„Ganz ehrlich Amy, du hast in den letzten 7 Jahren die wir uns kennen nicht einmal Urlaub gemacht…“ Sam sieht mich streng an „… Außerdem weiß ich wie sehr du deine Familie wieder sehen willst. Wann hast du sie denn das letzte Mal gesehen?“ er nimmt meine Hand und ich schweige.
Ich meine, was soll ich dazu sagen?
Klar hat er Recht, aber es ist ja nun nicht so das ich gar keinen Kontakt zu meiner Familie habe, wir telefonieren sehr oft. Aber wieder nach Hause?
Ich meine hier ist mein zu Hause!
Ich kann wohl schlecht aufkreuzen und sagen: Hallo, da bin ich wieder!
Wie stellt er sich das vor?
„Ich habe es immerhin schon 10 Jahre geschafft nicht nach Newport zu fahren.“ sage ich fast trotzig.
„Wow, Glanzleitung Amelia. Du warst 10 Jahre lang nicht in Irland.“ Er zieht ironisch eine Augenbraue hoch.
„Sam, wie stellst du dir das vor?“ ich sehe ihn zweifelnd an.
„Ganz einfach Amy, du nimmst nächste Woche einen Flieger nach Dublin und fährst dann zu deinen Eltern nach Newport. Noch Fragen?“ er sieht mich an.
Tausende! Schießt es mir durch den Kopf, aber als mein Pieper geht, sehe ich drauf und stürme los.
„Wir sind noch nicht fertig!“ ich sehe drohend zu Sam, aber er winkt mir nur hinterher.
Ich laufe über die endlos langen Krankhausflure und komme in der Notaufnahme zum Sstehen.
„Dr. Brady, schön das sie sich auch die Ehre geben.“ Mein Oberarzt, George Andrews, sieht mich strafend an.
Ich weiß dass er eigentlich nicht so ist, aber die letzten Nächte waren hart und auch diese scheint nicht gerade ruhig zu werden.
„Was kommt?“ ich ziehe mir einen Schutzkittel über und übergehe seinen bissigen Kommentar.
„Autounfall, drei Verletzte.“ Sagt die Schwester hinter mir und ich ziehe mir meine Handschuhe über.
Dann hören wir die Sirenen und gehen nach draußen, um die Verletzen in Empfang zu nehmen.
„Männlich, 9 Jahre, multiple Frakturen der unteren Extremitäten und schweres Schädel-Hirn-Trauma.“ Sagt der Sanitäter.
„Nehme ich.“ Ich sehe ihn an und wir fahren in einen der Behandlungsräume.
Ich untersuche den Jungen kurz, stabilisiere ihn und rufe in der Neurologie an.
„Wir brauchen einen Neurochirurgen und einen OP. 9 Jahre, schweres Trauma, ICP von 112.“ sSage ich und lege auf.
„Ab nach oben.“ Sage ich zu der Schwester und wir schieben das Bett in Richtung Fahrstuhl.
Oben angekommen übergebe ich ihn an Sam und seine Kollegen.
Es geht weite, Schlag auf Schlag und ich komme kaum dazu Luft zu holen. Ich merke erst wie erschöpft ich bin, als ich mich im Arztzimmer in einen Sessel fallen lasse. Ich möchte nur kurz meine Augen schließen, nur ganz kurz einmal Luft holen.
„Amelia?“ eine Schwester kommt rein und ich schrecke hoch.
„Hmm.“ Ich reibe mir müde über die Augen und ziehe meinen Kittel wieder an.
„Zustand nach versuchten Suizid.“ Sie sieht mich an und ich schließe kurz meine Augen. Fragend sehe ich sie an.
„Pulsadern.“ sagt sie und ich nicke „Ich habe in der Psychiatrie angerufen, sie schicken so schnell wie möglich jemanden.“ Ich gehe neben ihr den Gang entlang und sie deutet auf einen der Behandlungsräume.
Ich atme tief durch und streiche mir eine Strähne meines hellbraunen, langen Haares hinter die Ohren.
„Hallo ich bin Dr. Amelia Brady, ich werde sie jetzt kurz untersuchen.“ Ich sehe zur Liege und ein etwa 15jähriges Mädchen sieht mich an.
„Ganz ruhig…“ ich sehe in die Akte „Olivia. Ich schaue mir nur mal deine Arme an und dann sehen wir weiter.“ Ich nicke ihr aufmunternd zu und setze mich auf einen Stuhl vor ihrem Bett.
„Wurden meine Eltern verständigt?“ fragt sie vorsichtig.
„Ich denke schon.“ gebe ich zu und sehe mir ihre Schnittwunden an. Sie sind nicht sehr tief und sie hat diagonal geschnitten. Ich sehe sie an. Sie ist ein wirklich hübsches Mädchen, aber der Blick mit dem sie mich ansieht kommt mir bekannt vor. Ich nehme ihre Hand in meine und drehe sie vorsichtig um sicher zu gehen, dass sie nicht doch irgendwo oder irgendwie einen Nerv oder eine Sehne erwischt hat.
„Ich will sie nicht sehen.“ sagt sie plötzlich und ich sehe sie fragend an.
„Wen?“ ich desinfiziere ihre Wunde.
„Meine Eltern, ich will sie nicht sehen. Ich will nie wieder zurück zu ihnen.“ Tränen beginnen ihr über die Wangen zu laufen.
„Hast du Probleme zu Hause?“ hake ich vorsichtig nach.
„Nein, meine Eltern sind toll, aber ich kann nie wieder auf meine Schule. Alle denken, ich habe schon mal…“ sie schließt gequält die Augen.
„Sex gehabt?“ erahne ich.
„Ja und nun halten sie mich alle für eine Schlampe.“ Sie beginnt richtig zu weinen.
Ich nehme ihre Hand in meine. „Olivia, du solltest deinen Eltern davon erzählen, sie werden dir helfen.“ sage ich sicher und sie beruhigt sich etwas.
Ich versorge ihre Wunden, spreche mit ihren Eltern und dem Psychiater und gehe dann hoch ins Personalbüro. Mittlerweile ist es 8 Uhr morgens und so langsam beginnt die normale Hektik wieder.
Ich atme tief durch, klopfe an und trete in das Büro.
„Dr. Brady. Was kann ich für sie tun?“ die Sekretärin sieht mich überrascht an.
„Ich möchte bitte meinen Urlaubsanspruch geltend machen.“ sage ich sicher und setze mich ihr gegenüber.
„Ab wann?“ sie tippt auf ihrem Computer.
„Da ich nächste Woche mein Facharztjahr fertig habe und wohl auch meine Prüfungen am Mittwoch bestehen werde, ab Freitag.“ sage ich entschlossen.
„Da bin ich mir sicher…“ sie lächelt mich an „Allgemeinchirurgie richtig?“ sie ruft augenscheinlich meine Akte auf und ich nicke „Da muss ich erst schauen.“ Sie tippt erneut auf den Tasten herum. „Wann hatten sie das letzte Mal Urlaub?“
„Noch gar nicht.“ sage ich gelassen.
„Aber sie sind doch schon 3 Jahre hier.“ Sie sieht mich erstaunt an.
„Bisher brauchte ich keinen Urlaub…“ ich zucke mit den Schultern „… Mir war meine Assistenzzeit und meine Facharztausbildung wichtiger.“ gebe ich zu.
„Also unter diesen Umständen denke ich, dass ich ihnen 3 Wochen Urlaub ohne weiteres genehmigen kann.“ Sie grinst mich an.
„Vielen Dank.“ Ich stehe auf und ringe mich zu einem Lächeln durch.
„Gern geschehen. Ich lasse ihnen die Papiere in ihr Postfach legen.“ fügt sie hinzu und ich ziehe die Tür hinter mir zu.
Ich gehe hoch in die Personalumkleide und treffe dort auf ein paar meiner Kollegen, viele gerade in ihrem ersten Jahr, ein paar im Zweiten und nur wenige so wie ich und Sam im Dritten. Viele wechseln spätestens nach dem zweiten Jahr die Klinik, denn Facharztausbildungen werden hier selten angeboten. Ich und drei weitere Assistenzärzte hatte Glück, wir bekamen eine Facharztausbildung hier am Long Beach Hospital.
„Fertig?“ Sam kommt aus der Dusche und sieht mich prüfend an.
„Ja.“ Ich setze mich auf die Bank und ziehe meine Turnschuhe aus und dann meinen Arztkittel, den ich in den Schrank hänge. Anschließend ziehe ich meinen hellblauen Kasack über den Kopf und werfe ihn in die Schmutzwäsche.
„Willst du hier duschen?“ Sam tritt neben mich und zieht sich seine Shorts an.
„Nein, mache ich zu Hause.“ Ich nehme mir mein graues Top aus dem Schrank und ziehe es mir über meinen BH. Meine hellblaue Stoffhose folgt schnell meinem Kasack und ich fische meine Jeans aus dem Schrank.
Sam zieht sich auch zu Ende an, wir unterhalten uns kurz mit den Kollegen ehe wir in den Fahrstuhl steigen. Ich löse meinen Haarknoten und meine Haare fallen mir wellig über den Rücken.
„Amy?“ Sam sieht mich von der Seite an.
„Sam, bitte nicht jetzt.“ Ich hebe abwehrend meine Hände.
„Okay.“ Wir verlassen den Fahrstuhl in der Tiefgarage und steigen in unser Auto.
Sam und ich wohnen mit Lucy und Allan zusammen in einem kleinen Haus am Rande von Long Beach. Sich hier alleine ein Haus oder eine Wohnung zu leisten ist so gut wie unmöglich. Wir kommen alle gut miteinander aus, obwohl Lucy und Allan mittlerweile an anderen Krankenhäusern arbeiten.
Ich steuere das Auto sicher durch die Straßen und fahre die Auffahrt hoch.
„Sieht so aus als wären Lucy und Allan schon los.“ bemerkt Sam mit einem Blick in die Garage.
„Ja, Lucy hat Frühdienst und Allan hat heute seine Prüfungen in L.A.“ erkläre ich ihm und schließe die Tür auf.
„Amy, ich weiß ich soll dich in Ruhe lassen.“ Sam hält mich fest und ich sehe die Sorge in seinen dunkelbraunen Augen.
„Hör zu Sam, ich war im Personalbüro, ab nächsten Freitag habe ich drei Wochen Urlaub. Ich werde mich irgendwann nächste Woche um einen Flug und ein Hotel kümmern. Du hast es geschafft… Okay?“ ich mache mich von ihm los.
Er zeiht mich zurück und nimmt mich in den Arm.
„Ich bin stolz auf dich, Amy.“ sagt er gerührt und ich sehe ihn prüfend an.
Sam ist toll, ich meine wirkliche und in jeder Beziehung. Er ist mein bester Freund und ich möchte niemals auf ihn verzichten müssen. Wir haben schon auf der UCLA zusammen studiert, irgendwann haben wir uns im Ansatz an einer Beziehung versucht… Ich muss nicht extra erwähnen, dass es furchtbar in die Hose gegangen ist. Seitdem sind wir die besten Freunde und etwas Besseres kann ich mir gar nicht vorstellen.
Sam ist 1,85 m groß, er ist sehr gut durch trainiert und er sieht mit seinen dunkelblonden längeren Haaren aus wie ein typischer California Surferboy. Er weiß um seine Ausstrahlung und ist ein Womanizer wie er im Buche steht. Wenn ich daran denke wie viele unschuldige Frauen schon morgens bei uns in der Küche saßen und Lucy, Allan oder ich höflich aber bestimmt nach draußen geleitet haben.
„Danke Sam.“ sage ich nach einer kleinen Ewigkeit „Jetzt muss ich nur noch am Mittwoch meine Prüfung bestehen.“ Ich seufze.
„Ach was Amy, das machst du mit links.“ Er knufft mich.
Ich steige die lange Treppe hoch, drehe mich zu ihm um und werfe ihm einen Handkuss zu.
Ich schlafe wie ein Stein und die folgenden Nachtschichten sind so hektisch das ich es kaum schaffe mal durchzuatmen oder meinen Kopf in die Bücher zu stecken.
Am Mittwochmorgen fahre ich wie gerädert zu meiner Prüfung, Sam begleitet mich als moralische Unterstützung.
Und die brauche ich wirklich…
Die brauche ich ganz dringend!
Die Prüfungen laufen für meinen Geschmack ganz gut, aber ich vertraue da meinem Bauchgefühl nicht so sehr. Nachdem ich fertig bin fahren wir die 45 Minuten wieder nach Hause.
„Und?“ fragt mich Sam schon zum bestimmt 100. Mal als ich auf mein Handy schaue.
Warum brauchen die so lange? Mein Leben zu zerstören kann doch wesentlich schneller gehen, oder?
„Nichts.“ sage ich und lege es zurück auf den Tisch.
Der Fernseher läuft, aber ich bekomme nichts von dem mit, was da gesprochen wird.
Was mache ich nur, wenn ich durch gefallen bin?
Würde das Long Beach mir eine weitere Chance einräumen?
Wie soll ich es nur George beibringen?
Er hat mich die letzten drei Jahre gefördert und hilft mir meine Assistenzärzte im Auge zu behalten damit sie keinen Schaden anrichten können.
Lucy und Allan kommen rein und setzen sich zu uns auf die große, abgewetzte Ledercouch.
„Und?“ kommt es von Beiden im Chor.
„Nichts.“ Antworten Sam und ich wie aus einem Mund.
„Was schaut ihr euch an?“ Allan sieht fragend zum Fernseher.
„Keine Ahnung.“ gebe ich zu und wir lachen alle auf.
„Wie lange hat es bei dir gedauert?“ ich sehe zu Sam.
„Das weißt du doch ganz genau…“ er schüttelt lachend seinen Kopf „… Wer hat denn die Stunden neben mir gesessen und mir gesagt alles wird gut?“ er sieht mich grinsend an.
„Ich, aber ich weiß nicht mehr wie viele Stunden das waren.“ Ich seufze theatralisch.
„Ganz ruhig Amy.“ Allan nimmt mich beruhigend in den Arm.
<< Piep, Piep >>
Ertönt es plötzlich und wir sehen uns alle vier entgeistert an.
Ich nehme mein Handy mit zittrigen Händen und drücke zaghaft auf lesen.
„Sag schon!“ Sam sieht mich gespannt an.
Ich starre einen Moment auf das Display.
„Bestanden.“ sage ich leise und Lucy, Allan und Sam schreien auf.
„Bestanden.“ schreie nun auch ich und wir fallen uns alle in die Arme.
„Ich habe es gewusst.“ Sam sieht mich liebevoll an „Ich bin so unheimlich stolz auf dich.“
„Danke Sam!“ ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
Lucy zieht mich hoch und ich sehe sie erstaunt an.
„Was ist denn jetzt?“ frage ich verwirrt.
„Du bist jetzt die letzte von uns die es offiziell geschafft hat und zur Feier des Tages gehen wir was Trinken. Am besten ins Irish Greek.“ bestimmt sie, zwinkert mir zu und wir brechen alle fröhlich lachend auf.
Die Nacht wird kurz…
Sehr kurz…
Zu kurz…
Am Donnerstagmorgen stehe ich vor dem OP-Plan und versuche mein Gähnen zu unterdrücken.
„Alles klar?“ George stellt sich neben mich.
„Ja, alles gut.“ Ich sehe ihn müde an.
„Meine herzlichsten Glückwünsche.“ Er grinst mich an.
„Woher?“ staune ich.
„Samuel konnte seinen Mund nicht halten.“ Er grinst immer noch „Und da ich dich und Samuel schon lange genug kenne, möchte ich dich bitten die Post-OPs zu betreuen. Da du ja ab morgen Urlaub hast, denke ich es ist das Beste.“ Er zwinkert mir zu.
„Vielen Dank.“ sage ich erleichtert.
Ich hätte ihn nie darum gebeten, aber so brauche ich keine Angst zu haben, dass mein Schlafmangel ernsthafte Konsequenzen hat.
Am Abend fahre ich todmüde mit Sam nach Hause.
„Hast du dich schon um einen Flug und ein Zimmer gekümmert?“ Sam sieht mich fragend an, als wir auf der Couch bei einer gemütlichen Pizza sitzen.
„Ja und Ja. Mein Flug geht morgen Nacht um 1:30 Uhr, ich bin 20:30 Uhr unserer Zeit und 4:30 Uhr Ortszeit da, dann schlafe ich mich eine Nacht im Hotel aus, hole meinen Mietwagen und fahre die 4 Stunden nach Newport und dann sehe ich weiter. Alles ist geklärt.“ Ich nehme mir ein neues Stück Pizza.
„Hast du es deiner Mum und deinem Dad gesagt das du kommst? …“ setzt er an.
„Nein, ich habe nicht gewusst wie. Erst versuche ich alles um nie wieder nach Newport zu müssen und jetzt überlege ich es mir plötzlich anders? Die denken doch, ich habe einen Knall.“ ich ziehe eine Augenbraue hoch. „Glaub mir Sam ich habe keine Ahnung was ich sagen werde. Ich weiß es wirklich nicht, ich kann es nur auf mich zukommen lassen.“ Ich zucke mit den Schultern.
„Alles wird gut.“ Er beugt sich zu mir und gibt mir einen Kuss auf die Wange. „Und was ist mit deinem Klassentreffen?“
„Das ist nächstes Wochenende. Ich werde wohl hingehen. Ich meine irgendwann würden sie sowieso herausfinden, dass ich da bin… Oh mein Gott, Newport ist so klein, wahrscheinlich werden alle wissen dass ich da bin, sobald ich das Orteingangsschild passiert habe. Findest du es richtig, dass ich fahre?“ ich sehe zweifelnd zu Sam.
Bitte Sam sag nein, dann kann ich hier bleiben… Dann kann ich drei Wochen lang surfen und am Strand in der Sonne liegen.
„Ja Amy, es ist richtig. Noch immer weiß ich nicht, warum du weg gelaufen bist, aber nichts kann so schlimm sein, dass man seine Heimat für immer verlässt und außerdem werden sich deine Eltern und deine Brüder so sehr freuen.“ Er nimmt meine Hand.
„Meine Familie hatte mit allem überhaupt nichts zu tun.“ Ich kaue auf meinem Pizzastück herum.
„Amy, ich habe irgendwann aufgehört nach zu fragen. Wenn du es mir sagen willst, dann los.“ Er sieht mich prüfend an.
„Ich kann nicht Sam.“ sage ich traurig. „Es hat nichts mit dir zu tun, ich habe es noch niemals jemandem erzählt.“ Ich sehe ihn traurig an.
„Schon gut.“ Er haucht mir einen Kuss auf die Haare und wir essen weiter.
Eine Stunde später stehe ich vor meinem Kleiderschrank und packe meine Sachen. Was soll ich für 3 Wochen Irland einpacken? Ich meine, dass die nicht so schönes Wetter haben wie hier ist mir auch klar, aber mein Vorrat an langen Hosen und Pullovern ist sehr überschaubar.
Ich überlege verzweifelt was ich für die Reise und das erste Treffen mit meinen Eltern nach 10 Jahren anziehen soll. Ganz zu Schweigen von meinem Klassentreffen.
Gestern Morgen habe ich per Mail zugesagt. Ich denke, wenn ich mich schon meiner Vergangenheit stelle, dann kann ich es auch gleich richtig machen.
„Sam?“ rufe ich verzweifelt und ein paar Minuten später steht er bei mir im Zimmer.
Ich drehe mich in Unterwäsche zu ihm um und halte ein dunkelblaues Kostüm, eine dunkelblaue Jeans, ein weiße Bluse, einen weißen engen V-Ausschnitt Pullover und ein hellrosanes Etuikleid, schulterfrei und kurz, hoch.
„Was soll ich anziehen?“
„Für was?“ er setzt sich auf mein Bett.
„Für meine Eltern und für das Klassentreffen.“ Ich setze mich neben ihn.
„Also das Etuikleid zum Klassentreffen und die Jeans und den heißen weißen Pulli zu deinen Eltern.“ Er deutet auf die Sachen und ich sehe ihn skeptisch an.
„Woher weißt du, dass das ein Etuikleid ist?“ ich packe das Kleid ein und die anderen Sachen lege ich auf meinen Stuhl.
„Komm schon Amy, ich gehe ständig mit dir oder Lucy einkaufen, so etwas merkt man sich.“ Er zwinkert mir zu. „Und jetzt zieh dir was an bevor ich mich vergesse.“ Damit schließt er lachend die Tür.
Ich drehe mich prüfend vor dem Spiegel, ich bin mit 1,73 m nicht sehr groß, aber groß genug. Ich wiege zurzeit 65 kg, ich bin wirklich zufrieden mit meiner Figur. Ich habe ein gutes C-Körbchen und liebe es meine Reize einzusetzen, wenn es zu meinem Vorteil ist, aber mal ehrlich, wer tut das nicht?
Ich habe hellbraune lange, glatte Haare und einen Pony, der mir eigentlich ständig ins Gesicht hängt und so gerade eben lang genug ist damit ich ihn hinters Ohr klemmen kann. Ich habe hellgrüne Augen und einen schönen dunklen Teint. Aber das bleibt nicht aus, wenn man sich 365 Tage im Jahr der kalifonischen Sonne aussetzt. Ansonsten bin ich aber noch nie der blasse, irische Typ gewesen… das sind meine Eltern auch nicht.
Ich ziehe mir mein Top wieder über und dazu kurze Jeansshorts.
Ich gehe runter zu Sam und überrede ihn, mit mir zum Surfen zu fahren. Ich brauche jetzt einfach einen klaren Kopf. In meinem Kopf arbeitet alles auf Hochtouren, ich weiß einfach nicht wie das Alles werden wird und ich hasse es, keinen Plan zu haben.
Erst spät abends sind wir wieder zu Hause und wir beschließen durchzumachen, da ich in ein paar Stunden schon am Flughafen sein muss. Ich kann ja im Flieger schlafen…
Schneller als erwartet, muss ich los und ich laufe durchs Haus um meine letzten Sachen zusammenzusammeln.
„Hast du es jetzt?“ Sam steht ungeduldig in der Tür.
„Ja.“ Atemlos komme ich vor ihm zum stehen, streiche meine Jeans glatt und schlüpfe in meine schwarzen Pumps.
„Ich hoffe du hast auch noch richtige Schuhe eingepackt.“ Er sieht mich grinsend an.
„Ja, ein paar Boots, die ich glaube ich das letzte Mal vor 10 Jahren angehabt habe, ein paar Turnschuhe und noch…“ zähle ich auf.
„Alles klar Amy, du bist versorgt…“ Er nimmt meine beiden Koffer „…Mehr wollte ich nicht wissen.“ Er zwinkert mir zu, verlädt die Koffer und wir steigen ein.
Er bringt mich zum Flughafen und erzählt mir mindestens tausend Mal, dass es Richtig ist was ich hier tue.
Ich bin da nicht so sicher…
Verdammt, ich weiß es wirklich nicht und zerbreche mir auf meinem 18-stündigen Flug den Kopf darüber. Der Zwischenstopp in Paris ist stressig und ich bin froh als wir wieder abheben.
Ich sehe das Leuchten Dublins unter mir und obwohl sich alles in mir dagegen sträubt wieder einen Fuß auf dieses Land zu setzen, lächle ich leicht. Im selben Moment zieht sich mein Magen zusammen, zu schmerzhaft sind die Erinnerungen…
Und dann bin ich wieder in Irland…
Ich steige aus und stelle zu meinem Erstaunen fest, dass es mal nicht regnet.
Es ist nicht nur ein Mythos, nein hier regnet es wirklich fast immer.
Ich nehme mir ein Taxi zum Hotel, rufe die Leihwagenfirma an und lasse mir den Wagen für morgen früh hierher bringen. Sie sollen die Schlüssel an der Rezeption abgeben. Zum Glück habe ich das Finanzielle gleich am Laptop erledigt.
Ich fühle mich wie gerädert und brauche dringend Schlaf. Nach einem kurzen Frühstück mache ich mich dann endlich auf den Weg.
Die Leihwagenfirma hat mir einen BMW X5 zugesichert und ich bin dankbar, den auch bekommen zu haben. Als ich aus dem Parkhaus fahre, stelle ich ohne großes Erstaunen fest, dass es nun doch regnet.
Regen, Regen und noch mehr Regen!
Das habe ich nicht vermisst, wirklich nicht…
Mir ist kalt und ich drehe die Klimaanlage auf warm, denn obwohl ich Sams Rat befolgt habe und eine lange Jeans und einen langen Pullover trage ist es hier nun einmal ein ganz anderes Klima.
Ich stelle das Navi ein und Felder, kleine Cottages und Kleinstädte ziehen an mir vorbei…
Mein Herz schlägt bis zum Hals, als ich das Ortseingangschild von Newport passiere. Ich sehe auf meine Uhr. 13:47 Uhr, ich atme tief durch und fahre durch die mir so bekannten Straßen. Alles sieht noch aus wie vor 10 Jahren. Ich fahre an meiner alten Schule vorbei, es ist sind gerade Frühjahrferien und sie liegt wie verlassen da. Dann stehe ich vor dem Haus meiner Eltern. Ich stelle den Motor aus und betrachte das Haus. Es ist ein altes zweistöckiges Steinhaus mit Reetdach, aber es scheint vor nicht allzu langer Zeit neu gestrichen worden zu sein. Es strahlt in einem hellen Gelbton. Die umlaufende Veranda ist ordentlich und der Garten sieht wie immer sehr gepflegt aus. Die Rosen klettern an den Gittern hinauf und vereinzelt blühen schon ein paar Blumen. Wie schafft meine Mum das nur bei diesem Regen alles?
Ich atme tief durch, ziehe meinen Mantel über und gehe in Richtung des Gartentors. Mein Blick fällt auf das Messingschild, dass neben dem Gartentor angebracht ist.
James Alexander Brady M.D.
Steht dort in einer geschwungen Schönschrift und ich frage mich ob es immer noch das gleiche Schild ist, das schon in meiner Kindheit hier hing.
Leise knarrend öffne ich das Tor und steige die drei Stufen der Veranda hoch.
Zaghaft klopfe ich an und eine Weile tut sich gar nichts.
Hätte ich ihnen doch sagen sollen, dass ich komme?
Ich will mich gerade auf dem Weg zurück zu meinem Auto machen als die Tür aufgeht.
„Tut mir leid, die Praxis ist noch geschlossen, bitte kommen sie in einer Stunde wieder.“ ertönt es hinter mir und ich denke mein Herz setzt einen Schlag aus.
Langsam drehe ich mich um und meine Mum schaut mich mit großen Augen an.
„Ich weiß Mum.“ sage ich leise.
„Amelia?“ In ihren Augen stehen die Tränen.
„Ja.“ Ich grinse sie unsicher an.
Sie kommt mit einem großen Schritt zu mir und nimmt mich in den Arm.
„Es tut so gut, dich zu sehen.“ schluchzt sie.
Auch ich beginne nun zu weinen. Eine Welle der Erleichterung erfasst mich. Man merkt erst, was einem fehlt, wenn man daran erinnert wird… Und sie hat mir gefehlt!
Mein Dad kommt aus der Küche, sieht mich und beginnt zu strahlen.
„Meine verlorene Tochter.“ lacht er und nimmt mich in den Arm.
„Hi Daddy.“ Ich lasse mich von ihm drücken.
„Was machst du denn hier?“ meine Mum kann immer noch nicht fassen, dass ich da bin.
Ich kann es ja selbst nicht fassen.
„Komm rein Schätzchen.“ sagt sie, zieht mich ins Innere des Hauses und nimmt mir meinen Mantel ab.
Kaum sitzen wir am Küchentisch schon wuselt sie herum und macht Tee für uns.
„Und erzähl Kleines, wie ist deine Prüfung gelaufen?“ mein Dad sieht mich fragend an.
„Bestanden.“ grinse ich und er steht auf und nimmt mich wieder in den Arm.
„Ich bin unheimlich stolz auf dich.“ flüstert er mir ins Ohr.
„Danke Daddy.“ erwidere ich und bin gerührt, dass meine Eltern mir nicht übel nehmen, dass ich mich die letzten 10 Jahre nicht habe sehen lassen.
„Dr. med. Amelia Brady. Ich fasse es nicht.“ Meine Mum knufft mir in die Wangen. „Du bist so eine wahnsinnig hübsche, junge Frau.“
„Mum.“ stöhne ich gespielt genervt.
„Sie hat Recht, Amelia, du bist wunderschön.“ Mein Dad gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
Mein Blick fällt auf die Wand hinter ihm.
Meine Augen weiten sich, dort hängt tatsächlich das Bild von meinem Schulabschluss. Pausbäckig und mit dicker Brille grinse ich in die Kamera. Gut, wenn man mich mit dem Mädchen vergleicht, dann komme ich ganz gut dabei weg, muss ich mir eingestehen.
„Mum, warum hast du dieses schreckliche Bild immer noch an der Wand?“ ich sehe sie strafend an.
„Weil ich kein neues von dir habe.“ sagt sie fast trotzig.
„Du bekommst eins, versprochen.“ Ich lächle.
„Das ist gut, dann kann ich mit meiner wunderbaren Arzttochter angeben.“ Mein Dad feixt.
„Mach das Daddy.“ lache ich auf.
„Meinst du, du übernimmst jetzt vielleicht doch irgendwann die Praxis?“ meine Mum sieht mich fragend an und mein Blick verfinstert sich.
„Nein, Mum.“ sage ich sicher.
Es hat mich alles an Überwindung gekostet überhaupt hierher zu kommen. Ich bleibe drei Wochen und fahre dann wieder nach Hause, denn mein Zuhause ist Long Beach.
„Kleines.“ setzt mein Dad an.
„Nein, Dad. Bitte seid mir nicht böse, aber ich muss meine Sachen noch ins Hotel bringen.“ sage ich leise.
„Du schläfst bei uns.“ bestimmt er und sieht mich ernst an.
Ich kenne diesen Blick zu gut. Wenn seine grau-blauen Augen mich so ansehen, ist jeder Widerstand zwecklos.
Er steht auf und ich sehe, wie er zu meinem Wagen geht und die beiden Koffer aus dem Kofferraum hievt. Er stellt sie in den Flur und gibt meiner Mum einen Kuss.
„Danke.“ sagt meine Mum voller Liebe zu meinem Dad und ich lächle leicht.
Die Beiden sind toll miteinander, genau so etwas habe ich mir immer gewünscht, nur leider scheine ich dazu nicht in der Lage zu sein.
Meine Mum und meinen Dad zusammen zu sehen, ist wirklich toll. Kein Telefonat kann das ersetzen. Mein Dad mit seinen 1,90 m überragt meine Mum um über 20 cm. Er hat ein Kreuz wie ein Kleiderschrank und meine Mum ist so eine zierliche Person. Und während mein Dad dunkelbraune, fast schwarze Haare hat ist meine Mum blond. Klar, sind jetzt bei beiden schon einige graue Strähnen zu sehen, aber sie sind wirklich das perfekte Paar…
„Träumst du Amelia?“ Mein Dad grinst mich an.
„Wie bitte?“ Ich sehe ihn entschuldigend an.
„Hast du nicht Lust, heute Nachmittag mit mir die Sprechstunde zu machen? Ich habe heute die Samstagssondersprechstunde.“ er zieht fragend eine Augenbraue hoch.
„Heute nicht, Dad. Ich möchte gern mal durch atmen, aber Montag bestimmt.“ Ich lächle und er nickt.
„Wie lange bleibst du denn?“ er sieht mich fragend an.
„Drei Wochen.“ sage ich und versuche zu lächeln.
„Oh das ist so schön! Dann bist du ja zum Geburtstag deines Dads noch hier.“ Meine Mum klatscht in die Hände.
Ach, ja mein Dad feiert bald seinen 60. Geburtstag…
Habe ich fast vergessen… oder verdrängt.
Sucht es euch aus!
„Gut Ladies, dann macht ihr ein wenig Kaffeeklatsch, ich werde mich in die Arbeit stürzen.“ Er zwinkert mir zu und geht in seine Praxisräume.
„Wie geht es dir Schätzchen?“ meine Mum bugsiert mich ins Wohnzimmer.
„Gut, sehr gut.“ Ich lasse mich auf die alte hellbraune Ledercouch fallen. Fast nichts im Haus hat sich verändert, noch immer riecht es nach Bohnerwachs und Desinfektionsmitteln. Einige Kleinigkeiten sind neu, aber der Charme dieses ehemaligen Cottagehauses ist unbeschreiblich. Kleine, gemütlich Zimmer und rau verputzte und weiß getünchte Wände.
„Warum bist du hier?“ stellt sie die Frage mit der ich die ganze Zeit schon gerechnet habe.
„Ich wollte euch gerne persönlich sagen, dass ich meine Prüfungen bestanden habe, ich habe eine Einladung zum Jahrgangstreffen bekommen und ich denke ich habe Irland und euch alle vermisst.“ Ich sehe aus dem Fenster in den Garten.
„Ist alles okay Schätzchen?“ Meine Mum sieht mich besorgt an.
„Ja, alles gut. Kommen Jake und Pat heute noch?“ frage ich sie nach meinen beiden großen Brüdern.
„Jake arbeitet in Galway und Pat ist schon seit drei Wochen in Dublin. Aber wenn ich sie anrufe, dann kommen sie bestimmt morgen zum Kaffee. Was meinst du?“ sie sieht mich fragend an und ich nicke eifrig.
Ich freue mich meine beiden Brüder wieder zu sehen. Jake, eigentlich Jacob ist 33, er ist Automechaniker und arbeitet für eine große Autowerkstatt. Er ist gut, ich meine so richtig gut. Es kommt oft vor das er in andere Filialen muss, um die Kollegen einzuweisen, daher wundert es mich auch nicht dass er in Dublin ist. Hier in Newport ist nur eine kleine Filiale und die in Galway ist schätzungsweise 10mal so groß. Tja, Pat eigentlich Patrick ist 31 und Immobilienmakler Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass er in Dublin ist. Beide sind verheiratet und wohnen nur ein paar Autominuten von unseren Eltern entfernt. Mich, als Nesthäkchen mit meinen 28 Jahren, hat es als einzige ans andere Ende der Welt verschlagen.
Sie hatten ja keinen Grund zu fliehen… Ich aber schon!
„Sie sollen aber alle mitbringen, ich möchte Kelly und Ann auch wieder sehen. Außerdem habe ich Tyler und Josh noch nie gesehen.“ Ich grinse meine Mum an.
Kelly und Ann sind ihre Frauen und Tyler und Josh die 4jährigen Zwillinge von Jake.
„Wollen Pat und Kelly eigentlich auch Kinder?“ ich sehe fragend zu meiner Mum.
„Ja, wollen schon, aber bisher hat es nicht geklappt.“ Sie sieht mich traurig an.
„Oh.“ sage ich nur und bin dankbar, dass sie es mir jetzt sagt, ansonsten wäre ich wohl ins Fettnäpfchen getreten.
„Kelly ist traurig deswegen.“ Meine Mum lehnt sich in ihrem Sessel zurück. „Warum kommst du nicht öfter Schätzchen?“ sie sieht mich durchdringend an.
„Mum bitte.“ Ich hebe meine Hände „Kann ich jetzt auspacken?“
Sie seufzt und steht mit mir zusammen auf. „Stört es dich, wenn du in deinem alten Zimmer schläfst?“ sie nimmt einen Koffer und wir steigen die schmale Treppe hoch.
„Nein, nein aber ich muss noch im Newport House Hotel anrufen und meine Buchung stornieren.“ Ich schleppe meinen zweiten Koffer hoch.
„Ach was, ich rufe bei Ruth an und sage ab.“ Sie lächelt mich an und schubst die Tür zu meinem alten Zimmer auf.
Warum überrascht es mich nicht, dass sie die Besitzerin des Newport House Hotel kennt?
Ganz einfach, weil hier jeder jeden kennt…
Wow, hier hat sich gar nichts verändert stelle ich lächelnd fest als ich mein altes Zimmer betrete. Mein altes Bett steht noch immer unterm Fenster, daneben mein Schreibtisch und darüber meine Pinnwand mit etlichen Fotos. Ich trete näher heran und betrachte die ganzen bunten Bilder.
„Schau mal Amy, hier ist Logan drauf.“ Meine Mum ist hinter mich getreten und deutet auf eines der Bilder.
Logan…
Logan O’Callaghan…
Logan war immer mein bester Freund und ich war seit der 6. Klasse heimlich in ihn verliebt. Leider habe ich nie meinem Mund aufbekommen… aber es wäre eh zwecklos gewesen. Logan war immer der Schwarm der Highschool und ich war eben ich. Auf dem College änderte sich das dann ein wenig, am Abend meines Collegeabschlusses wähnte ich mich am Ziel meiner Träume, Logan sagte mir auf der Abschlussparty dass er sich in mich verliebt hatte… Ich war so unendlich glücklich.
Dann geschah es und am nächsten Morgen war ich weg. Wie oft wünsche ich mir, er hätte früher etwas gesagt oder wir wären nicht auf dieser Party gewesen.
Was wäre gewesen wenn?
Ganz ehrlich, ich spiele dieses Spiel nicht gerne, aber bei Logan lohnt es sich…
Ich streiche sanft über das Foto, seine grün-blauen Augen schimmern türkis und strahlen so sehr. Seine kurzen dunkelbraunen Haare stehen im in allen Richtungen von Kopf ab. Er war der Fußballkapitän und dementsprechend durch trainiert. Nur ein Handtuch um die Hüfte winkt er mir hier zu. Das muss in Rosmore gewesen sein, eine kleine Landzunge zu der wir im Sommer immer zum Baden dorthin geritten sind. Ich würde meine Mum gerne fragen was er macht, aber ich weiß, dass sie denkt, dass er Schuld ist, dass ich gegangen bin.
Er hatte keine Schuld…
Mein Blick gleitet weiter über die Fotos und plötzlich beschleunigt sich mein Atem. Luke Dermott… Ich strecke meine Hand aus und nehme das Foto ab, ich zerknülle es und schmeiße es in den Papierkorb.
Ich will sein Gesicht nicht sehen, niemals wieder.
Gott, ich sehe auf allen Bildern so peinlich aus. Erst gegen Ende der Collegezeit wurde es etwas besser, aber eben nicht gut. Kein Wunder das Logan erst am letzten Tag im College gemerkt hat, dass ich ein Mädchen bin. Er hat mich immer Cone genannt, weil ich im Sommer immer in dem kleinen Eiscafe neben dem Eiswarenladen seines Dads gearbeitet habe… Nie wieder hat mich jemand so genannt.
„Freust du dich denn auf das Klassentreffen?“ fragt meine Mum vorsichtig und beginnt meine Sachen in den Schrank zu räumen.
„Ich denke schon.“ Ich nehme ihr die Sachen ab und packe sie selber in den Schrank.
„So, ich werde jetzt deinem Daddy in der Praxis helfen und bei Ruth anrufen, wenn was ist weißt du wo du uns findest.“ Sie gibt mir einen Kuss auf die Wange und ich sehe ihr hinterher. Ihre langen Locken fliegen hinter ihr her wie eine Fahne.
Ich lasse mich seufzend aufs Bett fallen.
Das war eine Scheißidee…
Ganz ehrlich!
Was habe ich mir dabei gedacht?
Ich habe wirklich gehofft ich kann das alles verdrängen, aber es geht nicht, es kommt in Wellen immer wieder hoch und es macht mir Angst.
Ich räume meine Sachen ein und sehe aus dem Fenster, es hat aufgehört zu regnen. Ich finde tatsächlich meine alte Reithose und meine Reitstiefel in der hintersten Ecke meines Schrankes und ziehe mir beides an, dann ziehe ich mir meinen langen dunkelgrauen Pullover über. Ich nehme meinen Helm und laufe die Treppe runter.
Ich schaue kurz in die Praxis und meine Mum sieht mich fragend an.
„Ich reite aus.“ sage ich knapp und sie nickt.
„Nimm bitte Lola, sie wird sich freuen, dass du da bist. Denk daran sie ist schon in die Jahre gekommen, keine wilden Aktionen mit dem armen Tier.“ Meine Mum grinst und ich lächle.
Ich gehe durch den Garten in den Stall. Meine Eltern haben schon immer Pferde gehabt. Ganz ehrlich, so gut wie jeder in Irland hat Pferde, warum sollten wir eine Ausnahme sein?
Ich trete an die Box der in die Jahre gekommenen Stute und schiebe die Gattertür auf.
„Hallo, meine Große.“ Ich lasse sie an meiner Hand riechen und streichele sie vorsichtig. „Na, erkennst du mich noch? Meinst du, wir sind immer noch so ein gutes Team?“ ich sehe sie fragend an und sie schnaubt. „Sei ein bisschen Nachsichtig mit mir, in Kalifornien gibt es nicht so viele Pferde und ich bin vielleicht ein wenig aus der Übung.“ Ich lege ihr das Zaumzeug an und führe sie nach Draußen. Ich nehme mir meinen Sattel, der wie ich erstaunt fest gestellt habe immer noch gepflegt und geputzt an der Wand hängt. Ich setze meinen Helm auf, dann führe ich sie nach draußen und sitze auf.
Es ist ein erhabenes Gefühl, jetzt fühle ich mich wirklich wieder wie eine Irin!
Wir setzen uns langsam in Bewegung und ich genieße das Gefühl des Windes in meinem Gesicht. Ich reite erst ohne richtiges Ziel, dann schlage ich den Weg nach Rosmore ein. Diese Landzunge ist einfach nur schön, man kann all die kleinen Inseln sehen und alles ist in einem satten Grün. Ich gebe wirklich zu, dass es mir gefehlt hat. Nach einer halben Stunde fühle ich mich wieder sicher auf Lola und gebe ihr vorsichtig die Sporen. Pah, von wegen in die Jahre gekommen, sie läuft wie eine Jungstute. Schon nach knapp einer Stunde erreiche ich das Ende der Landzunge. Vorsichtig reite ich mit ihr ins Wasser und stelle fest, dass sie es immer noch liebt. Ich streichele ihr dunkelbraunes Fell und lege meinen Kopf an ihren. Sie hat mir gefehlt, sie bleibt nie lange still stehen, denn der Sand kann tückisch sein, das weiß sie und das weiß ich.
„Ich hoffe, sie wissen was sie tun.“ ertönt eine Stimme hinter mir und ich drehe mich um.
„Ja, ich denke schon.“ gebe ich zurück und setze mich wieder aufrecht hin. Am Ufer springe ich von ihr runter und führe sie ein Stück auf die Wiese.
Ein junger Mann sieht mich fragend an, er sitzt auf einem schwarzen, wunderschönen Hengst und ich sehe ihn prüfend an. Irgendwo her kenne ich ihn, mein Kopf arbeitet auf Hochtouren.
„Was machen sie mit dem Pferd der Bradys?“ fragt er mich plötzlich.
„Ich muss ihnen keine Rechenschaft ablegen, wenn ich mit meinem Pferd ausreite.“ sage ich schnippisch und ziehe den Sattel, der sich durch meinen kleinen Sprint gelockert hat, wieder fest.
„Dein Pferd? Das ist Lola, Amelia Bradys Pferd.“ sagt er im belehrenden Ton.
„Und?“ ich sehe ihn Schulter zuckend an.
„Amelia Brady war schon jahrelang nicht mehr hier.“ Er sieht mich prüfend an.
„Tja, es ist eine ganze Weile her.“ sage ich und sehe ihn an. Seine grün-blauen Augen fixieren mich, da schießt es mir durch den Kopf…
Das ist Logan!
Logan O’Callaghan!
Mein Logan…
„Cone?“ fragt er entgeistet.
„Logan.“ flüstere ich fast.
Er hat sich so sehr verändert, seine Haare sind jetzt länger und stehen strubbelig in alle Richtungen ab. Er trägt einen Drei-Tage-Bart und er sieht so wahnsinnig erwachsen aus.
Er steigt ab und sieht mich prüfend an. Sein Hemd spannt um seine starken Oberarme und ich frage mich, ob es eine Frau gibt die er nachts mit diesen Armen festhält.
Amelia Brady du hast einen Knall, er ist ja wohl jedem aber bestimmt nicht dir Rechenschaft schuldig. Schalle ich mich selbst.
„Bist du es wirklich?“ fragt er leise und ich nicke.
„Hallo Logan.“ Ich versuche zu lächeln.
Er macht einen Schritt auf mich zu und nimmt mich leicht in den Arm. Einen ganz kleinen Moment spüre ich die Vertrautheit von früher und schließe kurz meine Augen.
„Hallo Amelia.“ sagt er plötzlich steif.
Ich habe mir so sehr gewünscht, dass er nicht böse auf mich ist, aber er ist es. Ich merke es an seiner ganzen Haltung… abweisend und kühl. Die Vertrautheit war nur ein kurzes Aufblitzen, mehr nicht.
„Es tut mir leid Logan.“ flüstere ich.
„Dazu gibt es nichts mehr zu sagen.“ erwidert er kalt.
„Wie geht es dir?“ versuche ich das Thema zu wechseln.
„Gut, ich habe das Geschäft meines Dads übernommen und selbst?“ er tritt einen Schritt zurück und nimmt die Zügel seines Pferdes in die Hand.
„Gut, ich habe meine letzten Prüfungen bestanden.“ Ich sehe ihn unsicher an.
Ich sehe seinen verletzten und traurigen Blick. Es tut mir so wahnsinnig leid…
„Herzlichen Glückwunsch. Wohnst du noch in Los Angeles?“ er verschränkt die Arme vor der Brust.
„Nicht direkt in L.A., ich wohne in Long Beach.“ korrigiere ich ihn vorsichtig.
„Wenn du länger hier bleibst, dann kannst du dich ja mal melden.“ Er schwingt sich geschickt auf sein Pferd und schon ist er weg. Ich sehe ihm hinterher und atme tief ein. Das ist genau so gelaufen, wie ich es mir gedacht habe…
Es tut mir leid, dass ich ohne ein Wort zu sagen weg gelaufen bin, aber ich hatte keine Wahl. Ich musste weg…
Auch ich setze wieder auf und reite im Sprint nach Hause, ich putze und striegle Lola und bringe sie auf die Koppel.
Ich bin pünktlich zum Abendessen da und eins stimmt wirklich, nirgendwo schmeckt es so gut wie bei der eigenen Mum.
Meine Mum strahlt und freut sich so sehr das ich wieder hier bin. Mein Dad redet wie aufgezogen und ich kann nur lächeln. 10 Jahre sind wirklich eine lange Zeit.
Wir sitzen noch lange zusammen und erzählen.
„Ich habe heute beim Ausreiten Logan getroffen.“ sage ich leise und mein Dad sieht mich an.
„Logan O’Callaghan?“ er zieht seine Augenbrauen zusammen.
„Ja.“ Ich nehme mir eine Hand voll Chips und sehe ihn prüfend an.
„Wegen dem du weg gelaufen bist?“ seine Stimme ist vorwurfsvoll.
„Dad, ich habe schon 100 Mal gesagt, dass ich nicht wegen ihm weg gegangen bin.“ erkläre ich und versuche ruhig zu klingen.
„Aber warum denn dann?“ er sieht mich durchdringend an.
„Ich kann es dir nicht sagen, Dad.“ Ich stehe auf und meine Mum sieht mich an.
„Gute Nacht.“ sage ich, gebe ihr und meinem Dad einen Kuss auf die Wange und steige die Treppen hoch.
Ich lege mich in mein Bett und betrachte die Sterne durch mein Dachfenster.
Was wäre gewesen wenn?
Was wäre gewesen, wenn es nicht passiert wäre und ich und Logan noch zusammen wären?
Traurig schließe ich meine Augen und merke wie mir die Tränen über die Wangen laufen.
„Es war nicht seine Schuld.“ flüstere ich bevor mich der Schlaf übermannt.
Am nächsten Morgen genieße ich einen weiteren langen Ausritt und bin erst zum Mittag zurück.
„Jake und Pat kommen in einer halben Stunden“ meine Mum wuselt durch die Küche und schiebt einen Kuchen nach dem anderen in den Ofen.
Was hat sie vor? Will sie ganz Newport verköstigen?
„Wir haben gerade Mal Mittag gegessen.“ Ich reibe mir den Bauch.
„Es ist also wahr! Sie hat den Weg nach Irland gefunden.“ ertönt eine Stimme von der Tür her und ich drehe mich um und sehe in das grinsende Gesicht meines ältesten Bruders.
„Jake!“ jubele ich, springe auf und er wirbelt mich im Kreis.
„Amy. Wow, Sis, du bist eine Schönheit.“ Er gibt mir einen Kuss.
„Du siehst auch ganz gut aus.“ Ich grinse ihn an.
„Ich weiß.“ sagt er selbstverliebt und ich lache.
„Hallo Amy.“ Seine Frau sieht mich lächelnd an und nimmt mich in den Arm.
„Hallo Ann! Es ist so schön euch zu sehen.“ Ich zwinkere ihr zu, denn telefonieren tun wir eigentlich regelmäßig.
„Amy! Amy!“ die beiden Jungs von Jake hüpfen um mich herum und ich nehme beide in den Arm. Schon merkwürdig, wenn ich bedenke, dass sie mich heute das erste Mal sehen.
„Na ihr Zwei?“ ich stupse Josh auf die Nase und er lacht.
Dann stürmen die beiden weiter ins Wohnzimmer zu ihrem Grandpa. Jake und Ann folgen ihnen, nachdem sie Mum begrüßt haben.
„Doc Hollywood!“ Ich stehe zwar mit dem Rücken zur Tür, aber als sich zwei starken Arme von hinten um mich schließen weiß ich, dass es Pat ist.
„Hey.“ sage ich leise und er dreht mich in seinen Armen um.
„Gott Am, die bist wunderschön.“ Er sieht mich stolz an.
„Du auch.“ Ich strubble ihm durch seine blonden Haare.
„Wow, ist das schön dich mal zu sehen.“ Kelly nimmt mich in den Arm und ich grinse. Sie hat Recht es ist wirklich schön.
Der Nachmittag wird laut und hektisch. Josh und Tyler halten uns alle auf Trab und vereinnahmen mich völlig. Erst am späten Abend verabschieden sich alle und ich muss versprechen, bei beiden vorbei zu kommen. Josh und Tyler leiern mir das Versprechen eines Spielplatzbesuches aus den Rippen und ich kann über so viel kindlichen Enthusiasmus nur lachen.
Mein Dad nimmt mich fest in den Arm und ich kuschele mich an seine Brust. Alle Männer der Brady Familie sind wahre Riesen im Gegensatz zu meiner Mum und mir.
„Ich würde dich am liebsten nie wieder gehen lassen.“ haucht er mir ins Ohr.
Ich sage nichts. Ich weiß, egal was ich jetzt sage, es verletzt ihn und ich will ihn nicht verletzen…
Als ich später im Bett liege denke ich an Logan, an seinen erst erfreuten und dann verletzten Gesichtsausdruck.
Was habe ich ihm nur angetan?
Unruhig finde ich in den Schlaf.
Zaghaft klopft es am nächsten Morgen an meiner Tür.
„Bist du schon wach?“ fragt meine Mum und ich murmele irgendetwas vor mich hin.
Sie kommt rein und setzt sich auf meine Bettkante.
„Na hast du gut geschlafen?“ sie streicht mir meinen Pony aus dem Gesicht.
„Hmm.“ nuschele ich.
„Dein Dad lässt fragen ob du ihm heute zwei Hausbesuche abnehmen kannst. Das Wartezimmer ist voll und er schafft es nicht.“ Sie sieht mich bittend an.
„Okay.“ gebe ich mich geschlagen.
Also Urlaub habe ich mir irgendwie anders vorgestellt.
Sie geht lächelnd raus und ich schlurfe in Top und Shorts ins Badezimmer. Nach einer Dusche fühle ich mich wenigstens annähernd fit. Mein Blick fällt auf meinen Wecker, als ich mir meinen weißen Pullover überziehe. 10:02 Uhr. Na ja, das kann man fast als ausschlafen bezeichnen. Ich binde mir einen lockeren Knoten im Nacken und gehe runter in die Küche. Wenn es etwas im Brady Haushalt immer gibt, dann frischen Kaffee. Ich schenke mir eine große Tasse ein und gehe über den Flur. Ich öffne die Tür zum Wartezimmer und sechs Augenpaare sehen mich erstaunt an. Meine Mum sitzt hinter der Anmeldung und grinst, als ich rein komme.
„Ich danke dir Schätzchen.“ sagt sie und ich nicke nur.
„Amelia Brady?“ eine ältere Frau steht auf und sieht mich mit großen Augen an.
„Mrs. Clark, schön sie zu sehen. Wie geht es ihnen?“ begrüße ich sie und sie lächelt.
„Ach das ist so schön dich mal wieder zu sehen.“ Sie hält meine Hand einen Moment fest.
Sie hat als ich klein war immer auf mich und meine Brüder aufgepasst, wenn Mum und Dad nach der Schule zu viel in der Praxis zu tun hatten.
Ich lächle sie an und sie nimmt wieder Platz.
„… So ich denke für heute sollte es gehen. Wenn es morgen nicht besser ist kommst du noch mal vorbei.“ Mein Dad verabschiedet gerade einen seiner Patienten.
„Guten Morgen, mein Schätzchen.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Wange.
„Mum sagt du brauchst Hilfe.“ Ich sehe ihn abwartend an.
„Ja, das wäre wirklich toll.“ Er zeiht mich hinter die Anmeldung „Hier ist meine Tasche für Hausbesuche, es ist eigentlich alles drin was du brauchst. Der Notfallkoffer liegt im Kofferraum und Mum gibt die Adressen.“ Er haucht mir einen Kuss auf die Stirn.
„Alles klar Dr. Brady.“ Ich zwinkere ihm zu.
„Das weiß ich, Dr. Brady.“ erwidert er, ich nicke lachend und sehe zu meiner Mum. „Wohin soll ich?“
„Also am Besten fährst du erst einmal zu Kevin Donalds. Hier ist die Karte, die Daten sind auch im Laptop falls du was Bestimmtes suchst. Das System ist ganz einfach, Namen eingeben und hier oben sind die Reiter…“ sie deutet auf ihren Monitor „Medikamente, Behandlungen und so weiter. Dann wäre es sicherlich am sinnvollsten, wenn du zu Molly Dermott fährst. Sie ist im 9. Monat und hat vor einer Stunde angerufen, da es ihr nicht gut geht…“ sie sieht mich abwartend an.
„Molly Dermott?“ ich sehe sie fragend an.
„Molly Cooper hat Luke Dermott geheiratet, vor 7 Jahren glaube ich. Sie bekommen ihr viertes Kind.“ Sie sieht mich lächelnd an.
„Molly Cooper? Die Molly mit der ich zur Schule gegangen bin?“ ich sehe sie immer noch fragend an.
„Ja, genau. Luke ist wie sein Vater Polizist geworden und die beiden sind ein wirklich hübsches Pärchen.“ Sie reicht mir die Akte und ich sehe sie immer noch leicht verwirrt an. Was in Herrgotts Namen hat Molly verleitet diesen widerlichen Kerl zu heiraten?
„Und dann fährst du bitte zu Nicholas O’Callaghan. Es geht ihm wohl wieder sehr schlecht. Schau dass du es ihm ein wenig erleichtern kannst.“ Sie schiebt mir auch die dritte Akte zu.
Ich nehme die kleine braune Arzttasche und die Karten und verlasse den Warteraum.
Ich gehe in die Garage und lege beides auf den Beifahrersitz des weißen Jeep Cherokee meines Dads und steige ein. Ich atme tief durch. Dann wollen wir mal.
Ich finde das Haus von Kevin Donalds schnell, ich sehe kurz in die Akte. Akute Bauchschmerzen seit gestern Abend mit Erbrechen. Dann mal los…
Ich steige aus, nehme mir die Arzttasche, mit der ich mich kurz vertraut gemacht habe, binde das Stethoskop um und klopfe an die Tür.
„Ja bitte?“ eine ältere Frau sieht mich erstaunt an.
„Hallo ich bin die Vertretung für Dr. James Brady, Dr. Amelia Brady.“ stelle ich mich vor.
„Amelia Brady?“ erstaunt sieht sie mich an.
„Ja, mein Dad hat heute in der Praxis so viel zu tun, da springe ich schnell ein.“ erkläre ich ihr und sie bittet mich herein.
Im Wohnzimmer empfängt mich ihr Mann und ich untersuche ihn kurz.
„Ich würde sagen sie haben eine Lebensmittelvergiftung.“ Ich sehe ihn an und er stöhnt auf.
„Ich gebe ihnen jetzt was gegen die Schmerzen und verschreibe ihnen was gegen die Krämpfe und das Erbrechen. Die nächsten Tage sollten sie Schonkost zu sich nehmen…“ ich sehe zu seiner Frau „Am Besten Zwieback, Tee und Suppe.“ erkläre ich ihr und sie nickt.
Ich ziehe ein Schmerzmedikament auf und verabreiche es ihm.
„Vielen Dank Dr. Brady.“ verabschiedet mich seine Frau ein paar Minuten später.
„Keine Ursache, wenn noch was ist, dann rufen sie bitte in der Praxis an.“ Ich winke ihr zu und steige ins Auto.
Ich trage alles in den Computer ein und stelle ihn dann wieder in den Fußraum, mit einem mulmigen Gefühl mache ich mich auf den Weg zu Molly Dermott. Ich kann es immer noch nicht fassen. Vor einem gepflegten Reihenhaus komme ich zum Stehen. Ich nehme mir die Arzttasche und gehe sicher die drei Stufen hoch zur Eingangtür.
„Ja bitte?“ fragt sie und ich lächle, sie hat sich kaum verändert. Na gut der Riesenbauch den sie vor sich her trägt den gab es früher nicht, aber im Gesicht hat sie sich nicht verändert, immer noch dieselben grau blauen Augen und die langen rotblonden Locken.
„Hallo ich bin die Vertretung von Dr. James Brady. Ich bin Dr. Amelia Brady.“ Ich sehe sie abwartend an.
„Amy?“ sie lacht auf und zieht mich in ihre Arme. „Das gibt es ja nicht. Komm rein.“ Sie führt mich ins Innere des Hauses.
„Hallo Amelia, ich wusste nicht das du im Land geschweige denn in der Stadt bist.“ ertönt eine Stimme und ich zucke unweigerlich zusammen. Ich sehe auf und direkt in die kalten blauen Augen von Luke Dermott.
„Ich wüsste nicht, dass man sich dafür bei der Polizei anmelden muss.“ sage ich gleichgültig.
„Wie geht es dir denn?“ Molly ist immer noch ganz aus dem Häuschen und übersieht meine Unsicherheit.
„Molly, ich komme um zu schauen wie es dir geht. Ich habe leider noch andere Patienten, aber vielleicht treffen wir uns und reden mal.“ schlage ich ihr vor und sie setzt sich auf die Couch.
„Ja klar, tut mir leid Amy.“ Sie sieht mich entschuldigend an. Ich winke ab und sehe sie abwartend an.
„Seit gestern Abend habe ich unheimlich Schmerzen auf der linken Seite, ich meine es ist ja nicht mein erstes Kind, aber das kenne ich nicht.“ erklärt sie mir.
„Leg dich bitte mal hin und mach den Bauch frei.“ weise ich sie an und knie mich vor die Couch. Ich taste sie kurz ab und sehe sie dann an.
„Das Baby liegt schon in Startposition, aber augenscheinlich drückt es auf deinen Lendenwirbel und das strahlt in die linke Seite aus. Wie lange hast du denn noch?“ ich sehe sie fragend an. Ich meine ich habe es in der Karte gelesen, aber leider weiß ich es nicht mehr.
„Noch 6 Tage. Oh man kannst du da was machen?“ sie sieht mich bittend an.
„Ich kann dir ein leichtes Schmerzmittel geben.“ beruhige ich sie und ziehe das entsprechende Medikament auf.
Dankbar setzt sie sich auf und ich gebe ihr die Spritze direkt neben den Wirbel.
„Ein paar Minuten, dann wird es besser.“ verspreche ich ihr. „Du solltest versuchen auf der Seite zu liegen und den Wirbel zu entlasten. Die Spritze wirkt heute den Tag über und ich denke heute Nacht wirst du auch Ruhe haben. Sollte es morgen nicht besser sein, rufst du an oder fährst ins Krankenhaus.“ Ich packe meine Sachen zusammen und nicke ihr zu.
„Ich bringe dich zur Tür.“ sagt Luke eisig und mir läuft ein Schauer über den Rücken.
Kaum an der Tür angekommen, sieht er mich drohend an.
„Ein Wort zu irgendjemandem und ich schwöre dir, du wirst deines Lebens nicht mehr froh.“ Er hält mich grob am Arm fest.
Ich stürze zum Auto und lasse mich schwer atmend hinters Lenkrad fallen. Mein Arm tut weh und ich reibe mir über die Stelle an der er mich angefasst hat.
Ich brauche ein paar Minuten, um mich zu beruhigen, dann nehme ich mir die letzte Karte.
Nicholas O’Callaghan, Logans Dad? Ich klappe die Karte auf und erstarre. Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Lebenserwartung 4- 6 Wochen. Steht in roter Tinte ziemlich in der Mitte. Das war vor 7 Wochen. Darunter stehen einige Medikament welche ich verabreichen kann. Mit zittrigen Händen lenke ich das Auto durch die Straßen und halte vor dem Haus der O’Callaghans. Es sieht aus wie ich es in Erinnerung hatte. Der große Baum im Vorgarten auf den ich immer geklettert bin, wenn ich heimlich bei Logan war. Ich gehe an den Kofferraum und nehme den Notfallkoffer mit, die Medikamente sind nicht in der normalen Arzttasche. Zögerlich klopfe ich.
Ein paar Minuten später sieht mich Logan überrascht an.
„Mein Dad kann es nicht einrichten. Ich vertrete ihn.“ erkläre ich ihm nach ein paar Sekunden des Schweigens.
„Komm rein, er ist oben im Schlafzimmer.“ sagt er und führt mich die Treppe hoch. Er geht zu seinem Dad und ich bleibe einen Moment in der Tür stehen.
Das Bild erschreckt mich, es ist nichts mehr von dem großen, starken Mann übrig den ich in Erinnerung hatte. Nicholas O’Callaghan hat sein ganzes Leben schwer gearbeitet und als er schon sehr früh seine Frau verlor, kümmerte er sich rührend um seinen einzigen Sohn.
Logan nickt mir zu und ich trete ans Bett.
„Hallo Mr. O’Callaghan. Ich bin Dr. Amelia Brady, ich vertrete heute meinen Dad. Ich hoffe, das ist in Ordnung für sie.“ Ich setze mich auf die Bettkante.
„Aber klar, Liebes. Aber wir waren schon mal bei Nick. Erinnerst du dich, Amy?“ flüstert er und versucht Luft in seine Lungen zu bekommen.
„Sicher doch, Nick.“ Ich nehme seine Hand in meine. Sie ist kalt und sehr schlecht durchblutet. „Soll ich dir Morphium geben?“ ich sehe ihn fragend an.
Er nickt kaum merklich, ich stehe auf und lege den Koffer auf den Boden. Ich hole die Ampulle raus und ziehe das Medikament auf. „Ich gebe dir auch etwas zum entwässern, dann kannst du besser atmen.“ Ich nehme ein weiteres Medikament raus und ziehe es ebenfalls auf.
Ich gehe zu ihm und sehe mir seinen Zugang an.
„Nick, dein Zugang ist verstopft, hast du noch einen anderen?“ ich sehe ihn fragend an.
„Dein Dad wollte ihm einen ZVK legen, wenn der Zugang wieder zugeht.“ kommt es zaghaft von der Tür her und ich sehe zu Logan.
„Ist es Okay, wenn ich es mache?“ frage ich und er nickt.
„Okay Nick, dann werde ich dir jetzt einen ZVK verpassen. Das ist aber gut dann bekommst du die Medikamente besser und sie können schneller wirken.“ erkläre ich ihm.
Ich nehme das ZVK-Set aus dem Koffer und bereite alles vor. Ich mache seine Schulter frei, dann sehe ich zu Logan.
„Logan, du müsstest bitte seinen Kopf fest halten.“ bitte ich ihn. Er kommt zu mir und ich zeige ihm, wie er den Kopf seines Dads festhalten muss.
„Ich gebe dir jetzt eine lokale Betäubung…“ erkläre ich Nicholas und suche mir die Vena jugolaris Interna am Hals. Ich finde sie schnell, denn ZVKs legen gehört in Long Beach zu meinem Alltag. „… So Nick, jetzt bitte ganz still halten.“ Ich mache einen kleinen Schnitt und führe den Katheter vorsichtig ein. Als ich mir sicher bin das alles an Ort und Stelle ist klebe ich ein durchsichtiges Pflaster drauf. „So schon fertig.“ sage ich zu ihm und Logan lässt seinen Kopf los. Ich hole die Medikamente und verabreiche sie ihm, dann entferne ich seinen Zugang in der Ellenbeuge und hänge noch eine Kochsalzlösung an der ZVK an.
„Danke Liebes.“ sagt Nicholas schwach und ich lächle ihn an.
Ich setzte mich wieder auf die Bettkante und nehme seine Hand. „Kann ich noch etwas für dich tun?“ frage ich und sehe ihn an.
„Es wird schon besser.“ Er schließt müde seine Augen.
„Okay, dann ruhe dich ein wenig aus.“ Ich drücke sanft seine Hand und packe meine Sachen zusammen.
„Ich bringe dich zum Auto.“ Logan nimmt mir den Koffer ab.
„Danke.“ Ich lehne die Tür leicht an und folge ihm nach draußen.
„Kommt dein Dad morgen? Oder kommst du?“ fragt er, als ich den Koffer im Kofferraum verstaue.
„Ich weiß es nicht, eigentlich bin ja hier um Urlaub zu machen.“ Ich grinse zaghaft.
„Danke Cone.“ sagt er fast zärtlich.
Ich will ihn so gerne in den Arm nehmen. Ich möchte ihm sagen, dass alles gut wird, aber das wird es nicht… das weiß ich, ich habe es oft genug gesehen.
„Verbring soviel Zeit wie möglich bei ihm.“ sage ich leise. Er sieht mich an und nickt leicht, eine Strähne fällt ihm ins Gesicht und ich muss mich zusammen reißen, sie ihm nicht aus der Stirn zu streichen. Er sieht so hilflos und verlassen aus, es bricht mir das Herz ihn so zu sehen…
„Bye.“ sagt er schließlich und ich steige ein.
Langsam fahre ich auf die Straße und schlage den Weg nach Hause ein.
Als ich das Wartezimmer betrete, sind alle Patienten weg.
„Mum? Dad?“ rufe ich und stelle die Arzttasche weg.
„Küche.“ kommt es von meiner Mum und ich folge ihrer Stimme.
Beide sitzen am Tisch und ich lasse mich auf einen Stuhl fallen.
„Und?“ mein Dad sieht mich an und ich lächle leicht.
„Mr. Donalds hat eine Lebensmittelvergiftung, Mollys Baby hat ihr den 2. Lendenwirbel abgeklemmt und ich habe Nick einen ZVK gelegt und ihm Morphium, Dermerol und Lasix gegeben.“ erkläre ich kurz „Ich habe alles in die Karten geschrieben und im Computer eingetragen.“
Meine Mum stellt mir einen Teller mit Suppe vor die Nase und ich sehe sie dankbar an.
„Wie geht es Nick heute?“ fragt mein Dad.
„Er ist schwach, die Atmung ist flach und seine Durchblutung ist schlecht.“ Ich stochere in meinem Essen herum. „Ich glaube er hat sich gefreut mich zu sehen.“
„Kann ich mir denken…“ mein Dad grinst „… Du warst immer seine Wunschschwiegertochter.“
„Hmm.“ Ich nehme nun doch einen Löffel meiner Suppe. „Können wir noch etwas für ihn tun?“ ich sehe zu meinem Dad.
„Leider nicht, glaub mir ich habe alles Menschenmögliche versucht. Wir können es ihm nur so angenehm wie möglich machen.“ Er nickt mir kurz zu. „Kommst du klar?“ fragt er vorsichtig.
„Ja, ich habe verschiedene Kurse in Sachen Sterbebegleitung besucht, es ist nur…“ ich breche ab.
„Was mein Schätzchen?“ mein Dad legt seine Hand auf meinen Arm.
„Es ist das erste Mal, dass ich den Patienten kenne. Es ist schwer.“ gebe ich zu.
„Ich weiß, mein Schätzchen.“ Mein Dad nimmt meine Hand und drückt sie kurz.
Am Abend schauen wir uns alte Familienvideos an und am Dienstag und Mittwoche reite ich lange aus und genehmige mir einen Einkaufsbummel, denn meine langen Sachen neigen sich dem Ende. Die Sache mit Logan und Nick nimmt mich mehr mit als ich erwartet habe und ich sitze stundenlang am Meer und sehe den Wellen zu.
Ich muss anfangen mein Leben so zu leben, dass ich nichts bereuen würde… Die Zeit ist irgendwann abgelaufen.
Ich fühle mich ein wenig angekommen und telefoniere kurz mit Sam, um ihm zu berichten. Er steht mir wie immer mit Rat und Tat zur Seite und freut sich, dass ich besser mit allem klar komme als gedacht.
„Amy, komm schnell!“ Meine Mum hämmert an meine Tür und ich stehe vor Schreck aufrecht im Bett.
„Was ist denn los?“ ich sehe sie verschlafen an.
„Logan hat angerufen, du musst schnell hinfahren. Dein Dad ist bei einem anderen Hausbesuch, bei Molly geht es los und er kann nicht weg, weil er der Belegarzt ist.“ Sie ist völlig aufgelöst und mir gefriert das Blut in den Adern. Ich schaue kurz auf meine Uhr. 5:28 Uhr. Ich ziehe mir nur einen Pullover über und laufe barfuss und in Schlafanzughose nach unten.
„Wo ist der zweite Notfallkoffer?“ frage ich hektisch und binde mir meine Haare zusammen. Ich schlüpfe in meine Turnschuhe und meine Mum drückt mir den Koffer in die Hand.
Ich sprinte zu meinem Auto und fahre zum Haus der O’Callaghans. Ich springe aus dem Auto, nehme den Notfallkoffer und Logan erwartet mich in der Tür.
„Es tut mir leid.“ sagt er fahrig, aber ich winke ab und stürme die Treppe hoch.
„Nick?“ frage ich vorsichtig.
„Er reagiert nicht.“ Logan steht neben mir.
Ich beuge mich zu Nick und versuche seinen Puls zu finden. Ich finde einen schwachen und er sieht mich müde an.
„Amy.“ haucht er.
„Hallo Nick.“ sage ich gerührt.
„Es tut weh.“ sagt er so leise, dass ich mich weiter über ihn beugen muss.
„Warte.“ Ich stehe auf und ziehe mit zittrigen Fingern Morphium auf und verabreiche es ihm.
„Besser?“ frage ich besorgt und seine Augen sehe mich gütig an.
„Das wollte ich immer.“ Seine Augen wandern von mir zu Logan. „Ich liebe dich so sehr Logan.“
„Ich liebe Dich auch, Dad. Was wolltest du?“ fragt Logan leise.
„Ihr beide.“ Er lächelt leicht, dann schließt er seine Augen und ich atme tief durch.
„Was ist passiert?“ Logans Stimme ist rau und brüchig.
Ich versuche erneut den Puls zu fühlen, ich beuge mich über ihn, um zu prüfen ob er noch atmet. Tränen schießen mir in die Augen. Ich kann mich jetzt nicht umdrehen und ihm sagen, dass sein Dad gestorben ist…
„Was ist los?“ fragt Logan erneut.
Langsam drehe ich mich zu ihm um.
„Er ist gegangen Logan.“ flüstere ich und Logan stürzt aus dem Zimmer.
Ich bleibe auf der Bettkante sitzen. Nicks kalte Hand in meiner und sehe ihn an.
„Es tut mir leid Nick.“ sage ich betreten. Ich decke ihn ordentlich zu und mache mich auf die Suche nach Logan. Ich nehme das Telefon in der Küche zur Hand und erkläre meiner Mum kurz was passiert ist und dass ich noch eine Weile hier bleibe.
Ich sehe ihn draußen im Garten auf der Bank sitzen. Ich denke nicht lange darüber nach und gehe zu ihm. Ich setze mich neben ihn und nehme seine Hand.
Er sieht mich an und ich sehe dass er weint. Sanft versuche ich seine Tränen weg zu wischen. Das erste Mal in meinem Leben sehe ich ihn weinen.
„Es tut mir so leid.“ sage ich leise.
Er sieht mich lange an und die aufgehende Sonne lässt sein Gesicht noch verlorener aussehen.
„Jetzt bin ich allein.“ sagt er und sieht zu Boden.
„Du bist nicht allein.“ flüstere ich.
Ruckartig steht er auf und läuft zurück ins Haus. Ich höre plötzlich Glas zerbrechen und wie Möbel umgeworfen werden. Panisch laufe ich ihm hinterher.
„Logan.“ Ich halte mir eine Hand vor Schreck vor den Mund. Er steht mitten im Wohnzimmer, er hat die Vitrine umgeworfen und die Glassplitter sind im ganzen Raum verteilt.
Ich gehe zu ihm und ziehe ihn von den Glasscherben weg.
Ohne nachzudenken ziehe ich ihn in meine Arme und lege meinen Kopf an seine Schulter.
„Du bist nicht allein.“ wiederhole ich.
Er sieht mich wieder an, dann beugt sich zu mir und küsst mich sanft. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl seine warmen, leicht salzigen Lippen auf meinen zu spüren. Ich schlinge meine Arme um seinen Nacken und ziehe ihn dichter an mich. Nie hätte ich erwartet jemals so zu fühlen. Logans warme Lippen auf meinen und es fühlt sich so perfekt an. Er hebt mich hoch, ich schlinge meine Beine um ihn und er geht mit großen Schritten in den hinteren Teil des Hauses. Hier hat er sich eine kleine Wohnung ausgebaut. Er lässt mich auf die Couch fallen und seine Küsse werden stürmischer und fordernder.
Ich habe nicht sehr viel Übung in solchen Dingen, aber bei ihm fällt es mir leicht mich fallen zu lassen. All die Umstände die zu dem geführt haben, verdränge ich aus meinem Kopf. Was jetzt zählt sind nur wir beide. Seine warmen Lippen die mich liebkosen, seine Hände die ungestüm den Weg zu meinen Brüsten suchen und sein rauer Atem an meinem Ohr.
Er zieht mir meinen Pullover aus unter dem ich nichts weiter als ein dünnes Top trage und auch dieses landet ein paar Sekunden später auf dem Boden. Meine Hose und mein Slip folgen den anderen Kleidungsstücken. Ich ziehe ihm stürmisch seinen Pullover über den Kopf und ziehe seine Jeans und seine Shorts runter. Atemlos sehen wir uns an.
Können wir noch aufhören?
Nein…
Obwohl ich bisher immer versucht habe körperlicher Nähe und Sex aus dem Weg zu gehen, glüht ein heißes Feuer in mir und ich weiß, nur er kann es befriedigen.
Kraftvoll dringt er in mich ein und ich kralle mich an ihm fest. Wir sind beide zügellos und ich erkenne mich kaum wieder. Nach ein paar Minuten erreichen wir beide unseren Höhepunkt und er sinkt auf mir zusammen.
Völlig außer Atem liegen wir nebeneinander auf der schmalen Couch und ich genieße das Gefühl seiner starken Arme die mich umschließen.
Schweigend halten wir uns aneinander fest. Er streicht sanft über meinen nackten Rücken und ich genieße das Prickeln auf meiner Haut. Leicht hebe ich meinen Kopf, sehe ihn an und streiche ihm seinen Pony aus dem Gesicht.
„Du bist nicht allein.“ sage ich leise.
„Amy, du bist das was ich immer wollte.“ haucht er.
„Oh Logan, es tut mir so leid.“ Ich vergrabe mein Gesicht an seiner starken Brust.
„Ich werde dich jetzt nicht fragen, warum du gegangen bist…“ er küsst meine Haare „… Es zählt nur dass du jetzt hier bist.“ sagt er sanft.
Nach ein paar Minuten stehen wir auf und ich nehme meinen Slip und ziehe ihn mir wieder an.
„Du bist perfekt.“ Logan tritt hinter mich und seine Hand gleitet über meinen Bauch.
Lächelnd drehe ich mich zu ihm um.
„Niemand ist wie du.“ Ich ziehe ihn zu mir und wir küssen uns innig.
Dann ziehen wir uns an, ich versuche Ordnung ins Wohnzimmer zu bringen und Logan telefoniert, um die Formalitäten zu klären. Ich stelle den Totenschein aus und als ein Auto in die Auffahrt fährt rechne ich fest mit meinem Dad.
Ich täusche mich nicht, ein paar Augenblicke später steht er im Wohnzimmer.
„Alles in Ordnung Schätzchen?“ fragt er vorsichtig.
„Ja.“ Ich nicke leicht.
„Ist hier alles okay?“ Luke Dermott sieht mich durchdringend an.
„Ja.“ sage ich und wieder merke ich, wie es mir kalt den Rücken runter läuft.
„Sie werden ihn gleich abholen.“ Logan kommt zu uns und ich greife instinktiv nach seiner Hand.
„Willst du nach Hause, Schätzchen?“ mein Dad sieht mich fragend an und ich schüttele den Kopf.
„Nein Dad, ich warte hier.“ sage ich und er geht nach oben, um zu sehen ob Nick zum Abtransport fertig ist.
„Es tut mir leid Logan.“ sagt Luke an ihn gewandt.
„Danke Luke.“ erwidert er, zärtlich legt sich sein Arm um meine Taille.
„Wann reist du ab?“ Luke fixiert mich kühl.
„Ich bleibe noch ein wenig.“ gebe ich ausweichend zurück.
„Gut, ich denke ihr habt alles im Griff. Ich muss wieder los, sag uns bitte Bescheid wenn die Trauerfeier ist.“ Luke nickt Logan zu und geht dann endlich.
Ich drehe mich zu Logan und er zieht mich in seine Arme.
„Danke, dass du da bist.“ haucht er mir ins Ohr und ich küsse ihn sanft.
Eine halbe Stunde später ist das Bestattungsunternehmen da. Kurz bespricht Logan alles weitere mit ihnen und kommt dann zu mir und meinem Dad.
Mein Dad beobachtet uns die ganze Zeit, verkneift sich aber jeglichen Kommentar.
„Die Trauerfeier und die Beisetzung sind am Sonntag in der St. Patricks Church.“ teilt er uns mit.
„Okay, ich muss jetzt in die Praxis, die Patienten warten schon. Kommst du auch mit?“ mein Dad sieht mich fragend an.
„Ich bleibe noch ein wenig hier.“ sage ich und sehe leicht lächelnd zu Logan.
„Nein Cone, hilf deinem Dad…“ er nimmt meine Hand „Ich habe noch so viel zu erledigen und ich muss noch unzählige Anrufe machen.“
„Aber…“ setze ich an.
„Es ist Okay, Cone. Wenn du möchtest, kannst du heute Abend vorbei kommen.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
„In Ordnung.“ Ich sehe zu meinem Dad und dann auf meine Uhr. Es ist schon kurz nach 10 Uhr und seit 8 Uhr sollte die Praxis schon geöffnet sein.
Mein Dad nimmt den Notfallkoffer und verstaut ihn in meinem Auto.
„Bis heute Abend.“ Ich beuge mich zu Logan und küsse ihn innig. Er sieht unsicher zu meinem Dad.
„Ich bin alt genug.“ Ich zwinkere ihm zu, mache mich von ihm los und will zu meinem Wagen gehen. Im letzten Moment zieht er mich zurück und küsst mich erneut.
„Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen.“ Er streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht.
Ich steige lächelnd ein und ich folge dem Wagen meines Dads nach Hause.
Kaum angekommen geht mein Dad in die Praxis und die Patienten empfangen mich schon im Flur, da das Wartezimmer überfüllt ist.
„Ich ziehe mir nur was an, dann bin ich bei dir.“ Ich
sehe zu meiner Mum und sie nickt dankbar.
Ich ziehe mir einen BH, eine Jeans und ein Shirt an, dann noch ein Paar Socken und schlüpfe in meine Turnschuhe.
„So Mum, wo brennt es?“ ich sehe meine Mum fragend an.
„Geh du doch bitte in Sprechzimmer 2, dann schicke ich dir nach und nach welche rein. Okay?“ sie sieht mich fragend an
Ich betrete das zweite Sprechzimmer meines Dads und setze mich hinter den großen aus Lärchenholz gefertigten Schreibtisch. Er benutzt dieses Zimmer selten und es ist aufgeräumt und ordentlich.
„So hier haben wir Mrs. Brown.“ Meine Mum bringt mir eine ältere Dame und legt mir verschiedene Karteikarten auf den Tisch.
Es läuft ganz gut. Die Patienten haben nichts dagegen, dass ich an Stelle meines Dads ihre Untersuchungen übernehme. Mit vielen plaudere ich noch eine Weile, denn sie kennen mich schon von Geburt an und sind begeistert, dass ich wie mein Dad den medizinischen Weg eingeschlagen habe. Um 13:30 Uhr haben wir es dann geschafft alle Patienten aufzuarbeiten und nachdem ich die Karteikarten vervollständigt und die Computerakten auf den neusten Stand gebracht habe gehe ich zu meiner Mum in die Küche.
„Jamie, was ist denn los mit dir? Du bist so still.“ Meine Mum sieht meinen Dad besorgt an und er mustert mich über den Rand seiner Brille hinweg.
„Dad.“ setze ich an.
„Was glaubst du, was du da machst?“ fragt er kopfschüttelnd.
„Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass nicht er die Schuld hatte.“ erwidere ich gereizt.
Mir war klar, dass das Thema über kurz oder lang auf den Tisch kommen würde. Es stellt ja auch alle meine bisherigen Pläne auf den Kopf…
„Um was geht es denn?“ meine Mum sieht zwischen uns hin und her.
„Deine Tochter hat sich mit dem O’Callaghan Jungen eingelassen.“ schnaubt mein Dad.
„Mit Logan?“ meine Mum sieht mich erstaunt an.
„Was heißt denn hier eingelassen?“ ich versuche ruhig zu atmen.
„Wie willst du das denn sonst nennen?“ mein Dad sieht mich drohend an.
„Was ich mache ist meine Sache.“ gebe ich gereizt zurück.
„Nein, es betrifft auch uns. Denn wenn es wieder schief geht, bist du schneller in den Staaten als ich Luft holen kann. So war es schon mal und so wird es wieder sein.“ sagt er ungehalten.
„Mein Gott Dad, es war nicht Logans Schuld…“ ich schlage mit der Hand auf den Tisch.
„Das sagst du jedes Mal.“ Er sieht mich durchdringend an.
Soll ich es ihm jetzt sagen?
Ist jetzt der geeignete Zeitpunkt?
Ich hole tief Luft. „Weil es wahr ist, Dad. Logan hat nicht die geringste Schuld. Ich habe ihm genauso weh getan, wie euch.“ Ich schlucke schwer „Dad, an dem Abend vor meiner Abreise war ich auf der College Abschlussfeier…“ ich sehe ihn an und er nickt „Auf dem Weg nach Hause hat mich Luke Dermott eingeholt. Er bot sich an mich nach Hause zu begleiten.“ Ich schließe gequält meine Augen.
„Aber Schätzchen, es ist doch nett von ihm gewesen.“ Meine Mum sieht mich verwirrt an.
Ich sehe sie an, sie werden es nicht verstehen. Sie werden mir nicht glauben…
„Ja es war nett.“ lüge ich und stehe auf.
„Aber das erklärt gar nichts.“ sagt mein Dad lauter als er wohl beabsichtigt hatte.
„Nein, das tut es wohl nicht.“ Ich gehe in den Flur und steige langsam die Treppen hoch.
Ich lege mich hin und versuche mich zu beruhigen, fast hätte ich es ihnen erzählt… aber mich hat einfach der Mut verlassen.
Irgendwann gehe ich unter die Dusche, ziehe mich um und reite eine Runde mit Lola aus. Ich muss einen klaren Kopf bekommen.
Als ich wieder nach Hause komme sehe ich ein Polizeiauto vor der Tür stehen.
Mit einem unguten Gefühl betrete ich das Haus.
„Hallo Amelia.“ sagt eine kühle Stimme „Ich wollte mich nur erkundigen, ob alles bei dir in Ordnung ist.“ Er tritt auf mich zu und ich weiche einen Schritt zurück.
„Ja, alles bestens.“ presse ich hervor und eile die Treppe hoch.
Ich wechsele meine Sachen und gehe zu meinem Auto.
„Wo willst du denn hin?“ ruft meine Mum mir nach.
„Ich fahre zu Logan, du brauchst nicht auf mich warten.“ gebe ich zurück und setze mich hinters Steuer.
Mein Herz macht einen kleinen Satz als ich die Auffahrt von Logan hoch fahre.
Ich steige aus und als ich zur Tür sehe, steht er lässig im Türrahmen gelehnt und lächelt mich an.
Mein Herz droht vor Liebe und Freude fast zu zerspringen. Wie konnte ich es auch nur einen Tag ohne ihn aushalten?
Ich schließe mein Auto ab und gehe langsam die drei Stufen hoch.
„Hallo mein Engel.“ Er küsst mich innig.
„Hey.“ erwidere ich lächelnd.
Er zieht mich ins Innere des Hauses und kaum ist die Tür hinter uns ins Schloss gefallen, beginnt er meine Halsbeuge zu küssen und ich stöhne wohlig auf. Wir vertrödeln keine Zeit indem wir ins Schlafzimmer oder Wohnzimmer gehen, er nimmt mich liebevoll und zärtlich auf dem Teppich im Flur und als ich ihn atemlos ansehe beginnt er zu lächeln.
Er steht auf und hält mir seine Hand hin.
„Was hast du vor?“ grinse ich.
„Ich möchte in jedem Zimmer im Erdgeschoss mit dir schlafen. 10 Jahre sind eine lange Zeit, Cone.“ Er zieht mich in seine Arme und bugsiert mich in die Küche. Er hebt mich leicht an und setzt mich auf den Küchentisch.
„Du bist ein Spinner.“ lache ich.
Nie im Leben hätte ich mir träumen lassen einmal so entspannt mit dem Thema Sex umzugehen, aber es fühlt sich toll an und ich kann von Logan gar nicht genug bekommen.
Irgendwann schlafe ich in seinen Armen ein und als ich am Morgen wach werde und sehe wie entspannt er schläft, da wird mir ganz warm ums Herz.
Was soll ich nur tun?
Wie soll mein Weg weiter gehen?
Logan wird wach und strahlt mich an.
„Guten Morgen mein Engel.“ Er haucht mir einen Kuss auf die Stirn.
„Guten Morgen mein Prinz.“ grinse ich, kuschele mich an seine Brust und fahre mit den Fingerspitzen über seinen Bauch.
„Kommst du heute Abend mit?“ frage ich leise. Heute Abend ist das Klassentreffen und da ich zugesagt habe, werde ich wohl oder übel hingehen müssen, aber ich will nicht ohne ihn hingehen.
Er denkt eine Weile nach.
„Ja.“ sagt er schließlich und glücklich küsse ich ihn.
Wir frühstücken gemeinsam und ich genieße seine Nähe. Gegen Mittag mache ich mich auf den Weg nach Hause, ich muss mich noch umziehen und ich denke, ich werde einer weiteren Diskussion mit meinen Eltern nicht ewig aus dem Weg gehen können.
„Holst du mich ab?“ etwas unsicher stehe ich vor Logan und er grinst.
„Aber sicher. Ich bin um 19 Uhr bei dir.“ Er gibt mir einen innigen Kuss und ich gehe wie auf Wolken zu meinem Auto.
Als ich den Wagen vor dem Haus parke, ist meine Mum auf der Veranda und winkt mir zu.
Wir haben schon seit Tagen wirklich herrliches Wetter für irische Verhältnisse. Nach dem Regen am ersten Wochenende, ist es schon die ganze Woche sonnig und relativ warm für Mai.
„Da bist du ja wieder.“ Meine Mum nimmt mich in den Arm. „Dein Dad und ich müssen mit dir reden.“ fügt sie hinzu und ich seufze.
Warum warten?
Ich folge ihr ins Wohnzimmer und sehe zu meinem Dad, der seine Zeitung studiert ehe die Nachmittagssprechstunde losgeht.
„Setz dich bitte.“ sagt meine Mum und mein Dad legt die Zeitung beiseite.
„Diese Sache mit dem O’Callaghan Jungen gefällt mir absolut nicht.“ beginnt mein Dad „Er ist ein merkwürdiger Eigenbrödler und ich will nicht, dass du dich mit ihm abgibst. Er hat dich schon einmal sehr verletzt und das will ich nicht noch einmal.“
„Dad.“ setze ich an.
„Nein, Amelia, ich schaue mir das nicht noch einmal an. Was immer damals zwischen dir und ihm vorgefallen ist, es war so schlimm, dass du in den nächsten Flieger Richtung Staaten gesprungen bist und dich 10 Jahre lang nicht hast sehen lassen.“ Er ballt seine Hände zu Fäusten.
„Dad, es ist nichts zwischen mir und Logan passiert.“ Ich merke, wie mein Herz bis zum Hals klopft „Luke war das Problem.“ sage ich leise.
„Aber Schätzchen…“ meine Mum sieht mich verwirrt an.
„Nein Mum, Logan ist der einzige Mann den ich in meinem Leben geliebt habe und den ich immer noch liebe. Ich wäre niemals weggegangen, wenn Luke nicht…“ ich breche stockend ab.
„Wenn was?“ mein Dad sieht mich durchdringend an.
„Er hat mich nicht einfach nach Hause gebracht. Okay? Er ist zudringlich geworden und hat mich im Garten des Johns Haus vergewaltigt.“ Ich schlage meine Hände vors Gesicht und einen Moment ist alles ganz still.
„Was sagst du da?“ meine Mum findet ihre Sprache wieder und ich beginne zu schluchzen.
„Er hat mich angefasst, ich habe mich gewehrt. Dann hat er mich in die Büsche gezogen meinen Rock und meine Bluse zerrissen und hat mich vergewaltigt.“ erzähle ich stockend „Ich fühlte mich so schmutzig und ich hatte solche Angst. Wer hätte mir denn schon geglaubt? Der Sohn des Polizeichefs macht so etwas nicht.“ Ich schüttele leicht meinen Kopf. „Ich musste weg. Logan hat keine Schuld, er hat mich damals schon geliebt und ich habe ihn genauso wie euch vor den Kopf gestoßen.“
Mein Dad sieht mich fassungslos an. „Ich habe dem Jungen unrecht getan.“ sagt er leise.
Meine Mum nimmt mich in den Arm.
„Und jetzt Schätzchen?“ sie wiegt mich beruhigend.
„Du zeigst ihn an.“ sagt mein Dad sicher.
„Dad, sie Sache ist verjährt und ich will das nicht. Er hat mir gedroht, wenn ich meinen Mund aufmache, werde ich sehen was ich davon habe.“ erkläre ich ihm.
„Wenn er dir noch einmal zu Nahe kommt, dann schwöre ich…“ wieder ballte er seine Hände zu Fäusten.
„Dad, er ist es nicht wert.“ Ich lege meine Hand auf seinen Unterarm.
„Und was ist mit dir und Logan? Ich meine du willst doch wieder in die Staaten oder nicht?“ meine Mum sieht mich prüfend an.
„Ja, ich denke schon. Ich weiß es nicht…“ ich sehe sie ratlos an. „Ich weiß nur, dass mein Herz bei keinem anderen so schnell schlägt und dass ich bei ihm körperliche Nähe zulassen kann.“
„Kommt Zeit, kommt Rat.“ Meine Mum gibt mir einen Kuss.
„Wenn dich jemals wieder etwas so sehr bedrückt, dann musst du es mir sagen Amy.“ Mein Dad kommt zu mir und zieht mich hoch und in seine Arme.
„Daddy, ich war 18 und völlig verwirrt.“ gebe ich zu „Aber wenn jemals wieder etwas sein sollte, dann komme ich als allererstes zu dir.“ Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
Ich weiß, dass für meine Eltern die Geschichte noch lange nicht abgehakt ist, aber im Moment schwirren mir tausend Gedanken durch den Kopf. Das erste Mal in meinem Leben habe ich über all das, was in jener Nacht geschehen ist gesprochen und es gibt mir nicht die Erleichterung die ich mir erhofft hatte. Es ist immer noch alles so verwirrend. Ich sehe auf die Uhr und beschließe Sam anzurufen.
Auch ihm erzähle ich alles und er ist milde gesagt geschockt. Nun versteht er mein Verhalten Männern gegenüber und auch meine Unsicherheit im Umgang mit Sex. Das war damals ein Grund, warum es bei uns Beiden nicht funktioniert hat. Ich erzähle ihm auch von Logan und meinen Gefühlen für ihn, aber auch er kann mir nicht sagen, was ich machen soll…
Gegen 17 Uhr gehe ich duschen und mache mich langsam fertig. Ich stecke meine Haare locker hoch und beschließe nun doch ein anderes Kleid anzuziehen. Das Etuikleid wäre zu fein für den Anlass. Ich entscheide mich für eine enge dunkelblaue Jeans, ein weiße Bluse und einen schwarzen Pullunder. Ich trödele tatsächlich fast 2 Stunden herum und als es klingelt stürme ich zur Tür. Ich grinse, er trägt eine schwarze Anzughose, ein weißes Hemd und einen dunkelgrauen Pullover mit V-Ausschnitt. Sein Haar hat er sich soweit wie möglich aus dem Gesicht gekämmt und er sieht so verdammt gut aus.
„Hi.“ sage ich fast schüchtern und beuge mich zu ihm, um ihm einen Kuss zu geben.
„Hallo Logan.“ sagt mein Dad hinter mir und ich merke wie er sich anspannt.
„Dr. Brady.“ Er nickt ihm höflich zu.
„Logan, ich muss mich bei dir entschuldigen.“ Mein Dad reicht ihm seine Hand „Ich hätte dir nicht die Schuld an Amys Weggang geben dürfen. Ich nicht und Jacob und Patrick auch nicht. Es tut mir leid.“
Logan nimmt die angebotene Hand und nickt leicht.
„Was haben denn Jake und Pat damit zu tun?“ ich sehe fragend zu meinem Dad.
„Weißt du…“ setzt mein Dad an.
„Ach Cone, das ist schon so lange her.“ winkt Logan ab. „Komm lass uns gehen.“ Er bietet mir seinen Arm an und hilft mir in meinen dünnen Mantel. Ich ziehe meine Pumps an und dann stehen wir auf der Veranda.
Skeptisch sehe ich ihn an.
„Was ist los Cone?“ er grinst leicht.
„Was haben Jake und Pat mit der Sache zu tun?“ ich nehme seine Hand.
„Hör zu Engel, das ist lange her und vorbei.“ Er drückt mir einen Kuss auf und führt mich zum Auto. „Frag jetzt bitte nicht weiter.“ Er hilft mir beim einsteigen und wir fahren zu unserer alten Schule.
Als wir aussteigen, nimmt er meine Hand und wir gehen in Richtung Turnhalle. Ich kann es kaum glauben, dass ich nach so langer Zeit wieder hier bin.
Dann stehen wir vor einem Tisch.
„Hallo, darf ich eure Namen wissen?“ Piper, eine unserer früheren Mitschülerin sieht mich fragend an. Gott, ich habe sie schon in der Schule gehasst und als mir ihre Stimme in Mark und Bein fährt, ändert sich das nicht gerade.
„Dr. Amelia Brady.“ sage ich und warte auf ihre Reaktion.
„Amelia?“ sie sieht mich fragend an.
„Ja.“ sage ich nur. Sie schreibt meinen Namen auf einen Aufkleber und reicht ihn mir.
„Logan O’Callaghan.“ sagt Logan und sie sieht ihn abschätzig an.
Wir befestigen unsere Aufkleber und geben unsere Jacken ab. Es sind schon viele da und ich sehe mich um während ich mich an Logan festhalte.
„Komisch hier zu sein.“ flüstert er mir ins Ohr.
„Hmm.“ nicke ich bestätigend.
„Möchtest du gerne was trinken?“ er sieht mich fragend an und ich nicke leicht.
Er geht und kommt einen Augenblick später mit einem Wein zurück.
„Ich hoffe Rotwein ist in Ordnung.“ Er reicht mir das Glas.
„Vielen Dank, es ist perfekt.“ sage ich und nehme einen Schluck. Ich spüre so viele Blicke auf mir und fühle mich unwohl in meiner Haut.
„Sie werden sich gleich auf dich stürzen wie Löwen auf Frischfleisch.“ sagt Logan und grinst.
„Oh bitte nicht.“ Ich nehme einen weiteren Schluck.
„Ich versuche dich zu beschützen.“ bietet er sich an.
„Du bist der Beste, ich werde mich erkenntlich zeigen.“ Ich zwinkere ihm zu und er lacht leise.
„Oh Amy Brady, du bringst mich um den Verstand.“
Dann tritt Jenny auf mich zu, also sie hat sich wirklich nicht verändert. Es scheint als wäre bei ihr die Zeit stehen geblieben. Wir haben uns in der Schule sehr gut verstanden und auch auf dem College waren wir sehr gute Freundinnen.
„Amelia Brady! Ich fasse es nicht!“ sie nimmt mich überschwänglich in den Arm.
„Jenny Clark!“ ich grinse.
„Wow, also ich hätte dich ja fast nicht erkannt.“ Sie sieht mich anerkennend an.
„Wie geht es dir?“ ich sehe sie gespannt an.
„Super, ich habe Cooper geheiratet und wir haben zwei wunderbare Töchter.“ Sie strahlt.
„Wow, dann heißt du jetzt wohl nicht mehr Jenny Clark.“ Ich zwinkere ihr zu.
„Nein ich heiße seit 5 Jahren Jenny Evans.“ lacht sie. „Und du?“
„Ich heiße immer noch Brady. Allerdings Dr. med. Amelia Brady.“ erwidere ich grinsend.
„Wow, du bist tatsächlich Ärztin.“ Sie sieht mich anerkennend an.
„Ja.“ lächle ich.
„O’Callaghan!“ Cooper, Jennys Mann taucht bei uns auf und die beiden begrüßen sich freundschaftlich.
Jenny zieht mich ein Stück von den Beiden weg.
„Und wie hast du es bitte geschafft das O’Callaghan hier auftaucht?“ sie sieht mich prüfend an.
„Wie meinst du das?“ frage ich verwirrt.
„Na ja ihr seid doch zusammen hier, oder?“ sie ist erstaunt.
„Ja sind wir.“ Ich sehe sie an.
„Na ja es ist nämlich so, seitdem du damals weg warst, ist er ein wenig eigenbrötlerisch… Pat hat ihn ziemlich vermöbelt und er meidet den Kontakt zu anderen irgendwie. Klar sieht man ihn im Laden, aber ansonsten? Nein.“ Sie beugt sich zu mir „Ich finde ihn unheimlich.“
„Aber er und Cooper scheinen sich doch gut zu verstehen.“ Nun bin ich erstaunt und deute auf die beiden die sich lachend unterhalten.
„Ja, aber sie sehen sich meistens nur geschäftlich.“ Sie zuckt mit den Schultern.
„Na wenn das nicht unsere kleine Dr. Brady ist.“ ertönt eine Stimme neben uns und ich zucke zusammen und eine Gänsehaut läuft über meinen Rücken.
„Verschwinde, Luke.“ zische ich.
„Aber, aber Dr. Brady.“ Er lacht hämisch, augenscheinlich hat er schon mehr getrunken als wir anderen. Meine Güte es ist gerade mal 22 Uhr.
„Ich sagte, verschwinde.“ sage ich bedrohlich und merke wie ich blass werde.
Ich hätte nicht her kommen dürfen…
Ich kann das nicht…
Ich will mich gerade umdrehen und raus gehen, als eine Hand sich um meine Hüfte legt.
„Ganz ruhig Cone.“ flüstert Logan und ich atme tief ein. „Komm wir tanzen.“ Er zieht mich mit sich und ich finde mich ein paar Augenblicke später auf der Tanzfläche wieder.
„So kenne ich dich ja gar nicht.“ sagt Logan leise und ich sehe auf.
„Du kennst so viel von mir nicht Logan.“ sage ich leise.
„Dann werde ich es kennen lernen.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn und dann einen kleinen auf die Lippen. Das Getuschel um uns herum zeigt mir, dass wir es geschafft haben das Gesprächsthema Nummer eins zu werden.
Er lächelt mich an und wir tanzen noch eine Weile.
Nach dem Tanz holt er mir einen neuen Wein, mein siebtes oder achtes Glas an diesem Abend und wir stehen wie zwei Aussätzige abseits der anderen.
„Wollen wir gehen?“ fragt er und zwinkert mir zu.
„Ja bitte.“ antworte ich erleichtert.
Ich bin froh als wir endlich draußen sind und atme tief durch. Er umarmt mich von hinten und ich lege meinen Kopf an seine Schulter.
„Kommst du mit zu mir?“ fragt er zögerlich.
„Sicher.“ Ich drehe mich zu ihm herum, lege meine Hände in seinen Nacken und küsse ihn zärtlich.
Er nimmt meine Hand und wir laufen eine ganze Weile schweigend nebeneinander her.
Wir erreichen den kleinen Platz vor dem Rathaus und ich sehe mir den Brunnen an… ein Wunschbrunnen und will gar nicht wissen wie vieler Quarter von mir da drinnen liegen.
Ich setze mich auf den Rand und lasse meine Hand durchs Wasser gleiten.
„Cone?“ fragt Logan vorsichtig und ich sehe auf. „Ich liebe Dich, ich liebe dich mit jedem Tag mehr.“ gesteht er.
„Ich liebe dich doch auch, Logan.“ sage ich fast verzweifelt.
„Sag mir warum du gegangen bist.“ bittet er mich.
„Es ist…“ ich breche ab und sehe zu Boden, ich merke wie eine Träne über meine Wange läuft.
„Bitte Cone.“ sagt Logan und nun klingt er verzweifelt.
„Logan…“ ich merke wie meine Schultern zucken.
Er setzt sich neben mich und nimmt mich in den Arm.
„Nach der Party bin ich allein nach Hause gegangen, am Johns House hat mich Luke eingeholt…“ ich schluchze auf „… Er hat mich in ein Gebüsch gezerrt, er hat meine Bluse zerrissen und er… er hat mich vergewaltigt.“ Ich vergrabe mein Gesicht an seiner Brust.
„Was?“ fragt er ungläubig.
„Ich bin dann nach Hause gelaufen. Ich fühlte mich so schmutzig und wollte dir nie wieder unter die Augen treten. Er hat alles zerstört.“ Ich weine bittere Tränen.
Wie wäre mein Leben gelaufen wenn das nicht passiert wäre?
„Cone, du hättest es mir sagen müssen.“ sagt er bestürzt.
„Aber ich fühlte mich so schmutzig und gedemütigt.“ Ich sehe auf, im Schein der Laternen kann ich sein Gesicht nicht richtig erkennen.
Er beugt sich zu mir und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. „Ich habe gedacht, du bist wegen mir gegangen.“ sagt er leise.
„Ich habe dich immer geliebt Logan und als du mir gesagt hast, dass du dich auch in mich verliebt hast, da dachte ich, ich wäre am Ziel aller meiner Träume. Aber nachdem Luke… Logan er hat mich zerstört.“ flüstere ich.
„Du musst ihn anzeigen.“ Er drückt mich an sich.
„Das Thema hatte ich heute schon mit meinem Dad, es ist verjährt.“ sage ich bitter „Ich habe damals nicht die Kraft gehabt, ich habe mich in mein Studium gestürzt, ich habe alles versucht um den Schmerz zu betäuben.“ Ich schluchze erneut auf „Ich habe bis vor zwei Tagen nie wieder mit einem Mann geschlafen. Nur du schaffst es, dass ich mich sicher fühle.“ Ich sehe ihn liebevoll an.
„Ich habe mir solche Vorwürfe gemacht. Ich kam einfach nicht klar, als du weg warst. Ich habe nichts mehr mit meinen Freunden gemacht, ich habe in Ballina Betriebswirtschaft studiert und als ich wieder her kam, habe ich das Geschäft mit meinem Dad zusammen geführt. Ich habe mich unzählige Nächte lang gefragt, wo du wohl bist und wie es dir geht.“ Logan hält mich in seinen starken Armen.
„Und dann hat dich ja auch noch Pat verprügelt.“ Ich wische meine Tränen beiseite und sehe ihn an. Sein Blick ist fragend.
„Jenny.“ sage ich leise und er schnauft belustigt.
„Hätte ich mir denken können.“ gibt er zu. „Bitte Cone, verlass mich nie wieder.“ bittet er mich leise.
Wieder sehe ich auf und ich erkenne seine Augen, sie sehen mich so voller Liebe und Verzweiflung an.
„Ich liebe dich so sehr Logan.“ wimmere ich.
„Ich liebe dich auch, meine kleine Cone.“ sagt er leise.
Ich kann ihm nicht sagen, dass ich nicht gehen werde, zu viel hängt an meinem Leben in Long Beach… Aber ich weiß ich muss mich irgendwann zwischen Irland und den Staaten entscheiden. Aber noch bin ich nicht bereit dazu.
Wir gehen Arm in Arm zu seinem Haus und als die Tür hinter uns ins Schloss fällt, zieht er mich in seine Arme.
Er küsst mich unablässig und ich habe das Gefühl in seinen Armen zu schmelzen. Er verwöhnt mich und ist so zärtlich wie nie zuvor. Den Samstag reiten wir zusammen aus und grillen Marshmallows in Kamin. Wir lieben uns wenn wir Lust darauf haben, nehmen zusammen ein Bad in der viel zu kleinen Badewanne und schlafen irgendwann bei einem alten Film ein.
Am Sonntagmorgen werde ich sehr früh wach und muss feststellen, dass ich alleine in seinem großen Bett liege. Ich angle mir sein Hemd vom Boden und ziehe es mir schnell über. Ich höre Geräusche aus der oberen Etage und taste mich im Dunklen die Treppe hoch. Ein Lichtstrahl fällt aus Nicks altem Zimmer in den Flur und langsam öffne ich die Tür einen Spalt. Logan steht vor dem Kleiderschrank und hinter ihm auf dem Bett türmen sich Anzüge, Hemden, Krawatten und allerlei andere Kleidungsstücke. Logan sieht verzweifelt hin und her.
„Was machst du denn hier?“ frage ich leise und gehe ins Zimmer.
„Ich weiß einfach nicht, was ich zur Beerdigung anziehen soll.“ Er fährt sich durch die Haare.
„Ich habe dir unten schon einen schwarzen Anzug rausgelegt, am Mittwoch habe ich dir noch ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte besorgt.“ sage ich ganz ruhig.
Als ich am Mittwoch los war, um mir ein Kleid für die Beerdigung zu kaufen, hatte ich mir schon gedacht, dass Logan sich bis zum heutigen Morgen keine Gedanken machen würde.
„Aber warum?“ mit Tränen in den Augen sieht er mich an.
„Weil ich dich kenne, Logan O’Callaghan.“ Ich ziehe ihn in meine Arme und merke dass er weint.
„Mein Dad ist wirklich tot, oder?“ fragt er verzweifelt.
„Ja, Logan.“ Ich nehme sein Gesicht in meine Hände „Es geht ihm besser da wo er jetzt ist.“ sage ich sicher. „Ich stelle mir vor, dass er wieder der alte Nick O’Callaghan ist und dem lieben Gott versucht eine Schachtel Dübel und einen Hammer zu verkaufen.“ Ich grinse und ein Lächeln stiehlt sich auf Logans Gesicht.
„Du bist unglaublich, Amelia Brady.“ Er gibt mir einen Kuss.
„Kommst du noch mit ins Bett?“ ich grinse ihn verführerisch an „Es ist 4:30 Uhr und wir können noch gerne zwei, drei Stunden schlafen.“ Ich öffne den obersten Knopf an meinem Hemd.
„Schlafen?“ er zieht eine Augenbraue hoch.
„Was denkst du denn?“ ich öffne einen weiteren Knopf.
„Hmm, mir fällt da noch was anderes ein.“ Er zieht mich am Kragen des Hemdes zu sich und küsst mich verlangend.
Er nimmt mich hoch und trägt mich vorsichtig die Treppe runter.
Tatsächlich schaffen wir es noch eine Stunde Schlaf zu bekommen, wir essen eine Kleinigkeit und dann ziehen wir uns um. In weiser Voraussicht habe ich mein Kleid bei ihm gelassen. Ich mache mir einen festen Knoten in meine Haare und ziehe meine schwarzen Pumps zu dem knielangen, schwarzen Kleid an.
Logan kommt von oben und versucht sich den Krawattenknoten zu binden.
„Komm mal her.“ Ich gehe zu ihm und binde ihm einen Knoten. „Hast du deine Ansprache fertig?“ ich sehe ihn an und er nickt leicht. Dann steigen wir in seinen dunkelblauen Jeep und fahren zur Kirche.
Jake und Pat mit Kelly und Ann sind auch da, sie umarmen mich kurz und dann reicht Pat Logan die Hand.
„Tut mir leid.“ sagt er und Logan weiß, dass es nicht nur um seinen Dad geht.
Die Trauerfeier ist sehr schön und Logan erhebt sich neben mir und geht zum Rednerpult.
„Ich danke euch, dass ihr alle so zahlreich erschienen seid, um euch von meinem Dad zu verabschieden…“ er räuspert sich kurz „…Jeder von euch kannte meinen Dad, er ist mit euch zur Schule gegangen, ihr habt euren ersten Hammer bei ihm gekauft oder er war einfach nur ein guter Freund. Als Dad hat er alles Richtig gemacht. Als meine Mum viel zu früh starb, schaffte er es das Geschäft und die Erziehung eines sechsjährigen unter einen Hut zu bekommen. Mir hat es niemals an etwas gefehlt und dafür danke ich ihm. Eine sehr wichtige Person in meinem Leben hat mir gesagt, sie stellt ihn sich jetzt gern als den alten Nick O’Callaghan vor der dem lieben Gott eine Schachtel Dübel und einen Hammer verkaufen will. Ja das kann sein, aber das Wichtigste ist, er ist wieder mit meiner Mum vereint. Ich liebe Euch Mum und Dad.“ Er nickt kurz in die Runde und setzt sich wieder zu mir. Ich nehme seine Hand in meine und drücke sie sanft.
Dann wird der Sarg nach draußen getragen und Logan trägt ihn vorne links. Als wir am Grab ankommen, stellt er sich neben mich und der Pastor hält eine kurze, ergreifende Grabrede, eigentlich ist schon alles auf der Trauerfeier gesagt worden also fällt sie sehr kurz aus.
Wir beten alle zusammen das Vaterunser und dann wird der Sarg hinab gelassen. Logan muss die unzähligen Beileidsbekundungen über sich ergehen lassen und ich stehe hinter ihm und nicke freundlich.
„Mein herzlichstes Beileid.“ Luke tritt an Logan heran.
Dieser ignoriert ihn und ich sehe noch wie er die Hände zu Fäusten ballt, aber da ist es auch schon zu spät. Er trifft Luke mit voller Wucht und er geht zu Boden.
„Was fällt dir ein.“ Luke rappelt sich auf.
„Sprich nie wieder auch nur ein einziges Wort mit mir oder mit ihr. Ansonsten kannst du dir sicher sein, erzähle ich allen von deinem kleinen schmutzigen Geheimnis.“ Drohend sieht Logan ihn an.
Luke sieht Hilfe suchend zu Jake und Pat, die neben mir stehen, doch beide schütteln den Kopf.
„Glaub mir Luke, wenn Logan dir nicht eine rein gehauen hätte, einer von uns hätte es mit Sicherheit getan.“ Pat sieht ihn abschätzig an.
„Euch wird sowieso keiner glauben.“ schnauft er und ich atme tief durch.
„Willst du es drauf ankommen lassen, Luke Dermott? Willst du deine Familie entscheiden lassen, wem sie glauben?“ ich sehe ihn verächtlich an.
Er dreht sich um und stürmt davon. Ich greife erneut nach Logans Hand und er sieht mich an.
Nachdem ihm alle ihr Beileid ausgesprochen haben, gehen wir zum Auto.
„Logan möchtest du zu uns zum Essen kommen?“ meine Mum sieht ihn fragend an.
„Nein danke.“ Er sieht sie unsicher an.
„Komm schon Logan, Mum kocht immer für eine ganze Fußballmannschaft.“ Jake grinst Logan an und er nickt zögerlich.
„Ich möchte mich aber noch kurz umziehen.“ Er sieht an sich hinunter.
„Kein Problem.“ Mein Dad schlägt ihm freundschaftlich auf die Schulter.
Ich setze mich auf den Beifahrersitz und Logan steigt ein.
„Es tut ihnen leid, sie versuchen es nur wieder gut zu machen.“ sage ich und er sieht mich an.
„Ich weiß, aber es ist ungewohnt für mich.“ Er zuckt mit den Schultern und wir fahren zu ihm.
Ich gehe ins Schlafzimmer und ziehe das Kleid aus, ich schlüpfe in eine bequeme Jeans und in ein dünnes Shirt. Ich gehe nach oben, um zu schauen wo Logan bleibt. Nach einigem Suchen finde ich ihn im Krankenzimmer seines Dads. Alle medizinischen Geräte wurden abgeholt und jetzt stehen nur noch ein einzelnes Bett und der große Kleiderschrank im Raum. Er sitzt auf dem Bett und schaut nach draußen. Ich sehe dass er weint. Leise trete ich ein und setze mich neben ihn.
„Wie soll es jetzt nur weiter gehen?“ er sieht mich mit seinen türkisenen Augen an und ich nehme seine Hände in meine.
„Wir packen das schon.“ sage ich sicher und wünsche mir, ich würde mich auch so sicher fühlen wie ich klinge.
„Aber ich kann nicht die Pferde versorgen, den Laden schmeißen, die Buchhaltung machen, mich um das Haus kümmern, renovieren und im Laden verkaufen.“ Er sieht mich zweifelnd an.
„Weißt du was? Die Pferde können auch bei uns untergestellt werden, wir haben noch drei leere Boxen und wir haben jeden Tag für 3 Stunden jemanden da, der sich um die Pferde kümmert. Für den Laden musst du dich nach einem Verkäufer umsehen, du kannst nicht alles allein machen und wegen einer Renovierung sprechen wir mit Cooper.“ Ich lege meine Hand auf seine Wange.
„Danke Cone.“ Er zieht mich in seine Arme.
Ich lasse ihn einfach eine Weile weinen. Ich weiß, dass er das jetzt braucht. Ich möchte mir gar nicht vorstellen wie es mir in einer solchen Situation gehen würde.
Als er sich beruhigt hat, zieht er sich ebenfalls um und wir fahren zu meinen Eltern.
Mein Dad hat den Grill im Garten angeschmissen und Josh und Tyler laufen übermütig umher. Jake und Pat sitzen am Tisch und diskutieren über irgendetwas. Kelly, Ann und Mum decken den Tisch. Ich greife nach Logans Hand und er lächelt mich leicht an.
„Was ein Irrenhaus.“ grinse ich.
„Amy!“ Tyler kommt zu mir gelaufen und ich nehme ihn auf den Arm.
„Wer bist denn du?“ er sieht fragend zu Logan.
„Hallo Tyler, ich bin Logan.“ sagt er und Tyler sieht ihn prüfend an.
„Kannst du Fußball spielen?“ ich setzte Tyler ab und er sieht abwartend zu Logan.
„Ja, ich denke schon.“ Logan geht vor ihm in die Hocke.
„Super! ...“ er nimmt Logans Hand und zieht ihn zu Jake und Pat „Daddy, Logan kann auch Fußball spielen. Spielen wir eine Runde? Bitte? Bitte!“ Tyler hüpft vor seinem Dad herum.
„Hast du Lust?“ Jake sieht zu Logan.
„Klar.“ erlächelt leicht.
„Dad! Josh!“ ruft er die beiden männlichen Mitglieder der Brady-Familie die noch nicht am Tisch sind.
Unter lauten Jubel stürmen sie alle auf die Koppel und ich kann ihnen nur lachend hinterher sehen.
„Scheint als hätten es Ty und Josh mal wieder geschafft jemanden um den Fingen zu wickeln.“ Ann grinst mich an.
„Ja, scheint so.“ ich sehe zur Koppel, wo alle durcheinander laufen und lachend dem Ball hinterher jagen. Es ist schön Logan so entspannt zu sehen, er lacht und hält gerade Tyler fest und beide fallen ins Gras.
„Du bist in ihn verliebt, oder?“ Kelly tritt neben mich und ich sehe sie erstaunt an.
„Ja…“ sage ich schließlich „Ich bin in ihn verliebt seit ich 12 bin.“
„So, da die Männer jetzt Fußball spielen, muss ich mich wohl um den Grill kümmern.“ Meine Mum zwinkert uns zu und geht mit einer Platte voller Fleisch und Würstchen zum Grill.
„Was hast du jetzt eigentlich vor?“ Ann setzt sich und ich folge ihrem Beispiel.
„Ich weiß es nicht, ich weiß es einfach nicht.“ Ich sehe sie bittend um eine Antwort an.
„Amy, das musst du schon alleine entscheiden.“ Kelly setzt sich zu uns.
„Ich liebe ihn, ich meine ich liebe ihn wirklich sehr…“ ich seufze „… Aber ich habe mein Leben in den Staaten. Ich kann doch nicht alles hin schmeißen, was ich mir aufgebaut habe.“
„Amy, du musst spätestens in einer Woche eine Entscheidung fällen und du musst mit ihr leben. Nicht ich und nicht Ann.“ Kelly nimmt meine Hand.
Gott warum müssen die denn so vernünftig sein? Helft mir doch bitte! Nehmt mir die Entscheidung ab!
Doch ich weiß sie werden es nicht tun, ich muss diese Entscheidung allein treffen…
„Essen!“ ruft meine Mum laut und die Männer stürmen von der Koppel auf uns zu. Logan kommt zu mir und wirbelt mich im Kreis.
„Lass mich sofort runter.“ lache ich.
„Was bekomme ich dafür?“ er sieht mich grinsend an.
„Einen Kuss?“ ich ziehe eine Augenbraue hoch.
„Okay.“ Er setzt mich ab und ich beuge mich zu ihm.
Langsam berühren sich unsere Lippen und ich lege meine Arme um seine Hüften während er mit beiden Händen mein Gesicht hält.
„Auseinander! Hier sind Kinder am Tisch.“ unterbricht uns Jake.
Ich lasse Logan los und wir grinsen uns an. Wir setzen uns und das Essen ist turbulent, laut und chaotisch.
Kaum dass die Jungs aufgegessen haben, wollen sie weiter beschäftigt werden und Logan lässt sich überreden gemeinsam mit Jake und Pat mit den Jungs auszureiten.
Mein Dad sieht mich prüfend an.
„Dad?“ ich sehe auf und er nimmt meine Hand.
„Was ist los Schätzchen?“
„Meinst du ihr könnt die drei Pferde von Logan bei euch mit unterstellen? Er schafft es nicht, sich um alles auf einmal zu kümmern.“ Ich sehe ihn bittend an.
„Sicher, sag mir wann ich sie abholen soll. Für Pete ist es egal ob er sich um 11 oder 14 Pferde kümmert.“ Er lächelt.
Dann sehe ich zu Kelly und Ann. „Mädels kennt ihr zufällig jemanden der Verkäufer oder Verkäuferin ist? Logan braucht eine Verkäuferin, ich denke so 25 bis 30 Stunden die Woche.“
„Jenny Evans, die Frau von Cooper ist doch Verkäuferin. Sie hat in der Bäckerei gearbeitet bis die Mädchen geboren wurden und da beide jetzt im Kindergarten sind...“ Ann sieht mich an und ich nicke.
„Ich rufe sie mal eben an.“ Ich stehe auf und gehe in die Küche, bei der Gelegenheit kann ich vielleicht gleich mit Cooper wegen der Renovierung sprechen.
Ich suche mir die Telefonnummer aus der Patientenakte und wähle die Nummer.
„Evans.“ meldet sich Jenny.
„Hey Jen, hier ist Amy.“ erwidere ich fröhlich.
„Hallo Amy, es ist schön dich zu hören. Wie geht es Logan?“ erkundigt sie sich besorgt.
„Ihm geht es gut, Josh und Ty haben ihn zusammen mit Pat und Jake in Beschlag genommen.“ erkläre ich lächelnd.
„Das ist gut.“ pflichtet sie mir bei.
„Weswegen ich eigentlich anrufe. Ann meint du suchst eventuell einen Job.“ setze ich an.
„Ja, da die Mädchen jetzt im Kindergarten sind suche ich eine Teilzeitstelle als Verkäuferin. Wieso?“ fragt sie gespannt.
„Logan braucht für den Laden eine Verkäuferin und ich wollte fragen, ob du Interesse hast.“ sage ich und halte die Luft an.
„Aber sicher, das wäre ideal. Aber ich kann immer nur bis 14 Uhr.“ wirft sie ein.
„Kein Problem, es geht nur darum das er sich am Vormittag um die Buchhaltung kümmern kann.“ erkläre ich ihr.
„Super, wann soll ich anfangen?“ lacht sie.
„In der nächsten Woche bleibt der Laden noch zu, komm doch einfach am übernächsten Montag zu ihm in den Laden, da klärt ihr dann alles.“ schlage ich vor.
„Das klingt super. Du sag mal du und Logan…“ sie druckst herum „Ich meine seid ihr ein Paar?“
„Ich denke ja.“ gebe ich zu.
„Du denkst?“ lacht sie.
„Ach Jen, ich weiß nicht was ich tun soll. Mein Rückflug geht am Sonntagmorgen von Dublin aus zurück in die Staaten.“ sage ich und seufze.
„Scheint als müsstest du über kurz oder lang eine Entscheidung treffen.“ sagt sie und ich seufze.
„Ja das muss ich wohl.“ stimme ich ihr zu „Wo ich dich gerade am Apparat habe, hat Cooper zurzeit viele Aufträge?“
„Nein, im Moment ist es eher ruhig. Wieso?“ sie klingt verunsichert.
„Das Haus von Logan braucht eine Renovierung, wegen der Krankheit und allem was daran hing, ist sehr viel liegen geblieben. Ich denke mit dem Erbe will Logan das Haus komplett sanieren und renovieren.“ erkläre ich ihr.
„Cooper meldet sich bei ihm, ich denke die beiden werden sich schon einig werden.“ verspricht sie mir.
„Ich danke dir, Jen. Ich melde mich noch mal bei dir, vielleicht gehen wir mal einen Kaffee trinken oder so.“ schlage ich vor.
„Ich würde mich echt freuen. Bye Amy.“ verabschiedet sie sich.
„Bye Jen.“ erwidere ich und lege erleichtert auf.
Ich will, dass es Logan gut geht wenn ich zurück muss.
Muss ich zurück?
Ich denke ja….
Ich gehe wieder nach draußen und setze mich zu Ann und Kelly.
„Und?“ Ann sieht mich gespannt an.
„Ich denke es klappt.“ sage ich lächelnd.
Als die Männer zurück kommen, sitzen wir noch bis spät in der Nacht zusammen und ich genieße es, meine Familie und Logan um mich zu haben. Ich habe mich entschieden ihm erst einmal noch nichts von meinen Neuigkeiten zu sagen.
In der folgenden Woche helfe ich jeden Tag am Vormittag bei meinem Dad in der Praxis aus und dann holt mich Logan ab und wir verbringen die Nachmittage bei langen Spaziergängen, bei Ausritten oder wir machen es uns bei ihm gemütlich.
Ich habe mich immer noch nicht wirklich entschieden was ich tun soll…
Eigentlich sollte es doch so einfach sein, ich sollte auf mein Herz hören, aber es fällt mir schwer… In Long Beach warten Sam, Allan und Lucy und mein wirklich gut bezahlter Job als Oberärztin.
Als mich Logan am Freitag abholt, habe ich eine Überraschung für ihn. Ich falle ihm um den Hals, als er das Haus betritt.
„Also so kannst du mich jeden Tag begrüßen.“ Er gibt mir einen Kuss.
„Komm mit.“ Ich ziehe ihn hinter mir her nach draußen und bugsiere ihn in mein Auto.
„Was hast du vor?“ lacht er.
„Überraschung.“ grinse ich und fahre los.
Ich hatte am Vormittag eine nette ältere Patientin, die mir erzählte, dass ihre Hündin Welpen bekommen hatte und ich hatte mit ihr verabredet, dass ich in meiner Mittagspause kommen würde. Ich denke das ist das Richtige für Logan. Vielleicht will ich auch einfach nur mein schlechtes Gewissen besänftigen… in 2 Tagen fliege ich zurück. Ich habe lange und ausführlich mit Sam, Jen, Ann und Kelly gesprochen. Erst einmal muss ich zurück…
Wir fahren auf den Hof, ich steige aus und laufe ums Auto herum.
„Augen zu.“ sage ich streng zu Logan und nehme seine Hand. Ich führe ihn in den Stall und die Welpen kommen auf uns zu getapst.
„So jetzt kannst du schauen.“ sage ich und beuge mich runter.
Die Welpen sind so niedlich, es sind Border Collies und sie springen an mir hoch.
„Was ist denn das?“ Logan sieht mich grinsend an.
Ich halte ihm einen schwarz-weißen Welpen hoch.
„Ich glaube der passt zu dir.“ Ich sehe den Hund und dann Logan an und er lacht auf.
„Ein Hund?“ er schüttelt den Kopf.
„Ja klar, früher hattet ihr auch einen Hund im Laden, Susi glaube ich.“ Ich sehe ihn an und er nimmt mir den Welpen ab.
„Er ist niedlich.“ sagt er nach einem Moment und ich strahle.
„Das ist der letzte Rüde.“ Die ältere Dame kommt zu uns.
„Mrs. McNamara, der soll es sein.“ Ich kann gar nicht aufhören zu strahlen.
„Das freut mich, der Kleine hat noch keinen Namen.“ Sie sieht zu Logan.
Er betrachtet den kleinen Kerl eine ganze Weile, dann lächelt er „Ben.“ sagt er sicher.
„Na Ben.“ Ich streichele den kleinen Kerl.
„Wann wollen sie ihn denn abholen?“ Mrs. McNamara sieht uns fragend an.
„Ich werde mich erst einmal eindecken mit allem was ich so brauche. Kann ich ihn Montag abholen? Dann können wir auch über das Finanzielle sprechen.“ Logan sieht sie an.
„Montag klingt sehr gut, und wegen dem anderen Mr. O’Callaghan. Ich denke wenn sie ab und zu mal ein paar Nägel oder Dübel für meinen Mann übrig haben, ist das in Ordnung.“ Sie zwinkert ihm zu.
„Das klingt nach einem Geschäft.“ Logan nimmt die angebotene Hand der Frau.
Wir spielen noch eine Weile mit Ben und dann machen wir uns auf dem Weg nach Galway, um alles Mögliche für den Kleinen einzukaufen.
Total erledigt sind wir erst spät am Abend wieder in Newport und lassen uns geschafft auf die Couch fallen.
„Also Ben wird es echt an nichts fehlen.“ lache ich als ich die Tüten betrachte die auf dem Boden stehen.
„Aber mir fehlt jetzt was?“ Logan beginnt meine Bluse aufzuknöpfen.
„Ach, ja was denn?“ grinse ich unschuldig.
„Mein bezaubernde Freundin.“ Er schiebt die Bluse über meine Schultern und öffnet meinen BH.
„Ich glaube da kann ich dir helfen.“ Ich beuge mich zu ihm und küsse ihn verlangend.
Am nächsten morgen fahre ich in die Stadt, um das Geburtstaggeschenk für meinen Dad abzuholen. Ich habe ihm eine Uhr gekauft und sie gravieren lassen, ich hoffe er freut sich darüber.
Als wir am späten Nachmittag bei meinen Eltern vorfahren ist schon eine ganze Menge los und wir stürzen uns ins Getümmel. Als Logans Handy klingelt, entschuldigt er sich und geht ein Stück weiter weg, um zu telefonieren.
„Kann ich dich kurz sprechen?“ er sieht mich an und ich merke sofort, dass etwas nichts stimmt.
Ich folge ihm bis wir schon fast auf der Koppel stehen.
„Was hast du dir dabei gedacht, Cooper den Auftrag für die Renovierung zu geben ohne mit mir zu sprechen?“ seine Augen funkeln mich böse an.
„Als ich mit Jen wegen dem Job als Verkäuferin gesprochen habe, da hat es sich so ergeben.“ sage ich kleinlaut.
„Du hast was?“ er sieht mich ungläubig an.
„Jen kann bei dir im Laden als Verkäuferin anfangen, die Pferde können bei uns unterkommen und Cooper wollte sich wegen der Renovierung melden.“ erkläre ich ihm.
Ich verstehe einfach nicht, warum er böse ist.
„Warum machst du das?“ er hält mich am Handgelenk fest.
„Weil ich möchte das es dir gut geht wenn…“ ich breche ab.
„Du willst dir also sicher sein, dass es mir gut geht wenn du morgen wieder zurück fliegst?“ er schüttelt den Kopf „Ich glaube es nicht, was ist das denn für dich hier? Ein netter kleiner Urlaubsflirt? Tut mir leid, dafür bin ich mir zu schade und ich habe echt geglaubt..:“ er winkt ab „Ach was!“ damit stapft er los und steigt in sein Auto.
„Lass mich raten du hast ihm gerade gesagt, dass du morgen zurück fliegst?“ Jake nimmt mich in den Arm.
„Nicht direkt, er hat es vermutet.“ Ich lehne meinen Kopf an Jakes Schulter.
„Oh Amy.“ Er küsst mich auf die Haare.
In dieser Nacht schlafe ich das erste Mal seit zwei Wochen allein im Bett und er fehlt mir so sehr, dass es mir die Kehle zuschnürt. Es ist komisch am nächsten Morgen die Koffer zu packen… Alles in mir sträubt sich dagegen wieder nach Long Beach zurück zu kehren, aber mein Kopf hat entschieden.
Jetzt muss nur noch mein Herz damit klar kommen…
Schweren Herzens verabschiede ich mich von meiner Familie und hoffe und bete dass Logan kommt, aber er kommt nicht und so fahre ich in der Gewissheit los, dass er mal wieder böse auf mich ist.
Als ich den Flieger besteige und mich auf meinen Platz setze, wird mir so schwer ums Herz wie ich es nicht kenne. Den ganzen Flug über starre ich aus dem Fenster und überlege was Logan jetzt wohl macht und ob es ihm gut geht…
Sam holt mich am Flughafen ab, natürlich holt er mich ab, schließlich haben wir uns drei ganze Wochen nicht gesehen.
„Amy!“ jubelt er als ich aus dem Ausgang trete und ehe ich mich versehe wirbelt er mich umher. „Gott, hast du mir gefehlt!“ er gibt mir einen Kuss auf die Wange.
„Du mir auch.“ grinse ich.
„Oh…“ sagt er und ich sehe ihn verwundert an.
„Was oh?“ ich löse mich von ihm und er sieht mich prüfend an.
„Ich wollte es ja nicht glauben bis ich es mit eigenen Augen gesehen habe, aber Baby du bist verliebt.“ Er seufzt.
„Bitte nicht jetzt und schon gar nicht hier.“ Ich hebe meine Hände und sehe ihn bittend an.
„Okay, aber dieser Logan muss was echt Besonders sein.“ Er schnappt sich meinen Koffertrolli und ich ziehe mir meinen Pullover aus. Gott, ich habe ganz vergessen, wie warm das hier ist.
Wir gehen zu meinem Auto und ich grinse.
„Hey keine Beule drin.“ feixe ich.
„Nein, ich habe es behandelt wie ein rohes Ei.“ Er zwinkert mir zu.
Als wir nach Hause kommen, werde ich von Lucy und Allan sofort belagert und berichte ihnen ein wenig von Irland.
„Du hast echt mit deinem Dad in der Praxis gearbeitet? War das nicht langweilig?“ Lucy sieht mich erstaunt an.
„Nein, es hat echt Spaß gemacht.“ gebe ich zu.
Das Thema Logan lasse ich lieber weg, ich habe keine Lust mich löchern zu lassen…
Ich packe aus und gehe mit Sam eine Runde surfen. Das ist genau das, was ich brauche. Meer auf meiner Haut, Wind in meinen Haaren und das Brett unter meinen Füßen. Obwohl es nicht mit dem Gefühl auf Lolas Rücken über die Felder zu preschen mithalten kann…
Am Montag hat mich das Arbeitsleben im Krankenhaus wieder, da ich jetzt Oberärztin bin bekomme ich neue Studenten zu geteilt und die Zeit fliegt an mir vorbei. Aber ich habe nun etwas humanere Arbeitszeiten und finde nun auch mal am Nachmittag Zeit zum Surfen und Relaxen. Mir fehlt Irland, mir fehlt meine Familie und ja mir fehlt Logan… Und wie er mir fehlt, er fehlt mir jede Nacht, jeden Tag und jede Sekunde.
Wie kann man einen Menschen so sehr lieben?
Ich telefoniere natürlich viel mit meiner Mum und meinen Brüdern. Vor zwei Wochen hat meine Mum mir ganz aufgeregt erzählt, dass Luke mit seiner Familie weggezogen ist und sich der ganze Ort darüber den Mund zerreißt. Augenscheinlich hat er Angst, dass meine Familie sein schmutziges Geheimnis doch noch auffliegen lässt. Denn egal ob die Sache verjährt ist oder nicht, es würde ihn seinen Job kosten. Nur wegen ihm bin ich wieder zurück in die Staaten, ich konnte es nicht ertragen, mit ihm im selben Ort zu wohnen... Und jetzt?
„Amy, kommst du mit?“ Sam stemmt die Hände in die Hüften und grinst mich an.
Es ist kaum zu glauben, dass ich schon über vier Monate wieder hier bin…
„Wohin?“ ich sehe ihn fragend an.
„Na surfen, das Wetter ist herrlich.“ Er lacht auf und zieht mich von der Sonnenliege.
Wir fahren zum Strand und ich paddele raus, ich warte auf eine Welle und als eine kommt stürze ich mich hinein ohne zu schauen. Das Ende von Lied ist, dass mein Kopf ziemlich unsanft Bekanntschaft mit einem Jetski macht.
Sam stützt mich als ich an Land komme.
„Das sah heftig aus.“ Er setzt mich in den Sand und ich befühle meinen Kopf.
Na toll Blut… ich sehe zu Sam.
„Ich bring dich ins Krankenhaus.“ bestimmt er und wir gehen zum Auto.
Wir fahren in “unser“ Krankenhaus und ich bekomme einen meiner eigenen Studenten ab.
„Amy ich denke du hast eine leichte Gehirnerschütterung. Wir machen ein CT und nehmen dir Blut ab, du bist blass und siehst echt scheiße aus.“ Kevin schaut mich an und ich grinse schief.
„Oh, wie nett du bist.“ Ich drehe mit den Augen und lasse die Untersuchungen über mich ergehen.
Sam untersucht gründlich meinen Kopf und wertet das CT aus.
„Also dein Kopf hat nichts abbekommen, aber die Wunde werde ich nähen müssen.“ Er sieht mich an.
Super eine Narbe an der Stirn.
„Muss das sein?“ ich sehe ihn bittend an.
„Ja Amy, das muss sein.“ Er legt sich Nahtmaterial zurecht. „Ich mache das, dann bekommst du eine Naht der Extraklasse.“ er grinst und ich füge mich meinem Schicksal.
Er ist gerade fertig, als Kevin auf ihn zustürmt.
„Kann ich dich kurz sprechen?“ er sieht ihn leicht panisch an und nimmt ihn mit.
Ich sehe wie sie aufgeregt diskutieren und befühle meine frisch genähte Wunde.
„Amy?“ Sam setzt sich auf die Bettkante.
„Ja?“ ich sehe ihn überrascht an.
„Deine Blutbefunde sind da.“ Er druckst herum. Kein gutes Zeichen, gar kein gutes Zeichen.
„Was ist mit mir los?“ ich setze mich auf und er nimmt meine Hand.
„Amy, du bist schwanger.“ sagt er und ich merke, wie mir die restliche Farbe aus dem Gesicht weicht.
„Schwanger? Sicher?“ ich sehe ihn an und er nickt.
Verdammt über so etwas wie Verhütung haben Logan und ich uns ja auch keine Gedanken gemacht. Bis zu diesem Zeitpunkt musste ich mir nie darüber Gedanken machen und dann ist es einfach irgendwie untergegangen…
Gott, wie konnte das passieren?
„Ich hole das Ultraschall und dann schauen wir mal.“ Sam nickt mir zu und kommt mit Pamela, unsere Kollegin aus der Gynäkologie wieder.
„Amelia. Wow, Sam hat es mir schon gesagt.“ begrüßt sie mich mit ihrer Singsangstimme und ich lächle gequält.
Sie bereitet das Ultraschall vor und verteilt das Gel auf meinem Bauch. Sie redet die ganze Zeit wie aufgezogen, aber ich starre nur auf den Monitor.
„Da haben wir es ja, warte ich schau mal…“ sie drückt verschiedne Knöpfe „… Also so wie ich das sehe bist du in der 17. Woche.“ Sie strahlt mich an.
„Hmm.“ Ich nicke leicht und sie druckt ein paar Bilder aus.
„Ich lasse dir einen Mutterpass fertig machen. Du kannst ihn an der Anmeldung in der Gyn abholen.“ Sie winkt mir fröhlich zu und verschwindet mitsamt dem Ultraschallgerät wieder.
„Alles in Ordnung?“ Sam sieht mich besorgt an.
„Hmm.“ Ich wische das restlich Gel von meinem Bauch und stehe auf „Ich gehe ins Personalbüro. Wir treffen uns dann zu Hause.“ sage ich kurz angebunden und verlasse das Zimmer.
Im Fahrstuhl lehne ich meinen erhitzten Kopf gegen die kühlende Innenverkleidung. In meinem Kopf dreht sich alles…
Das Pling, welches anzeigt dass man die gewünschte Etage erreicht hat, erklingt und ich atme tief durch.
Ich gehe zur Anmeldung und lasse mir meinen Mutterpass aushändigen, dann laufe ich durch die verschiedenen Korridore und klopfe an das Personalbüro.
„Dr. Brady?“ die Sekretärin hebt fragend ihren Kopf. „Wir haben heute schon Büroschluss.“ teilt sie mir mit.
„Leider hat das keine Zeit.“ Ich setze mich auf den Stuhl an ihrem Schreibtisch.
„Also gut…“ sie sieht mich leicht genervt an „Was kann ich für sie tun?“
„Sie müssten bitte meinen Dienstplan umstellen.“ sage ich und atme tief durch.
„Und womit soll ich das vor der Klinikleitung begründen?“ fragt sie mich perplex.
„Wie wäre es hiermit?“ ich schiebe ihr meinen Mutterpass über den Tisch.
„Oh…“ sie nimmt ihn in die Hand „Das werde ich morgen gleich als Erstes mit Dr. Berg besprechen. Ich mache mir nur eben eine Kopie.“ Sie steht auf und macht wie angekündigt die Kopie.
„Ich werde morgen ganz normal zum Frühdienst kommen.“ teile ich ihr mit, nehme den Pass und verlasse das Büro.
Ich fahre in die Tiefgarage und steige in mein Auto, Sam wird sich wohl ein Taxi gerufen haben, da ich den Autoschlüssel hatte.
Ich fahre drei Stunden kreuz und quer durch die Stadt und versuche einen klaren Gedanken zu fassen.
Was soll ich nur machen?
Ich bekomme ein Baby von Logan…
Logan. Der Logan, der nicht mit mir redet. Der Logan, der meine Anrufe ignoriert. Der Logan, der mich jetzt wahrscheinlich hasst, weil ich schon wieder weggelaufen bin…
Erst am späten Abend komme ich nach Hause.
„Gott Amy, wo warst du nur?“ Sam steht in der Tür als ich aus dem Auto steige.
Ich gehe schweigend an ihm vorbei und trete auf die Terrasse, ich setze mich auf eine der Sonnenliegen und lehne mich zurück.
Was soll ich nur tun?
Zurück gehen?
Hier bleiben?
Sam bringt mir irgendwann einen Tee und setzt sich auf die Liege neben mich.
„Amy, du benimmst dich wie damals als ich dich kennen gelernt habe…“ er seufzt leise „… Du blockst alles ab.“
Ich starre weiter in die Ferne und drehe die Tasse in meinen Händen.
„Amy, bitte ich will dir doch nur helfen.“ sagt Sam eindringlich.
Ich will nicht mit ihm reden, ich will mit niemandem reden… Ich muss das alles erst einmal selber auf die Reihe bekommen.
Am nächsten Morgen stehe ich wie gerädert auf und muss zu allem Überfluss feststellen, dass ich meinen Jeansrock den ich seit zwei Wochen nicht angehabt habe nicht mehr zu bekomme. Ich stelle mich vor den Spiegel und streichele sanft über die kleine Rundung die sich deutlich abzeichnet.
Viele Schwangere berichten immer, dass wenn man erst einmal weiß dass man schwanger ist der Bauch plötzlich da ist und genauso fühle ich mich gerade.
Ich ziehe mir ein weites T-Shirt über und schlüpfe in meine Arbeitshose. Diese Hosen haben ja oben so ein schönes Bändchen und da werde ich sicherlich noch lange rein passen. Ich schlüpfe in meine Turnschuhe und gehe die Treppe runter.
„Wo willst du denn hin?“ Sam sieht mich fragend an.
„Frühdienst.“ sage ich nur und er folgt mir verdutzt zum Auto. Schweigend fahren wir zum Krankenhaus und als erste Maßnahme verteile ich meine Studenten auf die verschiedenen Stationen. Sie sind jetzt 16 Wochen hier, da kann ich sie schon mal alleine los schicken. Zur Not können sie mich ja immer anpiepen.
Ich mache mich auf den Weg zu Dr. Berg und als mein Pieper geht und ich die Nummer von Dr. Berg lese weiß ich, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
Ich atme tief durch und klopfe an.
„Herein.“ ertönt es und ich betrete das Büro unseres Chefarztes.
„Nimm Platz, Amelia.“ Er deutet auf seine Couch und ich setze mich hin.
„Ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll…“ er setzt sich auf seine Schreibtischkante und ich sehe ihn verwirrt an.
„Mir was sagen?“
„Deine Mum hat vor einer halben Stunde angerufen, dein Dad hatte einen Schlaganfall und ist im Newport Memorial. Ich soll dich bitten sofort zu kommen.“ Er sieht mich abwartend an.
Ich springe auf und sehe ihn geschockt an. Dann krümme ich mich weil ich ein Ziehen im Bauch verspüre. Schnell setze ich mich wieder.
In diesem Moment klopft es und unsere Personaldirektorin kommt herein.
„Dr. Brady?“ sie sieht mich verwirrt an. „Haben sie Dr. Berg ihre Schwangerschaft selber mitgeteilt?“
„Sie sind schwanger?“ Dr. Berg kommt zu mir „Ganz tief atmen, Amelia.“ Versucht er mich zu beruhigen und tatsächlich lässt das Ziehen langsam nach.
„Was ist denn hier los?“ sie sieht zwischen mir und Dr. Berg hin und her.
„Judy, buche bitte für Amelia den nächsten Flug nach Dublin. Sorge dafür, dass Samuel sie nach Hause fährt und ihr beim Packen hilft. Ich stelle Amelia vorerst frei.“ weist er sie an und sie stürmt hinaus.
Ich merke wie mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht weicht und Dr. Berg zwingt mich, mich hin zu legen und lagert meine Füße etwas hoch. In diesem Moment stürmt Sam herein und stürzt zu mir.
„Amy?“ er streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht.
Dr. Berg zieht ihn von mir weg und erklärt ihm die Situation.
Ich setze mich auf und Sam reicht mir ein Glas Wasser.
Judy kommt zurück und sieht mich an.
„Also gut, Amelia, dein Flug geht in drei Stunden. Nonstop nach Dublin und ich habe dir vor Ort einen Leihwagen gemietet. Du bist 9 Uhr Ortzeit da.“ Sie reicht mir einen Zettel mit den Buchungsnummern und Sam hilft mir aufzustehen.
„Amelia, ich bin mir sicher deinem Dad geht es gut.“ sagt Dr. Berg väterlich und ich nicke schwach.
Sam fährt mich nach Hause und wir packen meine Taschen. Viele Sachen lasse ich hier, weil ich eh nicht mehr rein passe und Sam gibt mir zwei Jogginghosen von sich und packt mir ebenso zwei weiße und zwei hellblaue Arbeitshosen ein.
Dann sammeln wir alle meine Papiere ein und er bringt mich zum Flughafen.
„Amy…“ er zwingt mich ihn anzusehen „… Ich rechne nicht damit, dass du zurückkommst.“
„Sam.“ setze ich an.
„Nein Amy, du bist hier nicht glücklich, dein zu Hause ist Irland, bei ihm. Ihr bekommt ein Baby und ich will dich hier nicht wieder sehen.“ sagt er streng.
„Sam ich kann das nicht.“ Ich beginne zu weinen.
„Amy du bist so unglücklich und das hast du nicht verdient. Ich liebe dich, aber du gehörst hier einfach nicht mehr her. Für eine Weile war es okay, aber jetzt nicht mehr.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Wange.
„Ich habe Angst.“ gestehe ich leise. „Ich habe Angst, dass mein Dad vielleicht nie wieder der Alte wird, ich habe Angst, dass er sterben könnte, ich habe Angst, dass Logan mir niemals verzeiht und ich habe Angst…“ schluchze ich.
„Amy, ja du hast Angst…“ er küsst mich auf die Stirn „Aber die Amy die ich kenne stellt sich ihren Ängsten und läuft nicht davon.“ Er schubst mich sanft in Richtung Check-in. „Ich komme dich besuchen.“ verspricht er mir „Und glaube mir mit deinem Dad wird alles gut.“
Ich checke ein und schon eine halbe Stunde später sitze ich in der Maschine. Ich schaffe es ein wenig zu schlafen und kaum das ich gelandet bin, hole ich mir den Leihwagen. Wieder ein Geländewagen, aber bei dem Wetter draußen werde ich den auch brauchen. Es ist ein Porsche Cheyenne und ich schüttele leicht den Kopf. Ich hoffe nur er ist Vollkasko versichert, denn es gießt wie aus Eimern, es ist glitschig auf den Straßen und es ist echt kalt.
Bei Abflug waren es 36°C und meine Arbeitshose und mein T-Shirt haben völlig ausgereicht, aber hier sind es nur 15 °C und ich friere. Ich krame einen Pullover aus meiner Tasche und stelle die Heizung an.
Ich gebe mein Fahrziel ins Navi ein und fahre aus der Tiefgarage. Ich kann kaum die Hand vor Augen sehen und ich bin echt müde, die Zeitverschiebung steckt mir in den Knochen und ich muss mich zwingen, mich zu konzentrieren. Die Fahrt soll eigentlich nur 3 Stunden und 30 Minuten dauern, aber endlich um 14:15 Uhr fahre ich auf den Parkplatz des Newport Memorial.
Ich steige aus und versuche mich ein wenig vor den Regenmassen zu schützen, aber ich komme durchnässt an der Anmeldung an.
„Dr. James Brady.“ sage ich zu der Schwester hinter dem Pult und sie sieht mich erstaunt an.
„Sind sie eine Familienangehörige?“ fragt sie und tippt auf ihrem Computer herum.
„Ja, ich bin seine Tochter. Dr. Amelia Brady.“ Ich trommle mit meinen Fingern auf der Anmeldung herum.
„Neuroabteilung, Strokes Unit, 3. Stock, Zimmer 358…“ sagt sie und ich stürme los „Das ist ein Intensivzimmer, sie können da nicht einfach so rein.“ ruft sie mir hinterher.
Ich drücke schätzungsweise 100 Mal auf den Aufzugsknopf ehe er endlich hält und ich einsteigen kann. Hektisch drücke ich auf den 3. Stock. Als ich endlich ankomme stürme ich aus dem Fahrstuhl direkt in Jakes Arme.
„Amy?“ er sieht mich erschrocken an.
„Wo ist er? Wie geht es ihm?“ ich sehe Jake panisch an.
„Sie machen noch ein paar Tests mit ihm. Mum ist bei ihm.“ erklärt er mir ganz ruhig.
„Wann hatte er den Schlaganfall?“ ich sehe fragend zu Jake. Ich weiß wie wichtig die Zeit, die zwischen dem Schlaganfall und der Behandlung liegt, ist.
„Sie gehen davon aus, dass nur knappe 40 Minuten verstrichen sind, ehe sie die Behandlung begonnen haben. Es sieht ganz gut aus.“ beruhigt er mich und ich setze mich auf einen Stuhl.
Ich stütze meinen Kopf auf meine Hände und beginne zu weinen.
„Amy.“ Jake wiegt mich in seinen Armen.
Als ich mich etwas beruhigt habe, sieht er mich fragend an.
„Wie kommst du hier her?“
„Mum hat in meinem Krankenhaus angerufen, die haben mir einen Flug gebucht und dann bin ich von Dublin hierher gefahren.“ erkläre ich ihm.
„Gott Amy, bist du lebensmüde?“ er sieht mich schockiert an „Dir hätte sonst was passieren können.“
In diesem Moment kommt ein Arzt auf uns zu. Ich springe auf und er sieht mich überrascht an.
„Was für Tests haben sie gemacht? Wie ist sein ICP? Was haben sie als nächstes vor?“ bestürme ich ihn mit Fragen, er sieht zu Jake und wieder zu mir.
„Und sie sind?“ er zieht eine Augenbraue hoch.
„Das ist meine Schwester, Dr. Amelia Brady.“ sagt mein Bruder für mich.
„Freut mich Dr. Brady. Ich bin Dr. Jonathan Green.“ stellt er sich erst einmal vor.
Gott, ich kratze ihm gleich sein Grinsen aus dem Gesicht wenn er mir nicht endlich sagt, was los ist!
„Die Hirnschädigung bei ihrem Vater äußert sich am stärksten im Bereich des Cerebellum, dementsprechend ist seine Bewegung noch stark eingeschränkt, das Wernicke und Broca Areal sowie der Cortex sind unverletzt. Er erhält eine hoch dosierte Thrombolytikatherapie und erhält im angemessenem Rahmen Antikoagulatien. Sein ICP ist im Normbereich. Das CT zeigt keine Hirnblutung als Auslöser. Ab morgen bekommt er Ergo- und Physiotherapie. Sie könne in einer Stunde kurz zu ihm. Haben sie noch Fragen?“ er sieht mich an und ich schüttele leicht mit meinem Kopf und setze mich wieder.
Er geht wieder den Gang entlang und Jake starrt mich an.
„Jetzt sag bloß, du hast das alles verstanden?“
„Ja sicher…“ Fast lächle ich bei seinem Gesichtsausdruck „... Dad ist in seiner Bewegung stark eingeschränkt, dafür bekommt er ab morgen Krankengymnastik. Seine Sprache und sein Gedächtnis haben nichts abbekommen. Er erhält jetzt verschiedene Medikamente, um sein Blut zuverdünnen, damit er nicht noch einen Schlaganfall bekommt.“ erkläre ich ihm.
„Und warum sagt er das nicht?“ Jake lacht leise.
„Weil Ärzte es lieben mit Fachausdrücken um sich zu schmeißen und es eine Genugtuung ist, wenn jemand sie auch versteht.“ erkläre ich ihm.
„Amy, du hättest nichts extra kommen müssen…“ Jake nimmt meine Hand „Wie lange bist du schon auf den Beinen?“
„Ich musste kommen Jake, es ist Dad!“ widerspreche ich ihm. „Seit 30 Stunden.“ füge ich leise hinzu.
„Wenn wir gleich bei Dad waren, dann fahre ich dich nach Hause.“ bestimmte er und ich nicke leicht.
Dann endlich können wir zu ihm und ich und Jake ziehen uns grüne Schutzkittel über.
Leise betreten wir das Zimmer, mein Dad ist an unzählige Maschinen angeschlossen und ich merke wie Jake scharf Luft holt. Das tut er immer, wenn er Angst hat. Ich greife nach seiner Hand und drücke sie sanft.
„Es ist alles okay.“ flüstere ich ihm zu.
Meine Mum dreht sich um und kommt zu mir.
„Amy.“ schluchzt sie.
„Alles wird gut Mum.“ verspreche ich ihr und gehe zum Krankenbett.
„Hallo Daddy.“ Ich nehme seine Hand in meine.
„Schätzchen.“ flüstert er und ich lächle ihn leicht an.
„Was machst du nur für Dummheiten?“ ich streiche ihm eine Strähne seines grauen Haares aus der Stirn.
„Du hättest nicht kommen brauchen.“ sagt er sanft.
„Doch Daddy, ich bin genau da wo ich hin gehöre.“ Ich gebe ihm einen Kuss auf die Stirn „Ich werde dich eine Weile vertreten bis du wieder fit bist.“ verspreche ich ihm und er lächelt leicht.
Jake tritt ebenfalls an sein Bett und Dad sieht ihn prüfend an.
„Pat kommt in 20 Minuten wieder, er kümmert sich um Ann, Kelly und die Kinder.“ sagt er und Dad nickt leicht. „Ich bin mir sicher, Kelly geht Amy in der Praxis zur Hand, dann kann Mum bei dir sein.“
Meine Mum nimmt ihn in den Arm.
„Ich danke euch so sehr.“ Sie sieht zu mir und ich nicke leicht.
„Können wir euch alleine lassen? Ich muss Amy dringend ins Bett bringen. Sie ist seit 30 Stunden auf den Beinen und ich möchte nicht, dass sie noch mit dem Auto fährt bei dem Wetter.“ Jake sieht zu meiner Mum und diese nickt verständnisvoll.
„Ich komme morgen wieder.“ verspreche ich und Jake bugsiert mich in den Flur.
Jetzt endlich erlaube ich mir auch mal schwach zu sein, sinke auf den Boden und beginne zu weinen.
Mein Dad hat so unheimliches Glück gehabt und die Angst um ihn steigt erst jetzt in mir hoch.
Behutsam nimmt mich Jake auf den Arm und trägt mich, an den verdutzten Schwestern, Ärzten und Patienten vorbei zum Auto.
Zu Hause angekommen habe ich mich immer noch nicht beruhigt und er setzt mich auf der Couch ab.
Dann geht er kurz in die Küche und kommt mit einem Tee wieder.
„Ich habe Pat und die Frauen angerufen. Sie sind froh, dass es so gut ausgegangen ist.“ erklärt er mir und drückt mir die Tasse in die Hand, aber meine Hände zittern so sehr dass ich sie kaum fest halten kann.
„Du bist total durchgeweicht und durchgefroren. Ab in die Wanne mit dir.“ bestimmt er als er meine kalten Hände anfasst und ich lasse mich ins Bad schubsen. Ich schäle mich aus den nassen Sachen und gleite in die Badewanne.
Im Handtuch komme ich aus dem Bad und gehe in mein Zimmer in dem Jake schon meine Tasche auf dem Bett platziert hat. Ich angle mir eine Jogginghose und einen Pullover heraus und setze mich dann geschafft und müde aufs Bett. Ich atme tief durch und gehe in den Flur, plötzlich sehe ich mich Logan gegenüber.
„Geht es dir gut?“ fragt er kühl.
Ich kann ihn nur anstarren und bringe kein Ton raus.
Dann merke ich wie mir schwarz vor Augen wird und das Nächste, was ich wahrnehme ist wie ich auf einem Bett abgelegt werde. Ich falle in einen tiefen, traumlosen Schlaf…
Als ich wach werde, brauche ich einen Moment um zu begreifen wo ich bin und wie ich hierher gekommen bin. Ich sehe mich suchend um, ich bin alleine.
Langsam stehe ich auf und merke wie mir schwindelig wird. Ich taste mich am Bett entlang zur Tür, vorsichtig öffne ich sie. Mein Kreislauf ist im Keller und ich weiß nicht, ob ich es heile die Treppe runter schaffe.
„Was in aller Welt hast du vor?“ ertönt eine Stimme hinter mir und ich zucke zusammen.
Ich drehe mich langsam um und sehe in Logans Gesicht. Nichts verrät mir, was gerade in ihm vorgeht.
Ich atme schwer und merke, dass meine Beine nachgeben. Bevor ich auf den Boden lande, umfassen mich starke Arme und tragen mich zurück in mein Bett.
„Amelia Brady, meinst du nicht du mutest dir ein wenig zu viel zu?“ Logan legt mich ins Bett und ich sehe ihn mit Tränen in den Augen an.
„Logan.“ sage ich und die Tränen beginnen über meine Wangen zu laufen.
„Was, Logan?“ er setzt sich auf die Bettkante und sieht mich prüfend an.
„Es tut mir so leid, ich wollte wieder kommen… Aber ich brauchte Zeit. Dann ist das alles passiert…“ ich schluchze.
„Amelia, ich kann nicht glauben, dass du mir das wirklich angetan hast.“ er sieht mich zornig an.
„Ich habe mich in meine Arbeit gestürzt und ich habe dich so sehr vermisst.“ sage ich kleinlaut.
Soll ich ihm sagen, dass ich schwanger bin?
Innerlich kämpfe ich mit mir, entscheid mich aber dann dagegen, es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Er ist sauer auf mich und er hat alles Recht der Welt dazu.
„Und dann fliegst du über den Atlantik und setzt dich nach einem so langen anstrengenden Flug noch 4 Stunden ans Steuer?“ er sieht mich kopfschüttelnd an.
„Es tut mir leid.“ Ich sehe ihn bittend an.
„Das ist mir alles gerade zu viel…“ er steht auf und verlässt das Zimmer.
Ich weine und wünsche mir so sehr, ich hätte einmal im Leben etwas richtig gemacht…
Man sollte immer auf sein Herz hören!
Nur auf sein Herz!
Hätte ich auf mein Herz gehört, wäre ich erst gar nicht wieder zurück in die Staaten geflogen, ich wäre hier geblieben, denn hier gehöre ich nun mal her. Luke hat schon einmal mein Leben zerstört und ich habe es zu gelassen, dass er es erneut geschafft hat.
Nach einer Stunde fühle ich mich halbwegs fit und gehe runter in die Küche, wo mich Pat und Kelly empfangen. Ich esse eine Kleinigkeit und wir besprechen, wie wir die Praxis managen können. Am Nachmittag fahre ich zu meinem Dad ins Krankenhaus, da Jake gnädiger Weise meinen Leihwagen hierher gefahren hat.
Kelly und ich haben beschlossen, dass wir die Praxis schon morgen wieder aufmachen wollen. In Newport gibt es nun mal nur einen Arzt und die Leute müssen behandelt werden, es sei denn sie sollen für jede Kleinigkeit ins Krankenhaus gehen.
Alle paar Minuten sehe ich auf mein Handy… nichts.
Als ich am späten Abend nach Hause komme, wünsche ich mir so sehr, dass Logan da ist, aber… nichts.
Ich krieche in mein Bett und versuche den Schmerz der mein Herz umklammert zu ignorieren. Ich schlafe unruhig und stehe früh auf. Ich ziehe mir eine meiner weißen Krankenhaushosen und ein T-Shirt an. Ich mache mich mit der Praxis und den anstehenden Terminen vertraut und als Kelly um 8 Uhr kommt, genehmigen wir uns ein kleines Frühstück ehe der Wahnsinn los geht.
Die Patienten laufen uns die Praxis ein. Ich bin froh das Kelly EKGs und Blutabnahmen selber übernehmen kann und auch ansonsten wäre ich ohne sie ganz schön aufgeschmissen. Jedem Patienten muss ich von meinem Dad berichten, denn alle machen sich schreckliche Sorgen.
So laufen die nächsten drei Wochen immer nach dem gleichen Schema ab: Aufstehen, die Sprechstunde vorbereiten, Sprechstunde, in der Mittagspause Hausbesuche und anschließend die Nachmittagssprechstunde. Dann schnell duschen und für eine Stunde zu meinem Dad ins Krankenhaus. Fast jeden Tag setze ich mich mit Jonathan zusammen und wir besprechen die Behandlungsmöglichkeiten. Ich mag ihn mittlerweile und wir sind schnell zum Du übergegangen. Ich merke, wie mir der Stress zusetzt, aber ich muss einfach stark sein. Stark für meinen Dad, stark für meine Mum, stark für Jake und Pat… stark für mein Baby.
„Amy, wir machen morgen die Praxis zu…“ Kelly sieht mich an und ich sehe müde von den letzten Akten auf.
„Das geht nicht.“ sage ich und reibe mir über die Augen.
„Amy, du bist echt am Ende. Es ist nur einen Tag und ich habe alle Termine von morgen auf die nächste Woche umgelegt. Du musst dich mal wieder ausschlafen.“ Sie streicht mir über den Kopf. „Ich mache mir Sorgen um dich.“
„Du brauchst dir keine Sorgen um mich machen.“ sage ich schwach.
Ich weiß ja, dass sie Recht hat. Ich sehe müde aus und bin es auch. Ich schlafe kaum und habe in der Praxis so viel um die Ohren, dass ich kaum zum Luft holen komme. Der einzige Lichtblick ist, dass es meinem Dad schon wieder besser geht. Er macht gute Fortschritte und ist noch mal glimpflich davongekommen.
„Amy bitte.“ sagt sie eindringlich.
Ich sehe sie an und nicke schließlich.
„Pat kommt nachher vorbei und wir essen zusammen.“ Sie streicht mir über die Wange.
„Okay.“ sage ich und schreibe weiter in die letzten Akten.
Nachdem ich alles fertig habe, gehe ich duschen.
Sanft streichele ich über meinen Bauch, er wächst immer weiter und ich habe meine Mühe und Not ihn unter weiten Sachen zu verstecken. Ich spüre die ersten Tritte und jedes Mal ist es so etwas Besonderes, dass mir die Luft weg bleibt. Ich ziehe mir eine von Sams Jogginghosen an und ziehe einen dicken Wollpulli drüber. Es ist jetzt Mitte Oktober und dementsprechend kalt. Ich nehme mir meine dicke Jacke vom Hacken und ziehe meine Stiefel an. Schnell laufe ich zum Auto und lasse mich hinters Lenkrad fallen. Ich atme tief durch und fahre die 15 Minuten zum Krankenhaus.
IM dritten Stock begegne ich Jake auf dem Flur.
„Amy.“ Er nimmt mich in den Arm.
„Hi, Jake.“ Ich sehe ihn müde an.
„Oh Amy, du siehst echt schlecht aus…“ er streicht mir eine Strähne, die sich aus meinem Zopf gelöst hat aus dem Gesicht „Es ist gut, dass ihr morgen zu macht, du brauchst ein paar Tage Ruhe.“ Er gibt mir einen Kuss auf die Stirn.
„Hmm.“ sage ich nur „Wie geht es Dad?“
„Gut, heute haben Mum und ich mit dem Physiotherapeuten gesprochen, er soll ab morgen für 2 Wochen in eine Reha, dann denkt er, ist er soweit fit, dass er nach Hause kann. John will das noch mit dir besprechen.“ Er lächelt mich an.
„Das ist gut.“ sage ich und atme auf.
Es ist kaum zu glauben, wie sehr sich mein Dad in den letzten drei Wochen erholt hat, denn ich weiß wie schlimm es hätte ausgehen können.
„Er wartet schon auf dich.“ Jake grinst.
Ich berichte meinem Dad jeden Tag, was in der Praxis los war und er freut sich meistens zu hören, dass Kelly und ich alles im Griff haben.
Ich klopfe an und trete in das Krankenzimmer.
„Hallo Dad, Hallo Mum.“ begrüße ich beide und mein Dad strahlt mich an.
„Schätzchen.“ Er winkt mich zu sich.
Ich ziehe meine Jacke aus und setzte mich, nachdem ich meine Mum begrüßt habe auf seine Bettkante.
„Kelly war heute Mittag hier.“ beginnt er „Amy, bitte tritt ein wenig kürzer.“ sagt er eindringlich.
„Wir haben jetzt ein langes Wochenende, ich werde mich ausruhen.“ verspreche ich.
„Das ist gut, geh ein wenig einkaufen…“ er zupft an meiner Jogginghose „Geh zum Friseur und lass dich ein wenig verwöhnen.“ Er zwinkert mir zu.
„Mal schauen.“ gebe ich zurück.
„Ab morgen Abend bin ich auch wieder zu Hause Schätzchen.“ Meine Mum nimmt meine Hand.
„Ich weiß…“ ich lächle leicht.
Wir unterhalten uns noch ein wenig über die Patienten ehe ich mich um 20 Uhr auf den Weg nach Hause mache, da Pat und Kelly warten.
Ich versuche eine Kleinigkeit zu essen, aber in den letzten Tagen bekomme ich sobald ich etwas esse Bauchschmerzen. Wenn mein Dad wieder zu Hause ist, muss ich unbedingt einen Vorsorgetermin machen und ich muss es meiner Familie sagen. Ende Februar bekomme ich ein Baby und ich werde es nicht ewig verheimlichen können.
Vor allen Dingen muss ich es Logan sagen, aber er reagiert weder auf meine Anrufe, noch auf meine Sms oder Mails.
Pat und Kelly fahren zwei Stunden später nach Hause und ich gehe hoch in mein Bett, ich ziehe mir Shorts und ein Top an und betrachte mich im Spiegel. Wow, also mein Bauch ist echt ordentlich gewachsen, aber ich bin ja nun auch schon im 5. Monat. Ich lege mich hin und versuche zu schlafen, das Baby ist zurzeit sehr aktiv und ich wälze mich hin und her, ehe ich endlich einschlafen kann.
Mein Frühstück am nächsten Morgen besteht nur aus einem Toast und einem Glas Orangensaft. Nachdem ich im Haus ein wenig Ordnung gemacht habe, kommt auch schon meine Mum und übernimmt ihren Haushalt wieder.
Was bin ich froh!
Ganz ehrlich, im Moment strengt mich alles an.
Ich entschließe mich nach Ballina zu fahren um mir ein paar neue Sachen zu gönnen, ich kann ja nicht immer mit Jogginghose und Krankenhaushosen durch die Gegend laufen. Von meinen anderen Hosen passt mir keine einzige mehr…
Ich verabschiede mich von meiner Mum und fahre die 45 Minuten nach Ballina. Ich finde ziemlich schnell ein Geschäft für Umstandsmode und decke mich großzügig ein, dann kaufe ich mir noch ein paar weite Pullover und Shirts. Als ich dann auch noch an einem Geschäft für Berufskleidung vorbei komme, kaufe ich mir noch zwei Arztkittel, denn die von meinem Dad passen mir nicht im Entferntesten…
Am frühen Abend bin ich wieder zu Hause und meine Mum macht Abendessen für uns.
„Hast du schon mit Logan gesprochen?“ fragt sie vorsichtig als wir den Tisch abräumen.
„Ja, kurz.“ sage ich ausweichend. „Er will nicht mit mir reden.“
„Er braucht nur Zeit.“ sagt sie sicher und ich nicke abwesend.
Zeit?
Ob das hilft?
Ich weiß wie stur Logan sein kann…
„Amy, mit dir stimmt doch was nicht.“ Sie hält mich am Arm fest.
„Mum, es ist einfach alles ein wenig viel.“ sage ich und mache mich von ihr los.
Obwohl es erst kurz nach 20 Uhr ist ziehe ich mich in mein Zimmer zurück und denke nach. Meine Lieblingsbeschäftigung am Abend, seitde
m ich wieder hier bin. Ich wünsche mir so sehr, Logan wäre an meiner Seite. Ich wünsche mir, er wüsste schon von dem Baby. Umso weiter ich bin, umso schwerer wird es sein es ihm zu sagen.
Ich schlafe wirklich viel am Wochenende und fühle mich tatsächlich am Montag besser. Meine Mum und Kelly unterstützen mich nun beide und es läuft besser und ruhiger.
Kurz vor Mittag verabschiedet sich Kelly zu einem Termin und ich und meine Mum essen alleine zu Mittag.
„Stellt euch vor…“ Pat kommt atemlos in die Küche und zieht Kelly hinter sich her.
„Was denn?“ fragen meine Mum und ich wie aus einem Mund.
„Kelly ist schwanger.“ strahlt Pat und ich falle ihm um den Hals.
„Ich freue mich so für euch.“ Ich nehme nun auch Kelly in den Arm. „In der wievielten Woche bist du denn?“
„In der 13. Woche, der Geburtstermin ist der 02. Mai nächstes Jahr.“ Sie sieht so unglaublich glücklich aus und ich verspüre einen kleinen Stich ins Herz, als ich sehe wie Pat sie liebevoll küsst. Aber ich gönne es ihnen so sehr, so lange haben sie dafür gekämpft…
Meine Mum beginnt nun Kelly zu bemuttern und ich muss ständig lächeln, weil Kelly das überhaupt nicht will. Am Mittwoch muss ich wieder zu Hausbesuchen los, wir haben jetzt eine feste Hausbesuchszeit am Mittwoch eingerichtet, weil ich es einfach nicht schaffe alles in die Mittagspause zu legen und dann auch noch was zu Essen bevor es weiter geht.
Es regnet schon seit Stunden und das Wasser weiß gar nicht mehr wohin es ablaufen soll. Ich packe alles ins Auto und verabschiede mich von Kelly und meiner Mum.
„Fahr bitte vorsichtig.“ bittet mich meine Mum eindringlich und ich nicke. Ich nehme meine Regenjacke von Haken und laufe zum Auto.
Die ersten Patienten sind Routine und zum Schluss mache ich mich auf den Weg nach Knockeeragh, das liegt 25 Minuten von Newport entfernt. Ich schlängle mich die schmale Straße entlang.
Der Fall stellt sich als schwierig heraus und ich brauche länger als geplant, als ich mich auf den Weg nach Hause mache wird es bereits dunkel. Noch immer regnet es und das Laub auf den Straßen macht alles rutschig. Ich habe fast die Hauptstraße erreicht, als ich merke wie das Auto ins Rutschen kommt und ich die Kontrolle verliere. Ich starre auf die Straße, versuche gegen zu lenken, aber ich merke dass es keinen Sinn hat. Ich halte schützend die Hände vor mein Gesicht und dann geht alles irgendwie so schnell, dass ich kaum Luft holen kann. Das Auto rutscht mit hoher Geschwindigkeit in den Graben und überschlägt sich, ehe es auf dem Dach auf dem Feld zum Liegen kommt.
Ich bin wohl einen Moment bewusstlos und als ich langsam zu mir komme, suche ich nach meinem Handy und versuche Hilfe zu holen. Aber mein Handy ist bei dem Unfall kaputt gegangen. Ich fange an zu weinen und frage mich wie lange es wohl dauert ehe meine Mum mich vermisst.
Es wird immer dunkler, ich friere und ich habe Schmerzen. Mein Kopf scheint was abbekommen zu haben, denn ich wische mir ständig Blut von der Stirn. Meine Beine sind eingeklemmt und obwohl ich den Sicherheitsgurt aufbekommen habe, schaffe ich es nicht allein aus dem Auto.
Ich werde müde, ich weiß dass es ein schlechtes Zeichen ist, denn ich bin unterkühlt.
Dann endlich sehe ich die Scheinwerfer eines Auto und versuche so laut wie möglich zu schreien. Tatsächlich hält das Auto an und ich atme erleichtert auf.
„Amy?“ höre ich eine panische Stimme nach mir rufen.
Logan?
Logan!
„Hier.“ rufe ich mit letzter Kraft und dann erscheint er in meinem Blickfeld. „Hol mich hier raus, mir ist so kalt.“ wimmere ich.
Er nimmt erst einmal sein Handy und ruft einen Krankenwagen und die Feuerwehr. Mit all seiner Kraft schafft er es schließlich mich aus dem Auto zu ziehen. Mein Kopf liegt auf seinem Schoß und er versucht mein Gesicht vor dem Regen zu schützen.
„Logan, ich muss dir was sagen.“ Meine Stimme klingt schwach und er sieht mich ängstlich an.
„Jetzt nicht sprechen Cone, gleich ist Hilfe da.“ Er beugt sich über mich und haucht mir einen Kuss auf die Lippen.
Ich nehme seine Hand in meine und lege sie auf meinen Bauch. Er sieht mich prüfend an.
„Ich hätte es dir schon viel früher sagen sollen, aber du wolltest nicht mit mir sprechen.“ weine ich „Ich habe Angst, dass dem Baby was passiert ist.“
„Alles wird gut, Cone.“ Er zieht mich in seine Arme.
Dann merke ich wie sich eine tröstende Stille und Schwere in meinem Körper ausbreitet.
Piep, Piep, Piep…
Ich versuche meine Augen zu öffnen und schaffe es schließlich nach einigen Anstrengungen.
„Hey, da bist du ja wieder.“ John steht an meinem Bett und sieht mich lächelnd an.
„Wie?“ krächze ich.
Gott, mein Mund ist staubtrocken und mir tun alle Knochen weh…
„Dem Baby geht es gut, es hat nichts abbekommen.“ Er nimmt meine Hand und ich sinke in meine Kissen.
„Soll ich eigentlich gleich ein Zimmer auf Brady reservieren?“ er zwinkert mir zu und ich lächele schwach. „Ich habe da draußen eine ganze Horde Menschen, die alle unbedingt und sofort zu dir wollen.“ Er deutet mit dem Kopf zur Tür und ich schließe gequält meine Augen.
„Kann es sein das du niemandem etwas gesagt hast? Ich meine, die sind alle aus allen Wolken gefallen…“ er sieht mich strafend an.
„Es wäre zuviel gewesen.“ sage ich schwach.
„Logan ist gleich wieder da. Er musste mal nach Hause und ein wenig schlafen, er hat die letzten beiden Tage kein Auge zu gemacht.“ erklärt er mir und ich sehe ihn fragend an.
„Erinnerst du dich an den Unfall?“ er setzt sich auf meine Bettkante.
„Verschwommen.“ gebe ich zu.
„Amy du hattest eine Hirnblutung, aber wir haben dich sofort operiert. Du hast dir den rechten Arm gebrochen, du hast schlimme Prellungen und Quetschungen an den Beinen. Etliche Schnittwunden mussten wir nähen und klammern. Ich denke du wirst uns noch eine Weile Gesellschaft leisten. Jetzt hast du dich erst einmal zwei Tage ausgeschlafen.“ er erklärt alles ganz ruhig und ich atme tief ein und aus.
„Danke John.“ sage ich leise.
„Amy, ganz ehrlich, das hätte schlimm für dich und das Baby ausgehen können. Du musst mehr auf dich achten.“ sagt er strafend und ich nicke.
„Ich werde deine Betreuung übernehmen und ich werde in einer Stunde einen Ultraschall bei dir machen.“ Er nickt mir zu und ich ringe mich zu einem leichten Lächeln durch.
Als es klopft, nickt er mir nur noch einmal kurz zu und geht Logan kommt zögernd rein.
„Hey, du bist ja wach.“ Er kommt zu mir und setzt sich an mein Bett. Plötzlich steht er auf und sieht mich verwirrt an.
„Was denkst du dir eigentlich dabei?“ er tigert im Zimmer auf und ab.
„Logan…“ setze ich an.
„Nein, nichts Logan…“ er sieht mich böse an „… Herrgott Amelia Brady…“ er fährt sich durch die Haare „…Kannst du mir sagen, was das alles soll?“ er sieht mich an und durchbohrt mich mit seinen Blicken.
„Logan ich…“ versuche ich es erneut.
„Nein, jetzt sage ich dir mal was. Amelia, ich liebe dich mehr als ich ertragen kann. Plötzlich aus dem Nichts warst du da, du hast mir durch die schwere Zeit nach dem Tod meines Dads geholfen. Wir waren so perfekt zusammen in jeder Hinsicht und ich war noch nie so glücklich wie in diesen Wochen. Ich habe mir so sehr gewünscht, du würdest bleiben, aber du bist einfach wieder gegangen. Ich konnte dich nicht halten und dann tauchst du hier 4 Monate später auf und ich war überfordert mit der Situation. Ich habe gesehen, wie du versuchst die Praxis am laufen zu halten, wie du vor Sorge um deinen Dad fast durchgedreht bist, aber mich verließ immer wieder der Mut. Cone, als mich deine Mum anrief bin ich fast gestorben vor Angst um dich. Dann finde ich dich und du sagst mir, dass wir ein Baby bekommen und dann…“ er schluckt schwer „Machst du einfach deine Augen zu und ich drehe fast durch weil ich Angst habe du wachst nicht mehr auf.“ Er setzt sich auf die Bettkante und nimmt meine Hand.
„Logan, ich war so dumm…“ ich merke wie sich die Tränen ihren Weg bahnen „… ich hätte nie gehen dürfen. Ich liebe dich und ich verspreche dir, ich werde nie wieder irgendwo hingehen.“ Ich sehe ihn bittend an.
„Das will ich dir auch raten, denn ich werde dich, ob du willst oder nicht, zu Mrs. O’Callaghan machen.“ Er sieht mich an und beugt sich zu mir um mich zu küssen. „Bitte tue so etwas nie wieder.“ Er sieht mich an, seine Lippen legen sich warm und sanft auf meine und ich sehe die Tränen in seinen Augen.
„Nie wieder.“ verspreche ich. „Ich liebe dich so sehr.“
„Oh Cone.“ Er zieht mich vorsichtig in seine Arme.
„Ich gehöre für immer zu dir Logan O’Callaghan.“ sage ich leise.
Er hält mich fest im Arm und legt seine Hand auf meinen Bauch.
„Wie weit bist du eigentlich? John wollte mir partout nichts sagen.“ Er sieht mich mit seinen türkisen Augen an und ich muss lächeln.
„Im 5. Monat. Der Geburtstermin ist der 24.02.“ sage ich und küsse ihn sanft.
„Wie ich sehe war es wohl die richtige Entscheidung Logan bei dir zu lassen, auch wenn mir deine Mum gleich aufs Dach steigt.“ John steht in der Tür und sieht uns an.
„Danke John.“ sage ich und er nickt lächelnd.
„So, ich werde jetzt das Ultraschall machen.“ Er schiebt das Gerät an mein Bett und Logan steht auf.
Er schiebt das Krankenhaushemdchen hoch und verteilt das Gel auf meinem Bauch.
„Was bist du eigentlich? Neurologe? Unfallchirurg? Gynäkologe?“ ich sehe ihn fragend an.
„Meine Fachgebiete sind Neurologie und Gynäkologie, die Einsätze auf dem RTW gehören zu meinem Dienstplan.“ Er grinst und schaltet das Ultraschallgerät an. „Und jetzt schauen wir mal, wir haben bei deiner Einlieferung schon ein Ultraschall gemacht, aber ich denke du…“ er sieht zwischen mir und Logan hin und her und ich nicke „Also gut ihr, ihr wollt euer Baby bestimmt sehen.“ Er setzt den Schallkopf auf und ich verfolge die Untersuchung auf dem Bildschirm mit. Es geht unserem Baby wirklich gut…
Logan ist so gerührt das er mir die ganze Zeit kleine Küsse aufs Haare haucht.
„Wollt ihr wissen was es wird?“ John sieht uns beide an.
„Nein.“ sagen Logan und ich wie aus einem Mund.
„Okay.“ John lacht und druckt ein paar Bilder aus.
„Ich werde in ein paar Minuten deine Mum und deine Brüder rein schicken…“ John steht auf dun stellt das Gerät zurück in die Ecke „… Logan pass bitte auf sie auf. Wenn es ihr zuviel wird, schickst du alle nach Hause, ja?!“ John sieht ihn fragend an.
„Aber sicher Doc, du kannst dich auf mich verlassen.“ Logan grinst ihn an.
John winkt uns zu und verlässt das Zimmer.
„Das Auto ist übrigens von der Leihwagenfirma abgeholt worden, ich soll dir ausrichten, dass du dir keine Sorgen machen brauchst, er ist Vollkasko versichert. Allerdings wollten sie dir keinen neuen Wagen da lassen.“ Logan lächelt leicht und ich atme auf.
Nicht, dass ich mir bisher darüber Gedanken gemacht habe, aber es ist wirklich gut zu wissen…
Dann klopft es und meine Familie stürmt den Raum. Logan kann gerade noch so von meinem Bett hechten, ehe ich mich in den Fangarmen meine Mum befinde.
„Oh Schätzchen.“ Sie drückt mich an sich.
„Mum ich bekomme keine Luft.“ Japse ich und sie lässt mich vorerst los.
„Amy…“ Jake setzt sich auf die Bettkante und sieht mich kopfschüttelnd an „Mann, so etwas musst du uns sagen.“
„Jake, Dad war wichtiger.“ sage ich mich wehrend.
„Nein, Amy.“ Er sieht mich streng an „Du bekommst ein Baby und arbeitest dich in der Praxis fast tot und dann fährst du zu Hausbesuchen bei einem Wetter, wo selbst ich das Auto stehen lasse.“ Er zeigt mir einen Vogel „Ganz ehrlich, Amy, du musst an deinen Prioritäten arbeiten. Ganz dringend.“
„Ich passe da schon auf.“ Logan nimmt meine Hand und ich sehe ihn dankbar an.
„Na wenigstens etwas das klappt.“ Pat sieht von Logan zu mir.
„Ihr ging es echt schlecht die letzen Wochen.“ Pat deutet auf mich. „Ich mag dich wirklich gern Logan, aber krümm ihr ein Haar und du bist Geschichte.“ Er sieht ihn drohend an. Okay, er versucht es.
„Ich werde, wenn sie entlassen ist, erst einmal damit anfangen sie vor sich selbst zu beschützen.“ Logan zwinkert ihm zu.
„Guter Plan.“ stimmt ihm Jake zu und ich sehe strafend zu ihm „Komm schon, Amy. Mit Ruhm hast du dich in der Beziehung echt nicht bekleckert. Es ist ja löblich, dass wir dir als deine Familie so wichtig sind, aber du hast bald eine eigene Familie.“
„Wie lange musst du denn hier bleiben?“ meine Mum meldet sich wieder zu Wort, ich sehe zu ihr und zucke mit den Schultern.
„Laut John eine Weile und das kann alles bedeuten.“ erkläre ich ihr.
Die nächsten drei Wochen werden quälend lang. Alle wechseln sich an meinem Krankenbett ab und ich bin nie wirklich allein. Logan kommt jeden Abend und schläft in einem Gästebett in meinem Zimmer, obwohl eigentlich schläft er mit in meinem Bett, aber die Schwestern sehen gerne darüber hinweg.
Mein Dad kommt von seiner Reha zurück und ich darf mir eine einstündige Standpauke anhören. An Ende siegt aber seine väterliche Liebe und er freut sich auf sein Enkelkind und auf Logan als Schwiegersohn.
Dann endlich kann ich entlassen werden, lediglich der Gips an der rechten Hand wird mich noch ein wenig begleiten, ansonsten ist alles gut abgeheilt und ich bin fast wieder die alte. Mein Bauch wächst und wächst und ich weiß echt nicht, wo das noch enden soll.
Ich habe mit meiner Familie besprochen das erste Wochenende bei Logan zu bleiben, da der Laden zuhat kann er sich um mich kümmern. Am Montag soll ich dann erst einmal zurück zu meinen Eltern und dann schauen wir weiter. Die Patienten meines Dads, werden zurzeit hauptsächlich von John und seinen Kollegen betreut, aber ich habe vor so schnell wie möglich wieder anzufangen. Mein Dad arbeitet schon wieder stundenweise und es tut ihm gut sich mit seinen Patienten zu umgeben. Meine Mum hat ein wachsames Auge auf ihn und er schimpft, dass sie ihm an den Hacken klebt. Aber ich weiß, dass er ihr nie böse sein könnte.
Zum Glück sind es nur 10 Minuten zu Fuß von Logan zu meinen Eltern.
„Endlich.“ Ich stehe auf und Logan hilft mir mich anzuziehen, da ich meine rechte Hand ja nicht benutzen kann.
„Ja endlich.“ Logan packt meine Sachen in die Tasche und wir gehen zur Anmeldung, damit ich endlich meine Entlassungspapiere unterschreiben kann.
„Wir sehen uns in einer Woche zum Ultraschall.“ John grinst mich an.
„Aber sicher.“ Ich gebe ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke für alles.“
„Wir sehen uns, Logan.“ verabschiedet er sich auch von ihm und Logan bringt mich zu seinem Auto, damit wir zu seinem Haus fahren können.
„Augen zu.“ sagt er lächelnd und ich gehorche ihm während er mir aus dem Auto hilft.
„So und nun Augen auf.“ haucht er mir ins Ohr.
„Wow.“ Ich stehe im Flur und staune nichts schlecht, Cooper scheint hier wirklich ganze Arbeit geleistet zu haben. Von dem ehemaligem dunklen Charme der 70er ist nichts mehr übrig. Alles erstrahlt in hellen Farben und die weißen Möbel machen alles zusätzlich hell. Kaum drin springt mich auch schon Ben an und ich beuge mich zu ihm runter.
„Hallo, mein Schatz.“ Ich lasse ihn meine Hand ablecken.
„An der Erziehung arbeite ich noch.“ erklärt mir Logan als Ben mich anspringt.
„Ach was, er ist jung und wild.“ Ich zwinkere Ben zu und kraule ihn.
„Wenn wir uns da nicht mal einig sind…“ Logan lacht leise.
Logan bringt meine Tasche nach oben und ich sehe ihm leicht verwundert hinterher.
Ich gehe auf eine kleine Erkundungstour durchs Erdgeschoss, das Wohnzimmer hat einen Durchbruch bekommen und wo vorher Logans Schlafzimmer war, ist nun ein Esszimmer. Es ist kaum zu glauben wie viel Farbe ausmacht. Das Haus sieht so freundlich aus. Ich kann es nicht fassen.
„Kommst du mal?“ ruft mich Logan.
Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie an die Garderobe. Ich gehe die Treppe hoch und Logan steht im Flur.
„So hier haben wir jetzt das Schlafzimmer.“ Er deutet auf eine Tür und ich gehe hinein.
„Wahnsinn.“ Ich bestaune das riesige Bett, den neuen Kleiderschrank und dann fällt mein Blick auf einen Frisiertisch. Moment mal, der ist aus meinem Kinderzimmer im Haus meiner Eltern.
„Wie kommt denn der hierher?“ ich sehe fragend zu Logan.
„Später.“ Er lächelt „Komm.“ Er zieht mich wieder in den Flur, dann zeigt er mir das frisch renovierte Bad und ein kleines bisher leeres Zimmer.
„So nun zur eigentlichen Überraschung.“ Er macht die Tür, gegenüber des Schlafzimmers auf. Hier war früher, soweit ich mich erinnern kann, Logans Kinderzimmer.
Ich trete ein und mir treten die Tränen in die Augen. Logan hat ein Kinderzimmer für unser Baby hergerichtet. Es ist in hellem Geld gestrichen, eine Bordüre mit verschiedenen Tieren ziert die Wände in Kopfhöhe. Es steht ein Kinderbett, eine Wickelkommode und ein Schrank darin und Unmengen an Spielzeug in verschiedenen Kisten.
„Wann hast du das denn gemacht?“ ich nehme ihn in den Arm und küsse ihn sanft.
„Also erstens muss ich gestehen, dass ich das nicht alleine gemacht habe. Jake und Pat haben mir unter die Arme gegriffen. Das Bett ist noch mein altes Kinderbett und das Spielzeug ist von dir und von mir. Ein Problem haben wir allerdings noch…“ er zieht mich zum Kleiderschrank „…der ist noch leer.“
„Oh Logan.“ Ich falle ihm um den Hals.
„Bevor ich es vergesse…“ er zieht mich die Treppe wieder runter „Ich habe noch ein Geschenk von Coop und Jen bekommen.“ Er öffnet die Tür und deutet links neben die Klingel.
Logan Matthew O’Callaghan
&
Amelia Joan O’Callaghan M.D.
Darunter ist noch Platz für den Namen unseres Kindes.
“Du willst mich also wirklich heiraten?” ich grinse ihn an.
„Aber sicher.“ Er zieht mich in seine Arme.
„Und wie ich dich kenne, hast du nicht im Traum daran gedacht, dass ich wieder zu meinen Eltern ziehe. Richtig?“ Ich küsse ihn leidenschaftlich.
„Nein, du bleibst jetzt bei mir. Für immer.“ Er schließt die Tür wieder und bugsiert mich die Treppe hoch ins Schlafzimmer.
Ich genieße seine Liebkosungen. Anfangs ist er etwas unsicher… Aber das gibt sich schnell, ich habe es ja hier immerhin mit Logan O’Callaghan zu tun.
Als ich am nächsten Morgen wach werde und neben mir schaue, wird mir ganz warm ums Herz. Er ist alles, was ich will und alles, was ich brauche.
Ich helfe Logan in den nächsten beiden Wochen bei den Abrechnungen für den Laden, da mein Gips mich immer noch daran hindert wieder in der Praxis zu arbeiten. Dann endlich kommt er ab und ich bin hibbelig, weil ich endlich wieder arbeiten kann.
Logan verabschiedet sich in den Laden und ich mache mich auf den Weg zur Praxis. Davor kommt Kelly auf mich zu.
„Darf ich eigentlich weiter für dich arbeiten?“ sie grinst mich an.
„Für mich? Das musst du schon mit Dad klären.“ lache ich.
„Ich denke du bist genauso berechtigt wie er…“ sie tritt zur Seite und ich lache auf.
„Gab es Schilder im Sonderangebot?“ ich nehme sie in den Arm.
„Nein, aber dein Dad wollte dir eine Freude machen.“ Sie lächelt.
Ich ziehe meine Handschuhe aus und streiche vorsichtig über das blanke Metall.
James Alexander Brady M.D.
Amelia Joan O’Callaghan M.D.
„Warum steht überall schon O’Callaghan? Wisst ihr was, was ich nicht weiß?“ ich sehe sie fragend an.
„Nein.“ sagt sie lang gezogen.
„Kelly Brady, mach den Mund auf.“ fordere ich sie auf und sie läuft ins Haus.
„Was macht ihr denn?“ mein Dad sieht uns lächelnd an als ich Kelly am Arm fest halte.
„Hallo Daddy.“ Ich gehe zu ihm und gebe ihm einen Kuss auf die Wange.
„Hallo Schätzchen.“ begrüßt er mich.
„Danke Daddy.“ sage ich lächelnd und er zieht mich in seine Arme.
„Das habe ich mir immer gewünscht.“ gibt er zu. „Und jetzt ran an die Patienten.“ Er klatscht in die Hände. Ich ziehe meine Jacke aus und er sieht mich überrascht an.
„Wo willst du denn noch hin?“ er legt seine Hand auf meinen Bauch.
„Das frage ich mich auch, ich habe ja immerhin noch 11 Wochen.“ Ich seufze.
„Das wird schon, wie geht es denn meinem Enkelkind?“ er lacht leise.
„Gut, John hat gestern alles gecheckt. Alles in Ordnung.“ Ich recke meinen Daumen in die Höhe.
„Schätzchen.“ Meine Mum kommt aus der Küche. „Frühstück?“ fragt sie mich nachdem sie mich gedrückt und geküsst hat.
„Nein, Logan hat uns schon versorgt.“ Ich grinse und ziehe mir meinen Arztkittel über.
„Wir haben dir die nächsten beiden Wochen nur bis 12 Uhr Patienten eingetragen und in Absprache mit deinem Mann bleibt das auch so.“ sagt sie streng.
„Ihr wisst aber schon, dass Logan und ich noch nicht verheiratet sind, oder?“ ich gehe in mein Sprechzimmer an dem sich ebenfalls schon ein Namensschild mit O’Callaghan befindet.
Na, toll ich werde die Hälfte meiner Zeit damit verbringen, den Patienten zu erklären, dass Logan und ich noch nicht verheiratet sind. Bevor es soweit kommt, nehme ich mir einen Streifen Leukosilk und schreibe Amelia Joan Brady M.D. drauf und klebe es begleitet von einem Lachen von Kelly über.
Ich arbeite mich gut ein und mein Dad übernimmt Tagesweise schon wieder volle Sprechstunden. Kelly und meine Mum ergänzen sich prima und ich bin mir sicher, dass das hier immer für mich vorherbestimmt war.
Am 14. Dezember holt mich Logan von der Arbeit ab und ich sehe ihm an, dass er was im Schilde führt.
„Zieh dich um.“ grinst er.
„Aber was soll ich anziehen?“ lache ich und küsse ihn.
Kelly kommt zu mir und wir gehen hoch in mein altes Kinderzimmer in dem wie ich erstaunt fest stelle schon Jen wartet. Moment mal wir haben Freitag und wer ist im Laden?
Kelly holt ein schneeweißes Kleid aus dem Schrank.
„Anziehen.“ sagt sie und ich starre sie an. „Dein Mann wird heute offiziell dein Mann.“ lacht sie.
Ich bin viel zu perplex, um irgendetwas zu erwidern.
Zwei Stunden später führt mein Dad mich in die Kirche und alle unsere Freunde sind da. Die Trauung ist wunderschön und ich kann es nicht fassen, dass ich um 15:23 Uhr wirklich als Mrs. O’Callaghan die Kirche verlasse.
Zwischenzeitlich habe ich natürlich meinen Job in Long Beach gekündigt und wie ich später erfahren haben, hat Dr. Berg sich um meine Anerkennung hier in Irland gekümmert und mir eine Kassenzulassung beschafft.
Ich telefoniere immer noch regelmäßig mit Sam, auch er scheint endlich mal sesshaft werden zu wollen, denn Carrie, eine Schwester aus der Klink hat ihn augenscheinlich gezähmt. Lucy und Allan wollen im Sommer heiraten, aber ganz ehrlich so richtig überraschen tut mich das nicht.
Epilog
„Nick!“ rufe ich über den Hof und ein paar Augenblicke später kommt unser Ältester aus der Scheune.
„Was denn Mum?“ er bleibt vor mir stehen.
Meine Güte, er ist jetzt 15 und schon fast einen Kopf größer als ich.
„Wir wollen jetzt zu Grandpa und Grandma.“ Ich reiche ihm einen sauberen Pullover. „Sammelst du bitte deine Geschwister ein?“ bitte ich ihn inständig und er macht sich lächelnd auf die Suche.
Ich nehme das Geschenk zu Mums 75. Geburtstag an mich und gehe durch die Vordertür.
Logan fährt gerade hupend auf den Hof und ich winke ihm zu.
„Fertig?“ fragt er und steigt aus.
„Nick sammelt sie gerade ein.“ gebe ich zurück und schließe die Tür ab, mein Blick fällt auf das Schild neben der Tür.
Mittlerweile glänzt es nicht mehr so wie am ersten Tag, aber es ist ja auch schon ein paar Mal ergänzt worden.
Logan Matthew O’Callaghan
&
Amelia Joan O’Callaghan M.D.
Nicholas James, Alexander Jacob, Emilia Sophie, Kayleigh Marie , Samuel Sean & Finlay Patrick
„Daddy.” kommt es geräuschvoll von der Seite und unsere Kinder bestürmen ihren Dad. Unser Hund Emma wuselt um alle herum und ich denke ihr Schwanz fällt gleich ab…
Als Ben vor zwei Jahren gestorben ist, ging für die Kinder ein Welt unter und schnell waren wir uns einig, uns einen neuen Hund zu zulegen. So kam Emma aus dem Tierheim in Ballina zu uns.
Ich sehe mir unsere Rasselbande an… Nick ist 15 und wird in 4 Monaten 16, Alex ist fast 14, Emilia wird 13 und Kayleigh ist fast 11 und Sam und Fin werden in drei Tagen 10. Tja, 6 Kinder, wer hätte das gedacht?
Ich gebe zu, ganz so geplant war das alles nicht, aber wir lieben unsere Kinder über alles. Wir mussten nach Alex aus Logans Haus ausziehen, aber dank Coop haben wir schnell was Passendes gefunden. Quasi auf der anderen Straßenseite der Praxis, die ich seit zwei Jahren alleine führe. Na, gut nicht ganz allein, denn Kelly ist ja auch noch da. Sie und Pat haben jetzt 3 Kinder, Simon, Zoey und Laura. Jake und Ann haben auch noch mal nach gelegt und zu Josh und Ty sind noch Jared, Shane und Kian hinzugekommen.
Meine Mum hat uns heute alle eingeladen. Ob sie weiß, was sie sich damit antut? Ich meine Josh und Ty sind ja schon fast 20, aber so eine Familienfeier lassen sie sich nicht entgehen…
Das wird ein Spaß, 14 Kinder und 8 mehr oder weniger Erwachsene.
Als wir bei meinen Eltern ankommen, stürmen alle sofort los und Logan legt seinen Arm um mich.
„Ich liebe dich, Amelia O’Callaghan.“ Er lächelt mich verliebt an und seine türkisenen Augen blitzen auf.
„Ich dich auch, Logan O’Callaghan.“ Ich beuge mich zu ihm und wir versinken in einem innigen Kuss.
Genau das ist Liebe! Schießt es mir durch den Kopf.
Wenn du einmal im Leben das Glück hast einen Menschen zu finden bei dem du völlig du selbst sein kannst und der dich mit all deinen Fehlern und Schwächen akzeptiert, dann halte an diesem Glück fest, denn das ist die einzig wahre Liebe!
Texte: me
Bildmaterialien: me
Tag der Veröffentlichung: 28.07.2012
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