hast recht. Nimmst du das in die Hand? Ich bin jetzt noch nicht so weit, dass ich darüber nachdenken kann.“
„Okay,“ er lächelte, „du bist übrigens für heute von den Bauarbeiten befreit, du kannst dich ausruhen.“ Zandorra hob den Kopf und blickte ihm nach. Er wollte etwas erwidern, doch Rolf war schon draußen.

Gegen Abend, als die Dämmerung und der Nebel kamen, flackerten wieder die Feuer auf. Die Rebellen stellten die Bauarbeiten ein und versammelten sich um die Wärme spendenden Feuer.
„Reiten wir jetzt morgen nach Janten oder nicht?“ fragte Olli Ingo. Der hob die Schultern.
„Ich denke, es kommt drauf an, was Sascha alles abgekriegt hat. „Warten wir es ab, er wird es uns schon noch sagen.“
Zandorra war den restlichen Nachmittag nicht mehr aus seiner Hütte heraus gekommen. Der Fürst richtete Ingo und Rolf aus, dass er erst am Abend zu den Rebellen gehen würde, den Nachmittag würde er ruhen.
Sämtliche Rebellen warteten auf das Erscheinen Zandorras. Man merkte die allgemeine Nervosität an den Gesprächen, die bei weitem nicht so fröhlich und lebhaft waren, als die Abende vorher. Sie aßen die Reste vom Mittagessen, dazu die Wildenten und Wildkaninchen, die den ganzen Nachmittag langsam gargebrutzelt worden waren und köstlich schmeckten.
„Wenn Sascha nicht bald kommt, kriegt er nichts mehr zu essen,“ stellte Rolf kauend fest. „Es schmeckt richtig gut und mein Appetit ist auch wieder da.“
Endlich öffnete sich die knarrende, morsche Tür der Hütte und Zandorra und der Fürst erschienen. Sie gingen direkt zu Ingo und Rolf und setzten sich dort ans Feuer. Ingo räusperte sich.
„Du solltest eine kurze Erklärung an die Rebellen abgeben, Sascha. Sie haben dich ungeduldig erwartet, jeder weiss, dass etwas vorgefallen ist, die meisten auch, dass Kevin dich angriff. Wir haben Kevin bewacht, einige der Rebellen hätten ihn sonst geschlagen.“
Zandorra stand auf. Er trug einen grauen Baumwollpullover vom Fürst und eine grobe, blaue Hose. Sein Kinn zierte ein Pflaster, an seinem Hals war der Schnitt des Messers zu sehen, sein linker Arm steckte in einer Schlinge. Er schonte offenbar sein rechtes Bein, verlagerte das Gewicht auf die andere Seite.
„Rebellen!“ rief er und seine Stimme klang wieder recht kräftig. „Ihr alle kennt Kevin als freundlichen, netten Rebell, der recht unauffällig seine Arbeiten erledigte. Nun, dieser Rebell hat mich heute Mittag angegriffen. Er hat Sven und mich belauscht und als Rolf ihn stellte, griff er an. Er wird einen Grund haben, ich habe allerdings noch nicht mit ihm sprechen können. Ich möchte nicht, dass jemand ihm etwas antut. Laßt ihn in Ruhe! Er....“
„Ihn in Ruhe lassen? Er darf unseren Anführer angreifen und es passiert ihm nichts?“ rief einer der Rebellen und schon ging es los. Rufe, Drohungen gegen Kevin, Fragen ertönten von allen Seiten. Zandorra versuchte, etwas zu sagen, doch es ging im Getöne unter.
„Kann jemand pfeifen?“ fragte er Ingo. „Ich kann meinen Arm nicht hoch kriegen und deswegen nicht pfeifen!“ Ingo schüttelte den Kopf.
„Hier,“ er gab ihm einen Kochlöffel. „Klopf auf den Kessel.“
Zandorra schlug mit dem Löffel laut auf den Kessel, der Ton hallte laut wider.
Die Menschen verstummten langsam.
„Okay!“ rief Zandorra wieder. „Nochmal: lasst Kevin in Ruhe! Ich werde noch mit ihm reden! Keiner rührt ihn an! Ich reite morgen früh nach Janten mit Rolf, Ingo, Olli, Sven, Hannes und dem Fürst! Wir transportieren Neal und Tom ins Krankenhaus und kaufen in Janten einiges ein. Auch muss ich verschiedenes erfahren! Wenn ich wieder komme, in ein paar Tagen, möchte ich Kevin gesund und munter sehen, habt ihr das verstanden? Tankred wird einigen von euch den Moorpfad zeigen, damit ihr nicht auf dieser Moorinsel eingesperrt seid! Doch seid bitte vorsichtig, es ist kein schönes Gefühl, im Moor zu versinken!“
„Jetzt spricht er aus Erfahrung,“ murmelte Rolf leise.
„Kannst du denn reiten?“ fragte René und wandte sich an den Fürst.
„Ihr seid der Arzt, ist er soweit hergestellt, dass er nach Janten reiten kann?“
Der Fürst erhob sich. Zandorra setzte sich dafür wieder hin und bekam einen Teller mit Wildente von Rolf. Der Fürst rief nun:
„Rebellen, hört zu: Sascha ist in der Lage, zu reiten. Er kann zwar nicht kämpfen, seine Schulter wurde ausgekugelt, ich habe sie eingerenkt, doch es wird einige Tage dauern, bis er seinen Arm wieder richtig einsetzen kann, außerdem hat er ein heftige Prellung an der Hüfte, was ihn zwar am Laufen hindert, doch ich denke, reiten wird gehen! Die anderen Verletzungen sind nicht so schlimm, doch Neal muss dringend ins Krankenhaus, daher können wir es nicht länger heraus schieben!“
Der Fürst setzte sich wieder und nahm dankbar einen Teller mit Kaninchen von Ingo in Empfang.
„Nun, jetzt wissen ja alle, was mit mir los ist,“ brummte Zandorra und schob einen letzten Bissen in den Mund. Sein Teller stand auf der Truhe neben ihm. „So ausführlich hätte es nicht sein müssen, Fürst.“
„Was hast du dir wegen Kevin ausgedacht? Er kann nicht Tage lang hier am Wagenrad angebunden bleiben,“ sagte Olli.
„Wir sperren ihn in die baufällige Hütte,“ meinte Zandorra. „Natürlich müsste sie vorher abgesichert und er muß bewacht werden. Darum könnt ihr euch kümmern, Milo und Tankred mit euren Zirkusleuten.“ Zandorra stand auf. „Ich werde jetzt mal zu ihm gehen, vielleicht kann ich ihn zum Reden bringen.“ Er ging leicht hinkend nach hinten, wo Kevin am Wagenrad angebunden saß. Die Feuer gaben genug Licht, dass er keine Fackel brauchte. Er zog sich einen dicken Holzscheit heran und setzte sich darauf, so dass er dem gefesselten Rebell in die Augen schauen konnte.
„Kevin,“ begann er mit leiser Stimme, „kannst du erklären, was das heute Mittag war? Warum hast du uns belauscht? Warum angegriffen? Was hattest du denn vor? Du warst bisher ein verlässlicher Rebell, was ist passiert?“
Kevin starrte ihn nur an und schwieg. Zandorra seufzte.
„Ich würde es gerne verstehen, Kevin. Ich denke, du wirst schon deine Gründe haben und ich möchte sie gerne kennen.“
Kevin schwieg weiter, seine fast fanatisch glänzenden Augen starrten weiterhin den Rebellenführer an.
„Kevin, bitte, sag etwas dazu.“ Zandorra schüttelte den Kopf. „Was ist mit dir los? Was stimmt nicht?“ Er wartete, doch er erhielt keine Antwort. Nach einer Weile stand er auf und blickte auf den gefesselten Rebell, der ihn nur weiterhin anstarrte.
„Gut, Kevin, wie du willst. Du wirst die nächsten Tage in der baufälligen Hütte eingesperrt und streng bewacht werden. Sobald ich aus Janten zurück bin, werde ich überlegen, wie es mit dir weiter gehen soll. Überleg dir, ob du vielleicht doch reden möchtest.“ Er wartete noch kurz, doch es kam keine Reaktion. Also wandte er sich um und ging zum Feuer zurück.
„Und?“ fragte Ingo sofort. „Hast du was aus ihm heraus gekriegt?“
„Nein,“ Zandorra seufzte und schaute ins Feuer. „Er ist so merkwürdig. Starrt mich nur an, sagt kein Wort, reagiert überhaupt nicht. Irgendwas stimmt doch nicht. Fast würde ich sagen, er steht unter irgendwelchen Drogen, aber das ist hier unmöglich. Er kann gar keine Drogen haben.“
„Wir haben hier nur Tabak und Alkohol, keine anderen Drogen,“ bestätigte Ingo.
„Ja, und der Alkohol hat es besonders Ulf angetan. Erst mit einer gewissen Ration fühlt er sich stark genug, gegen dich anzugehen,“ sagte Rolf nun. „Und du hast recht, ich habe so was auch schon heute Mittag gedacht, als ich Kevin überrascht hatte. Er war so komisch, war nicht er selbst.“
„Ich werde mir ihn mal anschauen,“ entschloss sich der Fürst und stand auf. „Mit Drogen kenne ich mich ein wenig aus, vielleicht kann ich etwas herausfinden.“
Zandorra blickte ihm hinterher.
„Ich habe kein gutes Gefühl, ihn mit Kevin alleine zu lassen,“ murmelte er.
„Sascha, Kevin ist gefesselt und der Fürst wird vorsichtig sein,“ meinte Ingo überzeugt und stand auf. „Ich werde meine Sachen und mein restliches Geld für morgen mal zusammen suchen, solange noch niemand schläft und ich keinen störe. Kommst du auch, Rolf?“
Die beiden Männer verschwanden im Dunkeln.
Kurz darauf erschien der Arzt wieder und setzte sich neben Zandorra auf die Truhe. Er blickte sehr nachdenklich.
„Nun, Fürst?“ fragte der Rebellenführer ungeduldig. „Habt Ihr was rausgekriegt?“
Der Fürst schüttelte den Kopf, nickte dann und hob die Schultern.
„Aha,“ sagte Zandorra, „das waren drei Antworten in einer und ich bin genauso schlau wie vorher. Könnt Ihr vielleicht deutlicher werden?“
„Naja, ich bin mir nicht sicher,“ antwortete der Fürst zögernd, „er reagiert sehr merkwürdig und seinem Blick nach würde ich sofort auf Drogen tippen. Doch Ihr habt recht, er kann an keine anderen Drogen herankommen ausser Tabak und Alkohol und diese Anzeichen hat er nicht.“ Der Fürst rieb sich das Kinn. „Er ist voller Angriffslust und Aggression, das zeigt seine ganze Haltung.“
„Hat er was gesagt?“ fragte Tankred nun.
„Ja, Drohungen und Verwünschungen gegen Sascha,“ nickte der Fürst. „Er spricht auch so lallend und zischend, ich weiss nicht, ob das bei ihm normal ist, wenn er so aufgeregt ist, oder ob das etwas mit seinem Angriff zu tun hat.“
Er wandte sich an Zandorra. „Ist zwischen Euch und Kevin irgendwann mal etwas vorgefallen? Ein Streit, eine Meinungsverschiedenheit oder so was? Oder ist wegen Euch ein Verwandter von ihm umgekommen? Irgend was, das erklären könnte, warum er so einen plötzlichen Hass auf Euch habt? Denkt nach, Sascha, es wäre wichtig.“
Zandorra runzelte nachdenklich die Stirn. Langsam schüttelte er den Kopf.
„Nein, nicht dass ich wüsste, Fürst,“ sagte er dann langsam. „Ich weiss natürlich, dass wegen mir Menschen vom König misshandelt werden, einfach, weil sie mich kennen oder weil sie mich nicht verraten wollen. Und es ist natürlich möglich, dass so jemand sich auch unter Kevins Verwandtschaft befand, doch das weiss ich nicht. Nein, ich habe keine Ahnung, was diese Reaktion von Kevin ausgelöst haben könnte.“
„Nun, Milo und Tankred, ihr habt da keine leichte Aufgabe, wenn ihr auf ihn aufpassen sollt,“ wandte sich der Fürst an die Zirkusartisten. „Er ist absolut unberechenbar und lasst euch auf keinen Fall zu irgend etwas überreden. Haltet euch von ihm fern.“
Der Fürst stand auf.
„Ich werde jetzt Neal und Mirko transportfertig machen für morgen. Haben wir eine Trage? Und ich weiss nicht, ob Mirko reiten kann.“
„Eine Trage? Nein, Fürst, ich fürchte, wir haben keine!“ Zandorra stand ebenfalls auf. „Ich wollte noch eine anfertigen lassen, aber in dem ganzen Durcheinander habe ich es glatt vergessen. Tut mir leid. Aber wir können den kleinsten Wagen nehmen, dort liegen sie vielleicht auch besser, als auf einer Trage.“
„Das ist eine gute Idee,“ nickte der Fürst und ging zu den Verletzten.
Zandorra hinkte langsam zum kleinsten der Wagen, der natürlich ausgerechnet ganz hinten stand. Er spürte die Blicke, mit denen ihn sämtliche Rebellen nachschauten, als er an ihnen vorbei kam und versuchte, nicht darauf zu achten. Am Feuer, wo Ulf und seine Freunde saßen, war es heute wesentlich stiller als am Abend vorher. Ingo hatte sie tatsächlich ziemlich hart arbeiten lassen, so dass sie nun doch recht müde waren. Selbst von Ulf kam keine gehässige Bemerkung.
Zandorra musterte den Wagen. Dann winkte er zwei Rebellen heran, die am nächsten Feuer saßen.
„Chris, Jens, könnt ihr mal kommen?“
Die beiden Männer standen auf und traten zu ihm. Auch ein paar andere Männer, die um das Feuer saßen, kamen näher.
„Nehmt euch ein paar Säcke oder irgend etwas und deckt diesen Wagen ab, damit er morgen früh nicht so naß vom Nebel ist,“ bat Zandorra die beiden. „wir werden Neal und Mirko in dem Wagen transportieren müssen.“
„Ich denke, wir finden ein paar Säcke in der Hütte, wo die Lebensmittel gelagert sind, oder?“ fragte Chris nach.
„Ja, da müssten ein paar sein,“ nickte Zandorra.
„Kannst du denn mit deiner Schulter reiten?“ fragte Jens und musterte den Rebellenführer. „Du könntest doch auch auf den Wagen.“
„Nein, das geht nicht, das wird zu schwer.“ Zandorra blickte Jens an. „Stella und Iris werden mit Neal und Mirko auf dem Wagen mitfahren und wenn zwei Pferde vier Menschen und den Wagen ziehen müssen, haben sie genug zu tun. Ich werde reiten und ich bin sicher, dass das auch mit einer Hand geht.“
„Soll ich dir noch Wechselkleidung leihen?“ fragte Chris nun. „Wir haben fast dieselbe Figur und da du nichts mehr zu anziehen hast....“
Zandorra holte tief Luft.
„Woher wisst ihr das?“ fragte er leise.
„Nun, wir wissen alle, dass deine Tasche, deine Decke und deine ganzen Sachen verschwunden sind,“ teilte Jens mit. „Du stehst momentan noch mittelloser da als wie ein von dir befreiter Mann, denn der hat zumindest noch seine eigenen Kleider am Leib.“ Jens grinste leicht und zuckte die Schultern.
„Woher wisst ihr das?“ fragte Zandorra noch mal. „Ich wollte nicht, dass das bekannt wird. Wo ist hier eine undichte Stelle?“
Chris hob Schultern.
„Ich weiss nicht, es hat sich so herum gesprochen. Irgendwann kam halt mal auf, dass deine Sahen verschwunden seien und du deshalb gestern Ingo´s Sachen an hattest. Keine Ahnung, wer das als erstes verbreitet hat.“
Zandorra lehnte sich an den Wagen.
„Hört her, ja, es stimmt, dass ich nun gar nichts mehr besitze, aber bitte, behaltet das für euch. Es muss nicht jeder wissen. Und wenn ihr heraus findet, wo wir hier eine undichte Stelle haben, dann teilt mir das bitte mit, sobald wir von Janten zurück sind. Hört euch unauffällig um.“
Jens und Chris nickten ernst.
„Eine undichte Stelle bei den Rebellen,“ murmelte Chris nachdenklich, „das ist kein schöner Gedanke. Wir werden versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Vielleicht finden wir dann auch denjenigen, der deine ganzen Sachen geklaut hat.“
„Gut, aber seid vorsichtig. Wenn ihr etwas entdeckt, könnt ihr auch mit Milo und Tankred reden. Sie und die Zirkusleute werden auf Kevin aufpassen. Und Tankred wird euch den Moorpfad zeigen. Paßt aber bitte auf, dass weder Ulf noch Zita oder einer der Jugendlichen den Pfad kennen, sonst haben wir hier nämlich keine Kontrolle mehr über diese hitzköpfige Jugend.“
Zandorra hob seinen gesunden Arm und ging hinkend zurück zum Feuer. Rolf und Ingo saßen inzwischen auch wieder da und blickten ihm entgegen.
„Meinst du, du kannst wirklich reiten?“ fragte Ingo zweifelnd. „Du hinkst ganz schön. Und du weißt, es ist immer noch ein recht weiter Weg nach Janten.“
„Es wird schon gehen, Ingo,“ meinte Zandorra. „Wir nehmen den kleinen Wagen für die Verletzten. Jens und Chris decken ihn gerade etwas ab, damit er morgen nicht so naß ist.“
„Du kannst ja den Wagen fahren,“ schlug Rolf vor. Zandorra zog eine Grimasse.
„Hört ihr vielleicht jetzt mal auf, mir zu sagen, was ich tun soll? Es gibt eine undichte Stelle bei den Rebellen, ich habe Jens und Chris gebeten, sich auch ein wenig um zu hören....“
„Was für eine undichte Stelle?“ fragte Ingo verblüfft.
„Nun, es wissen alle hier, dass ich... nichts zum anziehen habe und dass meine Sachen alle verschwunden sind und dass Ulf und ich Meinungsverschiedenheiten hatten. Eingeweiht waren nur wenige, wissen tun es jetzt alle. Also muss es eine undichte Stelle geben, oder seht ihr das anders? Und ich muss sagen, es ist mir äußerst unangenehm, dass alle Bescheid wissen,“ fügte er leise hinzu.
Ingo und Rolf sahen sich an. Dann räusperte sich Ingo:
„Naja, Sascha, Kevin hatte dich und Sven belauscht. Wenn Rolf nicht gewesen wäre, hätte er erfahren, was du und Sven besprochen haben. Ich will damit sagen, dass Kevin dich auch schon zu anderen Gelegenheiten hätte belauschen können. Du hattest immerhin nichts bemerkt. Es wäre doch möglich, dass Kevin die undichte Stelle war.“
„Und da er jetzt gefangen und entlarvt ist, gibt es keine undichte Stelle mehr,“ fügte Rolf hinzu.
„Kann sein, trotzdem sollen Jens und Chris sich mal umhören.“ Zandorra gähnte.
„Jetzt habe ich heute Nachmittag so lange geschlafen und bin schon wieder müde. Ich glaube, ich werde mich jetzt zurück ziehen.“
„Ich glaube, der Schock ,im Moor zu versinken, sitzt ihm noch ganz schön in den Gliedern,“ meinte Rolf, während er Zandorra nach schaute.
„Geht mir aber auch so, Rolf. Das ging so schnell! Und es war so schwierig, ihn aus diesem Morast heraus zu ziehen. Da kann sich einer alleine nicht mehr befreien, wenn jemand ins Moor gerät und niemand hilft ihm, ist er verloren.“
„Gehen wir auch schlafen, Ingo?“ fragte Rolf nun. „Morgen müssen wir früh raus und es wird ein langer Tag werden.“


Der Weg nach Janten

Am nächsten Morgen erwachte Zandorra schon sehr früh. Seine Schulter und seine Hüfte schmerzten, er konnte nicht mehr auf der harten Pritsche liegen und erhob sich leise. Neben ihm lag der Fürst in seinem Schlafsack und schlief noch fest. Zandorra hinkte zur Tür, die inzwischen nicht mehr zu bewegen war und halb offen stand. Draußen war es noch sehr dämmrig und der Nebel lag über dem Moor. Zandorra bewegte vorsichtig die Schulter und verzog das Gesicht. Dann ging er hinaus zu dem Wagen, an dessen Rad Kevin gebunden war. Jemand hatte dem Gefangenen seinen Schlafsack gebracht und ihn damit eingewickelt. Kevin lag auf dem Boden und schien noch fest zu schlafen. Zandorra ging an ihm vorbei, plötzlich hob Kevin jedoch die im Schlafsack steckenden Beine und trat nach dem Rebellenführer. Der sah den Angriff aus den Augenwinkeln und machte instinktiv einen Satz seitwärts, was ihn jedoch aus dem Gleichgewicht brachte, da er nun seine verletzte Hüfte belastete, die unter ihm wegknickte. Er stürzte, fing sich jedoch ab und stand sofort wieder auf.
„Kevin, was soll das?“ fragte er wütend.
Der gefesselte Rebell starrte ihn aus weit geöffneten Augen hasserfüllt an.
„Binde mich los, Zandorra,“ zischte Kevin, „binde mich los! Du kannst nicht gewinnen! Lass mich einfach frei, das wäre das kleinste Risiko für dich. Ich kenne den Moorpfad nicht, es wäre eine Glückssache, wenn ich drüben ankäme. Das muss dir doch das Risiko wert sein, oder? Ein Glücksspiel – schaffe ich es oder nicht. Wenn ja, bin ich frei, wenn nein, bin ich tot! Wenn ich hier bleiben muss, werde ich ein ständiges Risiko für dich sein!“
Zandorra blickte auf Kevin nieder.
„Zu deiner eigenen Sicherheit wirst du hier bleiben, Kevin,“ antwortete er ruhig. „Ich weiss nicht, was mit dir ist, doch das bist nicht du. Bis ich heraus finde, was mit dir passiert ist, wirst du hier und gefangen bleiben.“
„Du kannst mich nicht gefangen halten, Zandorra!“ zischte Kevin.
„Doch, ich kann,“ widersprach der Rebellenführer. „Und spar dir deine Flüche und Verwünschungen, entweder du redest vernünftig mit mir oder wir beenden das Gespräch.“
Kevin schwieg und starrte Zandorra nach, wie der zum Moorpfad hinkte. Dort blieb der Rebellenführer stehen und blickte auf die dichten Nebelschwaden. Es wurde langsam heller, der Nebel etwas lichter.
„Guten Morgen, Sir,“ sagte eine leise Stimme neben ihm. Zandorra blickte sich um. Zita stellte sich neben ihn und schaute ebenfalls auf das Moor.
„Oh, hallo Zita. Geht es dir wieder gut?“ fragte Zandorra.
„Ja, mir schon, aber Euch jetzt nicht mehr, nicht wahr?“ Zita schaute grinsend zu ihm hoch. „Es ist schon komisch, einer von uns beiden hat ständig irgendwas. Ich habe gehört, was passiert ist, Sir. Es muss ein furchtbares Gefühl sein, im Moor zu versinken,“ sie schauderte, „ich hatte so eine Angst, dass ich ins Moor gerate, bevor Ihr mich auf dem Moorpfad abgeholt hattet. Und nun seid Ihr selber eingesunken.“
„Ja,“ nickte Zandorra und blickte wieder in den Sumpf. „Und das ist tatsächlich ein schreckliches Gefühl. Es ging so schnell.“ Er räusperte sich. „Zita, wir haben bei den Rebellen eine undichte Stelle, irgend jemand, der alles weitergibt und überall lauscht. Du könntest dich auch mal umhören, ob du denjenigen findest.“
Zita blickte ihn nachdenklich an.
„Na, ich würde sofort auf Ulf tippen, Sir,“ meinte sie dann. „Er will Euch nichts Gutes und ihm würde ich zutrauen, dass er Euch belauscht und so.“
„Aber ist Ulf denn nicht zu feige dazu? Ich meine, wenn er erwischt wird, muss er mit Konsequenzen rechnen und davor hat er immer noch Respekt,“ gab Zandorra zu bedenken.
„Aber er hat ein paar Freunde, vielleicht lauscht von denen einer und gibt es an ihn weiter,“ vermutete Zita.
„Kann sein, hör dich einfach mal um. Wir werden nachher nach Janten reiten, paß du auf dich auf, dass du mit Ulf nicht aneinander gerätst. Milo und Tankred achten auf Kevin und die anderen Zirkusleute ebenso. Und bitte, Zita, bleib hier und folge uns nicht schon wieder. Du kennst den Moorpfad nicht und ich möchte mir keine Sorgen machen müssen. Ich habe derzeit genug im Kopf, als auch noch über dich nachdenken zu müssen.“
Zita grinste.
„Ja, Sir, ich werde brav sein.“ Sie hob eine Hand. „Ich versuche es wenigstens.“
Zandorra lachte.
„Okay, das war ehrlich! Komm, gehen wir zurück, mal sehen, ob die anderen schon wach sind.“
Als sie an Kevin vorbei gingen, starrte er sie unverwandt an, doch Zandorra achtete nicht mehr auf ihn, ging außer Reichweite weiter.
Der Fürst war schon eifrig dabei, mit Daniela, Stella und Iris Decken und Taschen auf den kleinen Wagen zu packen. Olli und Hannes kamen gerade aus der großen Hütte und trugen Neal zwischen sich. Sie lagerten ihn vorsichtig auf den Wagen und gingen zurück, um Mirko zu holen. Zandorra trat hinzu, Zita kletterte auf den Wagen.
„Guten Morgen, alles bereit, Fürst?“ fragte der Rebellenführer.
„Ja, wir sind soweit. Wie geht es Euch? Ihr seid früh aufgestanden, nicht wahr?“ Der Fürst sprang vom Wagen und blickte Zandorra ins Gesicht.
„Ich konnte nicht mehr schlafen,“ murmelte der.
„Kann ich mir denken,“ nickte der Fürst. „Soll ich Euch etwas gegen die Schmerzen geben?“
„Nein, danke, Fürst, das ist nicht nötig.“ winkte Zandorra ab. „Habt Ihr schon was gegessen?“
„Nein, ich wollte Neal und Mirko erst lagern. Wir werden bei ihnen auf dem Wagen etwas essen, Stella, Iris und ich. Kann jemand uns was bringen?“
„Ja, ich!“ rief Zita. „Ich bringe euch auch Kaffee, ich kann jetzt nämlich Kaffee kochen! Ingo hat es mir gezeigt!“ Sie sprang vom Wagen und rannte davon. Der Fürst lachte. Stella und Daniela kletterten ebenfalls vom Wagen.
„Wann geht es los, Sascha?“ fragte Daniela.
„Sobald wir etwas gefrühstückt haben,“ antwortete der. „Hast du Ingo und Rolf oder einen der anderen schon gesehen?“
„Ja, sie schlafen noch.“ Daniela blickte zur großen Hütte. „Soll ich sie wecken?“
Zandorra nickte. Nun kamen Milo und Tankred, zusammen mit Balko, René und Carlos zu ihnen.
„Hallo, guten Morgen zusammen,“ grüßte Zandorra und hob lächelnd den gesunden Arm.
„Morgen, wie geht es dir?“ fragte René Feselmann. Zandorra verzog das Gesicht.
„Jedes Mal dieselbe Frage, ich muss mal aufschreiben, wie oft ich diese Frage höre,“ brummte er. „Es geht schon. Wir werden kurz frühstücken und dann geht es los. Und ihr passt bitte auf Kevin auf. Ich hatte heute morgen schon einen kurzen Zusammenstoß mit ihm.“ Er verschwieg seinen Sturz und erzählte nur von Kevin´s merkwürdigem Gerede. „Ich fürchte wirklich, dass er versucht, über das Moor zu entkommen, sobald er eine Möglichkeit sieht.“
„Du meinst, er will sich umbringen?“ fragte Balko entsetzt.
„Ich weiss es nicht, er ist so unberechenbar. Passt jedenfalls sehr auf.“
Zita erschien, beladen mit einem großen Tablett, auf dem eine Kanne, ein paar Tassen, Brot, Schinken, Käse und Obst standen.
„Hier, mehr konnte ich nicht aufladen,“ keuchte sie und stellte das Tablett so schwungvoll auf das Trittbrett des Wagens, dass der Fürst rasch nach der kippenden Kanne griff und die Tassen umfielen.
„Danke, Zita, du bist wieder ganz schön energiegeladen,“ bemerkte der Fürst dazu und goß sich gleich einen Kaffee ein. Dann füllte er die anderen Tassen und verteilte sie. Es reichte natürlich nicht für alle und Zita stürmte noch mal los. Tankred rannte hinter ihr her. „Ich helfe dir!“ rief er dabei.
Die Männer kletterten auf den Wagen zu Iris, die bei den Verletzten saß.
Zandorra reichte der jungen Frau eine Tasse dampfenden Kaffees und ein Schinkenbrot und setzte sich auf den Rand des Wagens. Tankred und Zita erschienen wieder mit zwei weiteren Tabletts.
Sie frühstückten zusammen, dann sprangen die Zirkusleute vom Wagen.
Zita holte die Pferde der Männer und spannte die beiden Zugpferde davor. Zandorra, Rolf, Ingo, Olli und Sven stiegen auf ihre Pferde, während der Fürst und Stella sich zu den Verletzten setzten und Iris kletterte auf den Kutschbock. Zandorra voran, ging es langsam und vorsichtig über den Moorpfad. Keiner von ihnen sagte etwas, sie konzentrierten sich auf ihren Weg.
Zita und die Zirkusleute standen am Gatter und schauten ihnen hinterher.
„Hoffentlich ist er vorsichtig,“ murmelte Milo unruhig. „Er wird gesucht und jeder weiss, wie er aussieht.“
„Sieh nicht so schwarz, Milo!“ rief Zita und stieß ihn mit dem Ellenbogen an. „Sonst mache ich mir auch Sorgen! Er wird schon vorsichtig sein, er will ja nicht gefangen werden! Und außerdem sind die anderen ja auch noch da!“
„Und wir können ohnehin nichts ändern,“ meinte Tankred abschließend und wandte sich um. „Kommt, wir bringen Kevin in die baufällige Hütte und sichern sie ab, damit er nicht abhauen kann.“
„Willst du ihm die Fesseln abnehmen?“ fragte Balko erstaunt.
„Ja, hatte ich vor,“ nickte Tankred. „Schließlich kann er doch nicht tagelang gefesselt sein, oder? Wenn wir die Hütte richtig sichern und ständig bewachen, kann doch eigentlich nichts passieren.“
„Also gut, holen wir alle Zirkusleute, wir werden uns jetzt zuerst diesem Altbau widmen, bevor wir uns an den Bau neuer Hütten ranmachen,“ sagte nun René Feselmann. „Vielleicht möchte Sascha die Hütte, wenn wir sie hergerichtet haben, selber für sich zum Wohnen benutzen.“
„Ja, das ist eine gute Idee,“ stimmte Carlos jetzt zu. „Ich schlage vor, dass drei oder vier Zirkusleute bei Kevin Wache schieben, der Rest macht sich an der Hütte zu schaffen. Dann kann Kevin heute abend in die Hütte einziehen.“
„Woher kriegen wir ein Schloss für die Tür?“ fragte nun Zita.
„Du naseweises Ding hast wieder mal den Nagel auf den Kopf getroffen,“ brummte René. „Wir haben kein Schloss. Wir müssen versuchen, die Tür zu erneuern und irgendwie anders zu sichern.“
„Wir machen einen Riegel draußen dran!“ rief Tankred aus.
„Ja, klar, und wenn Sascha die Hütte benutzt, können wir ihn immer einsperren, wann uns danach zumute ist!“ lachte nun Milo.
Während die Zirkusleute nun zur Hütte gingen, flachsten sie fröhlich weiter. René Feselmann stellte vier Männer als Wache zu Kevin ab, mit dem Rest verschwand er in der Hütte, wo sie sofort anfingen, Bodenbretter, die morsch waren, herauszureißen und zu erneuern, Wandbalken auszubessern und den Kamin abzudichten.

Inzwischen hatten Zandorra und seine Leute den Moorpfad geschafft und trabten jetzt auf Feldwegen Richtung Janten. Sie kamen ganz gut voran, da die Wege noch aufgeweicht waren und daher nicht so uneben und holprig. Der Fürst hatte den beiden Verletzten Schmerzmittel gegeben, so dass sie ruhig liegen konnten. Zandorra wollte zuerst als Späher einiges voraus reiten, doch Ingo und Rolf widersprachen ihm so heftig aufgrund seiner Verletzungen, dass er sich schließlich fügte. So ritt nun Olli voraus. Er würde, sobald er etwas Verdächtiges sah, zurück zum Wagen kommen und die anderen warnen. Doch bis zur Mittagspause blieb erst mal alles ruhig und sie kamen ein ganzes Stück weiter.
Sie rasteten unter einer kleinen Baumgruppe im Schatten, ließen die Pferde sich erholen und grasen und aßen Braten, Obst und Brot, tranken dazu verdünnten Apfelwein. Während Neal ganz ruhig dalag und die meiste Zeit nicht bei sich war, richtete sich Mirko etwas auf und aß sogar ein wenig.
Dann ging es weiter. Da der Sommer eigentlich schon vorbei war und der Herbst eingesetzt hatte, war die Sonne nicht mehr so stark und die Luft war nicht mehr so heiß, sondern es wehte sogar ein angenehmer Wind, der leicht kühlte. Sie ruhten nun nicht mehr bis zum Einbruch der Dämmerung. Da kam Olli zurück und zügelte sein Pferd vor ihnen.
„Dort vorne ist der Gutshof der Pentores, Sascha, sollen wir versuchen, dort zu übernachten?“ fragte er.
„Richtig, wir müssten auch an zwei anderen Höfen vorbei gekommen sein, oder? Ich habe sie gar nicht bemerkt.“ Zandorra verlagerte sein Gewicht auf seinem Pferd.
„Ja, der Hof von den Baltons und der Hof der Leanders,“ nickte Olli. „Ich bin sie extra nicht angeritten, da wir ja bis zur Dämmerung weiter konnten. Doch jetzt sollten wir uns nach einem Übernachtungsplatz umsehen. Für Neal und Mirko ist es besser, wenn sie ein Dach über dem Kopf haben.“
„Ich weiss,“ sagte Zandorra. „Du bist nicht so bekannt, Olli und auch Hannes nicht. Reitet ihr beiden zum Hof der Pentores und fragt, ob wir mit 2 Schwerverletzten dort übernachten dürfen. Wir im Stall oder Scheune, der Arzt, die Frauen und die Verletzten im Haus. Solltet ihr Gefahr wittern oder euch irgendwas komisch vorkommen, kommt beide zurück, ansonsten, wenn alles klappt, reicht es, wenn einer von euch uns holt.“
„Sollen wir deinen Namen nennen?“ fragte Hannes.
„Nein, besser nicht,“ meinte Zandorra. „Vielleicht erkennen sie mich auch nicht, ich werde mich im Hintergrund halten.“
„Kannst du das denn?“ fragte Ingo grinsend. Zandorra schnitt ihm eine Grimasse.
Hannes und Olli ritten los, während die anderen beim Wagen stehen blieben.
Ingo und Rolf sprangen vom Pferd und auch der Fürst und die Frauen kletterten vom Wagen.
„Es tut gut, sich die Beine etwas zu vertreten,“ seufzte der Fürst erleichtert. „Wollt Ihr nicht auch absteigen, Sascha?“
„Nein, ich weiss nicht, ob ich wieder aufsteigen kann,“ murmelte der Rebellenführer.
Der Fürst nickte kurz und trat neben Zandorra´s Schimmel.
„Steigt ab,“ befahl er ruhig. „Es reicht für heute, Ihr könnt notfalls das letzte Stück auf der Kutsche mitfahren. Euer Schimmel sollte ohnehin eine Decke umgehängt bekommen, er ist viel zu auffällig.“
Der Rebell glitt wortlos vom Pferd und wäre beinahe gestürzt, wenn der Arzt ihn nicht gehalten hätte. Seine Hüfte schmerzte so, dass sein Bein unter ihm wegknickte. Er lehnte sich an den Wagen.
Der Fürst reckte sich und zog seine Tasche zu sich. Dann kramte er kurz darin herum und reichte schließlich dem Rebellenführer einen kleinen Becher.
„Hier, trinkt das,“ befahl er wieder mit Arztstimme.
„Was ist das?“ fragte Zandorra misstrauisch.
„Ein Schmerzmittel. Nein, keine Widerrede! Ihr trinkt das jetzt sofort. Es macht Euch nicht schläfrig, es betäubt nur die Schmerzen.“ Der Fürst drückte dem Rebell den Becher in die Hand und wartete geduldig, bis der ihn geleert hatte. Zandorra schüttelte sich.
„Widerlich!“ brummte er und verzog das Gesicht.
„Medikamente, die wirken, schmecken nie gut, Sascha,“ bemerkte nun Iris.
„Sascha, hast du einen Plan, wenn wir in Janten sind?“ fragte jetzt Rolf.
„Wenn wir dort angekommen sind, wird Hannes zu seiner Schwester gehen, Sven hat einen Spezialauftrag von mir. Wir anderen vier trennen uns, nachdem wir den Fürst, die Frauen und die Verletzten im Krankenhaus abgeliefert haben. Wir werden jeder für sich einkaufen gehen,“ antwortete der Rebellenführer.
„Das finde ich gar nicht gut, dass Ihr alleine durch Janten spazieren wollt,“ bemerkte der Fürst. Er musterte den Rebell und holte dann aus dem Wagen seinen Degen. Dann zog er Zandorra´s Degen aus dessen Schärpe und stellte sich vor ihm hin.
„Hier, nehmt Euren Degen,“ forderte er den Rebell auf.
„Was soll das, Fürst?“ fragte Zandorra verdutzt. „Wollt Ihr Euch mit mir duellieren?“ Der Fürst lachte leise auf.
„Ich kann zwar, obwohl ich Arzt bin, mit dem Degen umgehen, aber ich glaube, gegen Euch hätte ich keine Chance. Ich will Euch nur etwas zeigen. Auf geht´s, Sascha, verteidigt Euch!“ Er hob seinen Degen und griff an.
Zandorra parierte geschickt und wieder griff der Fürst an. Zandorra, der nicht verstand, was der Fürst vor hatte, parierte jeden Angriff, ohne selber anzugreifen. Er konnte zwar seinen linken Arm kaum bewegen, doch er kämpfte rechts und daher machte es ihm keine Schwierigkeiten, sich gegen die Angriffe des Fürsten zu wehren. Rolf, Ingo, Sven, Iris und Stella schauten ihnen zu. Auch sie begriffen nicht ganz, was der Fürst beweisen wollte.
Plötzlich machte der Fürst einen Ausfallschritt und einen nicht ganz fairen Hieb gegen den Rebell. Zandorra sprang zur Seite und .. .stürzte, da sein Bein unter ihm wegknickte. Er stieß zwischen zusammengebissenen Zähnen einen wütenden Fluch aus. Der Fürst nickte und steckte seinen Degen ein. Dann ging er zum Rebellenführer und half ihm beim Aufstehen.
„Seht Ihr es jetzt?“ fragte der Arzt dabei. „Ihr hättet keine Chance, Euch gegen die Soldaten zu wehren.“
„Das war auch ein unfairer Hieb, Fürst,“ keuchte Zandorra vorwurfsvoll.
„Spielt doch keine Rolle, Sascha,“ wehrte der Fürst ab. „Meint Ihr, die Soldaten oder jemand, der das Kopfgeld für Euch kassieren will, kämpft fair?“
„Er hat recht, Sascha,“ stimmte Ingo dem Arzt zu.
Zandorra hielt eine Hand an seine Hüfte und lehnte wieder am Wagen.
„Also gut, dann gehen wir halt nicht allein. Olli und Rolf fallen am wenigsten auf, ihr kauft dann die Lebensmittel ein. Ingo und ich werden die Kleidung besorgen.“ Er wandte sich an den Fürst. „Ist das so in Ordnung für Euch, Doktor?“ Der Fürst grinste und nickte.
„Gut,“ fuhr Zandorra fort, „wir werden, sobald wir Euch im Krankenhaus abgeliefert haben, mit dem Wagen fahren, das heißt, Olli und Rolf werden den Wagen nehmen. Ingo, wir beide gehen zu Fuß. Die Pferde lassen wir hinter dem Krankenhaus im Stall. Wir treffen uns dann später wieder am Krankenhaus, um auch Iris und Stella wieder mit zu nehmen. Fürst, sollte es Probleme geben wegen Neal oder Mirko, schickt jemanden, der uns holen kommt.“
„Es wird keine Probleme geben,“ sagte der Fürst entschlossen. „Es sind zwei Schwerverletzte unter meiner Obhut, da wird keiner Probleme machen.“
„Okay, wenn Ihr meint. Iris und Stella, ihr beiden besorgt euch nötige Medikamente, die wir im Moor brauchen. Möchte eine von euch bei Mirko oder Neal bleiben oder kommt ihr beide zurück zur Moorinsel?“
Die beiden Frauen sahen sich an.
„Ich glaube, wir kommen beide zurück,“ antwortete dann Stella. „Die beiden sind doch beim Fürst bestens aufgehoben und Daniela wird uns im Moor dringender benötigen.“
„Ja, da hast du recht,“ nickte Zandorra. „Schaut, dort kommen Olli und Hannes wieder. Mal hören, ob wir heute Nacht ein Dach über dem Kopf haben.“
Die beiden Rebellen kamen heran und zügelten die Pferde vor den anderen.
„Es klappt,“ teilte Olli mit. „Die Pentores sind sehr freundlich und voll auf der Seite der Rebellen,...“
„....wie eigentlich die meisten der alleine stehenden Gutshöfe,“ unterbrach Hannes.
„...sie werden uns nicht verraten und Neal und Mirko, sowie die Frauen und der Fürst bekommen Zimmer im Haus. Allerdings haben sie nicht soviel Platz, auch uns unterzubringen, die Frau hat sich dafür hundertmal entschuldigt.“ Olli grinste. „Sie macht uns dafür als Entschädigung ein feines Abendessen. Wir werden dann im Stall übernachten. Dort ist ein großes Heulager oberhalb der Ställe.“
„Weiß sie, wie viel wir sind und wer wir sind?“ fragte Ingo.
„Wieviel wir sind, ja, das haben wir ihr gesagt, schon wegen dem Essen,“ antwortete Olli. „Aber sie weiß keine Namen.“
„Okay, reiten wir los!“ Zandorra wandte sich um und zog sich am Wagen hoch. Der Fürst, Ingo und Rolf wechselten einen Blick, sagten aber nichts dazu.
Iris übergab dem Rebellenführer die Zügel für die Kutsche und rutschte zur Seite. Auch sie machte keine Bemerkung. Nur Olli und Hannes blickte etwas erstaunt, nachdem jedoch niemand etwas sagte, schwiegen sie dazu.
Kurz darauf erreichten sie den Gutshof. Zandorra fuhr den Wagen direkt vor das Haus. Da kam auch schon der Gutsherr heraus mit zwei kräftig aussehenden Männern. Er winkte den beiden zu.
„Dort auf dem Wagen liegen die Verletzten! Bringt sie ins untere Zimmer!“ Er wandte sich an die Rebellen. „Wer von euch ist der Arzt?“
„Ich,“ meldete sich der Fürst und stellte sich vor: „Fürst Oliver von Stryth, es ist sehr freundlich und mutig von Euch, uns für diese Nacht aufzunehmen.“
„Oh, wir freuen uns sehr, den Rebellen helfen zu können!“ grinste der Gutsherr. „Mein Name ist Kent Pentores, dies sind mein Sohn Jochen und mein Neffe Brett. Ach, da kommt auch schon meine Frau, die Doris!“ Er winkte einer kräftigen, mittelgroßen Frau mit rotem Gesicht und hellblonden Haaren zu, die auf sie zugelaufen kam.
„Die Zimmer sind bereits gerichtet, sobald ihr etwas gegessen habt, wird Svenja, unsere Tochter, euch die Zimmer zeigen. Es tut mir leid, dass der Platz nicht für alle reicht!“
„Wir übernachten gerne im Heu, macht Euch nur nicht soviel Umstände,“ sagte Zandorra und lächelte die Frau freundlich an. „Hauptsache, die Verletzten sind gut untergebracht.“
Die Frau nickte lebhaft, blickte ihn an und - erstarrte!
„Sascha Zandorra!“ flüsterte sie dann. „Kent, das ist Sascha Zandorra, der Rebellenführer persönlich!“
Der Gutsherr starrte den Rebell nun auch an und nickte dann.
„Du hast recht, Doris!“ rief er aus.
Die Rebellen standen abwartend da und schwiegen. Würden die Gutsleute sie auch aufnehmen, wenn Zandorra dabei war? Das Risiko wuchs nämlich so um ein vielfaches: wer den Rebellenführer beherbergte, schützte oder half, erhielt die Todesstrafe, während bei „normalen“ Rebellen lediglich das Arbeitslager oder, schlimmstenfalls, der Kerker drohte.
„Doris,“ wandte sich jetzt der Gutsherr an seine Frau, ohne Zandorra aus den Augen zu lassen. „haben wir nicht noch eine Kammer? Sonst schläft heute nacht Svenja bei uns, damit der Rebellenführer ein richtiges Bett bekommt.“
„Halt, nein, das ist gar nicht nötig!“ widersprach Zandorra sofort. „Ich werde im Heu bei den anderen Rebellen übernachten! Ihr helft uns schon sehr, in dem Ihr den Arzt, die Frauen und die Verletzten beherbergt!“
„Wie Ihr wollt, Sir,“ nickte die Gutsherrin. „Doch jetzt kommt erst mal mit hinein, wir werden im Haus gemeinsam essen!“
„Können wir die Pferde in den Stall bringen? Und den Wagen hinters Haus stellen?“ fragte Zandorra.
„Ja, natürlich!“ Der Gutsherr winkte seinem Sohn, der gerade wieder aus dem Haus kam, nachdem er und sein Cousin Neal und Mirko ins die Zimmer gebracht hatten. „Jochen, bring die Pferde in den Stall und Brett, du fährst den Wagen hinter das Haus! Dann kommt mit rein! So, Sir, wird alles erledigt, lasst uns rein gehen.“
Sie folgten den Gutsleuten. Das Herrenhaus war groß, aus Stein und Holz gebaut und wirkte mit einer großen Veranda sehr einladend. Die Pentores führten sie durch einen breiten Flur, der vollkommen holzverkleidet war. Eine Treppe aus breiten Stufen mit einem herrlich verzierten Geländer führte nach oben, doch sie gingen den Flur weiter, an der Treppe vorbei. An den hölzernen Wänden gingen verschiedene Jagdtrophäen, wie kleine Geweihe und Felle. Sie traten durch einen Türrahmen und kamen in ein großes, weites Zimmer. Im Kamin flackerte ein Feuer und unzählige Kerzen auf dem langen, riesigen Tisch und an den Wänden erhellten den Raum mit freundlichem Licht und Wärme.
„Wenn Ihr Euch erst frisch machen möchtet, das Badezimmer ist schräg gegenüber,“ sagte die Hausherrin. Nacheinander gingen die Rebellen zum Waschen, ließen Stella und Iris den Vortritt. Endlich waren sie alle sauber und setzten sich hungrig an den riesigen Tisch.
„Wir haben leider kaum Bedienstete, nur eine Magd, einen Knecht und eine Haushälterin, die mir etwas zur Seite geht,“ entschuldigte sich Doris Pentores.
„Und die haben alle schon Feierabend und haben sich zurück gezogen. May, die Haushälterin, hat ein paar Tage frei und ist in Urntal bei ihrer Schwester, daher müssen Svenja und ich alles alleine machen.“
Sie und ihre Tochter, ein hübsches, junges Mädchen von vielleicht sechzehn Jahren mit langen, geflochtenen Zöpfen, lebhaften blauen Augen und von kräftiger Statur, brachten nun Töpfe und Pfannen herein. Verstohlen beobachtete Svenja während dem Auftischen und auch während dem ganzen Essen den Rebellenführer.
„Ihr seid verletzt, Sir?“ fragte sie leise und zeigte auf den in der Schlaufe steckenden Arm des Rebellen.
„Ja, aber das ist nicht weiter schlimm,“ antwortete Zandorra. „Ich habe gehört, Ihr und Eure Mutter haben selber gekocht?“ wechselte er dann das Thema. „Es schmeckt wirklich hervorragend, Ihr seid eine gute Köchin!“
Das Mädchen errötete, wandte den Blick jedoch nicht ab.
„Ich koche sehr gerne und es macht noch mehr Spaß, wenn Gäste da sind,“ hauchte sie.
„Bringt Ihr die Verletzten ins Krankenhaus nach Janten?“ fragte jetzt der Gutsherr. Und als der Fürst nickte, fuhr er fort: „Und Sascha Zandorra persönlich begleitet einen Krankentransport? Da stimmt doch was nicht! Ihr habt wieder etwas vor, nicht wahr?“
Die Rebellen schwiegen und aßen weiter. Der Gutsherr räusperte sich.
„Gut, geht mich nichts an, verstehe. Aber, Sir, in Janten befinden sich zur Zeit sehr viele Soldaten aus dem Norden. Die sind recht brutal und folgen dem König und seinen grausamen Anordnungen zu gerne. Paßt auf Euch auf, das Kopfgeld für Euch wurde wieder erhöht! Der König ist sehr wütend auf Euch, wegen dem misslungenen Angriff in den Blauen Bergen und weil Ihr die Kanone nun habt.“
„Gut zu wissen, Sir, vielen Dank für die Warnung,“ sagte Zandorra und legte seine Gabel zur Seite. „Wißt Ihr auch, warum so viele Soldaten da sind?“
„Nein, genau weiß das niemand,“ der Gutsherr zuckte die Achseln. „Es geht ein Gerücht um, dass der König, der im tiefsten Winter Geburtstag hat, diesen Tag besonders feiern will. Angeblich hat er sich Euch zum Geburtstag gewünscht.“
„Oh,“ wandte sich nun Ingo an den Rebellenführer, „Sascha als Geburtstagsgeschenk?“ er grinste. „Man könnte fast lachen, wenn das alles nicht so schrecklich gefährlich und verrückt wäre.“
„Der König ist verrückt,“ meinte der Gutsherr. „Ich bin froh, wenn er uns in Ruhe lässt. Svenja ist ein hübsches Mädchen, sie würde sicher gerne mal in die Stadt reiten und sich amüsieren, mal sich mit Freunden treffen oder bummeln gehen, doch das haben wir strengstens untersagt! Es ist einfach zu gefährlich bei den vielen Soldaten. Wenn sich einer von denen an ihr vergreift, sind wir alle verloren, denn ich würde nicht zulassen, dass meiner Tochter ein Leid geschieht. Und wenn wir uns wehren, na ja, Ihr wisst ja, was der König dann macht.“
„Zum Glück liegt unser Hof so weit abseits, dass sie kein Interesse daran zeigen,“ warf jetzt die Gutsherrin ein. „Zudem haben wir extra nur Schweine und Kühe und Pferde hier, keinen Ackerbau, damit sie nicht auf den Gedanken kommen, hier frisches Gemüse zu holen. Denkt Euch also nichts dabei, wenn Ihr morgen früh vom Quieken der Schweine aufwacht. Sie haben ihre Unterkunft hinter dem Stall, denn Schweine und Pferde verstehen sich nicht so gut.“
Sie erzählten alle noch ein wenig, doch der weite Ritt hatte sie müde gemacht und bald zogen sich alle zurück. Die Gutsleute und ihre Jugend gingen ohnehin recht früh schlafen, für sie war es heute sogar recht spät schon. Denn bereits im Morgengrauen mussten die Tiere versorgt werden!
Der Fürst übernachtete im Zimmer bei den Verletzten und zog sich als erster zurück. Nebenan schliefen dann Stella und Iris und die restlichen Rebellen gingen in den Stall.
Hier duftete es nach Heu, Pferden und Leder. Sie mussten eine steile Leiter hochsteigen, um auf den Heuboden zu gelangen. Zandorra hatte dabei ziemliche Schwierigkeiten, er konnte sich ja nur mit einer Hand festhalten und das eine Bein nur schlecht belasten. Doch endlich war auch er oben.
„Das ist doch mal was anderes, als die nebligen Moornächte!“ Ingo rieb sich die Hände, breitete eine Decke im Heu aus und ließ sich darauf fallen.
„Soll jemand Wache stehen?“ fragte Olli.
„Nein, ich glaube nicht, dass das nötig ist,“ sagte Zandorra nachdenklich.
„Mann, als die Gutsfrau dich erkannt hat, Sascha, dachte ich erst, jetzt ist alles aus!“ Rolf legte sich neben Ingo, nahm einen Halm und kaute darauf herum.
„Ja, ich war mir auch nicht ganz sicher, wie sie reagieren würden,“ meinte Zandorra dazu. „Es ist irgendwie traurig, da muss ein junges Mädchen auf dem Gutshof weit außerhalb eingesperrt bleiben, damit die Familie in Ruhe leben kann und ihr nichts passiert. Als wären junge Mädchen Freiwild für die Soldaten! Das ist doch nicht richtig!“
„Nein, richtig ist es nicht, doch was willst du dagegen unternehmen?“ seufzte Hannes.
„Noch kann ich nichts unternehmen, noch sind die Menschen zu ängstlich und wir Rebellen zu wenig. Aber die Zeit wird kommen, da werde ich den König heraus fordern.“ Zandorra humpelte zum kleinen Fenster und schaute in die dunkle Nacht hinaus. „Er will mich als Geburtstagsgeschenk? Mal sehen, was sich tun lässt, aber anders, als er sich das denkt,“ murmelte er. „Ihr verpasst etwas, wenn ihr im Heu liegt.“ Er wandte sich um und lächelte. „Hier ist kein Nebel, es ist eine klare ruhige Nacht mit Sternen am Himmel und einem leuchtenden Mond!“
Olli, Hannes und Sven stellten sich neben ihn.
„In den Blauen Bergen hat der Mond immer so hell geschienen, da habe ich ihn manchmal verflucht, weil ich nicht schlafen konnte,“ murmelte Olli. „Doch ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal so freue, ihn zu sehen!“
„Ihr solltet euch jetzt trotzdem hinlegen,“ meinte Ingo vom Heu her, „morgen wird ein anstrengender Tag. Sascha, du kannst dich mit auf meine Decke legen, sie ist sehr groß. Sonst kannst du vor lauter Pieksen nicht schlafen, denn das Heu piekt ziemlich.“
Zandorra ging zu ihm und setzte sich neben den bärtigen Rebell.
„Danke, Ingo, ich kann gar nicht verstehen, wie Zita im Heu immer schläft.“
„Sie ist nichts anderes gewöhnt,“ meinte Olli. „Sie würde sich wahrscheinlich in einem Bett gar nicht wohl fühlen.“
„Zumindest duftet das Heu sehr gut,“ sagte Zandorra, legte sich vorsichtig zurück und gähnte. „Gute Nacht, hoffen wir, dass die Nacht auch gut bleibt!“

Die Nacht war ruhig und sie wurden im Morgengrauen wirklich vom lauten Quieken der Schweine hinter dem Stall geweckt.
Zandorra war der erste, der sich etwas schwerfällig erhob, während sich die anderen noch mal umdrehten. Er schüttelte sich Heu aus den Haaren und aus der Kleidung und ging sofort wieder zum Fenster. Er bewegte sich leise, da er nicht sicher war, ob die anderen ebenfalls wach waren.
Das Quieken der Schweine wurde noch lauter und aufgeregter, dann wurde es plötzlich leiser und von heftigem Schmatzen und Grunzen abgelöst. Offenbar wurden sie gerade gefüttert. Sehen konnte er sie nicht, das Fenster war an der Vorderseite des Stalles, er konnte allerdings das Gutshaus sehen und den großen Platz davor, nebenan eine kleine Scheune, offensichtlich für Droschken oder Wagen. Hühner liefen pickend über den Hof, ein paar Tauben gesellten sich zu ihnen, um auch etwas von den Körnern, die gestreut worden waren, abzukriegen. Zandorra nahm das friedliche Bild in sich auf und atmete die frische, klare Luft.
Die Sonne stand noch tief am Himmel, der allerdings ziemlich wolkenverhangen war und sie immer wieder verschwinden ließ. Ein leichter Wind wehte. Im Haus war es noch still, aus dem Kamin quoll Rauch und in der Küche konnte er eine flackernde Kerze am Fenster erkennen. Hin und wieder huschte ein Schatten am Küchenfenster vorbei, offenbar war die Gutsherrin dabei, Frühstück zu richten. Dann erschienen von der Seite des Stalles der Gutsherr und sein Sohn vom Schweinefüttern mit leeren Eimern. Sie unterhielten sich leise, verstehen konnte Zandorra aber kein Wort. Er bewegte vorsichtig die Schulter und versuchte, den Arm zu heben. Beides schmerzte heftig, so legte er seinen Arm wieder in die Schlinge zurück und ging zur Leiter.
„Wo willst du denn hin so früh am Morgen?“ fragte Rolf gähnend vom Lager her.
„Heute könntest du mal etwas länger schlafen, warum bist du schon wieder auf?“
„Die Schweine haben mich geweckt, und wenn ich einmal munter bin, kann ich nicht mehr liegen bleiben,“ antwortete Zandorra leise. „Laß die anderen noch ein wenig schlafen. Ich schau mal, ob ich mich irgendwo waschen kann.“
„Gute Idee, ich komme mit.“ Rolf erhob sich leise und kam an die Leiter.
„Soll ich dir helfen?“ fragte er dann. Zandorra schüttelte den Kopf.
„Runter müsste es leichter sein als hoch, das schaff ich schon.“
Es ging tatsächlich wesentlich einfacher, als am Abend vorher. Doch er hatte noch vier Sprossen vor sich, als er ungünstig mit dem Bein aufkam und stürzte. Doch glücklicherweise hatte er sich nicht verletzt und stand gleich wieder auf. „Verdammt,“ fluchte er dabei, „jetzt war meine Schulter gerade soweit verheilt, dass ich mich wieder bewegen konnte, da muss mich Kevin so dumm erwischen ! Ich bin mal gespannt, wann ich mich wieder ohne Schmerzen bewegen kann.“
Rolf sprang neben ihn.
„Wenn du dich weiterhin so wenig schonst, wird es schon noch eine Weile dauern,“ stellte er dann fest. „Warum lässt du dir denn nicht helfen?“
Zandorra antwortete nicht und hinkte zur Tür. Leise zog er sie auf und trat auf den Hof, der gerade wieder von der Sonne beschienen wurde.
„Es ist schön hier, Rolf, meinst du nicht auch?“
„Ich weiß, was du meinst,“ nickte Rolf zustimmend. „So friedlich und ruhig.“
Sie gingen über den Hof zum Gutshaus. Die Hühner flatterten und gackerten protestierend, doch kaum waren sie vorbei, kamen sie wieder heran und pickten weiter. Die Haustür wurde geöffnet und Svenja stand vor ihnen.
„Guten Morgen,“ hauchte sie scheu. „Das Frühstück ist gleich fertig.“
„Wir würden uns gerne frisch machen.“ sagte Zandorra. „Ist der Arzt schon munter?“
Svenja schüttelte den Kopf und führte sie zum Badezimmer, wo sie auch am Abend vorher sich waschen konnten.
Rolf hatte seine Tasche dabei und kramte jetzt nach Rasierzeug und Handtuch. Zandorra zog den Pullover aus, ging zum Waschbecken, hielt seinen Kopf unter den Wasserhahn und ließ kaltes Wasser darüber laufen. Er prustete und richtete sich dann auf.
„Kannst du mir dein Handtuch leihen?“ fragte er. Rolf reichte es ihm und seifte sein Gesicht ein.
„Du kannst dich auch rasieren, wenn du möchtest,“ schlug er dann vor.
Zandorra rieb sich über das stoppelige Kinn und nickte.
„Ja, danke, so ein Stoppelbart gefällt mir gar nicht.“
„Sollen wir den Fürst wecken?“ fragte Rolf, während er sich abtrocknete und ein frisches Hemd überzog.
„Nein, laß ihn auch noch etwas schlafen,“ meinte Zandorra. Er betrachtete den Pullover und zog ihn dann wieder über. „Ich bin froh, wenn ich wieder frische Kleidung habe. So schmutzig und verschwitzt fühle ich mich einfach nicht wohl.“
Rolf warf ihm einen kurzen Blick zu und ging dann zur Tür.
Doch bevor er sie öffnen konnte, wurde sie von außen aufgestoßen. Rolf sprang einen Satz zur Seite, da kamen auch schon leise schwatzend und verhalten lachend Olli, Sven, Hannes und Ingo in das Badezimmer. Sie verstummten erschrocken, als sie die beiden anderen Rebellen sahen.
„Oh, hallo, guten Morgen,“ sagte Olli, „wir dachten, ihr seid schon beim Frühstück! Es duftet herrlich nach Kaffee und frischem Brot.“
„Wir wollten gerade gehen, wenn ihr brav seid, lassen wir euch etwas übrig,“ grinste Zandorra und hinkte an ihnen vorbei. Rolf folgte ihm, während die anderen im Badezimmer verschwanden.
Svenja erwartete sie an der Esszimmertür mit einer Kanne Kaffee in der Hand.
„Die beiden Frauen sind schon wach und frühstücken,“ teilte sie mit. Tatsächlich saßen Iris und Stella auf ihren Plätzen, unterhielten sich angeregt und aßen frisches Brot mit Schinken und Käse überbacken. Es duftete herrlich!
Sie schauten auf, als die beiden Männer eintraten.
„Na, gut geschlafen im Heu?“ fragte Stella fröhlich.
„Ja, kann man sagen,“ lächelte Zandorra und setzte sich neben sie. Während sie aßen kamen nun auch noch Ingo, Olli, Sven und Hannes herein.
„Wo ist denn der Fürst?“ fragte Ingo und langte nach einer Scheibe Brot.
„Er versorgt Mirko und versucht, ob Neal etwas essen kann,“ teilte Iris mit.
„Wie war eure Nacht? Haben Neal und Mirko schlafen können?“ fragte jetzt Zandorra.
„Ja, Neal ist ja fast die meiste Zeit ohnehin in einem Dämmerzustand, aber Mirko geht es schon wieder etwas besser. Doch der Fürst meint, dass er im Krankenhaus am besten aufgehoben ist, da seine Verletzung eitert.“
„Er meinte auch, dass du dich dort auch untersuchen lassen könntest, Sascha,“ sagte Stella und trank ihre Tasse Kaffee leer. Zandorra lachte leise.
„Das sieht ihm ähnlich,“ meinte er dann. „Mir geht es soweit ganz gut und ich habe gar keine Zeit, um im Krankenhaus zu bleiben.“
„Ja, er hat sich so was schon gedacht,“ nickte Stella und stand auf. „Ich werde mal sehen, ob ich ihn ablösen kann, dann kann er wenigstens auch noch in Ruhe frühstücken, bevor wir wieder losfahren.“
Sie ging hinaus. Nach einer Weile erschien der Fürst. Er sah sauber und frisch aus und setzte sich hungrig auf einen der freien Plätze. Nun erschienen auch die beiden Gutsleute und setzten sich dazu.
„Seid Ihr schon fertig mit Frühstücken?“ fragte der Gutsherr mit einem Blick auf die leeren Teller. „Wann soll es denn weiter gehen? Wohin geht´s denn?“
Zandorra räusperte sich.
„Sobald der Fürst fertig ist werden wir die Verletzten wieder auf den Wagen bringen und weiter ziehen,“ antwortete er, ohne die zweite Frage zu beachten. Ingo blickte ihn etwas erstaunt an, sagte jedoch nichts.
„Sagtet Ihr nichts von einem Knecht und einer Magd?“ fragte Zandorra dann.
„Ja, doch Vroni, die Magd, kommt erst später und unser Knecht Henrik müsste jeden Augenblick eintreffen,“ teilte der Gutsherr mit. „Mein Sohn und ich füttern frühs die Tiere, Henrik kommt dann zum Melken der Kühe und zum Reparieren von Zäunen und so.“
Bevor Zandorra noch etwas sagen konnte, wurde die Tür geöffnet und ein kräftiger, großer Mann trat ein. Er hatte ein rotes, von einem dunklen Stoppelbart halb verdecktes Gesicht, dunkle, struppige Haare und riesige, behaarte Hände. Bekleidet war er mit einer groben Leinenhose, einem kariertem Flanellhemd und Gummistiefeln. Der Gutsherr stand auf und ging, ohne die Männer vorzustellen, mit dem Mann hinaus.
„War das der Knecht?“ fragte Olli.
„Ja, das war Henrik,“ nickte die Gutsherrin. „Ihr müsst entschuldigen, mein Mann hat ihn schon erwartet, sie haben dringend etwas zu erledigen.“
„Okay, ich bin fertig,“ teilte der Fürst nun mit und stand auf. „Ich werde Neal und Mirko auf den Wagen bringen, dann können wir gleich los.“
„Ich helfe Euch....“ begann Zandorra, doch Ingo legte ihm eine Hand auf die unverletzte Schulter und meinte:
„Du kannst noch ein wenig sitzen bleiben, du kannst ohnehin nichts helfen. Kommt, Rolf und Hannes, wir werden dem Fürst helfen.“
Zandorra wollte etwas erwidern, doch ein Blick auf das neugierige Gesicht der Gutsherrin ließ ihn schweigen. Olli stand nun ebenfalls auf.
„Ich werde die Pferde richten,“ sagte er und ging auch.
Nun saßen nur noch Sven, die Gutsherrin, Iris und Zandorra am Tisch. Sie hörten die Schritte der Männer vor der Tür und vor dem Fenster das Wiehern und Stampfen der Pferde. Zandorra stand auf. Sofort erhoben sich auch die anderen Rebellen.
„Es war sehr freundlich von Euch, uns über Nacht aufzunehmen,“ sagte er zur Gutsherrin, die sich ebenfalls erhob. „Ich hoffe, Ihr bekommt keine Schwierigkeiten deswegen. Vielen Dank nochmals.“ Er gab ihr die Hand.
„Bringt die Verletzten gut ins Krankenhaus,“ lächelte die Frau. „Und ich wünsche Euch alles Gute, was immer Ihr auch vor habt. Und lasst Euch nicht erwischen, denkt daran: die Rebellion fällt und steht mit Euch, Sascha Zandorra!“
Vor dem Gutshof war inzwischen alles abfahrbereit. Die Zugpferde waren eingespannt und warteten geduldig, Stella saß bereits auf dem Kutschbock. Die beiden Verletzten lagen auf dem Wagen, Rolf und Olli brachten die letzten Gepäckstücke unter. Der Fürst saß ebenfalls auf dem Wagen. Iris kletterte nun zu Neal und Mirko hinauf, während die anderen Rebellen auf ihre Pferde stiegen. Zandorra hatte Schwierigkeiten, doch er biß die Zähne zusammen und zog sich mit dem gesunden Arm hinauf. Zum Glück war sein Schimmel ein geduldiges Pferd, wenn es um seinen Herrn ging und er blieb ruhig stehen, schnaubte nur leise. Der Fürst beobachtete Zandorra mit gerunzelter Stirn. Ein Blick in das verzerrte Gesicht des Rebellenführers sagte ihm alles. Der nahm die Zügel in die Hand und lenkte seinen Schimmel voran.
„Viel Glück!“ rief die Gutsherrin ihnen zu.


Der Verrat

In raschem Trab ging es vorwärts. Nach einer Weile war der Gutshof fast nicht mehr zu sehen. Der Fürst blickte sich um und rief dann nach Zandorra.
Der Rebellenführer ließ sein Pferd langsamer gehen, bis er neben dem Kutschbock ritt. Er blickte zum Fürst hinunter.
„Was gibt es, Fürst?“ fragte er.
„Ist Euch eigentlich aufgefallen, dass der Gutsherr verschwunden ist?“
„War das der Grund, warum Ihr es plötzlich so eilig hattet, aufzubrechen?“ fragte Zandorra zurück.
„Ich habe kein gutes Gefühl dabei,“ nickte der Fürst und schaute nachdenklich nach vorne. „Bis der Knecht kam, waren alle freundlich und hilfsbereit. Doch kaum war der Knecht erschienen, da war der Gutsherr nicht mehr zu sehen. Er hat sich nicht mal verabschiedet. Das ist doch merkwürdig, oder? Und Stella hat sie miteinander reden hören, den Gutsherr und seinen Knecht.“
„Hast du gehört, worüber sie geredet haben?“ fragte Zandorra die Frau.
„Teilweise,“ antwortete Stella. „Ich konnte nicht alles verstehen, aber ich glaube, es ging um das Kopfgeld für dich. Der Knecht war dabei, den Gutsherr zu überzeugen, dass er zumindest einen Teil des Geldes bekommen würde, wenn er dem König mitteilt, dass wir nach Janten ins Krankenhaus gehen.“
Zandorra runzelte die Stirn.
„Verrat?“ murmelte er. „Hat jemand gesehen, ob ein Reiter den Gutshof verlassen hat?“ fragte er dann die anderen Rebellen, die die Unterhaltung nicht mitgekriegt hatten.
„Nicht nur ein Reiter,“ grinste Hannes, „es waren fünf, nämlich wir! Und ein Wagen dazu!“
„Hannes, das ist kein Witz. Stella hat eine interessante Unterhaltung zwischen Gutsherr und Knecht mitgehört und die klang sehr nach Verrat,“ sagte Zandorra.
„Meinst du, der Gutsherr würde uns an den König verraten?“ fragte Ingo erstaunt. „Damit klagt er sich doch selber an, weil er uns doch übernachten ließ.“
„Ich weiss nicht, ob er soweit denkt. Ich kenne den Knecht nicht und nicht seinen Einfluß auf den Gutsherrn. Er jedenfalls möchte offenbar das Kopfgeld, das es für mich gibt, kassieren.“
Nachdenklich ritten sie weiter. Schließlich fragte Olli:
„Hast du einen Plan, Sascha, was wir tun sollen? Ich meine, wenn die Pentores uns verraten, dann warten sicherlich Soldaten vor Janten auf uns. Und wir werden, wie es aussieht, noch bei hellem Tag ankommen.“
„Ja, wir kommen gut voran,“ stimmte Zandorra zu. „Vielleicht können wir heute noch alle Einkäufe erledigen und uns gleich auf den Rückweg machen.“
„He, du hast meine Frage nicht beantwortet!“ rief Olli. „Warum lenkst du ab?“
„Weil ich noch keinen Plan habe, deshalb,“ seufzte der Rebellenführer. „Ich habe noch etwas Zeit, mir etwas zu überlegen.“
Wieder schwiegen sie ein Weile. Zandorra wollte voraus reiten, doch Olli griff in seine Zügel.
„Was soll das?“ fragte der Rebellenführer verwirrt.
„Ich werde wieder voraus reiten, du bleibst hier, bei den anderen,“ bestimmte Olli und ließ sein Pferd angaloppieren. „So wie gestern!“ rief er über die Schulter zurück. Zandorra blickte ihm finster hinterher.
„Ich kann besser nachdenken, wenn ich alleine reite,“ brummte er.
„Ihr könnt erst mal froh sein, Euch überhaupt auf dem Pferd halten zu können,“ schimpfte der Arzt vom Kutschbock aus. „So, wie Ihr aufgestiegen seid, ist es besser, Ihr haltet Euch etwas zurück! Am Besten wäre es, Ihr kommt auf den Wagen, dann könnt Ihr Eure Hüfte schonen.“
„Kommt nicht in Frage, ich kann reiten!“ widersprach Zandorra heftig. „Und wir haben gerade andere Probleme, als uns über mich zu unterhalten!“
„Von wegen,“ meinte Ingo mit tiefer Stimme, „es könnte in Janten sehr wichtig werden, wie schnell du auf dein Pferd kommen kannst!“
Zandorra schwieg dazu. Gegen Mittag kamen sie an einen Fluß und folgten diesem eine Weile.
„Wollen wir, bevor wir Janten erreichen, noch einmal rasten?“ fragte Stella.
„Nein, das lohnt sich nicht. Wir lassen nur die Pferde kurz was trinken.“ Zandorra zügelte seinen Schimmel an einer Flussbiegung und glitt vom Pferd. Auch die anderen sprangen herunter und führten die Pferde ans Wasser. Der Fürst stieg vom Kutschbock, half Stella und Iris hinunter und ging dann zu Zandorra, der nachdenklich den Fluß entlang schaute.
„Fürst, gibt es einen anderen Weg nach Janten hinein?“ fragte er dann. „Und zweite Frage, gibt es auch ein Krankenhaus in Urntal, Stade oder Iserloh?“
Der Arzt starrte ihn verblüfft an.
„Nein, der König hat alle Krankenhäuser schließen lassen. Er meinte, ein großes reicht, nur die schlimmsten Fälle dürfen hinein. Die anderen können wieder nach Hause oder sogar an die Arbeit gehen.“
„Das dachte ich mir,“murmelte Zandorra. „Aber die Mauer um Janten ist an verschiedenen Seiten zugänglich, nicht wahr? Das Haupttor ist hier aus dieser Richtung, nordöstlich von Janten, doch kleinere Tore befinden sich in unregelmäßigen Abständen.“
„Kann ich nicht sagen,“ der Fürst hob die Schultern. „Ich bin noch nie rund um Janten geritten.“
Zandorra schwieg und rieb sich das Kinn.
„Sven, komm mal her!“ rief er dann den blonden Mann. „Du kennst deinen Auftrag noch? Gut, dann reitest du am besten jetzt weiter. Raste ruhig längere Zeit in Janten. Du benutzt das Haupttor. Wir anderen,“ wandte er sich an die anderen Rebellen, die inzwischen heran gekommen waren und aufmerksam zuhörten, „wir reiten um Janten herum, in weitem Bogen, damit wir nicht von der Mauer aus gesehen werden können. Es dauert zwar dann länger, bis Neal und Mirko im Krankenhaus sind, doch wenn dort bereits bekannt sein sollte, dass wir zwei Verletzte bringen, könnte es sein, man erwartet uns bereits. Sobald wir einen passenden Eingang gefunden haben, reiten wir in die Stadt. Sofort danach trennen wir uns, Fürst, Stella und Iris fahren weiter mit Neal und Mirko zum Krankenhaus, Hannes, du gehst zu deiner Schwester und laß mir eine Nachricht zukommen, wo sich dein Schwager befindet, vielleicht können wir ihn tatsächlich befreien,......“
Ingo zog scharf die Luft ein. „Das willst du alles schaffen? Wie soll das denn gehen? Wir können froh sein, wenn wir in Janten alles erledigen können und wieder heil und gesund alle miteinander auf dem Rückweg sind.“
Zandorra begann, auf und ab zu gehen. Er hinkte wieder heftig, nach dem langen Ritt schmerzte seine Hüfte sehr.
„Nun, das wird sich zeigen, Ingo....“ begann Zandorra, doch weiter kam er nicht. Der Fürst und Rolf packten ihn gleichzeitig am Arm und hielten ihn fest, worauf beide sich erstaunt anschauten und lachen mussten.
„Er nervt Euch also auch so mit seiner Rumrennerei?“ fragte Rolf.
„Es macht einen ganz nervös, man kann gar nicht mehr zuhören,“ stöhnte der Fürst und verdrehte die Augen.
„Ihr dürft mich beide wieder loslassen,“ sagte Zandorra nun ruhig.
„Setz dich aufs Trittbrett vom Wagen, wenn du nicht mehr stehen kannst,“ schlug Rolf vor. Zandorra schüttelte den Kopf.
„Nein, laß mal, das geht auch nicht. Jetzt weiter, also, Hannes gibt uns Bescheid wegen seinem Schwager....“
„Wo finde ich euch?“ unterbrach Hannes.
„Wir werden einen Treffpunkt vereinbaren. Oder nein, besser, du gehst zum Krankenhaus und sagst Stella oder Iris, wo er ist. Denn euch beiden,“ wandte Zandorra sich an die beiden Frauen, „holen wir, sobald wir alles erledigt haben, dort ab. Ihr besorgt euch noch die Medikamente, die ihr benötigt. Rolf, Ingo, Olli und ich werden einkaufen. Da wir zu viert aber auffallen, gehen Olli und Rolf gemeinsam und Ingo und ich. Ingo, wir werden die Kleidung besorgen für die Zirkusleute und für mich. Wir lassen die Pferde im Stall hinter dem Krankenhaus und gehen zu Fuß durch Janten....“
„...und tragen die Einkäufe den ganzen Weg?“ fragte Rolf dazwischen. „Weißt du, dass wir eine ganze Liste haben?“
„Okay, da hast du recht.“ Zandorra hinkte wieder ein paar Schritte, doch das mahnende Räuspern vom Fürst und Rolf´s genervter Blick ließen ihn inne halten. „Ist schon gut, ich bleibe stehen.“ Er lehnte sich an den Wagen und entlastete sein rechtes Bein. „Rolf und Olli, ihr holt euch den Wagen vom Krankenhaus, sobald ihr die Einkäufe erledigt habt. Damit es dann mit dem Aufladen schnell gehen kann. Wir treffen uns danach alle am Krankenhaus.“
Er holte tief Luft, blickte seine Rebellen an und fragte:
„Ist alles klar? Noch Fragen?“
Die Männer schüttelten die Köpfe.
„Gut, dann steigt jetzt auf, wir reiten weiter. Sven, paß auf dich auf, dich erwarte ich dann wieder auf der Moorinsel, wie besprochen!“ er winkte dem blonden Mann zu, der kurz die Hand hob und davon galoppierte. Zandorra stieg etwas mühsam auf das Trittbrett des Wagens, pfiff leise seinem Schimmel und konnte sich dann ohne allzu viel Schwierigkeiten in den Sattel ziehen.
Der Wagen und die Reiter folgten langsamer. Ohne Probleme kamen sie bis an den Wald vor Janten. Nun erstreckten sich noch die Felder bis zur Stadtmauer. Inzwischen war es Nachmittag, doch die Dämmerung würde noch ein paar Stunden auf sich warten lassen. Sie hielten sich nach links zwischen den Bäumen und fuhren um die Stadt herum. Bereits nach kurzer Zeit entdeckten sie eine kleine Tür in der Mauer.
„Die Tür ist zu klein, da kommen wir mit dem Wagen nicht durch,“ meinte der Fürst. Zandorra nickte.
„Ja, weiter, es gibt noch mehr, ich hoffe, dass eine davon groß genug ist.“
Es war gar nicht so einfach, um die Stadt zu fahren, denn es gab keinen Weg, sie mussten querfeldein durch den Wald, zwischen den Bäumen durch, immer in der Deckung von Bäumen und Gebüsch, was die Sache noch erschwerte. Stella sprang vom Kutschbock, um die Pferde zu führen. Zweimal blieb ein Rad stecken und die Männer mussten ihre ganzen Kräfte aufwenden, um den Wagen wieder frei zu bekommen. Endlich entdeckten sie ein größeres Tor südwestlich von Janten. Hier war auch der Fluß wieder, an dem sie gerastet hatten und der durch die Stadt floß. Und neben dem Fluß führte ein fester Weg, der von dem Tor am Fluß entlang einige hundert Meter links von ihnen über eine Brücke direkt in den Wald hinein führte.
„Dorthin müssen wir,“ meinte Zandorra und zeigte auf den Weg am Wald. „Wir können nicht plötzlich hier aus dem Wald erscheinen, das wäre ja noch auffälliger als alles andere. Wir müssen schon den Weg benutzen.“
„Das heißt, noch ein paar hundert Meter durch den Wald kämpfen,“ stöhnte Olli. „Anders kommen wir auch nicht über den Fluß,“ bemerkte Rolf. „Dort hinten ist die Brücke.“
„Und wenn wir am Tor sind, wie kommen wir rein?“ fragte Ingo.
„Laß uns erst mal soweit kommen, Ingo, dann sehen wir weiter.“ Zandorra lenkte seinen Schimmel um eine dicke Baumwurzel herum. Sie waren verschwitzt, müde, hungrig und zerkratzt, als sie endlich über die Brücke zum Tor kamen. Olli sprang vom Pferd und versuchte, das Tor zu öffnen. Natürlich war es verschlossen! Er klopfte mit einem eisernen Türklopfer. Daraufhin wurde eine kleine, quadratische Klappe geöffnet und ein paar Augen waren zu sehen.
„Was wollt ihr? Woher kommt ihr?“ fragte eine so heisere Stimme, dass man sich unwillkürlich räuspern musste, wenn man ihr zuhörte.
„Wir haben einen Verletzten auf dem Wagen, er hatte einen Unfall beim Baumfällen,“ antwortete Zandorra und Iris, die auf dem Wagen saß, deckte unauffällig eine Decke über Neal.
„Bringt ihr ihn ins Krankenhaus?“ fragte die heisere Stimme. Zandorra räusperte sich nun tatsächlich.
„Ja, haben wir vor. Er hat starke Schmerzen.“
Die Luke wurde zugeschlagen und kurz darauf das knarrende Tor geöffnet.
Misstrauisch betrachtete ein untersetzter Soldat mit einem riesigen

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 19.03.2012
ISBN: 978-3-86479-423-0

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