Prolog
Ein einziger Augenblick kann dein ganzes Leben verändern.
Leider nicht immer im positiven Sinne, es passiert etwas mit dem du nicht gerechnet hast und deine Zeitrechnung beginnt plötzlich bei Null.
Du bist mit einem Mal gefangen in dir selbst und kannst so sehr du es auch willst einfach nicht zurück in dein altes Leben.
Denn alles was dein altes Leben ausmachte ist nicht mehr da.
Klar kann man jetzt sagen man arrangiert sich mit den neuen Gegebenheiten.
Aber was wenn man das gar nicht will?
Was wenn man plötzlich so gefangen ist das man sich nicht einmal mehr selbst kennt?
Dann liegt ein langer, schmerzhafter und steiniger Weg vor dir.
Und ich habe einfach nicht die Kraft den ersten Schritt zu machen.
Ich bleibe stehen und die Zeit läuft weiter, einfach so ohne dass sich etwas an meiner Situation ändert, geschweige denn das sie sich bessert.
„Verdammt!“ fluche ich lautstark als ich mit meinem Fuß gegen die Kommode stoße, die das Umzugsunternehmen vor nicht ganz fünf Minuten hoch gebracht hat und im Wohnzimmer mitten in den Weg gestellt hat.
„Alles klar?!“ mein Dad sieht mich besorgt an.
Ich nicke nur und nehme dem Umzugshelfer den nächsten Karton ab. Ich stapele sie übereinander in meinem neuen Wohnzimmer und sehe aus dem Fenster. Ich kann direkt auf die Häuser auf der anderen Straßenseite sehen, aber selbst die im Moment nur sehr schlecht, die Straße ist in dichten Nebel gehüllt. Die Art von Nebel bei dem man nicht vor die Tür möchte weil man sich nach ein paar Sekunden durchnässt fühlt obwohl es nicht regnet. Der Nebel hat die ganze Stadt in Einheitsgrau getaucht, es ist Anfang März und der Winter liegt noch in der Luft.
Ich seufze, kaum zu glauben wie sehr sich in den letzten 4 Monaten mein Leben verändert hat.
Ich wische mir verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel.
Ich will jetzt nicht daran denken.
Nicht jetzt!
Nicht hier!
Ich muss mich zwingen mich auf meinen Umzug zu konzentrieren.
„Wo sollen die hin?“ ein Umzughelfer steht mit einem großen Karton in der Tür, mein Blick fällt auf die Beschriftung. Bücher, steht fett mit Edding geschrieben auf der Vorderseite.
„Den Flur runter, letzte Tür links.“ Sage ich fahrig und mein Dad sieht mich traurig an.
„Du musst nicht zurück kommen.“ Er sieht mich sanft an und ich blicke in seine Richtung.
„Doch Daddy muss ich, Mum braucht mich jetzt.“
Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, ich beginne wie mechanisch die Kartons in der Wohnung zu verteilen. Ich war eigentlich nie der ordentlichste Mensch, aber alle meine Kartons sind beschriftet und auf denen die Sachen für mehrere Zimmer enthalten steht sogar eine Inhaltsangabe. Alles fein säuberlich mit Edding in meiner Sonntagsschrift.
„Aber…“ Er kommt zu mir und nimmt meine Hand.
„Nein Dad, wir haben das schon zu oft ausdiskutiert. Ich habe eine Assistenzarztstelle hier im East Providence bekommen. Was macht es schon für einen Unterschied?“
Ich bin müde, ich will nicht schon wieder diskutieren, das haben wir doch wohl zu genüge getan.
´Es macht einen gewaltigen Unterschied! ` Schreit die kleine Stimme in meinem Kopf. Ich wäre so gerne in Los Angeles geblieben, bei meinen Freunden und meinen Kommilitonen, die letzten 5 Jahre dort waren schön gewesen…
Aber ich habe gelernt die kleine Stimme auszustellen, sie kann noch so schreien.
Denn meine Familie braucht mich jetzt!
Ich kann nicht in mein altes Leben zurück!
Ich habe keine Wahl!
Ich muss!
Im Moment widerstrebt es mir zu Providence zu Hause zu sagen.
Es ist nicht mein zu Hause!
Das war es vielleicht noch vor 5 Jahren, aber jetzt nicht mehr!
Zuviel ist geschehen!
Die Stadt hat ihn mir genommen!
„Jean.“ Mein Dad zieht mich in seine Arme.
Bitte Daddy lass mich los! Ich will nicht wieder weinen!
„Daddy bitte nicht, wir müssen das hier fertig bekommen.“ Ich mache mich abrupt von ihm los und nehme den nächsten Karton in Empfang. Nur handeln nicht nachdenken. Mein Lieblingsmotto seit 6 Monaten.
Zwei Stunden später sind alle Möbel in meiner Wohnung und mein Dad verabschiedet das Umzugsunternehmen. Ich überlasse es ihm ihnen Trinkgeld zu geben, ich will mich damit jetzt nicht befassen. Ich lasse mich erschöpft auf meine große, schwarze Ledercouch fallen.
Ich vergrabe mein Gesicht in meinen Händen, bitte lass das hier alles nur ein schlechter Traum sein. Bitte.
„Jean?“ Fragt mein Dad vorsichtig und ich fahre hoch und sehe ihn an.
„Jean ich muss zu Mum, sie wartet mit dem Mittag. Möchtest du nicht mitkommen?“ Wieder ein fragender Blick obwohl er die Antwort schon kennt.
„Nein Dad, ich möchte heute noch ein wenig auspacken. Ich komme morgen oder übermorgen vorbei.“ Ich stehe auf und laufe hinter ihm her zur Wohnungstür.
„Ich hab dich lieb Jean.“ Sagt er liebevoll und ich nehme ihn fest in meine Arme.
„Ich hab dich auch lieb Daddy.“ Erwidere ich leise.
Er gibt mir meinen Autoschlüssel und ich hänge sie an den Harken neben der Tür. Ich lächle leicht, es ist noch das gleiche Auto, wie als ich mit 22 nach Los Angeles ging.
Ich schließe die Tür hinter meinem Dad und gehe zurück ins Wohnzimmer, ich sehe runter auf die Straße und beobachte wie mein Dad in sein Auto steigt…
Er ist in den letzten Monaten um Jahre gealtert, jedem von uns setzt der Schmerz zu, jeder verkraftet ihn auf seine Weise. Mein Dad war immer ein so starker, großer Mann. Seine grünen Augen funkelten und seine Braumroten Haare leuchteten in der Sonne. Er ist jetzt 57, aber er sieht älter aus, seine Haare sind grau geworden, das leuchten aus seinen Augen ist verschwunden und er hat körperlich abgebaut. Er wirkt plötzlich so verletzlich wie ich ihn in meinem bisherigen Leben nicht kannte. Wir alle müssen mit der neuen Situation klar kommen.
Ich gehe langsam über den Holzdielenboden, der sich irgendwie befremdlich an meinen nackten Füßen anfühlt ins Schlafzimmer.
Ich nehme den ersten Karton, ich muss jetzt etwas tun… Eine Stunde später sind meine Anziehsachen im Schrank verstaut und ich tausche meine Jeans gegen eine Jogginghose.
< Piep, Piep > reißt mich mein Handy aus meiner Arbeit. Ich nehme es leicht verwirrt zur Hand.
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Lucy
Erleuchtet das Display, ich drücke zögerlich auf lesen.
Hallo Jean! Ich habe von meiner Mum erfahren dass du wieder in Providence wohnst. Ich würde mich freuen wenn du dich meldest, vielleicht brauchst du Hilfe oder wir können einfach mal einen Wein zusammen trinken. Es tut mir alles so unendlich leid. Liebe Grüße Lucy
Ich atme tief ein und aus.
Auf der einen Seite freue ich mich dass Lucy sich meldet, sie war meine beste Freundin gewesen, bis ich nach Los Angeles ging. Wir haben über die ganze Zeit hinweg immer guten Kontakt zueinander gepflegt da sie und ich immer den gleichen Freundeskreis gehabt haben…
Aber die Situation ist jetzt ganz anders.
Ich bin wieder hier…
Woher soll ich wissen dass sie sich nicht nur aus Mitleid bei mir meldet?
Ich lege das Handy beiseite, ich muss erst einmal darüber nachdenken.
Nachdem ich das Kartonchaos in meinem Schlafzimmer beseitigt habe, mache ich mich in der Küche an die Arbeit. Ich räume alles mechanisch ein, ich denke nicht darüber nach ob die Tassen oder Teller in dem einen oder anderen Schrank sinnvoll sind. Ich staple einfach alles wahllos hinein, ich habe schon die größte Mühe damit Tassen zu Tassen und Teller zu Teller zu ordnen. Ich sehe auf meine Küchenuhr, die ich mit einem Nagel an der Wand befestigt habe. Mein einziger Wandschmuck in der weißen Küche.
15:40 Uhr, jeder normale Mensch hätte wahrscheinlich Hunger, wenn seine einzige Mahlzeit bisher aus einem Donout um 6 Uhr zum Frühstück bestanden hat.
Aber ich bin nicht hungrig, ich bin schon seit Wochen nicht mehr hungrig, ich esse nur wenn ich daran denke oder jemand bei mir ist der mich erinnert zu essen.
Ich falte die Kartons zusammen und schiebe sie zu den anderen unter mein Bett, dann gehe ich ins Wohnzimmer.
Ich will heute noch alles auspacken, ich muss mich beschäftigen.
Ich packe zuerst meine ganzen Bücher aus und stelle sie in das Regal über und neben meinem Schreibtisch, dann fällt mein Blick auf ein gerahmtes Bild, vorsichtig als würde ich einen Schatz in den Händen halten nehme ich es aus dem Karton, ich streiche andächtig über das kühle Glas. Ganz behutsam halte ich es in den Händen, aus Angst ich würde die Erinnerung zerstören wenn ich es zu fest anfasse.
Eine Träne läuft ganz langsam und lautlos über meine Wange.
Ich streiche leicht über Benjamin seine Wange, fast denke ich, ich kann ihn spüren. Wir strahlen beide in die Kamera…
Es scheint mir so lange her, dabei ist es im letzten Jahr in Los Angeles auf einem Konzert entstanden. Ich erinnere mich, es war so ein schöner Tag gewesen… Die Sonne schien vom wolkenlosen Himmel und es war warm so heiß. Wie unreal erscheint mir das jetzt alles, unsere lachenden Gesichter, unsere strahlenden Augen und unsere Unbeschwertheit.
Ich stelle das Bild in das Regal, es kommt mir so unwirklich vor, dass dieses Bild vor gut einem Jahr, in genau 3 Tagen, erstanden ist.
Es zeigt eine andere Jean, eine glückliche Jean, eine strahlende Jean…
Ich bin jetzt eine andere, die alte Jean ist tief in mir verborgen und gibt keinen Laut mehr von sich.
In den letzten Monaten hat sie kapituliert.
„Ich vermisse Dich Ben.“ Sage ich kaum hörbar, ich wische mir über die Augen.
Ich will jetzt nicht weinen, ich muss weiter machen.
Ich nehme sofort den nächsten Karton in Angriff.
Endlich am später Abend ist es geschafft, alle Kartons sind leer und meine Schränke eingeräumt. Ich lege den letzten zusammen gefalteten Karton unters Bett und setze mich auf jenes.
Ich sehe mich um, noch vor ein paar Monaten war mir eine wohnliche Atmosphäre so unheimlich wichtig gewesen, ich liebte es alles zu dekorieren und alles hin und wieder neu zu gestalten.
Nun aber sitze ich in einer kompletten weißen Wohnung, ohne Bilder an den Wänden, ohne Kerzen, ohne Blumen kurzum nichts macht es hier gemütlich. Es ist zweckmäßig und nicht mehr, ich habe einfach keine Lust und keine Kraft.
Wofür auch?
Ich nehme meine schwarz umrandete Brille ab und reibe mir die Augen, sie brennen weil ich einfach zu wenig schlafe. Ich lasse mich in mein Kissen fallen und weine, wenn ich darüber nachdenke wie viel und wie oft ich in den letzten Monaten geweint habe, dann ist es ein Wunder das ich noch Tränen habe.
Ich kauere mich auf meinem Bett zusammen und wünsche mir nichts sehnlicher als die Zeit zurück zu drehen.
Ben und ich standen uns immer sehr Nahe, er war meine zweite Hälfte. Ich liebte ihn so sehr und ich kann es immer noch nicht fassen. Als die beiden Soldaten, am Morgen des 12. September aus dem Auto gestiegen sind und auf unser Wohnheim zu kamen da schoss es mir nur noch den Kopf wie schrecklich das für die oder denjenigen sein muss jetzt den Tod eines geliebten Menschen zu erfahren. Als sie dann aber an meiner Tür klopften da setze mein Herz aus, ich öffnete die Tür und sie erzählten mir irgendetwas von Scharfschützen, Bomben und bekundeten mir ihr Beileid.
Ich stand neben mir, ich schlug nach ihnen und brach schließlich zusammen.
Mein Ben! Das war mein Tag X…
Den Anfang vom meiner neuen Zeitrechnung.
Der Tag nach dem mein Leben und das meiner Eltern nie wieder so war wie vorher weil es ohne ihn weiter geht.
Die Uhr läuft weiter…
Sekunde für Sekunde…
Minute für Minute…
Stunde für Stunde…
Der Zeit ist es egal was passiert ist…
Sie läuft unaufhörlich weiter.
Ich sehe unter Tränen zu meinem Fenster, ich sehe den Mond der versucht sich seinen Weg durch die dichten Wolken zu bahnen, aber er ist gefangen dahinter.
So wie ich in meiner Trauer gefangen bin, aber ich kann nicht einfach weiter machen und leben als wäre nichts gewesen.
Ich konzentriere mich auf meine Arbeit und alles andere läuft nebenher. Es muss nebenher laufen denn ich habe keine Kraft mich darum zu bemühen es besser zu machen.
Irgendwann schlafe ich erschöpft ein und erwache am nächsten Morgen mit Kopfschmerzen, ich gehe ins Bad und nehme meine üblichen 2 Kopfschmerztabletten. Ich habe ständig Kopfschmerzen und fühle mich ohne Schmerztabletten nicht wie ein Mensch.
Ich stecke meine langen braunen Haare mit einer Klammer fest, putze mir die Zähne und wasche mein Gesicht.
Das läuft automatisch ohne dass ich auch nur eine Sekunde darüber nachdenke was ich tue.
Dann gehe ich zurück ins Schlafzimmer und hole meine Brille, früher habe ich immer Kontaktlinsen getragen.
Aber wofür sollte ich das jetzt tun?
Ich habe keine Lust…
Das ist meine Standartantwort auf alle Fragen in den letzten Monaten.
Ich weiß es muss weiter gehen, aber das wie erschließt sich mir nicht.
Wie soll ich weiter machen?
Ohne ihn?
Ich seufze tief, gehe in die Küche und stelle die Kaffeemaschine an. Ich schalte das Radio an um meine Gedanken abzustellen, sie drehen sich eh im Kreis und ich will nicht noch mehr Kopfschmerzen bekommen. Ich sehe auf den Kalender, 12. März, in 3 Tagen werde ich wieder anfangen zu arbeiten. Ich habe mein praktisches Jahr vor ein paar Monaten unterbrochen und habe jetzt im East Providence meine letzten 4 Monate vor mir. Ich hoffe danach auf eine Festanstellung.
Der einzige Plan den ich überhaupt für meine Zukunft habe.
Ich setze mich an den Küchentisch und blättere in meinen Unterlagen, ich will gut vorbereitet sein.
Das Piepsen meiner Kaffeemaschine reißt mich aus meinen Lesestoff, ich stehe auf, suche erst einmal die Tassen und schenke mir Kaffee ein.
Seit ein paar Monaten trinke ich ihn schwarz, vorher habe ich mir immer Unmengen Milch und Zucker rein getan. Ich liebte es, es war so schön süß und klebrig und hatte eigentlich schon gar nichts mehr mit Kaffee im eigentlichen Sinne zu tun.
Aber wozu?
Kaffee soll mich wach halten.
Nicht mehr.
Und es ist so einfacher habe ich fest gestellt und er hält mich auch wesentlich länger wach.
Ich setze mich wieder an den Tisch und fange an von Vorne zu lesen, ich muss mich anstrengen mich zu konzentrieren.
Es fällt mir schwer in letzter Zeit, aber langsam gibt es sich wieder. Denn die Berufs – Jean, wie ich sie gerne nenne, ist selbstbeherrscht, stark, perfektionistisch und gut in dem was sie tut.
Nur leider verschwindet die Berufs – Jean jeden Tag wenn ich die Bücher beiseite lege und versuche am normalen Leben teil zu nehmen.
< Piep, Piep >
Ich zucke zusammen und sehe mich um, schließlich fällt mir ein dass ich mein Handy gestern im Flur habe liegen lassen. Ich stehe auf und hole es mir.
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Lucy
Ich atme tief ein und drückte auf lesen.
Hey Jean! Hast du heute Abend schon was vor? Wir haben alle frei und wir wollen uns heute einen Film ausleihen und vorher noch eine Kleinigkeit essen. Ich umarme Dich Lucy, Jason & Dom
Ich seufze und lege das Handy ohne antworten zur Seite, ich sehe nochmals auf den Kalender, heute ist Samstag.
Komisch, aber hätte ich nicht auf den Kalender geschaut wäre es mir nicht einmal aufgefallen.
< Piep, Piep >
Ich stutze und nehme es erneut in die Hand.
Bitte Jean!
Steht dort nur, ich seufze und gebe mir einen Ruck wenigstens zu antworten.
Hallo Lucy! Ich habe keine Lust, Danke. Jean
Mehr gibt es nicht zu schreiben und ich hoffe damit das Thema vom Tisch zu haben.
< Piep, Piep >
Bitte Jean nur dieses eine Mal! Bitte!
Ich schüttle meinen Kopf und dann denke ich nach, ich kenne Lucy lange genug und weiß dass sie nicht aufgeben wird. Vielleicht will sie wirklich einfach nett sein, vielleicht sind wir ja noch Freunde, auch nach all der Zeit und dem was geschehen ist.
Wann? Wo?
Schreibe ich schließlich und drücke auf senden, sie wird schon merken das ich kein guter Gast bin.
< Piep, Piep >
Um 18 Uhr, bei mir und Jason Silver Spring Avenue 18, 3. Stock links! Ich freue mich auf Dich! Lucy
Ich überlege kurz, es ist nicht weit weg von hier. Ich kann zu Fuß laufen.
Ich stelle das Handy auf lautlos und setze mich wieder an meine Unterlagen. Ich bin so vertief in die Bücher, das ich bei meinem nächsten Blick auf die Uhr erschrecke. Es ist bereits 17:30 Uhr. Habe ich gerade wirklich 8 Stunden am Stück über meinen Büchern gehangen?
Ich atme tief ein, klappe das Buch zu und gehe in mein Schlafzimmer, ich ziehe meine Jogginghose aus und laufe ins Bad. Ich dusche kurz.
Komisch früher wäre niemand jemals auf die Idee gekommen die Worte duschen und kurz im Zusammenhang mit mir im selben Satz zu verwenden.
Aber wofür Zeit vertrödeln?
Ich kämme meine Haare und binde sie mir zu einem festen Pferdeschwanz. Früher habe ich sie so gerne offen getragen, es gab mir ein gewisses Gefühl von Freiheit.
Freiheit?
Was ist das?
Ich sehe kurz in den Spiegel, unter meinen Augen sind dunkle Ränder.
Waren sie jemals nicht da?
Ich erinnere mich nicht.
Ich nehme mir eine dunkelblaue Jeans aus meinem Schrank und ziehe sie mir über, dann nehme ich mir meinen schwarzen engen Pullover und fertig.
Wozu zu Recht machen?
Schließlich schlüpfe ich in meinem Mantel und meine Stiefel und keine 5 Minuten später ziehe ich meine Wohnungstür ins Schloss.
Ich drehe den Schlüssel zwei Mal herum. Das mache ich schon immer, zwei Mal abschließen… komisch manche Eigenheiten wird man nie los.
Dann gehe runter und als ich durch die Tür trete, erwartet mich ein Frühjahrsturm. So einer von der ganz üblen Sorte, kalter Wind, leichter Regen vermischt mit einzelnen Schneeflocken und alles andere als angenehm.
Ich ziehe meine Kapuze über und laufe zur nächsten Straßenkreuzung, einmal links abbiegen und dann zwei Mal rechts, dann bin ich auch schon da.
Ich suche und finde schlussendlich ihren Namen und drücke auf die Klingel. Ich sehe auf mein Handy um die Uhrzeit zu wissen. 18:05 Uhr, gar nicht so schlecht denke ich und stecke es zurück. Ich habe mir Mühe gegeben pünktlich zu sein und bin es auch fast. Ich reibe wieder über meine Augen, wenn sie doch nur endlich aufhören würden zu brennen.
„Ja?“ kommt es blechern aus dem Lautsprecher über den Klingelknöpfen und ich zucke ein wenig zusammen.
„Jean.“ Sage ich tonlos und der Summer ertönt.
Ich lehne mich gegen die schwere Tür und sie springt auf.
Ich gehe hoch in den 3 Stock und Lucy erwartet mich an der Tür.
Worauf habe ich mich eigentlich eingelassen?
Ich bin kurz davor auf dem Absatz kehrt zu machen.
Aber ich bin schon fast da und Lucy entdeckt mich.
„Hey Jean!“ sie nimmt mich in den Arm und nach einem Moment der Verwunderung erwidere ich es. Es fühlt sich befremdlich an, schließlich bin ich in den letzten Monaten jeder körperlichen Nähe aus dem Weg gegangen.
„Komm rein.“ Sagt sie und streicht mir über die Wange, ich mache sofort einen kleinen Schritt zurück und sie sieht mich besorgt an.
Ich verwirre sie und es tut mir leid, aber ich kann nicht aus meiner Haut.
„Schon gut Lucy.“ Ich winke ab und trete in ihren Flur.
´Nichts ist gut! ` Versucht die kleine Stimme in meinem Kopf zu schreien, aber ich ignoriere sie. Sie wird leise, wie ein flüstern und ich atme kurz durch. Ich folge Lucy in den Flur, ziehe meine Schuhe aus und sie nimmt mir meinen Mantel ab.
„Hey Jean!“ Jason, ihr Freund kommt aus dem Wohnzimmer und nimmt mich ebenfalls in den Arm. Ich merke wie steif ich bin, ich bin diese Umgangsformen nicht mehr gewohnt. In den letzten Monaten in Los Angeles bin ich nur zum arbeiten vor die Tür gegangen. Ansonsten war ich froh wenn mich alle Welt in Ruhe ließ.
Ich antwortete auf keine E-Mail, löschte alle SMS die ich bekam und telefonierte wenn überhaupt nur mit meinen Eltern.
„Hey Jason.“ Sage ich und sehe ihn an, er drückt kurz meine Hand und wir gehen ins Wohnzimmer.
„Jean.“ Domenic, Lucys Bruder steht von der Couch auf und kommt zu mir.
„Hey Dom.“ Sage ich leise und er sieht mich prüfend an.
Dom, mein lieber Dom. Ich sehe die Verwunderung über mein Erscheinungsbild in seinen Augen. Er sieht mich so vorwurfsvoll an. Ich gebe mir einen Ruck und breite meine Arme aus. Er zieht mich zu sich.
„Wie geht es dir?“ er sieht mich besorgt an und gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
Zuviel Nähe!
Ich weiche einen Schritt zurück.
„Gut.“ Lüge ich.
„Setzt euch, ich und Jason brauchen noch einen kleinen Moment.“ Lucy strahlt mich an.
Ich beneide Lucy um ihre fröhliche, unbeschwerte Art. Ich habe sie schon früher darum beneidet, aber gerade jetzt in diesem Moment wünsche ich mir nicht sehnlicher als ein kleines bisschen so zu sein wie sie.
„Gut siehst du aus.“ Dom zwinkert mir zu.
„Du konntest noch nie lügen Dom.“ Sage ich und schüttle meinen Kopf.
Das er es überhaupt versucht kommt schon fast einem Verrat gleich.
Ich setze mich auf die Kante der Couch, gerade so als würde ich gleich wieder aufspringen.
Oh wie gerne würde ich das…
Aber das würde Fragen nach sich ziehen und darauf habe ich keine Lust.
Ich schließe mit der Stimme in meinem Kopf einen Pakt. Sie lässt mich heute Abend ein wenig in Ruhe und morgen bin ich wieder ganz für sie da.
„Jean…“ er nimmt meine Hand.
„Bitte nicht jetzt und bitte nicht hier.“ Bitte ich ihn inständig.
Bitte Dom, lass mich!
„Okay.“ sagt er leise und drückt kurz meine Hand.
Lucy und Jason kommen mit dem Essen. Sie haben sich wirklich Mühe gegeben und Lucy weiß immer noch was mein Lieblingsessen ist. Ich liebe Karamellkartoffeln und sie hat eine große Schüssel gemacht.
„Du weißt es noch?“ ich sehe sie an und lächle leicht, es fühlt sich ungewohnt an.
„Klar, du liebst sie.“ Sie strahlt mich an und wir setzen uns an den Esszimmertisch.
Das Essen ist wirklich nett, ich gebe mir die größte Mühe nicht so angespannt zu wirken wie ich es eigentlich bin. Ich esse wenig und versuche die Blicke die auf mir ruhen auszublenden.
Ich habe sogar ein wenig Spaß und erschrecke fast über mich selbst.
In den letzten Monaten habe ich mir selbst alles verboten was Spaß macht, ich finde ich habe kein Recht mehr dazu.
Die Zeit vergeht schnell und Dom sieht mich immer wieder besorgt von der Seite an, ich versuche ihn zu ignorieren.
Es fällt mir schwer, er kennt mich…
Er kennt mich viel zu gut und das macht mir Angst.
Gegen 22 Uhr stehe ich auf.
Ich war lange genug hier, ich möchte zurück in meine Wohnung, in mein Schneckenhaus, in meine Festung.
„Ich danke euch für den netten Abend.“ Sage ich und sehe Lucy dankbar an.
Ich lüge noch nicht einmal, es hat mir gut getan. Ich danke ihr mit meinem Blick dafür dass sie Ben nicht angesprochen hat.
„Weißt du Jean, ich fahre dich schnell rum.“ Dom steht ebenfalls auf.
„Lass mal Dom. Es ist ja nicht weit.“ Winke ich ab.
„Komm schon Jean, es gießt wie aus Eimern.“ Er nimmt sich seine Jacke.
Ich gebe mich geschlagen und nicke ihm zu.
Auch ich kenne ihn sehr gut und weiß wann Widerworte angebracht sind und wann nicht. Jetzt ist eindeutig das Zweite der Fall.
Lucy nimmt mich in den Arm.
„Weißt du was, wenn du arbeitest isst du wahrscheinlich gar nichts mehr…“ sie zwinkert mir zu „… Was hältst du davon wenn wir das einführen. Jede Woche ein Abendessen bei uns? Egal welcher Tag, aber es muss einmal die Woche sein.“ Sie sieht mich strahlend an.
„Klingt gut.“ Sage ich und ringe mich zu einem echten lächeln durch.
Es klingt wirklich gut…
Aber ob ich die Kraft dazu habe?
Die Kraft mein Leben wenigstens ein wenig lebenswerter zu machen?
„Super.“ Jason nimmt mich in den Arm.
„Danke Sis, wir telefonieren.“ Dom verabschiedet sich von Lucy.
„Ich bin froh dass du wieder da bist.“ Lucy nimmt mich erneut in den Arm und ich sehe sie an.
Sie sieht so wahnsinnig traurig aus, aber ich weiß dass ihre Worte wahr sind.
Meine Augen füllen sich mit Tränen, sie ist eine tolle Freundin, die Entfernung und die Jahre haben unserer Freundschaft nicht geschadet und es beschämt mich das ich daran gezweifelt habe.
Sie streicht mir über die Wange.
„Komm Jean, sonst werden wir noch nass.“ Dom zieht mich mit sich und ich winke Lucy und Jason kurz zu.
Wir laufen schnell über die Straße zu seinem Auto und ich lotse ihn in meine Straße.
„Kann ich dich hochbringen?“ fragt er, schnallt sich ab und steigt aus.
Er will keine Antwort, denn es ist eher eine Ansage und keine Frage.
Wir laufen die Stufen hoch in meine Wohnung und ich schließe auf.
Ich will nicht mit Dom alleine sein…
Er kennt mich viel zu gut.
Meine Mauer wird Risse bekommen.
„Das nenn ich mal zweckmäßig.“ Er sieht sich prüfend um.
Ich antworte nicht, er weiß dass ich eigentlich nicht so bin. Ich ziehe meine Schuhe aus und hänge meinen Mantel an die Garderobe. Ich laufe ihm voraus ins Wohnzimmer und er folgt mir nachdem er wie erschrocken fest stelle ebenfalls seine Jacke und Schuhe aus zieht.
Was hat er vor?
Er entdeckt das Bild von mir und Ben und nimmt es zur Hand.
„Los Angeles?“ er sieht mich fragend an und ich nicke.
„Gott er hat so davon geschwärmt, die Woche bei dir hat ihm so gefallen und immer und immer wieder erzählte er uns wie toll du alles hin bekommst, er war so verdammt stolz auf dich. Seine kleine Jean an der UCLA kurz vor ihrem Abschluss. Eine richtige Ärztin.“ Er stellt das Bild zurück.
Ich wage es nicht ihn anzusehen, ich habe Angst dass er mich durchschaut, meine so mühevoll aufgebaute Fassade.
Ich setze mich auf meine Couch und ziehe meine Beine an und umschlinge sie mit meinen Armen.
„Deine Mum macht sich Sorgen um dich.“ Sagt er leise.
Ich sehe erstaunt auf.
Ist er deswegen hier?
Weil meine Mum sich Sorgen macht und er ihr ein Gefallen tun will?
Ich ringe mit mir, schließlich spreche ich es aus.
Geheimnisse vor ihm zu haben ist nicht möglich.
„Bist du deswegen hier?“ ich verschlinge meine Hände so fest in einander das die Knochen weiß heraus treten.
„Nein. Gott Jean. Ich bin dein Freund…“ er sieht mich leicht verletzt an „… Jean ich mache mir echt Sorgen um dich.“ Sagt er, ich schließe gequält meine Augen.
„Ich kann es nicht mehr ertragen.“ Sage ich leise.
„Was Jean?“ Dom setzt sich neben mich und sieht mich fragend an.
„Alle Menschen um mich herum machen sich Sorgen, ich will das nicht! Ich habe genug mit mir selbst zu tun, ich kann nicht noch Rücksicht auf die Gefühle anderer nehmen.“ Ich sehe ihn kraftlos an.
Endlich habe ich es ausgesprochen, das erste Mal in all den Monaten.
„Jean das wollen wir auch nicht. Aber ganz ehrlich, hast du dich in den letzten Monaten mal im Spiegel angeschaut?“ er sieht mich erneut fragend an und ich nicke schuldbewusst.
„Gott Jean, wir haben Angst dass du daran zerbrichst…“ er nimmt meine Hand „… Wir vermissen ihn auch, aber er würde nicht wollen das du dich aufgibst.“
Ich entziehe ihm meine Hand.
„Wer sagt dir dass ich mich aufgebe?“ ich funkle ihn an „Ich mache meine Assistenzzeit zu Ende und dann meinen Facharzt.“
„Das meinte ich nicht. Jean schau dich an, meinst du wirklich Ben wollte seine kleine Schwester jemals so sehen?“ er sieht mich an und ich stehe auf.
Ich will weg…
Weit, weit weg.
Bis mir einfällt das ich fest sitze, er bin hier bei mir in meiner Wohnung, ich habe keinen Ausweg, doch ich muss wenigstens raus aus diesem Zimmer.
Bevor ich die Tür erreichte hält er mich am Arm fest, er dreht mich zu sich und ich sehe in sein Gesicht.
Er ist Ben so ähnlich, nicht vom Aussehen sondern von seiner ganzen Art. Ich weiß Ben hätte genauso gehandelt wenn es hier um Lucy gehen würde.
„Lass mich los Dom.“ Sage ich und versuche kläglich mich los zu machen.
„Nein.“ Sagt er nur und zieht mich mit sich, er bugsiert mich auf die Couch zurück und ich starre zu Boden.
„So Jean Andrews.“ Er zwingt mich ihn an zu sehen „Ich schau mir das nicht weiter mit an. Meinst du wirklich das hier hat Ben für dich gewollt?“ er sieht mich fragend an und schaut sich dann um.
„Er ist nicht mehr da.“ Sage ich kraftlos.
„Das weiß ich, er fehlt mir jeden Tag aber mein Leben ist nicht vorbei. Ich bin nicht gestorben und du auch nicht! Ein Teil von uns vielleicht, aber schau dich um wir sind noch hier und müssen unser Leben weiter leben.“ Er sieht mich durch dringend an.
„Aber wie?“ ich sehe ihm nun direkt in die Augen. „Tausend Mal am Tag denke ich an ihn, mindestens 20 Mal am Tag rufe ich seine Mailbox an nur um seine Stimme zu hören, ich lese sein E-Mails, sehe seine Bilder… Es erschlägt mich, aber wenn ich es nicht tue dann zerreißt es mich.“ Ich fühle mich so hilflos.
Meine Fassade bröckelt immer mehr.
Was will er?
Will er dass ich mich schlecht fühle?
Noch schlechter als sowieso schon?
„Jean… tu dir doch selbst nicht so weh.“ Er streicht mit seinem Daumen über meine Wange-
So wie er es immer getan hat.
Ben.
„Ich vermisse ihn so schrecklich und ich konnte nicht bei ihm sein…“ die Tränen bahnen sich ihren Weg, meine Mauer fällt, nicht Stein für Stein, nein mit einem Riesenkrach stürzt sie in sich zusammen. „… In seinen letzten Stunden, als er um sein Leben gekämpft hat, da war ich auf einer Uni Party. Ich habe gefeiert und getanzt. Ich konnte ihm nicht sagen wie sehr ich ihn liebe.“
„Jean, er wusste es! Er wusste wie sehr du ihn liebst, er liebte dich genauso.“ Er zieht mich in seine Arme, es tut so gut mit ihm zu reden, er kannte ihn genauso gut wie ich.
Er war 29 Jahre sein bester Freund gewesen.
Ben gab es nur zusammen mit Dom, seit dem Kindergarten waren die beiden ein eingeschworenes Team.
Nicht und niemand hätte sie jemals trennen können.
Nur der Tod…
Obwohl es schmerzt bin ich froh dass mich endlich jemand versteht, bisher bin ich immer nur für meine Mum und meinen Dad stark gewesen, aber meine Kraft ist schon lange aufgebraucht.
Mein Akku ist leer.
„Warum er?“ ich sehe zu ihm auf.
„Kein Ahnung Jean.“ Sagt er behutsam.
Ich weiß dass mir niemals irgendjemand sagen kann warum das passiert ist. Warum es ihm passiert ist. Warum es Kriege gibt und warum dabei Menschen sterben…
Aber wie viel besser würde ich mich fühlen wenn ich eine Antwort auf diese Fragen bekommen würde?
Würde ich mich überhaupt besser fühlen?
„Ich war seit seiner Beerdigung nicht da.“ Flüstere ich.
„Das macht doch nichts Jean, er versteht es… Wir alle müssen einen Weg finden damit umzugehen, das er nicht mehr mit uns an einem Tisch sitzt und seine Späße macht. Wir alle müssen lernen dass das Leben weiter geht! Vor allen Dingen du Jean! Das hätte er nie gewollt.“ Er sieht mich an und ich sehe zu Boden.
„Ich weiß nicht mehr wie das vorher war.“ Sage ich ganz leise, es ist nicht mehr wie ein wispern.
Ich muss mir wirklich eingestehen das die Jean die ich früher einmal war mir so weit weg erscheint, das sie nicht einmal mehr ein kleiner Punkt am Horizont ist.
„Jean.“ Er zieht mich wieder in seine Arme. „Ich bin da.“ Sagt er sanft.
„Du?!“ ich sehe ihn erstaunt an.
„Ja Jean, ich, ich hätte dich schon nach Beerdigung nicht gehen lassen dürfen. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt wann du zusammen brichst, du standest völlig neben dir. Ich bin vor Sorge um dich fast durch gedreht.“ Seine Stimme ist nun auch kaum mehr wie ein flüstern, ich spüre seinen Atem an meinem Ohr.
„Ich erinnere mich fast nicht mehr an den Tag.“ gebe ich zu „Die Ärztin hat mir morgens irgendetwas gespritzt so dass ich fast nichts wahr nahm.“
„Weißt du zwischen mir und Ben gab es ein stilles Abkommen. Sollte einem von uns was passieren dann kümmern wir uns um die Familie des anderen. Meine Mum ist seit seinem Tod jeden Tag bei deiner. Sie reden, sie tauschen sich aus, sie weinen und sie lachen… Jean auch sie leben weiter.“ Er zwingt mich erneut ihn anzusehen. „Bitte Jean lass mich da sein.“ Bittet er mich.
Ich nicke leicht mit dem Kopf und er zieht mich an seine Brust. Ich höre sein Herz schlagen und merke wie sich mein Herzschlag dem seinen anpasst.
Ein beruhigendes Gefühl durchströmt mich. Ganz langsam und ganz vorsichtig. Ich nehme es in mich auf und wünsche so sehr das es bleibt.
„Weißt du was ich am meisten vermisse?“ frage ich unter Tränen.
„Was?“ flüstert er.
„Seine Anrufe an einem Samstag Abend. Immer wenn er zu Hause war, ihr um die Häuser gezogen seid und schon ordentlich was getrunken hattet, dann hat er mich angerufen und mir erzählt was für einen Mist ihr wieder gebaut habt oder welche Frauen ihr abgeschleppt habt. Es war immer so lustig, ich freute mich auf diese Anrufe.“ Ich kuschle mich an seine Brust.
„Er hat dir erzählt welche Frauen wir abgeschleppt haben?“ Dom lacht leise.
„Oh ja in jeder Einzelheit, ich glaube manchmal vergaß er das ich seine kleine Schwester war.“ Ich lächle unter Tränen.
„Und du meinst wenn er jetzt sehen würde das seine kleine Schwester in einer lieblos eingerichteten Wohnung sitzt, deren Haare seid Monaten keinen Friseur gesehen haben, die nicht einmal ihre Kontaktlinsen rein macht und die sich anzieht als wäre sie immer noch auf seiner Beerdigung… meinst du wirklich er wollte das für dich?“ fragt er behutsam.
„Nein.“ Weine ich und ich weiß was er meint.
Ich begreife es endlich… und es schmerzt.
Ich habe mich so runter ziehen lassen das es mir selber nach einer gewissen Zeit nicht mehr aufgefallen ist. Es gab nur noch mich und meine Trauer.
„Ich verspreche dir was…“ er schiebt mich ein Stück von sich weg um mich ansehen zu können „… Wenn dieses Jahr vorbei ist bist du wieder die alte Jean, nein du bist eine rundum glückliche Jean.“ Er sieht mich ernst an.
„Versprochen?“ frage ich leise.
Zu verlockend klingt sein Versprechen, denn alles kann ich mir im Moment vor stellen, aber nicht das!
„Fest versprochen.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn. „Jean ich habe auch getrauert, ich habe auch geweint und manchmal holt es mich immer noch ein. Ich kannte ihn mein ganzes Leben.“ Er sieht mir in die Augen „Aber ich kann mich nicht hängen lassen, das hätte er einfach nicht gewollt.“
Wir reden noch lange über Ben und ich lache das erste Mal seit Monaten wieder.
Gegen 3 Uhr gehe ich ins Bett und er schläft auf der Couch.
Am nächsten Tag klopfte es gegen Mittag an meine Schlafzimmertür.
„Aufstehen!“ ruft Dom gut gelaunt und ich strecke mich, draußen scheint die Sonne und ich reibe mir meine Augen. Sie brennen wieder, aber es ist längst nicht so schlimm.
Ich stehe auf und gehe langsam zum Fenster, ich öffne die Jalousie und sehe hinunter auf die Straße.
So viele gut gelaunte Menschen am Morgen.
Waren sie schon immer da?
Habe ich sie nur nicht gesehen?
Ich nehme meine Brille vom Nachttisch und setze sie mir auf, dann ziehe ich ein T-Shirt über meinen BH und trete leise in den Flur.
Der Geruch frischen Kaffees liegt in der Luft und ich folge ihm in die Küche. Ich beobachte Dom dabei wie er Rührei macht und lächle leicht. Ich kann nicht anders und meine Gesichtsmuskeln fühlen sich das erste Mal seit langem entspannt an.
Ich brauche meine Maske nicht tragen.
Dom ist hier… und er hat Frühstück gemacht.
Strahlend sieht er mich an als er mich bemerkt und nimmt mich in den Arm.
Ihm ist es egal dass ich gerade nur in einem T-Shirt und Hotpants vor ihm stehe. Er kennt mich, er kennt mich mein ganzes Leben.
„Guten Morgen Jean! Ein Frühstück für den ersten Tag vom Rest deines Lebens.“ Grinst er und ich setze mich.
Er tischt mir Rührei und Brötchen auf und ich sehe ihn erstaunt an.
„Das hast du aber nicht aus meinem Kühlschrank.“ „Natürlich nicht, da war ja nichts drin.“ Er sieht mich strafend an „Ich war einkaufen.“ Erklärt er stolz und reicht mir ein Brötchen. „Stufe 1: Du isst jeden Tag drei Mahlzeiten… Jean du bist viel zu dünn.“ Sagt er streng und ich nehme das Brötchen.
Ich schneide es auf, belege es mit Käse und streiche Marmelade drauf.
Wie lange habe ich das nicht mehr gemacht?
Ich sehe auf und Dom tut das Gleiche. Käse und Marmelade… typisch für uns. Wir haben das schon als Kinder geliebt.
Wir grinsen beide und ich sehe in meine Kaffeetasse.
„Kaffee mit Extra viel Milch und drei Stück Zucker.“ Er lächelt und mir wird bewusst das er alles was er gestern Abend zu mir gesagt hat ernst gemeint hat.
Er wird nicht gehen ehe ich wieder glücklich bin.
Ich nehme einen Schluck, es schmeckt immer noch wie der Kinderkaffee von früher und ich lächle ihn an.
„Danke Dom.“ Sage ich leise und beiße von meinem Brötchen ab. Wir frühstücken schweigend zu Ende. Aber es nicht unangenehm, eher das Gegenteil. Er liest in der Tageszeitung und ich in meinen Unterlagen.
Es kommt mir unwirklich vor, aber es fühlt sich erschreckend normal an.
Als wir fertig sind stehe ich auf und beginne den Geschirrspüler einzuräumen während er die Reste des Frühstücks im Kühlschrank verstaut. Als auch das erledigt ist nimmt er mich in seine Arme und ich lehne meinen Kopf an seine Schulter.
Es fühlt sich gut an und so verdammt vertraut. Fast könnte ich meinen Ben ist wieder da.
Ben und ich liebten uns wirklich abgöttisch, schon als ich ein Baby war passte er auf mich auf. Niemand durfte auch nur einen Blick auf mich werfen ohne an meinem großen Bruder vorbei zu müssen…
Dom lässt mich plötzlich los und sieht mich an.
„So Stufe 2, ich fahre nach Hause und hole meine Laufsachen, wir gehen jetzt joggen.“ Sagt er bestimmend und läuft aus der Tür.
Ich bleibe verdattert zurück und starre auf die Tür.
Ist das sein Ernst?
Jetzt?
Ich besinne mich, das ist Dom, er macht keine Späße.
Ich gehe ins Schlafzimmer und ziehe mir meine Sportsachen an die ich ganz hinten in meinem Schrank vergraben habe. Ich bin gerade fertig als er klopft und ich Dom die Tür öffne.
Er hat sich auch umgezogen und stellte eine kleine Tasche in den Flur.
„Los komm! Das Wetter ist herrlich!“ er zieht mich mit sich und schaffe es gerade noch so meinen Schlüssel von der Kommode zu nehmen und meine Schuhe anzuziehen.
Das erste Mal seit Monaten verlasse ich das Haus ohne meinen I-Pod. Ich erinnere mich kaum an die Geräusche die eine Stadt mit sich bringt und atme tief ein als wir vor der Tür ankommen.
Lächelnd nimmt er mich an die Hand und wir gehen die kurze Strecke bis zu Quatum Wood State Park.
Wir strechen uns und dann spüre ich es plötzlich wieder…
Die Sonne auf meiner Haut.
Den Wind in meinen Haaren.
Ich laufe langsam neben ihm her und immer wieder sieht er mich prüfend an.
Das ist schön.
Das hat mir gefehlt.
Meine morgendliche Joggingrunde war mir immer heilig und nichts konnte mich davon abbringen, dachte ich.
Dann starb Ben.
Ich sehe zu Dom und er lächelt.
„Danke Dom.“ Sage ich leise.
Mit jedem – Danke Dom – kommt ein Stück der alten Jean aus ihrem Schneckenhaus.
Ich bin ihm dankbar.
Doch wirklich…
Ich genieße es mal wieder zu laufen.
Wir laufen zwei große Runden. Ich stütze meine Hände auf meine Knie und sehe ihn an.
„Gut, oder?“ grinst er und ich lächle nur.
Wir laufen auch noch das letzte Stück bis zu meinem Haus und dann sprinten wir die Treppe hoch.
Völlig außer Atem schließe ich die Tür auf und lasse meine Turnschuhe im Flur stehen.
„Ich geh schnell duschen.“ Ich sehe zu Dom und er nimmt sich ein Wasser aus dem Kühlschrank und nickt mir zu.
Als ich unter Dusche stehe und das heiße Wasser meine seit Monaten das erste Mal wieder beanspruchten Muskeln langsam erweicht schließe ich meine Augen.
Es ist ein schönes Gefühl wieder zu spüren…
Etwas anderes zu spüren wie den Schmerz und die Trauer…
Ich danke Ben im Stillen dafür dass er mir Dom geschickt hat um mich selbst wieder zu finden.
Ich muss mich finden…
So kann es nicht weiter gehen.
Die letzten 6 Monate waren schlimm, zu schlimm.
Ich stelle die Dusche aus und komme nur im Handtuch aus dem Bad. Dom sitzt auf der Couch und sieht konzentriert fern.
„Du kannst.“ rufe ich ihm zu und laufe ins Schlafzimmer.
Ich lasse das Handtuch fallen und sehe in den großen Spiegel.
Es ist als würde ich mich das erste Mal seit Monaten wirklich sehen. Ich bin wirklich zu dünn, für andere mag das ihrem Ideal entsprechen, aber ich mochte meine sehr weiblichen Formen und jetzt ist nicht mehr davon übrig. Ich erschrecke mich über mich selbst.
Wie habe ich das nicht sehen können?
Ich ziehe mir Unterwäsche und eine dunkle Jeans an.
Dann muss ich eine Weile suchen ehe ich finde was ich jetzt brauche. Ich halte Bens Lieblingspullover in den Hände. Er ist dunkelblau mit einem neongelben Nike Emblem auf der Brust. Ich ziehe ihn mir über und atme den Duft ein. Ich bilde mir ein er riecht noch ein wenig nach ihm.
Ich weiß das ist Quatsch aber der Gedanke zaubert mir ein kleines Lächeln aufs Gesicht.
Ganz plötzlich mischt sich ein weiteres Gefühl in meine Trauer.
Wut.
Ich bin überrascht über mich selbst, aber ich kann nicht dagegen ankämpfen, sie kriecht langsam in mir hoch und ich balle meine Hände zu Fäusten.
„Jean?“ ruft Dom mich und ich komme aus dem Schlafzimmer.
Er erkennt Bens Pullover und lächelt leicht, aber ihm bleibt auch meine angespannte Körperhaltung nicht verborgen und er sieht mich prüfend an.
„Stufe 3 für heute?“
„Was ist Stufe 3?“ frage ich skeptisch.
„Keine Fragen.“ Er nimmt mich an die Hand, zieht mich zur Haustür und deutet auf meine Schuhe. Ich ziehe sie an und sehe immer wieder zu ihm auf.
Er schweigt und seine Augen verraten mir nichts.
Er reicht mir meinen Mantel und wir gehen zu seinem Auto.
Dann fährt er los und nach ein paar Minuten ist mir klar wo diese Fahrt enden wird. Flehentlich lege ich meine Hand auf seinen Unterarm.
„Bitte nicht Dom.“ Flüstere ich.
„Jean.“ Sagt er ganz sanft. Seine Stimme schaffst es schon nur mit dem Aussprechen meines Namens mich zu beruhigen und ich gebe auf.
Es ist wieder einmal ein Punkt wo ich weiß, egal wie sehr ich ihn anflehe oder anbettele, er wird das jetzt durchziehen.
Er parkt eine Straße von unserem eigentlichen Ziel entfernt und wir gehen langsam auf das große eiserne Tor zu.
Mein Atem beschleunigt sich mit jedem Schritt den wir Näher kommen.
Ich kann das nicht! Flehen ihn meine Augen an, aber er nickt nur leicht mit seinem Kopf. Er öffnet die Tür und sie geht quietschend auf.
Dann schaut er wieder zu mir, nimmt meine Hand und führt mich die Reihen entlang.
Plötzlich stehen wir davor und mein Herz setzt einen Schlag aus… Hilfesuchend drehe ich mich zu Dom und beginne zu weinen.
„Jean sag ihm endlich richtig Auf wiedersehen.“ Dom seine Stimme klingt weit weg obwohl ich weiß dass er neben mir steht. Er gibt mir einen sanften aber bestimmten Schubs und ich sehe auf den Stein, während ich merke wie Dom ein Stück geht. Ich starre verweint auf den Stein.
Captain Benjamin Andrews
US Army
“Ben“
13.12.1980 – 13.08.2009
Gott holte einen Engel zu sich.
In ewiger, tiefer Liebe
Mum, Dad & Jean
Ich schlucke schwer, ich habe den Stein bisher noch nicht gesehen. Mum hat ihn mir nur beschrieben… unter Tränen, weil ihr geliebter Sohn fort ist.
Es ist ein glänzend weißer Stein, oben in der linken Ecke ist ein Engel eingraviert, die Schrift ist Silber und wunderschön geschwungen.
Ich kann es nicht fassen, hier ist mein Bruder, hier ist der Ort an dem ich ihm für immer und ewig an Nahsten sein werde.
Meine Hände ballen sich wieder zu Fäusten und dann ganz plötzlich bricht es aus mir heraus.
Die letzten Monate habe ich es unterdrückt aber jetzt ersticke ich fast daran.
„Wie konntest du mich nur alleine lassen? Wie konntest du gehen? Wieso hast du mich hier gelassen? Du weißt ich wäre dir überall hin gefolgt… Was soll ich nur ohne dich machen?“ meine Stimme versagt fast und ich sinke auf die Knie. „Du bist so ein elendiger Verräter! Du hast all deine Versprechen gebrochen! Wieso nur? Wieso bist du nicht mehr bei mir? Wieso Du?“ meine Stimme wird lauter und klingt nicht mehr nach mir selbst. „Ben ich liebe dich so sehr, du fehlst mir so unbeschreiblich! Warum hast du mir hier allein gelassen? Warum? Warum? Warum?“ mein weinen geht in ein Wimmern über.
Ich lege meine Hand auf den Stein, er ist kalt und hart, ich streiche mit meinen Fingerspitzen das Wort Ben nach. „Warum hast du mich allein gelassen? Wer soll mich jetzt vor der bösen Welt beschützen?“ frage ich ihn kraftlos und sinke in mich zusammen.
„Du bist nicht allein.“ Sagt eine Stimme sanft hinter mir und Dom legt mir seine Hände auf die Schultern.
Ich schaue hoch, schaue in sein Gesicht. Eine einzige Träne hängt an seinen Wimpern und als er zum Grabstein sieht und blinzelt läuft sie ihm über die Wange und hinterlässt eine salzige Spur.
„Mach dir keine Sorgen Ben, ich kümmere mich um sie.“ er legt behutsam seine Hand oben auf den Grabstein „Versprochen ist Versprochen.“ Flüstert er.
Er beugt sich zu mir runter und hilft mir auf die Beine, ich kann die Tränen nicht aufhalten sie laufen über mein Gesicht und ich kann nichts dagegen tun.
Er zieht mich in seine Arme und ich klammere mich an ihn wie eine Ertrinkende. Er bugsiert mich zu einer Bank in der Nähe und lässt mich weinen.
Er sagt kein Wort, ich spüre seine warmen Hände auf meinem Rücken und merke dass er mir immer wieder Küsse aufs Haar haucht.
Ich habe kein Zeitgefühl und weiß nicht wie lange wir so da sitzen, aber ich merke das meine Gefühle raus müssen. Sie müssen raus bevor sie mich auffressen.
Langsam beruhige ich mich ein wenig und er reicht mir seine Hand. Wortlos gehen wir zurück zu seinem Auto.
Ich muss einen furchtbaren Anblick bieten.
Verweint, dreckig und zitternd. Aber wo wenn nicht auf einem Friedhof darf man so aussehen, es dürfte also eigentlich niemanden stören.
Er setzt mich auf den Beifahrersitz und steigt ein. Er scheint einen Moment nach zu denken, dann fährt er los und ich bekomme gar nicht so richtig mit wohin wir fahren.
Plötzlich parkt er, steigt aus, kommt ums Auto herum und reicht mir seine Hand.
„Komm.“ Seine Stimme ist leise und ich sehe zu ihm auf.
Ich stelle keine Fragen, über diesen Punkt bin ich längst hinaus. Ich vertraue ihm einfach.
Ich finde mich am Strand im Sabin Point Park wieder und Dom hält meine Hand fest in seiner.
Erstaunt sehe ich mich um, es ist keine Menschenseele hier. Was mich nicht verwundert, denn es ist wirklich kalt.
„An seinem letzten Abend in Providence waren wir hier.“ Sagt er ruhig und wir gehen den kleinen Steinweg hinunter Richtung Wasser.
„Was habt ihr hier gemacht?“ ich sehe ihn fragend an.
Was machte man am Abend allein am Strand?
„Ben und ich sind immer hierher gefahren wenn wir reden wollten, es war egal welches Wetter war. Wir sind einfach einmal den Strand auf und ab gelaufen und haben über alles Mögliche geredet. Er mochte es hier zu sein. Er sagte wenn der Wind ihm um die Ohren wehte konnte er besser nachdenken, weil der Wind endlich in seinem Kopf aufräumt.“ Dom sieht zum Himmel und ich schlucke.
So aufgedreht wie Ben meistens war traute man es ihm nicht zu, aber ich kannte ihn, er war einer der besonnensten und nachdenklichsten Menschen die ich kannte.
Das steckt auch in mir… die Besonnenheit und das Nachdenken. Aber auch die andere Seite… das Lustige, das Aufgedrehte und das Unbändige… es liegt irgendwo in mir und wartet darauf endlich wieder frei sein zu dürfen. Ich schließe einen Moment meine Augen.
„Wir waren hier, es war der 31. August, ein Montag, es lag Regen in der Luft, aber es war noch trocken. Er hatte mich vom Büro abgeholt weil wir noch eine Runde Baseball spielen wollten. Als wir im Auto saßen fragte er ob wir vorher noch ein wenig spazieren wollen…“ er sieht mich an und wir steuern auf einen kleinen Steg zu, er hilft mir herauf und wir laufen langsam über die Holzbohlen. „… Wir sind hierher gefahren. Wir haben über seine Einsätze geredet, dann haben wir über meine neue Projekte gesprochen. Hinten am Horizont zog ein Gewitter auf…“ er deutet dorthin „… Wir haben uns hier hin gesetzt und zugeschaut wie es Näher kam. Kurz vor 17 Uhr sind wir dann los zum Stadion. Wir haben uns heftig bekriegt…“ er sieht mich an und grinste „… Er hat gewonnen und zog mich wie immer damit auf.“
Ich lächle, ja so war Ben, wenn es um Sport ging konnte er einfach nicht verlieren, er liebte es zu gewinnen und wenn er dann doch mal verlor war er wütend auf sich selbst. Er war in sportlicher Hinsicht extrem ehrgeizig.
„Du bist die Erste der ich das erzähle.“ Sagt er und ich studiere seinen Gesichtsausdruck. Er sieht verletzlich aus und ich ziehe ihn zu mir, ich möchte jetzt von ihm gehalten werden und ich möchte ihn halten. Eine ganze Weile sehen wir auf das Meer.
Grau liegt alles vor uns sodass man kaum den Übergang vom Wasser zum Himmel erkennen kann.
Aber es ist schön.
Wirklich schön.
„Ich hätte so gern noch mal mit ihm geredet.“ Sage ich leise und setze mich am Ende des Steges hin und lasse meine Beine über das Wasser baumeln. Das ist etwas über das ich mit noch niemandem gesprochen habe.
Meine Vorwürfe mir selbst gegenüber.
„Jean er hat sooft an dich gedacht, ihr habt euch geschrieben, ihr habt mit einander telefoniert wenn es irgendwie möglich war, er weiß das du bei ihm warst, auch wenn du nicht anwesend warst. Er war wirklich stolz auf dich.“ Er sitzt jetzt neben mir und schubst mich leicht. „Seine Dr. Jean Andrews.“ Lacht er leise.
„Ich wünsche mir die Zeit zurück als wir Kinder waren. So frei und unbeschwert.“ Sage ich traurig.
Ich würde wirklich alles dafür geben.
Alles.
„Das geht nicht Jean, unsere Zukunft ist das was vor uns liegt. Die Vergangenheit liegt hinter uns und wir können sie nicht ändern. Egal wie sehr wir es wollen.“ Er legt seinen Arm um meine Schultern und ich lehne meinen Kopf an ihn.
„Er fehlt mir so.“ flüstert ich.
„Mir auch, er fehlt mir jeden einzelnen Tag.“ Gesteht Dom leise und küsst andächtig meine Stirn. „Er passt jetzt auf uns auf.“
„Ich weiß.“ Ich sehe zum Himmel.
Plötzlich erfüllt mich eine ungeheure Ruhe und einen Frieden den ich in letzter Zeit nicht hatte. Ich habe endlich den Frieden mit mir selbst gemacht.
Der Wind weht uns um die Ohren und ich genieße dieses Gefühl ganz nah bei ihm zu sein.
„So Jean Stufe 3 und 4 abgeschlossen. Ich bin stolz auf dich.“ Sagt Dom nach einer Weile und küsst meine Hand.
Wir stehen auf da es beginnt dunkel zu werden. Schweigend gehen wir Arm in Arm zum Auto.
Wir besorgen uns eine Kleinigkeit zu essen und sehen uns Bens Lieblingsfilm auf DVD an.
Am nächsten Morgen mache ich mich für meine erste Schicht fertig. Ich bin aufgeregt und weiß nicht was mich erwarten wird.
So viele neue Menschen, neue Fragen, ein neuer Alltag.
Bin ich schon breit dafür?
Dom klopft an meine Schlafzimmertür und lächelt mich aufmunternd an.
Er fährt mich zur Klinik. In der ersten Zeit muss ich von 7 bis 15 Uhr ran. Tagdienst.
Dom will gleich weiter in sein Büro und zwinkert mir zu.
„Zeig´s ihnen Jean.“ er gibt mir einen Kuss auf die Wange.
„Danke Dom.“ Ich atme tief durch, gebe mir einen Ruck und steige aus.
„Wir sehen uns heute Abend. Gehst du bitte nach deiner Schicht einkaufen?“ er sieht mich an und ich lächle.
„Ja. Danke Dom.“ Sage ich und schlage die Tür zu.
Ich betrete das Krankenhaus durch die Notaufnahme und melde mich an der Anmeldung.
„Hallo ich bin Jean Andrews.“ Ich sehe die Schwester an und sie lächelt.
„Hallo ich bin Lou. Ich sag Jonas Bescheid, er erwartet dich.“ Sie sieht mich an und wählt eine Nummer auf ihrem Telefon. „Ich habe ihn angepiept, er ist gleich hier.“
Sie lächelt erneut und ich erwidere es.
Etwas was mir schon fast nicht mehr möglich erschienen war passiert. Ich kann endlich wieder die Freundlichkeit anderer Menschen annehmen ohne dahinter geheucheltes Mitgefühl zu empfinden.
Augenblicke später kommt ein junger Mann in blauer Arztkleidung durch die Tür gefegt.
„Joan?“ er sieht mich fragend an und ich grinse.
„Jean.“ verbessere ich ihn und er lächelt.
Ist ja nicht das erste Mal das mir so etwas passiert.
„Willkommen im Irrenhaus Jean. Ich bin Jonas dein Oberarzt für die nächsten vier Monate.“ Er reicht mir die Hand. Er hat große, starke Hände und ich bin erstaunt wie sanft sein Händedruck ist.
„Freut mich.“ Sage ich lächelnd und er lacht auf.
„Das wird sich raus stellen.“ Er zwinkert mir zu „Lou? Oliver übernimmt für die nächste Stunde die Einlieferung. Ich zeige Jean mal alles und spreche mit ihr alles ab.“
Er sieht zu ihr, sie blickt von einer Akte auf und nickt ihm zu.
Er führt mich einmal im ganzen Krankenhaus herum, stellt mir Kollegen und Schwestern vor und fragt meinen jetzigen Ausbildungsstand ab. Nach geschlagenen 4 Stunden kommen wir schließlich wieder in der Notaufnahme an. Wie mir mitgeteilt wurde mein Arbeits- und Wirkungsradius der nächsten Monate.
„So Jean, jetzt weißt du alles und findest dich hoffentlich zurecht. Geh dich umziehen und dann geht es los.“ Er klatscht in die Hände, reicht mir meine Karte für die unterschiedlichen Schlösser und meinen Arztausweis. Er deutet auf den Fahrstuhl und ich nehme alles an mich und fahre in den 3. Stock um mich umzuziehen.
Mein Spind steht als einziger offen und auf der Bank davor liegen blaue Wechselsachen für mich.
Es ist schön wieder Arztklamotten an zu haben und ich atme tief durch, pinne mir mein Namensschild an die Brusttasche und lege mein Stethoskop um. Mein Blick fällt auf mein Handy.
1 neue Mitteilung
Dom
Ich drücke auf lesen.
Hey Kleine! Viel Spaß und zeig ihnen was du kannst! Ich bin stolz auf dich! Dom
Ich lächle und stecke es auf stumm geschaltet zurück in die Tasche.
Ich binde meine Haare hoch, rücke meine Brille zurecht, rede mir nochmals kurz gut zu und fahre wieder runter.
Der erste Tag geht wirklich schnell vorbei und ich arbeite mich schnell ein. Jonas ist sehr zufrieden mit mir und nachdem wir die ersten Patienten zusammen behandelt haben, lässt er mich alleine weiter machen. Lou ist eine große Unterstützung wenn ich etwas suche und es einfach nicht finden kann nimmt sie sich meiner an. Das hier ist eben das Providence East und nicht das Central Los Angeles, das ganze Los Angeles Central Hospital ist locker 8 Mal so groß wie das Providence East.
Aber es ist trotzdem alles neu, ich finde mich erstaunlich schnell zu Recht. Meine neuen Kollegen sind freundlich und hilfsbereit, das macht es mir leicht mich darüber zu freuen endlich wieder zu arbeiten.
Nach meiner ersten Schicht gehe ich wie versprochen einkaufen und fahre mit dem Bus nach Hause. Ich muss mit meinem Auto zu Arbeit fahren, denn ich hasse Bus fahren. Es gibt nur eine Fortbewegungsart die ich noch mehr hasse und das ist Zug fahren. Ich kann nicht einmal erklären wieso, aber es ist einfach so.
Ich bereite ein kleines Abendessen vor und Dom kommt pünktlich als ich gerade fertig bin.
Er klopft und ich öffne ihm grinsend die Tür.
„Hey Sonnenschein.“ Begrüßt er mich und nimmt mich in den Arm.
„Hey.“ Sage ich und lächle.
Das lächeln fällt mir wieder leicht… wegen ihm.
„Hmm riecht es hier nach chinesisch?“ er sieht mich grinsend an.
„Ja, ich habe gekocht.“ erkläre ich stolz.
„Super, ich verhungere gleich.“ Er reibt sich den Bauch „Man heute war ich auf vier Baustellen.“ Er sieht mich geschafft an.
„So schlimm?“ frage ich mitfühlend.
„Schlimmer.“ Grinst er und wir gehen in die Küche. Seine Augen strahlen mich an als er den gedeckten Tisch und die Pfanne auf dem Herd sieht. Lächelnd setzen wir uns und ich fülle uns auf.
Dom ist Architekt mit einer eigenen kleinen Firma, er erzählt mir von seinem Arbeitstag und wir essen ganz entspannt zu Abend.
„Und erzähl wie war es bei dir?“ neugierig fixiert er mich.
„Super, meine neuen Kollegen sind wirklich nett. Das Arbeiten hat mir gefehlt.“ Gebe ich leicht lächelnd zu.
„Dr. Jean.“ Lacht er und die kleinen Lachfältchen um seine Augen kommen zum Vorschein.
„Fast.“ Erwidere ich grinsend.
„Ach was Jean, für dich ist das ein Kinderspiel.“ Sagt er sicher und wir beginnen den Tisch abzuräumen.
In den Wochen spielt sich alles gut ein und ohne das ich es wirklich merke ist Dom irgendwie bei mir eingezogen, seine Sachen liegen überall in der Wohnung verstreut, er hat den Großteil meines Schreibtische in Beschlag genommen und ich wasche seine Wäsche. Ich denke das zählt schon zu “eingezogen“. Aber es stört mich nicht, im Gegenteil ich mag es wenn er nach einem Spätdienst auf mich wartet oder mir ein kleines Frühstück nach meinem Nachtdienst macht. Ich genieße unsere täglichen Joggingrunden und ich liebe unsere Abende vor dem Fernseher. Es ist so wunderbar normal…
Wie ich Lucy versprochen habe, fahren Dom und ich einmal die Woche zu ihnen zum Essen und so langsam kehrt wieder eine ungewohnte Routine in meinem Leben ein. Einen Nachmittag oder Vormittag, je nach meiner Schicht verbringe ich bei meinen Eltern. Wir machen kleine Schritte aufeinander zu, ich zeige auch ihnen endlich meine Trauer und sie zeigen mir wie sehr sie sich um mich sorgen. Es ist ein gutes Gefühl, wir beginnen unsere Familie Stück für Stück zurück zu erobern.
Endlich nehme ich auch mein äußeres Erscheinungsbild in Angriff. An einem freien Nachmittag gehe ich zum Friseur und lasse meine Haare auf kinnlänge abschneiden, dazu ein langer, fransiger Pony und ich fühle mich endlich wieder wohl auf dem Kopf. Da ich eh gerade in der Stadt bin besorge ich mir gleich neue Kontaktlinsen und lasse mich dazu hin reißen mir ein paar neue Sachen zu laufen. Denn dadurch dass ich wieder regelmäßig esse, mit Dom jeden Tag joggen gehe und wieder auf mich achte habe ich schon 5 kg zugenommen und sozusagen als Belohnung decke ich mit neuen Sachen ein.
Wie seit ein paar Wochen, an jedem Dienstag, fahre ich zu Bens Grab und erzähle ihm von meiner Woche und bringe frische Blumen mit. Es tut mir so gut, denn so habe ich wenigstens ein ganz kleines bisschen das Gefühl er ist noch bei mir.
Im Krankenhaus läuft wirklich alles wie am Schnürchen, kaum zu glauben dass ich schon drei Monate dort arbeite. Jonas nimmt sich oft die Zeit und wir setzen uns nach dem Dienst hin und feilen an meiner Doktorarbeit, aber heute habe ich mir frei genommen.
Nachdem ich einen Parkplatz vor dem Haus ergattert habe laufe ich mit meinen unzähligen Tüten hoch und lasse sie im Flur fallen. Ich werfe einen Blick ins Wohnzimmer und in das Gästezimmer, bzw. in Dom sein Zimmer. Er ist noch auf der Arbeit und ich belade erst einmal den Kühlschrank. Ich sehe aus dem Fenster, heute ist ein wirklich herrlicher Sommertag, ich denke einen Moment nach… Ich laufe in mein Schlafzimmer, suche mir mein neu erstandenes, langes Sommerkleid aus den Tüten und laufe ins Bad. Ich mache meine Haare ein wenig, lege leichtes Make-up auf und ziehe es an. Es sitzt wie angegossen, es ist weiß mit großen ganz zart rosanen Hibiskusblüten drauf. Es hat unter der Brust eine Raffung und fällt dann weich bis zum Boden. Ich ziehe mir dazu weiße FlipFlops an und ziehe lächelnd die Tür hinter mir ins Schloss. Ich quäle mich durch den einsetzenden Feierabendverkehr und erreiche Dom sein Büro kurz bevor er zu macht.
Ich steige aus und lehne mich gegen mein Auto. Grinsend sehe ich wie Dom aus dem Gebäude kommt, er trägt eine Anzughose, sein Hemd hat er bis zu den Ellenbeugen hoch gekrempelt und die oberen Knöpfe sind auf, seine Krawatte hängt nur lose um seinen Hals und sein Jackett hat er locken über den Arm geworfen unter dem er seine Aktentasche trägt.
Er verabschiedet sich von jemandem und sieht dann auf, er entdeckt mich und beginnt zu strahlen. Mit großen Schritten ist er bei mir und zieht mich in seine Arme.
„Du siehst zauberhaft aus.“ Er streicht mir meinen Pony aus dem Gesicht.
„Danke.“ Sage ich lächelnd und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. „Komm, ich lade dich zum Essen ein.“ Ich deute auf mein Auto und er schmeißt lachend seine Aktentasche und sein Jackett durch das offene Fenster auf den Rücksitz.
Der Abend ist so wunderbar und ich weiß gar nicht wann ich mich das letzte Mal so gut amüsiert habe.
Am nächsten Tag schleift mich Dom am Vormittag in einen Baumarkt und wir kaufen Unmengen an Farben und Dekozeug. Ich ahne was er vor hat und den restlichen Samstag und den ganzen Sonntag streichen wir die Wohnung. Schließlich fehlt nur noch mein Schlafzimmer.
„Wir haben keine Farbe mehr.“ Ich sehe lachend zu Dom.
„Hmm.“ Er denkt nach und schüttet dann irgendwie alle restlichen Farben zusammen und rührt kräftig um.
„Hmm nicht schlecht.“ Lobe ich ihn und betrachte die Türkise Farbe. Wirklich gut…
Ich nehme mir einen Pinsel und wir beginnen mit der Arbeit, zwei Stunden später liegen wir auf dem Boden und schauen uns um.
„Ich danke dir so sehr.“ Sage ich leise und nehme seine Hand.
„Dafür nicht.“ Sagt er andächtig und drückt meine Hand, ich kuschle mich dreckig und voll gekleckert wie ich bin an ihn und genieße seine Nähe.
In der nächsten Woche ist es endlich vollbracht, meine Doktorarbeit ist fertig, sodass ich meine Assistenzzeit verkürzen kann und Jonas hat tatsächlich durch gesetzt dass ich eine Festanstellung bekomme.
„Danke Jo.“ Ich strahle ihn an und er nimmt mich in den Arm.
„Dafür doch nicht.“ lachte er und grinst mich an.
Ich sehe ihn mir genauer an, er ist groß, hat länger blonde Haare mit Locken, er hat strahlend blaue Augen und ist so ein Sunnyboy Typ. Er gefällt mir wie ich mir eingestehen muss. Aber erst einmal einen Schritt nach dem anderen mahnte ich mich.
„So ich verabschiede mich jetzt ins Wochenende, wir sehen uns Montag.“ Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange und er nickt mir zu.
„Erhole dich.“ Er zwinkert mir zu.
„Erst einmal wird morgen ein wenig gefeiert.“ Lache ich und laufe in Richtung des Fahrstuhls.
„Nicht so doll.“ Ruft mir Jonas nach und ich lache auf.
„Ich tue nichts was du nicht auch tun würdest.“ Sage ich und betrete den Fahrstuhl.
Samstag wollen Dom und ich mit Jason und Lucy das Providencer Nachleben unsicher machen. Ich fahre am Nachmittag zu meinen Eltern und sie sind unglaublich stolz auf mich und ich sonne mich ein wenig in ihren Lobeshymnen. Gegen Abend verabschiede ich mich und fahre schnell nach Hause, ich parke fast direkt vor der Haustür und eile die Treppen hoch. Lucy und Jason sind schon da und ich werde herzlich begrüßt.
„Hey Jean!“ Jason nimmt mich in den Arm.
„Hey Jason, schön dich zu sehen.“ Sage ich und zwinkere ihm zu, ich und Dom waren erst gestern bei ihnen zu Essen gewesen.
„Hallo Sonnenschein!“ Dom nimmt mich in den Arm „Wie war dein Tag?“ er sieht mich fragend an und ich strahle.
„Super, ich habe die Festanstellung bekommen, meine Doktorarbeit ist raus und die Patienten waren friedlich. Und bei dir? Hast du endlich eines deiner Projekte abschließen können?“ ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie an die Garderobe.
„Ja endlich.“ Er sieht mich an und atmet tief durch.
„Hey Jean.“ Nun nimmt mich auch Lucy in den Arm „Ihr hört euch an wie ein altes Ehepaar.“ Feixt sie und Dom und ich lachen.
„Neidisch?“ Dom grinst sie an und fängt sich einen Schlag von ihr ein.
„So ich gehe mich umziehen. Lasst die Möbel ganz.“ Ich lächele beide an. Ich sehe mich ein wenig um, Dom und ich haben beim streichen wirklich ganze Arbeit geleistet. Sein Zimmer alias das Gästezimmer erstrahlt in hellgrün, der Flur in gelb, im Wohnzimmer eine Wand in dunkellila, das Bad in hellblau und mein Schlafzimmer und die Küche in einem hellen türkis Ton… Okay das war die Resteverwertung der Farbe gewesen, aber es sieht wirklich toll aus. Unzählige Bilder hängen an allen Wänden und Pflanzen runden das Bild ab. Es ist so gemütlich und einladend… ich lächle in mich hinein.
Ich laufe ins Schlafzimmer, nehme meinen kurzen Jeansrock und mein schwarzes kurzes Top aus dem Schrank. Ich ziehe mir beides schnell an, schminke mich leicht und fahre mir durch die Haare bis ich zufrieden bin.
„Und?“ ich komme ins Wohnzimmer und drehe mich im Kreis.
„Wow Jean!“ Jason sieht mich anerkennend an.
„Du siehst sehr hübsch aus.“ Dom nimmt mich in den Arm und ich grinse.
Dann machen wir uns endlich auf dem Weg und es ist ein so ein schöner und lustiger Abend. Dom und ich tanzen mit einander und ich genieße seine Nähe. Er ist zu einem so wichtigen Teil meines Lebens geworden und ich danke ihm dafür. Es gibt immer noch Phasen wo ich weine und dann ist er da und lässt mich einfach weinen. Er stellt nie Fragen nach dem Warum, sondern hält mich fest wenn ich es brauche.
Es ertönt ein langsames Lied, ich lege meinen Kopf an seine Schulter und er streicht mir sanft über den Rücken, ich sehe ihn an und lächle.
Als wir morgens um 3 Uhr nach Hause kommen haben wir beide ziemlich einen über den Durst getrunken. Lachend stolpern wir die Treppe hoch. Wir landen ziemlich unsanft auf dem Boden des Flures und helfen uns gegenseitig wieder auf die Beine.
„Gute Nacht Dom.“ Ich beuge mich zu ihm und hauche ihm einen Kuss auf die Lippen.
„Gute Nacht Jean.“ Er grinst mich an und wir fallen wie erschlagen in unsere Betten.
Dann hat mich mein Arbeitsleben vollständig zurück und ich beschließe meine Facharztausbildung zu machen. Jonas steht mir mit Rat und Tat zur Seite und ich bin ihm wirklich dankbar. Kaum zu glauben wie die Wochen an einem vorbei rasen wenn man kaum Zeit zum Luft holen hat.
Dom, Lucy, Jason und ich werden ein fast unschlagbares Team wenn es darum geht das Nachtleben ein wenig aufzumischen, ich genieße mein Leben endlich wieder in vollen Zügen. Ich denke Ben wäre stolz auf mich… Fast bin ich wieder die alte Jean.
Endlich am 06.08.2010 habe ich es geschafft ich habe meine Approbation bekommen nun bin ich ganz offiziell und ohne jeden Zweifel Frau Dr. med. Jean Andrews!
Wahnsinn!
Dom, Lucy und Jason haben eine kleine Party mit unseren Freunden in einer Bar organisiert und ich verabschiede mich lachend von Jonas in ein langes Wochenende
Ich schwebe mit Dom über die Tanzfläche und wie feiern als gäbe es kein Morgen. Gegen 5 Uhr schwanken wir die Treppe zu unserer Wohnung hoch. Immer wieder lachen wir weil wir echt zu tun haben die drei Stockwerke hoch zu krabbeln, denn anders kann man das nicht nennen.
Endlich drehe ich den Schlüssel im Schloss herum und wir beide purzeln in den Flur. Ich sehe ihm in die Augen und er lächelt.
Er sieht mich prüfend an, dann zieht er mich in seine Arme und küsst mich stürmisch. Einen Moment bin ich verwirrt darüber, aber dann lasse ich mich einfach mitreißen. Es fühlt sich zu gut an.
Ich ziehe ihm ungeduldig sein T-Shirt über den Kopf, während er mir mein Top auszieht und meinen BH öffnet. Er schiebt meinen Rock hoch und ich ihm seine Jeans runter. Ich setze mich auf ihn und spüre ihn dann in mir.
Ich stöhne laut auf.
Gott ist das gut.
Ich bewege mich rhythmisch und wir beide erreichen unseren Höhepunkt. Schwer atmend liegen wir nebeneinander und sehen uns an.
Plötzlich scheint uns beiden bewusst zu werden was wir getan haben.
„Das war nicht so clever.“ Sage ich und stehe eilig auf.
Ich gehe in mein Zimmer und lege mich ins Bett, mein Herz schlägt bis zum Hals und ich falle in einen unruhigen Schlaf.
Der nächste Morgen ist schweigsam und befremdlich, irgendwann steht Dom auf und kommt zu mir.
„Hey Jean, das was heute Nacht passiert ist, sollte nichts zwischen uns ändern.“ Er sieht mich bittend an und ich bin so erleichtert.
„Nein Dom.“ Sage ich und nehme ihn in den Arm.
Tatsächlich schaffen wir es zu einem normalen Umgang zurück und ich bin so wahnsinnig erleichtert, denn ich möchte Dom nicht verlieren, nicht wegen so einer Dummheit.
Schon zum x-ten Mal sehe ich auf die große Uhr an der Wand im OP. Wie lange operieren wir jetzt schon?
„So Jean, vernähst du bitte?“ Jonas sieht mich an und ich nicke. Nachdem ich das erledigt habe gehe ich in die Schleuse und nehme meinen Mundschutz und meine Haube ab.
„Das hast du toll hin bekommen.“ Lobt Jonas mich und haucht mir einen Kuss auf die Lippen.
Ich sehe ihn einen Moment verwirrt an, er löst Gefühle in mir aus die mich total verwirren. Schließlich lächle ich, ziehe ihn zu mir und küsse ihn ganz sanft.
Lächelnd nimmt er meine Hand. „Darf ich dich heute Abend zu mir zum Essen einladen?“ haucht er mir ins Ohr und ich nicke.
Die restliche halbe Stunde arbeitet jeder vor sich hin und als ich mich umziehen gehe habe ich Schmetterlinge im Bauch wenn ich an das was vor mir lag denke. Ich nehme mein Handy in die Hand.
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Dom
Ich sehe auf die Uhr, es ist schon kurz nach 21 Uhr.
Hey Kleine ! Ich habe gekocht und warte auf dich! Dom
Mich überkommt ein wenig das schlechte Gewissen und ich schreibe schnell zurück.
Hey Dom! Tut mir leid, ich komme heute später oder gar nicht nach Hause. Jonas hat mich zu sich eingeladen und ich denke ich werde die Nacht dort verbringen. Ich bin so aufgeregt! Wir sehen uns morgen Nachmittag! Kuss Jean
Ich drücke auf senden und ziehe mich um, Jonas wartet in der Tiefgarage neben meinem Auto auf mich und wir fahren zu ihm.
Er kocht uns was Leckeres und ich sehe immer wieder auf mein Handy, es bleibt still… Keine Antwort.
Ich kann mich gar nicht auf den Abend mit Jo konzentrieren…
„Was schaust du immer zu auf dein Handy?“ Jonas grinst mich an.
„Ich dachte Dom müsste mir mal antworten.“ Sage ich und sehe ihn an.
„Der ist doch alt genug.“ Lächelt er.
„Ja eigentlich schon…“ sage ich ausweichend und wir gehen mit einem Glas Wein ins Wohnzimmer.
„Was ist das eigentlich bei dir und Dom?“ er sieht mich fragend an.
„Wir wohnen zusammen, nun ja sagen wir mal, er hat mich gerettet als es mir sehr schlecht ging.“ Ich nehme einen Schluck von meinem Wein.
„Was war passiert? Warum hattest du dein PJ unterbrochen?“ er sieht mich fragend an. Wir arbeiten jetzt schon ein halbes Jahr zusammen, er kennt meine Freunde und meine Familie, aber das habe ich ihm bisher nicht gesagt.
„Vor etwas über einem Jahr…“ ich sehe ihn an „Ist mein großer Bruder im Irak gefallen, das hat mich ziemlich aus der Bahn geworfen.“ Sage ich leise und er sieht mich betroffen an „Ich wüsste nicht wo ich ohne Dom heute wäre.“
Er setzt sich neben mich auf die Couch und betrachtet mich prüfend. „Was ist das wirklich zwischen dir und Dom?“ fragt er erneut.
„Wir sind Freunde, er ist mein bester Freund würde ich sagen.“ erwidere ich nachdenklich.
Jonas zieht mich in seine Arme und will mich küssen, im letzten Moment schiebe ich ihn weg. In meinem Kopf herrscht plötzlich das totale Chaos…
Dom…
Dom…
Dom… immer wieder sein Name, seine warmen braunen Augen, seine sanfte Stimme… seine weichen Lippen.
Halt!
Stopp!
„Warte.“ Sage ich und er lächelt breit.
Verwirrt sehe ich ihn an.
„Na Jean, ist dir endlich ein Licht aufgegangen?“ er sieht mich belustigt an und ich schlucke.
Dom ist nicht nur mein bester Freund…
Ich habe mich in ihn verliebt…
Nein!
Ich liebe ihn!
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag mit einem Hammer.
„Du liebst ihn Jean und alle sehen das, nur ihr Beide nicht. Man ich hatte nie auch nur den Hauch einer Chance.“ Er lächelt und nimmt mich in den Arm.
„Und jetzt?“ ich sehe ihn ratlos an.
„Jetzt…“ er sieht auf die Uhr, kurz vor 1 „… Jetzt gehen wir schlafen, dann überstehst du morgen deine Schicht und dann liebe Jean…“ er zwingt mich ihn anzusehen „… Dann gehst du zu ihm und sagst ihm endlich das du ihn liebst.“ Er küsst meine Stirn.
Er mache seine Couch für mich fertig, ich schlafe verwirrt und völlig durch einander ein.
„Frühstück Jean!“ ruft Jonas mich am nächsten Morgen. „Wir haben nur noch eine halbe Stunde.“ Mahnt er mich und ich zwinge mich aufzustehen. In den letzten Wochen fällt mir das aufstehen unheimlich schwer.
Ich gehe duschen und komme blass aus dem Bad.
„Alles Okay Jean?“ Jonas sieht mich besorgt an.
„Ja, geht schon mein Kreislauf ist wohl noch nicht wach.“ Sage ich abwehrend und setze mich zu ihm. Ich knabbere nur lustlos an meinem Toast herum. In den letzten Wochen habe ich öfter Schwierigkeiten mit meinem Kreislauf gehabt.
„Wir nehmen dir nachher mal Blut ab und machen ein Blutbild. Vielleicht fehlt deinem Köper ja Eisen.“ Sagt er und ich nicke.
Nachdem wir mehr oder weniger gefrühstückt haben fahren wir in die Klinik, Lou nimmt mir Blut ab und der Arbeitstag beginnt. Immer und immer wieder versuche ich Dom auf seinem Handy zu erreichen
… Der gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht zu erreichen. Ertönt es bestimmt zum 20igsten blechern. Auch unter seiner Arbeitsnummer habe ich kein Glück.
Ich bin so froh als sich der kleine Zeiger der großen Uhr langsam auf die 3 zu bewegt.
Ich bin im Begriff mich umzuziehen als mich Jonas am Arm packt.
„Jean wir müssen kurz reden.“ Sagt er und zieht mich in einen Untersuchungsraum.
„Was gibt es?“ ich sehe ihn ungeduldig an.
Ich will nach Hause!
„Dein Blutbild ist da.“ Sagt er und sieht auf das Blatt in seiner Hand.
„Und verschreibst du mir Eisen?“ ich lehne mich gegen die Liege.
„Nein eher nicht.“ Er sieht mich durch dringend an.
„Was denn…“ frage ich ungeduldig und nehme ihm die Ergebnisse aus der Hand. Ich überfliege sie und mein Blick bleibt an den farbig hervorgehobenen Werten hängen.
Das kann nicht sein.
Wir haben doch nur einmal mit einander geschlafen.
Ein einziges Mal…
Ich lehne mich gegen die Liege und sehe verwirrt zu Jonas.
„Geschockt?“ fragte er leicht besorgt.
„Du hast ja nichts die geringste Ahnung.“ Sage ich leise und starre weiter auf den Zettel in meiner Hand.
„Komm Jean, ich mach jetzt erst einmal eine Sonografie und dann sehen wir weiter.“ Er nimmt meine Hand und zieht mich in den nächsten Raum. Ich lege mich wie benommen auf die Liege und er verteilt das Gel auf meinem Bauch.
„So Showtime.“ Sage er und fährt mit dem Schallkopf über meinen Bauch „Na ja ein bisschen zugenommen hast du ha schon.“ Er zwinkert mir zu.
„Ich habe endlich mein Gewicht wieder, was ich vor Bens Tod hatte.“ Sage ich ausweichend und sehe auf den Monitor.
„Herzlichen Glückwunsch Jean, du bist wirklich schwanger. Kein Fehler möglich.“ Er sieht zum Monitor und strahlt mich an.
„Wow.“ Entfährt es mir und ich starre andächtig auf den Monitor.
„Du bist in der 10. Woche, der errechnete Geburtstermin ist der 01. Juni.“ Er lächelt breit „Wirklich meine herzlichsten Glückwünsche.“
„Ich fass es nicht.“ Ich komme hoch und er gibt mir ein Tuch zum abwischen des Gels.
Ich freue mich wirklich, meine Freude kann ich gar nicht in Worte fassen.
Ich werde eine Mummy sein und Dom ein Daddy!
Er füllt meinen Mutterpass aus, druckt die ersten Bilder aus und gibt sie mir.
„Und jetzt geh zu ihm.“ Sagt er lächelnd und ich laufe aus dem Raum. Schon komisch das er gleich davon ausgeht das das Baby von Dom ist… Gut er hat Recht weil ich außer mit ihm mit keinem Mann im letzten Jahr Sex gehabt habe… aber trotzdem.
Bin ich so durchschaubar?
So schnell ich kann laufe ich nach oben und ziehe mich eilig um. Lächelnd laufe ich zu meinem Auto und fahre nach Hause.
„Hallo?“ rufe ich als ich die Tür aufschließe.
Keine Antwort, mein Blick fällt auf die Garderobe. Seine Jacke ist weg, ich stutze und sehe ins Wohnzimmer, der Schreibtisch ist leer und ich laufe den Tränen nahe weiter ins Gästezimmer, auch hier nur gähnende Leere. In der Küche liegt ein Zettel auf dem Tisch.
Jean,
du brauchst mich jetzt nicht mehr
Dom
Ich schlucke und denke einen Moment nach, dann nehme ich meine Jacke und laufe wieder runter zu meinem Auto, mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Es gibt nur zwei Orte an denen er jetzt sein kann.
Als erstes fahre ich zum Friedhof und stelle enttäuscht fest das er nicht da ist. Ich gehe zu Bens Grab und lege meine Hand auf den Stein.
„Danke Ben, Dom hat seinen Job richtig gut gemacht… Für deinen Geschmack vielleicht ein wenig zu gut denn…“ ich grinse leicht „… ich liebe ihn, doch wirklich Ben, ich habe noch niemals für jemanden so viel empfunden wie für ihn und ich verrate dir ein Geheimnis…“ ich lächle verschwörerisch „… Du erfährst es jetzt noch vor ihm. Ben, Dom und ich bekommen ein Baby.“ Ich streiche leicht über den Stein und ein Lufthauch zieht an mir vorbei und ich lächle.
„Danke Ben.“ Wiederhole ich leise und gehe schnell zurück zu meinem Auto, ich muss ihn finden!
Viel zu schnell fahre ich quer durch die Stadt und atme erleichtert auf als sein Auto auf dem kleinen Parkplatz am Sabin Point Park steht.
Ich steige aus, stecke die Ultraschallbilder in meine Jackentasche und laufe los. Ich sehe ihn von weitem auf dem Steg sitzen und beginne zu lächeln. Ich liebe ihn wirklich, es wird mir so sehr bewusst als ich ihm immer Näher komme. Seine hellbraunen Haare werden vom Wind zerzaust und er sieht aufs Meer.
„Hey.“ Ich setze mich neben ihn auf den Steg.
„Hey.“ Sagt er leise.
„Du denkst also wirklich ich brauche dich nicht mehr?“ ich schubse ihn leicht.
„Jean, du hast dein Leben wieder im Griff.“ Sagt er und sieht mich traurig an.
„Na, ja fast…“ Sage ich und er sieht mir in die Augen. Seine braunen Augen sehen so unheimlich traurig aus und ich schlucke. „Komm schon Dom, glaubst du ganz ehrlich, ich brauche dich nicht mehr?“ ich sehe ihn ernst an.
„Ja, ich denke ich habe mein Versprechen eingelöst…“ sein Blick geht wieder aufs Meer „… Du bist wieder die aufgeschlossene, fröhliche und unbeschwerte Jean. Du hast jetzt Jonas. Ich kann dir nicht mehr helfen.“ Er wirft mir einen kurzen Blick zu.
„Oh doch, ich glaube ein einziges Mal musst du mir noch helfen.“ Sage ich ganz ruhig, er schaut mich verwirrt an.
„Wobei?“ fragt er zaghaft.
„Weißt du, der Mann den ich liebe hat keine Ahnung und ich weiß einfach nicht wie ich ihm das sagen soll.“ Sage ich nachdenklich.
„Man Jean, dafür bin ich wirklich der falsche Ansprechpartner.“ Er steht auf und ich grinse.
Dom eifersüchtig zu erleben ist mal was ganz Neues.
„Du verstehst es nicht, oder?“ ich stehe ebenfalls auf.
„Was verstehe ich nicht? Gott Jean, das kann ich nicht, deine Liebes Angelegenheiten musst du schon alleine klären.“ Er geht Richtung Strand.
Ich laufe ihm hinterher… man er ist ganz schön schnell. Ich halte ihm am Arm fest und er sieht mich an, er will gerade etwas sagen, aber ich ziehe ihn am Kragen seiner Jacke zu mir und küsse ihn innig, ich hoffe daran war nun nichts mehr miss zu verstehen.
Er drückt mich an sich und ich grinse ihn an „Du warst gemeint. Dom ich liebe Dich!“ sage ich und seine Augen weiten sich überrascht.
„Aber Jonas.“ Er schaut mich fragend an.
„Nichts aber Jonas, er hat mich nur mit der Nase drauf gestoßen. Ihm war es klar, aber er wollte dass ich es selber merke. Tja, ist ihm gelungen.“ Ich lächle verschmitzt.
„Jean ich liebe Dich auch!“ er wirbelt mich herum.
„Bitte nicht Dom…“ ich lege meine Hand auf den Bauch, mir wird tatsächlich von diesem bisschen gedrehe schlecht.
„Hey alles Okay?“ besorgt sieht er mich an und wir gingen Arm in Arm weiter.
„Hmm…“ ich sehe ihm in die Augen und ein unbeschreibliches Gefühl des Vollkommen seins durchströmt mich. Ich bin mir sicher ich kann nie wieder aufhören zu lächeln.
„Was?“ grinst er verschmitzt und zieht mich zu sich.
„Du hast dein Versprechen wirklich eingehalten, ich bin wirklich glücklich.“ Ich küsse ihn sanft.
„Meinst du das wäre in Bens Sinne?“ er küsst meine Stirn und ich lehne mich an seine Brust.
„Ja, ich war vorhin bei ihm, er wollte immer dass ich glücklich bin und er wollte dich sowieso immer in der Familie haben.“ Lächle ich.
„Ja.“ Sagt er leise und ich kuschele mich an ihn.
„Ziehst du jetzt wieder zu mir? Es ist unheimlich das ich meine Schreibtischplatte sehen kann.“ Ich hebe meinen Kopf und sehe ihn lächelnd an.
„Klar, bei dir habe ich viel mehr Ruhe wie in meinem Büro.“ Er zieht mich ein Stück mit sich mit.
„Damit wird es bald vorbei sein.“ Sage ich ein wenig unsicher und greife in meine Jackentasche „Wenn du Ruhe zum Arbeiten brauchst, dann solltest du dich ab Juni nach einer neuen Umgebung auf die Suche machen…“ ich gebe ihm das Bild und er starrt mich an „… Das kleine Würmchen wird für einen ziemlichen Lautstärkepegel sorgen.“ Grinse ich.
Er sieht mich einen Moment einfach nur an, dann zieht er mich in seine Arme und ich spüre seine Tränen an meiner Wange.
„Es ist perfekt…“ haucht er und küsst mich „… Ihr seid perfekt!“
Wir stehen eine ganze Weile einfach nur so da und ich genieße seine Nähe so sehr.
„Wir sollten los, Lucy und Jason warten auf uns.“ Er nimmt mein Gesicht in seine Hände und küsst mich.
„Ja, ich denke sie werden staunen.“ Ich sehe andächtig auf das Bild.
„Hmm ich weiß nicht, sie halten uns doch sowieso für ein altes Ehepaar, da muss ihnen klar sein das da auch mal ein Kind bei rum kommt.“ Er grinst breit.
„Deins oder meins?“ er sieht zu unseren Autos.
„Deins.“ Bestimme ich und wir steigen ein.
„Ich liebe Dich.“ Sagt er leise und startet den Motor.
„Und ich dich.“ Lächle ich und wir fahren zu Lucy und Jason.
Kaum bei ihnen angekommen verpasst Lucy ihrem Bruder einen Schlag auf den Hinterkopf.
„Aua, was soll denn das?“ er sieht sie perplex an.
„Kannst du mir mal sagen für was du ein Handy hast? Ich versuche dich schon den ganzen Tag zu erreichen…“ sie boxt ihn erneut „… Man ich habe mir Sorgen gemacht.“ Sie funkelt ihn an.
„Tut mir leid.“ Erwidert Dom zerknirscht und hängt seine Jacke auf und nimmt mir meine ab.
„Ja, ja…“ sie winkt ab und geht ins Esszimmer. „Kommt jetzt. Essen ist fertig.“ Sie setzt sich an den Tisch und Jason grinst uns an.
Schweigend beginnen wir zu essen als plötzlich Jasons Lache den Raum erfüllt.
„Was?“ Lucy sieht ihn böse an.
„Man Lucy, Dom ist hier und augenscheinlich ist er noch an einem Stück. Nun hör auf zu schmollen.“ Er nimmt ihre Hand und sie lächelt leicht.
„Gut, aber kannst du mir mal erklären wo du warst?“ sie sieht zu Dom.
„Lucy…“ setzt er an und ich muss grinsen.
„Das ist meine Schuld.“ Sage ich und sie sieht mich erstaunt an.
„Ehrlich Lucy, ich bin Schuld, ich habe deinen Bruder ein wenig verwirrt und er musste erst einmal schmollen…“ ich sehe zu Dom und er grinst „… liegt wohl bei euch in der Familie.“
„Warum? Was hast du denn gemacht?“ Jason schiebt seinen leeren Teller ein Stück von sich weg und zieht seine Augenbrauen hoch.
„Na, ja ich war gestern bei Jonas zum Essen eingeladen und Dom hat das so interpretiert das ich ihn jetzt nicht mehr brauche und musste deswegen ein wenig schmollen.“ Sage ich und zucke mit den Schultern.
„Heißt das du und Jonas?“ Lucy sieht mich mit großen Augen an.
„Was ich und Jonas?“ tue ich unschuldig.
„Seid ihr jetzt zusammen?“ fragt nun Jason und ich kann mir ein lachen kaum verkneifen, die Beiden sehen so geschockt aus.
„Ich denke eher nicht der Papa meines Babys dürfte etwas dagegen haben.“ Gab ich zu bedenken.
„Du bist schwanger?“ in Lucys Gesicht spiegelte sich nun das pure Entsetzen.
„Ja.“ Sage ich nur und Dom tritt mich behutsam.
„Oh Dom, es tut mir so unendlich leid.“ Sagt Lucy und sieht mitleidig zu Dom.
„Warum denn das?“ nun tut er überrascht.
„Mensch Dom, wir wissen es…“ sagt Lucy und nimmt seine Hand.
„Ach ja, was wisst ihr denn?“ Dom zieht eine Augenbraue hoch.
„Dom ich bin nicht blind…“ Lucy schnaubt und sieht mich böse an. „… Ich weiß das du in Jean verliebt bist.“
„Ja.“ Sagt er und Lucy schaut verdutzt auf.
„Und das lässt dich kalt dass Jean ein Baby bekommt?“ Jason ist kurz davor vom Glauben abzufallen.
„Nein natürlich nicht.“ Erwidert Dom entrüstet.
„Aber…“ stottert Lucy.
„Aber was?“ schalte ich mich nun ein und kann mein grinsen nicht unterdrücken.
„Oh ihr seid so gemein.“ Lucy weiß nicht ob sie lachen oder weinen soll. Sie steht auf und nimmt mich in den Arm.
„Was ist denn jetzt?“ Jason kommt nicht so ganz mit.
„Jason, Dom und Jean sind zusammen und das Baby ist von Dom.“ Erklärt Lucy ihm und er springt auf.
„Wow.“ Er nimmt Dom in den Arm.
„Danke.“ Sagt Dom gerührt und nimmt dann meine Hand.
Unsere Eltern sind total aus dem Häuschen und alle nehmen es als selbstverständlich das ich und Dom jetzt ein Paar sind. Sie haben es ja eh alle schon gewusst wie sie uns des öfteren sagen…
Wir heiraten nur eine Woche später. Na wenn wir was machen, dann machen wir es auch richtig!
Am 28.05.2011 wird unser kleiner Sohn per Kaiserschnitt geboren und ich habe nie etwas Perfekteres gesehen… Er ist einfach atemberaubend.
Unser kleiner Benjamin!
Ben.
Der Schmerz den man nach dem Verlust eines geliebten Menschen verspürt kann dich dazu bringen aufzugeben und dann sind Freunde und die Familie so wichtig wie nie zuvor. Sie wollen nur dein Bestes, aber du musst es zulassen. Und wenn man es zulässt kann etwas Wunderbares daraus entstehen.
Texte: me
Bildmaterialien: Google, me
Tag der Veröffentlichung: 18.08.2012
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