Strahlendes Hellblau flimmert in meinen Augen. Ein weißer flauschiger Adler zieht gemächlich über das wundervolle Blau, er wandelt sich zu einem kleinen Drachen dessen Kraft ich bis in mein Innerstes spüre.
Ein kleiner Windhauch umspielt mein Gesicht und der Drache löst sich in viele kleine, weiße Wölkchen auf. Gespannt halte ich meinen Blick auf die vielen kleinen weißen Flocken gerichtet und ich wünsche mir, ein Teil davon zu sein. Träge und langsam durch dieses Blau zu gleiten und meine Form nach Belieben zu ändern.
Keine Sorgen und keine Trennung, die ich miterleben muss. Alles wirkt friedlich und ruhig. Die Sonne umspielt mein Gesicht und ich fühle, wie die Wärme durch meinen Körper dringt und sich um mein Herz legt.
Ich blinzle, weil meine Augen so langsam anfangen zu brennen, deshalb muss ich meinen Blick von diesem wunderschönen blauen Himmel abwenden.
Schon seit einer halben Ewigkeit liege ich mit dem Rücken auf der weichen warmen Wiese und der Sommerduft umhüllt mich. Ich atme tief den Duft des Grases ein und schließe meine Augen, um noch etwas von der Ruhe um mich herum zu genießen. Leider muss ich in genau zehn Minuten wieder los, da meine Mittagspause dann vorbei sein wird. Drei Stunden habe ich noch vor mir. Ich weiß gar nicht, wie ich die ersten fünf Stunden hinter mich gebracht habe. Nur gut, dass heute Freitag ist und das das Wochenende vor der Tür steht. Normalerweise arbeite ich ja selbst am Freitag bis spät in die Nacht, um meine Projekte so schnell wie möglich zu erledigen, doch was ist schon normal?
Ich habe erst am Mittwoch eine passende Wohnung für mich gefunden, die nun renoviert und eingerichtet werden muss. Das bedeutet für mich aber auch, dass ich das ganze Wochenende keine Pause habe und heute noch alle Materialien zum Streichen der Wohnung besorgen muss. Im Kopf bildet sich eine Liste, was genau ich denn alles benötige und welche Farben ich eigentlich haben möchte. Auch brauche ich dringend neue Möbel.
Während meiner Überlegungen über meinen Einkauf, stellt sich die Frage, wie es eigentlich noch einmal dazu gekommen ist.
***
Seit einer Woche bin ich nun schon alleine und es ist ungewohnt. Wie man sich doch an jemanden gewöhnt, wenn man über Jahre mit ein und derselben Person zusammen lebt. Ein Seufzen kommt über meine Lippen und das letzte Wochenende kommt mir wieder in den Sinn.
Wie immer kam ich erst spät am Freitagabend nach Hause und begrüßte Marius mit einem flüchtigen Kuss auf die rechte Wange. Er saß im Wohnzimmer auf dem Sofa und in der Hand ein Buch, was er seit Tagen schon gelesen hatte. Doch als er mich herein kommen hörte, legte er es gleich nach unten und schaute mir kurz in die Augen. Mein Weg führte sofort ins Schlafzimmer, wo ich mich von meiner Kleidung befreite, um danach ins Bad zu huschen und unter die Dusche zu gehen.
Der Tag selber war nicht anstrengender gewesen als sonst. Kundengespräche und ihre Wünsche in die kleinen Modelle einarbeiten. Normale Firmengespräche vergleichen und Ausschreibungen fertig machen, um dem Besten dann den Auftrag zu erteilen, damit die Modelle in die Realität umgesetzt werden konnten.
Seit einigen Jahren arbeitete ich nun schon in der Architekturbranche und hatte mein Hobby, Modelle zu bauen zu meinen Beruf gemacht.
Das Studium hatte ich problemlos bestanden, mit eins Koma sechs und ich wurde auch sofort bei meiner Praktikum Firma eingestellt. Zwei Jahre arbeitete ich dort und hatte danach so viel praktische Erfahrungen, dass ich mich entschied eine eigene kleine Firma zu eröffnen.
Ich lasse mir das warme Wasser über meinen Körper laufen und genieße, wie die Anspannung des Tages von mir abfällt. Zehn Minuten nehme ich dieses himmlische Gefühl intensiv auf. Dann seife ich mir meine Haare und meinen Körper ein und lasse mich noch einmal von den warmen Strahlen verwöhnen bevor ich meine Dusche verlasse.
Ich greife mir mein Handtuch und beobachte, wie einzelne Wassertropfen an der Duschtür herunterlaufen, der Spiegel und die Fliesen sind vom Wasserdampf beschlagen und auch dort bahnen sich einige Tropfen den Weg nach unten. Immer wieder fixiere ich verschiedene Tropfen und folge ihrem Weg, wie sie sich eilig bewegen. Manche treffen aufeinander und sie nehmen ihren Weg gemeinsam. Ein paar Sekunden, während ich mir meine Haare trockne, schaue ich diesem Schauspiel noch zu, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung registriere.
Vorsichtig hebe ich meinen Kopf und drehe mich in die entsprechende Richtung. Marius hat sich an den Türrahmen gestellt, mit verschränkten Armen, den Kopf ans Holz gelegt und schaut mir beim Abtrocknen zu.
Seine Statur imponiert mir immer wieder. Er ist groß und schlank, unter seinem T-Shirt kann man deutlich sein Sixpack erkennen und seine Oberarme spannen sich etwas. Seine blauen Augen fixieren mich und einen Moment lang beobachtet er mich und sein Blick streift über meinen Körper.
Ich störe mich nicht an seinem Blick, dies tut er öfter und ich mochte es schon immer, wenn er meinen Körper anschaut, mir zusieht, wenn ich kleine Alltäglichkeiten erledige. Doch irgendwie kann ich erkennen, dass sein Blick heute etwas anders ist. Auch sein Ton, mit dem er meinen Namen sagt, gibt mir Gewissheit, dass heute etwas anders ist: „Lisi“, vernehme ich seine volle tiefe Stimme.
Ich lege das kleine Handtuch beiseite und wickle mich in mein großes Badehandtuch ein, während ich nur mit einem „Mhh“ reagiere.
Ein tiefes Seufzen kommt von ihm und ich schaue noch einmal direkt in seine Augen. Seine schwarzen Haare sind etwas verstrubbelt und man erkennt, dass er mit seinen Händen mehrfach hindurch gestrichen sein musste. Dies ist eine Angewohnheit an der ich sofort erkenne, dass Marius nervös ist.
Langsam, ohne meinen Blick von ihm abzuwenden, schlurfe ich auf die Tür zu. Eine kleine Drehung von ihm gibt mir den Weg frei, das Bad zu verlassen. Während ich an ihm vorbei streife, stelle ich leise die Frage:
„Was hast du? Irgendwie bist du heute komisch drauf.“ Marius lässt noch einmal seine rechte Hand durch sein Haar streifen und leise, kaum hörbar, vernehme ich:
„Lisi, wir müssen reden… Bitte… Ich warte im Wohnzimmer auf dich.“
Mit einem schummrigen Gefühl im Magen drehe ich mich zu ihm um und nicke nur. Gleich darauf verschwinde ich ins Schlafzimmer und an seiner Bewegung kann ich sehen, dass er zurück ins Wohnzimmer geht.
Im Schlafzimmer angekommen, atme ich erst einmal tief durch. Langsam gehe ich zu dem großen Bett hinüber und setze mich auf die Kante. Noch immer das Handtuch um meinen Körper, starre ich auf die Tür. Ich weiß genau, worüber er mit mir sprechen möchte.
Wir haben beide festgestellt, dass wir seit Monaten nichts mehr miteinander unternommen haben, geschweige denn miteinander geschlafen. Wir leben die ganze Zeit schon unser eigenes Leben und keiner weiß wirklich noch etwas von dem Alltag des anderen, bis auf die wenige Zeit am Abend zu Hause und auch da haben wir uns kaum noch etwas zu sagen.
Mit schwerem Herzen erhebe ich mich, um mir ein paar Sachen aus dem Kleiderschrank zu holen. Eine kurze blaue dünne Stoffhose und ein etwas zu groß geratenes weißes T-Shirt ziehe ich mir über. Bevor ich das Schlafzimmer verlasse, schnappe ich mir noch ein Haargummi und binde mir meine langen rotbraunen Haare zusammen Ich möchte nicht wirklich ins Wohnzimmer, doch weiß ich genau, dass ich nicht drum herum komme.
Noch einmal ziehe ich tief die Luft ein und öffne die Schlafzimmertür. Langsam gehe ich durch den Flur und mit erhobenem Kopf betrete ich das Wohnzimmer, wo Marius schon auf mich wartet.
Er sitzt auf dem breiten Sofa und hat auf dem Tisch eine Kerze, zwei Weingläser und eine Flasche Rotwein bereitgestellt. Die Kerze flackert träge vor sich hin und hüllt das Zimmer in eine angenehme, beruhigende Atmosphäre.
Das kleine Echtholz-Sideboard, was unter der Schräge steht, leuchtet in einem angenehmen Orangeton. Von dem Fenster darüber vermischt sich das Kerzenlicht mit dem des Halbmondes, der hoch am Himmel steht. Auch kann ich die Sterne sehen, die für mich immer etwas Beruhigendes haben. Genau das war der Grund, warum wir vor fünf Jahren die Wohnung bezogen hatten. Denn man konnte wunderbar in den Sternenhimmel schauen, wenn man genau unter dem Fenster saß. Wir hatten uns eine kleine Liegewiese darunter aufgebaut. Sie bestand aus einem flauschigen beigefarbenen Teppich, rechts und links daneben befinden sich große Kerzenständer.
Wie oft hatten wir in den ersten Jahren darunter gelegen und hatten wunderschöne romantische Nächte verbracht. Der Gedanke an diese Zeit lässt mein Herz sich ein wenig zusammen ziehen und ich seufze auf. Nun schimmert nur die eine Kerze auf dem Tisch. Die kleine Flamme spiegelt sich im Glas der Tischplatte wider und die leichte, leise Musik, die den Raum durchflutet, bewirkt in mir etwas sehr Romantisches.
Ich lasse die Luft noch einmal tief in meine Lungen, so dass ich sogar spüre, wie mein Brustkorb sich hebt und senkt. Doch obwohl ich weiß, dass der Schein trügt schlägt mein Herz ruhig.
Mit langsamen Schritten bewege ich mich auf das breite rötliche Sofa zu und Marius wendet seinen Blick erst einmal von mir ab.
Vorsichtig lasse ich mich auf dem Sofa neben ihm nieder, während er den Wein in die Gläser einschenkt. Etwas zurückhaltend hält er mir ein Glas hin, was ich mit einem Kopfnicken annehme.
Sekunden oder Minuten sehen wir uns nur an und sitzen uns still gegenüber.
Jeder von uns nippt immer wieder von seinem Glas und keiner weiß genau, wie er das Schweigen brechen soll. In Marius Blick kann ich Traurigkeit sehen.
Da ich diese ewige Stille nun wirklich nicht mehr ertragen kann, spreche ich ihn an und er zuckt etwas zusammen als er meine Stimme vernimmt.
„Marius“, er blinzelt und sieht mich gequält an und meine Stimme ist leise und ruhig.
„Marius, ich weiß, worüber du mit mir reden möchtest.“ Ich kann in seinem Gesicht sehen, dass es ihn quält, denn das, was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass er mich wirklich aufrichtig liebt. Aber leider reicht dies nicht immer aus, wenn man keine Gemeinsamkeiten mehr hat.
„Ich weiß, dass wir uns in den letzten Monaten sehr stark auseinander gelebt haben.“ Ein Seufzen bestätigt meine Worte und ich versuche, den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, herunter zu schlucken.
„Lisi“ kommt es nun von ihm und sein Blick bleibt in der Flüssigkeit seines Weines gefangen. Ich rutschte etwas näher zu ihm und lege meine Hand vorsichtig auf seinen Schoß.
„Ist Ok. Ich weiß, dass es das Beste für uns ist. Auch ich habe schon einige Male darüber nachgedacht, doch ich war noch nicht bereit, den Schritt wirklich zu gehen. Ich mache dir bestimmt keine Szene oder Vorwürfe, wir haben uns einfach unterschiedlich weiter entwickelt. So etwas passiert einfach.“
Mit Tränen in den Augen sieht er mich an und ich nehme ihm das Glas aus der Hand und stelle unsere beiden Gläser auf den Tisch. Mit einer schnellen Bewegung zieht er mich an seine Brust und hält mich in seinen Armen. Viele Minuten bleiben wir so verschlungen sitzen und ich bemerke das erste Mal, dass es mich nicht sexuell erregt.
Mir kommen Erinnerungen, dass es eine Zeit gab als wir nicht die Finger von einander lassen konnten, nur weil wir uns kurz berührten, den Duft des anderen eingeatmet oder nur tief in die Augen gesehen hatten. Doch hier und jetzt ist es zwar beruhigend, ihn im Arm zu haben, doch ist es einfach nur noch eine freundschaftliche Umarmung. Ein Blick in seine Augen und ich erkenne, dass es ihm in gewisser Weise auch so ergeht.
„Warum?“ fragt er ganz leise neben mir und leider kann ich nur mit den Schultern zucken. Natürlich hätte ich mir etwas anderes für uns gewünscht. Wir liebten uns, ergänzten uns eine zeitlang sehr gut. Seit fünf Jahren leben wir nun zusammen.
„Du weißt, dass ich dich liebe und auch immer lieben werde.“ Ich nicke und ich kann nicht einmal sagen, was mein Gefühl ausdrückt. Erleichterung oder Trauer, beides spiegelt sich in mir und noch immer lehne ich an seiner Brust.
„Ich werde für ein paar Tage ins Hotel ziehen. Ich glaube, das ist besser für uns beide.“ Ich fühle wie seine Brust sich stark anhebt da er tief die Luft einzieht, bevor er weiter spricht.
„Willst du in der Wohnung bleiben? Dann würde ich meine Sachen holen sobald ich eine eigene Unterkunft gefunden habe.“
Jetzt hebe ich meinen Kopf, blicke ihm tief in die Augen und schlucke schwer. Auch wenn ich weiß, dass es das einzig Richtige für uns ist so spüre ich doch, wie ein kleines Stück in mir stirbt und ein Stich sich durch mein Herz zieht. Noch einmal schlucke ich den Speichel, der meinen Mund ausfüllt, herunter und schüttle leicht den Kopf, bevor ich zu einer Antwort fähig bin.
„Nein du behältst die Wohnung, ich finde ganz sicher etwas Anderes für mich, schließlich arbeite ich ja fast in der Branche, da wird sich ja was finden.“ Er nickt und noch einmal sehen wir uns tief in die Augen. Ein Lächeln umspielt seine Lippen und ich erwidere es und bevor die Stille unangenehm wird, schnappe ich mir die Flasche Wein gieße jedem von uns noch einmal nach und reiche ihm sein Glas.
„Auf uns und auf unser neues Leben. Ich wünsche mir nur eins, dass ich dich nie als Freund verliere.“ Mit diesen Worten erhebe ich das Glas und Marius macht es mir nach.
Ein Kopfnicken bestätigt meine Worte und nachdem wir jeder einen großen Schluck genommen haben, bekräftigen wir unsere Entscheidung noch einmal mit einer festen Umarmung. Ich beobachte, wie Marius das Glas wieder abstellt, langsam aufsteht und sich kurz noch einmal zu mir runter beugt. Mit einem Kuss auf die Wange sagt er mir leise ins Ohr:
„Ich werde dann mal gehen. Ich hatte mir vorhin schon ein paar Sachen gepackt.“ Meinen Kopf nach oben zu ihm gerichtet, nicke ich nur, ja der Koffer war mir vorhin schon aufgefallen, daher wusste ich ja auch, was heute auf mich zu kommen sollte.
Mit schnellen Schritten verlässt er das Wohnzimmer und geht in den Flur. Noch einen Moment höre ich, wie Geräusche aus dem Flur dringen und dann, wie sich die Wohnungstür schließt. Stille umfängt mich und ich sitze auf dem Sofa wie festgewachsen. Ein Schütteln durchläuft meinen Körper und ich nehme mir ein Sofakissen und drücke es fest an meinen Körper. Ohne dass ich es will, bahnen sich Tränen ihren Weg und laufen mir die Wangen herunter.
Ich lasse mich seitlich fallen und meine Tränen sickern in das Kissen was ich mir vor das Gesicht drücke.
Obwohl ich die ganze Zeit wusste, dass es die richtige Entscheidung gewesen ist, weil es für uns keine weitere Zukunft mehr gibt, stelle ich mir doch die Frage: Warum tut es dann so verdammt weh? Warum fehlt er mir gerade jetzt so sehr? Ist es, weil ich ihn immer noch liebe oder weil es einfach nur Gewohnheit ist? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mein Herz gerade gebrochen ist, dass ich mich leer und einsam fühle.
Wie lange ich nun schon hier liege weiß ich nicht, doch irgendwann bin ich in einen traumlosen Schlaf eingetaucht.
Nun, die Tage sind ziemlich schnell vergangen und zum Glück habe ich durch einen bekannten Immobilen Makler auch eine Wohnung in der Innenstadt bekommen. Aus der alten Wohnung habe ich nur meine persönlichen Sachen mitgenommen. Alles andere habe ich dort gelassen, auch wenn wir uns in Freundschaft getrennt haben und vielleicht ist es auch genau deswegen, dass ich nichts mitnehmen wollte, was an unsere gemeinsame Zeit erinnert.
***
Jetzt, eine Woche später, sitze ich hier in meinem Büro und kann mich nicht wirklich auf meine Arbeit konzentrieren. Noch einmal gehe ich meine Papiere durch, schaue mir das Modell auf meinem Arbeitstisch an.
Zurzeit arbeite ich an einem Projekt für die Stadt. Sie wollen eine neue Wohnsiedlung mit einer dazugehörigen Parkanlage. Ich stelle einige der kleinen Bäumchen um und hebe die Rutsche hoch, die auf dem kleinen Spielplatz gestanden hat. Ich drehe dieses kleine Ding mehrfach in meiner Hand und frage mich, warum ich eigentlich keine Kinder habe. Ein Dummer Gedanke, der mir jetzt kommt, der passt nun überhaupt nicht und natürlich weiß ich, warum ich keine Kinder habe. Ich habe nie Zeit dafür gefunden. Immer war da die Arbeit und nun bin ich schon Anfang dreißig.
Vorsichtig stelle ich die kleine Rutsche wieder auf ihren Platz. Ich sollte Feierabend machen, denn meine Gedanken sind einfach nicht mehr wirklich frei. Nur gut, dass ich noch zwei Monate Zeit habe, bis das Bauprojekt anfangen soll.
Am Dienstag habe ich erst ein Gespräch mit dem Bauleiter und bis dahin schaffe ich noch die Kleinigkeiten. Wenn der Typ mit meinem Modell zufrieden ist, bin ich sogar wieder vor dem Zeitplan.
Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen packe ich meine Sachen zusammen.
Normalerweise habe ich noch eineinhalb Stunden regulär zu arbeiten, doch ich gönne mir heute einfach die Zeit. Lächelnd zucke ich die Schultern und außerdem, wer sagt dass die Chefin nicht auch mal früher gehen darf.
Ich speichere meine letzten Aktivitäten auf dem Computer, lasse ihn runter fahren und schließe alle meine Schränke, räume ein wenig den Tisch auf und verlasse mit einem zufriedenen Seufzen mein Büro.
Meine Sekretärin sieht mich etwas verwirrt an.
„Gehen Sie schon Frau Lorenz?“ höre ich ungläubig von ihr. Ich kann es ihr nicht verdenken, bin ich es doch, die sonst immer erst das Büro weit nach Feierabend verlässt.
„Ja, ich mache für heute Feierabend. Bitte schließen Sie nachher alles gut ab. Ja?“
Die junge Frau mit ihren dunklen kurzen Haaren nickt mir freundlich zu und ich verlasse den Vorraum. Die Glastür hinter mir schließt automatisch und so stehe ich nun auf dem Gehweg und halte mein Gesicht der warmen Sonne entgegen. Natürlich weiß ich, dass mir alle meine Mittarbeiter nachgeschaut haben, sie sind es nicht gewöhnt, dass ich als Erste das Büro verlasse, doch ich muss ihnen ja keine Rechenschafft ablegen.
Die Sonne strahlt in mein Gesicht und kitzelt meine Haut. Mit einem tiefen Zug ziehe ich die warme Luft ein. Ich liebe die Sommermonate, denn daraus ziehe ich meine Energie und genau die brauche ich noch, um meine neue Wohnung nach meiner Vorstellung einzurichten.
Mein erster Weg führt mich zu meinem Auto. Ich muss in eine kleine Nebenstraße, um zum Parkplatz zu kommen.
Bevor ich überhaupt losfahren kann, muss ich erst einmal für einen Moment alle Fenster meines Wagens aufmachen. Mein kleiner alter Golf hat natürlich keine Klimaanlage und so muss ich in der extremen Backofenhitze sitzen. Daher kann sich auch der Innenraum natürlich erst im Fahrtwind etwas abkühlen und so verbrenne ich mir fast meine Hände als ich das Lenkrad anfasse um loszufahren.
Eigentlich hätte ich mir schon längst ein anderes Fahrzeug kaufen können, doch ich liebe diesen kleinen blauen Flitzer. Seit zehn Jahren bringt er mich nun schon von A nach B und hält mir tapfer die Treue, trotz meiner eigenwilligen Fahrweise.
Die warme Luft, die durch meine Fenster herein weht, kühlt zwar nicht wirklich, aber es gibt ein angenehmes Gefühl auf meiner Haut. Mein Radio habe ich auf volle Lautstärke gestellt und höre mir meine Lieblingstitel an.
Leicht beflügelt fühle ich mich und ich fange an, laut mitzusingen. Ja so war es schon immer, ich bekomme einen freien Kopf, wenn ich im Auto laut Musik höre, mitsinge und durch die Gegend fahre.
Mein Weg führt mich geradewegs zum Baumarkt, schließlich brauche ich noch Farben und alles was man zum Streichen einer Wohnung braucht. Tief ziehe ich wieder einmal die Luft in meine Lungen. Warum tue ich mir das eigentlich an? Normalerweise brauche ich nicht zu streichen. Der Vermieter hatte die Wohnung wirklich schön renoviert, aber natürlich nur für diejenigen, die auf weiße Krankenhauswände stehen.
Ich verdrehe meine Augen. Warum können die Vermieter nicht den zukünftigen Mieter fragen? Welche Farben mögen Sie denn und dann streichen wir die Wohnung nach Ihren Vorstellungen. Natürlich ist dieser Gedanke völlig blödsinnig, das liegt wohl an der Hitze, da kommt man immer wieder auf wirklich dumme Gedanken.
Ich parke auf dem riesigen Parkplatz vor dem Baumarkt, doch bevor ich reingehe lege ich meine Rücksitze noch um, damit ich mehr Platz im Auto habe.
Mit dem Einkaufwagen suche ich mir die Gänge, wo ich die Farben finde und alles was ich sonst noch benötige. Nun zum ersten Male kann ich meine handwerkliche Begabung für meine eigenen vier Wände nutzen und kann nur hoffen, dass das wirklich gut geht.
Bisher habe ich immer nur mit Modellen zu tun gehabt und für alles andere hatte ich Firmen.
Marius hat mir zwar seine Hilfe angeboten und auch einige meiner Freunde, doch ich habe abgelehnt, ich will es einfach alleine machen. So suche ich mir ein schönes Blau für mein Bad, auch Rot und eine schöne Bronzefarbe und so einiges mehr findet Platz in meinem Einkaufswagen.
Auch Deko Tapeten und alle Materialien, um sorgfältig zu arbeiten lege ich in den Korb.
Na hoffentlich reicht das auch, denke ich sarkastisch und schmunzle vor mich hin.
„258,56 Euro macht das.“ die Stimme holt mich aus meinen Gedanken und ich schaue noch einmal auf die Anzeige, wo der Betrag leuchtet.
Etwas ungläubig hole ich meine EC Karte aus meiner Tasche und zahle meine Rechnung.
Die Verkäuferin ist wirklich nett und sie versucht, mich ein wenig in ein Gespräch zu verwickeln, doch ich höre nicht zu, packe meine Sachen wieder zusammen, nehme meine Karte und verabschiede mich von der Kassiererin.
Stöhnend verstaue ich den ganzen Einkauf in meinem kleinen Golf und zu meinem Glück bekomme ich auch wirklich alles rein. Lächelnd und mit viel Tatendrang fahre ich in meine Wohnung und mit einigem hin und her Laufen verstaue ich alles erst einmal in einem meiner Gästezimmer.
Circa eine halbe Stunde hat das Ausladen gedauert und die Hitze macht mir doch etwas zu schaffen.
Pustend und schnaubend trabe ich in meine Küche. In einer Kiste ist etwas Geschirr was ich mir am Montag besorgt habe. Ein Glas halte ich unter fließendes Wasser und trinke es wirklich hastig aus. Zweimal wiederhole ich das, oh Mann, auch wenn ich den Sommer liebe, so hasse ich ihn auch gleichzeitig, da man so schnell das Gefühl hat, auszutrocknen.
Ich muss unbedingt noch einmal los, weil ich mir auch noch ein paar Möbel bestellen muss und so mache ich mich das zweite Mal heute auf den Weg und fahre in ein kleines Möbelhaus.
Soweit ich weiß, gibt es da nur Echtholz was ich ja wirklich liebe und sie stellen die Sachen, die man möchte, auch noch nach deinen Wünschen zusammen.
Na, wenn das nicht das richtige für mich ist. Was mich augenblicklich auch wieder lächeln lässt.
In dem kleinen Laden stehen nicht wirklich viele Möbel, nur vereinzelte Ausstellungsstücke nehme ich wahr. Es gefällt mir zwar schon, was ich sehe, doch muss ich auch feststellen, dass sie nicht wirklich in meine Wohnung passen. So versuche ich jemanden zu finden, der mich beraten kann.
In einer hinteren Ecke sehe ich, dass eine Tür leicht angelehnt ist und so mache ich mich auf den Weg dahin.
„Hallo, ist da jemand?“ meine Stimme ist nicht ganz so fest wie ich es eigentlich wollte, doch bekomme ich in so einer Situation, wo ich alleine bin, immer so ein Flattern im Hals.
Wer weiß, was sich dahinter verbirgt. Ok, das ist Blödsinn, da wird ja wohl kaum ein Massenmörder heraus kommen oder irgendein anderes Monster und trotzdem gibt es in mir immer ein mulmiges Gefühl, wenn ich auf eine geöffnete Tür zugehe, ohne zu wissen, was sich dahinter verbirgt.
„Hallo!“ rufe ich noch mal in die Richtung und dann höre ich eine junge Frauenstimme.
„Einen Moment bitte, ich bin sofort bei Ihnen.“ Erleichtert lasse ich die Luft aus meinen Lungen und schüttle den Kopf.
Ich weiß gar nicht, warum ich sie eigentlich angehalten habe.
Ein Rascheln ertönt aus dem Inneren des Raumes und das Geräusch eines Stuhles, der nach hinten geschoben wird, dringt heraus. Ich beobachte wie die Tür sich nach Innen bewegt und eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren, die sich an der Seite etwas kräuseln, heraustritt.
Dunkelbraune Augen, die etwas mir Unbekanntes ausstrahlen und ein sinnliches Lächeln kommen mir entgegen. Ihre schlanke Figur bewegt sich elegant auf mich zu. Für einen Moment habe ich fast das Gefühl, dass mein Herz kurz zwei Takte schneller schlägt.
Noch immer mit diesem sinnlichen Lächeln streckt sie mir die Hand entgegen, um mich zu begrüßen. Kurz schüttle ich innerlich den Kopf. Ich habe gar nicht bemerkt, wie sie auf einmal mir so nahe kommen konnte.
War es Einbildung oder war wirklich für ein paar Sekunden die Zeit stehen geblieben? Ich weiß es nicht. Doch auch ich strecke meine Hand aus und reiche sie ihr. Mit einem Händedruck stellt sie sich dann auch höflich bei mir vor.
„Guten Tag. Mein Name ist Alexis Conner und ich bin die Tochter des Besitzers. Was kann ich denn für Sie tun?“ Während die junge Frau mit mir spricht, sehe ich ihr in diese dunklen Augen. Irgendwie faszinieren sie mich und ich kann meinen Blick nicht von ihr nehmen. Nicht wirklich sehr wortgewandt sage ich:
„Ähm… Ja, ich bin Lisi Lorenz… und naja … ich brauche eine neue Einrichtung.“
Mit einem Nicken und ihrer beruhigenden Stimme gibt sie mir zu verstehen, dass ich ihr ins Büro folgen sollte. Während ich einen Schritt nach dem anderen mache, um ihr zu folgen erklärt sie auch:
„Ich habe in meinem Büro einen Katalog, da können Sie sich in Ruhe etwas aussuchen und wenn Sie bestimmte Wünsche haben, dann werden wir uns sehr viel Mühe geben, sie zu erfüllen.“ Bei diesen Worten dreht sie kurz ihr hübsches Gesicht über die Schulter zu mir und lächelt mich an.
In ihrem Büro bietet sie mir auch gleich einen Platz auf einer kleinen gemütlichen Couch an. Davor steht ein kleiner Glastisch mit verschnörkelten Holzbeinen. Auf dem Tisch kann ich sehen, dass mehrere Kataloge ausgelegt sind.
Das Büro selber ist groß und hell, da die Frontseite fast nur aus einem Fenster besteht. Vor dem Fenster steht ihr Schreibtisch. Ihr Bürostuhl ist eine Kombination aus Holz und Edelstahl und sieht ziemlich gemütlich aus. Na auf dem bekommt man bestimmt nicht so schnell Rückenschmerzen, wenn ich da an meinen denke. Ich sollte mir vielleicht gleich so einen für mein Büro mit bestellen.
„Wollen Sie einen Kaffee?“ holt mich die feine Stimme aus meinen Gedanken und der Musterung des Büros und ich drehe mich zu der schwarzhaarigen Frau um.
Mit einem schweren Schlucken nicke ich nur und setzte mich auf das Sofa.
„Mit Milch und Zucker?“ höre ich auch gleich noch die nächste Frage.
Oh Mann, so wortkarg warst du auch noch nie.
„Nein, schwarz und danke.“ Ich reibe meine feuchten Hände an meiner Jeans ab und die junge Frau nickt mir noch zu bevor sie den Raum verlässt.
Nun, da ich alleine im Raum sitze, fällt mein Blick auf die Kataloge vor mir und ich greife auch gleich nach einem, der meine Aufmerksamkeit erregt hat. Auf dem Cover ist ein wunderschön eingerichtetes Wohnzimmer zu sehen. Langsam blättere ich mich durch den Katalog und ich weiß schon genau, was ich für mein Wohnzimmer haben möchte.
Frau Conner kommt ungefähr zehn Minuten später wieder herein und sie entschuldigt sich auch gleich dafür, dass es solange gedauert hat.
„Es tut mir leid, aber einer unserer Handwerker hatte ein Anliegen, was gerade nicht warten konnte.“ Ich winke beschwichtigend ab.
„Ich kenne das.“ gebe ich nur mit einem kleinen Grinsen zurück. Die junge Frau stellt zwei Tassen Kaffee auf den Tisch und mir fällt auf, dass sie wundervolle lange, schlanke Finger hat.
Natürlich sie passen ja auch zu ihrer Figur. Warum ich mir darüber Gedanken mache weiß ich nicht. Ich habe noch nie einer Frau so auf die Hände geschaut, doch diese sind wirklich einfach nur schön. Jeder Finger wirkt makellos, völlig gerade und zierlich.
Ich muss mich zwingen, meinen Blick von ihr abzuwenden und greife daher nach der Tasse.
Mit dem Kaffee in der Hand blättere ich weiterhin den Katalog Seite für Seite durch.
„Wenn Ihnen etwas gefällt, dann können Sie es auch gleich bestellten. Was Sie hier sehen, sind alle Stücke, die wir bisher gebaut und auch ausgeliefert haben.
Einige von den Möbeln sind bisher nur Einzelstücke. Damit es auch genau in Ihre Wohnung passt, kommt ein Handwerker bei Ihnen vorbei, um alles genau auszumessen.“
Während ich nun schon in dem zweiten Katalog stöbere nicke ich nur. Ich weiß jetzt, es ist für mich die richtige Entscheidung gewesen, hierher zu kommen. Ich liebe eine ausgesprochen gute Beratung und Betreuung.
„Für welchen Raum suchen Sie denn neue Möbel?“
Ich hebe kurz den Kopf und sehe ihr vielsagend in die Augen, bevor ich ihr erkläre, dass ich eine komplette Einrichtung benötige.
„Ich habe eine vier Zimmer Wohnung, einen großen Flur, eine große Küche und ein schönes geräumiges Bad. Für all die Räume möchte ich neue Möbel.“
Einen kurzen Moment kann ich beobachten, wie sie eine Augenbraue ein wenig nach oben zieht. Ich kann sehen, dass sie sich fragt, wie es dazu kommt, dass ich eine komplette Einrichtung brauche, doch ich antworte nicht auf die stumme Frage. Ein kleines Nicken bestätigt mir, dass sie mich auch deswegen nicht fragen wird.
Frau Conner holt sich von ihrem Schreibtisch ein Formular, einen Kugelschreiber und ein leeres Blatt Papier. Danach setzt sie sich dieses Mal sehr nahe zu mir auf das Sofa. Ganz kurz nehme ich einen blumigen Duft wahr. Kommt er von ihr?
Doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, nimmt sie einen der Kataloge und fragt auch gleich nach:
„Und, haben Sie denn nun schon etwas für sich gefunden, was Ihnen gefällt?“ Ich nicke und wir blättern noch zwei Stunden durch die Kataloge.
Ich bestelle sofort, was mir gefällt und die junge Frau schreibt erst mal alles sorgfältig auf das leere Blatt auf. Ab und zu entscheide ich mich um, was sie auch auf dem Blatt durchstreicht und durch etwas Neues ersetzt. So langsam komme ich auch zum Ende und während sie alles niederschreibt, sagt sie mit ihrer freundlichen Stimme, die, wie ich bemerken muss, mir ab und zu kleine Schauer über den Rücken laufen lässt:
„Da heute Freitag ist und die Handwerker bei uns schon Feierabend haben, müssen Sie sich leider bis Montag gedulden.“ Sie schaut dabei auf ihre Uhr, die dezent ihr Handgelenk schmückt.
Ich erwidere die Geste und schaue selbst auch auf meine und stelle fest, dass wir es schon nach halb sieben haben. Der Laden selber ist schon längst geschlossen und doch sitzen wir noch immer hier und trinken Kaffee und ich bestelle fleißig.
Ich schmunzle etwas, als Frau Conner auch schon weiter spricht:
„Wie schon gesagt, unsere Handwerker haben schon Feierabend, aber wir können gerne für Montag einen Termin vereinbaren. Wann haben Sie denn genug Zeit? Es wird sicher eine Stunde dauern.“
Einen kurzen Moment überlege ich, versuche mir meinen Terminkalender ins Gedächtnis zu rufen. Mann, kann ich froh sein, dass ich wirklich ein verdammt gutes Gedächtnis habe und mir auch meine Termine merken kann, die ich vereinbart habe und die in meinem Kalender stehen.
Ich weiß, dass ich am Montag um fünfzehn Uhr meinen letzen Kundentermin habe, der wird auch circa eine Stunde dauern. Normalerweise wäre der auch schon nach einer halben Stunde fertig, doch der Kunde ist eine Quasselstrippe und es dauert dann immer eine ganze Stunde. Selbst dann muss ich ihn meist abwimmeln, sonst würden die Termine noch länger dauern.
„Ich kann leider erst am späten Nachmittag gegen siebzehn Uhr.“ Ich nicke zur Bekräftigung meines eben Gesagten und gebe noch an: „Ja, das müsste ich schaffen.“
Nachdem ich mir alles ausgesucht habe, was ich mir vorstelle, schreibt sie nun sorgfältig alle Artikel in eine Liste und ich bestätige immer mal durch ein Nicken, dass die Auswahl auch wirklich richtig ist.
Dabei beobachte ich, wie sich die junge Frau immer wieder eine störrische Strähne hinter ihr Ohr schiebt, aber sie einfach nicht dort sitzen bleiben möchte. Ihr Gesicht ist sehr ebenmäßig, wundervolle Augenbrauen zieren diese geheimnisvollen Augen.
Es sieht nicht so aus, als würde sie ihre Augenbrauen zupfen, doch sind sie wundervoll geschwungen. Ab und an zieht sie immer mal eine nach oben bei ihrer Konzentration. Sie hebt ihren Blick zu mir an und schnell senke ich meinen.
Mein Herz klopft etwas wilder, sanft gibt sie mir zu verstehen, dass sie nun mit der Liste fertig sei.
Leicht nicke ich und für ein paar Sekunden sehe ich ihr noch einmal in dieses wundervolle Dunkelbraun. Wieder spüre ich, dass in ihrem Blick mehr ist, doch ich kann beim besten Willen nicht sagen, was dies sein soll.
Langsam steht sie auf und bringt die Bestellliste zu ihrem Schreibtisch. Sie nimmt ihren Kalender und bestätigt mir auch gleich einen Termin für Montagabend halb sechs. Wieder nicke ich, auch ich bin mittlerweile aufgestanden und ihr an ihren Schreibtisch gefolgt. Ich strecke meine Hand ihr entgegen und während sie meine greift sage ich ganz freundlich: „Dann möchte ich mich gerne für Ihre Beratung bedanken.“
„Nichts zu danken, dafür bin ich ja da.“ Noch immer liegt ihre Hand in meiner und ich fühle, wie sich eine unbekannte Wärme von ihr in meiner Hand ausbreitet.
Für ein paar Sekunden sehen wir uns in die Augen und mit einem freundlichen Lächeln bedeutet sie mir, dass sie mich noch zur Tür begleitet.
„Es war wirklich sehr aufschlussreich.“ sage ich etwas nervös, nur um der Stille zu entgehen, die sich gerade eingeschlichen hat.
Warum ich jetzt so nervös bin, weiß ich nicht, ich kann es mir nicht erklären. Doch in meinem Magen kribbelt es gerade ein wenig. Am Ausgang schließt sie die Ladentür auf und noch einmal verabschieden wir uns.
An meinem Auto stehend, spüre ich wie meine Nervosität so allmählich wieder verschwindet und ich auch keinen Gedanken mehr daran verschwende. Das Einzige woran ich nur denken kann ist, dass ich etwas zu essen brauche und dass ich heute noch anfangen muss, zu Hause etwas fertig zu bekommen.
Die schwarzhaarige junge Frau hat gemeint, dass wenn am Montag alles ausgemessen wäre, es ungefähr drei Wochen dauern würde, bis alle Möbel fertig sind und geliefert werden können. Ich bin schon ziemlich verwundert, dass es so schnell gehen soll, doch ich freue mich riesig darüber.
„Verdammt“, grummle ich in mich hinein, reibe genervt mit der rechten Hand zwischen meinen Augen.
Ein flüchtiger Blick auf meine etwas außergewöhnliche Wanduhr zeigt, dass es mittlerweile schon zwanzig nach Vier ist. Normalerweise wollte ich schon seit einer knappen halben Stunde das Büro verlassen haben. Noch einmal schimpfe ich in mich hinein:
„Verdammt das wird knapp. Ich muss noch durch diesen bescheuerten Berufsverkehr. Musste der Idiot heute extra lange quatschen?“ Seufzend packe ich hecktisch meinen Kram zusammen und mein Computer fährt langsam herunter.
Warum alles immer in Zeitlupe ablaufen muss, wenn man es gerade wirklich eilig hat. Der Handwerker, der kommen wollte, um meine Wohnung für die Möbel auszumessen, kommt in einer Stunde. Ich schnappe mir meine Tasche und verlasse hektisch das Büro. Meine Sekretärin nickt mir zu, während ich gleichzeitig fast aus der Glastür falle.
Ich ignoriere, dass ich mir wieder einmal fast meine Hände am Lenkrad verbrenne und fädle mich in den Berufsverkehr ein. Im Normalfall, ohne Verkehr, würde ich gerade einmal eine halbe Stunde brauchen, bis ich zu Hause bin.
Stöhnend trommle ich auf das Lenkrad, ja im Normalfall, doch den habe ich leider überhaupt nicht. Nicht, dass es ausreichen würde, dass ich im Verkehr schon feststecke, nein, auch die Ampeln sind alle gegen mich. Mir kommt der Gedanke:
„Vielleicht sollte ich mit der Bahn fahren, das wäre eventuell leichter.“ Kopfschüttelnd grinse ich in mich hinein. Oh nein, das wird niemals passieren, dafür fahre ich viel zu gerne mit meinem kleinen Flitzer und so oft liege ich ja nicht im Zeitdruck, oder fahre durch den Berufsverkehr.
Der Mann im Radio meint, dass es zehn vor halb Sechs sei. Ich kann nur hoffen, dass der Typ eventuell auch zu spät dran ist, weil ich bestimmt noch die zehn Minuten brauche, bis ich vor meiner Tür stehe.
Wie erwartet, bin ich auch noch fünf Minuten zu spät dran. Hastig gehe ich auf meine Haustür zu und davor steht auch schon ein etwas älterer Mann in einem blauen Overall.
Mit einem verlegenen Lächeln will ich ihn fragen, ob er vom Möbelhaus Conner sei, doch bevor ich etwas sagen kann, fragt er mich auch schon:
„Sind Sie Frau Lorenz?“ Ich nicke und entschuldige mich auch gleich für meine Verspätung, dabei reiche ich ihm die Hand zur Begrüßung und stelle jetzt erst fest, dass hinter ihm eine junge Frau mit langen schwarzen Haaren steht.
Oh, Frau Conner ist auch da? Ich blicke sie fragend an. Doch sie begrüßt mich freundlich und durch meine Ohren strömt diese samtweiche Stimme.
„Kein Problem, wir sind auch gerade erst angekommen.“ Eine seltsame Nervosität breitet sich in meinem Bauch aus und ich erwidere ihren Händedruck.
Wieder fesselt sie mich mit diesen geheimnisvollen braunen Augen und ich muss mich zwingen, den Blick von ihr abzuwenden. Warum es gerade wieder anfängt, in meinem Bauch zu kribbeln, weiß ich nicht und ich will auch nicht darüber nachdenken.
Etwas zittrig drehe ich mich zu meiner Haustür um und versuche, die Tür zu öffnen. Warum muss immer im unpassenden Moment die Zeit fast stehen bleiben oder sich so ziehen, dass man schon das Gefühl bekommt, man macht sich zum Deppen, nur weil man die blöde Tür nicht aufbekommt?
Natürlich sind es nur wenige Sekunden gewesen, bis ich die Tür aufgeschlossen habe. Doch ich kann aus dem Augenwinkel erkennen, dass mich Frau Conner intensiv beobachtet. In meinen Fingern spüre ich, wie das Kribbeln darin auf und ab gleitet und mein Herz klopft noch wilder in meiner Brust.
Na, vielleicht liegt es einfach nur daran, dass ich so spät dran gewesen bin und es mir ziemlich peinlich ist.
Mit einem zu kräftigen Ruck drücke ich die Tür nach innen auf und ich muss aufpassen, nicht hinterher zu fallen. Ganz kurz spüre ich eine Hand an meinem Arm und erschrocken blicke ich zur Seite. Die braunen Augen fixieren mich und ich höre eine gedämpfte Stimme, weil es in meinen Ohren rauscht als würde da ein Orkan wüten.
„Na na, nicht so schnell, wir wollen doch nicht, dass Sie stürzen.“ Mein Gesicht fängt an zu glühen und ich bin mir sicher, dass ich gerade leuchte wie eine überreife Tomate. Mein Herz hat für einen Moment aufgehört zu schlagen und mit Wucht sofort wieder eingesetzt, so dass es fast schmerzt.
Unsicher laufe ich die Treppe in den ersten Stock nach oben und die beiden folgen mir. Mann, ist mir das peinlich und ich könnte mich selbst ohrfeigen.
Was bringt mich denn nur so aus dem Konzept? Das kann doch nicht nur daran liegen, dass es mir so peinlich ist, zu spät gekommen zu sein? So schlimm kann es doch nicht gewesen sein? Sie hatten ja selbst erwähnt, dass sie gerade erst gekommen wären. Auch bezweifle ich, dass es an meinem Selbstbewusstsein liegt. Ich strotze zwar nicht vor Selbstbewusstsein, aber ich dachte eigentlich, dass ich eine gewisse Festigkeit habe gegenüber meinen Mitmenschen. Jedenfalls habe ich mich bisher noch nie so nervös gegeben.
An meiner Wohnungstür angekommen, öffne ich auch diese schnell. Das Haus, in dem ich hier wohne, hat nur drei Parteien und ich wohne genau in der Mitte. Mir hat diese Wohnung sofort zugesagt, nicht nur wegen der Größe, nein auch weil jeder Mieter seine eigene Etage hat.
Nun stehen wir zu dritt in meinem Flur und bis jetzt hat keiner mehr etwas gesagt.
Der Mann hat eine kleine Tasche dabei und stellt sie auch erst einmal ab, bückt sich zu ihr und ich folge mit meinen Augen seinen Bewegungen.
Die junge Frau steht an der Tür, die sie hinter sich geschlossen hat und ich halte meinen Blick weiterhin auf den Mann gerichtet. Ich beobachte wie er in seiner Tasche etwas sucht, nur um nicht meinen Blick auf die junge Frau richten zu müssen.
Warum das so ist kann ich mir selbst nicht wirklich beantworten, doch habe ich Angst, dass mich ihre braunen Augen wieder in ihren Bann ziehen.
„Wo soll ich anfangen?“ Die Worte von dem älteren Mann hämmern für einen Sekundenbruchteil in meinem Kopf, weil sie die Stille abrupt unterbrechen. Ich schlucke fest und zucke leicht mit den Schultern. Wahrscheinlich hat Frau Conner festgestellt, dass ich etwas überfordert bin, denn sie ergreift das Wort:
„Also fangen wir doch zuerst im Wohnzimmer an.“ Das ist mein Stichwort und so drehe ich mich um und führe beide gleich durch die Tür, in den großen Raum der gegenüber der Eingangstür ist.
Der untersetzte Mann nickt nur und macht ein paar Schritte in das Wohnzimmer hinein. Mit weichen Knien folge ich dem Mann und bin mir der Anwesenheit von Frau Conner nur allzu deutlich bewusst, weil sie sehr dicht hinter mir steht.
Wie schon beim letzten Mal nehme ich diesen blumigen Geruch wahr und schon wieder fühle ich das Kribbeln in meinem Magen. Oder war es noch gar nicht wieder verschwunden und ist nur stärker geworden? Ich weiß es nicht. Das Einzige, was ich weiß ist, dass es mich gleich noch nervöser macht und ich das Gefühl habe, meine Beine wollen mich bald nicht mehr tragen.
Nun stehen wir zu dritt in meinem leeren Wohnzimmer und ich klopfe mir innerlich auf die Schulter. Ich bin stolz auf meine Arbeit, habe ich doch über das Wochenende mein Wohnzimmer, das Schlafzimmer und die Küche geschafft. Alle Wände sind neu tapeziert und frisch gestrichen.
Nun begutachte ich selbst noch einmal meine Arbeit und lächle. Ja das waren zwei verdammt lange Nächte, doch das Ergebnis kann sich sehen lassen.
***
Am Freitag nachdem ich zu Hause angekommen war, bin ich sofort in alte Sachen geschlüpft. Ich wollte diesen Abend nicht ganz nutzlos verstreichen lassen, obwohl es schon nach zwanzig Uhr war. So schnappte ich mir meinen MP3 Player, danach holte ich mir die Farben, die ich mir extra in dem Baumarkt zusammen mischen lassen habe und das Streichset.
In kurzer Zeit befand ich mich mitten im Geschehen und arbeitete bis spät in die Nacht hinein. Der Orangeton, den ich als Untergrundfarbe gewählt habe musste erst einmal trocknen. So stellte ich meinen kleinen Heizkörper in die Mitte des Raumes, weil ich das Trocknen der Farbe damit beschleunigen wollte. Am Samstag widmete ich mich tagsüber meinem Schlafzimmer und am späten Nachmittag war die Farbe im Wohnzimmer soweit getrocknet, dass ich den Bronzeton aufstreichen konnte. Nun sieht es so aus, dass der Orangeton die Bronze umrahmt. Am Sonntag schaffte ich noch die Küche. Ja ich konnte ganz zufrieden mit mir sein.
„Wo genau sollen denn die Möbel aufgestellt werden?“ holt mich die männliche Stimme aus meinen Gedanken und Frau Conner stellt sich mit zwei Schritten genau neben mich. Ein Schauer durch läuft mein Körper, denn sie verströmt eine wundervolle Wärme, wo ich das Gefühl habe, dass sie mich vollständig einfängt.
Da mein Wohnzimmer eine große Fensterfront hat, von wo aus man auch die große Terrasse betreten kann, habe ich nicht viele Möglichkeiten, Möbel aufzustellen. Doch ich möchte keine direkte Schrankwand haben. Es soll eher eine Mischung aus Regalen und Glasteilen sein. Ich schreite also auf die gewünschte Wand zu und gebe es mit einer Handbewegung an:
„Hier sollten die Module aus Regalen und Glasschränken hin.“ Der Mann nimmt seinen Zollstock und macht sich auch gleich nickend an seine Arbeit.
Er legt sein kleines Klemmbrett mit einem Block auf den Boden. Ein kurzer Blick zeigt mir, dass schon verschiedene Möbelzeichnungen darauf abgebildet sind. Ich komme nicht umhin bewundernd dreinzuschauen.
Also, solch einen Service habe ich nun wirklich nicht erwartet. Aber das macht wohl die kleine Firma aus, dieses Professionelle und das individuell auf jeden Kunden einzugehen.
Noch einmal freue ich mich, dass ich mich gleich für diese Firma entschieden habe. Mein Lächeln hat auch Frau Conner gesehen und in ihren Augen kann ich etwas strahlen sehen. Nun, da der Handwerker gerade ziemlich beschäftigt ist und ich vor Nervosität beinahe im Boden verschwinden möchte, frage ich in die Runde:
„Möchten Sie vielleicht was trinken? Ich kann Ihnen beiden Kaffee anbieten oder Wasser.“
Der Mann, dessen Haare grau meliert leuchten, da die Sonnenstrahlen die durch das große Fenster herein scheinen, genau auf seine Haare strahlen antwortet:
„Danke, einen Kaffee sehr gerne.“ Kurz schaue ich auf die junge Frau, die sich gerade eine ihrer Haarsträhnen aus dem Gesicht streift und sie nickt nur, bevor auch sie zu mir sagt: „Ich nehme auch gerne einen Kaffee.“
Schnell bewege ich mich in Richtung Küche. Für einen kleinen Moment habe ich das Verlangen gehabt, meine Hand auszustrecken und die kleine schwarze Locke, die sich schon wieder gelöst hat, ihr aus dem Gesicht zu streichen.
Meine Finger zittern und mein Herz klopft. Oh Mann, was ist nur los mit mir? Irgendwie verhalte ich mich in ihrer Gegenwart wirklich seltsam.
Als ich an ihr vorbei gehe, kann ich ihren Blick intensiv auf meinem Rücken spüren. Es fühlt sich seltsam warm an und doch, als würde ich verbrennen.
Habe ich gedacht, für einen Moment aus ihrem Blickfeld entfliehen zu können, so stand ich jetzt mitten drin.
Mit zitternden Händen hantiere ich an meiner kleinen Kaffeemaschine. Innerlich schüttle ich den Kopf. Wie kann ich nur so nervös sein? Liegt es wirklich an ihr? Vorsichtig begutachte ich die schwarzhaarige junge Frau aus den Augenwinkeln. Die Jeans, die sie trägt, steht ihr ausgezeichnet. Ihre Beine kommen durch den eng anliegenden Stoff sehr schön zur Geltung. Die Hose umspannt ihre Hüften und darüber trägt sie ein schlichtes und doch elegant wirkendes T-Shirt. Das Shirt hat einen kleinen Ausschnitt, aber nicht so groß, dass er viel zeigen würde. Doch auch da umspannt der eng sitzende Stoff ihre Figur und man erkennt deutlich ihre wohlgeformten Brüste.
Noch immer hantiere ich mit meinem Kaffee herum und muss kurz schlucken, was wirklich nicht einfach ist, da ich das Gefühl habe mein Mund ist rau.
Schnell wende ich meinen Blick von ihr ab. Was mache ich denn da? Seit wann mustere ich denn eine Frau so intensiv? Noch einmal versuche ich zu schlucken und denke dabei, dass ich natürlich auch schon mal andere Frauen gemustert habe, aber doch noch niemals so, dass ich meinen Blick kaum abwenden kann.
„Kann ich Ihnen irgendwie helfen?“ holt mich ihre warme Stimme aus meinen wirren Gedanken und ich schüttle den Kopf, bevor ich auch noch sage: „Nein ist schon ok. Die Maschine macht das schon fast von allein.“ Dabei lächle ich und drücke auf die entsprechende Taste, bevor ich noch hinzufüge:
„Es sind ja nur die Tassen, die gefüllt werden müssen.“ Wieder spiegelt sich ein sinnliches Lächeln auf ihren Lippen und sie nickt nur.
Da ich leider nicht wirklich viele Sitzmöglichkeiten habe, kann ich ihr nur meinen einzigen Stuhl in der Küche anbieten, was ich auch mit einer entsprechenden Handbewegung zeige.
Sie nimmt dies dankbar an und setzt sich mir gegenüber, wo ich mit dem Rücken an meinem provisorischen Tisch stehe.
Die Kaffeemaschine knistert und gluckert vor sich hin und der Duft breitet sich im ganzen Raum aus. Eine Bewegung nehme ich durch die offene Küchentür wahr und kann sehen, wie der Mann direkt auf uns zukommt.
„Können wir vielleicht im Schlafzimmer weiter machen?“ stellt er gleich seine Frage und ich nicke, während ich mich auch sofort in Bewegung setzte und ihm mein Schlafzimmer zeige. Auch dort gebe ich an, wie ich mir vorstelle, wo ich meine neuen Möbel hinhaben möchte.
Nachdem das geklärt ist, verschwinde ich sofort wieder in die Küche und dieser blumige Geruch empfängt mich. Wieso bekomme ich diesen so intensiven Duft nur mit und warum sorgt er dafür, dass das Kribbeln in meinem Magen schon wieder stärker wird.
Der Kaffee ist mittlerweile durchgelaufen und ich schenke in die drei Tassen die schwarze dampfende Flüssigkeit ein.
„Mit Milch und Zucker?“ frage ich und muss schon wieder feststellen, dass ich noch immer nervös bin.
„Nein danke, ich trinke ihn schwarz“, meint sie und zwinkert mir zu. Bevor sie noch hinzufügt:
„Aber Herr Schreiber, soweit ich weiß, trinkt ihn mit Milch.“ So greife ich mir den kleinen Milchbecher und eine Tasse, in die ich einen Teelöffel gestellt habe und begebe mich noch einmal in das Schlafzimmer.
Der Mann bedankt sich und nimmt mir auch die Tasse aus der Hand. Irgendwie fühle ich mich etwas zerrissen. Hier im Schlafzimmer arbeitet der Handwerker und in der Küche sitzt seine Chefin. Was mich erst jetzt zu der Frage bringt, warum sie eigentlich mit dabei ist? Sie hat bis jetzt nichts weiter getan, als zu warten, doch worauf wartet sie?
Der Mann lächelt mich an und ich kann sehen, dass er den Kaffee sehr genießt.
„Brauchen Sie noch etwas?“ frage ich leise und er schüttelt nur den Kopf. Schnell hat er seine Tasse geleert und ich staune nicht schlecht, wie man so schnell den heißen Kaffee herunter bekommen kann. Er gibt mir die Tasse zurück und ich drehe mich um, um zurück in die Küche zu gehen.
Über den Flur hinweg, auf dem Weg zur Küche, sehe ich den Rücken von Frau Conner und erst jetzt bemerke ich, wie lang ihre Haare wirklich sind. Bis weit über ihren Rücken fallen die langen schwarzen Locken und sie haben einen wunderschönen Glanz.
Jede Strähne scheint ihren eigenen Willen zu haben, wie sie sich etwas kräuseln und wellen und schon wieder habe ich das Bedürfnis, nur einmal hinein greifen zu wollen.
Für einen Moment bleibe ich stehen und ich ertappe mich dabei, mir zu wünschen, dass ich die Zeit einfrieren könnte. Der Anblick vor mir wirkt wie ein Gemälde und ich wünschte, ich könnte ewig darauf schauen.
Noch bevor ich über meinen seltsamen Wusch den Kopf schütteln kann, sieht sie mich über ihre Schulter hinweg an und ihr Haar bewegt sich dabei leicht nach hinten mit. Wieder hat sie dieses geheimnisvolle Lächeln auf ihren Lippen und ich bewege mich etwas schwerfällig in die Küche.
Die leere Tasse stelle ich in eine Schüssel und mit einem innerlichen tiefen Seufzen, um mich etwas zur Ordnung zu rufen, drehe ich mich zu ihr um und stelle mit einer mir fast fremden Stimme eine Frage:
„Ähmm… Fahren Sie eigentlich immer bei den Vermessungen mit?“
Oh Mann, mein Hals kratzt und es fühlt sich an, als wäre er staubtrocken. Innerlich beantworte ich mir meine Frage selber, denn es ist sicherlich nichts dabei, dass sie bei solchen Vermessungen mitgeht.
Doch ihre Antwort holt mich aus meinen etwas verwirrten Gedanken:
„Nein, normalerweise nicht.“ gibt sie zu und schon wieder hat sie dieses sinnliche Lächeln um ihre vollen Lippen, die mir auffallen, weil sie ein wundervolles natürliches Rot haben. Man sieht, dass sie keinen Lippenstift trägt und doch leuchten sie zart rötlich.
Meine Augen fixieren diesen Mund während sie weiter spricht:
„Das mache ich nur bei besonderen Kundinnen.“
Besondere Kundin? Was meint sie denn damit? Bedeutet das, dass ich besonders bin, doch wieso? Ganz leicht, kaum merkbar, lässt sie ihre Zunge über die vollen Lippen streifen und ich spüre, wie sich in meinem Bauch eine ungeheure Hitze ausbreitet, meine Hände werden warm und feucht. Unbemerkt versuche ich, sie an meiner Hose trocken zu reiben.
>>Besonders<< Was soll an mir Besonderes sein? Dann fällt es mir ein, wahrscheinlich bin ich deswegen eine besondere Kundin, weil ich eine ganze Wohnungseinrichtung bestellt habe. Das wird der wahre Grund sein und innerlich schelte ich mich eine Idiotin, doch warum spüre ich dann bei dem Gedanken einen winzigen Stich in meinem Herzen?
Ihre Augen fixieren mich, lassen mich nicht los, als sie nach einer kleinen Pause weiter spricht.
„Wie kommt es, dass Sie allein in dieser Wohnung wohnen?“
Verwirrt ziehe ich eine Augenbraue nach oben. Mit so einer Frage habe ich jetzt nicht wirklich gerechnet. Ok, klar hat sie sich bestimmt schon beim letzten Mal gefragt, warum ich gleich eine ganze Einrichtung brauche. Doch dass sie jetzt so direkt fragt, ist mir dann doch etwas unangenehm und ich muss mich räuspern, damit ich den Kloß, der sich in meinem Hals sofort aufgebaut hat, weg bekomme. Dies ist nicht wirklich einfach. Nur ein paar Sekunden brauche ich, bevor ich ihre Frage beantworte.
„Ich habe mich vor ein paar Tagen von meinen Partner getrennt.“ Und dabei sehe ich ihr tief in dieses Braun. Doch da flackert etwas auf und wieder einmal kann ich nicht bestimmen, was es ist.
Täusche ich mich, konnte ich gerade in ihrem Blick eine gewisse Enttäuschung sehen. Jedenfalls hatte ich eben das Gefühl, als sie den Blick von mir genommen hat. Ich weiß nicht, was ich jetzt sagen soll und das Schweigen zwischen uns wird mir etwas unbehaglich.
Doch das will ich nicht und so überlege ich fieberhaft, was ich denn sagen könnte.
„Noch einen Kaffee?“ Das ist die einzige Frage, die mir in dieser Situation einfällt und als sie meinen Blick erwidert, lächle ich und zeige auf meine Kaffeekanne:
„Es ist noch einiges da.“ Damit greife ich nach der Kanne und bewege mich langsam auf die junge Frau zu.
Schon wieder umhüllt mich der Duft von ihr und ich habe das Gefühl, dass er mich beflügelt. Immer näher komme ich ihr und halte ihr meine andere Hand hin, damit sie mir ihre Tasse geben kann. Leicht verwirrt sieht sie mich an und wie so oft fühle ich, dass die Zeit kurz vor dem Stehenbleiben ist.
Sekunden dehnen sich zu Minuten und Minuten zu Stunden, nur der Blick in dieses wundervolle Braun ihrer Augen existiert noch. Träge nehme ich wahr, dass sie mir ihre Tasse hinhält und ich nach ihr greife. Ganz kurz berühre ich ihre schlanken Finger und habe sofort das Gefühl, ein heißer Strom durchfährt mich. Ich weiß nicht warum, doch ich umgreife ihre Finger, die noch immer die Tasse hoch halten und gieße vorsichtig den Kaffee nach.
Erst als ich einen Knall wahrnehme komme ich zu mir und lasse schnell ihre Hand los. Meine Wangen fangen an zu glühen ich fühle es, auch sie muss gerade ziemlich schlucken, das kann ich an ihrer Bewegung am Hals erkennen. Schnell drehe ich mich um.
Was war denn das gerade?
„Entschuldigung“ höre ich nur aus meinem Gästezimmer eine männliche Stimme. Für einen Moment muss ich mich erst einmal sammeln, begreifen, was hier gerade geschieht und mir fällt auch der Handwerker wieder ein.
„Könnten Sie kurz kommen?“ Die Frage kommt wie eine Erlösung und so mache ich mich auf zu dem Mann. Einen Moment sehe ich ihn verwirrt an, als ich mich dann auch gleich auf den Weg mache.
Er steht schon in meinem Gästezimmer. Auch hier muss ich ihm sagen wie ich die Möbel gestellt bekommen haben möchte. Was genau heruntergefallen war konnte ich nicht nachvollziehen, wahrscheinlich war es etwas von dem Handwerker. Doch bewirkte dies, dass ich aus der mir unbekannten Situation fliehen konnte.
Immer noch völlig aufgewühlt, frage ich mich, wie lange die beiden denn schon da sind. Irgendwie kommt es mir vor, als wären schon Stunden vergangen, doch ein Blick auf meine Armbanduhr zeigt, dass gerade mal eine halbe Stunde vergangen ist.
Bevor ich das nächste Mal die Küche betrete, verschwinde ich erst einmal ins Bad. Ich schließe die Tür und stelle mich direkt an das Waschbecken. Vor mir sehe ich eine aufgewühlte Frau im Spiegel, die nicht weiß, was hier und jetzt mit ihr geschieht.
Hatte ich wirklich gerade das Gefühl, als würde ich mich von der hübschen jungen Frau so stark anziehen lassen, dass ich beinahe meinem Kopf nach vorne gebeugt hätte, um meine Lippen auf ihre zu legen?
Ich drehe den Wasserhahn auf und halte meine Hände unter den kalten Strahl. Ein, zweimal schleudere ich mir das kalte Wasser ins Gesicht mit der Hoffnung, dadurch einen klaren Kopf zu bekommen. Noch einmal blicke ich mein Spiegelbild an und frage es direkt: Was soll das?
Warum zieht mich diese Frau so magisch an. Ich hatte noch nie das Bedürfnis gehabt, eine Frau küssen zu wollen. Nie hatte ich Herzklopfen bekommen, nur weil mich eine Frau so sinnlich anlächelt oder dass der Duft einer Frau mir ein Kribbeln im Magen beschert. Ich kenne viele verschiedene Frauen, habe einige Freundinnen, doch noch nie hatte ich irgendetwas anderes als Freundschaft empfunden. Also warum bekomme ich bei der Frau in meiner Küche so seltsame Gefühle und Anwandlungen?
Ich kann es mir nicht erklären. Noch einmal schleudere ich mir etwas kaltes Wasser ins Gesicht bevor ich mich abtrockne und das Bad verlasse. Der Handwerker ist noch immer im Zimmer beschäftigt und ich mache mich auf, um die Küche zu betreten.
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Lektorat: Dank an reininde der wieder einmal meine Fehler ausbügelt
Tag der Veröffentlichung: 17.05.2012
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