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Die Unhöflichkeit vieler Kollegen

Was haben Steven King, Agatha Christie und noch so viele andere gemeinsam? Sie sind alle, durch die Bank, unhöflich und respektlos ihrer Leserschaft gegenüber.
Weder begrüßen sie in ihren Büchern, noch verabschieden sie sich, wenn das Buch zu Ende ist.
Mangelnde Kinderstube? Oder was ist der Grund dafür? Ist ihnen ihr Erfolg einfach nur zu Kopf gestiegen? Berühmtheit und Arroganz scheinen da Hand in Hand zu gehen.
Ich, ein an chronischer Bescheidenheit leidender und noch unbekannter Schriftsteller von zukünftiger Weltgeltung, würde mich diesem Trend nie anschließen, den meine Kollegen da pflegen oder vielmehr nicht pflegen. Es ist ein rüpelhaftes Verhalten, welches man ihnen nicht durchgehen lassen sollte. Doch warum rebelliert ihre Leserschaft nicht? Demonstrationen vor Buchhandlungen und Bibliotheken sind doch nicht verboten.
Wo bleiben die empörten Leserbriefe, die Talkshows, wo diese Verächter von Anstand sich einem Tribunal stellen müssen? Sind denn Leser unmündige Bürger, die wie Lämmer schweigen? Haben die denn keine Lobby, die ihre Interessen vertritt. Sind wir denn nicht das Land der anständigen Dichter und höflichen Denker?
Spätestens dann, wenn sich meine Leserzahlen verdoppeln, fordere ich beide auf, sich diesem Problem anzunehmen und sich auf der Frankfurter Buchmesse, direkt an der Autobahnausfahrt, auf dem Straßenbelag anzukleben.
Dann werden diese Bestsellerlistenbesetzer spüren, was es heißt, ihre Leser zu reinen unpersönlichen Buchstabenfresser zu machen. Ich schäme mich für diese sogenannten Kollegen, von denen ich mich in aller Form distanziere. Sie verdienen es, ungelesen in Bücherregalen zu verstauben. Ich fordere sogar zum Boykott auf.
„Wer den Leser nicht ehrt, ist seines Geldes nicht wert!“
Diesen Satz fordere ich umgehend in das Grundgesetz aufzunehmen, als Paragraf Null, damit er noch vor Paragraf Eins zu stehen kommt.
Ich jedenfalls möchte Sie alle an dieser Stelle recht herzlich willkommen heißen. Und sie zudem beglückwünschen zum Kauf dieses Buches, wo es mir auf ein gutes harmonisches Miteinander ankommt. Ich liebe meine Leser, ja jeden einzelnen, wenn auch nicht körperlich. Ich tue alles dafür, nun auch gegen geliebt zu werden. Und wenn Sie mich verehren wollen, nur zu, ich wehre das nicht brüsk ab.
Gleichzeitig möchte ich mich bei den Lesern, die lieber von hinten nach vorne lesen, mich verabschieden und hoffe, Sie hatten einen angenehmen Aufenthalt. All denen wünsche ich noch einen schönen Tag und auf ein baldiges Wiedersehen in einem meiner anderen Bücher, die sich über jedes Seiten-umblättern freuen.
In schriftstellerischer Demut und tiefer Dankbarkeit geprägt, von Ihnen beachtet worden zu sein, verneige ich mich und wünsche schon heute, falls wir uns zwischenzeitlich nicht mehr lesen sollten: Fröhliche Weihnachten, frohe Ostern und einen schönen Sommer.
Ergebenst, Ihr höflicher Lieblingsschriftsteller in spe.

Der König, der sich selbst abschaffte

Die kleine Insel Lundum liegt irgendwo im Ungefähren. Umgeben ist sie von sehr viel Wasser. Ohne diese glückliche Fügung wäre es keine Insel, sondern nur ein ganz gewöhnliches Land. Bislang waren die Bewohner, die Lundummer, von der restlichen Zivilisation unentdeckt. Die Lundummer waren ein glückliches Volk. Aber auch ein sehr kleines Volk. Nicht nur in Größe, auch in Anzahl der Bewohner. Gerade einmal zwölf Erwachsene und zwei Kinder bildeten das Volk. Außerhalb des Volks lebte nur noch der König mit seiner Familie dort. Das waren dann noch einmal sechzehn Personen, die jedoch nur am Königstag sich ihrem Volk zeigten. Ansonsten lebten sie auf dem Inselberg. So wurde die kleine Erhebung genannt, auf der sich das kleine Schloss befand.
König Trumballa hatte seine Frau, die ihm jährlich ein Kind gebar. Seit zwölf Jahren waren sie verheiratet und ein Ende war nicht absehbar. Dann gab es noch die Schwiegereltern des Königs, die er zur Vermählung als Zugabe erhielt. Zähneknirschend akzeptierte König Trumballa diese Forderung, denn sonst hätte er seine Frau nicht bekommen. Dies war das einzig Unangenehme im Leben von König Trumballa. Aber er hatte keine andere Wahl, denn die jetzige Königin war das letzte unverheiratete Mädchen in seinem Volk. Er hätte sich zwar etwas mehr Auswahl gewünscht, doch das Volk gab das nicht her. Und bis die beiden einzigen Kinder groß waren, wollte er nicht warten. Außerdem waren das auch noch zwei Jungen. König-sein hat eben auch seine Schattenseiten. Dafür waren seine zwölf Kinder alles Mädchen, was ihm nun auch nichts mehr brachte. Sehnlichst wünschte sich König Trumballa einen Sohn, der einst sein Nachfolger, werden sollte. Doch blieb sein Ruf, den er allabendlich von der höchsten Zinne des Schlosses in die Welt hinaus brüllte, bevor er seine Frau besuchte, ungehört. Doch gab er die Hoffnung nie auf, selbst wenn eines Tages das Schloss von lauter Prinzessinnen aus den Nähten platzen sollte. Bei jeder Schwangerschaft litt er Höllenqualen und unterstützte seine Frau, indem er ebenso viel zunahm wie sie. Nur danach behielt er sein Gewicht, was sich nach zwölf Kindern nicht mehr kaschieren ließ. Sein königlicher Vorbau war bald so ausgeprägt, dass er morgens seine Frau immer fragen musste, ob er seine Schuhe schon anhabe. Ansonsten führte er ein ruhiges beschauliches Leben, da er, weil er ja der König war, vom Windelwechseln befreit war.
Sein Volk lebte vom Fischfang, denn mehr gab die kleine Insel nicht her. Nur wenige Tierarten lebten auf der Insel. Darunter war der Quauquau, eine ungenießbare und seltene Tierart. Es war eine Art Papageienhund, der sich durch seine allgemeine schlechte Laune auszeichnete. Trotz seiner Launenhaftigkeit war er im Volk sehr beliebt als familiäre Alarmanlage. Er konnte, täuschend echt, dass jeweilige Familienoberhaupt parodieren und so etwaige Diebe in die Flucht schlagen. Leider kam sein Talent wenig zur Anwendung, da die Hüttenkriminalität wenig ausgeprägt war. Das lag vor allem daran, dass es für fremde schwierig war die Insel zu erreichen, wegen des schlecht ausgebauten Verkehrsnetzes. Außerdem gab es, bis auf eingelegten und gepökelten Fisches nichts zu stehlen. Das Volk war zufrieden mit seinem Leben, weil es nichts anderes kannte. Doch dies sollte sich eines Tages ändern. Doch noch ahnte niemand von der Bedrohung, die auf sie zukommen sollte.
Die Väter waren, so wie jeden Tag, auf dem Meer und fingen Fische. Die Frauen bereiteten das Essen vor und brieten die Fische vom Vortag. Und die Kinder spielten am Strand, Fische versenken. So wie es bereits ihre Eltern und Großeltern, ihre Urgroßeltern und alle bislang bereits Verstorbenen vor ihnen getan hatten. Das heitere Kinderspiel ist ganz einfach erklärt. Man nimmt einen Fisch und steckt ihn kopfüber in den Sand. Wer zuerst seine fünf Fische in den Sand gesteckt hat, der gewinnt. Klingt einfacher, als es ist, denn die Fische zappelten noch. Für die Kinder war es ein Heidenspaß. Ob die Fische sich auch daran erfreuten, lässt sich nicht eindeutig sagen. Jedenfalls nach dem Spiel hat sich nie einer beklagt.
König Trumballa sah von seinem Schloss seinen Untertanen zu. Er hatte ja auch sonst nichts zu tun, denn er war ja König.
„Majestät.“, hörte er plötzlich hinter sich eine Stimme, die ihm wohl bekannt war.
Mit königlicher Eleganz drehte er sich langsam und huldvoll um, eben so elegant wie es ihm mit dreihundert Kilogramm möglich war. Das war natürlich nur ein Schätzwert, denn einen König zu wiegen, ein undenkbares Vorgehen.
„Was willst Du, du die mich in meinen ausschweifenden Gedanken stört.“
„Du denkst? Ist ja ganz was Neues.“
Die krächzende hohe Fistelstimme, die nicht einmal ein Quauquau nachmachen konnte oder wollte und zudem schmerzhaft im Ohr klang, kam von der mit in die Ehe gebrachten Mutter, die Mutter der Mutter seiner Kinder. Das Wort „Schwiegermutter“ war den Lundummern nicht bekannt. Überhaupt wussten sie wenig, doch hatten sie davon keine Ahnung. Mühsam hatten sie sich, über Generationen hinweg, Worte für Dinge einfallen lassen. Das sie Fisch, Fisch nannten, war ein reiner Zufall. Nach einer Volksbefragung wurde der Fisch, Fisch benannt. Fast hätte sich der Vorschlag Quillequille durchgesetzt. Quillequille hatte die gleiche Stimmenanzahl bekommen wie Fisch. Da musste König Trumballa ein weises Urteil finden. Über viele Wochen zog sich der König zurück in seine Gemächer, wo er lange ausgiebig nachdachte, wie man „Ding aus Nass“, so die bisherige volkstümliche Anrede, zukünftig zu nennen hat. Er vergaß alles um sich herum, selbst das Rasieren. Dann endlich, nach zögern und zaudern, entschied er sich. Majestätisch trat er vor sein vollzählig angetretenes Volk, welches sogar ihre Quauquaus mitbrachten, um der großen Verkündigungsentscheidung zu lauschen. Es war das alles bestimmende Thema in jener Zeit der schmerzhaften Ungewissheit.
„Volk, höret.“, rief König Trumballa und das Volk hörte.
Er nannte sie der Einfachheit stets nur Volk, so musste er sich die Namen nicht im einzelnen merken. Auch verkürzte dies seine Ankündigungen beträchtlich.
„Wir haben uns entschieden.“, verkündete König Trumballa, der mit „Wir“ sich meinte.
Diese sprachliche Raffinesse verlieh ihm mehr Würde.
„Beim Barte des Propheten, so sprecht zu uns.“, rief ihm aufmunternd ein Bürger zu, der von den anderen Bürger zum Vertrauensbürger gewählt wurde und das Volk vertrat.
„Haltet ein mit euer aller Ungeduld, die nur zu verständlich ist.“, beruhigte der König die Massen, denn er fürchtete nichts mehr als eine Revolution des Volkes.
Stille setzte ein. Selbst die Quauquaus schwiegen betroffen, wenngleich sie ihn nur allzu gerne parodiert hätten.
„Von heute an heißt das „Ding aus dem Nass“ Fisch.“
Ein Raunen und Staunen ergriff das Volk. Mit dieser historischen Entscheidung hatte niemand gerechnet.
„Hiermit ist es beschlossen und verkündet!“
Mit diesen staatstragenden Worten beendete König Trumballa die Audienz und wies das Volk an, sich zu verstreuen. „Fisch, Fisch, Fisch.“, murmelte das aufgelöste Volk vor sich hin, um sich den neuen Begriff für das „Ding aus dem Nass“ besser merken zu können.
Noch immer stand König Trumballa da und nun, da er sich majestätisch umgedreht hatte, sah er das Gesicht zu der Stimme, die ihn in seinen Gedanken gestört hatte.
„Oh Königinmutter meiner Königsköniginnengattin. Was ist euer Begehr?“
„Oh königliche Majestät Trumballa, ein Volksmensch klopfte soeben an das Schlosstor und übergab mir eine Mitteilung wörtlicher Natur, die an Beunruhigung kaum zu überbieten ist.“
„So sei sie also als Botin und nicht als Königinnenmutter meiner Gattin hier vorstellig. Ich nehme dankbar die Beunruhigung wahr und schließe mich ihr voll und ganz an.“, verkündete König Trumballa einen unvorhersehbaren Stimmungswechsel bei sich an.
Die Königinnenmutter erschrak, als sie die Gesichtswandlung des Königs optisch aufnahm.
„Majestät, mein lieber Trumballa, ich sehe beunruhigt eine Beunruhigung in eurem königlichen Antlitz.“
„Ihr sehet richtig, denn einer Beunruhigung meines Volkes muss einen Herrscher beunruhigen. Dennoch gelobe ich nicht panisch zu reagieren, weil es einem Regenten nicht gut ansteht und der König keine Panik im Volk erzeugen möchte, was womöglich einen Aufstand gegen das Regime auslösen könnte und mich zur Abdankung zwingen könnte.“, befand König Trumballa in seiner innerfamiliären Regierungserklärung.
„Ich bewundere Eure Entschlossenheit, dem argwöhnischen Volk die königliche Stirn zu bieten.“, lobte die Königinnenmutter, was ein Novum in ihrer Beziehung darstellte.
„Jetzt wo ich angemessen beunruhigt bin, so sage mir, Mutter meiner Gattin, was hat mich zu beunruhigen, dass mich gerade so beunruhigt?“
„Das wusste der Volksbote nicht zu berichten. Er hatte die Information aus zweiter Hand.“, gestand die königlich verwandte Botin des Boten.
„Das ist aber wenig Inhalt für so viel Aufregung.“, bestrafte der König wortreich die Frau, die sein Gedankennachgehen unwiederbringlich zerstört hatte.
„Zürnet mir nicht, Eure Majestät, lieber König Trumballa.“,
wanzte sie sich schleimend an ihn heran, was seinen Argwohn erregte.
„Weh Dir, du Botin des Grauens, Verkünderin ungeprüfter Tatsachen, Vervielfältiger-in von Gerüchten zweifelhafter Herkunft. Du, die Apokalypse herbeiredende. Du. Du. Du.“, echauffierte sich König Trumballa und vergaß dabei ganz seine Contenance.
Die von ihm so unköniglich Herunter-geputzte, biss sich gedemütigt auf ihre königsblau bemalten Lippen, die das Inselvolk der Lundummer, aus ausgewrungenen Tintenfischen gewann. Mehr gab es zur Frauenverschönerung nicht. Die Kosmetikindustrie steckte dort noch in den Kinderschuhen, die es ebenfalls nicht gab und die Kinder barfuß herumliefen.
„So sei es wohl an mir, dem Unbekannten ins königliche Auge zu sehen. Verkünde meiner Frau, der Königin und den zwölf Prinzessinnen von meiner Mission, die ich auf mich genommen habe, um meinem Volk ein würdiger Herrscher zu sein. Geh nun hinfort und verkünde es.“
Die Königinmutter, dankbar nicht vom Hofe gewiesen worden zu sein, ausgesetzt auf dem unheimlichen Nass, was die Insel umzingelte. Mit einem nur angedeuteten Hofknicks, Symbol der Unterwerfung und geschuldet einem Hüftleiden, wegen exzessiven Hoppe Hoppe Reiter Spielens bei zwölf Enkelinnen, verließ sie den Ort ihrer größten Schmach.
Der König indes, bewies Größe, wenn auch nur so lange, bis die Alte gegangen war.
Dann überkam ihn große Furcht. Denn er war nicht nur ein kleiner König, er war auch ein Ängstlicher. Doch seine Stellung ließ es nicht zu, dies öffentlich zu zeigen. Und es gab auch weit und breit keinen Psychotherapeuten, mit dem er diesen persönlichen Makel aufarbeiten konnte. Nun sah er sich gezwungen sein Schloss zu verlassen, und sich der drohenden Gefahr zu stellen. Was auch immer da draußen lauerte, sein Volk erwartet Führung von ihm.
Quietschend öffnete sich das kleine ungeöltee Tor des ebenso kleinen Schlosses, denn selbst auf dieses kleine unbekannte Inselreich, war die weltweite Ölkrise angekommen. Gerade für einen Staat, der ausnahmslos vom Fisch lebt, wäre Öl dringend notwendig, alleine schon wegen des Exports.
Sofort, als der König den Außenbereich des Schlosses betrat, warf sich der Vertreter des Volks in den Staub, als Zeichen seiner Wertschätzung, Unterlegenheit und Beweis seiner niederen Herkunft. Mit Freude nahm König Trumballa die Geste zur Kenntnis und dann sprach er direkt zu seinem Volk.
„Du bringst Kunde von etwas, wurde mir von einer Mittelsfrau übermittelt. So möge er sprechen zu seinem König. Was ist wo und wann und nicht zuletzt warum geschehen, was diese Unruhe in meinem Volk verursacht hat?“
Der aus dem Volk kommende hob etwas zu rasch seinen Kopf und kollidierte auf das unsanfteste mit dem Kugelbauch des Königs, was diesem ein albernes Kichern entlockte. Dem aus dem Volk Kommenden hingegen war es nicht nach Alberich sein zumute, denn der Aufprall mit dem festen königlichen Fettgewebe, ließ ihn an ein Schädelhirntrauma erkranken. Eine vorübergehende Amnesie war die Folge. Tausende von kleinen imaginären Fragezeichen schwebten über seinem Volkskopf.
„Wer bist Du, dicker Mann, mit dem langen wildwüchsigen Bart?“, erkundigte sich der selbstverschuldete Amnesierte.
„Wer ist hier dick?“, erkundigte sich König Trumballa und sah sich interessiert um, doch konnte er keinen Dicken entdecken. Ohne ihn je gekannt zu haben, litt er unter derselben Wahrnehmungsschwäche wie ein gewisser Obelix, der sich in anderen farbig bunten Geschichten herumtreibt.
„Du!“, antwortete der Vertreter des Volks.
„Ich?“
„Ja Du.“
„Ich bin der König.“, empörte sich Trumballa, denn noch niemand hatte es gewagt, ihn darauf hinzuweisen.
„Aber ein dicker König.“, beteuerte der aus dem Volk kommende.
„Niemand nennt mich ungestraft Dick!“, erneuerte Trumballa seine Empörung und würzte seine Aussage mit einer subtilen Drohung.
„Doch Ich.“, gab sich der Volksamnesierte selbstbewusst.
„Du weißt wohl nicht, wer ich bin!“, schrie der König.
„Ich weiß ja nicht einmal, wer ich bin.“, schrie das Volk zurück.
„Du bist das einfache Volk, ich bin der Herrscher über dich, du Wurm, Elender.“, vergriff sich Trumballa im königlichen Ton.
„Ja mir ist ganz Elend, da hast Du recht.“, gab ihm der aus dem Volk recht.
„Die Rechtsprechung obliegt ja auch bei mir, denn ich bin der König.“
„Aha! Du bist also der König und ich bin das Volk?“
„So ist es.“
„Und wieso liegt das Volk am Boden?“
„Weil es dem König so beliebt.“
„Dann ist die Sache für mich erledigt.“, beendete das Volk das Gespräch und kümmerte sich um das rhythmische Klopfen seines Kopfes.
„Nun denn.“, sagte König Trumballa aus einer Verlegenheit heraus, denn das Gespräch drohte zu versiegen.
„Nun denn? Nun denn was?“, fasste das Volk das Gehörte zusammen.
König Trumballa geriet geistig ins Straucheln, denn er war nicht daran gewöhnt, auf eine von ihm gestellte Frage mit einer Gegenfrage konfrontiert zu werden. Er fürchtete, dass natürliche Hierarchiegefälle könnte so ins Wanken geraten. Dem musste dringend Einhalt geboten werden, denn die Monarchie stand auf dem Spiel. Und damit auch sein verbrieftes Recht, die erhobene Gräten-steuer, von seinem fischenden Volk, für seinen Prunk und Pomp zu verwenden. Er sah schon seine zwölf kleinen Prinzessinnen, gezwungen ihren Lebensunterhalt selbst zu erwirtschaften, indem sie Kleinkriminelle würden. Er selbst zur Abdankung genötigt. Gedemütigt, sich als freischaffender Fischer durchschlagen zu müssen. Und so nach Fisch riechend, dass seine Frau, die ehemalige Königin, ihm nie mehr ein Kind schenken würde und der sehnlichst herbei gezeugte Sohn, ausbleiben würde. Mit diesen trüben Aussichten wollte sich König Trumballa nicht abfinden und begann eine neue Strategie zu entwickeln. Fortan wollte er sich mehr volksnah präsentieren.
„Wie geht es denn so zuhause? Alle wohlauf?“, erkundigte er sich freundlich und zeigte sich besorgt und fürsorglich.
„Wenn ich das einmal wüsste.“, sagte der Gefragte, nach einer Weile des Nachdenkens über seine Familienverhältnisse, was jedoch ein schwarzes großes Loch der Erinnerung es ihm nicht gerade leicht machte.
„Lass dir nur zeit. Ich bin ein ganz geduldiger König. Ich bin Trumballa und Du?“
„Ich bin ... ich bin ... ich bin Ich.“, sagte der Mann aus dem Volk und versuchte so sein Erinnerungshandicap zu verstecken.
„Das freut mich Ich, ich wollte Dich schon immer einmal näher kennenlernen. Sag einfach Trumballa zu mir. König oder nicht, wir sind ja doch ein Volk.“, gab sich Trumballa ganz volksnah.
„Hallo Trumballa, nett Dich kennenzulernen.“
„Aber ich, Du kennst mich doch vom Königstag. Ich bin der mit der Krone.“
„Ja wenn Du das sagst.“, meinte Ich.
„Jetzt steh aber erst einmal auf. Du musst ja nicht vor meinen Füßen liegen.“
Trumballa hielt ihm seine Hand hin und bot seine Hilfe an.
Ich nahm die ausgestreckte Hand dankbar an und gemeinsam schafften sie es, Ich auf die Beine zu stellen.
„Ich ist ein sehr ungewöhnlicher Name.“, stellte Trumballa fest.
„Ja das finde ich auch. Ich weiß auch nicht woher Ich kommt, aber ich bin ganz zufrieden damit. Ohne dich wüsste ich ja Nichteinmal, das ich Ich heiße.“, meinte Ich nachdenklich.
„Dann lass uns nun gehen.“, forderte Trumballa Ich zum Gehen auf.
„Wohin denn? Hier ist doch nett.“, wunderte sich Ich.
„Du bist doch hergekommen, um mir etwas zu zeigen. So wurde es mir gemeldet.“, sagte Trumballa und wunderte sich nun auch.
Da standen sie nun, Ich und Trumballa und wunderten sich beide. Jeder für sich über den anderen. Es war eine sehr wunderliche Situation, in die sie beide da hineingeraten waren. Das Gespräch zwischen Volk und König geriet wörtlich ins Stocken. Minutenlang standen sie regungslos da und lächelten sich unverbindlich an. Immerhin dahingehend hatten sie eine gemeinsame Basis gefunden, ohne dabei ein Wort zu verlieren. Wahrscheinlich würden sie heute noch dastehen, doch wie so oft im Leben, kommt von oben ein Wink des Schicksals. Und es war nicht nur ein Wink, es war sogar ein heftiges Winken.
„Huhu ... Huhu ... hier oben.“, beschallte sie eine Stimme.
„Ich höre Stimmen Ich. Du auch?“
„Ja. Und es ist keine schöne Stimme. Sie ängstigt mich sogar“, gab Ich zu.
„Ja Ich, schön ist anders.“, gab ihm Trumballa recht.
„Ich schau nicht nach oben.“, sagte Ich mit zittriger Stimme, denn die Stimme war ihm unheimlich.
„Du hast Höhenangst?“, erkundigte sich Trumballa besorgt.
„Ich kann mich nicht erinnern.“
„Du leidest offenbar an Gedächtnisvierlustigkeit Ich.“, sorgte sich Trumballa und befürchtete, es könnte sich zu einer Epidemie ausweiten. Dann wäre sein Volk bald ausgerottet und er, in Ermangelung eines funktionierenden Volkes, arbeitslos. Auf seiner hohen Stirn zogen Sorgenfalten ein und vermehrten sich.
„Dann sehe ich eben nach oben, Ich.“, erklärte er mutig nach außen, doch innerlich bebte er.
Ich sah, wie der Kopf von Trumballa sich keinen Zentimeter nach oben hob.
„Oben ist oben.“, versuchte Ich, Trumballa die Richtung zu erklären, und wies auch zusätzlich mit dem Zeigefinger an ausgestrecktem Arm, ohne selbst hinaufzublicken, den rechten Weg.
„Ich weiß Ich. Dränge mich nicht. Ich bereite mich mental darauf vor.“, verteidigte Trumballa seine Vorgehensweise.
„Oder hast Du Höhenangst?“, sagte Ich und ihn beschlich das ungute Gefühl, in Trumballa einen Angstkönig vor sich zu haben.
„Höhenangst hat man nach unten und nicht nach oben.“, belehrte Trumballa unwirsch.
„Vielleicht leidest Du unter einer Höhenangstmutation, die sich gegensätzlich verhält.“
„Mutation? Wo hast Du nur solche Worte her?“
„Ach, sie fallen mir so zu.“
„Huhu ... Huhu ... Mein König ... huhu Trumballa.“, erschallte es erneut von oben.
„Oh, man kennt Dich beim Namen. Da musst Du aber jetzt reagieren.“, foppte Ich.
„Ich regiere und reagiere, wie ich das will. Ich bin der König. Ich bin Trumballa der Erste. Und hiermit entziehe ich Dir das Du, wieder hin zum Sie.“, polterte seine Majestät, König Trumballa der Erste.
„Ach, sind wir jetzt eingeschnappt. Und dann gleich einmal die Keule des Herrschers raus geholt. Jetzt ist das Volk aber verschnupft.“, maulte Ich.
Trumballa warf ihm einen Blick zu, der Medusa zur Ehre gereicht hätte, der Menschen in Stein verwandeln, aber Steine nicht in Menschen transformieren konnte.
„Na jetzt habe ich aber angst!“, spottete Ich, dessen Ego größer war als gedacht.
Wie versteinert stand Trumballa da und überlegte, was nun zu tun sei, um einen Aufsässigen aus dem Volke, wieder die gebotene Unterwürfigkeit zu lehren. Doch kaum hatte er sich einen guten Spruch der der Vergeltung zugelegt, als von einem hohen Stamm mit Blättern, sich ein ungebetener Zwischenrufer meldete.
„Erhabener, erhebe Dein Aug gegen oben, denn nur der ist ein wahrer König, der erhobenen Hauptes sich zeigt.“
Nicht nur das es ungehörig war einem privaten Gespräch, zwischen König und Volk zu lauschen, nein die Stimme war auch noch die des Königs Höchstselbst. Ich grinste, ob der willkommenen kleinen Humorattacke. Längst hatte er den Missetäter entdeckt. Es war ein freiheitsliebender Quauquau, der zuhause raus geflogen war und sich nun, als Straßenkünstler und Parodist, seine Körner verdiente. Nur Trumballa der erste entdeckte den komischen Vogel nicht, der oben saß und diese Richtung vermied er nach wie vor.
Dann meldete sich auch noch, um die Verwirrung des Königs weiter zu treiben, die Stimme von ganz oben zum dritten Mal, nur diesmal noch aggressiver, noch patziger, noch ungehaltener. Spätestens jetzt hätte König Trumballa sie erkennen müssen. Doch längst hatte sich der König in einen Sog von Wut selbst gezogen, der dazu führte, keinen klaren Gedanken mehr zu fassen. Zum Glück war Ich da und der war aus einem ganz anderen Holz geschnitzt. Ein wahrer Meister der Ausgeglichenheit. Er erspürte, wie humorbefreit der König war, und half ihm, wieder zu sich zu finden. Mit dem Brustton der Überzeugung und der ihm gegebenen Ernsthaftigkeit, wahrlich kein leichtes Unterfangen, was Ich alles abverlangte, machte er eine tiefe Verbeugung und sprach so huldvoll, wie es ihm nur möglich war.
„Ihro Gnaden. Hochwohlgelobter und gepriesener König, verehrter Trumballa der Erste. Ich, Unwürdiger unter den Unwürdigen, nehmt meine Zerknirschung entgegen, die ich tief in mir trage. Mögen die Worte, die ich zu euch sprach ruchlos gewesen sein, so hoffe ich auf Euer Wohlwollen und bitte untertänigst um Vergebung.“
Die wohlgesetzten und formulierten Worte verfehlten weder Ziel noch Wirkung. Denn für einen König eher ungewöhnlich, zeigte Trumballa öffentlich Gefühle, die pikanterweise auch noch feuchter Natur waren. Wortlos überschritt er die Grenze königlicher Gepflogenheiten und warf sich dem Volk in die Arme. Der aus dem Volke nahm großherzig die Geste des guten Willens an und verbrüderte sich mit ihm. Es folgte ein intensiver Bruderkuss, fern jeder sexuellen Ausrichtung und mündete wieder in dem vormaligen, kurz unterbrochenen gegenseitigen DU.
Endlich war wieder Friede unter ihnen. Könnte man jedenfalls denken. Doch der freche kleine Quauquau ließ plötzlich etwas Fallen und das war keine Bemerkung. In seinem Körper steckte eine gesunde Verdauung und als freiheitsliebender Inselbewohner ließ er, dieser ihren freien Lauf. Er war, ohne respektlos sein zu wollen, ein richtiger Kackvogel. Er löste sich und löste sofort Ungemach aus. Denn justament in diesem Augenblick, überwand König Trumballa der Erste, seine Nachobenpsychose und wurde gleich wieder dafür bestraft. Genau zwischen die Augen, also ein perfekter Blattschuss, traf ihn. Und eine glibberige, zähflüssige weiße Flüssigkeit, traf ihn.
Die Stimmung königlicherseits war kurz vor dem kippen, doch das Volk reagierte sofort, um einem drohenden Rückfall in alte Muster entgegenzuwirken. Geradezu zärtlich, doch mit der gebotenen Distanz, wischte Ich die Hinterlassenschaft des Quauquau weg und gab so dem König seine verlorene Würde zurück.
Anschließend verscheuchte er den Quauquau, mit dem ortsüblichen:“ Weg, Weg!“Dieser verstand die Aufforderung und flog seiner Wege, wo er auf neue interessierte Zuschauer hoffte, die seine Kunst zu schätzen wissen.
Nun war der Luftraum gesichert und König Trumballa oder wie Ich ihn nun wieder nannte, Trumballa, konnte sich nun dem widmen, worauf die Stimme von oben so lange gewartet hatte, er schaute nach oben. Doch zu seiner großen Überraschung konnte er niemanden sehen. Und dann tat er etwas, was wohl auch jeder normale Mensch aus dem Volk getan hätte, er rief nach oben.
„Hat da jemand gerufen?“
Mehr als langes Schweigen bekam er nicht zur Antwort. Erst als er, von Ungeduld getrieben, erneut rief, denselben Text verwendend, erschien die Königinmutter an der Zinne, in Händen königliche Unterwäsche seiner Majestät. Nun wurde öffentlich sichtbar, was nie hätte öffentlich sein sollen.
Jedoch nun zeigte König Trumballa wahrlich königliche Größe.
„Ach ihr seid es, Königinnenmutter. Ihr hängt wohl eure Wäsche auf. Riefet ihr hinab von der Zinne, hinunter zu uns?“
„Zuhauf mein König, zuhauf. Doch blieb mein Rufen ungehört und so vertrieb ich mir die Zeit mit dem Hängen der königlich gereinigten Wäsche, zwecks ihrer Austrocknung.“
„Löblich, löblich.“, lobte der König nach oben.
„Es mangelt eben an Personal der die Heißmangel bedient.“
„Es liegt am Volk. Würde ich jede Stelle im Schloss mit ihm besetzen, bliebe ja kein Volk mehr übrig.“, erläuterte König Trumballa seine Entscheidung, niedere Arbeiten innerhalb der Familie zu belassen.
„Ich weiß, ich weiß. Gutes Personal zu bekommen ist schwierig.“, seufzte die Königinnenmutter.
„Nun aber hurtig. Sage Sie mir doch, Frau Mutter, was war euer Begehr?“
„Die Neugierde trieb mich dazu. Was verkündete denn der Bote für eine Nachricht von großer Brisanz?“
„Ich weiß es nicht.“
„Aber er weiß es doch.“
„Wer?“
„Er, der neben Euch steht.“
„Ach Ich!“
„Nein Er.“
„Ach Er. Er heißt Ich.“, erklärte Trumballa.
„Ich?“, rief die Königinmutter verwirrt.
„Nicht Ihr, Er.“
„Seltsamer Name.“
„Ja finde ich auch.“
„Ich findet das auch?“
„Nein ich.“, ließ Trumballa sie wissen.
„Ach Ihr! Das ist alles etwas verwirrend. Aber was hat er oder Ich denn nun für eine Botschaft überbracht?“
„Ich weiß es doch nicht.“
„Dann fragt ihn doch.“
„Das habe ich doch, aber er weiß es nicht.“
„Er? Ich denke er heißt ich?“
Da wurde es Trumballa zu viel und er raunzte die Mit-angeheiratete an.
„Frau Mutter, ich weiß es nicht, er weiß es nicht. Und euch, mit Verlaub, geht es nichts an.“
Die so Angeblaffte schnappte nach Atem und zog sich beleidigt zurück. Man hörte nur noch ein Zetern und einige Sprachfetzen wie, „Wäschewaschen, dafür bin ich gut genug.“
König Trumballa, dem das Gezeter nicht fremd war, ließ sie einfach machen. Aus langjähriger schmerzlicher Erfahrung wusste er, sie beruhigt sich schon wieder, spätestens wenn ihr die eigene Stimme auf die Nerven geht.
Trumballa und Ich standen für einen Moment ratlos da, denn sie hatten durch die Unterbrechung den faden verloren.
„Was wollte ich doch gleich noch?“, sinnierte vor sich hin.
„Ich weiß es doch nicht.“, betonte Ich, der fälschlich annahm, er sei mit dem ich gemeint gewesen. Dabei bezog Trumballa das ich eindeutig auf sich, weil er es ja kleingeschrieben gesprochen hatte. Es hört sich halt nur ähnlich an.
„Und wenn wir einfach gehen?“
„Wohin denn?“, fragte Trumballa skeptisch.
„Vielleicht ins Dorf.“
„Ich bin der König. Ich kann doch nicht einfach ins Dorf, zu noch einfacheren Leuten gehen. Da gibt es doch sicher Krankheiten. Als König muss ich auf mich achten. Ihr habt ja nur den einen zum Verehren.“, erläuterte König Trumballa seine schwierige Lage, zwischen Volksnähe und Staatsräson.
„Du warst noch nie im Dorf?“
„Ach weißt Du Ich, ich möchte mein Volk nicht mit meiner Anwesenheit belästigen. Sie haben ihren Platz in der Gesellschaft und ich den meinen. Nur am Königstag mache ich eine Ausnahme. Da darf das Volk am Schloss vorbeiziehen und mir zusehen, wie ich huldvoll ihm zuwinke.“
Ich sah Trumballa traurig an.
„Das ist aber ganz schön traurig. Dann bist Du ja ein Gefangener in deinem eigenen Schloss. Wie traurig ist das denn.“
Der König betrachtete seinen Volksfreund und musste erkennen, wie viel Weisheit aus seinem Mund strömte. Und das machte nun auch ihn traurig. So standen sie eine Weile da, zwei traurige Gestalten. Jeder einfühlsame mitleidempfindender Mensch, hätte sie, ohne zu zögern, in ihre Arme genommen und getröstet. Doch es kam niemand vorbei, der ihnen eine Ausweinschulter anbieten konnte.
„Ja nun ...“, seufzte Trumballa, dem das lange gegenseitige Schweigen unbehaglich zumute wurde.
„Du sagst es.“, nickte ich verständnisvoll.
Sofort nahm Trumballa das Gesprächsangebot an, aus Furcht, es könnte sonst sofort wieder versiegen, wie das häufig erscheinende Nass von oben, im Sand unten.
„Was sage ich, Ich“.
„Ja nun, waren Deine Worte.“
„Ach so. Das war nur so dahin gesprochen. Gesagt habe ich damit eigentlich nichts.“
„Ja so habe ich es auch verstanden.“, gab Ich offen und ehrlich zu.
„Schön, dass wir beide uns so gut verstehen.“, freute sich Trumballa.
„Ja das finde ich auch. Freund?“
„Freund!“, verkündete König Trumballa feierlich, indem er, das ungewöhnliche Anliegen an ihn, annahm.
Besiegelt wurde es durch das traditionelle Nasenreiben und das zwingend notwendige, gleichzeitige und gegenseitige Ohrläppchen-ziehen.
Für König Trumballa war dies eine besondere, eine äußerst seltene Zeremonie. Nur einmal wurde es ihm zuteil, als er sein, durch einen Losentscheid bestimmtes Mädchen aus dem Volk, zu seiner Königin machte. Doch das war jetzt schon zwölf Prinzessinnen lang her.
„Zu dumm aber auch, dass Du dich nicht mehr erinnerst, weswegen Du hergekommen bist. Dann wüssten wir jetzt mehr.“
„Vielleicht lag es ja an dem heftigen Aufprall, als ich gegen deinen Bauch stieß?“, versuchte sich Ich an einer medizinisch nicht erforschten These, die so gewagt war, wie die Tatsache, dass er den königlichen Bauch als Bauch betitelte.
Vorsichtig sah er Trumballa an, um die Reaktion von Trumballa zu beobachten.
Doch entgegen früherer Zeiten, explodierte Trumballa nicht, sondern rieb sich über den Bauch und kam zu einer überraschenden Einsicht.
„Nun ja, also wenn ich mich so betrachte und Vergleiche mit meinen Prinzessinnen anstelle, ist die königliche Wölbung etwas überdimensioniert.“, gestand Trumballa kleinlaut.
Für einen Herrscher war dies ein sehr ungewöhnlicher Schritt, Einsicht zu zeigen und das auch noch direkt vor Vertretern seines Volkes.
Doch Ich behandelte das Eingeständnis diskret, wohl wissend, auch andere aus dem Volk würden, wenn sie den König zu Gesicht bekämen, sich seinem Urteil anschließen.
Trumballa, der nichts von den Gedanken, die sich Ich machte, mitbekam, rieb sich nach wie vor seinen Bauch, weil ihm das dadurch erzeugte wohlige Gefühl nicht missfiel. Bislang hatte er es tunlichst unterlassen, an sich zu reiben, weil er befürchtete, das königliche Gewand könnte sich abnutzen oder gar drohte zu verschmutzen. Doch nun schlug er alle diese Bedenken in den Wind. Und er ging sogar noch weiter und entschied sich für einen, für Könige völlig, bislang undenkbaren Vorschlag, der Monarchien weltweit ins Wanken bringen könnte, wenn sie sich daran ein Beispiel nehmen würden.
„Wollen wir uns nicht hinsetzen? Wir stehen schon so lange hier rum..“
Ich sah ihn erstaunt an und ärgerte sich innerlich, nicht selbst diesen Vorschlag entwickelt und zur Abstimmung vorgetragen zu haben.
„Das ist eine große Geste, mein lieber Trumballa.“, lobte Ich und ging mit gutem Beispiel voran und setzte sich hin.
Noch etwas unsicher, doch fest entschlossen es durchzuziehen, betrat ein königliches Hinterteil zum ersten Mal bürgerlichen Volksboden. Weiches grünes Moos ersetzte den güldenen Thron, ein Erbstück seines, an einer Fischgräte erstickten, Königsvaters. Die Mutter, auf deren die todbringende Speise zurückzuführen war, entschied selbstbestimmt, ihrem geliebten Mann zu folgen, und beendete, mit einem beherzten Sprung von der höchsten Zinne, ihrem Leben einen würdigen Abschluss zu geben. Nachdem dieses Vorhaben von Erfolg gekrönt war, konnte sich Trumballa als voll verwaister König ausrufen lassen. Fortan erzog er sich selbst und ging dabei sehr autoritär mit sich um. Dies prägte ihn nachhaltig. Jetzt dieser Schritt, hinein ins unbeschwerte und unkonventionelle, auf dem Boden sitzen, war wie eine Befreiung, das Sprengen aller Ketten, der Strenge jeglicher höfischen Etikette. Nun genoss er zum ersten Mal die Freiheiten, die sonst nur dem Volk vorbehalten war.
„Hast Du eigentlich auch eine Krone?“, wollte plötzlich ich wissen, eine Frage, die so überraschend wie auch verständlich war, da Trumballa die ganze Zeit Kopfschmucklos war.
„Die trage ich nur am Königstag. Ehrlich gesagt, sie ist sehr unbequem und behindert nur bei meinen täglichen Pflichten.“, offenbarte Trumballa.
„Und wo ist die jetzt?“
„Die bewahre ich sicher in meinem Nachtschränkchen auf.“
Der gelbe Ball, so die offizielle Bezeichnung der Lundummer, heizte ihnen ordentlich ein.
„Ist das nicht schön heute. Kein Nass in Sicht.“, schwärmte Ich von dem Tag.
„Du Ich, ich habe plötzlich eine ganz verrückte Idee. Ich würde gerne mein Volk besichtigen.“
„Wahnsinn, wie mutig Du so plötzlich bist.“, zollte Ich ihm Respekt.
„Wollen wir?“, drängte Trumballa, wohl aus Angst, er könnte sonst den Mut verlieren, sich den Gefahren zu stellen, die so eine Expedition mit sich bringt.
„Mein König ...“, und mit einer tiefen Verbeugung fuhr er fort, „es ist mir ein Vergnügen, mich an eurer Seite zu wissen.“
Trumballa musste lachen, denn ich war kein besonders guter Schauspieler, als das man den Satz hätte ernst nehmen können.
Ich erhob sich und ergriff Trumballa Hand, denn der musste feststellen, hinunter auf den Boden ging leicht, doch umso schwerer der Aufstieg wieder, wenn dem ein Bauch im Wege steht.
„Ich danke Dir Ich.“, sagte Trumballa, noch völlig außer Atem.
Langsam stiegen sie den Schlosshügel hinab und je näher sie dem Dorf kamen, desto aufgeregter wurde Trumballa.
„Was für ein schönes Reich ich doch habe.“, stellte er zufrieden fest.
„Wir leben auch gerne hier.“, gab ich zurück.
„Ja wo auch sonst!“
Für die Lundummer gab es nur ihre kleine Insel und der König bestärkte sie in dem Gedanken. Auf die Idee, es könnte irgendwo auf dem großen Nass noch mehr Menschen geben, da kamen sie drauf. Sie waren sich auch selbst genug.
Trumballa freute sich, wie ein kleines Kind, sein Volk endlich aus nächster Nähe zu sehen, doch als sie auf dem Dorfplatz ankamen, wartete eine unangenehme Überraschung auf die beiden Ausflügler. Das Dorf war menschenleer. Niemand zeigte sich. Es herrschte geradezu eine gespenstische Ruhe.
Trumballa konnte seine Enttäuschung nicht verbergen und verfiel in alte Verhaltensmuster.
„Kein Volk da, was mir huldigt? Hallo! Der König ist hier. Kommt herbei mein Volk.“, rief er, doch niemand folgte seiner Aufforderung.
„Was für eine Brüskierung. Eine Kränkung. Ein Affront!“, echauffierte er sich.
Ich versuchte, ihn zu besänftigen, jedoch ohne Erfolg. Jetzt hatte er sich gerade so schön in Rage geredet und er dachte nicht daran, sich beruhigen zu lassen.,
„Noch nie bin ich so gedemütigt worden. Ein solches undankbares ignorantes Volk verdient mich gar nicht. Was habe ich nicht für Opfer gebracht für mein Volk. Und das ist der Dank. Aber das wird ein Nachspiel haben. So lasse ich nicht mit mir umgehen. Diesen terroristischen Schlag gegen das Königshaus wird nicht unbeantwortet bleiben. Hier stehe ich, König Trumballa der Erste und Ich, mein treuer Freund und Wegbereiter, gekränkt, gedemütigt und menschlich zu tiefst enttäuscht. Lundummer, kommt raus aus euren Löchern und werft euch in den Staub unter meinen Füßen.
Plötzlich, wohl wegen des königlichen Wüterichs erschrocken, erinnerte sich Ich plötzlich an Details seines Lebens.
„Trumballa beruhige dich. Ich weiß wieder, was los ist. Heute ist doch der inselweite Nassmachtag. Da trifft sich dein Volk, um Hygiene zu betreiben.“
Trumballa sah erstaunt zu Ich und langsam wich die Zornesröte aus seinem Gesicht.
„Wo findet denn dieser Nassmachtag statt? Wurde der von mir überhaupt behördlich genehmigt?“
Diese und eine Reihe von Weiternn Fragen, bezüglich der Sicherheit, des barrierefreien Zugangs und der gastronomischen Vielfalt, prasselten auf ich ein, der mit hilflosem Achselzucken jeden einzelnen Punkt kommentierte.
„Das ist einfach nur ein lockeres Zusammentreffen, was wir jeden Ersten im Monat begehen. Es dient lediglich der Frischluftoptimierung im Dorf, die meist gegen ende eines jeden Monats aufgebraucht ist. Wir tun dies eigenverantwortlich.“, kämpfte Ich energisch gegen die Vorhaltungen von Trumballa.
„Eigenverantwortlich heißt ja wohl auch gleichzeitig eigenmächtig! Wie soll man denn einen Staat erfolgreich managen, wenn das Volk tut, was es will?“
„Das Volk tut nur ...“, begann Ich sich zu verteidigen, wurde aber sofort brüsk gestoppt.
„Das war nur eine rhetorische Frage. Die steht für sich und bedarf keiner Antwort.“, rüffelte Trumballa, der immer mehr zu einem Schreckensherrscher mutierte.
„Dann sage ich eben nichts.“, begehrte das Volk, in Gestalt von Ich, auf.
„Das ist schon zu viel.“, polterte ein erregter Trumballa.
„Was ist schon zu viel?“
„Jedes Wort von dir. Rhetorische Fragen stehen für sich. Da gibt man keine Antwort drauf.“
„Aber warum stellt man sie dann?“
Trumballa stutzte kurz.
„War das jetzt eine rhetorische Frage oder eine Verständnisfrage?“
Ich öffnete langsam

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Rolf Bidinger
Tag der Veröffentlichung: 22.07.2022
ISBN: 978-3-7554-1768-2

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