Cover

Was Sie wissen müssen oder eben nicht!

Herzlich willkommen!
Diese zwei kleinen Worte, die so unschuldig daherkommen, sind so gemeint, wie sie dastehen. Wochenlanges Nachdenken gingen dem voraus, bevor die Entscheidung getroffen war, sie an den Anfang dieses Buches zu stellen. Das Abwägen, ob es vielleicht zu aufdringlich sein könnte oder gar anbiedernd, ja selbst der Verdacht stand im Raum, es würde zu sehr in ihre Privatsphäre eindringen, waren von mir aufgeworfene Fragen, die ich, als ihr zuständiger Schriftsteller, zu verantworten habe. Der Gedanke hinter dieser Entscheidung, zu der ich mich dann doch nach langer Diskussion mit mir selbst und meinen Zweifeln durchringen konnte, war ein zutiefst menschliches Ansinnen.
Ich wollte etwas Wärmendes, etwas Anerkennendes, etwas Liebevolles in ihren lesenden Alltag bringen.
Natürlich hätte ich auch ein kaltes, bürokratisches Vorwort an den Anfang stellen können, doch dies würde dann niemals das erreichen, was ich nun hoffentlich geschafft habe, die Distanz zwischen uns zu verringern. Damit mache ich Ihnen das unglaubliche Angebot, die Nähe zu mir zu suchen und sich dort wohlfühlen zu können. Nehmen Sie ruhig das Geschenk der Geborgenheit, der Sicherheit, die ich ihnen damit schenken möchte, an, ohne dass sie dafür einen kostenpflichtigen Aufschlag zahlen müssen. In Bezug auf meine Leserschaft war ich schon immer großzügig. Andere, weit weniger zugewandte Kollegen, suchen erst gar nicht den Kontakt zu ihrer Leserschaft. Die nehmen in verwerflich kapitalistischer Weise die Tantiemen und lassen es sich in Südfrankreich oder in Entzugsklinken gutgehen.
Diese, von mir zu Recht kritisierten und bloßgestellten Kollegen, geben sich nicht die Mühe, für die ich in Kennerkreisen gelobt werde. Entweder schreiben sie die gefürchteten und meist langweiligen Vorworte, denen es häufig an substanzieller Substanz fehlt, weil sie lieblos heruntergeschrieben werden oder, was geradezu verantwortungslos ist, sie werfen ihre Leser direkt ins kalte Wasser, indem sie ohne Vorwarnung mit ihrer Geschichte beginnen. Da hauen die einen Anfangssatz heraus, den die Leser unvermittelt trifft. Gerade ungeübte, unerfahrene Leser fühlen sich häufig überfordert und sind so erschreckt, wenn nicht gar angewidert, dass ihnen ein Weiterlesen unmöglich ist.
Ich hingegen möchte meine Leser sanft auf das Vorbereiten, was sie auf den nächsten Seiten erwartet. Deshalb wähle ich den aufmunternden und sanften Einstieg.
Viele Leser widmen sich erst gar nicht dem Vorwort, wenn da gleich zu Beginn Vorwort steht. In der Literaturszene geistern Vorworte herum, von denen niemand weiß, was sie beinhalten, weil keiner sie je gelesen hat. Das ist natürlich eine Verschwendung von Wörtern!
Deshalb habe ich mir ein System patentieren lassen, indem ich Vorworte unter einer anderen Überschrift verfasse, um die Leser nicht schon zu Beginn an zu verschrecken. Damit warte ich stets, bis sie das erste Kapitel gelesen haben. Aber dann habe ich sie schon am Haken und sie sind mir verfallen.
So, jetzt wissen sie Bescheid und ich möchte sie nicht länger von der Lektüre abhalten. Und, um das legitime Mittel der Wiederholung zu nutzen: Herzlich willkommen!

Das Märchen von Hans, der zum Glück den Wolf, noch vor Schneewittchen, in den Backofen schob!

„Opa, erzählst du mir ein Märchen?“
Ein Satz, der heutzutage jeden Großvater in Panik versetzt. Waren Opas früher, wenn ihnen diese Aufgabe zuteilwurde, ab siebzig aufwärts. Heutzutage sieht sich ein Großvater bereits mit Mitte vierzig damit konfrontiert. Der moderne Opa von heute wird immer jünger. Dafür muss er die Schuld bei sich selbst suchen. Wer in jungen Jahren seinen ausgeprägten Sexualtrieb nicht im Griff hat, der darf sich nicht wundern, wenn er schon in der Spätpubertät sich als „Papa“ titulieren lassen muss. Wenig später hört er auf „Alter“ und dann ist es nur ein kleiner Schritt hin zu „Opa“. Spätestens dann muss er erkennen, dass sein obligatorisches Vater-Sohn-Aufklärungsgespräch, von Erfolg gekrönt ist. Der nichtsnutzige Sohn ging sofort von der erlernten Theorie in die Praxis über, schwängerte das erst beste Mädchen, die ebenso lernbegierig ist und schon ward aus einem Papa ein Opa. Von da an, nennt selbst der Sohn seinen Vater Opa. Das klingt verwirrend, findet aber weltweit Anwendung. Für das weibliche Pendant gilt das gleichermaßen! Nur eben in der Abwandlung! Hier wird aus der Mama, Oma.
Doch dies nur nebenbei.
Während ein alter Opa noch seine Märchen der Gebrüder Grimm aus dem Effeff kennt, sind sie dem jungen Opa nicht mehr geläufig, höchstens noch rudimentär. Womit wir zu der Problematik der Ursprungsfrage zurückkommen:
„Opa, erzählst du mir ein Märchen?“
Schon in der Stellenbeschreibung eines fürsorglichen Opas ist vermerkt, dass er die Wünsche seiner Enkel beachten und erfüllen muss. Als er noch „nur“ Vater war, konnte er solche Fragen noch abwimmeln oder an die Mutter delegieren. Aber als Opa geht das nicht, denn Opas sind ja ausnahmslos lieb. Die wenigen, die dies nicht sind, weil sie eine verkorkste Kindheit hatten, sind, glücklicherweise für den wissbegierigen Enkel, im Gefängnis.
Früher, als Opas noch richtige Opas waren, da konnten sie wenigstens noch spannende Geschichten aus dem Krieg erzählen. Heutigen Opas fehlt diese Erfahrung.
Dies soll es zunächst, um sie nicht zu überfordern, gewesen sein, mit den nötigen gesellschaftspolitischen und historischen Informationen. Kehren wir nun, ohne weitere lästige und überflüssige Unterbrechungen, zurück zur Ursprungsfrage, die als Auslöser der nun folgenden Geschichte gilt:
„Opa, erzählst du mir ein Märchen?“
Da sitzt nun der Opa da, freut sich auf die samstägliche Sportschau und vor ihm sein Enkel, dem die Langeweile ins Gesicht geschrieben ist. Kaum fünf Jahre und schon willens, den Opa herauszufordern.
Noch ignoriert der Opa die Frage, denn die Bayern haben gerade einen Elfmeter bekommen.
„Pssst, jetzt nicht“, sagt er, ohne von dem Bildschirm wegzusehen.
Doch hat er die Rechnung ohne seinen Enkel gemacht, dem man durchaus eine gewisse Hartnäckigkeit nachsagen kann.
Um die Dringlichkeit seiner Frage zu verdeutlichen, stellt er sich vor den Fernseher und erneuert sein Anliegen, diesmal mit Nachdruck.
„Opa, erzählst du mir ein Märchen?“
Im Fernsehen jubelt ein ganzes Stadion. Bis auf Opa haben alle gerade einen tollen Elfmeter gesehen. Als Vater hätte er ihn nun ins Bett geschickt, und zwar ohne Abendessen. Als Opa ist ihm diese Möglichkeit verbaut. Ihm bleibt nur, den Enkel psychologisch auszutricksen, um wieder freie Sicht auf die Bayern zu bekommen.
„Geh mal zu Oma, ich glaube, die backt gerade Plätzchen!“
Damit versucht er, eine Interessensverschiebung bei seinem Enkel zu erreichen.
Doch da wir gerade uns im hochsommerlichen Juli Befinden, ist diese These sehr gewagt und zeugt von einer verzweifelten und unüberlegten Aussage, die sich sehr schnell als ausgemachte Lüge erweisen kann, selbst bei einem Fünfjährigen.
Der Enkel geht, was nicht gerade für ihn und seine späteren beruflichen Aussichten spricht, schnurstracks in die Küche. Erleichtert widmet sich der Opa seinem Lieblingsverein, der sich gerade eine aussichtsreiche Ecke erspielt hat. Doch die Ruhe währt nicht lange. Kaum setzt der millionenteure Spieler zum Schuss auf das Tor an, als sich eine Bildstörung einstellt, in Form der gewichtigen Oma, die, als sie noch nur Mutter war, den Bildschirm noch nicht ganz ausfüllte.
Ohne ihren Besuch im Wohnzimmer hätte er ein wunderbares Eckstoßtor sehen können.
„Malte, warum erzählst du dem Jungen solchen Unsinn. Er möchte, dass du ihm ein Märchen erzählst. Jetzt tu das, damit wir nachher in Ruhe essen können.“
Mit dieser Ansage schaltet sie den Fernseher aus und verschwindet in der Küche.
„Opa Malte, erzählst du mir jetzt ein Märchen?“
„Ja Johannes, wenn Oma sagt, ich soll dir eines erzählen, dann ist es besser, wenn ich das tue“, sagt er.
Erstaunlich ist es ja auch, wenn ich ihr Augenmerk einmal auf die Namensgebung von Opa und Enkel richten darf, wie sich alles umgekehrt hat. Früher hießen Opas ja eher Johannes und die Enkel Malte. Inzwischen sind die Maltes schon Opas und die Enkel bekommen alte Namen von längst verstorbenen Uropas. So ändern sich die Zeiten.
Doch, um zurückzukommen, zu der Frage, die nach wie vor unbeantwortet ist:
„Opa, erzählst du mir ein Märchen?“
„Ja!“, erklärt der Opa.
Und gerade auf dieses erlösende „Ja“ haben wir wohl alle gewartet, denn nun kann das Märchen endlich beginnen.
„Es war einmal ...“, beginnt der Opa, gefolgt von einer langen Pause.
Dann trinkt er einen Schluck Bier. Dann noch einen. Offenbar hat er den Faden verloren. Das ist natürlich, angesichts des vielversprechenden Anfangs, etwas schade.
„Weiter Opa“, drängt nun der Enkel und setzt damit den Opa massiv unter Druck.
„Ja doch! Also, es war einmal ein ... ein ... eine schöne Prinzessin!“
„Nee Opa, keine Prinzessin! Ich will was mit Drachen und Hexen. Prinzessinnen sind doch nur was für Mädchen.“
„Gerade wollte ich erzählen, dass die Prinzessin in Wirklichkeit eine alte Hexe ist, die sich verwandelt hat, um dem Prinzen zu gefallen. Und der Prinz suchte in einem fremden Land sein Glück, als er unterwegs auf einen großen Drachen traf, der alle Felder des Landes in Feuer gesetzt hatte und nun mussten die Menschen hungern. Und der Prinz hieß Fritz!“
„Nein Opa. Den Fritz kenn ich aus dem Kindergarten. Der ist gar kein Prinz!“, rief der kleine Johannes aufgeregt.
„Gut, heißt er eben nicht Fritz. Der Prinz trug den Namen ...“
„Hans – Hans – Hans!“, plapperte der Enkel aufgeregt.
„Meinetwegen Hans!“, gab Opa Malte dem Kleinen nach.
„Jaaaaa!“, rief Johannes.
„Dann sei jetzt still und unterbrich Opa nicht!“, mahnte Opa Malte.
„Also ich rekapituliere!“
„Waaas?“, wollte Johannes wissen, dem man scheinbar das Wort „rekapitulieren“ noch nicht beigebracht hatte, was in den Augen von Malte, ein schlechtes Licht auf den Kindergarten wirft.
„Ich fang nochmal von vorne an“, erläuterte Opa und sehnte sich nach einem Märchenbuch, aus dem er einfach vorlesen könnte.
„Also, es war einmal eine Hexe, die sich in eine Prinzessin verwandelte, um so dem Prinzen zu gefallen, der gerade auf einer Geschäftsreise im Ausland war. Die ausländischen Mitbürger hungerten, weil ein gemeiner und bösartiger Drache über das Land flog und alle Äcker abbrannte.“
„Nein, der Drache soll lieb sein!“, rief sein Enkel und begann zu weinen.
Der Opa wusste nicht, dass sein Enkel sich für den Tierschutz einsetzt. Und sofort änderte er rasch die Geschichte und passte sie den Wünschen seines Enkels an.
„Die Bürger dachten, er sei böse, weil er ja die ganzen Felder und Wiesen abbrannte. Sie konnten ja nicht wissen, dass der Drache krank war. Der Drache litt nämlich unter Schluckauf. Bei jedem Schluckauf spie er Feuer. Und er war ganz traurig, weil alle ihn für böse hielten. Denn eigentlich war er ein sehr freundlicher und lieber Drache. Doch das wussten die armen Bürger nicht, denn es gab noch kein Kinderfernsehen, wo einem das erklärt wird. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Fertig! Jetzt kannst du zur Oma gehen, spielen oder spülen oder wozu du sonst noch Lust hast. Opa schaut jetzt die zweite Halbzeit.“
Damit war für Opa Malte die Märchenstunde beendet. Doch sein Enkel ging in die Opposition, ohne die Bedeutung des Wortes zu kennen.
„Nee Opa, noch nicht fertig. Der Hans muss was machen, damit die Bürger keine Angst mehr vor dem Drachen haben und dann kriegt er eine Belohnung“, erklärte Johannes dem Opa, wie das Märchen weiterzugehen hat.
„Also gut du Quälgeist, dann höre, wie das Märchen ausgeht“, meinte Opa Malte, leicht angestrengt.
„Ja Opa und ganz spannend machen“, forderte der Enkel jetzt auch noch zusätzlich.
Langsam sehnte sich Opa Malte danach, dass die Eltern des Kleinen kommen mögen und ihn abholten.
„Oma, wann wird Johannes denn abgeholt?“, rief er durch die Wohnung.
„Morgen“, antwortete die Oma aus der Küche und zerstörte damit seine letzte Hoffnung.
„Prima“, meinte Johannes und grinste Opa frech an. „Dann kannst du mir auch noch eine Gute Nacht Geschichte vorlesen.“
Opa Malte wünschte sich zurück ins Vaterstadium.
Dann könnte er nun den ungezogenen Bengel ins Bett schicken, ohne Angabe von Gründen. Als Opa ginge das nur, wenn Oma schon verstorben wäre. Omas sind immer auf der Seite der Enkel und verbrüdern sich mit ihnen. Oder sie verschwestern sich, wenn sie eine Enkelin haben. Bei mehreren und diversen Geschlechtern der Enkel, vergeschwistert sie sich mit ihnen, gegen den Opa natürlich. Wie dem auch immer sei, in jedem Fall zog der Opa den Kürzeren.
„Dann hör zu, ich erzähle schnell zu Ende, weil der Opa unbedingt noch den Schluss des Fußballspiels gucken muss, damit ich weiß, wie es ausgeht.“
„Kannst du doch im Videotext nachlesen oder googeln“, entgegnete sein Enkel altklug, der mit seinen fünf Jahren, voll sozial Media affin war.
Opa Malte war auf ganzer Linie geschlagen und er wusste das genau. Zu allem Überfluss drängte sich Johannes nun auch noch auf den Schoß von Opa. Leider besaß sein Enkel nicht gerade das Idealgewicht für einen fünfjährigen. Ginge es nach Gewicht, stünde er eigentlich schon kurz vor dem Abitur. Nun aber musste Opa Malte mit der Doppelbelastung umgehen.
„Also Johannes, wo war ich? ... Ja richtig ... Die Bürger hatten schreckliche Angst vor dem Drachen. Da kam eines Tages Hans in das Dorf, wo die verängstigten Leute wohnten. „Da haben wir jetzt aber Glück!“, meinte der Bürgermeister und fortan nannte man ihn, Hans im Glück. Sie gaben ihm ein Messer und schickten ihn zu dem Drachen, damit er ihn erstach. Weil der kleine Hans im Glück neu in dem Dorf war und sich nicht gleich unbeliebt machen wollte, sagte er zu, den Auftrag zu erfüllen. Und so machte er sich auf den Weg. Als er durch einen Wald kam, kreuzten drei kleine Schweinchen seinen Weg, die davor flüchteten, vom Drachen zu Spanferkeln gegrillt zu werden. An der nächsten Weggabelung wusste er nicht weiter, da kein Hinweisschild angebracht war, was zu dem Drachen führte. Aber da kam ein altes Mütterchen aus dem Unterholz. Sie war sehr unansehnlich. Sie hatte zwei große Ohren, ein großes Maul und war unrasiert.
„Hallo Mütterchen, ich bin Hans im Glück“, sagte Hans im Glück.
„Hallo Hans im Glück, ich bin ein altes Mütterchen und ich warte gerade auf den Bus. Meine Enkel wollen mich besuchen kommen. Der Hänsel und seine Schwester Dornröschen, die bei den sieben Raben wohnt.“
„Ich suche den Drachen! Aber ich habe mich verlaufen“, meinte Hans im Glück.
„Oh, tut mir leid, den kenn ich nicht. Aber da vorne ist ein altes Knusperhäuschen. Da wohnt Frau Holle, die spinnt Stroh zu ...“
Opa Malte hing. Grob konnte er sich zwar noch erinnern, dass jemand Stroh zu etwas spinnen musste, um so der Königin Kind zu retten, wenn man nicht den Namen von dem Mann, der um ein Feuer tanzt, herausbekam oder so ähnlich.
„Opa weiter!“, forderte der Enkel.
„Ja doch, nur Geduld. Hans im Glück wünschte der unrasierten alten Frau einen schönen Tag und ging weiter, bis er an eine alte Hütte kam. Dort klingelte er und zwei Zwillinge öffneten. Es waren Schneewittchen und Rosenrot. Sie gingen bei Frau Holle in die Lehre. Den ganzen Tag musste sie Gänsen die Federn rausrupfen und dann daraus Kissen machen. Frau Holle selbst war nicht da, weil sie auf einer Fachmesse für Bettenzubehör weilte. Die beiden dummen Gänse wussten auch nichts von einem Drachen und langsam glaubte Hans im Glück, die Bürger hätten ihm einen Bären aufgebunden. Genervt ging er weiter, als er plötzlich eine Stimme hörte. „Hol mich hier raus! – hol mich hier raus.“
„Cool Opa, weiter!“, rief Johannes und hüpfte aufgeregt auf dessen Schoß.
„Auf einer Lichtung waren sechs Wanduhren aufgestellt und ein Backofen, mit Ober- und Unterhitzefunktion. Aus allen Geräten kamen Hilferufe. Als Hans im Glück alle sieben Zwerge befreit hatte, luden sie ihn ein, von ihrem Tellerchen zu essen und in ihren Bettchen zu schlafen.
Doch dann kam auf einem schwarzen edlen Pferd Rumpelstilzchen angeritten und behauptete, die Zwerge wären aus seinem Vorgarten weggelaufen.
Er trieb sie mit einem Knüppel in den Sack und ritt wieder fort. Der arme Hans blieb allein und verlassen zurück.
Die Tage vergingen und Hans im Glück bekam Hunger. Und weil er eben Hans im Glück war, kam er an einem Feld vorbei, wo Rapunzeln standen. Daraus machte er sich einen leckeren Salat. Alsbald roch er etwas, das verführerisch duftete.
Und Hans im Glück dachte sich, da muss ich hin, denn etwas Besseres als den Tod findest du überall. Er zog aus dem Rucksack seine Siebenmeilenstiefel heraus, denn plötzlich hatte er es eilig. Er lief und lief. Endlich, hinter den sieben Bergen kam er zu einem Maisfeld. Groß, gewaltig und bedrohlich stand dort der Drache und versuchte gegen seinen Schluckauf anzukämpfen. Dies gelang ihm nur mittelprächtig, denn das halbe Maisfeld brannte bereits. „Hallo, ich bin ein Drache!“, sagte der Drache. „Bist du vielleicht Siegfried? Ich habe gehört, der möchte was von mir.“ „Aber Nein! Ich bin Hans im Glück“, beeilte sich Hans im Glück ihn zu beruhigen. Gerade wollte Hans im Glück seine Lebensgeschichte erzählen, als sie plötzlich ein lautes Ploppgeräusch hörten.
Aus allen vier Himmelsrichtungen ploppte es nun.
Den Maiskörnern war es so heiß geworden, dass sie aufgingen und als Popcorn zur Erde fielen. Daraufhin beschlossen der Drache und Hans im Glück, das Popcorn ins Dorf zu bringen und dort gewinnbringend zu verkaufen. Doch vorher musste der Drache unbedingt seinen Schluckauf loswerden, denn sonst würde er ja weiterhin unkontrolliert Feuer spucken, was so mancher als sehr unhöflich ansehen würde, besonders bei Tisch. Und Hans im Glück, wäre nicht Hans im Glück gewesen, wenn er nicht glücklicherweise eine Idee gehabt hätte. Er nahm aus seinem Sack einen riesigen Rasierspiegel heraus und sprach ihn an.
„Spieglein, Spieglein in meiner Hand, zeig mir die hässlichste Fratze im ganzen Land.“
Und der Spiegel tat, was Hans im Glück ihm befahl, denn er wollte keinen Scherereien.
Im Spiegel erschien eine furchteinflößende, eine pockennarbige, eiterpickelige, zahnlose, glatzköpfige und zänkische Frau! Hans im Glück hielt den Spiegel dem Drachen vor. Als das Weib ihm schöne Augen machte, erschrak der Drache so sehr, dass sein Schluckauf von jetzt auf gleich verschwunden war.
Von diesem Augenblick an war der Drache ungefährlich und akzeptiert von den Bürgern. Er wurde sogar Brandmeister der freiwilligen Feuerwehr und ein geachtetes Gemeindemitglied. Und wenn sie nicht insolvent geworden sind, dann leben sie heute noch glücklich vom Popcornverkauf.“
„Boah Opa, das war ne voll fette Story!“
Dann hüpfte ein zufriedener Enkel vom Schoß seines Opas und lief zur Oma in die Küche und wollte unbedingt Popcorn haben.
Opa Malte hingegen war froh, doch noch das Märchen von Hans im Glück, so originalgetreu wie möglich, erzählen konnte.
Zufrieden mit sich schaltete er den Fernseher wieder ein und bekam gerade noch den Schlusspfiff mit.
Und das Beste an der ganzen Geschichte war: Die Bayern haben verloren!
Doch leider ist es eben nur ein Märchen.

 

 

Die Hochzeitsrede

„Ich heirate und möchte dich gerne als Trauzeugen haben!“
Was für andere eine Ehre sein mag, brachte mich nicht nur in Bedrängnis, es führte mich tief in eine persönliche Krise.
Johannes hatte mich in unsere frühere Stammkneipe eingeladen und rückte erst nach dem vierten Bier mit seinem Anliegen raus. Das war nicht ganz ungeschickt von ihm, denn in nüchternem Zustand wäre ich nicht so leicht zu überrumpeln gewesen. Und die Tragweite, die zwei kleine Worte von mir auslösten, konnte ich daher nicht absehen.
„Klar, gerne!“
Der verkaterte Morgen danach brachte erst das ganze Ausmaß, dieser eigentlich so unschuldigen Worte, in mein Bewusstsein.
„Klar, gerne“, sagte ich mir immer wieder laut vor, weil ich einfach nicht glauben konnte, was ich da getan hatte.
Ich hatte ihm mein Wort gegeben und nun gab es kein Zurück mehr. Ich war ein Gefangener meiner eigenen Blödheit. Warum habe ich nicht einfach „Nein“ gesagt? Warum habe ich nicht gesagt: „Du grundsätzlich gerne, aber ich plane auszuwandern! Außerdem bin ich aus der Kirche ausgetreten und damit das Recht verwirkt, jemals wieder ein Gotteshaus betreten zu dürfen.“
Aber nein, ich Idiot sage: „Ja, gerne!“
Und während ich noch hin und her schwankte, zwischen Aspirin und einem Matjesbrötchen, kam mir eine Frage in den Sinn, die ich vergessen hatte zu stellen und die vielleicht nicht ganz unwichtig war. Ich nahm mein Handy zur Hand und wählte Johannes Nummer.
„Du ich bin`s ... du ich wollte nur ... ja ... ja war ein toller Abend gestern ... Nein, mir geht es super ... du, nur kurz ne Frage ... Welche Rede? ... Ach, ist das so? ... Nee du, nee das war mir nicht so bewusst ... Klar, gerne! ... Du ich wollte nur eins kurz noch wissen ... Wen heiratest du eigentlich? ... Da kamen wir gestern gar nicht mehr zu. ... Ach die Tanja! ... Kenn ich die? ... Ach, so kurz erst! ... Was ist denn aus Jenifer geworden? ... Was ist die? ... Nein! ... Was für eine Schlampe! ... Ich fand ja schon immer, ihr passt nicht zusammen! ... Aha ... ja, wenn du meinst ... Morgen Abend habe ich Zeit! ... Ja, wäre vielleicht nicht schlecht, deine Tanja vorher einmal kennenzulernen. ... Du, ja ich freu mich ... So so, Liebe auf den ersten Blick ... Ja, soll es ja geben! Hauptsache du bist glücklich. ... Ach bestimmt ... warum soll ich sie nicht mögen ... Johannes, bloß weil ich solo bin ... Du solltest deine Eifersucht mal in den Griff kriegen. ... Hör mal, ich habe noch nie jede angebaggert ... dass Georg sich von Marita getrennt hat, das lag nicht an mir. ... Die Ehe war schon vorher am Kriseln! ... Ich bitte dich, was hat Rumknutschen mit Fremdgehen zu tun! ... Ach, das sind doch olle Kamellen. ... Natürlich war ich nicht mit ihr im Bett. Nein wirklich nicht. Das war im Auto! ... Entschuldige mal, du hast mich doch bedrängt, dein Trauzeuge zu werden. ... Oh nein mein Freund, so einfach lasse ich mich nicht ausbooten! ... Du findest keinen Besseren als mich ... Ja, versprochen, ich lasse die Finger von ihr ... gut, dann ist ja alles geklärt ... also bis morgen und Grüße an Tanja ... was denn für ein Unterton? Das war nur aus reiner Höflichkeit. ... Also gut, hiermit sage ich ganz hochoffiziell, ich möchte nichts von deiner Tanja ... Muss das wirklich sein? ... Also gut ... Ich schwöre es ... welchen Zusatz? ... wenn du drauf bestehst ... So wahr mir Gott helfe ... Ja gut, dann morgen um acht ... Tschüss Johannes ... sei unbesorgt. Nein, nein ich habs doch geschworen! ... Du Johannes, es klingelt gerade. Ich glaube, über mir gibt es einen Rohrbruch ... Ja ja, bis morgen ... oh es tropft schon die Decke runter ... ja tschüss Johannes ... was? Ja dann lass halt die Grüße weg ... Tschau!“
Leicht ermattet und angefressen legte ich auf und hatte für mich die Entscheidung, zwischen Aspirin und Matjeshering, getroffen. Ich machte mir ein Bier auf, wenn es auch gegen meine selbstaufgestellte Regel verstieß: Kein Bier, solange der Magen leer ist.
Im Leben gibt es Ausnahmesituationen, indem man seine guten Vorsätze über Bord werfen muss.
Dazu zählen: Todesfall eines Erbonkels, die deutsche Fußballmeisterschaft von Arminia Bielefeld und die gesicherte Prognose eines Weltuntergangsszenariums. Die Liste erweiterte ich nun und fügte Telefonanrufe mit Johannes hinzu.
Hatte er doch allen Ernstes meine Kompetenz als Trauzeugen infrage gestellt. Ausgerechnet ich, der noch nie jemanden seine Zukünftige ausgespannt hat. Also wenn man von Martin absieht. Aber da ging eindeutig die Initiative von der Frau aus. Und was ich auf Helmuts Polterabend angeblich getan haben soll, war nur ein Gerücht, was niemals bewiesen wurde und noch vor der Hochzeit war ja auch schon wieder Schluss.
Doch wirklich tief getroffen haben mich die ehrabschneidenden Unterstellungen, ich sei der Vater von Jürgens Zwillingen. In unserer Familiengeschichte gab es noch niemals Zwillinge, was ja wohl Beweis genug sein dürfte.
Da hätte sich Johannes vorher mal besser informieren sollen, ehe er mir so ein Ehrenamt anträgt. Morgen treffe ich mich mit ihm und seiner Auserwählten und da soll er einmal sehen, wie professionell ich mit der Situation umgehen werde. Und solange ich nicht weiß, wie seine Braut aussieht, weiß ich auch noch gar nicht, ob ich überhaupt ernsthaftes Interesse zeigen werde. Das liegt ja auch nicht in meiner Hand! Gefühle kommen, Gefühle gehen. Da habe ich keinen Einfluss drauf. Wenn Johannes unbedingt das Risiko eines Trauzeugen eingehen will, denn gesetzlich braucht man ja keinen, dann muss er auch mit dem Ergebnis leben. Wenn seine Zukünftige sich plötzlich in mich verliebt, dann kann ich doch nichts dafür. Ich wirke halt auf Frauen! Nur wegen Johannes werde ich sicher meine Erotik und mein Sexappeal nicht zuhause lassen. Sie kann ruhig gleich sehen, wen sie nicht bekommt!
Oder sie muss sich eben umentscheiden. Schließlich leben wir ja in einer freien Marktwirtschaft, wo sich das beste Produkt durchsetzt.
Aber ich bin auch ein guter Freund und falls es dennoch zu dieser Hochzeit kommen sollte, dann werde ich ein wunderbarer Trauzeuge sein und in meiner Hochzeitsrede auch keine Witze über das Aussehen der Braut machen. Ich werde eine Rede halten, die ausgewogen und dennoch kritisch ist, humorvoll und ans Herz gehen wird, damit die Schwiegermütter auch was zum Weinen haben. Sogleich machte ich mich ans Werk und scrollte durch diverse Witzseiten im Internet. Mir war vorher gar nicht bewusst, wie viele kleine Bosheiten über die Ehe es gibt.
Am nächsten Abend kam ich in das Lokal, wo unser Schnuppertreffen stattfinden sollte.
Ich trug einen leichten Trinkeranzug und hüllte mich in eine Wolke, Égoiste von Chanel, ein.
Dezent eingesprüht, bringt es Frauen an den Rand der Raserei, etwas mehr und es vertreibt zusätzlich noch Mücken. Ich entschied mich für eine größere Dosis, weil Johannes meinte, wir können ja im Biergarten sitzen, dann wehrt es auch noch sämtliche Angriffe von Zecken ab. Rasch suchte ich noch die Taschen meines Anzugs nach Geld durch. Was ich fand, ließ ich, so wie auch mein Portemonnaie, zuhause. Johannes wollte schließlich dieses Treffen und ich stufte es als Geschäftsessen ein, zu dem ich selbstverständlich eingeladen bin. Ich fastete den ganzen Tag, denn ich wollte Johannes nicht beschämen, wenn ich mich nicht an der Speisekarte erfreuen würde und sie durchprobiere.
Denn immerhin sollte dort ja auch die Hochzeitsfeier stattfinden und oberste Aufgabe eines Trauzeugen ist es, die Hochzeitslocation auf Herz und Nieren zu prüfen.
Und ich nehme die an mich gestellte Anforderung, sehr ernst. Vorsichtshalber rief ich in dem gastronomischen Betrieb vorab an und bestellte, für den Fall das Johannes dies in der Aufregung vergessen sollte, eine Probehochzeitstorte, die sich meiner Zunge und Gaumen zur Verfügung zu stellen hat.
Eine Stunde früher als vereinbart betrat ich den Biergarten und sah mir die Spirituosenliste an. Mein fachmännisches Auge erkannte sofort, diese Hochzeitsfeier könnte teuer werden. Alleine der beste Grappa kostete zwölf Euro. Ich bestellte einen Doppelten, damit das Glas nicht so leer aussieht. Dann ließ ich mir den Chefkoch an den Tisch kommen und wir sprachen das Menü ab. Hier zeigte sich, Johannes war vollkommen überfordert. Statt eines Menüs hatte er ein Salatbuffet bestellt und es sollte gegrillt werden. Diese kulinarische Pleite konnte ich gerade noch abwenden. Ruckzuck waren der Koch und ich uns einig. Die Menüfolge sah nun folgendermaßen aus:
Geeister Hummerschwanzcocktail, als kostenpflichtiger Gruß aus der Küche.
Als Zwischengang empfahl der Koch gefüllte Weintrauben in einem Trüffelsößchen.
Den Hauptgang bildete ein Geschnetzeltes vom Koberind, gratinierte Petersilie und ein Schaum aus Kugelfischinnereien, mit einem leichten Champagnerrisotto.
Als zweiten Zwischengang ein Sorbet von Meeresfrüchten der Saison und zum Abschluss eine Käseplatte oder alternativ für die Vegetarier, eine gefüllte Safranblüte. Zwar überstieg das Menü etwas das Budget von Johannes, dafür kommt aber etwas Anständiges auf die Teller. Wer schaut da schon auf den Preis! Ich jedenfalls nicht.
Zufrieden bestellte ich noch einen doppelten Grappa, der seinen Preis wirklich wert war. Johannes verspätete sich um ganze drei weitere Grappa. Beim Anblick seiner auserwählten konnte ich ihn beruhigen. Ich nahm ihn diskret zur Seite, um die Frau nicht zu brüskieren, oder gar in ihrem Selbstvertrauen zu erschüttern,
„Johannes, du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich habe Null-Interesse an deiner Zukünftigen. Nicht einmal geschenkt möchte ich die. Die passt wirklich gut zu dir. Ich gönne sie dir von ganzem Herzen. Wo haste die denn her? Dorfdisco?“
Überglücklich fiel mir Johannes in den Arm oder ich ihm? So genau kann ich mich nicht mehr erinnern. Wir gingen zurück an den Tisch, wo die Trulla geduldig wartete.
„Ihr wollt euch also ins Unglück stürzen!“, grüßte ich sie herzlich und stieß ihr in die Seite.
Wie nicht anders zu erwarten, lachte sie albern.
Schon bei seinem letzten Gebrauchtwagen hatte Johannes kein glückliches Händchen bewiesen.
„Sie sind also der Trauzeuge“, stellte sie messerscharf fest.
Ich nickte zur Bestätigung, um ihr nicht die Möglichkeit zu geben, eine unnötige Konversation mit mir anzufangen.
„Wir sollten jetzt den Probechampagner bestellen! Den Grappa habe ich getestet und für gut befunden“, erklärte ich, um etwas Tempo in den Termin zu bringen, denn ich wollte, jetzt da ich die Frau kannte, einige Pointen verschärfen.
„Also wenn ihr wirklich wollt, dann kann die Hochzeit stattfinden. Ich bin bereit und werde euch, als mein Geschenk, eine tolle Rede halten. Am besten schickt ihr mir beide jeweils einen Lebenslauf mir zu, damit ich die Fakten einbauen kann. Auch wo und warum ihr euch kennengelernt habt, interessiert mich. Ich recherchiere gründlich“, erklärte ich und winkte den Kellner herbei.
„Johannes bestell jetzt den Champagner! Du weißt ja, wer bestellt, der bezahlt!“, lachte ich laut auf.
„Ja gut. Dann ... äh ... bringen sie uns zwei Gläser! Meine Verlobte und ich trinken zusammen aus einem Glas.“
„Ach was, ne Flasche, aber Zack zack!“, warf ich ein.
„Und noch nen Grappa. Zum Runterspülen! Und hier, Moment mal Herr Kellner! In dem Rucksack sind ein paar Tupperdosen. Der Koch soll mir das Menü einpacken. Soll ja eine Überraschung für das Brautpaar sein!“
Während wir so stumm dasaßen, sah Johannes seiner Braut unablässig verliebt in die Augen und hielt ihre Hand. Mir graute jetzt schon vor dem Hochzeitstag. Nachdem ich die Flasche Champagner fast im Alleingang ausgetrunken hatte, verließ ich die beiden. Mehr gab es ja nicht zu besprechen. Als ich durch den Biergarten zum Ausgang ging, bemerkte ich, dass ein heftiges Lüftchen aufgekommen war, denn die alten Eichen und Buchen schwankten alle im Wind.
Die Tage vergingen und längst hatte ich meine Rede fertig. Dann war der Tag gekommen, wo ich die trostlose Hochzeit, alles andere hätte mich überrascht, aufmischen wollte.
Schon die kirchliche Trauung zog sich wie Kaugummi. Sogar der Pfarrer, eine Fehlbesetzung. Kein Scherz, keine Pointe, nicht einmal eine kleine Spitze über den Papst kam ihm über die Lippen. Endlich hatten beide ihr „Ja“ gesagt und das Schlimmste war überstanden. Ich warf mein Konfetti und dann verließen wir die Kirche.
Leider hatte der Pfarrer auch den einen Satz unterschlagen, wo er auffordert: „Wenn irgendjemand Einwände gegen diese Ehe hat, so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.“
Darauf hatte ich eigentlich gewartet und wollte dann Diskussionsbedarf anmelden. Das wäre ein Brüller gewesen.
Doch dieser unfähige Pfarrer hatte mir die schöne Nummer zerstört, ja sabotiert.
Dafür gab ich ihm auch eine falsche Adresse an, als ich ihn zum Essen einlud. Nachher verlangt er auch noch, vor dem Essen zu beten, was ja eine unlautere Schleichwerbung wäre. Ich würde dem sogar zutrauen, dass er Aufnahmeformulare auslegt oder den Klingelbeutel rumgehen lässt. Denen ist ja nichts heilig!
Das Essen war dann auch ein erster Höhepunkt und eine große Überraschung. Besonders für Johannes, der Kartoffel- und Nudelsalat erwartete.
„Das ist mein Geschenk für Dich!“, erklärte ich ihm auf Nachfrage. Darüber, dass es preislich etwas höher angesiedelt war, erwähnte ich nicht, um keine Missstimmung aufkommen zu lassen.
„Du wirst nur eine Hypothek auf dein Haus aufnehmen müssen“, scherzte ich.
Später musste er das tatsächlich. Seitdem weiß ich, dass ich seherische Fähigkeiten besitze.
Endlich war der große Moment gekommen! Ich stellte mich auf ein kleines Holzpodest, welches ich eigens noch schnell von einem Schreiner bauen ließ und die Beleuchtungsfirma hatte wirklich gute Arbeit geleistet, um mich ins rechte Licht zu setzen. Auch die aufwändige Vorhangkonstruktion, die eine von mir geschätzte und befreundete Inneneinrichterin, in Zusammenarbeit mit einem Bühnenbauer erstellt hatte, gab dem Ganzen erst einen würdigen und feierlichen Rahmen. Vorsorglich hatte ich mir die ein oder andere kleine Spiritouosität einverleibt, um eine gewisse Lampenfiebrigkeit zu unterdrücken und um überhaupt alles besser ertragen zu können. In meinen Augen liefen da zwei Menschen, die sich niemals hätten kennenlernen dürfen, blinden Auges in die größte Dummheit, die sich noch in vielen quälenden Jahren gemeinsamen Glückes, rächen wird.
Unter den dramatischen Klängen des Gefangenenchors aus der Oper Nabucco, betrat ich die Bühne.
Der anfänglich spärliche Applaus spornte mich erst richtig an, ihnen mein Pointenfeuerwerk, um die Ohren zu hauen, dass denen Hören und Sehen vergeht.

„Hoch zu verehrendes Brautpaar, die ihr dieses Wagnis auf euch genommen habt, entgegen jeglichem Hilfeschrei menschlicher Vernunft. Liebe Brauteltern, beiderlei Geschlechts, denen sicher ein Stein vom Herzen gefallen sein muss, ihre jeweiligen Einzelkinder nun in ein gemischtes Doppel verwandelt zu haben. Auch gilt mein Gruß der, wie man so schön sagt, buckligen Verwandtschaft. Sowie allen Mitessern, die nur wegen des üppigen Buffets den Weg hergefunden haben. Möge es so üppig wie das Dekolletee der Braut sein und nahrhaft, damit der Nachwuchs, der bereits heranreift, ordentlich was zu saugen hat. Es soll ja, wie ich stark vermute, in absoluter Dunkelheit entstanden sein. Dennoch hat ein kleines unerschütterliches Sperma seinen Weg gefunden und sozusagen das Ei seiner Bestimmung zugeführt. Nur dem Designer von C&A, der das Brautkleid kreiert hat, ist es zu verdanken, dass sich noch keine Wölbung abzeichnet. Doch dies ist nur eine Frage der Zeit, bis die Braut reihernd über der Kloschüssel hängen wird und ihre sauren Gurken und Sahnetorte in die Kanalisation entlässt.
In diesem Sinne: Das Buffet ist eröffnet!“

Was auch immer in der Hochzeitsnacht geschehen sein mag oder eben gerade nicht, jedenfalls erhielt ich wenige Tage später eine Postkarte von Johannes. Als Motiv wählte er das Gefängnis von Fuhlsbüttel bei Sonnenuntergang.
Neben herzlichen Grüßen bat er mich, unsere langjährige Freundschaft in gegenseitigem Einvernehmen aufzulösen.
Dem kam ich mehr als gerne nach. Von ihr, deren Brautstrauß ich gefangen hatte, habe ich nie wieder was gehört. Angeblich soll sie spurlos verschwunden sein.
Inzwischen habe ich auch eine neue Arbeitsstelle, da mein alter Chef ein Alkoholproblem hatte und sich deshalb von mir trennte.
Heute arbeite ich erfolgreich als Weddingplaner und nebenberuflich als Trauerredner.


 

Der alte Mann am Fenster

Er ist der, den jeder kennt! In jedem Dorf, jeder Gemeinde, jeder Stadt ist er zu finden. Seine neugierigen Augen wachen über uns allen, die in seinem Sichtfeld zuhause sind oder dort Besuche machen. Von seinem Arbeitsplatz aus, hoch oben im dritten Stock, übersieht er alle Geschehnisse und Vorkommen, die in dem kleinen Straßenabschnitt zu bestaunen sind. Jede noch so winzige Kleinigkeit und Nichtigkeit wird von ihm sorgsam registriert und wenn nötig, auch sofort zur Anzeige gebracht. Von früh bis spät steht er an seinem Fenster, seinem Tor zur Welt, aufgestützt auf seinem Kissen, welches zum Schutz seiner verschränkten Arme unerlässlich erscheint. Der alte Mann hat seine Lebensaufgabe gefunden und geht darin vollumfänglich auf. Er ist der König seiner Straße. Er ist Sicherheitspersonal, Richter, Mahner und Verbreiter von Neuigkeiten in einer Person. Niemand kommt an ihm ungesehen vorbei. Falschparker sind ihm besonders ein Dorn im Auge. Doch auch unachtsame Zigarettenstummelwegwerfer bekommen seinen Zorn ab.
Lautstark und mit der Bestimmtheit einer Ordnungsbehörde, klagt er sie vor der ganzen Straße an.
„Wir sind hier in Deutschland! Hier herrscht Ruhe und Ordnung!“, sind nur zwei seiner Lieblingssätze, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen sind. Und er sagt sie nicht einfach so daher, nein er zelebriert sie geradezu.
Früher, als seine Frau noch lebte, war das noch anders. Da hatte sie das Sagen und er hatte seinen angestammten Platz auf der Couch. Nur wenn sie staubsaugte, durfte er seine Füße hochlegen. Ohne Widerworte tat er es dann, stumm und willig, ohne ein böses Wort darüber zu verlieren. Da war sie noch die ungekrönte Königin des Viertels. Schon von Weitem war sie zu hören und die Leute versuchten fluchtartig in Hauseingängen einen Unterschlupf zu suchen.
„Sie kommt!“, konnte man dann ängstlich flüsternd überall vernehmen. „Sie kommt!“, war das geheime Codewort, was jeder bereits beim Einzug in die Straße, bereits von der Maklerin, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, anvertraut wurde. Noch bevor man den Wohnungsschlüssel ausgehändigt bekam. Alleine wegen ihr waren leerstehende Wohnungen nur schwer zu vermieten. Der Mann von „Sie kommt!“, hingegen war durchaus beliebt. Er war eher so der Typ: Leben und Leben lassen! Doch sein wahres Gesicht sollte noch zum Vorschein kommen. Jahrelang versteckte er es unter der Angst vor seiner Frau. Am Volkstrauertag, kaum ein paar Jahre her, da kam Unruhe in die kleine unscheinbare Straße. Nur selten hat ein fremder Wagen, der langsam und in Würde, in die Straße einbog, so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen.
Schwarz und mit undurchsichtigen Fensterscheiben, fuhr er gemessenen Schrittes vor.
Sofort bildeten sich kleine Grüppchen von Anwohnern, von Neugierde gepeinigt. Alle wussten: Der Sensenmann hatte zugeschlagen.
Doch wer hatte das große Los gezogen? Wessen Batterie, seiner großen Lebensuhr, war der Saft ausgegangen? Alle waren von einer seltsamen Stimmung ergriffen.
Selbst der freilaufende Hund, das unfreiwillige Ergebnis eines rassenübergreifenden Rudelbumses, den alle nur liebevoll: „Hau ab, Köter“, riefen, schien betroffen. Nachdenklich und ganz melancholisch roch er verstohlen an seinem Hinterteil. Jeder hat eben seine eigene Art mit dem Tod umzugehen.
Vor dem Haus Nr. 13 hielt der Wagen an. Dem traurigen Anlass angemessen, stiegen zwei schwarzgekleidete Männer lachend aus.
Kaum ausgestiegen, zogen sie ihre dienstlichen Kopfbedeckungen auf und sofort verschwand ihr Lachen. Stattdessen erschien ein würdevolles Betroffenheitsgesicht, als ein wesentlicher Bestandteil ihrer beruflichen Darstellung nach außen. Eine gespenstische Ruhe kehrte in die Straße ein. Alle schwiegen. Selbst der „Hau ab, Köter“ stellte das Hinternlecken ein und auch die Flöhe, die bei ihm zur Untermiete sich eingenistet hatten, schienen erstarrt zu sein.
„Sie haben vor Nr. 13 angehalten“, flüsterte eine Frau ihrem Mann zu.
„Die 13 hat noch nie Glück gebracht“, gab er zurück, im Tonfall der Situation angemessen.
Dienstbeflissen öffnete einer der Subunternehmer des Sensenmannes die Heckklappe. Ein bedrohlich erscheinender und ockergelber Sarg aus massivem Pressspan, wurde aus dem Leichensarg herausgehoben. Die Unruhe, unter der sich weiter angesammelten Meute Schaulustiger, übertrug sich von einem zum Anderen. Doch dann wich die Unruhe einer heiteren Erleichterung, diesmal noch weiter im Roulette des Lebens weitermitspielen zu dürfen.
Unter mehrmaligem heftigen Anstoßens an dem Türrahmen, betraten zwei Männer und ein Sarg das Haus.
„Ihm wäre es ja zu wünschen“, stellte eine ältere Frau fest, die erleichtert darüber war, noch einmal davongekommen zu sein.
„Was wäre ihm zu wünschen? Das es ihn getroffen hat?“, erkundigte sich interessiert eine andere Frau, die genüsslich an einem Eis schleckte.
„Für ihn wäre es eine Erlösung, bei der Frau“, seufzte die alte Frau und es kullerte ihr eine Träne die Wange hinab.
„Und wenn es sie getroffen hat?“, meldete sich ein Herr und zündete sich eine Zigarette an.
„Da kann man ihm ja nur die Daumen drücken“, befand ein junger Mann, der bekannt für seine analytischen Äußerungen ist.
„Gott ist das spannend!“, rief eine Mutter mit Kinderwagen und setzte das Neugeborene an ihrer Brust an.
Dafür erntete sie einige unverständige und einen verstohlen lüsternen Blick. In diesem Moment hörte man das Zwölfuhrläuten der Kirchturmuhr, was dem Ganzen einen feierlichen Anstrich verlieh.
„Ach, wenn ich einmal von dieser Welt gehe, dann möchte ich auch das die Glocken läuten“, meinte die alte Frau sehnsüchtig.
„Ja ja, gutes Timing ist wichtig! Wer zum Zwölfuhrläuten geht, der spart sich das Kochen“, analysierte der analytische junge Mann messerscharf.
„Sie Zyniker!“, maßregelte ihn der Mann mit der brennenden Zigarette.
„Werter Herr, die Glocken unserer Kirche läuten nur um Zwölf und um Sechs zur Andacht. Außer sonntags! Da noch einmal viertel vor zehn zum Hochamt und gegen halb elf zur Wandlung. Wenn die ältere Dame also unter dem Läuten sterben möchte, so muss sie sich an die Zeitangaben der römisch-katholischen Kirche halten. Außer sie ist evangelisch, dann läutet niemand, weil die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 23.11.2020
ISBN: 978-3-7487-6860-9

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