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Wo ist Johann Lafer, wenn man ihn wirklich einmal braucht? Ein verzweifelter Hilfeschrei!

Sind Krankenhausköche noch Köche oder schon Sadisten? Jeder, der einmal wegen eines Zipperleins, sein örtliches Krankenhaus aufsuchen musste weiß, dabei handelt es sich offensichtlich um eine rhetorische Frage. Denn sie sind angehalten nicht explizit Speisen zuzubereiten, sondern Nahrungsmittel zur Lebenserhaltung der Patienten. Unwillkürlich fragt man sich, was hat ein Krankenhauskoch eigentlich gelernt? Kfz-Mechaniker, Tierkadaverentsorger oder sind es einfach nur arme Arbeitslose, die vom Jobcenter gezwungen wurden den Job zu machen. Kliniken müssen Profit erwirtschaften und freuen sich über jede ungelernte Kraft, die wenigstens eine Kartoffel von einer Motorsäge unterscheiden kann. Wer diese Voraussetzung erfüllt, hat praktisch eine Lebensstellung. Kenntnisse im Bereich Lebensmittel sind nicht zwingend erforderlich, können sogar als Ausschlusskriterium gelten. Denn, wer zu viel weiß, der kommt plötzlich eigene Ideen. Da wird womöglich ein unschuldiger Blumenkohl mit einem Hauch Muskat gequält. Solche Exzesse sind in Krankenhäusern nicht gerne gesehen. Wie hat einmal ein nicht näher genannt werdender Arzt, unter Einfluss von Alkohol, zugegeben: „Das Essen der Patienten, muss so elendig aussehen, wie sie selbst sich fühlen!“
Für so eine Aussage gehört er vor ein Tellergericht gestellt und abgeurteilt.

An dieser Stelle nun der schockierende Bericht eines Betroffenen. Bitte nur lesen, wenn sie seelisch als auch körperlich stabil sind. Herzpatienten wird dringend abgeraten weiter zu lesen. Sie tun es auf eigene Gefahr und ihre Krankenkasse kommt für etwaige Folgeschäden nicht mehr auf, denn sie verlassen nun den gesicherten Bereich, wo ihnen eine heile Welt vorgegaukelt wurde.
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Elendig liegt es vor mir, ein Tablett mit dem, wie die Nachtschwester mir suggeriert, dem Abendbrot. Viele kleine verpackte Döschen und der dünnsten zu schneidenden Scheibe wurstähnlich zusammengepresstem. Gott stehe mir bei. Solides Kommissbrot, vor dem jeder Gebissträger erzittert. Erinnerungen an Stalingrad werden wach. Dazu feinstes Tafelsilber, in Form eines Messers, dessen Schneidefähigkeit gegen Null tendiert. Sicherheitsgründe scheinen dies notwendig zu machen. Patienten könnten sonst, angesichts des Grauens auf dem Teller, mit dem Gedanken spielen, sich die Pulsadern zu öffnen. Und sie hätten wahrlich allen Grund dazu. Durch die Scheibe einer Käsesorte, die zurecht nicht näher genannt sein mag, sehe ich die untergehende Abendsonne. Auch sie kann den Anblick wohl nicht länger ertragen. Ein Döschen Parfait, in Rauch gegart, so stand es einladend auf der Verpackung. Besser man hätte es gleich im Feuer verbrannt.
Eine Tomate, längst ihrer Spannkraft beraubt. Bereits in den Ruhestand versetzt, bot sich an als vitaminreiche Beigabe. Dabei sind ohnehin schon Tomaten, die Rache Hollands für das WM aus 1974. Nur die altbewährten Freunde, die best Buddies „Pfeffer und Salz“ , hätten dem roten Wasserball noch etwas Leben einhauchen können. Doch in einer deutschen Krankenhausküche gelten sie als Persona non grata. Gewürzfreies Kochen ist dort oberste Regel. Nichts darf eine verkochte Nudel, ein zähes totes Stück Rind oder einer seiner Farbe beraubtes Broccoliröschen, in seiner natürlichen Geschmacklosigkeit stören. Gewürze sind die Feinde der Köche, mit ihrem subversiven Angriff auf die Geschmacksrezeptoren, die zuhauf im Gaumen und auf der Zunge darauf warten gekitzelt zu werden. In Krankenhäusern wird jedoch ihrer Dienste, nicht bedurft. Sie sind Ausgestoßene.
Nachdem der Würgereflex gerade noch zurückgehalten werden konnte, nehme ich widerwillig und nur aus einem Überlebenswillen heraus, die Nahrung auf. Freude oder Lustgewinn sind nicht mehr vorhanden. Während ich kaue, halte ich mir die Nase zu. Ich muss nicht auch noch riechen, was mich da am Leben erhalten soll.
Dann ist es vollbracht. Ungenießbares wurde vertilgt. Doch die schwerste Prüfung steht mir noch bevor. Denn früher oder später wird der Moment kommen, der meine ganze gute Erziehung, meine Selbstbeherrschung fordern wird.
Die Tür geht auf und mit ihrem bezaubernden Lächeln erscheint die Krankenschwester meines Vertrauens und möchte das Tablett wieder abräumen. Ich bebe, ich zittere, dem unvermeidlichen entgegen und wünschte mir nichts mehr, als möge der Kelch an mir vorübergehen. Doch auf Gnade darf ich nicht hoffen, denn sie muss, sie darf nicht anders, als die Frage aller Fragen zu stellen, da ihr mein Wohlergehen eine Herzensangelegenheit ist. Dafür lebt sie ihren Beruf, der ihr eine Berufung und Erfüllung zugleich ist. Schon hat sie das Tablett in ihren Händen und sie sieht zu mir herunter, auf das Bett, in dem ich gerade bete, sie möge es nicht tun.
Doch sie kann nicht anders. Langsam öffnet sie ihren Mund. Ich schließe fest meine Augen und hoffe so, den Satz nicht zu hören.
„Na, hat es geschmeckt?“
Zu spät, er war nicht zu überhören und dann geschieht etwas, was ich nie und niemals von mir erwartet habe. Ein Mann, ein Baum von einem Kerl, mit beiden Beinen im Leben stehend, bricht schluchzend in sich zusammen. Nur noch ein Häufchen Elend. Ein Schatten seiner selbst. Tröstend nimmt sie meinen Kopf an ihre Brust. Sie bringt die Liebe auf, zu dem der Koch nicht fähig ist. Salz, nur etwas Salz, könnte dafür sorgen, mich vor solch peinlichen Situationen zu retten.
Doch bereits morgen, stehen erneut drei große schwere, schier unüberwindbare Herausforderungen an, von denen ich jetzt schon weiß, ich werde daran scheitern. Frühstück, Mittag- und Abendessen!
Wo bist Du, Johann Lafer? Rette uns aus der Hölle!
Und all ihr da draußen, die ihr unter de Knechtschaft eines Systems der Geschmacklosigkeit leidet, erhebet euch. Lasst uns gemeinsam den Kampf aufnehmen und unseren Freunden „Pfeffer&Salz“ zu ihrem Recht verhelfen, in jedes Krankenzimmer Einzug halten zu können. Frei und ohne Gängelei.
Nachfolgend nun ein Aufruf, ein Appell, ein Hilfeschrei. Gerichtet an den Mann, der wie kein zweiter seiner Pornobalken stolz im Gesicht trägt. Wer so mutig der Bartmode trotzt, der muss uns zur Seite stehen, wenn tausende Blinddarmdurchbrüche, dutzende Beinamputierter und die unzähligen unnötig operierten auf die Barrikaden gehen und unter dem Lärm tausender Bettpfannen, ihr Recht auf Speisen und nicht auf Nahrung, sich erkämpfen. Und Du, holder Recke aus der Steiermark, weise uns den Weg.
Ab jetzt heißt es: Nicht mehr nur labern – nun lafern wir!
Deutschland höre! Möge jeder dieses Pamphlet unterzeichnen und es direkt an Johann Lafer senden. Wo auch immer du gerade bist, Johann Lafer, diese Zeilen werden dich erreichen, sonst sind wir gezwungen sie an Steffen Henssler zu schicken. Denn er steht wie kein Zweiter für labern. Johann, wir als zwei alte Kampfgefährten, lass es Wirklichkeit werden.
Hängen wir dieses Manifest millionenfach an jeden Baum, jeden Rollstuhl und heimlich auf jeden Rücken des medizinischen Personals.
Dies als letzte Warnung, ehe wir zu drastischeren Maßnahmen greifen müssen und die Kantinen der Welt kapern und entern.
Als „Salt&Pepper“, wie einst „Bonnie&Clyde“.
Möge unser Schlachtruf sein: Genesen dank Geschmack!
Ruft es von dem Gipfel der Zugspitze oder auf den Deichen der Nord-, Ost, Süd- oder Westsee. Blast in das Matterhorn zum letzten Gefecht.
Johann Lafer, wir zählen auf Dich! Führe uns an! Heraus aus der kulinarischen Ödnis, heim ins gelobte Land, wo Milch und Honig fließt und niemand wehrlosen Salat in Balsamico ertränkt. Keine Kartoffel verdient es mit Füßen getreten und als Püree zu enden. Die Kartoffel ist stolz und verdient auch so behandelt zu werden. In kleine Stäbchen geschnitten und in Öl frittiert, sanft mit Salz gestreichelt und einer Beigabe von Mayonnaise. So und nicht anders begegnet man einer Kartoffel! Rosenkohl und Spinat sind Ziergewächse und sollten nicht auf Tellern liegen, sondern unter Artenschutz stehen. Kein Schwein, welches sich für uns gemästet hat, verdient es, in einer eiterähnlichen Substanz liegen zu müssen, unter dem Titel: Schweinebraten. So etwas ist eine Sauerei! Die Zucchini ist, von Hause her eher ein geschmacksneutrales Gemüse. Es in Wasser zu ertränken hilft dagegen wenig. Die Pfanne macht den Unterschied. Sie schenkt uns Röstaromen. Da freut sich die Zucchini. Das deutsche Ei fühlt sich dagegen regelrecht gemobbt. Zum Frühstück würde es sich freuen, dotterweich und warm den Patienten ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Doch es wird gemieden und hält nicht den Einzug in den Speisenplan. Wahrscheinlich, weil es auf den Punkt zu garen, dem Laienkoch seine Grenzen schonungslos aufzeigt. Und wenn der Koch auch nur etwas Ehre im Leib hätte, würde er sich für den suizidalen Weg entscheiden. Dabei hätte er die volle Unterstützung und Rückendeckung seiner hinterbliebenen Patienten. Jede Entscheidung im Sinne hungriger Patienten, ist nur zu begrüßen.
Vieles wäre noch kritikwürdig, doch die Hoffnung auf ein hartes Durchgreifen vom Godfather of Töpfen und Pfannen, die Lichtgestalt, der österreichische Moses, der sein Volk ins gelobte Land führt. Johann der schnauzbärtige Lafer, ist die letzte Hoffnung.
Er ist das Licht in dunkler Nacht, das uns leuchtet. Der Butterberg in der Brandung. Der Leuchtturm, inmitten eines Meeres aus Tomatensuppe. Johann Lafer, schon der Name lässt einem den Mund wässrig werden. Johann Lafer, Bitte übernehmen Sie!

Wenn ich mal tot bin ....

Gedanken eines Aussteigers

Wenn ich mal tot bin, mache ich nur noch, was ich will. Dann lasse ich mir von niemanden mehr etwas vorschreiben. Schon im Säuglingsalter durfte ich nichts selber entscheiden. Ob oder in welche Schule ich zu gehen hatte, wurde ich nicht nach gefragt. Ständige Bevormundungen und Gängelei waren an der Tagesordnung. Besonders meine Eltern, die beiderlei Geschlechts waren, bestimmten, wann ich ins Bett musste, wann ich aufzustehen hatte und auch essen musste, was auf den Tisch kam. Meine später diagnostizierte Spinatphobie erkannten sie nicht. Egal was ich wollte, dann hieß es immer: „Solange deine Füße unter meinem Tisch sind ....“. Ich war kurz davor mir einen eigenen Tisch zu kaufen und autark zu leben. Lieder war mein Taschengeld ständig sanktioniert wegen der Häufung von hohen Zahlen auf den Zeugnissen. Selbst meine Noten durfte ich nicht frei wählen. Und was war das für eine Aufregung, als ich einmal das Familienauto borgen wollte, wegen einer gesellschaftlichen Verpflichtung in der Dorfdisco. Da meinte unser Ernährer: „Du bist vierzehn und morgen ist Schule!“
Kaum war meine Schullaufbahn endlich beendet und ich mich frei fühlte und mich auf eine Weltreise freute, hatte meine Mutter schon eine Lehrstelle für mich organisiert. Nach zehn Jahren mühevollen Lernens hatte ich gerade einmal eine Woche Zeit und ich musste in einer Firma arbeiten. Ganz unten in der Hierarchie. Das war vielleicht demütigend. Und von meinem kargen Lohn wollte Mutter auch noch die Hälfte für Kost und Logis. „Aha“, dachte ich, „Jetzt holen die sich alles wieder zurück, was sie in mich reingesteckt haben.“ Ich war also nur eine Investition und nun holen sie sich ihre Dividende. Meine erste Freundin musste ich vor der Haustüre verabschieden, weil sie nicht rein durfte, weil meine Eltern, die von ihr nicht mochten. Im Winter haben wir uns getrennt, weil es einfach zu kalt wurde. Wenn ich mich ihr zärtlich nähern wollte, klopfte meine Mutter oben an der Fensterscheibe und unterbot, was noch gar nicht richtig begonnen hatte. So wurde ich erotisch kurzgehalten. Man hatte mich so konditioniert, dass ich niemals über eine rote Ampel gegangen wäre. Noch heute bleibe ich nachts um vier, ob es regnet, hagelt oder schneit, stehen, selbst wenn weit und breit kein Auto in Sicht ist. Sogar wenn eine Ampel mal defekt ist oder ausgeschaltet, warte ich brav, bis sie wieder funktioniert und wenn es Tage dauert.
Doch eines Tages habe ich mich von allem befreit. Ich beschloss, fortan selbst zu entscheiden. Als Erstes entschied ich, meine Eltern kommen in ein Heim. Vater nach Bulgarien und Mutter nach Finnland, weil sie so gerne putzt. Ich meine, wegen der vielen Lappen dort.
Jetzt endlich war ich frei. Leider war es nur von kurzer Dauer, denn ich lernte meine zukünftige Frau kennen. Ab da war wieder alles wie früher. Sie bestimmte und ich folgte willig. Liebe macht eben blind. Und doof. Hatte ich aber erst gemerkt, als ich schon „Ja“ gesagt hatte. Drei Jahre hielt ich durch, dann wurde sie von einem Geisterfahrer in einer Einbahnstraße umgefahren. Zum Glück konnte man mir nichts nachweisen, außer vielleicht, das ich ein begründetes Interesse gehabt habe. Endlich konnte ich den Atem der Freiheit genießen. Bedauerlich war nur, sie hatte vor ihrem Ende nicht mehr für Kinder gesorgt, denen ich sonst jetzt hätte sagen dürfen, was sie zu machen haben. Aber man kann eben nicht alles haben.
Jetzt freue ich mich schon auf meinen Tod, den ich völlig zwanglos gestalten kann. Gerade Anfang dreißig, aber ich wusste, was ich wollte. Mein erklärtes Ziel war es, vor meinen Eltern zu gehen, dann kann mich keiner zwingen auf deren zu gehen. Das war meine Rache für die jahrelangen Drangsalierungen. Von Frauen und Erotik ließ ich auch die Finger. Einmal mit meiner Verblichenen und auch nur auf ihr Drängen, hat mir gereicht fürs ganze Leben. Nochmal will ich das nicht durchmachen. Da dusche ich lieber dreimal am Tag kalt. Das ist auch besser für den Kreislauf. Und ich will ja schließlich gesund sterben. Ich will körperlich durchtrainiert sterben und nahtlos braun. Sollen alle sehen, wie ich in Form bin. Ich brauch auch keinen Sarg. Ich will eine Luftmatratze, als läge ich gerade am FKK Strand und schlafe. So wie ich gekommen bin, so will ich auch gehen. Mein Anblick soll allen in ewiger Erinnerung bleiben. Und dann möchte ich neben meinem Lieblingscafé, da steht ein schöner Baum, drunter beerdigt werden. Im Stehen. Senkrecht in ein Loch herabgelassen. Bei zu langem Liegen kriegt man sonst leicht eine Thrombose. Wenn ich mal tot bin, will ich meine Ruhe und keine Schmerzen. Im Sommer stehen da immer Tische und dann können meine Freunde auf ein Schwätzchen vorbeikommen und ich bin dann schon da. Ist doch praktisch. Muss man nicht erst einen Termin machen. Ich bin ja ständig da. Stehe da und warte bis einer kommt. Auch eine große Trauerfeier brauche ich nicht. Kein Rumgesülze und Rumgeheule. Ich werde mir selbst eine Rede schreiben und aufnehmen. Die können sie dann abspielen und hinterher gibt es zur Feier eine Runde Sekt für alle. Auf den anschließenden Tanz habe ich verzichtet. Ich tanze ja nicht so gerne. Das alles dann in der Mittagspause, dann müssen meine Leute sich nicht extra einen halben Tag frei nehmen. So stelle ich mir das vor. Kurz und geschmackvoll. Blumengestecke und Kränze brauch ich auch nicht. Seh die ja dann eh nicht mehr. Wenn einer unbedingt will, kann er ja einen Frankfurter Kranz backen. Da freuen sich die Leute mehr. An den Baum nur ein kleines Holztäfelchen, mit dem Hinweis: „Hier ist kein Hundeklo!“
So stelle ich mir meinen Abschied vor. Jetzt muss ich nur noch gucken wann. Ich habe schon einmal unter meinen Leuten nachgefragt. Gar nicht so einfach sich auf ein Datum zu einigen. Mal hat der was, mal der andere. Im Winter ist vielen zu kalt. Im Sommer im Urlaub. Wir haben uns jetzt mal grob auf Ende September geeinigt. Nur das Jahr haben wir noch offengelassen. Aber in jedem Fall in einem Jahr wo keine Fußballweltmeisterschaft und Olympia stattfinden. Das grenzt es natürlich etwas ein. Ich für meinen Teil möchte vor achtzig, aber nicht vor meinem fünfzigsten. Dazwischen ist es mir eigentlich egal. Sonntag nachmittags wäre am günstigsten. Ich denke so zwischen zwei und drei Uhr. Da ist noch Sonne und hell. Die Einladungen sind auch schon gedruckt. Muss ich nur noch den Termin reinsetzen. Im Prinzip ist alle geplant. Jedenfalls an mir wird das nicht scheitern dann. Ich habe alles im Griff. Die einzige kleine Ungewissheit ist, wie und woran ich sterbe. Gesund zu sterben ist ja eine Herausforderung. Also ich meine ein Schnupfen oder so, das ist noch ok. Abgebrochener Fingernagel beunruhigt mich jetzt auch noch nicht. Also am liebsten wäre es mir, wenn ich so ein bis zwei Tage vorher wüsste, da kommt was Ernstes auf mich zu. Das könnte eventuell langfristig zum Tode führen, dann komm ich dem zuvor. Über das WIE muss ich mir noch ein paar Gedanken machen. Ist ja schließlich eine Entscheidung, die man nicht jeden Tag trifft. Da ist Sorgfalt angesagt. Nur klar ist für mich, jemanden dabei zu belästigen, dass widerstrebt mir. Ich habe so oft in der Bahn gehört, wegen Personenschaden werden wir verspätet ankommen. Da hat sich dann irgend ein Selbstdarsteller vor die Gleise geschmissen. Und im Zug sind alle Leute dann sauer. Und der arme Zugführer kann einem ja auch leidtun. Ich finde so ein Verhalten unsolidarisch. Da wollte sich so ein Egomane wichtig tun und die Leute kommen zu spät zur Arbeit. So etwas ist doch keine Art. Man hängt sich zuhause still und leise im Keller auf. So macht man das. Dann stört man auch keinen. Unsensible gehen dafür in den Wald. Da kommt dann so eine nette Familie mit den Kindern vorbei. Will picknicken und da hängt da so ein Typ, mit heraushängender Zunge. Da kann das Hähnchenschenkel doch nicht mehr schmecken. Und wie erklärt man den Kindern das.
„Das ist zur Abschreckung. Damit das Wildschwein nicht die Baumrinde abnagt.“
Nein, ich möchte nicht das wegen mir traumatisierte Kinder herumlaufen und später womöglich zu Massenmördern werden, bloß weil sie mich gesehen haben. Aufgehängt, tot und nackt.
Aber aufhängen ist auch nicht so das richtige für mich. Schon bei zu engen Hemdkragen schnürt sich alles so unangenehm zu. Erschießen ist auch nichts. Ohne Brille seh ich nicht, ob ich getroffen habe und ich möchte nicht, dass alle wissen, dass ich eine Brille trage. Bleibt noch Gift. Ich könnte Pilze sammeln. Einfach nur die, die andere stehen lassen. Die werden es dann schon bringen. Muss ich dann nur zuhause noch putzen, anbraten und mit Weißwein ablöschen und Sahne verfeinern. Dann lege ich mich nackt auf meine Luftmatratze und esse die. Pilze sind ja ohnehin gesund, weil sie kaum Fett enthalten. Na ja, wenn das Ganze ja im September sein soll – da gibt es doch schon Pilze? Sonst muss ich mir, welche auf dem Wochenmarkt besorgen. Das ist zwar etwas teuer, aber dient ja einer guten Sache. Einmal kann man das schon machen. Vielleicht streu ich aus Sicherheit noch ein paar Schlaftabletten, zerkleinert im Mörser, drüber. Dann bin ich auf der sicheren Seite und macht auch optisch was her. Das Auge isst schließlich mit.
Eigentlich ein Wahnsinn an was man alles denken muss. Wie gut das ich rechtzeitig vorbereitet bin. Sonst artet es, wenn es so weit ist, noch in unnötigen Stress aus.
So, ich glaube, jetzt habe ich alles, was ich brauche. Muss ich nur noch die Rede schreiben. Am besten ich mache das gleich, dann habe ich es hinter mir.
Aber wie schreibt man jetzt so eine Rede über sich? Vielleicht fange ich mit einem lockeren Spruch oder einen Witz, damit gleich Stimmung aufkommt. Dann kurzer Abriss über mein Leben. Dann der Dank an diejenigen die gekommen sind. Noch einen Schlussjoke und am Ende noch einen Sinnspruch. So eine Art Quintessenz meines Lebens. Da haben sie auch was zum Reden, wenn der Sekt gereicht wird. Den habe ich schon bei dem Café bestellt und gleich bezahlt. Nicht das es hinterher heißt, ich hätte die Zeche geprellt.
So, jetzt aber mal ran an meine letzten Worte! Vielleicht sollte ich ja alles Reimen. Bei Fastnachtsvorträgen machen die das ja auch. Kommt auch immer gut an.
„Hier steh ich nun im kühlen Grab ... ach Gott, was reimt sich denn auf Grab? Ach, dann schreib ich eben Loch. Hier steh ich nun im kühlen Loch, ich bin nun Tod – so glaubt es doch!“
Ja das ist doch schön. Da lachen bestimmt ein paar.
„Jetzt pflanzt auf mich nen schönen Ginster,
hier unten ist es furchtbar – finster.
Mein Leben ging mal rauf, mal runter,
war bis zuletzt noch richtig munter.
Nun steh ich hier in Adams Kleid.
Ach Kinder was ne schöne Zeit.
Jetzt trinkt nen Sekt, so ist der Plan,
derweil klopf ich bei Petrus an.
Adieu, macht`s gut, die Red ist aus,
zum Abschied schenkt mir noch Applaus.
Am Schlusse noch ganz kurz bericht,
mein Ende war ein Pilzgericht.
Ich hoff, ihr hattet heute Spaß
Und macht mir stets den Ginster nass.
Dann sag ich tschau – bin jetzt mal fort,
das war`s für heut – das letzte Wort.“

Ich finde, das ist mir jetzt mal echt gut gelungen. Die Rede hat Tiefgang, Humor und gibt Hoffnung. Und ist auch mal was anderes.
Das einzige, wo ich noch ein paar Bedenken habe, ist, wo ich dann genau hinkomme.
Also Himmel wäre schon gut. Hitze vertrage ich ja nicht so gut. Aber wie das da so ist? Nix Genaues weiß man ja. Bestätigte Berichte gibt es faktisch ja kaum bis gar nicht.
Angeblich wird man ja wiedergeboren. Aber wann? Und wie? Und als was?
Kann man sich das dann aussuchen? Ist ja alles so ungewiss. Ich will eigentlich immer alles genau wissen, wenn ich eine Reise buche. Aber es gibt da halt auch keine Prospekte, wo man sich mal einlesen kann. Und von Reiserückkehrern wird ja kaum berichtet. Alles so nebulös, so vage. Irgendwie bin ich jetzt doch unsicher geworden. Vielleicht warte ich doch noch mal länger ab, bis da mehr wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Hauptsache, der Plan steht und ich muss mir jetzt noch keine Gedanken machen. Doch momentan bin ich ja noch jung und gesund. Und nun kann ich der Zukunft entspannt entgegensehen.

 

Wo ich bin, bleibe ich nie lange alleine!

Sobald die ersten Frühlingsstrahlen das Licht der Welt erblicken, die ersten Krokusse aus dem Boden schießen, obwohl sie selbstredend pazifistisch veranlagt sind, wage ich mich hinaus in Gottes freie Natur. Mein Ziel dabei, ein ruhiges Plätzchen zu finden, um meinen Gedanken ihren freien Lauf zu ermöglichen. Inwändig, ja ich weiß es muss inwendig heißen, aber es sind meine vier Wände, die mir die Kreativität unmöglich machen. Kaserniert kann ich mich nicht entfalten. Besonders meine weitläufige 1-Zimmerwohnung unterminiert mein Vorhaben mich künstlerisch auszudrücken beziehungsweise auszudrucken, was ich mir erdacht und anschließend elektronisch zu Papier gebracht habe. Lockende Versuchungen sind es, die meine Charakterstärke allmorgendlich auf eine harte Probe stellen und stets obsiegen. Einzimmerwohnungen haben den Vorteil, alles in greifbarer Nähe zu haben, ohne das man auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen ist. Kaum die Augen nach nächtlichem Schlaf geöffnet, steht einem die größte Hürde des Tages bevor. Aufstehen oder liegenbleiben? Eine existenzielle Frage, die mein Bett stellt. Natürlich bin ich nicht im Besitz eines fragestellenden Bettes, aber es ist der Auslöser für diese Frage. Und dann liege ich da, in meinem warmen, eingepupsten Heiabettchen, was schon den Großteil der geräumigen Wohnung in Beschlag nimmt und überlässt mir die schwere Entscheidung. Ausgerechnet mir, der ich doch nicht der Entschlussfreudigste bin. Ich wälze das Problem und mich hin und her. Eine solch eminent wichtige Entscheidung darf ja nicht übers Knie gebrochen werden. „Über`s Knie brechen“ ist allerdings nur eine Redewendung. Praktisch ist es ohnehin kaum zu bewerkstelligen. Zunächst breche ich höchst selten, seit ich dem Alkohol eine Abfuhr erteilt habe und wenn dann ordnungsgemäß in ein zuvor vorsorglich zurechtgestelltes Gefäß größeren Ausmaßes. Neben dem Bett, in Kopfhöhe positioniert, bin ich, trotz desolaten Zustands, in dem Putzeimer meinen Mageninhalt zu befördern. Dank eines, am Eimerboden angebrachten selbstklebendem Fadenkreuz, gelingt dies in Perfektion. Dies habe ich in nüchternem Zustand des Öfteren erprobt, damit es im Ausnahmezustand reibungslos verläuft und nichts daneben geht. Als alleiniger Bewohner bin ich gezwungen, die Wohnung reinlich zu halten. Hätte ich eine Frau, müsste ich mir um all das keine Sorgen machen. Aber wegen der zwei mal im Jahr, wo ein solcher Zustand sich einfindet, eine Frau bei mir wohnen zu lassen, wäre doch arg übertrieben. Auch schon körperlich sehe ich mich nicht in der Lage, die Redewendung in die Tat umzusetzen. So hoch bekomme ich mein Knie nicht an das Gesicht, um dann darüber zu erbrechen. Dafür nun extra einen Gymnastikkurs zu besuchen, erscheint mir der Aufwand nicht gerechtfertigt. Selbst wenn ich es nach einiger Übung hinbekäme, sähe es doch reichlich seltsam und ungelenk aus. Und wirklich sinnvoll wäre es auch nicht. Sollen das doch Profisportler machen, wenn ihnen danach ist. Ich kotze so, wie ich es von meinem Vater gelernt habe. Tradition wird in unserer Familie großgeschrieben, wenn grammatikalisch hier auch klein. Aber zurück zu der aufgeworfenen Frage, Aufstehen oder nicht? Quälend lange Diskussionen habe ich schon darüber geführt. Manchmal bis tief in die Nacht. Dann war meist die Antwort obsolet und ich von einer plötzlich einsetzenden Müdigkeit ergriffen, die mir die Entscheidung abnimmt. Aber es gibt noch viele weitere Punkte, die mich von der Arbeit abhalten. Kaffeemaschine, Kühlschrank, Fernseher, Internet. Alle rufen mir ständig zu: „Benutz uns!“ Und ich gehöre nicht zu der Sorte Mensch, denen solche Hilferufe gleichgültig sind. Sie sind Nuneinmal meine Mitbewohner und fordern zu Recht von mir ihre Aufmerksamkeit. Die Großzügigkeit und der effektive Schnitt meiner Wohnung, lassen es zu, dass ich alles bequem vom Bett aus erreichen kann. Nur die Dusche hat sich ein eigenes Zimmer ausbedungen, weshalb sie auch etwas vernachlässigt wird. Sie nimmt es mir nicht sonderlich übel, da sie so weniger verkalkt. Dadurch profitieren beide Seiten davon und sind sich nicht gram. Von Oktober bis März verlasse ich kaum meine Wohnung, da das aushäusige Wetterangebot meinem Bevorzugten nur selten entspricht. Nach meiner Auffassung gehören Regen, Schnee, Wind, Hagel, Gewitter und Nacht von der Wetterkarte gestrichen. Wenn dann auch noch mehrere Faktoren gleichzeitig sich entschließen eine Kooperation einzugehen, ziehe ich mich in eine formidable Depression zurück, die kein Psychiater mir auszutreiben weiß. Aber wenn die ersten Sonnenstrahlen mich an der Nase kitzeln, dann hält mich nichts mehr auf. Dann stürze ich mich sofort aus dem Bett, energiegeladen und bereit, dem Tag die Stirn zu bieten und beginne sofort mit dem Frühjahrsputz. Erfrischend ist so eine Morgendusche, nach fünf Monaten Abstinenz. Wenn die Kruste erst einmal aufgeweicht ist, lässt sie sich sehr leicht wieder abschütteln. Darunter kommt eine rosige Haut zum Vorschein, die nun wieder wunderbar duftet, nach Vanille oder anderen Kräuterextrakten, die das kombinierte Dusch- und Haargel hergeben, die mir die Nachbarschaft immer in den Briefkastenschlitz reindrückt. Eine liebgemeinte Geste von ihnen. Im Gegenzug bedanke ich mich, indem ich sie mit unnötiger Konversation verschone. Nur ein stummes Nicken erlaube ich mir, um sie nicht aus etwaigen Gedanken zu reißen. Auf diese Weise bleibt der Hausfrieden gewahrt. Was auch gut ist, denn bei solch herrlichem Wetter lasse ich mir Laune ungern vermiesen. Das hebe ich mir für meine Herbstdepression auf. Dafür ist sie ja schließlich damals eingeführt worden. Aber wie bereits erwähnt, suche ich bei eitel Sonnenschein ein ruhiges Plätzchen in der Einsamkeit einer Naturkulisse. Für mich sind Natur und Kreativität untrennbar miteinander verbunden. Ich brauche die Stille und das romantische Grün einer Wiese. Das leise Dahinplätschern eines Flusses. Menschen die lautlos vorübergehen und Rücksicht auf meine schöpferische Tätigkeit nehmen. Dass sie ihre Schuhe ausziehen, wenn sie meinen Dunstkreis betreten, erwarte ich nicht, aber würde es freundlich zur Kenntnis nehmen, wenn sie es tun würden. Selten, wenn nicht sogar NIE tun sie es. Leider laufen nur wenige Menschen alleine vorbei und hüllen sich in Schweigen. Meist tun sie es zu zweit oder gar, was ich als einen Affront auffasse, in Rudeln. Dann durchbrechen sie das von mir ausbedungene Schweigegebot, welches ich in Form eines eigens angefertigten Pappschilds, stets aufstelle. Ältere reagieren ja noch wenigstens auf das Abschießen meiner Schreckschusspistole. Jüngere hingegen schießen eher zurück, was auf die mangelnde Erziehung zurückzuführen ist. Da sei doch die Frage gestattet, was machen diese hochbezahlten Lehrer im Unterricht eigentlich? Die sollen diese Rabauken nicht mit unnötigem Wissen behelligen, sondern ihnen Respekt, Anstand und Benehmen beibringen. Aber was kann man von einer Halbtagskraft mit Ganztagsbezahlung schon erwarten. Die sind doch nur Pädagogen geworden wegen der übertrieben langen Ferien, Feiertage und sogenannter Fortbildungsseminare. Letztere sind doch nur Feigenblätter für ausgiebige Besäufnisse mit Artgenossen. Wann wird endlich das Unterrichtsfach: „Wie verhalte ich mich in der freien Natur, wenn andere Leute die Ruhe genießen wollen.“ Da hilft einem der Satz des Pythagoras nicht weiter. Auch wer die punischen Kriege gewann, ist da weniger hilfreich. Selbst Lateinkenntnisse bringen einen da nicht weiter. Schule sollte sich mehr an der Realität orientieren, statt alten Griechen zu huldigen, die längst tot sind. Und wann trifft man schon einmal einen Lateiner zum Smalltalk? Ich persönlich sitze gerne auf meiner Lieblingsbank am Rhein. Gevatter Rhein lässt mich in Ruhe und ich genieße es, wie er ruhig und sanft dahinfließt. Jedenfalls solange Erin seinem Bett bleibt. In Zeiten, indem er dies nicht tut, bleibe ich auch in meinem, denn auf nasse Füße lege ich keinen gesteigerten Wert. Wenn die Sonne scheint, scheint sie den ganzen Tag auf meine Bank, die ich mir hart erkämpft habe. Denn früher wurde sie von einem Mann okkupiert, der dort seine Heimstätte hatte. Doch nach einer siegreichen Wortschlacht, die ich mit ihm ausgefochten habe, zog er nicht nur den Kürzeren, sondern auch mit seinem Tetrapack Lambrusco von dannen. Ich gestattete ihm jedoch, man ist ja kein Unmensch, die Bank nachts für mich zu bewachen, damit sie nicht von alkoholisierten Gruppen missbraucht wird.
So weit, so gut. Doch die Idylle trügt. Denn es gibt auch eine Spezies von Hartnäckigen. Menschen, wenn ich sie einmal so ungern nennen möchte, die meine Privatsphäre nicht achten. Ja ich ziehe sie geradezu magisch an. Ungehobeltes Pack, was sich, ohne zu fragen, einfach auf meine Bank setzt, ungeachtet dessen, dass sie nicht einmal um Erlaubnis fragen, wohlwissend das ich ihnen das Parken ihres Gesäßes nicht gestatten würde. Es wäre ja vielleicht noch zu tolerieren, wenn sie mich wenigstens in Ruhe lassen würden. Doch dies tun sie mitnichten. Als ob ich sie zu einem Gesprächskreis eingeladen hätte, plappern sie unaufgefordert munter drauflos. Inhaltlich jedoch indiskutabel. Ich reagiere natürlich nicht darauf und erkläre schmallippig, ich sei von Geburt an taubstumm. Jedoch hindert sie dies nicht und sprechen fortan auch noch mit Händen und Füßen. Manche führen sogar kleine Pantomimen auf. Nur, um mir den Tag zu versauen. Dies gelingt ihnen auch regelmäßig. Respekt habe ich nicht vor ihnen, nur vor ihrer Ausdauer. Meine Ignoranz ihnen gegenüber scheint sie dabei nicht zu stören. Mit unglaublicher Penetranz versuchen sie, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Die Verachtung, die ihnen meine Augen entgegenbringen, scheinen sie nicht zu bemerken oder was noch unverschämter ist, sie halten, dem bösen Blick einfach stand. Selbst den Auswüchsen meiner mittäglichen Bohnensuppe, Garant selbstbestimmter Einsamkeit, stehen sie ignorant entgegen. Weder auf Geräusche noch auf Veränderung der sauberen Luft scheinen sie zu reagieren. Dabei fällt selbst mir das tiefe Einatmen zunehmend schwer. Obgleich ich damit nur allzu vertraut bin. Selbst mein selbstbeschriebenes T-Shirt scheint sie nicht zu stören oder in dieser Stadt gibt es mehr Legastheniker als gedacht.
„Achtung! Sie betreten eine deodorantfreie Zone!“ Deutlicher kann man ja wohl nicht auf meine Waschphobie informieren. Dennoch und trotz all dieser Maßnahmen, wagen es immer wieder wagemutige Menschen sich auf meine persönliche Bank. Dabei gibt es im nahen Umfeld unzählige Banken, die nicht minder komfortabel sind. Ich habe einmal durchgezählt. Da stehen in reih und Glied fünfundzwanzig Banken. Und alle bieten dieselbe Aussicht, da alle in die gleiche Richtung aufgestellt wurden. Jede für sich mit Blick auf den Fluss, der sich extra an ihnen vorbeischlängelt. Da kann ich doch wohl erwarten, dass man sich für eine andere Bank als die meine entscheidet. Aber nein, wenn es eine Bank sein muss, dann die, wo der nette Alleinsitzende Mann bereits verweilt. Erst neulich wieder trat eine unerschrockene alte Frau, voll bepackt mit Taschen und einem Einkaufstrolley an mich heran. Ich ahnte, was sie vorhat und reagierte sofort. Mit beiden Zeigefingern, die mir der liebe Gott zu diesem Zwecke geschenkt hat, wies ich deutlich auf die Aufschrift, die auf meinem T-Shirt prangt. Sie nahm etwas ungelenk, wohl auch wegen ihrer Gehhilfe, ihre Lesebrille aus der Handtasche und wechselte diese mit ihrer normalen Brille und begann zu lesen.
„Ach Gott sie Armer! Deswegen sitzt wohl niemand bei ihnen. Das tut mir aber leid. Ich finde, keiner sollte wegen seiner selbstbestimmten Weigerungshaltung stigmatisiert werden. Wir leben in einem freiheitlichen Land und ich respektiere, akzeptiere und unterstütze jede Minderheit und kämpfe gegen Ausgrenzung und Intoleranz.“
Ungläubig und mit einem leichten Anflug von Verzweiflung lächelte ich sie gequält an.
„Sie waren einmal sicher Religionslehrerin oder wenigstens Haushälterin bei einem Pfarrer!“, stellte ich seufzend fest.
Und schon saß sie auch schon neben mir auf der Bank. Hätte ich nur nichts gesagt und wie sonst, einfach geknurrt. Mein Nachahmen eines Dobermanns, sind nämlich zu recht gefürchtet. Aber nun war es zu spät. Ich war Gefangener meiner eigenen Unzulänglichkeit.
„So schlimm riechen sie auch gar nicht.“, stellte sie nach einer Schnupperprobe fest.
„Oh, na das tut mir leid. Aber ihre Meinung ist Ansporn für mich, dem dringend entgegenzuwirken.“, meinte ich bedauernd.
Sie lächelte mich an und tätschelte mir aufmunternd die Schulter.
„Um auf ihre vorhin vermutete These einzugehen, ich war wirklich Theologielehrerin für katholische Religion und führte zusätzlich den Pfarrhaushalt für meinen Bruder. Leider kam es in der Gemeinde zu Unstimmigkeiten und er wurde weggelobt und arbeitet heute in einem Archiv des Vatikans. Ich hätte ja mitgehen mögen, aber ich wollte dann doch nicht, als ich erfuhr, der Klerus duldet nur Schwestern in ihren Mauern, die Nonnen sind. Zu diesem Schritt bin ich jedoch noch nicht bereit, weil es mich verpflichten würde Kinder- und ehelos zu leben. Damit würde ich mich ja selbst vom Heiratsmarkt nehmen und jegliche Hoffnung auf eine eigene Familie aufgeben.“
Bei ihren letzten Worten schluchzte sie und auch mir trieb es die Tränen in die Augen, jedoch nur weil mir eine unachtsame Fliege gegen die Iris geknallt war. Der Aufprall reizte meine Tränendrüse und brachte damit den Flüssigkeitslauf in Gang.
„Sie müssen wegen meines schweren Schicksals nicht weinen.“, tröstete die Alte mich und nahm mich in ihren Arm.
Körperliche Nähe war mir schon von jeher zuwider und ich sträubte mich dementsprechend vehement. Doch ihre Umklammerung war so massiv, so das bei mir der Verdacht aufkam, sie müsse einmal Catcherin gewesen sein. Schließlich gelang es mir meine Hände zu befreien und begann sie zur Aufgabe zu bewegen. Jedoch schien ihr mein Würgen nicht sonderlich zu bekommen. Wortlos sank sie in sich und glitt auf den schmutzigen Boden. Manch ein unschuldiges Grashalm knickte unter ihrem Gewicht ein. Tausende von ihnen folgten dem Beispiel. Erst als ich die alte Frau aufhob, erkannte ich das ganze von ihr angerichtete Ausmaß der Verwüstung. In meiner angeborenen Hilflosigkeit wusste ich nicht so recht mit ihrer Leblosigkeit umzugehen. Ordnungsliebend wie ich nun einmal bin, setzte ich sie vorsichtig auf die Bank, damit sie nicht erwacht und ich meine Ruhe habe. Und sie erwies sich als sehr zuvorkommend und erwachte, bis ich aufbrach, nicht wieder. Ganz entspannt konnte ich, meine Geschichte nun zu ende schreiben. Am nächsten Tag, die Sonne trieb mich schon früh aus dem Bett, war meine Bank wieder frei. Die alte Frau war weg oder von meinem obdachlosen Bankmitbenutzer vertrieben worden. Dafür hatten irgendwelche Leute Blumen und Kerzen um die Bank herum verteilt. Ich genoss die Einsamkeit auf meiner Bank, jedenfalls so lange bis ein älterer Mann vorbeikam. Verlegen betrachtete er das Blumenmeer, was sich mittlerweile gebildet hatte und schien unschlüssig. Ich setzte gewohnheitsmäßig meinen „Setz dich bloß nicht hierhin“ Blick auf, doch schien ihn dies nicht weiter zu stören. Aber die Blumen und die vielen Kerzen irritierten ihn weitaus mehr. Dann sah er von dem Blütemeer auf zu mir. Dann wieder hinab. Dann zu mir. Ich grinste innerlich in mich hinein. Deutlich war ihm anzusehen, dass er nicht mehr lange auf seinen, von den Jahrzehnten voll mühsam und plag erschöpften Beinen, stehen konnte. Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder er versucht, sich auf meine Bank zu setzen, oder er wird einfach vornüber kippen.
Meine Sorge war nun in doppelter Hinsicht begründet. Will er sich setzen, will er sich auch unterhalten und ich bin gezwungen ihm das gleich auszutreiben und ihn dann vertreiben. Fällt er jedoch um, so wäre dies normalerweise kein Problem. Dann wird er ignoriert. Nun stehen dort aber die vielen Kerzen und wenn er dort hineinfällt, wird er sich hundertprozentig entzünden. Und dann ist das Geschrei groß. Feuerwehreinsatz, Polizeisirenen und Gaffer, die sich menschentraubenmäßig ansammeln, sind dann zu befürchten. Und mit meiner Ruhe ist es vorbei. Argwöhnisch beobachtete ich ihn, für welchen Weg er sich wohl entscheiden würde. Doch ich hatte den Alten unterschätzt. Er entschied sich für einen dritten Weg, auf dem ich im Leben nicht gekommen wäre. Langsam und mit letzter Kraft sank er auf seine Knie, faltete die Hände und murmelte leise etwas. Wie ich heraushören konnte, handelte es sich dabei um ein Gebet. Dabei sah er mich inbrünstig an. Es war ganz offensichtlich. Er betete mich an. Endlich, nach all den vielen Jahren der Nichtbeachtung meiner künstlerischen Tätigkeit, wurde mir zum guten Schlusse doch noch die verdiente Anerkennung zuteil. Meine Rührung und Dankbarkeit war grenzenlos. Ich erhob mich, stellte mich vor meinen Jünger und schlug das Kreuz über ihn. Freudig erhob sich der Alte und setzte sich auf meine Bank. Ich setzte mich neben ihn und begann sofort von dem zu

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Rolf Bidinger
Tag der Veröffentlichung: 29.04.2022
ISBN: 978-3-7554-1302-8

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