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Kapitel 1

 

 

 

 

 

 

Zwei sind Keine zuviel

 

Roman

 

Von Rolf Bidinger

 

 

 

 

 

1. Auflage,

© Rolf Bidinger – alle Rechte vorbehalten.

 

 

 

Kapitel 1

 

Ich hielt den Telefonhörer noch in der Hand, als meine Frau schon zu einer ihrer Schimpftiraden ansetzte. Unfähig und gelähmt, war ich außerstande ihrem Wutanfall Paroli zu bieten oder wenigstens ihn einzudämmen, damit die angrenzende Nachbarschaft ungestört sich die Tagesschau ansehen konnte. Doch meine Frau war nicht zu beruhigen. Seit dem damals missglückten Hochzeitsantrag hatte ich sie nicht mehr so wütend erlebt. Sie fand es doch eher unpassend, als ich die Frage aller Fragen am Grab ihres verstorbenen Onkels stellte. Dabei war es die einzige Chance, die ganze Verwandtschaft gleichzeitig über mein Ansinnen zu informieren.

Schließlich hatten wir ja, durch die recht Großzüge Zuwendung, die uns sein Tod beschert hat, genug Geld, um eine Hochzeitsfeier auszurichten, wie wir es uns sonst niemals hätten leisten können. Deshalb wollte ich ja, gerade weil der Onkel zum letzten mal in unser aller Mitte lag, die Gelegenheit beim Schopfe fassen. Ich bat den Pfarrer, kurz innezuhalten, kniete mich vor sie, zog den Ring aus der Tasche und stellte meine Frage. Für mich war es eine rein rhetorische Frage, denn ich rechnete fest mit einem „Ja“. Denn bei aller Bescheidenheit, die mir zu eigen ist, gab es für sie keine andere Alternative. Ich bin der Mann ihres Lebens. Ich bin charmant, witzig, sehe gut aus, bin mit einem adonishaften Körper gesegnet und kann kochen. Was will eine Frau denn mehr! Umso verwunderter war ich dann doch, als sie nicht schlagartig ihr „Ja“ heulend herausschrie, wie es eine glückliche Braut zu tun hat. Geheult hatte sie ja bereits, bevor ich mich hinkniete, obwohl sie nichts von dem Antrag wissen konnte. Ein oder zwei Tränen hatte ich ja einkalkuliert, alleine schon wegen der feierlichen Stimmung. Aber als hätte sie es geahnt, heulte sie Rotz und Wasser. Während ich als so da kniete und geduldig auf das „Ja“ wartete, trat der Pfarrer an mich heran und flüsterte mir zu, dies sei wohl nicht der rechte Moment, denn der Onkel würde jetzt gerne in seine Grube herabgesenkt werden, damit die Trauerfeier ihren Abschluss finden könnte.

„Machen sie ruhig Herr Pfarrer, ich warte nur auf das „Ja“, dann bin ich wieder ganz bei ihnen.“

Mir blieb zwar nicht verborgen, dass die anderen Festgäste langsam unruhig wurden.

Sie sehnten sich sehr wahrscheinlich nach dem Leichenschmaus, der ja immer noch der angenehmste Teil solcher Veranstaltungen ist. Manche Trauergäste erscheinen ja überhaupt erst zum Leichenschmaus, wenn ihnen die Leiche verhasst ist oder sie ihn überhaupt nicht kennen. Ich kenne Leute, die ernähren sich fast ausschließlich von Streuselkuchen und belegten Schnittchen, die es traditionell danach gibt. Man braucht ja nur einen schwarzen Anzug oder, falls man dem anderen Geschlecht zugeneigt ist, ein schwarzes Kostüm und schon hat man freien Eintritt bei Hochzeiten, Taufen, Beerdigungen und neuerdings auch bei Scheidungsfestivitäten, die sich immer größerer Beliebtheit erfreuen. Und wenn man dann noch in einer Stadt wohnt, dann kommen weitere Freiessenmöglichkeiten internationaler Art hinzu. Türkische Hochzeiten sind sehr beliebt. Wo zum Teil tausend Menschen fröhlich feiern, da fällt einer kaum auf, der nicht eingeladen ist. Man überreicht dem Brautpaar einfach einen verschlossenen Umschlag als Geschenk und die merken frühestens am nächsten Tag, dass der leer ist. Dafür nimmt man sich einen anderen Umschlag, der sich möglichst dick anfühlt, vom Gabentisch und kann sich das Taxi nach Hause leisten. Ich kenne einige Leute, die sind morgens gramgebeugt auf irgendwelchen Beisetzungen, mittags bei einer Taufe und vergnügen sich abends auf Hochzeiten. Allerdings haben die dann kaum noch Freizeit. Denn ständig feiern kann auch stressig sein. Man muss einige, einem vollkommen fremde Tanten küssen, sich an Polonaisen beteiligen und alberne Spiele machen. Letzteres findet allerdings auf Beisetzungen seltener statt, was man an der Stimmung, die selten aufkommt, feststellen kann. Ein Freund von mir arbeitet sogar hauptberuflich als Gast. Ich habe ihn vor zwei Jahren zufällig auf einer Hochzeit kennengelernt, auf der ich versehentlich war, weil ich mich in der Tür geirrt hatte. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden und tanzten den ganzen Abend abwechselnd mit der braut. Aber sie konnte sich nicht gleich für einen von uns entscheiden. Er musste, was mein Glück war, früher nach Hause, weil er am nächsten Tag mehrere Beerdigungen besuchen wollte. Ich ergriff natürlich die Gelegenheit beim Schopfe und klärte die Braut über ihren begangenen Fehler auf, den zu korrigieren, ich ihr zur Verfügung stehe. Und kaum zwei Monate später, war unser erster Besuch bei der Familie, just die Beerdigung des Onkels, wo ich ihr den Antrag machte.

Und statt zu würdigen, dass ich geschlagene zehn Minuten vor ihr kniete, scheuerte sie mir eine, was natürlich der Stimmung abträglich war. Hinzu kam zu allem Überfluss, ein nicht vorher angekündigter Regenguss, der das Prozedere etwas beschleunigte. Der Pfarrer sagte noch etwas, was aber niemand verstand, denn der aufgekommene Wind, der sämtliche Bäume in Bewegung versetzte, übertönte alles. Die Sargträger drängten darauf, ihrer Pflicht nachzukommen, denn die Grube füllte sich langsam mit wasser. Schließlich deutete der Pfarrer an, den Sarg herabzulassen. Mit einem letzten Rest von Würde, die die pitschnassen Sargträger noch aufbrachten, ließen sie den Sarg herunter und versenkten ihn in dem schlammigen Loch. Ein letztes Blubbern und von dem Onkel war nichts mehr zu sehen. Würde er zum damaligen Zeitpunkt nicht tot gewesen sein, dann wäre er spätestens jetzt ertrunken.

Und obwohl die Ohrfeige mich in meiner männlichen Ehre gekränkt hatte, machte ich ihr am nächsten Tag, erneut einen Antrag. Diesmal war ich auch besser vorbereitet. Die halbe Nacht hatte ich geübt. Da der schwarze Anzug noch klamm vom Vortag war, entschloss ich mich, mir meine Jogginghose und aufgrund des erwartbaren Warmen sommertags, ein ärmelloses weißes Rippshirt überzustreifen.

Zwar würde es noch besser mit entsprechender Muskulatur aussehen, doch war das in der Kürze der Zeit nicht mehr möglich, mir diese anzutrainieren. Aber schließlich zählt der gute Wille! Immerhin bin ich seit zwei Jahren im Fitnesscenter angemeldet und habe mir fest vorgenommen, demnächst die kostenlose Probestunde in Anspruch zu nehmen. Sobald ich mein Trauma überwunden habe, nach dem Training zwischen zwei prolligen Muskelprotzen unter der Dusche stehen zu müssen. Dies wäre für die Stabilisierung meines Selbstvertrauens wohl eher kontraproduktiv. Und dann ist da ja auch noch die Sache mit der runterfallenden Seife, die in meinem Kopf herumspukt. Wer weiß schon, wie diese beiden Typen darauf reagieren würden!

Falls ich mich also doch irgendwann in naher Zukunft für das Probetraining entscheiden sollte, werde ich jedenfalls darauf achten, möglichst nicht ins Schwitzen zu geraten, dann kann ich den Duschvorgang elegant umschiffen. Ich benutze einfach genügend Deo, das wird schon helfen. Wobei ich mir erstmal ein neues Deo besorgen muss. Das habe ich mir schon vor Wochen fest vorgenommen und stets vergessen. Aber es eilt ja auch nicht!

Wie dem auch sei, heute war der Tag der Tage, also der zweite Versuch, die von mir Angebetete, endlich das „Ja“ zu entlocken, damit ich meinen besten Freund beauftragen kann, den Junggesellenabschied vorzubereiten.

Dann heißt es: Ballermann wir kommen!

Noch vor meiner Freundin war ich in der Schule und versteckte mich in ihrer Klasse, in einem kleinen Kabuff für Lehrmaterial. Gespannt wartete ich. Langsam füllte sich die Klasse. Der Lärm der Kinder war unerträglich laut. Es wurde Zeit, dass die Stunde losging und meine Freundin für Ruhe sorgen würde. Durch das Schlüsselloch konnte ich alles genau beobachten. Doch bevor meine Freundin eintrat, erschien der Direktor mit zwei weiteren Leuten, die sich in die letzte Reihe setzten, nachdem sie drei der kleinen Racker anwiesen, ihnen ihre Plätze zu überlassen. Es war schon sehr schön, zu sehen, wie drei erwachsene Menschen sich auf drei kleine Stühlchen setzten, wie sie eben in Grundschulklassen vorgesehen sind. Sie konnten sich mit ihren Knien beinahe die Ohren zuhalten. Etwas, was angesichts der Gesprächsauswahl der Kinder untereinander, sicher nicht das Schlechteste gewesen wäre. Dann endlich kam meine Freundin herein, zusammen mit der Klassenlehrerin. Letztere bat dann auch sofort um Ruhe, was aufgrund ihrer leisen Stimme ungehört verhallte. Und so ging sie dann von Kind zu Kind und bat jedes Einzelne höflich, leise zu sein. Doch kaum war sie beim letzten Kind angekommen, hatten die ersten Kinder schon wieder, aus purer Langeweile begonnen, mit dem Reden angefangen. Also ging sie wieder zu den ersten Kindern und bat um ruhe. Ich befürchtete und das nicht zu unrecht, die Lehrerin war in einem Teufelskreis gefangen, aus dem es kein Entrinnen für sie gab. Unterdessen stand meine Freundin etwas nervös da und richtete ihren Dutt. Schick sah sie aus, in ihrem braunen Kostüm. Der Direktor rutschte derweil unruhig auf seinem kleinen Stühlchen und flüsterte den beiden anderen Herren, die irgendwie wichtig aussahen, etwas ins Ohr. Dann erhob er sich etwas mühsam und ging nach vorne.

Er klatschte einmal in die Hände. Die erhoffte Wirkung blieb jedoch aus. Niemand achtete auf ihn. Dann begann er plötzlich zu singen.

„Wir machen eine Reise und dafür sind wir leise. Wir schließen unsren Mund, dann bleiben wir gesund!“

Er wiederholte die Strophe mehrfach, unterstützt von der Lehrerin, die die Zweitstimme beisteuerte. Selbst ich konnte mich des tollen Liedes nicht entziehen und sang leise hinter der Tür mit. Nur meine Freundin verweigerte sich. Schließlich gelang es, die Kinder zur Ruhe zu bringen. Die hielten sich kollektiv die Ohren, mit den kleinen Händchen zu. Etwa nach der neunten Wiederholung des überaus anspruchsvollen Textes verstummten die beiden begnadeten Sänger. Sichtlich genossen sie ihren Erfolg, der eingetretenen Stille, den ihre Darbietung erzeugt hatte.

Zufrieden applaudierte der Direktor den Kindern zu und gab der Lehrerin eine Umarmung, zum Dank ihres musikalischen Mitwirkens.

„Liebe Waldorfschüler, schön das euch das Lied gefallen hat. Heute ist ein besonderer Tag. Wie ihr ja gesehen habt, haben wir Besuch.“

Alle Kinderaugen richteten sich nach hinten, zu den beiden Herren im Anzug, die streng dreinblickten.

Nachdem der Direktor eine kleine Pause gemacht hatte, fuhr er fort.

„Die beiden Herren sind vom Schulamt. Heute ist eine Prüfung für unsere Referendarin, Frau Knittelborn. Sie wird heute den Unterricht machen und wenn sie das gut macht, dann ist sie bald eine richtige Lehrerin. Also macht schön brav mit, dann sind die beiden Herren dahinten auch zufrieden.“

Ich war jetzt plötzlich auch aufgeregt, denn ich hatte ganz vergessen, dass ja heute ihre Prüfung war. Ich überlegte kurz, ob da mein geplanter Antrag nicht unpassend wäre, doch verwarf den Gedanken sofort wieder. Prüfung hin, Prüfung her. Jetzt war der Tag, jetzt war die Stunde. Mein Entschluss stand fest. Sicher würde sie sich sehr freuen, wenn ich gleich auftauche und um ihre Hand anhalte. Schließlich hatte ich mir ja etwas ganz besonders Originelles einfallen lassen, was sicher dem Herrn Direktor auch gefallen dürfte. Auch bei den Vertretern des Schulamtes, dürfte meine kleine Einlage, sicher gefallen und sich positiv auf die Bewertung der Unterrichtsstunde meiner Freundin auswirken.

„Frau Knittelborn, dann dürfen sie jetzt mit dem Unterricht beginnen. Viel Erfolg und nicht nervös sein!“

Mit diesen Worten ging der Direktor zurück auf seinen Platz, gefolgt von der Lehrerin. Jetzt stand meine Freundin alleine vorne und blickte die Kinder an. Ich dachte, jetzt legt sie los und zeigt ihnen allen, was eine gute Lehrerin ausmacht. Doch es passierte nichts. Sie stand nur da. Minuten vergingen. Minuten, in denen sie all ihr fundiertes Wissen in die kleinen Kinderköpfe hätte eintrichtern können. Doch sie tat es nicht. Ganz offensichtlich hatte sie einen Blackout. Und mir, als ihr zukünftiger liebender Ehemann, waren die Hände gebunden. Wenn ich wenigstens das Unterrichtsthema gewusst hätte, dann wäre ich ihr zur Seite gesprungen. Meine Verzweiflung wuchs. Was wenn sie nicht bald anfangen sollte? Das würde man ihr sicher nicht als Pluspunkt anrechnen. Doch dann geschah es doch noch und mir blieb fast das Herz stehen. Sie sprach! Meine Freundin, meine zukünftige, meine Prüfungsgeplagte! Und es war ein ganzer Satz. Und was für einer. Einen Besseren prüfungseinstig hätte sie gar nicht finden können. Für mich hatte sie damit die Prüfung bereits bestanden.

„Mein Name ist Frau Knittelborn!“

Das Zittern der Stimme überspielte sie mit einem leichten Lächeln. Und dieses Lächeln war es, was mich schon damals, auf ihrer hochzeit, mich faszinierte. Und dann geschah etwas, das mich zu tränen, rührte. Wie eine gut geölte Maschinerie antworteten die Kinder unisono:

„Guten Morgen frau Knittelborn.“

Diese Worte, aus vielleicht zwanzig kleinen kinderkehlen zu hören, erzeugte eine Gänsehaut bei mir, die ich nicht mehr erlebt habe, seit der HSV die Bayern vernichtend geschlagen hat. Und in dem Moment war mir klar, einen besseren Zeitpunkt gab es für mich nicht. Ich nutzte die Gunst der Stunde, öffnete die Tür und lief nach vorne. Die Überraschung konnte man meiner Freundin ansehen, die nicht ahnen konnte, in wenigen Sekunden von meiner Freundin, zu meiner zukünftigen Ehefrau erhoben zu werden.

„Das hast du toll gemacht, Schatz!“, lobte ich sie und schob ihr meine Zunge in den Mund.

Die Kinder kommentierten dies sofort mit einem Unschuldigen: „Iiiihhhhhh!“

Ich nutzte die Sprachlosigkeit meiner Freundin und drückte die Playtaste auf meinem Smartphone und schon erklang die von mir sorgsam ausgewählte, dem anlass entsprechende und gefühlvolle Untermalung dessen, was ich mir ausgedacht hatte.

Und unter den Klängen des Hochzeitsmarschs, von Felix Mendelssohn Bartholdy, begann ich, ihr meinen Antrag ihr vorzutanzen. Jeder einzelne Buchstabe von: Willst du mich heiraten, wurde von mir ausgetanzt. Höhepunkt und besondere Herausforderung für mich war der tänzerische Ausdruck, den ich in das Fragezeichen legte. Kaum hatte ich den Punkt, der unter das Fragezeichen gehört, herausgearbeitet, indem ich meinen Körper wie zu einer Kugel zusammenrollte, fiel ich schweißüberströmt, erschöpft aber glücklich, zu Boden und sah sie strahlend an, um ihr „Ja“ entgegenzunehmen, was ich mir redlich ertanzt hatte. Und dann, verstehe einer die Frauen! Kein Strahlen, kein hingehauchtes „Ja ich will“, Nichteinmal ein „eventuell vielleicht“, kam über ihre Lippen. Dafür jubelten die Kinder so begeistert, dass der Direktor, der mich aus der Klasse schob, alle Mühe hatte sie zu beruhigen. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen, denn ohne das definitive „Ja“ von der Frau meiner Träume, wollte, konnte, nein durfte ich nicht gehen. Mit aller Kraft und einer Hand, hielt ich mich an der Türklinke fest. Mit der anderen trommelte ich gegen die verschlossene Tür des Klassenzimmers, wo sich meine, zurecht verstörte Prinzessin, befand. Doch der Direktor ließ es nicht zu, dass ich mir wieder Einlass verschaffen konnte. Unnachgiebig stellte er sich gegen mich und meine Herzensdame, die ja nicht die Möglichkeit hatte, mir das Jawort zu schenken, was mich zum glücklichsten aller Männer der Welt gemacht hätte. Ausgerechnet der Direktor einer Waldorfschule, Ort des freien Wortes und des lebensbejahenden Ausdruckstanzes, stemmt sich gegen mein humanes Ansinnen, die wichtigste Frage des Lebens zu stellen, beziehungsweise die Antwort darauf mir abzuholen. Wie ungerecht die Welt doch sein kann! In meiner Verzweiflung konnte ich nur noch das tun, was wohl weltweit jeder Mann getan hätte, der an meiner Stelle wäre, ich organisierte eine Protestaktion, gegen die Unterdrückung der freien Rede in Waldorfschulen. Noch war ich zwar nur ein Einzelprotestler, doch ich war mir sicher, viele Weitere, an ihrer Ausübung gehinderter Hochzeitsantragsteller, würden meinem Beispiel folgen.

Ich gründete einen zeitlich unbestimmten Sitzstreik, als erstes wegweisendes Zeichen des weltweiten Widerstandes. Doch hatte ich die Rechnung ohne den Direktor gemacht, der sofort erklärte:

„An unserer Schule ist Sitzenbleiben nicht möglich. Das widerspricht den Grundsätzen unserer Schule. Das Sitzenbleiben fördert nur unnötig die Ängste von Schülern.“

Doch diese, von ihm wohlformulierte Argumentation, ließ mich kalt und ich ließ ihn wissen, ich sei keiner von seinen Schülern, sondern ein liebender Mann, der die Sitzblockade nicht eher aufgeben werde, bis er erhört wurde. Langsam wurde auch dem Direktor klar, dass ich es vollkommen ernst meinte. Da ich in meinem Leben Sport immer schon ablehnte, was sich dankbarer Weise auch auf meinen Körperumfang auswirkte, konnte er mich auch nicht aus der Schule tragen, ohne sich nicht einen mittleren Leistenbruch zuzuziehen. Dies sah er dann wohl auch ein und ersann sich einen perfiden Plan, doch noch diese Demonstration unblutig zu beenden. Er setzte auf Pädagogik, ein Wissensfeld, von dem er glaubte, unschlagbar zu sein. Alles begann damit, dass er ein hinterhältiges und durchschaubares falschen Lächeln aufsetzte. Dann setzte er sich, gegen seine zuvor erhobene These, zu mir auf den Fußboden. Offenbar wollte er sich mit mir auf Augenhöhe treffen.

„Mein lieber Herr ... äh ... jetzt weiß ich gar nicht, wie ich sie ansprechen soll!“

Jetzt sah der Direktor mit einem mal ganz traurig aus. Das wollte ich natürlich auch nicht und half ihm wieder, mental auf die Beine.

„Mein Name tut hier nichts zur Sache. Aber ohne ihre Einmischung würde ich demnächst als Herr Knittelborn ansprechbar sein. Doch jetzt ist ja alles ungewiss, dank ihrer Einmischung!“

Der Vorwurf saß. Seine Traurigkeit wich einer tiefsitzenden Betroffenheit. Langsam wuchs sich mein Sitzstreik aus. Immerhin waren wir jetzt schon drei. Der Direktor, seine Betroffenheit und ich. Dann passierte eine Zeitlang nichts. Stumm saßen wir da. Zwischendurch seufzte jeder so vor sich hin. Irgendwie war ja auch alles gesagt. Ab und zu lauschte ich an der Tür. Doch ich konnte nichts verstehen von dem, was dahinter abging. Wenn ich wenigstens ein „Ja“ aufgeschnappt hätte, was ich als Antwort auf meine Frage verstehen könnte. In jeder normalen Unterhaltung findet doch unweigerlich ein „Ja“ den Einzug in ein Gespräch. Aber nichts war davon zu hören. Langsam fragte ich mich, was meine Freundin den Kindern beibringt, ohne dafür ein „Ja“ zu gebrauchen.

„Hören Sie was?“, erkundigte sich der Direktor.

Es war schon rührend, wie er sich so langsam für mein Schicksal interessierte. Ich dankte es ihm, indem ich ihm freundschaftlich in die Seite boxte. Offenbar hatte ich meine Schlagkraft unterschätzt, denn er stöhnte in Schmerz auf.

„Oh!“, entschuldigte ich mich wortreich und tätschelte ihm zum Ausgleich und als Geste der Versöhnung seine Wange, die sich rau und doch angenehm warm anfühlte, dass ich es gleich noch einmal tat. Und dann lächelte er auch wieder.

„Schade!“, seufzte er.

„Was ist schade?“, erkundigte ich mich.

„Das ich heterosexuell bin. Es hat sich so verdammt gut angefühlt.“

Vorsichtshalber rückte ich etwas von ihm ab. Pädagogen sind ja oft wankelmütige Menschen. Ich entschied, weitere zärtliche Berührungen an ihm zu unterlassen, um ihm nicht noch mehr Hoffnungen zu machen.

„Ich bin ein Mann und sie sind ein Mann und dabei sollten wir es bewenden!“, versuchte ich, ihm meine ablehnende Haltung zu erklären. Als Frau wäre er sicherlich nicht unattraktiv und wahrscheinlich mein Typ gewesen, aber so waren nun einmal nicht die Tatsachen. Doch da hatte ich scheinbar eine Lawine losgelöst, denn er stellte eine Forderung auf, der ich erst auf mehrmaliges Bitten nachkam.

„Nochmal!“, forderte er meine Hand zu einer erneuten Berührung auf.

„Nochmal! Bitte!“, quengelte er, wie ein ungezogenes Kind.

Wer bin ich schon, dass ich einem hilflosen Wesen nicht die Hand reiche? Ich überwand meinen Ekel und strich ihm erneut über seine Wange. Es wäre viel aufregender für mich gewesen, wenn er sich rasiert hätte, denn so konnte ich keine Gefühle für ihn entwickeln. Deshalb blieb es auch bei einer rein mechanischen Bewegung, wo sich natürlich keinerlei knisternde, sowie erotische Stimmung breitmachen konnte. Es war, als ob ich eine frisch verputzte Wand gestreichelt hätte. Und wer macht so etwas schon freiwillig, wenn die Gefahr besteht, sich die Hände aufzureißen. Er bemerkte natürlich meinen inneren Widerstand, ihm etwas Zärtlichkeit angedeihen zu lassen. Der Direktor reagierte sofort darauf, wie ein kleines Kind, das an der Supermarktkasse kein eis von der überforderten Mutter bekommt. Trotzig stand er auf und rief die Polizei, denen er meine Entfernung aus dem Schulflur auftrug. Ich muss ihm allerdings zugutehalten, dass er auch um meine Sicherheit besorgt war, denn es stand die große Pause ins Haus, die mich ernsthaft in Gefahr bringen konnte. Hunderte kleiner Waldorfschülerfüße, die ihre fünfzehn Minuten Freiheit genießen wollen, würden auf mich wenig Rücksicht nehmen und mich einfach überrennen. Dass ich dabei schaden nehmen könnte, dürfte als gesichert angenommen werden. Nur die Polizei ist in der Lage, um mich einen Schutzwall zu errichten, der mich vor dem Schicksal einer gewöhnlichen Fußmatte bewahrt. Bereits Minuten später erschien die Staatsmacht, in Form einer jungen Polizistin in Uniform.

„Entfernen sie diesen Mann aus meiner Schule!“, forderte der Direktor, der noch vor kurzem meine Zärtlichkeiten genoss.

Erst, als sie zu sprechen begann, mit dieser warmen, samtweichen, wundervollen Stimme, die mein Herz sofort im Sturm gewann, besah ich sie mir genauer. Bis zum Hals sah sie wie eine gewöhnliche Polizistin aus, in ihrer blauen Uniform, die sämtliche Vorzüge weiblicher Besonderheiten verbarg. Wie gerne hätte ich hinter die Fassade dieser uniform geblickt, nur um zu sehen, ob der Körper zu der engelsgleichen Stimme in Einklang stand. Denn ihr Gesicht, dass wenige was ich von ihr sah, verhieß schon sehr viel Schönes. Makel- und Pickellos, dezent geschminkt und mit einem streng zurückgekämmten und zusammengebunden Pferdeschwanz, entsprach sie genau meiner Vorstellung von einer Frau, in die ich mich sofort verlieben könnte. Und das tat ich dann auch! Ich war außerstande mich gegen meine Gefühle zu wehren und wollte es auch überhaupt nicht. Denn sie war genau der Typ Frau, die mir mein schweres Los der Heterosexualität überhaupt erträglich macht. Ich musste unbedingt ihren Namen erfahren, damit ich ihr formvollendet meine Liebe gestehen konnte.

„Sie können hier nicht sitzenbleiben. Ich muss sie bitten, sich zu entfernen.“, forderte sie mich auf.

Noch schien sie sich nicht auch in mich verliebt zu haben, was aber nur eine Frage der Zeit war, dessen war ich mir ganz sicher.

„Bitte gehen Sie nun!“, erneuerte sie ihre Bitte und ich war mir sicher, in Wirklichkeit meint sie: Bitte bleiben Sie!

Doch sie war Gefangene ihres Amtes und konnte nicht so sprechen, wie ihr Herz es ihr sagt. Dafür hatte ich Verständnis. Also lag es an mir, ihr zu sagen, was sie wirklich dachte.

„Das wollen sie doch nicht wirklich!“, sagte ich tiefgründig und sah ihr tief in ihre blauen Augen, die mich an einen Bergsee, inmitten der Alpen, erinnerten. „Wie ist ihr Name?“, meinte sie streng, doch diese Strenge war nur vorgeschoben, um ihr ehrliches Interesse an meinem Namen zu kaschieren.

„Das sage ich ihnen nur, wenn sie mir Ihren verraten!“, sagte ich keck und lächelte sie an.

Mehr erotische Provokation ging nicht! Und der Erfolg folgte auf dem Fuß.

„Polizeimeisterin van Geldern!“, hauchte sie.

„Und der Vorname?“, flüsterte ich zurück.

„Gretchen.“, sagte sie und errötete leicht, was sich kontrastreich von ihrer blauen Uniform absetzte.

„Gretchen!“, seufzte ich, „Gretchen van Geldern!“

Das klang doch schon ganz anders als Knittelborn. Van Geldern gegen Knittelborn! Poesie gegen kalte harte Realität. Und in den wenigen Worten, die bislang unsere Beziehung bestimmten, konnte ich einen leichten niederländischen Akzent vernehmen. Da passte wirklich alles zusammen, denn ich liebe holländischen Käse, besonders mittelalten Gouda oder auch den sahnig würzigen Tilsiter. Gouda und Tilsit! Zwei Städte, die jeweils einen eigenen Käse haben. Welche deutsche Stadt kann das von sich behaupten? Was liegt also näher für einen käseaffinen Mann in den besten Jahren, der sexuell unterversorgt ist, sich einer Holländerin zu Füßen zu werfen. Wobei Letzteres gar nicht mehr nötig war, denn wie der Zufall so spielt, saß ich ja bereits vor ihr und blickte die anbetungswürdige Käserepräsentantin begierig an. Sie musste nur „Ja“ sagen und einer wundervollen Vereinigung zweier begehrenswerter Körper, würde nichts mehr im Wege stehen. Mit Ausnahme des Direktors vielleicht, der es an Diskretion zu wünschen übrig ließ. Ja merkt der Mann denn nicht, dass er stört? Dabei schrie geradezu jede Pore in mir: „Geh weg! Lass uns alleine! Du störst!“

Doch er blieb bräsig einfach stehen und würde es wohl immer noch tun, hätte nicht die Pausenklingel ein Einsehen mit zwei sich zu Verliebenden gehabt. Die Türen wurden aufgerissen und eine amorphe Masse unzähliger kleiner Waldorfschüler, stürmte hinaus. Der Direktor wurde von der Welle mitgerissen und nur wir beide blieben zurück. Manchmal sind eben so kleine Waldorfkinder auch für was gut. Als letzte verließ Frau Knittelborn, die mir noch vage aus einer früheren Beziehung leidlich bekannt war, gestützt von den beiden Herren des Schulamtes, weinend aus dem Klassenzimmer und gab sich ausnahmslos ihrem selbstverschuldeten Nervenzusammenbruch hin.

Sie beachtete mich nicht, wofür ich ihr heute noch dankbar bin, denn eine Frau, die nicht einmal in der Lage ist, eine erfolgreiche Lehramtsprüfungsstunde vor Zweitklässlern abzuhalten, ist für mich untragbar und als zukünftige Ehefrau indiskutabel. Doch diese ehemalige weitläufige Bekannte, die kurzzeitig mein Leben streifte, wurde nun für alle Zeiten aus meinem Gedächtnis unwiderruflich verbannt, denn mein neuerlicher Interessensschwerpunkt, galt nun der Frau, die an Faszination keinerlei Wünsche vermissen ließ, Gretchen van Geldern.

„Mein kleines holländisches Meisje!“, schnurrte ich ihr leise ins Ohr.

Sie lächelte mich an und ich erkannte eine niedliche kleine Zahnlücke, die, bevor wir vor den Traualtar treten werden, noch dental bearbeitet wird.

„Ja, Jij mijn grote sterke Man!“, flüsterte sie mir, in ihrer Originalsprache ohne Untertitel, einen süßen Liebesschwur, den ich zwar nicht verstand, aber der so herrlich prickelte, in meinem Ohr.

Und dann ergriff ich zum ersten Mal in meinem Leben eine niederländische Hand und war ganz verblüfft, dass sie sich nicht anders anfühlte wie die Hände, die ich bislang in meinen Besitz nahm. Doch sie war noch nicht soweit, sich mir ganz hinzugeben. Deshalb entzog sich mir, zwar liebevoll, aber bestimmt.

„Lass uns unsere Beziehung noch nicht öffentlich machen!“, bat sie mich und hauchte mir einen leichten Kuss auf das ihr zugewandte Ohr.

„Oh ja!“, seufzte ich in wilder Raserei und leckte ihre Nasenspitze.

„Lass uns, uns im Geheimen lieben!“, rief sie mir, in unterdrückter Ekstase, zu.

Doch wie sollten wir es schaffen, als heimliches Liebespaar, diesen öffentlichen Ort verlassen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen? Denn beides waren wir, bis in die Haarspitzen hinein. Traurig sahen wir uns tief in die Augen, denn eine tragfähige Lösung hatte niemand von uns. Drohte bereits jetzt schon das Aus? Konnte unsere frische, noch so neue Liebe, dieser Herausforderung nicht standhalten? Warum machte das Leben es uns so schwer? Dunkle Wolken, der aufkommenden Verzweiflung, zogen am Horizont auf. Da standen wir nun, zwei hoffnungsfrohe Liebende, die einfach nicht zusammenkommen konnten.

„So darf es nicht enden!“, schrie ich meine ganze Wut auf die Gesellschaft hinaus in die Welt.

„Liefste!, unterbrach sie mein Zürnen, „we zullen een Oplossing vinden!“

Was auch immer das heißen sollte, ich war dankbar für ihren Trost, den zu spenden, sie so großherzig bereit war. Doch unheilvoll lag über uns beiden eine drohende Depression, die Besitz von uns ergreifen wollte. Aber ich war fest entschlossen Widerstand zu leisten und ihr eine Abfuhr zu erteilen. Wenn es doch nur einen Weg gab, ungeschoren aus dieser Misere herauszukommen. Ich zermarterte mir den Kopf. Meiner Liebsten ging es nicht anders, was ich daran erkannte, dass sie sich einige Runzeln auf der Stirn erlaubte, die optisch sich nicht so gut machten, dass ich in Jubelstürme ausgebrochen wäre.

Doch dann, gerade als ich schon über eine Trennung nachdachte, erhellte sich plötzlich ihr Gesicht und die Runzeln verschwanden, so wie sie gekommen waren.

„Ik heb een Idee!“, rief sie enthusiastisch und wiederholte es gleich noch einmal für mich, in deutscher Sprache, in der ich mich mehr Zuhause fühlte.

„Ich habe eine Idee!“

In diesem Moment wusste ich, diese kleine süße Niederländerin, die mache ich zu meiner deutschen Frau. Sie griff, wie es nur eine bestens ausgebildete Polizistin tun kann, mit ihrer Hand nach hinten und brachte ein paar Handschellen zum Vorschein. Ehe ich noch ahnte, wie mir geschieht, drückte sie mich an die Wand, zog meine Hände hinter den Rücken und klack – klack, klickten die Handschellen. Und dann führte sie mich ab. Glücklich, von ihr verhaftet zu sein, gingen wir erhobenen Kopfes über den Schulhof, an dem verdutzten Direktor vorbei, der gerade seinen Schülern eine Standpauke tanzte.

Niemand von ihnen hatte bemerkt, dass wir frisch verliebt waren und auf dem besten Wege waren, einer hemmungslosen Liebesnacht entgegenzugehen. Ich habe Nuneinmal ein Händchen für die richtige Frau! Mit einer deutschen Postzustellerin oder gar einer polnischen Zeitungsbotin, geschweige denn mit einer fernöstlichen Frühlingsrollenbefüllerin, wäre ich niemals aus dieser prekären Situation herausgekommen.

Aber mit einer niederländischen Polizistin, im deutschen Staatsdienst, ist man stets in guten Händen. Und in dieser Nacht zeigte sie mir, zu was die Niederlande noch alles fähig ist. Am nächsten morgen befreite sie mich dann auch von den Handschellen, die ich ab dann nur noch nachts tragen musste. Zwei Wochen später standen wir vor einem Standesbeamten und ich antwortete auf die Fragen aller Fragen, in bestem Niederländisch: „Ja!“

Ich hatte extra einen „Niederländisch für Anfänger“ Kurs belegt, wo ich lernte, Ja heißt auf Niederländisch ja!

 

Kapitel 2

Kapitel 2

Die Tage vergingen und der triste Alltag holte uns ein. Und dann geschah das, was ich eingangs bereits erwähnte.

Das Telefon klingelte und ich nahm, in geradezu sträflicher, unüberlegter Weise, das Gespräch an, was meine Frau, lautstark so aus der Fassung brachte. An sich ist ja nichts Frevelhaftes daran, wenn man einen Anruf annimmt, wenn man vorher weiß, wer sich an der anderen Seite befindet! Doch in diesem Fall gingen bei uns beiden alle Alarmsirenen an. Als ich das Gespräch beendet hatte, wurde mir erst richtig bewusst, ich hatte die Büchse der Pandora geöffnet.

 

Sie werden sich jetzt sicher wundern, denn wenn sie genau den Handlungsverlauf mitverfolgt haben, berichtete ich zum Beginn der Geschichte von meiner Frau, die, wenn man dem roten Faden folgend, zweifelsohne eine gewisse Frau Knittelborn war. Doch gegen Ende war ich mit einer Frau Gretchen van Geldern verheiratet. Diese kleine Verwirrung mag daran liegen, dass ich mit beiden Frauen verheiratet bin. Davon wissen die beiden natürlich nichts, denn sonst würde die Sache nicht ganz so reibungslos funktionieren. Eigentlich hatte ich Frau Knittelborn ja schon abgeschrieben, wegen ihrer desaströsen Schulstunde, die sie gehalten hatte, doch manchmal schlägt das Schicksal eben Purzelbäume, auf die man in irgendeiner Form reagieren muss. Ich hatte mir meinen Lebensentwurf auch anders vorgestellt, als ausgerechnet mit zwei Frauen liiert zu sein. Wobei liiert, ja noch relativ möglich ist, aber ich habe es mir nicht nehmen lassen, beide zu heiraten. Mit dieser Entscheidung habe ich mir mein Leben nicht gerade erleichtert. Es ist nämlich nicht gerade einfach, ein glückliches Familienleben, in zwei unterschiedlichen Städten, mit zwei unterschiedlichen Frauen, unter jeweils zwei unterschiedliche Hüte zu bekommen. Denn, um den beiden Herzensdamen gerecht zu werden und ihnen keine seelischen Probleme zu bereiten, entschloss ich mich, ihnen von der jeweils anderen nichts zu erzählen. Den Vorwurf, ich sei ein Bigamist, weise ich ausdrücklich zurück. Schließlich ist es nicht meine Schuld, dass unsere Gesellschaft, die Politik, die moralinsauren Kirchen und nicht zuletzt unser Rechtssystem, sich noch so antiquiert gebärdet. Wie viele Männer haben, neben ihrer rechtlich angetrauten Ehefrau, noch eine Freundin, Gespielin oder Liebhaberin! Da regt sich auch niemand drüber auf. Schon die alten Griechen kannten die Vielweiberei und gelten noch heute als große Vordenker. Auch im islamischen Recht besteht die Möglichkeit der Polygamie, wobei es sich beschränkt auf maximal vier Frauen. Wohl um zu sichern, dass für alle Männer genügend Frauen übrigbleiben. Denn wenn einer viele hortet, bleiben zwangsläufig einige auf der Strecke. Meist sind das dann die Pickligen, die beim Sport immer als letzte in die Mannschaft gewählt werden. Damit die dann nicht unglücklich durch das leben laufen und womöglich sich radikalisieren, gilt diese Obergrenze. In fortschrittlicheren Ländern, wie beispielsweise vielen afrikanischen Ländern, ist die Vielehe der Normalfall. Davon könnten die sogenannten fortschrittlichen Europäer noch eine Menge lernen. In Swasiland gibt es einen König, König Mswati III., der hat vierzehn Frauen. Sein Vater, der brachte es sogar auf siebzig Frauen und zweihundertzehn Kinder. Da kommt eine Frau statistisch auf drei Kinder, was ja absolut im Rahmen ist. Bei uns zählt eine Frau mit vier Kinder ja schon als asozial. Aber dann wird allerorten gemeckert, weil bei uns die Bevölkerungszahlen zurückgehen. Das liegt zum einem an den vielen alten Menschen, die rücksichtslos und völlig unsolidarisch, einfach wegsterben und den vielen Singlefrauen, die aus rein optischen Gründen, keinen Mann finden und somit jungfräulich, ohne etwas für die Erhöhung der Geburtenrate getan zu haben, sich irgendwann ungeöffnet ins Jenseits verabschieden. Und dann die vielen Männer, besonders in den Großstädten, die sich mit, von Angst getrieben, nur mit Verhütungsmitteln, durch die nächtlichen Diskotheken arbeiten. Manche, die es ganz besonders eilig oder nötig haben, tragen ihre Kondome bereits ausgepackt und angezogen. Eine Bevölkerungsexplosion ist von solchen Egoisten nicht zu erwarten. Da werden dann Ressourcen, im wahrsten Sinne des Wortes, verschleudert. Aber mir dann vorwerfen, wenn ich zwei Frauen von ganzem Herzen liebe. Ich bevorzuge auch keine. Jede hat das gleiche Anrecht auf meinen Körper und all seine Möglichkeiten. Und wenn ich bei der einen etwas Neues erprobe und es sich bewährt, bekommt auch die Zweite von meinem erworbenen Wissen das, was sie braucht. So profitieren beide voneinander, ohne Kenntnis von der anderen zu haben. Das Ganze ist natürlich für mich eine logistische Meisterleistung. Das fängt schon bei der Berufswahl an. In einem Beruf, wo man abends nachhause kommt, ist es praktisch unmöglich zweigleisig zu fahren. Schweren Herzens kündigte ich konsequenterweise meine Stellung als Finanzbeamter und wurde Handelsreisender für einen Buchverlag. Nur so war es mir möglich, mehrere Tage auf Reisen zu sein. Oder es wenigstens vorzugeben. In Wirklichkeit verbrachte ich die Tage, abwechselnd bei der einen Ehefrau und die anderen Tage bei der anderen.

Was ist denn auch schon dabei, wenn man in der physischen und mentalen Lage ist, zwei Frauen glücklich zu machen. Und das kann ich. Ohne eine Neiddebatte heraufzubeschwören, ich bin mit einer sehr stabilen und ausschüttungsfreudigen Potenz gesegnet, die auch für weitere Frauen ausreichen würde. Doch ich bin genügsam und beschränke mich auf meine zwei Frauen. Dafür verzichte ich auch darauf, mir noch eine heimliche Freundin zu halten. Gerade Letztere, verschlingt, wie mir Freunde verrieten, Unsummen. Freundinnen nehmen nur und tragen zum Haushalt nichts Entscheidendes bei. Meine beiden Ehefrauen verdienen ihr eigenes Geld. Etwas worauf ich größten Wert lege. Die Zeiten, wo der Mann das Geld nach Hause bringt, sollte ja nun wirklich überwunden sein. Für mich ist strikte Kontentrennung, der Grundstein einer glücklichen Ehe. Natürlich habe ich, als treusorgender Ehemann, Zugriff darauf. Im umgedrehten Fall natürlich nicht, da wissenschaftlich belegt ist, dass Frauen nur unzureichend mit Geld umgehen können, was die Anzahl ihrer überflüssigen und vollkommenen überzogenen Anzahl von Schuhen beweist. Kein Mensch braucht mehr als drei paar Schuhe! Eins für schönes Wetter, ein Paar für Regen und eventuell noch eins für den Schnee, wenn man im Hochgebirge wohnt. Alles darüber hinaus ist dekadent! Es schürt nur unnötig den Neid bei der besten Freundin, die dann auch unbedingt neue Schuhe braucht, was ihren Ehemann an den Rand des Ruins treibt. Deshalb bin ich auch ein Freund staatlicher Regulierung. Leider fehlt es derzeit noch an einer parlamentarischen Mehrheit, damit ein solches Gesetz durchkommt. Die einflussreiche Lobby der Schuhindustrie unternimmt alles, damit ein solches Gesetz niemals kommt. Solange dieses Schuhbegrenzungsgesetz in den Schubladen der Parteien liegen bleibt, verweigere ich ihnen meine Stimme bei den nächsten Wahlen. Einer muss ja den Anfang machen! Und wer wäre dafür nicht Besser geeignet als ich, der sich mit den Schuhschränken, gleich zweier kaufsüchtiger Frauen herumschlagen muss.

 

 

Kapitel 3

Kapitel 3

 

Anfangs ging auch alles gut. Nach einer erfüllten und hocherotischen Hochzeitsnacht, die wirklich nichts zu Wünschen übrig ließ, denn sie hatte sich für mich aufgespart, fuhren Gretchen und ich an den Gardasee. Zu diesem Zeitpunkt war ich auch noch ein junger aufstrebender monogamer Neuehemann. Natürlich hatte ich mich längst ausprobiert und alles, was ich mir an erotischen Möglichkeiten bot, begierig aufgesogen. Dabei blieb natürlich so manches gebrochene Herz zwangsläufig auf der Strecke. Besonders die Dorffeste in der Umgebung, boten reichlich Material zu meiner erotischen Bewusstseinserweiterung.

Jedes Wochenende verbrachte ich auf Volksfesten, war bei Schützenumzügen und hing auf jeder Kirmes beim Autoskooter rum, wo ich Ausschau nach den Dorfschönheiten hielt, die ebenfalls Signale der Bereitschaft aussendeten. Kein Dixiklo, wo ich mich nicht namentlich verewigt habe. Mein Wissensdurst der damaligen wilden Zeit, war unerschöpflich. Schnell sprach sich die Palette dessen, was ich imstande war zu leisten, sich herum und es bildeten sich lange Schlangen am Autoscooter, von Mädels, die geduldig ausharrten, bis ich mich ihrer annahm. Der Autoskooter, die Cruisingarea jeder guten Kirmes, bot immer Abwechslung. Konkurrenz gab es wenig, wenn man von den sogenannten „Junger Mann zum Mitreisen gesucht“ verschwitzten Typen absieht, die zwar muskelbepackt, aber geistig kaum in der Lage waren, mir das Wasser reichen zu können, absieht. Und von Kirmes zu Kirmes, von Dixiklo zu Dixiklo, lernte ich dazu und galt schon bald als bester Stecher in der Gegend. Ohne diese Erfahrungen, die mich vom unsicheren Knaben zum potenten Mann machten, wäre ich heute überhaupt nicht in der Lage, zwei Frauen das zu geben, was sie von mir erwarten. Mit Demut und Dankbarkeit denke ich noch heute an die alten Kirmeszeiten zurück. Und auch all die namenlosen Mädchen, die bereitwillig ihr Wissen an mich weitergaben, werden mir unvergesslich im Gedächtnis bleiben. Wenn ich mich auch an keines der Gesichter mehr erinnern kann, da die Dixiklos meist eine romantische Illumination hatten. Auch werde ich nie das Aroma und die unbeschreibliche Atmosphäre, die man dort antraf, nie vergessen. Erst neulich waren wir, eine der Frauen, welche weiß ich nicht mehr, auf einem Open Air Konzert und dort traf ich auf eine ganze Batterie von den blauen Klos und ich bat meine Frau, mich dort hinzubegleiten, da ich nostalgische Gefühle hätte und da sagte sie: „Nein!“

Auch sonst war es ein blödes Konzert!

 

*

 

Unsere Hochzeit, also die erste, feierten wir im engsten Familienkreis. Also Gretchen, die Standesbeamtin und ich. Das war entspannt und kostengünstig. Gretchens Eltern lebten in Amsterdam und wir waren der Ansicht, sie nicht aus ihrer normalen Umgebung herauszureißen. Damals konnten wir uns hotelkosten noch nicht leisten und einen Wohnwagenstellplatz hatten wir nicht. Damit ihrerseits die Enttäuschung nicht zu groß war, entschieden wir, ihnen von der bevorstehenden Hochzeit nichts mitzuteilen. Die Aufregung und der Stress wären auch für ihre Gesundheit nicht gut gewesen. Dafür mussten wir allerdings, was natürlich schmerzhaft war, auf Hochzeitsgeschenke aus Amsterdam verzichten. Blieben nur noch meine Eltern. Da diese sich bereits vor Jahren, aus guten und nachvollziehbaren Gründen hatten scheiden lassen, um mir eine unbeschwerte Jugend zu ermöglichen, kamen wir überein: Gleiches Recht für alle! Deshalb zogen wir es vor, sie auch in Unkenntnis zu lassen. Ein plötzliches Aufeinandertreffen der beiden, die jeweils die Schuld an der Scheidung, dem anderen zuwiesen, hätte zu unschönen Szenen führen können. Gegenseitige vorwürfe wären sicher nicht ausgeblieben. Dies hätte unsere harmonische kleine Feier sicher beeinträchtigt, was ihre Teilnahme für uns unmöglich machte. So blieben nur noch unsere Freunde. Die von Gretchen kannte ich nicht, bis auf einen Kollegen, der mich einmal abschleppen ließ und alleine schon deshalb eine Persona non grata war. Meine Freunde kannten Gretchen wiederum nicht, da ich sie ihnen nie vorgestellt hatte. Das tat ich aus Sicherheitsgründen, da ich meine Freunde kannte. Von schönen Frauen können sie einfach nicht die Finger lassen. Gerade bei meiner Trauung fände ich so ein Verhalten unpassend. Abends rechneten wir durch, was wir alles einsparen würden, wenn wir alle unsere Freunde außen vor lassen und kamen auf eine größere Summe, die wir für die Hochzeitsreise einplanten. So kam es, dass wir uns an einem regnerischen Mittwochvormittag im Rathaus mit unserer Standesbeamtin trafen, die uns kurz und schmerzlos vermählte und Gretchen konnte schon am Nachmittag wieder auf Streife gehen. Für vormittags hatte sie bei ihrem Vorgesetzten einen Zahnarzttermin angemeldet, um keinen Verdacht zu erregen. Für mich war es ohnehin kein zeitliches Problem, da ich zu diesem Zeitpunkt arbeitslos war und somit niemandem Rechenschaft schuldig war. Für den Abend hatten wir ein gemütliches Essen eingeplant. Also taute ich, ein von Gretchen bereits Tage zuvor gekochtes Gulasch auf. Frische Spätzle dazu, die ich aus der Kühltheke eines Supermarktes erstanden hatte und zum Nachtisch gab es für jeden einen Apfel. Danach gingen wir glücklich und zufrieden ins Bett und vollzogen die Hochzeitsnacht, wie es die Tradition verlangt. Es war für Gretchen die erste Erfahrung in dieser Angelegenheit. Ich zeigte ihr geduldig, wie das so abläuft und sie erwies sich als gelehrige Schülerin. Zwischendurch erklärte ich ihr, wieso ich was wie machte. Ihr unaufhörliches Jauchzen signalisierte mir, dass sie durchaus Freude daran hatte und wir es sicher zukünftig öfter machen können. Wäre es nicht der Fall gewesen, dann hätte ich unserer noch jungen ehe wenig Zukunftschancen eingeräumt. Doch so war ich mächtig stolz auf meine Frau, die an meinem Hobby Gefallen fand und sich entschloss, es zukünftig mit mir zu teilen. Damit war die Grundlage für eine gemeinsame Zukunft gelegt. Noch erschöpft von der Nacht begann ich, während Gretchen das Frühstück machte, das Auto zu beladen. Schnell war das Zweimannzelt, Gaskocher und die Luftmatratzen, die ich bereits aufgeblasen hatte, im Wagen verstaut. Ich hatte meinen Rucksack schnell gepackt. Und Gretchen ihre drei Koffer, die ich nach einigem Hin und Her im Kofferraum unterbrachte. Bis auf eine der Luftmatratzen konnte ich alles verstauen. Doch so sehr ich mich auch bemühte, für die Matratze fand sich kein Platz. Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, dass Gretchen sie zu sich auf den Beifahrersitz nehmen musste. Das war für sie zwar etwas unbequem und es nahm ihr auch etwas die Sicht, dafür hatte sie einen Airbag, den es in meinem alten Fiesta noch nicht gab. An Sicherheit soll es meiner Frau nicht fehlen. Um die Sichtbehinderung zu kompensieren, erzählte ich ihr während der Fahrt alles, was gerade zu sehen war. Das ersparte uns auch eine unnötige Konversation, die sonst meist in heftige Diskussionen ausartet, wenn nicht sogar zu eskalierendem streit. Dies wollte ich wenigstens auf unserer Hochzeitsreise vermeiden. Leider sind die Zeiten, wo die Frau dem Mann, unumwunden immer recht gibt, aus der Mode gekommen. Sehr zu meinem Leidwesen, wie ich betonen möchte. Emanzipation ist zwar schön und gut, doch man sollte es auch nicht übertreiben. Doch dank der ausschmückenden Schilderung der Natur, die uns während der Fahrt begegnete, kam es nicht zum Streit. Gebannt lauschte mir Gretchen und freute sich für mich, was ich alles Schönes sah.

Währendessen fütterte sie mich mit Mandarinenstückchen, reichte mir einen Becher Kaffee an oder steckte mir eine Zigarette an. Dadurch sparten wir ungemein viel Zeit an, da ich keine Pause brauchte. Erst nach vier stunden mussten wir tanken und so kam Gretchen doch noch in den Genuss, sich etwas von der Landschaft ansehen zu können. Ich hatte, um ihr eine Freude zu machen, auch extra einen attraktiven Rastplatz ausgewählt, von dem man aus einen wunderbaren Blick auf ein Autobahnkreuz hatte. Nach vier weiteren pausenlosen stunden, kamen wir an unserem Bestimmungsort an. Riva del Garda! Auch der Campingplatz, Camping Al Lago, war schnell gefunden. Jetzt zeigte sich, wie clever es war, die Luftmatratzen bereits zuhause aufzublasen. Denn ich war doch sehr erschöpft von der Fahrt und so konnte ich mich gleich hinlegen, während Gretchen sich redlich bemühte, unser Zelt aufzubauen. Als ich wach wurde, stand das Zelt bereits. Mit der tatkräftigen Unterstützung von zwei jungen Bielefeldern, die neben uns ihr Zelt hatten, gelang ihr es mühelos. Ich besah mir alles und stellte zufrieden fest, dass es kein Grund zur Beanstandung gab. Den beiden Bielefeldern erklärte ich ruhig und doch sehr klar, dass sie sich bitte zukünftig von meiner Frau entfernt aufhalten mögen, da sie eben meine Frau sei. Ich meine, wenn zwei junge, durchtrainierte attraktive Männer, die sich auf einem Zeltplatz in Italien, mit einem angeberischen Luxuswohnwagen, auf einem Campingplatz einnisten und so übertrieben hilfsbereit sind, dann weiß man ja schließlich, was sie im Schilde führen. Die sind auf der Jagd! Auf der Jagd nach willigen ahnungslosen Frauen, die sie in den Wohnwagen locken und es auf einen flotten Dreier abgesehen haben, selbst wenn sie nur aus Bielefeld sind. Solch ein Ansinnen gehört sofort unterbunden, seitens eines treuen fürsorglichen Ehemannes, also von mir. Und dies tat ich, in der mir eigenen freundlichen, aber unmissverständlichen Art, die keinerlei Zweifel daran ließ, dass sie mit ihrem Leben spielten.

„Finger weg von meiner Frau, sonst reiß ich euch die Eier ab!“

Ob meiner unverblümten Klarheit, nickten sie eingeschüchtert und zogen sich in ihre Protzbehausung zurück. Andererseits, was können zwei Bielefelder schon bieten, außer einem aufgepumpten Körper. Von all dem bekam Gretchen nichts mit, die ich, clever wie ich bin, unter fadenscheinigen Argumenten losgeschickt hatte, um unser Abendessen zu besorgen. Als sie wieder zurückkam, mit der Dose Ravioli, waren die Bielefelder Gigolos bereits abgefertigt und verschwunden. Bis zum nächsten Morgen war von ihnen auch nichts mehr zu sehen. Ich hatte sie schon verdrängt, als es in aller Früh an unserem Zelt klopfte. Schnell zog ich mir etwas an, was ich verständlicherweise des Nachts, mir von Gretchen langsam ausziehen ließ, da sie zunehmend Gefallen an erotischen Spielereien gefunden hatte, was mich sehr freute. Denn wann finden Ehepaare heutzutage schon eine gemeinsame Basis, um den Ehealltag erträglicher zu machen. Und einen Fernseher gab es in unserem Zelt ja nicht, der für Abwechslung gesorgt hätte. Es zeigte mir Wiedereinmal, wir waren füreinander bestimmt. Ich griff nach meiner Hose und versuchte, so gut es ging, in gebücktem Zustand, sie eilig anzuziehen. Gretchen lag noch, wie Gott sie schuf und er hatte sich wirklich sehr viel Mühe mit ihr gegeben, da und schlief. Ich bedeckte ihre Blöße, die nur für meine Augen bestimmt waren und zog den Reißverschluss des Zeltes hoch. Davor standen die beiden Bielefelder, deren Nachbarschaft ich langsam nervend fand.

„Was?“, grummelte ich.

Zu mehr bin ich morgens, vor dem ersten Kaffee, noch nicht fähig zu sagen. Doch angesichts der zwei oberkörperfreien Gestalten, die da ungefragt angeklopft hatten, war mein „Was“ schon ein Wort zuviel.

„Wir wollten ja nicht stören ...“, begann der Linksstehende und der Rechte Ergänzte: „... aber ...“.

„... ihr tut es!“, vollendete ich den Satz.

Wobei mein Tonfall, nicht ganz dem der beiden Störenfriede entsprach. „Es ist wegen letzter Nacht!“, versuchte einer der zwei, die nur schwer voneinander zu unterscheiden waren, gleicher enthaarter Body, gleiches Brustwarzenpiercing und selbst ihre Shorts hatten sie wohl im günstigen Doppelpack eingekauft.

„Was war letzte Nacht?“, fuhr ich sie leise an, um Gretchen nicht zu wecken, die sich hinter mir gerade auf die andere Seite drehte.

„Na ja, es war ... also irgendwie ... wie soll ich sagen ...“, stocherte sich einer der Zwillinge, ungeschickt durch die deutsche Sprache.

„Genau!“, bestätigte nun sein optisches Pendant, die lächerlichen Bemühungen seines, sprachlich mäßig begabten, Kollegen.

„Kommt doch noch einmal wieder, wenn ihr einen kompletten und verständlichen Satz euch ausgedacht habt!“, gab ich ihnen als rat mit auf den Weg, bevor ich den Reißverschluss wieder herunterzog. Doch ich hatte nicht mit ihrer Hartnäckigkeit gerechnet, denn kaum hatte ich mich wieder hingelegt, als die beiden begannen, Dellen in das Zelt zu klopfen.

„Warum haben wir kein Zelt aus massiver Eiche? Dann könnten diese Deppen sich wenigstens ihre Hände blutig hämmern.“, dachte ich und meine Laune verfinsterte sich schlagartig.

War ich ja anfangs noch höflich gewesen, so sollten sie mich jetzt aber von meiner unangenehmen Seite kennenlernen. Ich wartete noch einen Moment ab, um meiner Wut die Chance zu geben, sich ordentlich zu steigern und als dieser Punkt erreicht war, riss ich den Reißverschluss auf. Sofort machten die zwei nervigen Typen einen Satz nach hinten und ich entstieg, wie Phönix aus der Asche, dem Zelt und baute mich davor in voller Größe auf. Offenbar machte ihnen meine behaarte Brust Angst.

„Wisst ihr jetzt, was ihr wollt?“

Die beiden blickten sich kurz an. Dann stupste der Linke den Rechten und der rechte erwiderte mit einem Ebensolchen. Scheinbar waren sie sich uneinig, wer von ihnen nun der Wortführer sein sollte. Dies hatten sie sich wohl vorher nicht ausbaldowert, was sie nun, vor meinen müden Augen, miteinander ausfighteten. Ein wildes Gerangel begann. Ihre bisherige, zur Schau gestellte Harmonie, bekam erste Schrammen. Mit einer gewissen Genugtuung, nicht ganz unschuldig daran zu sein, besah ich mir dieses Schauspiel der Extraklasse an. Als der erste der beiden Gladiatoren, den anderen in den Schwitzkasten nahm und ihn versuchte, auf den Boden zu niederzuringen, ging ich zum Kiosk, um mir einen frischen Kaffee zu holen. Als ich zurückkehrte, wälzten sich inzwischen beide auf dem Boden. Um sie herum hatte sich eine kleine Menschentraube von Mitcampern gebildet, die mit großer Freude dabei waren, sie anzustacheln.

Anfeuerungsrufe in vielen verschiedenen Sprachen waren zu hören.

Selbst die Kinder, die man wegen der besseren Sicht und als Spuckschutz für die Erwachsenen, nach vorne gestellt hatte, ereiferten sich. Doch kurz bevor der erste Zahn sich selbständig machen konnte und im hohen Bogen aus einem Mund geschlagen wurde, erschien der Platzwart, der sich als Spielverderber zeigte. Offenbar ein Sportmuffel!

„Wat is de ûnsin?“, rief er ganz aufgeregt, doch niemand verstand ihn.

Selbst anwesende Italiener fragten sich, ob das wohl ein seltener Dialekt eines Bergdorfes in den Abruzzen sei. Die Erwachsenen waren ratlos, als der Abruzze erneut ansetzte.

„Harkje jo, jo mindless morons! Ik ha noch noait safolle dommens yn in bult sjoen.“

Alle Umstehenden sahen sich nur fragend an. Nur ein kleiner Rotzlöffel erwies sich als der Cleverste unter den ganzen Kindern und nahm das, was der Platzwart von sich gab, mit seinem Smartphone auf und ließ es auf deutsch übersetzen. Sofort gelang es dem Gerät und jetzt konnte man hören, was der Platzwart gesagt hatte.

„Hört ihr wohl auf, ihr hirnlosen Schwachköpfe! So viel Dummheit auf einem Haufen, den habe ich ja noch nie gesehen.“

Bei den deutschen Campern ging nun ein Raunen durch die Reihen. Schnell baten nun auch Camper aus anderen Ländern um eine entsprechende Übersetzung. Eifrig bemühte der junge, der froh war, endlich einmal als vollständiges Mitglied der Gesellschaft akzeptiert zu sein, jeden einzelnen Wunsch. Nach und nach hörte man die Übersetzung ins Schwedische, Italienische, ins Sorbische und ein Komiker forderte eine Übersetzung ins Vatikanische. Stolz kam der Junge jeder Bitte nach. Nur beim Vatikan kam er an seine Grenzen. Als schließlich fast jeder Wunsch erfüllt war, wurde der Platzwart von einem italienischen Landsmann gefragt, welchen Dialekt er denn sprechen würde.

„Ik bin Westfrysk!“, sagte er voller Stolz und übersetzte sich gleich selbst.

„Ich bin Westfriese!“

„Ein Landsmann!“, rief ich erfreut aus und schüttelte ihm die Hand.

Von allen diesen sprachlichen Verwirrungen bekamen die beiden Bielefelder nichts mit, die gerade dabei waren, jeweils dem anderen ins Ohr zu beißen, was wohl in Bielefeld eine Art Volkssport zu sein scheint. Die beiden zogen ihr Unterhaltungsprogramm weiter durch und auch der Westfriese begann nun, mit all den anderen, sie weiter anzustacheln. Das hätte wohl noch stundenlang so weiter gehen können, wäre nicht ein altes Mütterchen des Weges gekommen, gebeugt von der Anzahl ihrer Jahre, die ein kleines Eimerchen mit sich führte. Sie bahnte sich den Weg durch die sportbegeisterte Menge und als sie vor den inzwischen gegenseitig verbissenen Kämpfern war, rief sie in feinstem Italienisch: „Finale!“

Aufgeregt rief der Junge, mit Blick auf sein Smartphone:

„Schluss! Sie hat Schluss gesagt und das war italienisch.“

Kaum hatte er für alle übersetzt, als die alte Frau den Eimer anhob und übergoss die Bielefelder Raufbrüder mit Wasser, so wie man es auch gerne bei kopulierenden Hunden, als Verhütungsmittel anwendet.

Und was gestandenen Männern und dem westfriesischen Platzwart nicht gelang, schaffte sie mühelos. Die Luxuswohnwagenbesitzer hörten abrupt auf und schüttelten sich das Wasser von ihren gestählten Körpern. Sofort begannen sie ihre zerzausten Haare zu ordnen, die schon bald wieder ihre ursprüngliche Form erhielten. Erst da sahen sie, wie viele Zuschauer sie hatten, die dankbar für die Show applaudierten. Gerührt verbeugten sich beide, nahmen sich bei der Hand und küssten sich, zum Zeichen der Versöhnung. Damit war die Veranstaltung beendet und die Zuschauer verließen den Schauplatz und gingen ihrem Campingvergnügen nach. Die beiden Bielefelder Herren, zweifelsohne und bewiesenermaßen Anhänger homosexueller Neigungen, die sie auch auszuleben schienen, zogen sich in ihren Wohnwagen zurück. Nur ich blieb ganz alleine zurück und fragte mich, dann doch neugierig geworden, was sie eigentlich für eine Frage an mich hatten. Und da unbefriedigte Neugier ein quälendes Gefühl sein kann, entschloss ich mich, dem nachzugeben. Und damit trat ich der drohenden Gefahr entgegen, psychischen Problemen, keinen Vorschub zu leisten. Ein Blick ins Zelt sagte mir, Gretchen hatte von dem ganzen Spektakel nichts mitbekommen, denn sie schlief immer noch tief und fest. „Hoffentlich wird sie später nicht enttäuscht sein, dass sie dieses Höllenfinale verpasst hat.“, dachte ich bei mir, küsste ihre freiliegende Brust, weil mir danach war und ging dann hinüber zu den zwei Männern, die sich wohl doch nicht so sehr für meine Frau interessierten, wie ich ihnen unterstellt hatte. Das tat mir jetzt auch irgendwie leid. Ohne mein Zutun hätten sie wohl nun auch nicht so verbissene Ohren. Ich ging auf den Wohnwagen zu, doch dann ging ich zurück und holte aus dem Zelt mein Hemd und zog es an. Ich wollte schließlich mit den Schwulen reden und nicht sie anmachen. Schließlich weiß ich ja, wie ich auch auf Männer wirke, die dafür ein Auge haben. Außerdem möchte ich verhindern, dass sich die beiden nicht auch noch wegen mir in die Haare kriegen. Gerade meine Brustbehaarung, die wirkt ja für auf viele Männer wie eine Doppeldosis Aphrodisiakum. Zwar ignoriere ich solche Blicke geflissentlich, doch schmeicheln sie mir natürlich. Na ja, um ganz ehrlich zu sein, ich genieße es in vollen Zügen, wenn ich mit den Augen ausgezogen werde. Direkte und persönliche Übergriffe lasse ich natürlich nicht zu. Gucken ja, aber mehr ist nicht drin. Ich habe mich mehrheitlich dazu entschlossen, meine ganze männliche Potenz, in den Dienst der Frau zu stellen. Ich bin eben ein Frauenversteher, dem es lediglich zufällt, auf beiderlei Geschlecht eine animalische Wirkung zu entfalten. Doch was die beiden Bielefelder betrifft, offensichtlicher kann man nicht herumlaufen, wie die. Sie ähneln sich wie ein Ei dem anderen, wie es der Volksmund so schön umschreibt.

Wenn ich auch zugegebenermaßen anfangs den Verdacht hegte, sie buhlen um mein Gretchen. Doch jetzt, da diese Gefahr an ihrer sexuellen Neigung gescheitert ist, komme ich wohl nicht umhin, mir eine Entschuldigung abzuringen, damit ein zukünftiges harmonisches Miteinander möglich sein kann.

„Huhu!“, rief ich leise vor ihrem Wohnwagen, denn ich wollte mich nicht als zu aufdringlich, oder gar interessiert zeigen.

„Huhu!“, kam es echogleich aus dem Wohnwagen.

Und dieses „Huhu“ klang einladend, doch war es mir im Subtext, der unter dem „Huhu“ mitschwang, etwas zu einladend. Sollte dieses „Huhu“ nicht mehr gewesen sein? Womöglich die klare Aufforderung, unverzüglich einzutreten? Oder sollte es mir suggerieren: Komm rein, ich bin alleine. Es wäre natürlich auch möglich, sie waren zu zweit und wollten die Chance, zu dritt zu sein, sich nicht entgehen zu lassen. Immer mehr manifestierte sich in mir der Gedanke, ihr „Huhu“ war als Lockruf zu verstehen und wenn ich ihm folgen würde, stürzte ich nichtsahnend in eine Venusfalle. Wobei das ja eher auf Frauen zutrifft. Ob es bei Männern da ein Pendant gibt, entzieht sich meiner Kenntnis. Vielleicht Marsfalle oder Neptunfalle!

„Huhu! Nur herein mit dem Huhurufer!“, drang es aus dem Luxuswohnwagen, der sicher zu einer Liebeshöhle umgebaut war. Vielleicht barg es ja sogar einen SM-Bereich.

Ich meine, wenn zwei offensichtlich homosexuelle Schwule, dazu alle beide, auch noch männlichen Grundgeschlechts sind, die sich beide gleich anziehen und öffentlich balgen, dann praktizieren sie ohne Zweifel auch sadomasochistische Spielereien. Und kaum setze ich einen Fuß hinein, bin ich auch schon nackt, angekettet, ausgepeitscht und versklavt. Da wird sich nicht erst lange damit aufgehalten, zu fragen, was man denn wolle.

Ich musste feststellen, mein ehrlicher Wunsch einer Entschuldigung, könnte mich in ernste Schwierigkeiten bringen. Sicher war ich nur, solange ich den Wohnwagen nicht betrete.

Ein drittes „Huhu“ Ruf machte es mir auch nicht leichter.

Und dann wurde es geradezu brenzlig für mich, als dem „Huhu“ ein: „Die Tür ist offen!“, folgte.

Für mich gab es nur eine Möglichkeit meinem Schicksal zu entgehen, indem ich sie zwang, den Wohnwagen zu verlassen, damit ich in der Sicherheit eines neutralem Bodens, meine Entschuldigung anbringen konnte.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Rolf Bidinger
Tag der Veröffentlichung: 28.05.2020
ISBN: 978-3-7487-4351-4

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