Es war Montagmorgen und ich hatte frei.
Montage sind mir schon immer im Leben die
unangenehmsten Tage gewesen, daher legte
ich meinen noch alten Urlaubstag natürlich
auf einen ungeliebten Montag.
Nach dem Frühstück, was ich gegen elf Uhr zu
mir nahm, gammelte ich noch ein wenig auf
dem Sofa herum, blätterte hier und da in den
zahlreichen Magazinen und naschte dazu ei-
nige Schokoriegel.
Als ich so die Seiten des Mode Magazins um-
blätterte, hielt ich auf einmal inne.
Neue Stiefel!
Ja das wäre ein wundervolles Vorhaben für
den heutigen freien Tag.
Die Sonne schien vom strahlend blauen Him-
mel herab und lud mich gradezu ein, eine klei-
ne Shopping Tour zu starten.
In Rekord verdächtiger Bestzeit von zwanzig
Minuten war ich geduscht, angezogen und na-
türlich zurecht gemacht. Zumindest so, daß ich
nicht für obdachlos gehalten wurde.
Ich setzte mich in meinen schicken Kleinwagen
und brauste zielstrebig durch die Innenstadt,
um den nahegelegensten Parkplatz zur Fuß-
gängerzone zu erreichen.
Flugs zog ich ein Ticket und machte mich in
freudiger Erwartung auf, durch die Fußgän-
gerzone, zu meinem lieblings Schuhgeschäft.
Dort angekommen sah ich in das fast leere
Schaufenster wurde herb enttäuscht.
Also betrat ich den Laden...
Noch ehe ich mich an den warmen Schwall des
Gebläses über dem Eingang gewöhnen konnte,
flog mir schon eine gebräunte, circa fünfund-
vierzig Kilogramm leichte und einmeterachtzig
große, blondierte Dame entgegen und stellte
sich mir, mit einem zischenden,
»Bitte?« in den Weg.
Spontan wich ich einen halben Schritt zurück,
da ich befürchtete die Wucht ihres Zischtons
würde sie Rücklinks in das große Hausschuhre-
gal katapultieren.
Ich sah schon, wie sie unter zahllosen, bunten
Hausschuhen mit den grausamsten Mustern
begraben wurde und mir daraufhin mit einem
Löwenpantoffeln auf dem Kopf ganz verunsi-
chert zulächelte.
Zu meiner Erleichterung stand sie jedoch noch
immer stabil vor mir und zischte erneut,
»Bitte, was kann ich für Sie tun?«
Ich erwiderte, daß ich mir gerne ein paar ro-
buste Stiefel ansehen würde.
Die blonde Dame drehte sich um und wackelte,
mit einem schrillen, »Folgen Sie mir!« den lan-
gen Gang entlang.
Ihr knöchernen, doch perfekt lackierten Zehen,
krallten sich bei jedem ihrer Schritte in ihren
gelben, hochhackigen Schläppchen fest, was
mich an einen riesen Baustellenkran erinnerte,
der mit einer Greifkralle Schutt wegräumt.
Die Verkäuferin bog zügig mal links, mal nach
rechts ab und ich folgte ihrem blonden Schopf,
welcher immer wieder hinter den Regalen auf-
tauchte. Ganz hinten im Geschäft angelangt,
deutete sie auf ein Stiefelregal und lächelte:
»So, da wären wir«. Dies nahm ich enttäuscht
zur Kenntnis, da auf den ersten Blick Nichts
in Frage kam.
Schließlich wollte ich damit laufen und nicht,
zehn Zentimeter größer sein und in einer Ecke
stehen...Mit diesen Mords-Schuhen hätte ich es
nicht mal unfallfrei zurück zum Parkplatz ge-
schafft, ohne dabei mindestens ein Mal zu stol-
pern und mir beim zweiten Mal einen Fuß zu
brechen - wahrscheinlich sogar beide Füße,
was mich dann noch die Fahrt in einem Kran-
kenwagen aus meiner eigenen Tasche gekostet
hätte und die Krankenkasse sicher von selbst
verschuldeter Dummheit überzeugt wäre...
Vorsichtig fragte ich:
»Haben sie nicht etwas Alltagstauglicheres?«
Ich persönlich bin nämlich der Meinung, dass
man ja nie weiß, wer oder was hinter einem
her ist und es nicht an der falschen Schuhwahl
liegen sollte, ob mein derzeitiges Leben eventu-
ell eine unschöne Wendung nimmt.
»Was Alltagstauglicheres?«,
stutzte sie verwundert und zog dabei eine Au-
genbraue so hoch, daß diese unter ihrem blon-
dierten Pony total verschwand. Sie kniff die
Augen zusammen, legte ihren rechten Zeige-
finger an ihr Kinn, daß ich fast annahm sie
denke nach.
»Hm«, hauchte sie mühsam, »ja da wären bloß
noch diese hier, aber die werden bald aus dem
Programm genommen.«
Da waren sie!
Ein Paar schwarze schlichte Stiefel mit perfek-
tem lautlosen und minimalem Gummi Absatz.
Ich sollte vielleicht auch noch erwähnen, dass
man ja auch nie wissen kann, wann man sich
mal weg, oder anschleichen muss und deshalb
leise Sohlen einen ausgesprochenen Vorteil
haben können.
Die Stiefel passten wie angegossen und blickte
erfreut zu der blonden Dame hinüber und gab
ihr meine alten Stiefel in die Hand.
»Die hier behalte ich gleich an«, sagte ich und
marschierte schon mal mit den meinen Stiefeln
in Richtung Kasse. Natürlich war ich viel eher
dort, da sich bei der Blondierten immer noch
bei jedem Schritt ihre Zehen in die hohen, rosa
Schläppchen krallten, was enorm Zeit kostete.
Als die Verkäuferin, nach gefühlten fünf Minu-
ten, ebenfalls die Kasse erreicht hatte, lächelte
sie verkrampft und zischte erleichtert »Na wie
schön, da haben wir ja doch noch was für sie
gefunden!«
Mit meinem schönsten Lächeln entgegnete ich:
»jo, wer hätte das für möglich gehalten!«
Mit meinen alten Tretern in einer Tüte und un-
gläubigem Kopfschütteln verließ ich zufrieden
das Geschäft.
Auf meinem Weg zum Parkplatz, der mich, wie
ich schon erwähnte, durch die Fußgängerzone
führte, huschte mein gieriger Blick gradewegs
durch ein Bäckerei Schaufenster.
Da ich diesen Einkaufserfolg unbedingt feiern
musste, wollte ich mich mit einem guten Stück
Erdbeerkuchen, viel Sahne und einer riesigen
Tasse Schokolade, belohnen.
Ich suchte einen kleinen freien Tisch in einer
der hinteren Ecken des Cafés, von wo ich wun-
derbar in die gnadenlos überfüllte Fußgänger-
zone blicken konnte.
Mal ehrlich. Wer macht sowas nicht gerne?
Hektische Menschen, die mit schweren Tüten,
sperrigen Kinderwagen, Hunden, schreienden
Kleinkindern auf dem Arm und allem anderen
möglichen Ballast beladen sind, heimlich, still
und leise, zu beobachten.
Na gut, die Definition von Ballast ist jetzt
jedem selbst überlassen—
So saß ich zufrieden an meinem kleinen Tisch,
bestellte ein riesen Stück Torte, die große Tasse
heiße Schokolade und musterte still jeden Ein-
zelnen, der am Schaufenster vorbei hastete.
Ich war schon immer sehr froh darüber, daß
Gedanken nicht in Form von Sprechblasen
über meinem Kopf erscheinen.
Besonders jetzt, in dieser Situation!
Fast zu jeder dahin hetzenden Personen,
rasten mir unfreiwillig etliche Gedanken und
Fragen durch den Kopf.
Einige gute, einige schlechte und einige
von denen ich nicht mal die leiseste Ahnung hatte,
dass ich sie haben konnte!
Nachdem ich meine Belohnung verputzt hatte,
wurde mir mal wieder klar darüber, dass ich
mit mir und meinem jetzigen Leben sehr zufrie-
den war.
Ich machte mich gemächlich auf den Weg zu
meinem Auto und freute mich auf einen schö-
nen und gemütlichen Abend.
Nachdem ich meine lang ersehnten Stiefel nun
endlich ergattert hatte, wartete ich jetzt auf
passendes Stiefel-Wetter, um sie auch tragen
zu können.
Ich weiß nicht, ob ich es bereits erwähnte,
aber es war leider erst Mitte August und die
zu der Zeit durchschnittliche Tagestemperatur
lag bei 26 Grad.
Hätte sicherlich ein seltsames Bild abgegeben,
wenn ich mit kniehohen Stiefeln draußen um-
her lief, wenn 99,9 der Menschen in ganz kur-
zen Hosen und Schläppchen das Haus verließen.
So stellte ich mich darauf ein, meine Stiefel die
kommenden Wochen eben nur anzusehen, an-
statt zu tragen und auf kühlere Temperaturen
oder herannahende Unwetter zu hoffen.
Die nächsten August Abende beschäftigte ich
mich damit, mir den allabendlichen Wetterbe-
richt anzusehen und Daumen drückend vor den
Schlechtwetterfronten zu knien.
Auch an diesem Abend ......
Ich hatte mir grade überlegt was ich aus dem
Gefrierschrank auftauen könnte, was sich aber
nur auf Hackfleisch mit einer Soße, Hackleisch
mit Gemüse, Hackfleisch in Blätterteig, oder so-
gar Hackfleisch ohne Soße beschränkte, als es
plötzlich an der Haustüre klingelte.
Im Allgemeinen verhalte ich mich Zuhause be-
wusst sehr ruhig, um nicht von meiner lauten
und frustrierten Single-Nachbarin dauernd ge-
nervt zu werden, diesmal konnte ich meine An-
wesenheit leider nicht leugnen, da mir mein
großer Bräter laut scheppernd auf die Küchen-
fliesen geknallt war.
Ich warf einen schnellen, kritischen Blick in den
Flurspiegel und stellte mit Entsetzen fest, daß
ein Friseurbesuch dringend nötig war und zu
meiner tudo Liste hinzugefügt werden sollte.
Mit einem angestrengten überraschten Blick,
öffnete ich die Türe.
Die Türe war noch nicht ganz offen, da sauste
Theresa, meine Nachbarin an mir vorbei, so-
gleich auf mein Sofa, schnappte sich ein Kissen
und schlug ihre Beine zum Schneidersitz über-
einander. Zu guter letzt griff sie, wie aus-
gehungert, in die Süßigkeiten Schale auf dem
Tisch.
Theresa war 32 Jahre alt, überzeugter Single,
Vollblut-Sportlerin mit lebenslang Abo im La-
dys Fitness Club und schrecklich tierlieb.
Ihre Tierliebe ging sogar so weit, dass sie alles
verweigerte, was man mit Tieren, toten Tieren,
irgendwie in Verbindung bringen konnte.
Hauptsächlich betraf es ihre Ernährung, aber
zu meiner Verwunderung auch mittlerweile ihre
Kleidung.
So verzichtete Theresa im tiefsten Winter auf
festes, warmes Schuhwerk und zog es vor in bio
Leinen Turnschuhen, sich bei zwei Grad über
null auf den Hof zu stellen, und Schnee wegzu-
kehren.
Resultat - klatsch nasse Füße und anschließend
eine schlimme Erkältung!
Daher herrschte bei ihr auch permanenter Ta-
schentuch Mangel, was für sie natürlich immer
eine gute Gelegenheit war, um bei mir, egal zu
welcher Zeit, zu klingeln.
Langsam schloss ich wieder die Haustüre.
»Hallo Theresa, komm rein und setz dich.«
»Oh entschuldige, störe ich dich vielleicht grad
bei irgendwas?«, hickste sie mit einem Keks im
Mund.
Da ich meine eine relativ gute Erziehung ge-
nossen zu haben, entschied ich mich spontan
für eine kleine Notlüge. Ich wollte Theresa,
die auch schon ohne mein Zutun stündlich
wechselnde Gefühlszustände durchlebte, mal
freudig, mal fertig und mal, dass man besser
alle spitzen Gegenstände oder jegliche Art von
Stricken verstecken sollte, nicht noch in wei-
tere Depressionen stürzen.
Höflich versicherte ich,
»Nein, nein, schön dass du hier bist. Was gibt
es denn?«
In diesem Augenblick war ich froh, daß sich
Theresa auf den Schokoriegel konzentrierte,
den sie anschließend mit einem unüberhörba-
rem Schmatzen vernichtete, sodass sie mein
unfreiwilliges Augenrollen nicht bemerkte.
Nach ungefähr 4 Stunden, 17 Schokoriegeln,
2 Tüten Chips, 8 Dosen Limo und 2 Päckchen
Zigaretten, wusste ich nicht viel mehr als das,
was ich nach Theresas letztem Besuch vor drei
Tagen auch schon wusste - Die Welt war gemein ...
Glücklich mir noch mal alles erzählt zu haben,
denn ich hätte es ja in den letzten drei Tagen
alles wieder vergessen können und vor allem
satt, ging sie wieder rüber in ihre Wohnung.
Mittlerweile war es Mitternacht.
Mir war von der Menge an Süßigkeiten,
den unzähligen Zigaretten und den gefühlten
20 Litern Limo, schlecht.
Die Qual der Wahl, welche der leckeren Hack-
fleisch Köstlichkeit ich mir an diesem Abend
einverleiben wollte, hatte sich somit erledigt.
So viel also zu gemütlichen Abenden.
Wie so oft lag ich mal wieder hellwach im Bett
und drehte mich von rechts nach links. Diese
Wälzerei brachte nicht wirklich den gewünsch-
ten Ermüdungseffekt, denn als ich mich bei der
letzten Drehung wohl etwas zu weit rollte und
das Bett nicht plötzlich zwanzig Zentimeter
breiter war, passierte es.
Ich versuchte noch irgendwie die Orientierung
zu finden, da gab es schon einen Rums und ich
landete fluchend vor meinem Bett.
So ein Flokati Teppich ist auch bloß optisch so
weich, das kann ich nun mit Gewissheit sagen.
Nun war ich wirklich wach.
Vor lauter Wut, beschloss ich mein Bett mit
Ignoranz zu bestrafen.
Ich rutschte auf meinen lila Lieblings Socken in
Richtung Kühlschrank. Auf dem Weg dorthin
besuchte ich noch schnell das Bad.
Nach meinem kleinen Geschäft spülte ich ab.
Das heißt, ich wollte es. Irgendwas stimmte mit
der Spülung nicht.
Nix passierte.
Da meine Nacht sowieso gelaufen war, griff ich
beherzt nach meinem kleinen Werkzeug Karton
der, für alle Fälle, immer griffbereit im Abstell-
raum stand und dachte mir:
Selbst ist die Frau !
Als die Spülkastenblende ab war, sah ich erst
einmal in die Spül Konstruktion vorsichtig hi-
nein und war verwundert welch ein komplexes
System dahinter steckt, um ein bißchen Wasser
ein Klo hinunter zu jagen.
Nach dem ich genug gestaunt hatte, machte
ich mich daran, das Problem zu finden und
selbstverständlich auch zu lösen.
Voller Tatendrang griff ich beherzt, mit hochge-
krempeltem Ärmel, in den Spülkasten.
Während ich bis zum Oberarm im Spülkasten
steckte, versuchte ich am Grund die Ursache zu
finden.
Vielleicht sollte ich kurz erwähnen, das es kein
frei hängender Spülkasten war, sondern einer
der in der Wand eingemauert ist, was die
ganze Sache nicht einfacher machte.
Ich kratzte mit meinen Fingernägeln auf dem
Grund herum, um etwas Ungewöhnliches zu er-
tasten. Alles fühlte sich ungewöhnlich an.
Ich meine, wer weiß schon was auf dem Grund
eines Spülkastens gewöhnlich ist?
Irgendwas verstopfte den Abfluss. Ich griffelte
also weiter auf dem Boden herum und auf ein-
mal schwante mir, was sich da so matschig an-
fühlte.
Ein Tap, ein Spülkasten Tap!
Ja ... ich wollte schon immer blaues Klowasser
haben und das war nun die ungemütliche Seite
von meerblauem Klowasser.
Als ich die schlammigen Reste des Taps end-
lich zu greifen bekam, versuchte ich mich mei-
nen Arm, mit samt der Matschmasse, aus dem
Mauerwerk heraus zu ziehen. Aber nichts ging
mehr.
Nun steckte mit dem Oberarm im Spülkasten
fest. Es war mitten in der Nacht und ich hing
bis zur Schulter in meiner Klospülung.
Nach gefühlten vier Stunden, etlichen Ver-
drehungen mit unterdrückten Schmerzschreien,
die irgendwann in verzweifelndem Wimmern
endeten, schaffte ich es schließlich doch mich
aus dem Spülkasten Monster zu befreien.
Mein Arm war blau.
Nein, nicht nur wegen der bösen Quetschung
am Oberarm. Nein, mein ganzer Arm hatte die
meer-blaue Klowasser Farbe.
Sie hatte sich in meine Haut gesaugt und mein
Arm sah aus, wie der einer gammeligen Alien
Wasser Leiche, was ich erst noch lächelnd ver-
drängte, da die Freude über meine Befreiung
aus dem Mauerwerk unendlich war.
Die nächsten zwei Stunden kratzte ich mir die
blauen Reste des Klotaps unter meinen Finger-
nägeln heraus und versuchte mit einer harten
Schuhbürste die Farbe meines Arms, von dun-
kel in hellblau zu schrubben. Danach entschied
ich mich spontan am nächsten Morgen auf alle
Fälle ein Langarm T-Shirt zu tragen, um sonst
unvermeidlichen Fragen somit aus dem Weg zu
gehen.
Fix und fertig, aber sehr zufrieden, daß ich dem
bösen, blauen Spülkasten Monster die Stirn ge-
boten hatte, ging ich wieder ins Bett.
Gut, es waren bloß noch zwei Stunden bis zum
Klingeln des Weckers, aber diese zwei Stunden
schlief ich wie ein Bär im Winterschlaf.
Endlich!
Mein lang ersehntes freies Wochenende war
jetzt nicht mehr weit. Morgen früh sollte es los
gehen. Meine Tasche war für sämtliche Witte-
rungen ausreichend gepackt und vier Paar
Schuhe sollten hoffentlich genügen um für
drei Tage gut gerüstet zu sein.
Tät, tät, tät, dröhnte der Wecker und schreckte
mich aus meinem wohligen Traum. Noch ein
paar Schlummerminuten und ich stand gut
gelaunt auf, nichts ahnend, dass meine gute
Laune noch auf eine harte Probe gestellt wer-
den sollte.
Zum Frühstück musste ein doppelter Espresso
und ein alter Zwieback reichen, ebenso eine
Katzenwäsche und durchwuscheln der Haare.
Ich saß ja später sowieso nur im Auto und da
war mir mein Styling relativ egal. Hauptsache
bequem.
In meiner alten, zerlumpten Lieblings Jeans
und gemütlichen Boots stand ich nun abreise-
fertig im Hausflur.
Ein letzter Check, ob ich auch alles Wichtige
am Mann hatte, in meinem Fall an der Frau
und schon schloss ich die Tür von außen ab.
Im Auto wurde meine neuste Anschaffung, das
super Hightech Navi, vorschriftsmäßig an der
Halterung montiert.
Jetzt wartete ich auf den Startschuss. Gebannt
starrte ich auf mein Handy.
Da ... eine SMS, endlich. Ich konnte es kaum
noch erwarten. Doch was ich da las, konnte
ich nicht mal fehlerfrei aussprechen:
Oberfischbachhausen!
Wo um Himmels willen kann das sein?
Na gut, das war also das Ziel. Ich fütterte mein
Navi sorgfältig mit den Ziel Infos, vergewisserte
mich noch mal über die Richtigkeit der Einga-
be und startete den Motor.
So ein Navi ist schon phänomenal!
Ohne dieses Teil hätte ich auch niemals einem
Treffen in der hintersten Pampa zugestimmt.
Diese Art Treffen findet einmal im Jahr statt.
Kurz zur Erklärung:
Wir, das sind Jenny, Mona und ich, treffen uns
einmal im Jahr an einem Ort, den einer von
uns aussucht und dort etwas bucht, plant oder
vorbereitet und verbringen da das Wochenende
zusammen. Die anderen zwei wissen nicht was
oder wo.
Die Information wie die anderen zwei an den
geheimen Ort kommen werden per SMS am
Tag der Abreise mit geteilt.
Dieses Jahr war Mona dran. Bei Mona sollte
man schon im Alltag mit allem rechnen, doch
wenn sie die Möglichkeit dazu hat auch noch
etwas Besonderes auszuhecken, dann über-
schreitet sie leicht die Grenze des Machbaren.
Mit diesem Wissen und einem leicht mulmigen,
aber freudigem Gefühl machte ich mich auf
den Weg zur Autobahn. Nach ca. zwei Stunden
Autobahn und verschiedenen Abfahrten führte
mich mein neues Navi auf eine Bundesstraße,
die zwischen dichtem Wald, links wie rechts,
hindurchführte.
Alles schien im grünen Bereich.
Mein Gefühl bestärkte mich, richtig gefahren
zu sein, denn Oberfischbachhausen war sicher
keine Großstadt.
Also fuhr ich, immer brav der Stimme meines
Navis folgend der vorgegebenen Richtung.
Zahlreiche lange links, dann scharfe rechts
Kurven nahmen gar kein Ende.
Irgendwann bemerkte ich die Veränderung der
Bodenbeschaffenheit. Es wurde zunehmend
holpriger und bald fuhr ich durch ziemlich un-
wegsames Gelände.
»Hier war doch schon ewig keiner mehr!«,
bemerkte ich etwas irritiert.
Ob ich hier noch richtig war? Diese Gegend
kam mir irgendwie so unwirklich vor. Weit und
breit nichts außer Bäume, wohin ich blickte
und das schon seit gefühlten drei Stunden.
Plötzlich erklang die Stimme meines Navis,
»Bitte wenden, bitte wenden!«
»Was?«, schrie ich geschockt, »das kann jetzt
nicht dein Ernst sein?«
Wie sollte ich das anstellen? Der Weg auf dem
ich fuhr, war grade so breit wie mein Wagen!
Nach ungefähr zehn Minuten Weiterfahrt er-
gab sich an einer kleinen Lichtung die Mög-
lichkeit zu einer Pause.
Ich entschied die Einstellungen am Navi zur
Sicherheit zu prüfen.
In der Zwischenzeit war es ein wenig kühler
geworden und ich kramte meine Jacke aus der
Tasche und zog sie an. Da eine Tasse heißer
Kaffee auch nicht mehr Zeit kostete, füllte ich
mir noch einen Becher mit lecker duftendem,
heißen Kaffee.
In weiser Voraussicht hatte ich mir eine Ther-
moskanne mit Kaffee eingepackt.
So rutschte ich in eine gemütliche Stellung auf
dem Sitz, holte das Navi aus der Halterung und
legte es auf meinen Schoss.
Als ich dann nach meinem Kaffeebecher griff,
passierte es!
Knall, funk, peng! Alles auf einmal. Es wurde
kurz taghell und dann war auch schon alles
vorbei.
Es roch nach verbranntem Kaffee und ange-
schmorten irgendwas. Nachdem ich wieder zu
atmen begann, realisierte ich das Ausmaß des
kleinen Feuerwerks. Mein Kaffee war auf der
Hose und mein Navi zeigte kein Lebenszeichen
mehr. Alles, was ich noch sehen konnte, war ein
nasser Bildschirm.
Da half kein klopfen, herum wirbeln, drauf schlagen
oder flehend betteln.
Mein armes Navi war tot!
Zum Glück hatte ich ja immer noch mein Han-
dy, dessen Gebrauch in dieser Außnahmesitu-
ation sicher erlaubt war.
Doch wie das in der hintersten Hinterwäldler
Landschaft so ist, kann man davon ausgehen,
dass die Netzabdeckung, zumindest die meines
Mobilfunk Anbieters, in dieser Region noch nie
geprüft wurde.
Ja für wen auch, Waldtiere kommunizieren nun
mal nicht über Handys.
Als ich über meine Lage nach dachte, fiel mir
auf, dass ich in den letzten zwei Stunden meiner
Fahrt keine Menschenseele bemerkt hatte.
Keine Autos, keine Spaziergänger,
nein nicht mal irgendwelche Ortsschilder oder
Wegweiser.
Vielleicht hatte ich auch bloß nicht darauf ge-
achtet, da ich meine ganze Aufmerksamkeit
der sympathischen Stimme meines Navis wid-
mete.
Ich beschloss den Wagen zu wenden und nach
Gefühl zu fahren. Nach meinem Gefühl!
Nach zahllosen vor und rückwärts Gängen,
gelang mir es schließlich mein Auto zu wenden.
Doch anstatt das mir vielleicht einige Bäume,
Lichtungen oder Gabelungen bekannt vor ka-
men, schien alles, Meter für Meter gleich aus-
zusehen. Ich hatte mich total verfahren.
Nach ungefähr zwanzig Minuten kam ich an
eine Gabelung, an der jedoch kein Schild oder
sonst irgendetwas stand.
Mein erster Gedanke war Links, fahr links!
Doch da ich aus Erfahrung weiß, dass wenn
es zwei Möglichkeiten gibt, ich immer erst die
falsche nehme, entschied ich mich für rechts.
Das ist so bei mir:
Zum Beispiel mache ich Tabletten Päckchen
immer zuerst an der Seite auf, wo der Beipack-
zettel um die Tabletten gelegt ist.
Wenn zwei Kugelschreiber auf dem Tisch
liegen, nehme ich den mit der leeren Mine ...
Daher habe ich mir angewöhnt, mich als Erstes,
für meine zweite Wahl zu entscheiden.
Mein Weg, der mich in den nächsten Stunden
noch einige Male an Abzweigungen und Gabe-
lungen führte, schien endlos.
Immer wenn es zwei Möglichkeiten gab abzu-
biegen, entschied ich mich für den zweiten Ge-
danken. Ich kenne mich und kann mich auf die
Eigenarten an mir verlassen.
Hätte ich nicht so aufmerksam der Stimme des
Navis gelauscht, dann hätte mich mein Gefühl
sicher schon eine Weile früher sanft beschli-
chen und mich eine Art von Unbehagen spüren
lassen.
Da ich mich aber blind auf die Anweisungen
einer fremden Stimme verließ, war ich jetzt
verlassen.
Irgendwann, es begann schon zu dämmern,
kam ich auf eine mir bekannte Strecke. Da ich
für heute Abenteuer genug hatte, entschied ich
mich, nach Hause zu fahren.
Zu Hause angekommen rief ich Mona an und
teilte ihr mit, dass ich leider erst morgen früh
losfahren könne, da mir etwas Unerwartetes
dazwischen gekommen sei. Was, das gestand
ich ihr nicht.
Ich bat sie mir die genaue Wegbeschreibung
einmal zu geben und musste feststellen, dass
ich nur ein paar Kilometer von unserem
Treffpunkt entfernt war, als das kleine Feu-
erwerk mein nagelneues Navi tötete.
Fazit: Höre immer auf dich selbst,
denn dein Navi ist vielleicht der Teufel :)
Texte: © Nicki Cross
Bildmaterialien: © Nicki Cross
Tag der Veröffentlichung: 18.06.2017
Alle Rechte vorbehalten