Cover


Ich war erst knapp siebzehn Jahre alt, hatte pechschwarze Haare, braune Augen und mein Wunsch war es nur einmal geliebt zu werden.

Ich wusste seit meinem fünfzehnten Lebensjahr, dass ich auf andere Jungs stand.
Ich bemerkte es, als ich mich das erste Mal verliebte in einen Jungen aus meiner Nachbarschaft. Dieser hatte dunkelblonde Haare und stechend blauen Augen, die so klar waren wie die Sterne in der Nacht.
Wenn sein Blick mich getroffen hatte, schmolz ich dahin und hatte mir vorgestellt ihm näher zu kommen. Ich wollte so gerne seine Lippen probieren, einen Kuss von ihm zu kosten.
Aber da er auch der erste Junge war, in dem ich mich verliebte, stritt ich meine Gefühle ab. Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich auf Jungs stand und schon gar nicht das ich wahrscheinlich schwul war.

So vergrub ich mich eine zeitlang, zeigte mich kaum noch bei meinen Freunden und unternahm nichts mehr, was meine Eltern nicht sehr gut fanden.
Nachdem ich mir endlich meine Gefühle eingestehen konnte, war es zu spät.
David war mit seinen Eltern in eine andere Stadt gezogen und ich hatte ihn nie wieder gesehen.

Daraufhin versuchte ich ihn zu vergessen und wollte meine Neigung auch wieder verleumden, doch ein Jahr später verliebte ich mich wieder in einen Jungen. Dieses Mal war es ein Junge aus meiner Parallelklasse.
Er sah toll aus groß, schlank, durchtrainiert, braune mittel lange Haare, wundervolle braune Augen. Eine Stimme so tief und sinnlich das ich bei jedem Wort Gänsehaut bekommen habe.
Doch ihm konnte ich erst recht nicht meine Gefühle gestehen, da er zu hundert Prozent hetero war.
Er hasste Schwule und das zeigte er auch offensichtlich und ließ es auch jedem spüren, der nur annähernd für ihn schwul rüberkam.
Auch dieses Mal versuchte ich meine Gefühle zu vergessen, mich von dem Gedanken loszureißen, dass ich ihm irgendwann näher kommen könnte.

Die einzigen auf die ich mich immer hundertprozentig verlassen konnte, waren meine Eltern. Meine Mutter machte mir ständig Mut sagte immer: „ Mein Junge auch für dich kommt die Zeit, dann ist der Richtige da und er wird dich genauso lieben wie du ihn.“
Auch wenn ich in diesem Moment nicht daran glaubte, so beruhigte es mich immer wieder das meine Eltern zu mir standen, mich so akzeptierten wie ich war. Mir auch immer gut zuredeten und mir die Kraft gaben, die ich brauchte.
Ich versuchte meinen Alltag immer so gut wie möglich hinter mich zu bringen. Ich hatte auch nicht viele Freunde. Doch die ich hatte, wussten von meiner Neigung und sie Akzeptierten es.


Es war der 23. Dezember und wie jedes Jahr wollten wir zu meiner Oma aufs Land fahren. Über den ganzen Tag hinweg hatte es schon geschneit und es sah auch nicht so aus, als würde es aufhören wollen.
Als wir losfuhren war es schon dunkel und die Straßen waren stark vereist.
Wir mussten über eine Landstraße fahren und mein Vater fuhr schon extrem langsam, weil es zum Überfluss auch noch stärker anfing zu schneien.
Ein LKW kam uns entgegen. Der Fahrer machte sein Fernlicht nicht aus und mein Vater wurde geblendet. Er konnte nichts mehr erkennen und daher kam er ins Schleudern. Den Wagen bekam er einfach nicht mehr unter Kontrolle und so fuhren wir genau in den LKW hinein. Dieser zog uns mit voller Kraft mit sich und dabei hatte er unseren Wagen vollständig zerdrückt.

Ich sah, wie meine Eltern von der Wucht, die auf uns zukam, zerdrückt wurden. Sie starben genau vor meinen Augen. Es ging so schnell und mein Körper wurde eingeklemmt. Ich spürte ein stechenden Schmerz in meinem Brustkorb, meine Beine wurden mehr und mehr zusammengequetscht, dann kamen wir endlich zum Stehen und mir wurde schwarz vor Augen.

Als ich aufwachte, lag ich in einem Zimmer. Vor meinem Bett stand ein Tisch mit zwei Stühlen, neben mir war ein kleines Schränkchen, worauf ein kleines Tablett mit Medikamenten stand.
An meinem Arm hing ein Schlauch, der an einem Infusionsbeutel festgemacht war. Auf meinem Brustkorb waren Dioden, die zu einem Monitor liefen. Ich hörte das gleichmäßige Piepen im Halbdunkel.

Mir fiel auf, dass ich kaum Schmerzen verspürte, sie mussten mich vollgestopft haben mit Schmerzmitteln. Mein Körper war von Bandagen umwickelt, so sah ich aus wie eine Mumie.
Aber was ich spürte waren Kopfschmerzen, denn ich sah immer wieder vor mir wie meine Eltern starben. Die Bilder von dem Unfall spielten sich ab wie ein Film, der immer wieder von vorn anfing. Ich sah wie meine Eltern zerdrückt wurden und mir liefen die Tränen an der Wange hinab.

„Warum ???“ stellte ich mir die Frage.
Eine Schwester betrat das Zimmer, schaltete das Licht an und schaute mich an. Ich wollte etwas sagen, doch ich konnte den Mund nicht öffnen, nicht ein Ton verließ meine Lippen.
Die Schwester überprüfte den Tropf und sprach keinen Ton mit mir.
Ich fragte mich ob sie nicht sehen konnte, dass ich wach war. Sie schaute auf mich herab, fühlte mit ihrer kalten Hand meine Stirn, doch sie redete noch immer keinen Ton mit mir.

Was ist nur los? Warum sieht sie nicht, dass ich wach bin? Warum spricht sie nicht mit mir? Ich wollte sie am liebsten anschreien, doch kein Wort bekam ich weiterhin über meine Lippen.

Sie zog mir die Decke zurecht, schaute mich wieder für ein paar Sekunden an und ich konnte mich nicht bewegen, konnte ihr nicht zeigen, dass ich wach war.

Langsam drehte sie sich um und verließ mein Zimmer.
„Nein, nein nicht gehen! Schau, ich bin wach! Schau doch her.“ Doch sie hörte es nicht, denn ich schrie es nur in meinen Gedanken und wieder wurde es dunkel und ich war allein.

Warum konnte sie mich nicht hören?
Warum konnte sie nicht sehen, dass ich wach war?
Warum reagierte sie nicht?
Warum sprach sie nicht mit mir?
Während ich mir diese Fragen stellte, lauschte ich diesem eintönigen Ton vom Monitor.

Wieder bekam ich die Bilder von dem Unfall in meinen Kopf und ich versuchte zu verstehen, was genau geschehen war.

Nun tauchte vor meinem inneren Auge David auf, der Junge der vor knapp zwei Jahren weggezogen war. Es ist seltsam, wieso dachte ich gerade jetzt an ihn.

Jetzt stellte ich mir die Frage, warum konnte ich ihm damals nicht meine Gefühle gestehen? Er schaute mich doch so oft so innig und tief an, dass ich schon fast erstarrte. Ob er genauso empfunden hatte wie ich?
Ich träumte lange von ihm wie es gewesen wäre, wenn ich meinen ersten Kuss von ihm bekommen hätte, von diesen sinnlichen Lippen, mit denen er mich so oft anlachte.
Jetzt fühlte ich, dass er mir fehlte und ich wurde zunehmend trauriger, dass ich mir damals nicht so viel Zeit nahm, ihn näher kennen zu lernen. Was wohl aus uns geworden wäre, hätten wir eine Chance zusammen haben können? Ja, meinen ersten Kuss hätte ich so gerne von ihm bekommen.
Doch leider hatte ich bis heute keine Chance bekommen einen Kuss zu kosten.


Ich spürte wie auf einmal mein Körper leichter wurde und mein Atem immer flacher und mein Herz immer ruhiger.

Einige Schwestern und ein Arzt stürmten in mein Zimmer. Erst jetzt hörte ich den warnenden Ton, der vom Monitor herkam. Die Schwestern und der Arzt standen neben mir, sie gaben mir Medikamente, Spritzen wurden in meinen Arm gestochen, doch ich merkte nix.

Der Arzt drückte auf meinen Brustkorb, doch ich spürte nichts.
Ich beobachte sie. Ich versuchte wieder zu reden, doch ich gab es auf, sie konnten mich nicht hören, meine Lippen bewegten sich nicht. Mein Körper reagierte auf keinen meiner Befehle, ich konnte nur zuschauen und warten, was weiter geschah.

Mir wurde warm. Eine wohlige, wunderbare Wärme durchströmte mich. Ich hatte das Gefühl, ich würde immer leichter.
Nicht einmal das Piepsen nahm ich noch war.

Mein Herz wurde schwächer, mein Puls langsamer, ich fühlte eine Leichtigkeit in mir aufsteigen.
Die Schwestern und der Arzt schüttelten nur noch den Kopf. Ich verstand, sie konnten mir nicht mehr helfen.

Es wurde ruhig um mich, der Arzt nahm meine Hand, hielt sie fest in seiner.
Ich fühlte wie die Dunkelheit mich umhüllte, wie es immer ruhiger um mich herum wurde. Wie mein Körper immer leichter wurde, wie meine Gedanken immer mehr verschwanden.

Noch einmal dachte ich. Nicht einmal einen Kuss durfte ich kosten und dann verschwand ich.



ENDE

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.07.2011

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /