„Nic bist du das?“ meine Mum steckt ihren Kopf aus der Tür und sieht mich an.
Komisch was fragt sie denn wenn sie keine zwei Sekunden später ihren Kopf zur Tür heraus streckt?
„Hmm.“ Nuschele ich mit vollem Mund, gerade auf dem Weg vom Auto hierher habe ich mir mein letztes Stück vom Muffin, welchen ich mir als Frühstück an der Tankstelle gekauft hatte, in den Mund gesteckt.
„Komm rein Schatz!“ sie drückt mich so fest an sich das ich mich fast verschlucke.
„Mum…“ ich verdrehe leicht genervt die Augen.
„Was denn?“ Sie übergeht mein Augendrehen und zieht mich ins Haus.
Wahnsinn wie sich alles ändert wenn plötzlich alles verpackt ist. Ich lasse meinen Blick durch den großen Flur schweifen, alles steht voller Kartons die von meiner Mum natürlich in Schönschrift beschriftet worden waren. An die 40 Kartons stapeln sich nun hier und ich bin mir sicher dass es nur ein Teil sein kann.
„Wo ist denn der Rest?“ Fragend ziehe ich meine Augenbrauen hoch.
„In der Garage, im Wohnzimmer, in der Küche…“ Sie stöhnt leicht auf „Überall.“ Sagt sie schließlich um einer weiteren Aufzählung aus dem Weg zu gehen.
„Nic!“ mein Dad kommt mit einem weiteren Karton aus dem Obergeschoss und sein Gesicht erstrahlt als er mich erblickt.
„Daddy!“ ich stürme auf ihn zu und nehme ihn, trotz des Kartons, fest in meine Arme.
Ich bin ein typisches Daddy – Girl. Ich leibe ihn wirklich abgöttisch, mein Dad mein Held.
Er stellt nun lachend den Karton zu den anderen und zieht mich richtig in seine Arme.
„Ich habe dich viel zu lange nicht gesehen.“ Er streicht mir eine Strähne meines braunen Haares aus dem Gesicht.
„Ich weiß.“ Antworte ich schuldbewusst.
Ich wohne seit ein paar Jahren in Dublin, ich habe vor einem Jahr mein Medizinstudium abgeschlossen und schaffe es nur noch selten die knapp 200 km nach Sligo zu meinen Eltern zu fahren und jetzt wo er es sagt bekomme ich ein noch schlechteres Gewissen.
„Die Hauptsache ist du bist da.“ Meine Mum lächelt mich an. Meine Mum ist eine schöne Frau, sie hat lange blonde Haare die mit einzelnen silbernen Strähnen durchsetzt sind, ihre grünen Augen funkeln leicht im Sonnenlicht. So wie sie jetzt da steht würde man ihr ihre 53 Jahre nicht abnehmen.
„Gehst du nach oben und schaust das du ein paar Karton hier runter bekommst?“ Mein Dad knufft mich leicht und ich lache auf.
Ach, ja ich bin ja nicht zum Höflichkeitsbesuch hier, sondern um meinen Eltern bei ihrem Umzug zu helfen. Nachdem ich nun schon seit 8 Jahren nicht mehr zu Hause bin haben sie sich endlich entschlossen das Haus, zugunsten eines kleineren Hauses, zu verkaufen. Ich kann gut verstehen dass sich so schnell ein Käufer gefunden hat, es ist ein sehr schönes Haus. Hell, geräumig mit einem riesigen Garten.
Ich steige langsam die Stufen in das Obergeschoss und laufe durch den langen Flur bis hin zur letzten Tür. Mein altes Zimmer, ich öffne die Tür und stelle leise lachend fest das sie immer noch quietscht. Das hat es mir in meiner Jugend erschwert mich hinaus zu schleichen.
Ich betrete nun das erste Mal seit Jahren mein Zimmer und sehe mich um, fast alle Regale sind leer und vom Bett ist nur noch das Gestell da. Etwas in der hintersten Ecke erweckt mein Interesse, ich gehe näher heran und halte meinen alten, braunen verschlissenen Teddybären in der Hand. Ich drücke ihn fest an mich und eine Träne läuft mir über die Wange.
„Teddy.“ Flüstere ich leise und sehe ihn mir genau an. Eines seiner schwarzen Knopfaugen fehlt, an vielen Stellen ist das Fell schon so abgenutzt das nur noch der Stoff darunter zu sehen ist. Ach was habe ich Teddy geliebt.
Obwohl er auch schon mindestens 28 Jahre alt aussieht, weiß ich nicht wie alt er wirklich ist. Ich habe ihn mit 10 Jahren geschenkt bekommen.
Ich schließe meine Augen, ich erinnere mich nicht gerne an diese Zeit.
Einen Tag vor meinem 10. Geburtstag war mein Mum mit mir beim Arzt da ich in der letzten Zeit auffällig oft krank gewesen war. Dann sagte der Arzt etwas was unser ganzes Leben in einer Sekunde auf den Kopf stellte.
„Nicole hat Leukämie.“ Dabei sah er mich nicht einmal an.
Ich verstand damals natürlich nicht was das bedeutete, aber was diesem Satz gefolgt war, waren lange, lange Krankenhausaufenthalte nach denen es mir anfangs immer schlechter statt besser ging.
Dann lernte ich Shane kennen, er war auf meiner Station, in meinem Alter. Welch ein Segen, wir wurden schnell die besten Freunde.
Shane war immer lustig und selbst die schlimmste Chemo konnte seiner guten Laune keinen Abbruch tun.
Er munterte mich auf wenn es mir schlecht ging, erwartete aber nie das gleiche von mir.
Ich glaube ohne ihn hätte ich das nicht überstanden.
Eines Tages saßen wir bei ihm Zimmer und ich entdeckte Teddy.
„Ein Geschenk meiner Grandma. Soll mir Glück bringen. Weißt du was?“ er sah mich mit seinen großen blauen Augen an „Wenn es mir wieder gut geht, dann bekommst du ihn und behältst ihn solange bis es dir auch gut geht.“ Er war so stolz über seinen Vorschlag.
Also bekam ich Teddy erst einmal mit zu mir, ich hatte Fieber und bräuchte ihn heute Nacht.
So ging es fast ein ganzes Jahr. Teddy wurde Geheimnisträger, Tröster und Besserungshelfer.
Das funktionierte super, mir ging es immer besser und die Ärzte sahen meiner baldigen Heilung entgegen.
Dann, eines Tages saß Teddy auf meinem Nachttisch und ich staunte. Shane war es am Abend vorher nicht gut gegangen und deshalb sollte Teddy bei ihm sein. Ich nahm ihn in die Hand und lief die zwei Zimmertüren weiter.
Sein Zimmer war leer, sein Bett frisch bezogen und nichts erinnerte an Shane.
Ich lief panisch zur Schwester und sie sah mich nur traurig an, ich kannte diesen Blick, den hatte sie immer wenn eines der Kinder den langen, unsäglichen Kampf verloren hatte. Ich warf mich auf den Boden und weinte wie noch nie zuvor in meinem Leben.
Am späten Nachmittag kam Shanes Mum und gab mir einen Zettel in die Hand.
Ich fühle über Teddys Rücken, meine Mum hatte ihn in Teddy eingenäht. Sofort liefen noch mehr Tränen über mein Gesicht.
Sofort kommen verschwommen die Erinenrung an diesen kleinen Zettel hoch. Ich sehe ihn vor meinem inenren Auge.
Hör nie auf zu kämpfen!
Ich warte auf dich!
Lebe für mich mit, mach was dir Spaß macht
Und bitte Nic werde eine tolle Ärztin!
Shane
Oh mein Shane, mein Teddy…
Ich drücke ihn immer noch fest an mich. Ich habe wirklich mein Leben bisher immer in vollen Zügen genossen, ich habe mein Medizinstudium mit Bestnoten abgeschlossen und bin auf dem Weg eine richtig gute Ärztin zu sein.
Ich habe alles getan um was Shane mit gebeten hat.
Als ich wieder nach unten komme nimmt mein Dad mich fest in den Arm.
„Hey Teddy, den habe ich ja auch schon lange nicht gesehen.“ Er streicht über meine Wange.
„Hmm.“ Ich nicke leicht.
„Nimmst du ihn mit?“ meine Mum stellt sich neben uns und sieht mich fragend an.
„Ja, er ist ein Teil meines Lebens…“
Tag der Veröffentlichung: 15.03.2012
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