„Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“
Diese Worte, die von einem gewissen Lukas stammen sollen, sind so untrennbar mit Weihnachten verbunden, wie Rippchen mit Kraut. Dabei ist es vielerorts, gerade in dieser Zeit, alles andere als friedlich. Werfen wir einen diskreten Blick in die vorweihnachtliche Idylle einer deutschen Durchschnittsfamilie. Rasch geben wir ihr noch einen anderen Familiennamen, damit ihre Privatsphäre gewahrt bleibt und so keine Rückschlüsse auf ihre wahre Identität zulässt. Nennen wir sie Brocklust - Sindermann. Eigentlich heißen sie Müller, aber der ist viel zu sehr verbreitet und jeder Zweite könnte so meinen, es handelt sich dabei um ihn. Brocklust - Sindermann hingegen ist weitläufig eher selten, da er aus zwei Familiennamen besteht, die jede für sich schon eher selten ist und dank deren Zusammensetzung und nur durch einen lapidaren Bindestrich, zu einer Einheit wird. Natürlich gibt es auch bekannte Familiennamen, die zu Doppelnamen werden, wie Meier – Schulz oder Schmidt – Hoffmann. Aber dann würden noch viel mehr Familien denken, sie wären der Hauptbestandteil dieser Geschichte und werfe ein schlechtes Licht auf sie.
Dem entgehen wir so geschickt, denn wer heißt schon Brocklust – Sindermann. Eine Google Abfrage ergab, unter der Suche nach Brocklust – Sindermann, keinen gültigen Treffer. Damit ist nun rechtlich sichergestellt, es wird keine Klage wegen einer Persönlichkeitsverletzung geben können. Was auch gut ist, denn so etwas kann einen Autoren teuer zu stehen können.
Und mir, als freier und armer Autor ermöglicht es nun, die Familie Brocklust – Sindermann literarisch angemessen in den Dreck zu ziehen. Schon die Vorfreude darauf ist enorm und motiviert mich sehr. So kann sich meine latent sadistische Ader einmal richtig ausleben, Beziehungswiese ausschreiben. Es kribbelt mir richtig in den Fingern, um endlich beginnen zu können und der Familie Brocklust - Sindermann, ungestraft so richtig eine mitzugeben. Wer, wenn nicht sie hat das mehr als verdient.
Natürlich habe ich eine bestimmte Familie, die sich hinter dem Pseudonym versteckt, vor meinem geistigen Auge. Ich habe ihn zwar für die Nachwelt aufgeschrieben und in einem eigens angemieteten Bankschließfach verwahrt, aber er darf erst Neunundneunzig Jahre nach meinem Tode geöffnet und öffentlich verkündet werden. Wenn man dann verärgert zu meinem Grab pilgert und sämtliche Geranien rausreißt, lässt mich das kalt.
So weit nun zur Vorgeschichte und dem geschichtlichen Hintergrund der nun folgenden Geschichte. Und falls doch, trotz aller Vorkehrungen irgendwann eine Frau Brocklust auf die wahnwitzige Idee kommt und zufällig einen Herrn Sindermann, oder eine Frau Sindermann auf einen Herrn Brocklust trifft, oder aber eine genderfluide nichtbinäre Person auf einen trans femalen Menschen trifft, dann einigen die sich bitte auf einen gemeinsamen Familiennamen, ohne einen Bindestrich zu benutzen. Damit würden sie mir eine große vorweihnachtliche Freude bereiten. Am besten jedoch wäre es jedoch, wenn sämtliche Geschlechter, die es neuerdings so gibt, die den Namen Brocklust und oder Sindermann ihr eigen nennen, von einer generellen Eheschließung Abstand nehmen würden. Eine wilde Ehe kann doch auch ganz nett sein. Sollte jedoch der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass sich zufällig Brocklust und Sindermann treffen und dazu sich noch verlieben und zwingend heiraten müssen, weil was unterwegs ist, dann bitte ich inständig, lassen sie sich einfach von einem windigen Adoptivprinzen adoptieren, in der Hoffnung, er möge Müller, Schmidt oder Meier heißen. Dieses nur zur Verdeutlichung, unter welchen schwierigen Voraussetzungen Autoren bereits im Vorfeld einer Geschichte zu bedenken haben, ehe die eigentliche Geschichte überhaupt ihren Anfang nimmt, was nun aber ein Ende haben soll. Denn es drängt mich, sie jetzt endlich loszuwerden. Und hier ist sie nun, die Sehnlichst von uns allen herbeigesehnte Weihnachtsgeschichte.
Möge sie Erbauung und Mahnung zugleich sein.
*
Es war wieder einer jener Tage, wo man, kaum ist man aufgestanden, zurück ins Bett möchte. Janine Bocklust – Sindermann, Ehefrau, Mutter und Haushaltsvorstand in Personalunion, saß am Küchentisch und studierte das Wichtigste der Tageszeitung, die Supermarktangebote. Nicht die Schlagzeilen wie: „Nahender Krieg in Nahost droht“ oder „warum sind unsere Politiker korrupt?“, ließ sie vom Glauben abfallen.
Es waren Fotos von Lebkuchen, Spritzgebäck und Zimtsternen, die als Wochensupersparpreis, ihr grell ins Auge fielen. Sie sah durch das Fenster, wo sich die Sonne gerade erfolgreich abmühte, die fünfundzwanzig Grad Marke zu überspringen.
„Das ist doch verrückt.“, sagte sie, in Ermangelung eines Gesprächspartners, zu sich.
Empört, ja geradezu entsetzt darüber, dass jedes Jahr Weihnachten immer früher an die heimische Tür klopft, nahm sie das Telefon zur Hand und rief eine Vertraute an, um mit ihr diese Neuigkeit zu debattieren.
„Mama, Du glaubst ja nicht, was heute in der Zeitung steht.“
„Kind, ich habe es gelesen und bin in heller Aufregung.“
Natürlich war auch die Mutter längst über die Werbung gestolpert und konnte gerade noch verhindern, durch ein mutiges Weiterblättern, das ihr Mann einen Blick darauf wirft.
„Hast Du schon gelesen?“
„Was denn Opa?“, fragte sie ganz scheinheilig.
Seitdem beide Großeltern waren, nannte sie ihn Opa. So ist die Namensentwicklung in Familien eben. Als sie frisch verliebt waren, nannte sie ihn Josef oder Liebling, dann Vater und nun eben Opa. Sie selbst verbat es sich als Oma bezeichnet, zu werden, da der Begriff Oma ihrem gefühlten Alter nicht entspreche. Ihre Selbstwahrnehmung war diesbezüglich pathologisch gestört und dringend zu therapieren. Doch Opa schwieg lieber, als es sich mit seiner Frau zu verscherzen. Opa war eben ein weiser Mann.
„In der Zeitung steht ein tragisches Schicksal.“, stellte Opa klar.
Die Mutter erschrak, denn für sie stand fest, mit dem tragischen Schicksal war unzweifelhaft sie gemeint.
„Ja ich weiß, es gibt schon Zimtsterne bei Aldi!“, schrie sie förmlich raus.
„Oh, das hatte ich noch gar nicht gesehen.“, erwiderte der Opa und schnalzte, in froher Erwartung, mit der Zunge.
Die Tochter hatte aufmerksam zugehört und nickte verständnisvoll in den Hörer.
„Meiner hat es zum Glück noch nicht gesehen.“, gab sie erleichtert zu.
„Das wird nicht lange geheimzuhalten sein.“, nahm die Mutter ihr sämtliche Illusion.
„Ich habe die Werbung bereits ausgeschnitten und weggeworfen.“
Doch die Mutter zweifelte an dem Erfolg der Maßnahme.
„Wenn sich Opa und dein Mann beim Fußball treffen und er seine Dose mit den Zimtsternen auspackt, dann ist es geschehen.“
„Das darf nicht geschehen. Es muss verhindert werden, dass sie sich vor Weihnachten treffen. Ich fange doch nicht im August an mit dem Backen. Bin ich denn des Wahnsinns.“, echauffierte sich die Tochter.
„Du wirst es müssen. Ich war schon Eier und Mehl einholen.“
„Mama, ich mache doch bei der Hitze nicht den Backofen an.“, beschwerte sich die Tochter, wohlwissend, dass ihr keine andere Wahl bleiben würde.
„Spekulatiusplätzchen muss ich auch machen und Makronen.“, seufzte die Mutter.
„Drei Sorten verlangt Opa?“
„Ja, er ist gegen einseitige Ernährung.“
„Mama, wir sind die ärmsten Schweine in der Stadt.“, resignierte die Tochter und schrieb bereits nebenbei den Einkaufszettel. Bereits am späten Nachmittag roch es in zwei Haushalten nach Plätzchen. Als Herr Brocklust – Sindermann am Abend nach Hause kam, da staunte er nicht schlecht.
„Du hast gebacken? Plätzchen? Im August?“
„Ja natürlich. Bei Aldi stehen sie ja auch schon im Regal.“
„Ach so? Ja dann. Läuten wir also die Vorweihnachtszeit an. Hast Du auch Glühwein, um die trockenen Dinger runterzukriegen?“
Das war doch entschieden zu viel für seine Frau und türenschlagend verließ sie heulend das Haus. Völlig aufgelöst machte sie sich auf den Weg zu der Frau, die ihr Verständnis entgegenbringen würde, ihre Mutter.
Unterwegs traf sie zufällig auf die Mutter, die gerade ein Blumengeschäft verließ, mit einem Adventskranz im Arm.
Die Frau, die nicht Oma genannt werden wollte, zuckte nur mit den Schultern.
„Ohne Deko schmeckt es ihm halt nicht.“, erklärte eine sichtbar gebrochene Frau.
Schweigend gingen sie eine Weile ziellos durch die Stadt.
Vor einem zufällig vorbeikommenden Reisebüro blieben sie stehen und sahen sich die Plakate der Sommerreisen an.
„Wir sollten einfach abhauen, bis nach Weihnachten.“, meinte die Tochter.
„Das wäre schön.“, seufzte die Mutter.
„Irgendwohin wo es Weihnachten nicht gibt.“
„Oh ja.“
Sehnsuchtsvoll blickten die zwei Frauen, mit den vom gemeinsamen Weinen getrübten Augen und studierten die Angebote.
„Da schau mal. Ein Schnäppchen.“, rief die Tochter ganz aufgeregt.
Die Mutter wischte sich die Augen trocken, um einen besseren Durchblick zu erlangen.
„Die Osterinseln? Wo sind die denn?“
„Ist doch egal.“, antwortete die Tochter.
„Dann muss ich aber Opa was vorkochen und einfrieren. Sonst ist er verhungert, wenn wir wiederkommen.“
Langsam freundete sie sich mit dem Gedanken an die Osterinseln an.
„Bist Du dir sicher, dass dort an Weihnachten nicht Weihnachten gefeiert wird?“
„Klar. Die konzentrieren sich doch eindeutig auf Ostern. Da liegt deren Schwerpunkt. Und wenn wir jetzt fahren, ist da ja noch Nebensaison.“
„Wir können da ja vielleicht einen Ostereiermalkurs machen. Hauptsache kein Plätzchenbacken.“
Die Tochter sah ihre Mutter erstaunt an.
„Ich fahre doch nicht weg und male im August Ostereier an. Das wäre ja genau so blöde wie Plätzchenbacken.“
„Auch wieder wahr. Dann lassen wir es eben. Ich muss jetzt eh nach Hause. So ein Christstollen backt sich ja nicht von alleine.“
Die beiden Frauen trennten sich und als sie nach Hause kamen, waren ihre Männer auf dem Dach und brachten ihre Lichterketten an. Beide hatten unisono, um sich vor der Nachmittagssonne zu schützen, ihre Nikolausmützen auf. Einziger Trost für die Frauen, die Weihnachtsbäume wurden erst Mitte September geliefert.
In jedem Jahr zur Weihnachtszeit
herrscht Trubel ohne Heiterkeit.
Wenn Mütter in der Küche stöhnen,
weil sie dem Backwahn grimmig frönen.
Sie backt Gebäck, als gäb`s kein Morgen,
der Vater hat ganz andre Sorgen.
Ihn duldet sie im Haus heut nicht.
Sein Auftrag: Baum für`s Weihnachtslicht.
Mit Axt und Säge zieht er los.
Der Baum soll grün sein und recht groß.
Hoch motiviert und voller Stolz,
so drängt es ihn ins Unterholz.
Den Schönsten will er heute schlagen
und ihn dann mit nach Hause tragen.
Kein Förster zeigt sich weit und breit,
was unser`n Vater sehr erfreut.
Das Grinsen kann er nicht verhehlen,
die Absicht ist `nen Baum zu stehlen.
Er sucht, sondiert und findet schließlich,
ein Tännlein was nicht ist verdrießlich.
Es grünt so grün, ist gertenschlank.
Kein Hinweis, dass er etwa krank.
Der Vater ist zurecht bewegt,
der Baum wird rasch nun umgesägt.
Er sägt ganz achtsam – mit bedacht,
bis die Tanne auf ihn kracht.
Durch des Vaters lauten Schrei
eilt der Förster schon herbei.
Das Bein schmerzt sehr – da es entzwei,
so humpelt er zur Polizei.
Die Strafe trifft ihn ziemlich hart.
Jetzt zahlt er mehr, als das er spart.
Er rechnet nach und merkt recht bald,
zu dem Preis gäb es sonst `nen Wald.
Mit letzter Kraft dann ins Spital.
Das Bein gegipst – und Krückenwahl.
Nach Hause kehrt er – ganz bedrückt,
die Frau ist auch nicht sehr entzückt.
Sie wütet – und der Mund voll Schaum.
„Ein Invalide – und kein Baum.“
Er will nur noch ins Bett sich legen
und sie muss dann den Dieb noch pflegen.
Erst will er Tee – dann noch Gebäck.
Die Mutter würd am liebsten weg.
Dann fällt ihr ein – schnell hingerannt,
doch die Makronen sind verbrannt.
Die Zwillinge – ihr ganzes Glück,
kehren zu früh aus der Schule zurück.
„Mein Gott, ja wie seht ihr denn aus!“
Sie bringen Masern nun ins Haus.
Die Weihnachtsgans bleibt tiefgekühlt,
weil sich gesund hier keiner fühlt.
Für die Mutter eine wahre Bewährung.
Na dann – schöne Bescherung!
Am Anfang eines Neuen Jahr,
da steht zunächst der Januar.
Meist ist er frostig - bitterkalt.
So ist der Januar nun halt.
Im Februar – die tollen Tage,
Konfetti wird zur Dauerplage.
Es fällt vom Himmel - einzeln – lose.
Und landet in der Unterhose.
Der März bringt Frühling über`s Land,
mit frisch Verliebten – Hand in Hand.
Er schwört ihr ewigliche Treue.
Doch im April hat er ne Neue.
April ist nun und Ostern naht.
Die Eier werden angemalt.
Kaninchen, Hasen, auf der Flucht,
weil man sie für den Braten bucht.
Der Mai bringt Sonne meist en masse.
Oder eben Regen – meistens nass.
Ganz selten schneit es auch ganz still.
Der Mai macht eben, was er will.
Im Juni fängt der Sommer an.
Obwohl es da auch regnen kann.
Die Menschen sind nicht mehr so blass.
Der Regen ist zwar warm, doch nass.
Im Juli wird es richtig heiß.
Es läuft herunter dann der Schweiß.
In Bussen riecht es nicht mehr duftig,
viel nackte Haut – jetzt mag man`s luftig.
Ja der August ist Sommer prall.
Sonnenbrand fast überall.
Die Hitze ist kaum zu ertragen,
dazu dann noch die Mückenplagen.
September bringt insektensterben.
Und nur noch deren Erben bleiben.
Der Sommer sagt nun leis goodbye,
denn eilig naht der herbst herbei.
Vor dem Oktober gruselt`s einen,
da sammeln Bonbons unsre Kleinen.
Maskiert als Hexen, Monster, Geister.
Die Kinder werden immer dreister.
Jetzt kommt der düstere November.
Hat nichts vom Charme des Dezember.
Die Stimmung sinkt – wie`s Thermometer.
Der helle Tag kommt da erst später.
Ein Highlight dann, zum Schluss im Jahr,
Advent und Weihnachten kommt da.
Auf Nikolaus freut man sich schon,
geliefert meist von Amazon.
So läuft ein Jahr ab – Jahr für Jahr.
Kaum ist es weg – ein Neues da.
Hält auch zwölf Monate für uns bereit.
Bringt Glück und Hoffnung oder Leid.
Das ab und zu ein Schaltjahr ist,
was man im Trubel gern vergisst.
Da spart man sich nen ganzen Tag,
weshalb ich so ein Schaltjahr mag.
Wer an dem Tag, der diesmal weg,
Geburtstag hat – der kriegt nen Schreck.
Weil man ihn völlig dann vergisst,
sein Ehrentag der bleibt vermisst.
Da hilft kein Heulen, kein beklag,
es fehlt nun mal der eine Tag.
Man kann es wenden oder drehn,
sind andre vierzig, ist er erst zehn.
Der 29. Februar sei verflucht,
wer da sich einen Kreißsaal bucht.
Die Mutter soll sich nicht verbiegen,
und noch nen Tag mit Wehen liegen.
Dann kommt das Kind am 1. März,
und hat im Leben wenig Schmerz.
Erleichtert stimmte die Gemeinde das Lied der Lieder an. Wohlwissend, wenn es erklingt, nähert sich der Gottesdienst dem herbeigesehnten Ende zu.
„Stille Nacht ...“
Einige inbrünstig, andere Verhalten und nicht wenige knapp tonal daneben, wurde der unverwüstliche Evergreen geschmettert.
Der Organist holte alles aus der Orgel heraus. Der Pfarrer, textsicher wie jedes Jahr, ließ seinen Bass durch das Mikrofon ertönen. Insgesamt ügte sich alles zusammen, was man an einem musikalischen Desaster zu schätzen weiß. Lothar Jessen, Antichrist und überzeugter Single, von Hause aus passionierter Briemarkensammler und hauptberuflicher Dorfpolizist, hatte sich in weiser Voraussicht mit Ohropax versorgt, die ihm nun gute Dienste leisteten. Eigentlich war Lothar bekennender Weihnachtsverweigerer, aber die jährlich gefürchtete Christmette war für ihn ein Pflichttermin. Er überwachte die Kollekte, die er persönlich von den Gläubigen einforderte. Dazu hatte der Pfarrer ihn verdonnert.
„Herr Jessen, Sie machen das.“, hatte er kurz und knapp ihm befohlen.
Und jeder der den Pfarrer kannte und das waren im Dorf alle, wussten, bei ihm war Widerspruch zwecklos. Lothar willigte unwillig rasch ein, um einer längeren Predigt des Pfarrers zu entgehen. Denn der Pfarrer, der in anderen Berufen längst seit Jahren pensioniert wäre, hatte die besondere Befähigung langwierig und langweilig zugleich sprechen zu können. Jedem, der an Schlafstörungen leidet, sei ein Gottesdienstbesuch bei ihm empfohlen. Auch an diesem Abend ging Lothar jessen durch die Reihen und hielt jedem sein Weidenkörbchen hin, um die Gelder einzutreiben. Scheine wurden kopfnickend begrüßt. Münzeneinwürfe mit Kopfschütteln verachtend registriert.
Alleine der Druck, zwischen zwei Nachbarn zu sitzen, die mit Argusaugen die Spende der jeweils anderen beäugten, sorgten dafür, dass die Geldscheine zuauf ihren Besitzer wechselten. Aufanweisung des Pfarrers hakte Lothar jessen im Kop eine imaginäre Liste ab, denn nach dem Gottesdienst wollte der Pfarrer einen Rapport von ihm, ob ein Gemeindemitglied unentschuldigt gefehlt hat. Falls dies der Fall war, sah sich der Pfarrer genötigt, den Schwänzer heimzusuchen und die Kollekte persönlich einzutreiben.
Denn der Bischof, mit seinen fünundsechzig Jahren ein kirchlicher Jungspund,,dem er die Weihnachtskollekte bis auf den Cent genau mitteilen musste, führte eine Spendenstatistik und wer die grßte Summe in den Schoß seines Bistums brachte, wurde belobigt und erhielt eine Urkunde und den persönlichen Segen seines Dienstherren. Außerdem noch eine Flasche Weihwasser, die er unter seiner Gemeinde verteilen durfte.
Das war natürlich für jeden Pfarrer Ansporn und Verpflichtung gleichermaßen. Bei seiner Volkszählung stellte Lothar Jessen fest, fast alle waren anwesend, nur Elke Maus, eine sehr lockere Zugezogene, glänzte durch Abwesenheit. Sämtlichen Frauen der Gemeinde, war sie ein Dorn im Auge. Besonders von all denen, die halbwegs attraktive Ehemänner hatten. Voller Hochachtung wurde Elke Maus nur „Die mannstolle“ genannt. Und sie tat alles, um diesem Namen gerecht zu werden. Zwar war Elke Maus nicht gläubig, jedoch hatte sie das Bibelwort:“Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, verinnerlicht. Und nicht nur das, sie lebte nach dem Wort Gottes, sehr zum Missfallen des Pfarrers.
„Gehet hin in Frieden!“
Mit diesen wohligwarmen Worten, die im weltlichen ein „Tschüss“ oder „Machts gut“ bedeuteten, entließ der Pfarrer seine Herde und ließ es sich nicht nehmen, am Ausgang sich aufzustellen, um jeden und jede zu verabschieden. An diesem Abend gab er dreiundzwanzig erwachsenen die Hand und sieben Kindern.
Nur dem kleinen sommersprossigen Johannes verweigerte er den weihnachtlichen Handschlag, da dieser einen komplett geschmolzenen Schokoladennikolaus in seiner Handfläche mit sich führte.
Vor der Kirche stand ein alter Walnussbaum und darunter hatte die freiwillige Feuerwehr ein Zelt aufgebaut.
Dort verkauften sie den heißen duftenden Glühwein, sowie selbstgekauften Christstollen, der, wenn man reinbiss, kleine Staubwölkchen erzeugte.
Diese kombinierten Zuckerbomben gab es alljährlich und sorgten
für ein romantisches, sinnliches und weihnachtliches Stimmungsbild.
Besonders die ortsansässigen Zahnärzte und Diabetologen begrüßten die Tradition, die ihre Existenz auch zukünftig sichern wird.
Während Lothar Jessen noch die Kollekte auswertete, warf sich der Pfarrer ins Getümmel vor dem Glühweinstand.
„Geht aufs Haus Hochwürden!“, schleimte sich Brandmeister Wagner ein.
„Gott vergelt es dir mein Sohn.“, erwiderte der Pfarrer, der nichts anderes erwartet hatte, denn der Glühweinstand stand mietfrei auf kirchlichem Gebiet.
Lothar Jessen hatte inzwischen seine Christenplicht erfüllt und mischte sich unter die Mitglieder des Kirchenchors, die sich dem Trunke hingaben, um sich die bevorstehende heimische Bescherung schönzutrinken. Dabei schwi er mit seinen Adleraugen über den Platz und hielt Ausschau nach Elke Maus, die Leerstelle in seiner Kollekte.
„Hat jemand Frau Maus gesehen?“, erkundigte er sich bei den umstehenden Männern.
Doch diese schüttelten nur mit dem Kopf. Einige missmutig, andere eher mit bedauern. Elke Maus spaltete die männliche Gemeinde. Die Frauen waren sich da im Wesentlichen einig. Bei ihnen war sie unten durch. Und man war sich einig: Elke Maus schädigt die dörfliche Gemeinschaft. Ihr Hang zum männlichen Geschlecht wird ihr eines Tages zum Verhängnis werden, so die Meinung der Ehefrauen, beziehungsweise deren leise Hoffnung.
Ihre Ehemänner, jedenfalls ein Großteil dieser Spezies, sah dies anders, denn Elke Maus hatte einen unschlagbaren Vorteil, sie sah verdammt gut aus. Alleine ihre Oberweite war überragend. Damit ließ sie sämtliche Ehefrauen blass aussehen. Lothar Jessen hatte, wohl als Einziger, keine Meinung zu ihr. Sein Interesse an Frauen war sehr überschaubar. Sie waren ihm gleichgültig, solange sie zur Kollekte beitrugen. Und genau hier lag der Stachel im Fleisch des Herrn Jessen. Erst wenn er die Kollekte bei ihr eingetrieben hat, konnte er sich zurücklehnen und die Weihnachtstage in Ruhe und Frieden begehen. Alleine mit sich und der Tüte Plätzchen, die er geschenkt bekommen hat. Ansonsten hatte er sich einen Plan zurechtgelegt, schön in einer Excel Tabelle eingetragen, wie sein Fernsehprogramm Ausehen wird, welches ihn die Zeit überstehen lässt. An jenen Tagen gab es gewöhnlich keine Diebstähle oder sonstige Verstöße, die er zu bearbeiten hätte. Er vermutete, die Angst vor dem Fegefeuer lässt die kriminelle Energie au einen Nullpunkt sinken. Meist wurde
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Tag der Veröffentlichung: 16.11.2023
ISBN: 978-3-7554-6121-0
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