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Verdutzt schaute ich ihn an, blinzelte mehrmals, doch noch immer sah ich Mike vor mir.
„Mike, was soll das?“ kam es von mir und wieder kam eine Antwort, die ich nicht verstand.
„Du scheinst mich zu verwechseln, ich bin wirklich nicht Mike. Ist er ein Freund von dir?“ Er sah auf mich herab und ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich dachte. >>Was soll das, will er mich verarschen, warum leugnet er? << Doch ehe ich etwas sagen konnte, stellte er sich auch schon bei mir vor.
„Ich heiße Phil McKenzie und dein Name ist Sven, nicht wahr?“ Ich nickte, blickte ihn ungläubig an. In meinen Kopf fing es an zu rattern. Wieso sah er so aus wie Mike?
Doch nach näherem Hinsehen erkannte ich, dass es nicht Mike war, auch sah ich, dass er einige Jahre älter zu sein schien als Mike, nicht wesentlich viel aber man konnte es erkennen. Und er sollte McKenzie sein, vielleicht DER McKenzie? Da ich wohl ziemlich perplex drein gesehen haben musste, fragte er mich:
„Ist alles in Ordnung mit dir, du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.“
Ich verzog meinen Mund zu einem Lachen.
„Ja, so könnte man es fast sagen.“ kam es sehr leise von mir, aber die Antwort war eher für mich als für ihn bestimmt.
Doch ich schaute ihm ins Gesicht und verwundert fragte ich ihn:
„Sie sind Herr McKenzie?“
Ein Nicken bestätigte meine Frage.
„Aber was machen Sie hier? Und was ist geschehen und wieso hatten Sie mich aufgenommen? Was soll das alles? Sie kennen mich doch nicht und wir haben doch noch nie etwas miteinander zu tun gehabt. Und wieso sehen Sie so aus wie Mike? Ich versteh gar nichts mehr!!“ Meine Stimme war brüchig, doch bevor ich noch weitere Fragen stellen konnte, hielt er mir mit einem Finger meinen Mund zu.
"Du hast eine Menge Fragen und auf einige habe ich eine Antwort, doch auf die, warum ich wie dein Freund Mike aussehe, kann ich dir leider keine Antwort geben. Ich weiß wirklich nicht, wer Mike ist!? Die Frage, was geschehen ist, kann ich dir schnell beantworten. Du bist fast vor ein Auto gelaufen, ohne dass du es bemerkt hättest. Du warst so in Gedanken, wenn ich dich nicht zurückgezogen hätte, währest du wahrscheinlich jetzt tot oder zumindest ziemlich schwer verletzt. Ich hatte erst gesehen, dass du das bist, als ich dich in meine Arme gezogen hatte."
Mein Blick senkte sich, ich sagte sehr leise, aber so, dass er es auch hören konnte, „Danke, dass Sie mir das Leben gerettet haben. Aber ich möchte mich auch für die Fürsorge beim letzten Mal bedanken. Doch warum tun Sie das alles?" Er drehte seinen Kopf nach vorn blickte die Wand an und atmete tief ein.
„Tja irgendwie weiß ich nicht wirklich warum, ich sah dich da liegen und beobachtete, wie einige Typen um dich herum standen. Als ich sah was einer von ihnen vorhatte, konnte ich nicht einfach so zuschauen. Ich ging dazwischen, verjagte die Kerle." Ungläubig schaute ich ihn an und fragte ihn auch so.
„Wie, Sie haben sich ihnen ganz alleine gegenüber gestellt?" Er drehte sich wieder zu mir um und lächelte, während er dann meinte:
„Ich habe jahrelang Karate trainiert, zu irgendwas musste es ja nützlich sein."
Noch immer lächelte er, doch das erklärte nicht, dass er so viel für mich getan hatte. „Aber warum brachten Sie mich nicht in ein Krankenhaus?"
Jetzt schaute er mich irritiert an.
„Wie, in ein Krankenhaus? Das wolltest du doch nicht."
„Was, ich wollte das nicht? Ich habe doch gar nichts mitbekommen!" stotterte ich.
„Doch, für einen kleinen Moment warst du kurz wach, aber nicht wirklich klar. Ich sagte dir, ich wolle dich ins Krankenhaus bringen, doch bevor du wieder ohnmächtig wurdest, sagtest du zu mir, kein Krankenhaus. In dem Moment musste ich grinsen, weil ich auch keine Krankenhäuser mag. Also brachte ich dich zu mir, aber ich konnte nicht bleiben, da ich geschäftlich unterwegs sein musste. Ich hätte jetzt noch nicht zurück sein dürfen, aber ich musste, weil ich jemanden suche."
Ich lauschte seinen Worten und fühlte die Trauer in ihnen.
"Wen suchen sie denn? Und nochmals danke."
„Du musst dich nicht immer bedanken. Wen ich suche ist jetzt nicht so wichtig. Ich freu mich zu sehen, dass es dir wieder besser geht." Ich nickte und war immer noch irritiert wieso er Mike so ähnlich sah. „Aber, sag mal warum warst du eigentlich so vertieft in deinen Gedanken gefangen, so dass du nichts mehr um dich herum wahrnahmst?"
Ich schloss die Augen und zog tief die Luft ein.

In holte mir das Gespräch mit Herrn Schmidt zurück ins Gedächtnis und in mir machte sich ein seltsames Gefühl breit. Ich versank in meinen Gedanken, versuchte zu verstehen, was mir der alte Mann alles erzählt hatte. Er war mein Großvater, wenn ich seinen Erzählungen glauben sollte und er sagte mir, dass meine Mutter schon seit meinem sechsten Lebensjahr verstorben war. Wie hatte mir mein Vater das antun können, in meinen Augen bildeten sich Tränen. Ich fühlte, wie eine Hand über meine Stirn streifte. Erschrocken sah ich auf, der Mann an meinem Bett, blickte mich besorgt an.
„Was ist los, warum weinst du?“
Ich schluckte schwer, doch dann schüttelte ich den Kopf, ihn ging es nichts an. Er hatte mir zwar so oft schon geholfen, doch das hier war meine Angelegenheit. Ich konnte und wollte ihm nicht noch mehr zur Last fallen.
„Es ist OK. Ich hatte mich nur noch einmal an etwas erinnert. Doch so langsam werde ich müde. Wäre es sehr unhöflich von mir, wenn ich sie bitte, mich jetzt alleine zu lassen?“ Herr McKenzie sah mich fragend an, doch dann nickte er und stand auf. „Wenn du reden willst, kannst du jeder Zeit auf mich zu kommen.“
Ich nickte und er legte mir eine Karte auf den Nachttisch. Ich sah, dass es seine Visitenkarte war. Noch einmal bedankte ich mich bei ihm und er verließ den Raum. Jetzt war ich alleine. Ich rutschte etwas nach unten und legte mich bequemer hin. >>Was genau war hier eigentlich los?<< fragte ich mich zum tausendsten Mal. Ich wusste nicht, wie ich das alles verarbeiten sollte. Erst die Nachricht von meinen wahrscheinlichen Großvater, dann das mit Herrn McKenzie, der aussah wie Mike, und ihn anscheinend nicht kannte. Und dann Mike, wo war er jetzt und was würde er machen, wenn er merkte, dass ich nicht nach Hause käme. Beim letzten Mal hatte er mir gesagt, dass er die ganze Nacht unterwegs gewesen wäre, um mich zu suchen. Doch dieses Mal wollte man mich nicht ganz so schnell entlassen. Ich hatte zwar keine wirklich großen Verletzungen, doch sie wollten mich zur Kontrolle mindestens drei Tage hier behalten.
Ich drückte mich in mein Kissen und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich wusste nicht, wie lange ich geweint hatte, irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn ich wachte auf und in meinem Zimmer war es stock dunkel. Ich versuchte, mich zu orientieren. Ein schwaches Licht schimmerte durch das Fenster. Nach einem Lichtschalter suchend, fand ich dann die kleine Lampe, die sich direkt über mir befand. Meine Augen brannten sofort von der Helligkeit des Lichtes. Ich brauchte eine Weile, bis sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten. Danach blickte ich mich in meinem Krankenzimmer um. Jetzt erst realisierte ich, dass ich in einem Einzelzimmer lag. Ich versuchte zu raten, wie spät es eventuell sein würde, doch ich gab es auf. Dies war mir dann doch nicht so wichtig, wichtiger war, auf die Toilette zu gehen. Zwar hatte mir die Schwester heute Mittag gesagt, dass ich sie rufen sollte, wenn ich aufstehen wollte, weil sie mich zur Sicherheit begleiten wollte, falls es mir schwindlig werden würde. Doch ich fühlte mich besser und daher stand ich alleine auf und schlich zur Tür. Nachdem ich wieder aus dem Bad kam, erschreckte ich mich, als ich eine bekannte Stimme hörte. Diese war nicht angenehm und mich schüttelte es, weil sich Angst in mir breit machte. „Na du kleines Stück Dreck, da bist du ja wieder. Hast du wirklich gedacht, du kannst dich ewig vor mir verstecken. Was hast du dir dabei gedacht, wegzulaufen? Du hast mich bei meinen Leuten lächerlich gemacht!“

Was, bei seinen Leuten? Es ging doch eher darum, dass er niemanden mehr hatte, an dem er seine Wut raus lassen konnte. Ich wollte mich nicht umdrehen. Mein Körper war steif vor Angst, doch wollte ich mir auch nichts mehr gefallen lassen. Auch wollte ich die Wahrheit über meine Mutter wissen. Es war vielleicht nicht das Schlimmste, dass er hier auftauchte, denn hier konnte mir doch nichts passieren. Doch als ich anfangen wollte, ihn zur Rede zu stellen, sagte er mit herrischem Ton:
„Los zieh dich an, du kommst jetzt mit nach Hause!“ Ich drehte mich zu ihm um, sah ihn entsetzt an und schüttelte energisch den Kopf. „Nein.“ Sagte ich leise und ich senkte meinen Blick, meine Stimme brach vor Angst.
„Was hast du gesagt?“ hörte ich seine strenge Stimme. Noch einmal sagte ich:
„Nein! Außerdem soll ich hier drei Tage bleiben. Ich komme nicht mit dir.“
Ich hob meinen Kopf und schrie ihn den letzten Satz entgegen.
„Du Missgeburt, was denkst du eigentlich mit wem du redest? Noch bin ich dein Vater und du bist minderjährig, ich sage was du zu machen hast und was nicht.“
Noch einmal schüttelte ich den Kopf:
„Nein, ich komme nicht mit, du ... du...“ Ich konnte nicht weiter reden, denn er gab mir eine kräftige Ohrfeige.
„Du hast mir nicht zu widersprechen! Verstanden??“ Ich hielt mir meine Wange, wie konnte er selbst hier im Krankenhaus mich schlagen? Ich konnte nicht nach Hause; nach dieser Aktion wusste ich genau, was auf mich zukam.
Ich öffnete die Tür wieder und sagte zu ihm:
„Wenn du mich noch einmal schlägst, dann rufe ich laut um Hilfe.“ Er lachte auf, kam ganz dicht an mich heran und zischte gefährlich leise zu mir:
„Du glaubst doch nicht, dass dir einer glaubt, ich zeige ihnen meine Marke und schon hast du verloren.“
Ich schnaubte, ja das wusste ich, doch ich musste es versuchen.
„Tu es, dann werden wir sehen was passiert. Ich werde nicht mitkommen, doch das Einzige was ich will, ist die Wahrheit über meine Mutter zu hören. Was hast du mit ihr gemacht?“
Einen Moment sah ich ein seltsames Flackern in seinen Augen, ich konnte nicht erkennen, was es war. Doch er schritt zurück und fragte mich:
„Was soll das, was soll das heißen? Du willst die Wahrheit wissen? Ich sagte dir doch, sie ist weg gegangen. Selbst sie wollte mit dir nichts mehr zu tun haben. Was willst du da verstehen, außer dass du ein unwillkommenes Insekt bist?“
„Das ist gelogen! Du lügst! Ich weiß, was passiert ist. Und wenn ich doch nur ein Insekt bin, warum lässt du mich dann nicht einfach in Ruhe?“ schrie ich los.
„Wenn es nach mir ginge, könntest du gerade machen was du willst und dahin gehen, wo der Pfeffer wächst, doch ich kann es mir nicht leisten, dass du wegläufst. Wenn das auf dem Revier raus kommt, dann kann ich mir meine Beförderung abschminken. Schließlich wollen die ja sehen, dass man sein eigenes Zuhause im Griff hat. Und wegen deiner kleinen Schlampe von Mutter, was interessiert dich, was wahr ist und was nicht, das geht dich nichts an. Du wirst jetzt mit mir mitkommen und das machen, was ich dir sage, verstanden?“

Ich schaute ihn wütend und angsterfüllt an. Ich wollte nicht mit ihm mitgehen. Mein Herz raste, ich musste hier weg, doch als ob er meine Gedanken lesen konnte, drohte er nur:
„Denke nicht einmal daran, ich werde dich überall finden.“
Ja finden, wie hatte er mich eigentlich gefunden? Es wusste doch niemand meinen Nachnamen. Er grinste mich fies an, schmiss mir meine Sachen entgegen und befahl mir:
„Zieh dich an, aber pronto. Die Schwester weiß schon Bescheid, dass ich dich mitnehme und der derzeitige Arzt hat sein Ok gegeben.“ Ich schnappte mir meine Sachen und zog sie zitternd über. Na prima, ich hatte eine kurze Freiheit gehabt und jetzt musste ich zurück in die Hölle. Meine Gedanken überschlugen sich und ich fing an, vor mich hin zu weinen.
„Los mach schneller.“ forderte er ungeduldig.
„Kann ich wenigsten alle meine Sachen noch zusammen suchen?“ fragte ich trotzig und das wurde mir auch gleich mit einer Ohrfeige heimgezahlt.
„Noch einmal so einen Ton und du lernst mich richtig kennen und mach hin, sonst wirst du sehen, was noch passiert.“
Er verließ das Zimmer und bevor er die Tür ganz zu machte sagte er:
„Ich warte hier draußen du hast zehn Minuten.“
Er zog die Tür zu und ich setzte mich aufs Bett. Natürlich hatte ich hier keine Sachen im Zimmer, war ich doch erst heute hier herein gekommen. Ich hatte nur die Sachen, die ich bei mir hatte. Ich atmete tief ein, was sollte ich denn jetzt nur machen, fragte ich mich mutlos. Und wie sollte Mike erfahren wo ich mich aufhielt?“
Die Zimmertür ging auf und mein Vater schaute hinein.
„Los jetzt mach, wir gehen.“ Ich hatte keine andere Wahl, ich musste mit ihm mitgehen. So seufzte ich noch einmal und stand auf, ging zur Tür und trat in den Flur hinaus. Er griff fest meinen Arm und zog mich mit sich. Am Ausgang angekommen, schubste er mich durch die Tür und in Richtung des Autos, wo er geparkt hatte. Mir liefen die Tränen und ich schluchzte.

„Sven!“ hörte ich meinen Namen von rechts rufen und ein großer, schlanker Mann kam auf mich zu. Mein Vater hielt in seinem Schritte inne und drehte sich in Richtung der Gestalt um.
„Wer ist das?“ wurde ich von ihm barsch gefragt. Ich schaute intensiver auf die Person, die auf uns zu kam und erkannte Herrn McKenzie.
„Hi Sven, was machst du hier? Solltest du nicht drin im Bett liegen?“ Er sah mich an und musterte meinen Vater von oben nach unten. Ich wollte schon etwas sagen, als mein Vater sich zwischen uns drängte. Er sah mich an und ignorierte Herrn McKenzie.
„Los mitkommen!“ sagte er schroff zu mir, und zog mich mit sich. Für einen Moment blickte ich Herrn McKenzie verzweifelt an, dann senkte ich den Blick.
„Halt.“ rief er meinem zu Vater und kam auf uns zu. Oh nein, nicht, er wird Ärger bekommen, dachte ich und ich drehte mich um, wollte lieber weiter gehen. Doch Herr McKenzie stellte sich vor mich und sah mir tief in die Augen. Ich konnte seinem Blick nicht lange standhalten und senkte ihn, schon wieder liefen mir Tränen über die Wangen.
„Was willst du?“ fragte mein Vater mit seinem herrischen Ton. Herr McKenzie hob den Kopf in Richtung meines Vaters und antwortete:
„Ich heiße Phil McKenzie. Ich wollte noch einmal nach Sven schauen, da ich ihn heute hergebracht hatte.“ Mein Vater musterte ihn arrogant.
„OK, jetzt haben Sie ihn gesehen und ihm geht’s gut, jetzt kommt er mit nach Hause.“ Und wieder fing er an, an mir zu ziehen und mich hinter sich herzuschleifen. Ich wehrte mich nicht. Ich wollte nicht, dass es noch irgendwelchen Ärger gäbe. Nur schien Herr McKenzie das anders zu sehen. Er hielt meinen Vater am Oberarm fest und sprach zu ihm mit seiner ruhigen Stimme:
„Ich glaube sehen zu können, dass Sven nicht mit Ihnen mitgehen möchte. Ich möchte ihn dann doch lieber zu mir mitnehmen.“ Mein Vater lachte fies auf:
„Das glaubst du. Na und, er ist mein Sohn und egal ob er will oder nicht, ich nehme ihn jetzt mit nach Hause und du solltest mich lieber loslassen, bevor ich dich einsperren lasse wegen Angriff auf einen Polizisten.“ Mit diesen Worten dachte er, dass jetzt Ruhe wäre und wir weiter gehen könnten. Noch immer hatte er sein fieses Grinsen im Gesicht.
Doch Herr McKenzie ließ ihn nicht los. Noch immer ruhig wiederholte er seine Worte: „Ich denke ich nehme Sven mit mir mit.“ Mein Vater ließ mich los, drehte sich vollständig in McKenzies Richtung und holte aus. Doch Herr McKenzie wich gekonnt dem Schlag aus, das wiederholte sich einige Male, bis Herr McKenzie eine einzige Tritt und Schlag Kombination machte. Mein Vater ging vor Schmerz in die Knie. Herr McKenzie beugte sich zu ihm herunter und flüsterte ihm leise etwas ins Ohr. Ich versuchte es zu verstehen, was mir aber nicht möglich war. Mein Vater nickte nur und Herr McKenzie sagte zu mir: „Komm wir gehen.“
Er hielt mir seine Hand hin und ich schaute zwischen beiden hin und her. Mein Vater warf mir einen Blick zu, der mich wohl hätte töten sollen. Ich ging auf Herrn McKenzie zu. Ich war sehr erleichtert, dass ich nun nicht mit meinem Vater mitgehen musste.
„Wie haben Sie das geschafft, er gibt doch sonst nicht so schnell auf?“ Herr McKenzie zuckte die Schultern und meinte nur scherzhaft:
„Mir kann eben keiner einen Wunsch abschlagen.“ Irritiert drehte ich mich noch einmal zu meinem Vater, der mittlerweile schon wieder aufgestanden war und in Richtung seines Wagens schlich.

Ich ging neben Herrn McKenzie und schaute immer mal von der Seite zu ihm auf.
„Warum tun Sie das immer wieder? Jedes Mal retten sie mich.“ Herr McKenzie hielt vor einem Sportwagen und bedeutete mir, dass ich auf der Beifahrerseite einsteigen sollte. Dann sprach er:
„Erstens, lass das mit dem Sie, sag einfach Phil zu mir, OK?“ Ich nickte und hörte ihm weiter zu. „Zweitens, warum ich dich immer rette? Du läuft mir immer dann über den Weg, wenn du gerettet werden musst.“ Bei dieser Aussage zeichnete sich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen ab. Phil fuhr los und ich schaute aus dem Fenster, eigentlich hatte ich noch so viele Fragen, doch die ganzen Ereignisse forderten ziemlich schnell ihren Tribut, denn kaum dass wir los gefahren waren, schlief ich ein. Mit leichtem Druck unter meinem Körper spürte ich während meines Schlafes, dass ich angehoben wurde. Ohne wirklich aufzuwachen, legte ich meine ihm Arme [er will ihn doch nicht erwürgen] um den Hals, mein Gesicht an den Hals schmiegend. Ich roch einen angenehmen Duft, er war mit dem von Mike vergleichbar, doch eine Winzigkeit war anders. Aber was es auch war, ich konnte es nicht deuten. Ich drückte mich fester an die angenehme Wärme, brauchte ich doch dieses Gefühl gerade sehr stark.
Ich bekam mit, wie ich eine Treppe hoch getragen wurde. Im Halbschlaf wusste ich instinktiv, dass ich in Phils Haus war. Doch war ich einfach zu fertig, um meine Augen zu öffnen.
Leise sagte ich:
„Ich muss Mike Bescheid sagen.“ Ich hörte eine leise beruhigende Antwort.
„Morgen, mein Kleiner, Morgen, heute schläfst du erst einmal.“ Ich nickte und spürte, wie ich auf ein Bett gelegt wurde. Ohne meine Augen zu öffnen, drehte ich mich auf die Seite. Ich wurde noch zugedeckt und mir wurden zärtlich die Haare aus dem Gesicht gestrichen, dann war ich alleine und ich fiel tief in den Schlaf zurück.

Am Morgen oder Mittag, so genau konnte ich es nicht sagen, wachte ich auf. Ich befand mich im gleichen Zimmer wie beim letzten Mal. Ich stand auf und schlurfte zur Treppe. Von unten hörte ich ein paar Stimmen und ich folgte ihnen.
„Oh, guten Morgen Sven. Geht es dir gut?“ Ich drehte mich um, Phil stand direkt hinter mir.
„Guten Morgen, und ja mir geht es gut.“
„Schön dann lass uns was essen, okay?“ Wir gingen beide in Richtung der Stimmen und landeten in der Küche, dort war die junge Frau vom letzten Mal und eine Ältere.
„Guten morgen Herr McKenzie.“ sagten beide zur gleichen Zeit und sie sahen zu mir her.
„Dir auch einen guten Morgen.“ kam es von den beiden. Phil lächelte, grüßte beide freundlich zurück und zeigte mir in welche Richtung wir uns weiter bewegen sollten. Auch ich nickte den beiden zu und lief Phil hinterher.
Durch eine weitere Tür kamen wir zum Esszimmer, jedenfalls nahm ich das an, weil ein großer Esstisch in der Mitte stand. Er war reichlich gedeckt. Wir setzten uns neben einander an den Tisch.
„Bedien dich.“ sprach Phil mich an und holte mich aus meinen Gedanken. Ich konzentrierte mich auf das Essen. Irgendwann fragte mich Phil:
„Wer ist eigentlich dieser Mike? Du hast ihn nun mittlerweile so oft erwähnt.“
„Mike ist mein Freund, ich lernte ihn vor ein paar Tagen kennen und hatte ihn mit zu mir genommen.“
„Zu deinem Vater?“ fragte mich Phil verwirrt.
„Oh nein, ich bin vor einigen Wochen von zu Hause weggelaufen und wohne in einer kleinen Hütte unten am Fluss. Ich hatte Mike in der Stadt kennen gelernt. Er hat sein Gedächtnis verloren. Deswegen nennt er sich Mike.“
Fragend schaute mich Phil an.
„Sein Gedächtnis verloren, wie denn?“ Ich zuckte mit den Schultern.
„Wie genau weiß ich leider auch nicht, er sagte, dass er in einer Seitenstrasse aufgewacht ist und keine Papiere und keine Erinnerung mehr hatte.“
Phil nickte nachdenklich.
„Willst du zu der Hütte, um ihm Bescheid zu sagen?“ Er bot mir an, mich zu begleiten. Mit einem Strahlen im Gesicht nahm ich seinen Vorschlag an.
Ja ich würde ihn wieder sehen und ihm alles erklären können, hoffentlich hatte er sich nicht wieder so viele Sorgen gemacht.
Nach dem Essen machten Phil und ich uns fertig, um zur Hütte zu fahren. Ich führte ihn mit dem Auto so weit es ging am Fluss entlang. Doch trotzdem mussten wir noch mindestens einen Kilometer laufen. An den Gärten angekommen, lief ich schnell zur Hütte rauf. Ich sah schon vom Eingang aus, dass Bretter vor der Tür standen. Das war kein gutes Zeichen. Ich lief weiter der Tür entgegen. Die Tür war vollständig zugestellt. Enttäuscht lief ich an die Seite wo immer meine Sachen versteckt sein sollten. Und ja, sie lagen da, das war das Zeichen, dass Mike auf jeden Fall nicht da war. Ich ging wieder zur Tür, räumte die Bretter beiseite und ging in die Hütte hinein. Sie war aufgeräumt und auf dem Tisch lag ein Brief.
Ich trat zu dem Tisch und Phil blieb in der Tür stehen, beobachtete mich.
„Hier wohnst du?“ fragte er mich. Ich nickte:
„Es war besser als auf der Strasse.“ Phil stimmte mir zu und ich nahm den Brief, machte ihn auf und fing an zu lesen.


Lieber Sven,
ich hatte gestern gewartet, doch Du bist nicht gekommen. Ich weiß nicht, was passiert ist. Ich wollte Dir schon seit einiger Zeit etwas sagen. Doch ich hatte Angst, dass wenn ich Dir mein Geheimnis erzählen würde, dass Du mich nicht mehr sehen wolltest, wenn Du erfahren hättest, wer ich bin und was meine Aufgabe war. Ich hoffe Du kannst mir irgendwann verzeihen. Ich weiß nicht genau, wie ich es Dir erklären soll, mir wäre lieb gewesen, wenn ich es Dir persönlich hätte erzählen können.
Nun da ich nicht weiß, wann Du wieder kommst oder ob, so muss ich hoffen, dass Dich dieser Brief irgendwie erreicht.
Sven, ich hatte mein Gedächtnis nicht verloren, ich wusste von der ersten Minute an, wer Du warst. Ich hatte Dich schon eine Zeitlang beobachtet. Ich wurde beauftragt, Dich zu finden und wieder zu Deinem Vater zurück zu bringen. Ich bin Privatdetektiv. Mein vollständiger Name ist Mirco McKenzie. Normalerweise wollte ich Dich ursprünglich an dem Tag, als wir uns trafen, zurück bringen. Doch Du warst so freundlich und liebenswürdig, dass es um mich geschehen war. Ich wollte Deine Nähe spüren. Gab mich deswegen für jemand anderen aus und behauptete, dass ich mein Gedächtnis verloren hätte. Aber nachdem ich Deine Narben gesehen hatte, wusste ich warum Du fort gelaufen warst! Und genau das war der Grund warum ich Dich nicht zu deinem Vater brachte.
Als Du das erste Mal verschwunden warst, machte ich mir wirklich Sorgen, ich begann Dich zu suchen. Ich dachte, dass ich Dich nie wiedersehen würde. Ich war so erleichtert, als Du wieder aufgetaucht warst.
Doch als Du mir von dem Überfall erzählt hast und Du dann bei McKenzie warst, machte mich das traurig und wütend zugleich, dass ich nicht bei Dir war als Du meine Hilfe brauchtest. Übrigens, Phil McKenzie und ich kennen uns nicht persönlich, obwohl er mein Cousin ist. Er weiß es nicht, konnte es nicht wissen, weil mein Vater damals von zu Hause wegging. Und keiner in der Familie wusste, dass er geheiratet hatte und Vater eines Sohnes geworden war. Ich hatte dies vor ein paar Jahren herausgefunden.
Ich weiß nicht, wo Du dieses Mal bist, ich kann es nur vermuten! Ich kann nur hoffen, dass es Dir gut geht. Ich bin nicht gut genug für Dich. Sven, ich werde aus Deinem Leben verschwinden. Deinem Vater werde ich nicht verraten, wo Du Dich aufhältst. Nur bitte pass auf, er wird Dich weiterhin suchen lassen.

Sven, ich habe mich in Dich verliebt und mir bricht es das Herz, dass ich Dich so getäuscht habe.

Bitte verzeih mir.
Dein Mike ( Mirco McKenzie)

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, er hatte mich getäuscht, aber auch nicht verraten! Doch wie hatte mich mein Vater dann gefunden? Dann ist er auch noch ein McKenzie, dachte ich sehr verwirrt.
Nun wusste ich gar nichts mehr und ich drehte mich zu Phil um. Meine Beine wurden weich und ich musste mich erst einmal setzen.
„Sein Name ist nicht Mike.“ kam es gebrochen von mir und Phil schaute mich fragend an. „Wie viel kommt noch? Ich verkrafte das nicht mehr. Erst meine Mutter und mein Großvater, dann Mike, der nicht Mike ist. Warum müssen mich alle Menschen belügen und warum muss ich es so herausfinden?“
Phil sah mich noch immer fragend an und da ich kein vernünftiges Wort über die Lippen bekam, gab ich Phil den Brief. Schließlich war auch etwas für ihn dabei, was er, wie ich fand, erfahren sollte.
Phil las ihn und er zog tief die Luft ein.
„Wir müssen ihn finden“, sagte er und ich schaute ihn mit tränenverhangenen Augen an.
„Und wie? Er hat doch keine Adresse hinterlassen“, fragte ich ihn.
Phil zuckte die Schultern.
„Egal, wir müssen es versuchen.“
Jetzt fiel mir ein, dass er ja im Krankenhaus erwähnt hatte, dass er jemanden suchte, sollte das Mike gewesen sein?
„Suchst du ihn?“ fragte ich daher. Phil schüttelte den Kopf.
„Eigentlich nicht, wir wussten ja nicht, dass es ihn gibt. Ich sollte meinen Onkel suchen. Mein Großvater hatte mich beauftragt. Ich hatte herausgefunden, dass mein Onkel vor einigen Jahren verstorben war. Ich hätte nie gedacht, dass er ein Sohn hatte und dass er hier in der Stadt wohnt. Ich muss ihn finden, wenigsten ihn sollte mein Großvater kennen lernen. Warum er nicht gekommen war, obwohl er es schon wusste, kann ich nicht verstehen.“ Der letzte Satz war so leise, das er es wohl eher zu sich selbst gesagt hatte.
Er blickte mich an und fragte mich:
„Hast du noch viele Sachen hier?“ Ich sah ihn fragend an und so sprach er gleich weiter: „Komm mit zu mir, du musst hier nicht bleiben. Wie du weißt, ich habe Platz.“ Noch immer sah ich ihn an und dann schüttelte ich den Kopf.
„Oh nein, das geht doch nicht, Sie haben schon so viel für mich getan. Noch länger kann ich Ihre Hilfe nicht in Anspruch nehmen.“ Phil sah mich eindringlich an und sagte noch einmal: „Nein du kommst mit, ich lasse dich nicht hier und wie schon gesagt, ich habe Platz. Du störst mich nicht.“
Ich gab nach, vielleicht war es besser so. Besser, als allein zu sein. Wir standen auf und ich holte meine Sachen aus dem Versteck. Wir gingen zum Auto und fuhren zurück zu Phils Haus. Wir redeten nicht viel, sondern hingen unseren eigenen Gedanken nach.
Bei Phil angekommen brachten wir meine Sachen in das Zimmer, in dem ich wohnen sollte.
„Du kannst so lange bleiben, wie du willst.“ sagte er mir noch und ließ mich erst einmal alleine. Ich setzte mich auf das Bett und überlegte, was ich denn jetzt machen sollte. Wie sollte ich denn mit den Zeilen von Mike oder Mirco, wie er eigentlich hieß, umgehen?
Auch waren die Informationen über meine Mutter neu und ich musste beides erst einmal verarbeiten. Ich sollte noch einmal zu Herrn Schmidt gehen. Schließlich wollte ich noch mehr über meine Mutter wissen und zu dem auch, was wirklich alles passiert war. Mir fielen die Briefe meiner Mutter wieder ein, mit Entsetzen stellte ich fest, dass ich sie wohl verloren hatte. Oder waren sie noch im Krankenhaus? Irgendeiner musste diese Briefe doch gefunden haben?

Ich legte mich aufs Bett und starte die Decke an, als ich ein Klopfen hörte. „Herein“ rief ich und setzte mich sofort auf. Die Tür öffnete sich und Phil kam zur Tür herein. „Alles OK?“ fragte er mich besorgt und ich nickte nur. Obwohl ich meinen Blick senkte, denn in Wahrheit war gar nichts OK. Ich wusste nicht, was ich jetzt wirklich tun sollte. Phil kam auf mich zu, setzte sich neben mich und sah zu mir.
„Kann ich dir helfen, du sieht traurig aus?“ Ich blinzelte meine ankommenden Tränen weg.
„Nein, Sie können mir nicht helfen. Es gibt einfach zu viele neue Dinge, die ich gehört habe, ich weiß selber noch nicht, wie ich damit umgehen soll.“ Ohne einen Ton nahm mich Phil in seine Arme und strich mir über den Rücken. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten und ließ sie einfach laufen. Warum musste alles auf einmal kommen? Nicht genug, dass ich meinen Großvater getroffen hatte und er mir etwas über meine Mutter erzählt hatte. Nein, ich musste auch noch erfahren, dass der Mann, in den ich mich verliebt hatte, für meinen Vater gearbeitet hatte und nun auch noch verschwunden war.
Ich schluchzte mir die Seele aus dem Leib und die ganze Zeit hielt mich Phil fest.
„Warum sind Sie so nett zu mir, Sie kennen mich doch gar nicht?“ blickte ich auf und sah ihn mit meinen verweinten Augen an. Er zuckte mit den Schultern und meinte nur ganz leise:
„Ich weiß es nicht, ich hatte von Anfang an das Gefühl, dass ich dir einfach helfen müsste. Wahrscheinlich ist es einfach das Schicksal, das uns immer wieder zusammen führt.“ Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte.
„Aber was genau hast du noch auf dem Herzen. Ich glaube nicht, dass der Brief alleine an deiner Situation schuld hat.“ Ich schluchzte noch einmal auf und fing endlich an zu reden. Ich erzählte ihm alles von dem Tag an, als ich von zu Hause weggegangen war bis zu dem, was ich von Herrn Schmidt, meinen Großvater, erfahren hatte. Auch erzählte ich ihm die Geschichte mit Mike. Immer wieder fing ich von neuem an zu weinen und Phil strich mir die ganze Zeit beruhigend über den Rücken.
„Du solltest noch einmal zu deinen Großvater gehen. Sprich mit ihm, er macht sich bestimmt Sorgen, nachdem du weggegangen bist.“ Ich blieb einen Moment bewegungslos. Ich wusste, dass er Recht hatte und ich war ja auch selbst zu dem Entschluss gekommen, dass ich zu ihm gehen sollte. Doch was sollte ich ihm sagen und wie sollte ich ihm jetzt gegenüber treten?
„Du solltest für heute aber zur Ruhe kommen, du kannst etwas essen und dann solltest du schlafen, morgen kannst du dir überlegen was du machen willst.“
„Ich habe keinen Hunger, aber schlafen ist eine gute Idee. Die Frage ist nur, ob ich überhaupt schlafen kann. Mir steckt immer noch die Begegnung mit meinem Vater in den Knochen.“ Phil strich mir wieder einmal meine Haare aus dem Gesicht und meinte nur:
„Ich kann ja hier sitzen bleiben bist du eingeschlafen bist. Aber nur wenn du möchtest.“ Ich nickte, ich war froh, jetzt nicht ganz alleine zu sein. Eigentlich wäre es mir viel lieber gewesen, wenn Mike bei mir gewesen wäre, an ihn hätte ich mich jetzt richtig anschmiegen können. Als ob Phil meine Gedanken gelesen hätte sagte er leise zu mir: „Ich bin zwar nicht Mike, aber ich kann auch für dich da sein.“ Er legte sich neben mich und nahm mich fest in seine Arme. Ich spürte, wie seine Hand mich streichelte und ich ließ mich in diese Berührungen fallen. Nach einer kleinen Ewigkeit dieser Ruhe schlief ich ein.

Eine wohlige Wärme durchströmte meinen Körper und ich wachte langsam auf. Zwei Arme hielten mich umschlungen und es fühlte sich gut an. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl, in Mikes Armen zu liegen. Vorsichtig hob ich etwas meinen Kopf und sah in Phils Gesicht.
Er schlief noch tief und fest. Eigentlich wollte ich aufstehen, doch wecken wollte ich ihn auch nicht, er sah so friedlich aus und ich wusste ja auch nicht, wie lange er vielleicht noch wach gewesen war.
Also blieb ich regungslos in seinen Armen liegen und hörte auf seine Atmung. Ich dachte an Mike, ein schlechtes Gewissen machte sich breit. Ich kam mir vor, als würde ich ihn betrügen, weil ich in den Armen eines anderen lag und weil es mir auch noch gefiel. Wie sollte ich mich nun auch noch gegenüber ihm verhalten, falls ich ihn wieder sehen sollte? Würde ich ihn überhaupt wieder sehen?
Phil bewegte sich und holte mich aus meinen Gedanken, als ich ein leises „Guten Morgen“ an meinem Ohr hörte. Gänsehaut lief mir über meinen ganzen Körper und ich sank in mich zusammen. Vorsichtig zog Phil seine Arme von mir und setzte sich auf. „Und, geht es dir besser?“ Auch ich setzte mich auf und nickte.
„Ja und danke das du für mich schon wieder einmal da warst.“ Er sagte nichts darauf fragte mich nur: „Hast du Hunger?“ Ich nickte, er stand auf und meinte dann: „Dann lass ich für uns mal Frühstück machen. Du kannst gerne das Bad benutzen, wo es ist weißt du bestimmt noch.“ Ich nickte wieder nur. Es fiel mir einfach schwer zu reden. Auch ich verließ das Bett und schnappte mir aus meiner Tasche neue Klamotten und schlurfte ins Bad. Nach der Toilette drehte ich das warme Wasser von der Dusche an und ich stellte mich unter den angenehmen warmen Strahl. Oh, wie lange hatte ich keine Dusche mehr so genießen können. Meinen Kopf drückte ich gegen die Fliesen, das warme Wasser lief mir über den Rücken, wie angenehm doch so etwas sein konnte! Erst jetzt konnte ich es richtig wertschätzen. Ich hörte, wie die Badtür aufging und erschrak. Durch die Milchglastür der Dusche konnte man eine Gestalt erkennen.
„Oh entschuldige, ich dachte nicht, dass du noch unter der Dusche stehst.“ hörte ich Phils Stimme.
„Entschuldige ich beeile mich.“ Mann, war mir das peinlich, ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich schon eine Ewigkeit unter der Dusche stand.
„Nein, es ist schon Okay. Lass dir ruhig Zeit.“ Er verließ das Bad und ich atmete tief durch. Schnell wusch ich mich und verließ die Dusche, zog mich an und brachte meine alten Sachen zurück ins Zimmer.
Für einen kurzen Moment blieb ich noch einmal auf dem Bett sitzen, dann lief ich die Treppe runter. Die junge Frau kam mir entgegen.
„Ah, da bist du ja. Das Frühstück ist fertig, du kannst direkt ins Esszimmer gehen.“
Ich tat, was mir die junge Frau gesagt hatte und ich sah, dass Phil schon am Tisch saß. „Entschuldige, dass ich deine Dusche so lange in Beschlag genommen habe.“ Doch er schüttelte den Kopf und meinte nur mit einem kleinen Lachen:
„Ach was, das ist nicht so schlimm, dann gehen ich halt nach dem Frühstück duschen, Hauptsache es hat dir gut getan.“ Auch ich gab ein kleines Lachen von mir und bestätigte, dass es sehr gut wäre. Wir lachten und scherzten während des ganzen Frühstücks, der Kummer, den ich die ganze Zeit normalerweise in mir spürte, war für diesen Zeitraum wie weggefegt.
„Was willst du jetzt machen?“ fragte mich Phil auf einmal und ich zuckte mit den Schultern.
„Ich sollte zu meinem Großvater gehen. Er soll sehen, dass es mir gut geht. Ich habe bemerkt, dass er sich Sorgen machte.“ Phil nickte und bot mir an:
„Soll ich dich fahren? Es ist schließlich eine ziemlich weite Strecke bis in die Stadt.“ Ich überlegte einen Moment. >>Oh Mann, das kann ich doch nie wieder gut machen<< ging es mir durch den Kopf, doch hatte er auch Recht, es war ein wirklich weiter Weg in die Stadt.
„Wenn es dir nichts ausmacht, ich will dir nicht zur Last fallen.“ Er schüttelte den Kopf, stand auf und kam langsam auf mich zu, beugte sich zu mir runter und flüsterte mir zu:
„Wenn du mir zur Last fallen würdest, dann hätte ich es dir nicht angeboten.“ Wieder lief mir ein Schauer durch den Körper und ich bekam eine Gänsehaut. >> Oh Mann, wieso reagierte ich jetzt so auf ihn. Ich kann doch nicht nach einem Tag, wo Mike nicht mehr bei mir war, so auf jemand anderen reagieren. Oder ist es deswegen, weil er mich so an Mike erinnert?<< All das ging mir durch den Kopf, während ich Phil beobachtete, wie er den Raum verließ. Ich aß noch zuende und half der jungen Frau beim Tisch abräumen. Sie staunte etwas, doch ich wollte es so, also ließ sie mich gewähren. Ich wollte mich schließlich nicht bedienen lassen, wenn ich hier schon aufgenommen wurde.
Nach einer Weile kam Phil und wir machten uns auf den Weg in die Stadt. Er fuhr mich direkt vor die Tür meines Großvaters und ich brauchte eine Weile, bis ich so weit war auszusteigen. Ohne mich zu fragen gab er mir die Zeit und ich war ihm, wie so oft, dankbar für sein Verständnis.
Ich stieg aus und wollte gerade loslaufen, als Phil mich fragte:
„Soll ich dich abholen oder auf dich warten?“ Ich drehte mich zu ihm um und schüttelte den Kopf, bevor ich ihm antwortete.
„Nein, ist schon okay, ich weiß ja nicht wie lange das dauert.“
„Aber du kommst doch nach Hause?“ kam schon die nächste Frage. Ich schluckte, er fragte mich ob ich nach Hause komme, wie sollte ich das denn jetzt verstehen? Dies war doch nicht mein Zuhause, ich war doch Gast bei ihm und ich musste doch aufpassen, dass ich ihm nicht zur Last fallen würde. Ich zuckte die Schultern und gab leise von mir: „Wenn ich alles mit ihm besprochen habe, finde ich ganz sicher zu dir. Ich habe ja auch noch meine Sachen bei dir.“ Ein zufriedenes Lächeln und er nickte mir aufmunternd zu. Ich drehte mich um und ging langsam zur Tür, wo ich dann klingelte. Ich spürte, dass Phil noch immer da war und mich beobachtete. Er fuhr erst los, als sich die Tür öffnete und Herr Schmidt mich herein ließ. Der alte Mann schaute mich traurig an, aber man spürte eine Erleichterung in seinem Blick, dass ich wieder gekommen war.
„Schön, dass du da bist.“ bekam ich auch gleich von ihm zu hören. Ich nickte und folgte ihm in die Küche.
„Tee?“
Wieder nickte ich und ich setzte mich auf einen Stuhl.
„Entschuldigung, dass ich gestern einfach so weggegangen bin.“ Er drehte sich zu mir um.
„Oh nein, du musst dich nicht entschuldigen, ich versteh das, schließlich war das gestern alles neu für dich. Ich hatte nur Angst, dass du nicht wieder kommen würdest.“ sagte er traurig und ich sah deutlich, dass er gegen Tränen ankämpfen musste. Er gab mir den Tee und wir schwiegen eine Weile. Keiner von uns wusste, was er sagen sollte, doch die Stille war nicht unangenehm. Ich fühlte mich geborgen in seiner Nähe. Ich hing meinen Gedanken nach, als er mich fragte:
„Du wohnst nicht wirklich mehr bei deinem Vater, oder?“ Ich hatte erst einmal Schwierigkeiten der Frage zu folgen, doch dann nickte ich und erzählte ihm, dass ich weggelaufen wäre. Er stellte mir Fragen, wo ich denn jetzt wohnen würde und wie ich die ganzen letzten Wochen durchgekommen wäre.
Ich erzählte ihm alles und je länger unser Gespräch dauerte, umso lockerer wurden wir beide. Ich konnte ihm Fragen über meine Mutter stellen, die er mir mit Freude beantwortete, was ich an seiner Stimme erkannte. Er erzählte mir, wie sie als Kind gewesen war und wie sie meinen Vater kennen gelernt hatte. Mit etwas Zurückhaltung erzählte er mir auch, wie es genau zu dem Streit gekommen war und auch, dass er keine Beweise aufbringen konnte, dass mein Vater meine Mutter eigentlich umgebracht hätte. Stunden vergingen und draußen wurde es schon dämmrig.
„Ich sollte langsam los. Es wird schon dunkel und ich hatte Phil gesagt, dass ich heute wieder komme.“ Mein Großvater nickte und wir gingen gemeinsam an die Tür.
„Du kannst auch zu mir ziehen, deine Tante würde dich auch gerne richtig kennen lernen.“
„Meine Tante?“ fragte ich.
„Na du hast sie doch schon kennen gelernt. Sie hatte dich zu mir geschickt.“ Ach ja, jetzt fiel es mir wieder ein. Die erste Begegnung hier war ja mit Frau Schmidt gewesen. Es stellte sich heraus, dass es seine Tochter war und natürlich war sie dann auch meine Tante.
„Oh ich hatte sie schon fast vergessen“ gab ich ehrlich zu und er lächelte.
„Ja bei all dem, was du durchgemacht hast und die vielen neuen Informationen die du erhalten hattest, ist das kein Wunder. Doch wenn sie nicht gewesen wäre, hätte ich dich wahrscheinlich nie gesehen. Sie hatte eine Ahnung, als sie dich das erste Mal gesehen hatte, denn du siehst deiner Mutter wirklich sehr ähnlich und auch deine liebenswerte Art hast du von ihr.“ Ich konnte nicht anders, ohne nachzudenken nahm ich ihn in die Arme und drückte ihn ganz fest.
„Ich freue mich, dass ich dich gefunden habe Großvater.“ Auch er drückte mich und ein leises „Zum Glück, ich danke Gott dafür, dass er dich zu mir geschickt hat.“ kam es zurück von ihm. Wir verabschiedeten uns und ich musste ihm versprechen, so schnell wie möglich wiederzukommen.

Ich lief die ganze Strecke bis zu Phil nach Hause und es tat gut, alleine mit meinen Gedanken zu sein. Ich stellte für mich fest, dass es die beste Entscheidung gewesen war, von zu Hause weg zu gehen. Doch ich hatte auch noch das Problem, mich von meinem Vater zu lösen, schließlich konnte er jederzeit wieder vor mir auftauchen und mich zwingen, mit ihm zu kommen. Bei diesem Gedanken schalt ich mich auch selbst einen Idioten. Wusste ich doch, dass er jederzeit wieder vor mir stehen könnte. Und ich lief auch noch alleine durch die Gegend! Aber ich brauchte diese Zeit für mich! Ich hoffte also, heil bei Phil anzukommen, was mir auch nach cirka zwei Stunden gelang und ich war unheimlich froh darüber.

Phil musste gesehen haben, dass ich die Auffahrt hoch gelaufen kam, denn er stand an der Tür und wartete auf mich. Er begrüßte mich mit einem Lächeln und wir betraten gemeinsam das Haus.
„Und, ist alles gut gelaufen?“ fragte er auch gleich. Ich nickte und antwortete:
„Ja, wir haben uns prima verstanden. Er hat mir angeboten, bei ihm zu leben, doch habe ich Angst, dass mein Vater ihm etwas antun könnte, so wie er es bei meiner Mutter getan hatte.“
Phil lenkte mich in den Raum, wo einst mich sein Hausarzt untersucht hatte. Wir setzten uns auf das Sofa.
„Und, was hast du jetzt vor?“ fragte er mich und ich blickte zum Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte. Die Schultern zuckend konnte ich nur erwidern:
„Ich weiß es nicht.“
„Wie schon gesagt, du kannst so lange du willst hier bleiben, dann brauchst du auch keine Angst um deinen Großvater zu haben.“ bot er mir noch einmal an.
„Ich würde zu gerne sehen, dass er bestraft wird.“ meinte ich etwas abwesend und auf sein Angebot nickte ich nur.
„Das wird schwer werden, er ist Polizist. Es ist schwer, so einem etwas nachzuweisen, gerade wenn es schon so lange her ist.“ überlegte Phil laut und ich atmete tief ein.
„Ja genau, das ist das ganze Problem.“ erwiderte ich. Wir saßen eine Weile still da, als mir so langsam die Augen zufielen. Die Wärme des Feuers machte mich Müde und ich entspannte mich.
„Ich sollte schlafen gehen.“ murmelte ich leise und stand auf. Phil erhob sich auch, stellte sich genau vor mich und sah mir tief in meine Augen. Ich stand ihm so nah gegenüber, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht spürte. Ich fühlte ein Kribbeln in mir. >>Warum habe ich jetzt bloß dieses Kribbeln?<< fragte ich mich. Ich dachte an Mike und senkte meinen Blick. Phil legte einen Finger unter mein Kinn und hob mein Gesicht an, so dass ich ihm direkt in seine Augen schauen musste. Ich nahm einen tiefen Atemzug und wollte etwas sagen, als ich Phils Lippen auf meinen spürte. Ein Kuss, so intensiv, dass ich das Gefühl hatte, die Zeit bliebe stehen. Ich löste mich von ihm, sah ihm verzweifelt in die Augen und rannte dann aus dem Raum in mein derzeitiges Zimmer. Ich schloss hinter mir hektisch die Tür und lehnte mich an sie, dabei rutschte ich zu Boden. Meinen Kopf lehnte ich an die Tür und ich verfluchte mich selber. Was hatte ich getan? Ich hatte einen anderen Mann geküsst, obwohl ich mich doch in Mike verliebt hatte. Ich hatte ihn damit betrogen. Hatte ich ihn wirklich betrogen, waren wir denn überhaupt richtig zusammen gewesen? War er nicht weggegangen? Ich wusste nichts mehr! Ich meinte zu wissen, dass es falsch gewesen war, Phil zu küssen. Es war doch so, dass ich mit Mike zusammen war und das ich verliebt in ihn war. Ich legte einen Finger an meine Lippen, doch dieser Kuss, warum fühlte ich in diesem Kuss so viel mehr, obwohl sich doch nur unsere Lippen berührt hatten. Ich hörte Schritte auf die Tür zukommen und ein leises Klopfen folgte.
„Sven?“ hörte ich und ich gab nur ein kleines langgezogenes „Jaa“ von mir. „Alles okay? Können wir reden?“ wurde ich gefragt.
„Nein, bitte nicht heute.“ antwortete ich ihm brüchig.
„Sven, bitte lass es mich erklären.“ kam es flehend. Ich seufzte tief auf, dann öffnete ich die Tür. Phil stand davor wie ein kleines Häufchen Elend.
„Was ist denn mit dir los?“ Ich musste lachen, er sah aber auch zu süß aus. Ein gequältes Lächeln kam von ihm und ich ließ ihn ins Zimmer eintreten.
„Sven ich ...“ brach er ab. Ich winkte ihm ab und meinte nur:
„Nein, nicht; du musst mir nichts erklären.“ Ich wusste zwar, dass ich mich da gerade selbst belog, natürlich hätte ich gern gewusst warum er mich geküsst hatte. Doch ich fühlte, dass es schwer für ihn war. Außerdem musste ich mir ja selber erst einmal Rechenschaft darüber ablegen, dass ich es einfach schön gefunden hatte.

Phil blieb an der Tür stehen und ich setzte mich auf das Bett. Ich schaute zum Fenster und fing an zu reden:
„Weißt du, ich fand den Kuss gerade sehr schön, doch verstehe ich mich nicht, ich hatte mich doch in deinen Cousin verliebt. Vielleicht ist es deswegen, warum er mir gefiel. Du siehst ihm zum Verwechseln ähnlich. Aber es ist nicht fair, dir gegenüber, dass ich mich auf dich einlasse, nur weil du ihm ähnlich siehst.“ Noch immer sah ich zum Fenster und Phil kam auf mich zu.
„Das wusste ich, doch ich konnte nicht anders. Irgendwie ziehst du mich magisch an. Es ist für mich schade, dass du meinen Cousin eher getroffen hast als mich. Vielleicht hättest du dich dann in mich verliebt. Es zeichnet dich aus, dass du ihm treu sein willst, obwohl er gegangen ist. Auch dass du nicht weißt, ob du ihn wieder sehen wirst. Sven, ich weiß, dass ich mich in dich verliebt habe. Schon vom ersten Tag an, als ich dich zu mir mitgenommen hatte. Seit der Zeit wünschte ich mir, dich einmal küssen zu dürfen und dich spüren zu können.“ Er unterbrach sich und ich sah in seinen Augen eine Sehnsucht, die ich spürte, wenn ich an Mike dachte. Dann sprach er mit brüchiger Stimme weiter:
„Sven, ich will mich nicht zwischen deine Liebe drängen, doch wenn du meinen Cousin nicht wieder siehst, vielleicht habe ich dann eine Chance, dein Herz zu erobern. Ich werde jedenfalls immer da sein, wenn du mich brauchst.“ Mit diesen Worten verließ er den Raum und ich saß alleine da. Ja das war er, er war bis jetzt immer da gewesen. Aber auch Mike war in gewisser Weise immer da, seitdem ich ihn kannte. Jetzt wurden meine Gefühle immer stärker ernsthaft durcheinander gebracht. Was sollte ich denn machen? Ich liebte Mike, aber ich wurde auch von Phil magisch angezogen.
Noch einmal legte ich meinen Finger auf meine Lippen, ich spürte diese leichte Berührung noch immer. Ich ließ mich nach hinten auf das Bett fallen und starrte vor mich an die Decke.
Irgendwann schlief ich ein.

Im Traum verfolgte mich mein Vater. Mike und Phil retteten mich andauernd vor ihm. Ich hatte eine absolut unruhige Nacht und so wachte ich auch am anderen Tag auf. Völlig fertig ging ich ins Bad und war sofort hellwach, als ich Phil nackt vor mir stehen sah. Ich fühlte wie Röte in mein Gesicht stieg und verließ schnell das Bad wieder. Na prima, das ist wirklich ganz prima, ging es mir durch den Kopf und ich lief eiligst wieder in mein Zimmer. Schwer atmend machte ich erst einmal das Fenster auf und holte tief Luft. Oh Mann, der sah genauso gut aus wie Mike. Das macht es ganz sicher nicht leichter. Ich sollte vielleicht doch bei meinem Großvater einziehen. Ein Klopfen und ein „Du kannst jetzt ins Bad“ hörte ich und dann war wieder völlige Stille.


Phil wartete schon mit dem Frühstück auf mich.
„Ich will heute versuchen, Mike zu finden. Willst du mitkommen?“ fragte er mich und ich nickte. Ich freute mich, Mike vielleicht wieder zu sehen. Nach dem Essen machten wir uns auch gleich auf den Weg. Phil hielt bei vielen verschiedenen Behörden an, um vielleicht an seine Adresse zu kommen. Doch alles erwies sich als Sackgasse. Es gab einfach keine Spur von ihm. Wir mussten annehmen, dass er auch als Privatdetektiv nicht unter seinem eigenen Namen gearbeitet hatte. Die einzige Spur, die wir bekommen konnten, führte zu meinen Vater. Schließlich hatte er ja mit ihm zusammen gearbeitet. Er musste wissen, wie man mit ihm Kontakt aufnehmen konnte. Doch ich wollte nicht zu ihm und das wusste auch Phil. Er brachte mich nach Hause und machte sich auch gleich wieder auf den Weg. Stunden vergingen und ich hörte nichts von ihm. Ich hoffte, dass mein Vater ihn nicht verletzt hatte oder sogar eingesperrt hatte. Ich lief durch das Haus hin und her. Versuchte immer wieder, etwas Ruhe zu bekommen doch nichts funktionierte. Ich half auch der jungen Frau bei ihrer Hausarbeit, nur um mich abzulenken.
Es war draußen schon stockdunkel als ich ein Auto die Auffahrt hoch kommen hörte. Ich rannte zur Tür und ich sah, wie Phil aus dem Auto stieg. Schon aus der Entfernung sah ich, dass Phil nicht gut aussah. Ich rannte zu ihm und bekam einen fürchterlichen Schreck. Phil hatte mehrere Blessuren im Gesicht, er hatte sich geschlagen.

„Was ist passiert?“ fragte ich ihn und half ihm ins Haus, weil ich sah, dass er auch beim Laufen Probleme hatte.
„Dein Vater meinte, er müsse mir eine Abreibung verpassen.“ Ich schluckte und wollte gerade noch etwas sagen, als er lachend meinte: „Keine Angst, er sieht auch nicht viel besser aus, ich habe ihn noch ins Krankenhaus gebracht. Er weiß nicht, wo du bist, aber er wird dich sowieso jetzt in Ruhe lassen, das habe ich ihm ein für alle Male eingebläut. Leider kannst du ihn nicht dran bekommen, wegen deiner Mutter, aber dafür kann er auch nicht mehr als Polizist arbeiten.“ Irritiert schaute ich ihn an und fragte:
„Was hast du getan?“
„Es ist besser, du weißt es nicht. Leider konnte ich aber auch nicht herausfinden woher er Mike kannte.“ Ich setzte ihn in dem Wohnraum auf das Sofa und lief schnell in die Küche, holte eine Schüssel warmes Wasser und einen Lappen. Ich musste ihm wenigstens seine Wunden versorgen. Ich wusste nicht, ob ich mich nun freuen oder fürchten sollte, nach dieser Nachricht über meinen Vater. Doch das war erst einmal egal. Zurück bei ihm, zog ich ihm erst einmal sein T-Shirt aus. Oh, er sah schlimm aus! Er musste eine ganze Menge eingesteckt haben, doch wenn er schon so schlimm aussah, dann wollte ich meinen Vater lieber nicht sehen.
Tiefe Schadenfreude stieg in mir hoch. Endlich hatte er nun am eigenen Leib zu spüren bekommen, welche Schmerzen er mir zugefügt hatte. Phil saß auf dem Sofa und ich wusch ihm vorsichtig die Wunden aus. Zum Glück waren sie allesamt nicht sehr tief.

„Was willst du jetzt machen wenn du ihn nicht findest. Du wolltest doch, dass er deinen Großvater kennen lernt.“
„Ich weiß nicht, das ist mir eigentlich nicht mehr so wichtig. Wichtiger bist du. Ich will, dass du glücklich bist. Du hast nun mal dein Herz an ihn verloren, also ist es nur richtig, wenn du mit ihm zusammen sein könntest.“ Ich schaute ihn an. Wie konnte ein Mensch nur so sein? Er opferte sich für mich, half mir ständig. Er hatte mir schon so oft das Leben gerettet. Trotz allem wollte er, dass ich glücklich sein und den Mann bekommen sollte, den ich für mein Herz auserkoren hatte.
Ich brachte ihn in sein Zimmer und blieb an seinem Bett sitzen, bis er eingeschlafen war. Meine Gefühle begannen zu wankten. Ich wusste nicht mehr, für wen ich mehr empfand. Auf der einen Seite liebte ich noch immer Mike, auf der anderen hatte ich eine tiefe Zuneigung zu Phil entwickelt. Oder war es umgedreht? Oh Mann, wie kompliziert war das denn? Ich wusste schon selbst nicht mehr, was richtig oder falsch war.
Ich streichelte Phil über den Rücken und fühlte seine weiche Haut. Schnell nahm ich meine Hand von ihm und verließ das Zimmer. Noch immer wusste ich nicht, was ich wirklich fühlte. Eines wusste ich, ich durfte ihm keine Hoffnungen machen, wenn ich mir selbst nicht sicher war.

Tage und Wochen vergingen, ich lebte weiter bei Phil, aber ich besuchte meinen Großvater und meine Tante so oft ich wollte. Ich konnte auch wieder normal in die Schule gehen, was mich am meisten freute, denn so kam ich meinem Ziel, einmal Geschichte zu studieren, sehr nahe. Von Mike hatten wir leider nichts mehr gehört, egal wo wir gesucht hatten, er war nicht aufzufinden.
Eines Tages, es war an einem Sonntag, saßen Phil und ich wie so oft am Frühstückstisch, als mir selbst bewusst wurde, dass ich ohne ihn nicht mehr leben wollte, doch wusste ich nicht, wie ich es ihm sagen sollte.
Ich überlegte mir ein paar Tage lang, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte und wie ich ihm meine Gefühle erklären sollte. Hatte ich ihm doch nicht gezeigt, dass sich meine Gefühle für ihn verändert oder verstärkt hatten.
Am Dienstag lief ich wie so oft durch die Stadt und dann blieb ich vor einem Schaufenster stehen. Mir kam eine Idee.
Am nächsten Sonntag stellte ich einen Picknickkorb zusammen und bat ihn, mit mir einen Ausflug zu machen.
Wir fuhren zum Fluss, ich führte ihn in Richtung der alten Hütte und dort am Ufer breitete ich die Decke aus.
„Sven, warum wolltest du genau hierher?“ fragte er mich und ich schaute auf die Hütte, die nun noch ein wenig mehr verwittert war.
„Hier hat mein Leben angefangen, eine eigene Geschichte zu schreiben. Hier kam ich auf die Strasse, die mich ins Glück führte.“ Ich nahm eine kleine Schachtel aus dem Korb und legte sie genau vor Phil hin. Fragend sah er mich an und ich nickte zur Schachtel. Er nahm sie auf und öffnete sie vorsichtig. Für einige Sekunden sah er abwechselnd auf den Inhalt in dem Kästchen und auf mich, bis er es endlich heraus nahm. In der Hand hielt er nun eine kleine silberne Kette mit einem kleinen Anhänger worauf stand:
Danke, dass du mich auf die Strasse des Glücks geholt hast. Dafür liebe ich dich.
Er blickte mich ungläubig an, doch bevor er etwas sagen konnte, legte ich meine Lippen auf seine. Seine Arme legten sich um mich, drückten mich fest an sich und dann hörte ich nur noch ein kleines leises.
„Ich liebe Dich“


Epilog
Mike

Nun saß ich hier, wieder in meinem Büro, hatte alles zusammen gepackt, wartete auf den Umzugswagen und verlor mich in meinen Gedanken. Ich erlebte die letzten Wochen noch einmal.
Meine Nerven hatten mich fast um den Verstand gebracht. Ja, ich hatte mich in den Jungen verliebt. Angst machte sich in mir breit, was würde er sagen, wenn er die Wahrheit über mich erfahren würde? Sein Vater hatte mich beauftragt seinen Sohn zu finden. Er wollte, dass ich ihn zurück bringe, egal wie. Ich wusste, dass er ein brutaler Kerl war. Doch dass er gegenüber seinem Sohn so brutal war, wusste ich nicht, es hatte mich geschockt als ich die Narben bei Sven gesehen hatte.
Da wusste ich, dass ich ihn nicht wieder zurück bringen konnte. Ich wollte ihn beschützen, für ihn da sein, doch als er am meisten meine Hilfe gebraucht hätte, war ich nicht für ihn da.
Er hatte schon seinen Schutzengel, meinen Cousin. Er war aufgetaucht und hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet. Das erste Mal hatte ich ihn beobachtet, als er ihn vor einer Vergewaltigung beschützt hatte. Noch bevor ich überhaupt eingreifen konnte, war er schon da gewesen. Er nahm ihn mit, brachte ihn zu sich nach Hause, sorgte dafür dass er versorgt wurde. Ich dachte nicht, dass er hierher zurückkommen würde. Ich wollte ihn so sehr, hatte ihn an mich binden wollen, doch schon ein paar Tage später sollte ich wieder Zeuge sein, dass er für einen anderen bestimmt war. Ich sah, wie Sven in Gedanken durch die Strassen lief. Er lief ohne zu schauen auf die Straße, ich war zu weit weg, wollte noch nach ihm rufen, als ich wieder meinen Cousin sah, der ihm das Leben ein weiteres Mal rettete. Ich fühlte mich nutzlos, doch ich folgte ihnen. Er brachte ihn dieses Mal in ein Krankenhaus. Als er das Zimmer verließ besuchte ich ihn, er lag im Koma. Ich streichelte ihn, redete mit ihm und rief ihm zu, er solle doch wieder zu mir zurückkommen. Tränen liefen mir über die Wangen und ich hielt meine Hand auf seiner Stirn, sie war so warm. Ich fühlte eine tiefe Traurigkeit in mir aufsteigen mit der ich nicht gleich zu recht kam. Ich musste für einen Moment einfach mal raus, ich nahm mir vor, später noch einmal nach ihm zu sehen. Doch als ich wieder zurückkam, sah ich wie sein Vater versuchte, ihn zum Auto zu ziehen. Sven versuchte, sich zu wehren, es gelang ihm jedoch nicht, von ihm weg zukommen. Ich wollte zu ihm, doch wieder war ich zu spät. Mein Cousin McKenzie war schon wieder vor mir da. Nun war ich mir sicher, mir war es nicht bestimmt, mit ihm zusammen zu kommen. Egal wie sehr ich ihn liebte, ich konnte ihn einfach nicht beschützen. Ich hatte nur eine Wahl, ich musste ihn gehen lassen. Er musste mit dem Menschen zusammen kommen, der für ihn bestimmt war.

Ich wusste, dass sie mich suchten, doch ich verwischte meine Spuren sorgfältig. Selbst als sich Phil McKenzie mit Svens Vater geprügelt hatte, bekam er keine Antwort. Ich beobachtete ihn, wie er den Rabenvater fertig machte. Ja, das geschah diesem Dreckskerl recht. Ich bekam heraus, dass McKenzie es geschafft hatte, dass er auf alle Fälle jetzt Sven gehen ließ und dass er auch seinen Dienst bei der Polizei quittierte. Ich wusste zwar nicht, wie er es geschafft hatte, doch es freute mich. Noch einige Wochen beobachtet ich Sven und meinen Cousin. Ich spürte, wie Sven sich immer mehr zu McKenzie hingezogen fühlte. Es war nur noch eine Frage der Zeit. An einem Sonntag machten sie einen gemeinsamen Ausflug zum Fluss an die Hütte. Ich sah, wie die beiden sich unterhielten und wie Sven ihm ein kleines Päckchen reichte. Einige Sekunden verstrichen in denen nichts geschah, außer dass mein Cousin die kleine Kette anschaute, die er in der Hand hielt. Dann fiel Sven ihm um den Hals und küsste ihn und mir brach es das Herz. Doch nun wusste ich, dass er für immer in Sicherheit war.
Nun konnte ich mit ruhigen Gewissen die Stadt verlassen. Der Umzugswagen kam und ich räumte mein Büro leer.
Ich setzte mich in mein Auto und fuhr dem Umzugswagen hinterher. Vielleicht finde ich irgendwann auch den Menschen, der für mich bestimmt ist. Mit diesen Gedanken verließ ich die Stadt und kehrte nie wieder zurück.

ENDE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.11.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Wieder einmal danke an moonlook für ihr Unterstützung

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