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Prolog

Der hier beschriebene Kriminalfall beruht auf wahren Ereignissen, die aber so unglaublich sind, dass sie in den Archiven aller wesentlichen Polizeieinrichtungen, von BKA, CIA, Inter- und Europol, Mossad, KGB und dem Vatikan, unter Verschluss gehalten werden. Dem Autor, dessen Name, aufgrund einer einstweiligen Verfügung seiner Mutter, verändert werden musste, gelangte über geheime Kanäle an die brisanten Unterlagen. Wie branchenüblich, wurden kleine sexuelle Gefälligkeiten dabei verlangt, dem der Autor mit einer gewissen Freude nachkam. Er traf sich an anonymen Orten mit den Kontaktpersonen, die diversen Geschlechtern angehörten, in verdunkelten Räumen, um die Geheimhaltung zu wahren. Welche dezidierten sexuellen Praktiken dabei zur Anwendung kamen, um in den Besitz der Unterlagen zu kommen, spielen an dieser Stelle, wegen ihrer Perversion, keine Rolle. Sämtliche Videomitschnitte sind vertraulich und werden von den Geheimdiensten unter Verschluss gehalten und nur bei internen Betriebsfeiern gezeigt.

Aus Gründen der Persönlichkeitsrechte und zum Schutz aller beteiligten Personen, wurden ihre Namen geändert. Die Namen der beiden Hauptprotagonisten wurden auf Anraten ihrer Anwälte bis zur Unkenntlichkeit verändert. Wobei dem Opfer der Name Dr. Wu zugedacht wurde. Sein Gegenspieler erhielt den international nicht so gebräuchlichen Namen Horst. Dem Autor ging es bei der intensiven Namensfindung, die sich über Wochen hinstreckte, bereits hier schon darum die gesellschaftlichen Unterschiede zu verdeutlichen. Beide Namen stehen untrennbar für eine geistige Entwicklung, die, wenn man die Namen tauschen würde, keinen Sinn ergeben würden und als völlig unglaubwürdig, von der lesenden Bevölkerung nicht akzeptiert werden. Der allgemeine Tenor, der durch eine Befragung des Forschungsinstituts Infratest dimap, eindrucksvoll untermauert wurde, war, ein Horst könnte niemals einen Großkonzern leiten. Ihm fehlt das Wesentliche! In Horst steckt nichts Gewinnendes! Kein brutales Durchsetzungsvermögen, was unumgänglich ist, um an die Spitze eines führenden Versicherungsunternehmens zu gelangen. Dr. Wu hingegen, ein Name, der für sich spricht! Geheimnisvoll und liebenswürdig zugleich. Der Leser möchte ja mit dem Opfer mitleiden und an seinem Schicksal emotional Anteil nehmen. Das wäre bei einem Horst ausgeschlossen. Horst spricht einfach nicht für Erfolg! Zwar wird immer wieder jemand zum Horst gemacht, doch in der Regel trägt der so gescholtene einen anderen Namen. Nachdem er dann zum Horst wurde, kehrt er wieder zu seinem alten Namen zurück.

Sollte jedoch der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass einer der wenigen wirklichen Horst`s an dieses Buch gelangt, so empfiehlt der Autor dringlichst, dies für sich behalten.

Von einem öffentlichen Outing wird dringlichst abgeraten.

Um nun die Glaubwürdigkeit zu erhöhen, wurde eigens für Dr. Wu eine Vita hinzuerfunden, die herzergreifend ist.

Sie zeigt eindrücklich, wie man, wenn auch die Umstände eigentlich dagegen sprechen, man es aus eigener Kraft und der nötigen Portion Kaltschnäuzigkeit schaffen kann, an die Spitze eines Unternehmens zu gelangen, selbst wenn man dafür über Leichen gehen muss, die einem auf der beschwerlichen Reise zum Olymp den Weg versperren. Ein Horst wäre schon über die erste Leiche gestolpert und sich höchstwahrscheinlich den Hals gebrochen. Und damit wäre dann die Geschichte bereits beendet, noch ehe sie begonnen hat. Deshalb war es auch so wichtig, den beiden Charakteren die richtigen Namen zu verpassen.

Über Horst wird nachfolgend bereits einiges berichtet, damit sie sich selbst ein Bild von ihm machen können. Dr. Wu hingegen, umgibt etwas unheimliches, wie sie ja bereits dem Titel des Buches entnehmen konnten.

Dennoch möchte ich an dieser Stelle und ganz Exclusiv ein paar Geheimnisse von Dr. Wu preisgeben, die sie heiß machen sollen, um sich für ihn zu begeistern.

Für einen Schriftsteller von Weltgeltung, der bereits überschüttet wurde mit Literaturpreisen, dem fehlt der Biss eine solch unglaubliche Geschichte zu Papier zu bringen. Seine Tantiemen haben ihn nicht nur zu einem mehrfachen Millionär gemacht, sondern auch bräsig. Aber diese tragische Lebensgeschichte zweier sehr ungleicher Männer, verlangt Frische, Neugierde, die Lust am Formulieren und den absoluten Ehrgeiz, damit endlich der drohenden Obdachlosigkeit zu entkommen. Dieses Buch ist der letzte Hilferuf eines zutiefst enttäuschten Mannes, der schreibt um die Welt aufzurütteln und der mit dem Rücken zur Wand steht. In der einen Hand bereits die Pistole am Kopf, in der anderen das verschmutzte Küchenmesser, jederzeit bereit, es sich in die Brust zu stechen. Sollte nun der Eindruck entstanden sein, hier bettelt jemand auf schleimscheißerische Weise darum, ein Buch zu verkaufen, um es in den Bestsellerlisten nach oben zu puschen, dem sei offen und ehrlich gesagt: Ja, der Eindruck täuscht nicht! Und wenn sie schon nicht das Schicksal von Horst und Dr. Wu berührt, dann hoffe ich inständig, meine verzweifelte Lage kann sie erweichen.

Doch sollten sie nun dieses Buch einfach wieder zurück ins Regal stellen und die Buchhandlung ihres Vertrauens ohne ein Exemplar verlassen, so machen sie sich mitschuldig. Mein Tod, der letzte Weg meinem Leben noch etwas abzugewinnen, wird auf ewig auf ihrer Seele lasten. Sie werden keine Nacht mehr ruhig schlafen können. All dies kann und möchte ich ihnen ersparen. Investieren sie nur ein paar Euro, die ihnen sicher nicht weh tun werden und machen sie sich und mich glücklich. Und nun begeben sie sich, ohne noch länger zu hadern, an die Kasse und werden sie zu meinem Lebensretter! Getreu der alten Pfadfinderlosung: „Jeden Tag eine gute Tat!“

Ich verlange auch nicht, dass sie es anschließend lesen, nur das sie es kaufen! Sollte aber dieser inständige Appell bei ihnen auf taube Ohren treffen, so sehe ich mich gezwungen, eine letzte Methode zu ergreifen, für die ich sie ganz alleine verantwortlich mache. Ich habe mir nämlich die Fähigkeit der suggestiven Hypnose in Heimarbeit selbst beigebracht, die ich nun gezwungener Maßen, bei ihnen anwende.

„Kaufen sie dieses Buch! Kaufen sie dieses Buch! Kaufen sie dieses Buch! Jetzt!“

Nun sollte es ihnen leicht fallen, sich für den Kauf dieses Buches zu entscheiden, zu dem ich sie ausdrücklich beglückwünschen möchte. Auch im Namen meiner Kinder, die noch ungezeugt und ungeduldig darauf warten, endlich an den Start gehen zu können, um ein unbeschwertes Leben, an der Seite ihres erfolgreichen Vaters führen zu können.

PS: Für die obigen letzten vier Zeilen wird noch eine passende fruchtbare Frau gesucht. Aussehen zweitrangig. Vermögen erwünscht.

Herzlichst Ihr

Xxxx Xxxxxxxx

(Name wurde, zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte, unkenntlich gemacht)

Auch wurde auf eine detaillierte Schilderung von Örtlichkeiten verzichtet, damit keine Rückschlüsse gezogen werden können. Gerade das große Gebäude des Versicherungsunternehmens von Dr. Wu wird nicht näher beschrieben. In einer Allianz, zwischen Unternehmen und Autor, wurde vereinbart, der Autor nennt den Namen nicht, dafür verzichtet das Unternehmen darauf Bücher zu schreiben. Eine Win-win-Situation für beide Seiten.

Über die Vergangenheit von Dr. Wu ist zudem wenig bekannt. Trotz intensiver Recherche konnte nur so viel in Erfahrung gebracht werden: Er ist das zweite Kind seiner Eltern. Er wurde während der „Ein Kind Politik“ Chinas geboren und deshalb ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass er keinen leichten Start ins Leben hatte. Durch ein dubioses Deutsch-chinesisches Handelsabkommen kam er zu einer Familie in Bottrop, die ihn großgezogen hat, so weit man einen Chinesen eben großziehen kann. Bei der Aufzucht des Kleinen, mussten seine Pflegeeltern betrübt feststellen, dass ihr kleiner Wu eine Reisallergie hat und somit der Ankauf eines gebrauchten Reiskochers sich als Fehlinvestition sich erwies. Als der kleine Wu verspätet in Bottrop ankam, weil der DHL Service die Adresse nicht direkt fand, schauten seine Pflegeeltern ihn lange und ausgiebig an, denn sie wollten ihm einen passenden Vornamen geben. Besonders der Pflegevater, der in ihm eine gewisse Ähnlichkeit erkannte, was seine Frau sehr stutzig machte, bestand auf einem deutschen Vornamen, damit er es später leichter im Leben haben sollte. Lange diskutierten sie über den Vornamen, was fast zur Trennung geführt hatte, denn sie konnten sich nicht entscheiden zwischen Giuseppe und Francois. Schließlich einigten sie sich, unter Zuhilfenahme eines Mediators, auf Horst. Horst Wu sollte er von nun an heißen. Innerhalb unserer Geschichte wird er aber nur als Dr. Wu bezeichnet, weil ja bereits der andere Protagonist Horst heißt, was ja sonst nur Verwirrung schaffen würde.

Nach erfolgreicher Namensfindung durchlief er das Bottroper Bildungssystem. Bereits früh erkannten seine Pflegeeltern, dass anhand seiner Leistungen, an eine akademische Laufbahn nicht zu denken war, falls nicht ein Wunder geschieht. Und dieses Wunder geschah dann tatsächlich eines Tages, in Form eines Lotteriegewinns. Die Auszahlung für vier Richtige plus Zusatzzahl, ermöglichte ihnen den Ankauf eines Doktortitels. Damit sah die Welt gleich ganz anders aus. Mit Kusshand wurde ihm eine Lehrstelle angeboten, die er auf sanftem Druck seiner Pflegeeltern antrat. Damit wurde er zu dem ersten und einzigen Warenauffüller mit akademischen Titel, den die Bottroper Einzelhändler aufzuweisen hatten. Aber Dr. Wu wollte mehr.

Der Ehrgeiz in ihm war geweckt und er machte nebenbei in einem Fernstudium den Einkaufswagenführerschein. Er bestand die Prüfung mit Auszeichnung und erhielt eine vergoldete fünfzig Cent Münze, womit er weltweit jeden Einkaufswagen entriegeln konnte. Selbst die örtliche Presse berichtete darüber. Danach wollte er in die weite Welt hinaus und an der Autobahnzufahrt Richtung Cottbus, verlor sich seine Spur. Jahrelang hörte niemand mehr etwas von ihm. Als seinen Eltern auch noch das Pflegegeld gestrichen wurde, war die Sache für sie ebenfalls erledigt. Der Name Dr. Wu tauchte erst Jahrzehnte später wieder auf. Ein großer Versicherungskonzern machte einen Dr. Wu zu seinem Vorstandsvorsitzenden. Ob es sich dabei aber um den kleinen reisverweigernden Wu aus Bottrop handelt, konnte nie geklärt werden, da er von seinem Recht der Aussageverweigerung Gebrauch machte. Und an dieser Stelle beginnt sie nun, die eigentliche Geschichte von Dr. Wu und Horst.

Kapitel 1

Die Welt ist voller wunderbarer Menschen! Stets war ich bemüht, die grenzenlose Liebe, die ich in meinem Herzen gespeichert habe, über die Menschheit auszuschütten. Denn wer die Menschen nicht liebt, der kann auch nicht erwarten, gegengeliebt zu werden. Und ich möchte, um alles in der Welt, geliebt werden.

Ich möchte dereinst als Gutmensch von dieser Welt abtreten und ein weinendes Menschenmeer zurücklassen.

Meinen letzten Auftritt habe ich ganz genau geplant. Alles ist von mir bestimmt, notiert und bei einem Notar meines Vertrauens hinterlegt. Natürlich durchlief der Notar eine Sicherheitsüberprüfung, die ihres gleichen sucht. Schließlich handelte es sich bei dem Dokument, welches ich ihm übereignen wollte, um die detaillierten und sorgsam ausformulierten letzten Wünsche meiner, von mir geplanten, dreitägigen Trauerfestivitäten. Polizeiliches Führungszeugnis und die fünf Leumundszeugen, die ich durch den Verfassungsschutz überprüfen ließ, waren nur die erste kleine Hürde, die der Notar überspringen musste.

Bei einer, in solchen Angelegenheiten, üblichen Ortsbegehung, stellte ich zu meinem Entsetzen fest, der von mir präferierte Notar, besaß weder ein ausgeklügeltes Sicherheitskonzept für seine Kanzlei, noch einen Kampfhund, der nächtens den Tresor bewacht und im Falle eines Einbruchs, sofort dem Dieb die Gurgel, mit einem gezielten Biss, aufreißt. Für einen hundsgemeinen Dieb, der es auf meine Trauerfestschrift abgesehen hat, ist Verbluten eine fast zu humane Strafe. Der Kampfhund müsste nach getaner Arbeit, die meinen ganzen Respekt verdient, natürlich aus hygienischen Gründen eingeschläfert werden.

Selbst wenn ideologisch verblendete Tierschützer verbissen gegen die Tötung aufbegehren, muss das süße Hündchen, den Weg in den Hundehimmel antreten. Mit etwas Glück hat er ja zeit seines Lebens genügend Karma-Paybackpunkte gesammelt und wird als Haselmaus oder Minischwein wiedergeboren. Aber darauf habe ich keinen Einfluss. Soweit reichen meine Beziehungen nicht. Noch nicht! Kann ja noch werden. Bin ja noch nicht tot. Ich will mich nur rechtzeitig vorbereiten. Hinterher ist es ja zu spät. Deshalb habe ich rechtzeitig vorgesorgt. Man weiß ja nie, wann es einen erwischt. Nachher gerate ich zufällig unter einen LKW, dessen Fahrer gerade eine WhatsApp Nachricht erhalten hat. Eine kleine Unaufmerksamkeit seinerseits und meine Gedärme haben sich um seinen profillosen Hinterreifen gewickelt. Und das alles nur, weil der mir zugewiesene Schutzengel Überstunden abbummelt. Ein solches Szenario würde mich nicht gerade fröhlich stimmen. Wohl dem, der dann seine Abschiedsfeier bereits vorausgeplant hat. Auf meinen ausdrücklichen Wunsch, im offenen Sarg präsentiert und zur allgemeinen Freude, ausgestellt zu werden, würde ich aus ästhetischen Gründen, in obigem Fall verzichten.

In meinem Bekanntenkreis befinden sich einige magenempfindliche, denen ich durchaus zutraue, bei meinem Anblick sich zu übergeben. Dann wäre die feierliche Stimmung dahin. Zudem entwickelt Erbrochenes einen beißenden Geruch, der in so manche empfindliche Nase steigt. Nicht auszudenken, wenn dann ausgerechnet die Frau des Bundespräsidenten, ohnmächtig in meine Eingeweide fällt. Das würde zwar Schlagzeilen bringen, aber es würde von meiner Lebensleistung ablenken.

Von einer First Lady erwarte ich Zurückhaltung und Contenance und nicht, dass sie sich auf meine Kosten in den Vordergrund spielt. Wenn sie sich schon interessant machen will, dann soll sie, zur Rettung des Weltfriedens, mit irgendwelchen Diktatoren schlafen und sie zum Abrüsten zu bewegen. Damit würde sie uns allen einen Dienst erweisen. Stöhnen für den Frieden! Was kann es Schöneres geben. Ihrem Mann wäre dann die zweite Amtszeit sicher und er würde ein Auge zudrücken. Würde sie ein Verhältnis mit seinem Büroleiter anfangen, müsste er zwar auch ein Auge zudrücken. Aber nur, um besser Zielen zu können. Aus Staatsräson müsste er dann seine langjährige Geliebte, die in seinem Vorzimmer sitzt, um immer griffbereit zu sein, heiraten. Der gemeine Bürger erwartet für sein Steuergeld einen Präsidenten, der eine präsentable Frau an seiner Seite zu stehen hat. Und wer bezahlt, der bestimmt! Politik ist auch kein leichtes Geschäft. Aber Mitleid ist an dieser Stelle unangebracht. Er hätte ja etwas Anständiges lernen können.

Doch es gibt weit Drängenderes als ein sich gegenseitig betrügendes Präsidentenpaar. Der Notar zeigte mir seinen sogenannten Tresor. Ein in die Wand eingelassener Kasten, der den Anschein erweckte, als sei er eine umfunktionierte Weihnachtsplätzchendose, die mit Alufolie verkleidet wurde. Ein Blick genügte und mir war klar, dieses Ding kriegt jede halbwegs fleißige Hausfrau mit einem handelsüblichen Dosenöffner auf.

Für jeden Einbrecher, der auch nur etwas Ehre im Leib hat, käme das Öffnen dieser Sardinenbüchse, einer Kapitulation vor seinem goldenen Handwerk gleich.

Kein anständiger Tresorknacker, der seine Prüfung vor der IHK erfolgreich abgelegt hat, würde sich daran vergehen.

Nachdem ich in aller Ausführlichkeit und mit voller Berechtigung den Notar ausgelacht hatte, war er sichtlich betroffen.

Dennoch unternahm er den kläglichen Versuch, mich von der Sicherheit seines Alukistchens zu überzeugen, indem er auf das, seiner Meinung nach, raffiniert getarnte Versteck hinwies, was verhindern sollte, den Tresor überhaupt aufzuspüren.

Es handelte sich dabei um das obligatorische Bild, was jeden Safe verdeckt. Kein noch so gewiefter Einbrecher würde jemals auf den wahnsinnig absurden Gedanken kommen, hinter einem Ölgemälde nach einem Geldschrank zu suchen. Dazu bedarf es schon einem Hochschulabschluss, den nur die wenigsten Geldschrankknacker vorweisen können. Für einen Dieb mit akademischen Doktortitel ist ein simpler Einbruch unter seiner Würde. Investmentschwindel oder wenigstens Aktienbetrug sind da eher angesagt. Darunter macht es ein studierter Betrüger nicht. Mit mittlerer Reife sähe die Sache natürlich anders aus. Laut einer Umfrage von Infratest dimap, haben 38% aller gefassten Einbrecher eine abgebrochene Schullaufbahn.

In einem konspirativen Interview mit dem Spiegel kritisierte Klaus Stehlen, Pressesprecher der Gewerkschaft „Einbruch & Diebstahl“, die unzureichenden Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

Gerade junge hoffnungsvolle Talente werden nicht gefördert. Er forderte einen Studiengang, der fundiertes Wissen vermittelt. Leider findet dieser großartige Handwerksberuf in der Öffentlichkeit wenig Anerkennung. Klaus Stehlen fordert gesellschaftliche Akzeptanz, damit dieser wunderbare, jahrhundertalte Beruf endlich aus der Dunkelheit ans Licht treten kann. Seine Gewerkschaft fordert bereits seit langem einen anerkannten Studiengang. Schließlich hätte die Gewerkschaft der „Betrüger und Bilanzfälscher“ seit langem die Möglichkeit eines Wirtschaftsstudiums. „Dies ist ein Skandal und nicht länger hinnehmbar!“, wie Stehlen betont. Zudem beklagte er, dass von staatlicher Seite zu wenig Anreize geschafft werden, Abiturienten für diesen vielfältigen und spannungsreichen Beruf zu finden. Das hauptsächlich Schulabbrecher sich für eine Ausbildung interessieren, schaden dem guten Ruf der ganzen Innung. Hinzu kommen ganze Banden osteuropäischer ungelernter Quereinsteiger, die ihre Beute nicht ordnungsgemäß versteuern. Dem muss Einhalt geboten werden, sonst droht die Gewerkschaft mit einem landesweiten Streik. Nun ist die Politik gefordert, endlich etwas für die heimischen Diebe zu machen. Es droht sonst eine alte Tradition vor die Hunde zu gehen. Wobei Hunde, hier besonders der gemeine Mops, seit Jahren den Dieben ihr Leben immer schwerer machen.

Von der dringenden Anschaffung eines Hundes versuchte ich meinen Notar auch zu überzeugen. Leider mit mäßigem Erfolg. Er beichtete mir, in tiefer Zerknirschung, eine diagnostizierte Hundeallergie, die ihm seit Jahren zu schaffen macht. Was nun das Bild angeht, das nicht nur den Tresor, also das Alu-Kästchen verbergen sollte, war das Motiv etwas ungünstig gewählt. Hier zeigte sich keine „Landschaft im Schnee“ oder ein „Hirsch in der Brunft“. Dieses Bild, offenbar selbstgemalt, nach einer „Malen nach Zahlen“ Vorlage, zeigte einen, mit einer Strumpfmaske über dem Kopf verkleideten Einbrecher, der vor einem Tresor kniete und dabei war, diesen aufzubrechen. Die Intension der Ablenkung verstand ich wohl, wenngleich ich dieser raffinierten Tarnung, die Verwirrung schaffen sollte, nicht wirklich vertrauen wollte. Irgendwie erschloss sich mir die Logik nicht so ganz. Doch letztlich konnte der Notar mir schlüssig sein Konzept erklären. Schließlich musste ich mir eingestehen, mein Misstrauen gegen sein Sicherheitskonzept war voreilig gewesen. Mit einem einzigen Satz überzeugte er mich davon, mein Dokument bei ihm zu hinterlegen. Und ich zollte ihm meinen ganzen Respekt. Nie wieder, weder davor, noch danach, fühlte ich mich dermaßen zerknirscht.

„Wissen sie ...“, begann er und ich lauschte fasziniert seinen Worten, die zu vergessen, mir unmöglich waren. „... das Geheimnis dieses Tresors ist ein ganz anderes.“ Bedeutungsschwanger deutete er vielsagend auf einen kleinen unscheinbaren Knopf, der neben dem Bild war und keine offensichtliche Funktion innehatte.

Er war mir bereits aufgefallen, aber ich hatte ihm keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt, denn ich hielt ihn für ein Dekorations-assesoire, dass von einer übereifrigen Innenarchitektin, sozusagen als ein Highlight, dort verortet wurde. Wahrscheinlich sollte es dem Raum mehr Gemütlichkeit und Wärme vermitteln. Was es tatsächlich mit dem Knopf auf sich hatte und welch raffinierter Mechanismus damit auszulösen war, erfuhr ich nun.

„Immer dann, wenn ein Klient mir ein wichtiges oder geheimes Dokument übereignet, bin ich für die Sicherheit verantwortlich. Ich erhalte auch Dinge, die keinesfalls in die Hände der Polizei oder der Staatsanwaltschaft gelangen dürfen, da viele Papiere Beweise für eine Straftat darstellen. Da braucht es eben einen vertrauenswürdigen Notar und ich darf mit einigem Stolz sagen, meine Mandantschaft reicht bis in die höheren Kreise der italienischen Mafia. Oh, habe ich gerade Mafia gesagt? Das bestreite ich vehement! Man kann mir keine Verbindungen dazu nachweisen. Sollten sie also gerade ein solches Wort gehört haben, so handelte es sich um eine Sinnestäuschung und ich würde jederzeit an Eides statt schwören, dass sie einer Fata Morgana aufgesessen sind. Oder können sie glaubwürdige Zeugen benennen?“

Eingeschüchtert von den Worten verneinte ich seine Frage, durch intensives Kopfschütteln, was allerdings zur Folge hatte, meine Haare gerieten durcheinander.

„Das will ich schriftlich von ihnen!“, fuhr er fort und reichte mir eine Bürste, um mich wieder in den Originalzustand zu verwandeln. Er war also nicht nur Notar, sondern auch ein Ästhet! Nachdem meine Haare, an Akkuratesse nichts mehr zu wünschen übrig ließen, entfernte ich totes Haar, welches sich in der Bürste zum sterben hingelegt hatte und reichte die gesäuberte Bürste wieder zurück. Er lobte meinen Sinn für Reinlichkeit und setzte seine Erklärung fort, nachdem ich ihm ein vorgefertigtes Formular unterschrieb, was er sofort notariell beglaubigte. Damit war er abgesichert!

„Ich gebe ihnen mal ein Beispiel! Das ist natürlich nur fiktiv und frei erfunden. Nicht das sie denken, ein solcher Fall wäre schon einmal bei mir vorgekommen! Eines schönen Sommertages schneit ein Mandant gehetzt herein und übergibt mir ein Päckchen unbekannten Inhalts, mit der Bitte, es für ihn zu verwahren. In einem solchen Fall ist natürlich Eile geboten, besonders wenn unten auf der Straße Autos scharf abbremsen und eine Einheit der GSG9 auf dem Weg in die Kanzlei ist. Da ist dann Gefahr in Verzug. In einem solchen Fall, der wie gesagt nur erfunden ist, öffne ich schnell den Tresor, werfe das Päckchen hinein und schließe die Tür. Dann drücke ich den Knopf und alles ist gut.“

Er sah mich an und strahlte. Ich war noch nicht ganz überzeugt, was ich ihm eindrucksvoll mit einem „Na ja“ klarzumachen versuchte.

„Oh du ungläubiger Thomas!“, rief er nur.

„Nein Horst!“, machte ich ihn auf seinen kleinen Fehler aufmerksam.

„Nun gut! Sie wollen Beweise? Kann ich ihnen liefern.“

Etwas verärgert ging er zu dem Tresor, öffnete ihn und sah mich mit finsterer Mine an.

„Geben sie mir etwas wertvolles und ich lege es hinein. Dann werden sie sehen, wie sicher mein System ist.“, forderte er mich auf und hielt mir seine Hand entgegen. Eilig durchsuchte ich meine Taschen, fand aber nur ein im Gebrauch befindliches Taschentuch, welches ich ihm in die Hand legte.

Er sah mich an, mit dem rüffelnden Blick einer zutiefst frustrierten Religionslehrerin. Dann warf er es in den Tresor, schloss die Tür und sah mich an, ob ich auch geflissentlich jeden Schritt nachvollziehe. Anschließend drückte er den Knopf und sah mich strahlend an.

„Jetzt ist ihr eingeschnäuztes Taschentuch so sicher wie in Abrahams Schoß!“

Bei mir blieb eine gewisse Skepsis, die sich in meinem Gesicht deutlich zeigte. Er schüttelte nur verständnislos seinen notariellen Kopf.

„Falls jetzt die GSG9 mich mit Waffengewalt zwingen würde den Tresor zu öffnen, müsste ich dem Ansinnen ja Folge leisten. Also öffnen wir ihn wieder!“

Er drehte am Rad des Tresors, bis die richtige Kombination eingestellt war, dann machte er die Tür auf.

„Voilà!“, rief er, wie ein drittklassiger Magier, der im Altenheim auftreten musste, ging zur Seite und wies mit seiner ausgestreckten Hand auf das Innere der Zauberkiste. Die Überraschung war gelungen. Gähnende Leere blickte mich an. Tatsächlich war das Taschentuch verschwunden. Ich konnte nicht umhin, ihm zu applaudieren, was der Notar mit einer tiefen Verbeugung dankbar entgegennahm.

„Jetzt bin ich aber verblüfft!“, musste ich meiner Verblüffung Ausdruck verleihen.

„Nicht wahr!“, meinte er nicht ohne Stolz.

„Das ist ja Magie in Reinkultur!“, lobte ich ihn in überschwänglichem Maße.

„Nun werde ich ihnen das Geheimnis offenbaren, wenn sie versprechen, es danach sofort wieder zu vergessen!“

Ich gelobte es bei allem, was mir heilig ist. Das fiel mir nicht sonderlich schwer, da mir nichts heilig ist. Aber das sagte ich ihm selbstverständlich nicht. Ich ließ ihm in dem Glauben, das Geheimnis sei bei mir sicher. Und so plauderte er eines der größten Tricks der Magierzunft aus.

„Der Tresor läßt sich nämlich von hinten ebenfalls öffnen. Immer wenn ich den Knopf drücke, weiß meine Sekretärin bescheid und öffnet die Rückwand, entnimmt den Inhalt und steckt es in ihre Handtasche. Dann bringt sie alles zu sich nach Hause und verwahrt es dort in ihrem Küchenschrank, hinter einer Ansammlung von abgelaufenen Konserven.“

Nie im Leben wäre ich hinter dieses Geheimnis gekommen. Dankbar, mich ins Vertrauen gezogen zu haben, übergab ich ihm meinen Umschlag und verließ die Kanzlei, in der Gewissheit, meine Unterlagen in Sicherheit zu wissen.

Stop! Time out! Cut!

Leider sehe ich mich gezwungen, ihrem Lesefluss Einhalt zu gebieten. Dies bin ich mir und ihnen schuldig. Ich möchte sie inständig bitten, sich an dieser Stelle, dem Ende des ersten Kapitels, selbst einmal zu überprüfen. Vielleicht geht es ihnen ja wie mir, nach Beendigung und nochmaliger Durchsicht der von mir angedachten Geschichte. Haben auch sie, hie und da ihre Stirn in Falten geworfen? Rollten sie bei mancher Wendung mit den Augen? Waren sie bereits innerlich soweit, dieses Buch aus dem Fenster zu werfen? Wollten sie ihren Buchhändler für seine Empfehlung bereits verklagen?

Sollten sie auch nur eine dieser Fragen mit einem überzeugten „Ja“ beantworten können, dann gehen sie jetzt, wo auch immer sie nun sind, an das nächstgelegene Fenster.

Öffnen sie es! Und nun nehmen sie tief Luft und schreien sie ihren Unmut mit einem aufgestauten und lautem „Scheiße!!!!!!!“, in die Welt hinaus.

Trauen sie sich ruhig! Vergessen sie einmal für einen Augenblick sämtliche gesellschaftlichen Konventionen. Sie dürfen mir auch gerne ein Selfie von ihrem epochalen Gefühlsausbruch schicken. Ich werde es ihnen auch nicht übel nehmen. Wenn jemand für ihre Reaktion größtes Verständnis aufbringt, dann bin ich es.

Sollten ihnen irgendwelche Schwierigkeiten, Probleme oder Drohungen ihrer Umwelt entstanden sein, die auf meine Aufforderung zurückgehen, so dürfen sie mich gerne als den wahren Schuldigen benennen. Ich bin mir der Problematik ja durchaus bewusst und habe mir selbst, die an sie gerichteten Fragen völlig wertneutral gestellt, mit verheerenden Folgen.

Auch ich schlug meine Stirn dermaßen in Runzeln, dass sie sich nicht wieder zurückentwickelte und ich nun eher einer Bulldogge gleiche. Meine Augen rollten sich nicht einfach so, nein sie rotierten wie ein Deckenventilator im Hochsommer, in einer Bambushütte, inmitten der Wüste Gobi.

Und ich verhehle auch nicht, dass es mir äußerst schwerfällt, auch nur ein Fünkchen Verständnis, für das von mir Höchstselbst verfasste erste Kapitel aufzubringen. In dieser Causa sehe ich mich gezwungen, mir in den Rücken zu fallen. Obgleich ich mir eigentlich sehr wohlgesonnen bin, fühle ich mich, für meine Leserschaft verpflichtet, diesen drastischen Schritt zu gehen, selbst wenn ich, damit die Freundschaft zu mir aufs Spiel setze. Bevor ich mich jedoch nun durch eine Selbstgeißelung bestrafe und mich selbst abstrieme, gestehe ich es öffentlich und freimütig: Ich bin schmerzempfindlich!

Selbst die simple Strafe, dass Buch einfach aus dem Fenster zu werfen, bleibt ein unerfüllter Wunsch. Leider besitze ich es, im Gegensatz zu ihnen, nicht in ausgedruckter Form. Aus persönlichem Geiz, den ich exzessiv betreibe, liegt mir der Text unglücklicherweise nur als PDF-Ausgabe vor, der sich auf meiner Festplatte befindet. Diese wiederum in meinem Laptop. Wenn ich also etwas aus dem Fenster werfen könnte, so wäre dies der komplette Computer, was aber in Opposition zu meinem ausgeprägten Geiz stehen würde.

Ein Dilemma, mit dem ich nicht umzugehen weiß. Erschwerend kommt noch hinzu, die Lage meiner Wohnung, ist für so einen existenziellen Schritt äußerst undankbar. Zwar bin ich im Besitz eines Fensters, welches sogar nach draußen führt, aber dies befindet sich im dritten Stock.

Ein unkontrollierter Wurf aus besagtem Fenster, würde unweigerlich zum Zerbersten meines Laptops führen. Eine Tatsache, die nicht unerwähnt bleiben darf. Die Wahrscheinlichkeit, der Fall könnte abgebremst werden, durch einen zufällig vorbeifahrenden Kinderwagen, sehe ich als sehr gering an. Mich auf mein Glück zu verlassen, ist mir zu riskant, wie mein bisheriges Leben mir auf das eindrücklichste eine Warnung ist. Das Wort „Glück“ findet in meinem Wortschatz nicht statt. „Unglück“ ist dagegen in ständigem Gebrauch. Zudem habe ich ein besonders inniges Verhältnis zu Philip, wie ich mein elektronisches Gehirn liebevoll nenne, weil er so lahm ist. Dafür macht mir aber wiederum Windows 95 sehr viel Freude. Es ist meine einzige Freude, seit ich weiß, wie unzufrieden sie mit dem ersten Kapitel sind. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie ich dies wieder gutmachen und ihr Wohlwollen zurückerobern kann. Nach reiflicher Überlegung habe ich nun einen Kompromiss ausgearbeitet, der sich hoffentlich als tolerabel erweist. Deshalb appelliere ich an ihre Menschlichkeit und hoffe, sie dadurch wieder ins Boot holen zu können, damit wir weiterhin auf dem literarischen Ozean der Fantasie gemeinsam gegen Wind und Wetter ansegeln können. Verzeihen sie bitte diesen Anflug lyrischer Sprache, der mich soeben ergriffen hat! Ich werde mich bemühen, dies zukünftig zu unterdrücken, sonst wird mir noch aus Versehen der Literaturnobelpreis zuerkannt. Den müsste ich dann brüsk zurückweisen, denn ich möchte meine Leserschaft unterhalten. Und für Unterhaltungsliteratur bekommt man keine Preise zuerkannt. Schwerfällige und sperrige Texte erfreuen eher die Jurys dieser Welt, aber selten die Leser und Leserinnen!

Soeben bemerke ich mit persönlichem Entsetzen, wie ich mich und sie versuche abzulenken. Denn sie warten ja nun bereits geraume Zeit voller Ungeduld auf meinen Vorschlag, der uns aus dieser literarischen Hängepartie herauskatapultiert. Und nichts liegt mir ferner, als sie hinzuhalten.

Ich weiß um meine Verantwortung, die ich als Schreiberling für meine Leserschaft zu übernehmen habe. Mich davor zu drücken, entspricht weder meiner Erziehung, noch meinem Sinn für Gerechtigkeit. Und wenn einer eine klare Entscheidung verdient dann Sie! Kein überflüssiges Wort der Ablenkung soll mehr durch mein Gehirn in die Tastatur meines, über alles geliebten Laptops eindringen, der sie nur noch länger vom wunderbaren Wesen meiner Geschichte ablenken soll.

Hier nun mein Kompromiss, der hoffentlich ihre volle Zustimmung finden wird! Ich gebe unumwunden zu, meine Hand zittert, jetzt wo ich unumkehrbar ihnen die Lösung all unserer Probleme skizziere.

In den nachfolgenden fünf Schritten werde ich uns aus dem von mir verursachten Schreibschlamassel wieder herausführen und sie so wieder auf die Straße eines großen Lesevergnügens zurückbringen. Möge nun die Weisheit, die aus den nachfolgenden Worten spricht, in ihre Gehörgänge wohlwollend eindringen und einen inneren Jubelsturm auslösen.

Hiermit gebe ich ihnen fünf Versprechen ab, deren Einhaltung ich mit meinem Leben verteidigen werde. Wie dereinst Moses seine zehn Gebote in Stein gemeißelt, seinem Volk präsentierte, so werde ich meine fünf Thesen mir auf die Stirn tätowieren lassen, als ewige Mahnung! Wenigstens einmal pro Woche wird es mich, wenn ich Zähne putze, in meinen weißgesprenkelten Spiegel schaue, mir vor Augen treten. Es wird mich immer an die größte Schmach meines bisherigen Lebens schmerzhaft erinnern.

So weit ist und wird wohl auch nie wieder ein Schriftsteller gehen, um seine treue Leserschaft an sich zu binden. Scheuen sie sich nicht, dies in die Welt hinaus zu tragen, und weisen sie andere Menschen darauf hin, dass es noch weitere Bücher von mir gibt. Es ist nur ein kleiner Schritt für sie, aber ein großer für die Reizüberflutung meines Kontos. Lassen sie uns gemeinsam aus einer Ebbe eine Sturmflut erwachsen.

Damit machen sie viele andere Menschen glücklich. Namentlich meinen Bankberater, Gerichtsvollzieher, mehre Inkassobüros und last but not least mein Finanzamt, deren Mahnungen, mir stets eine Mahnung sind. Mir selbst ist der schnöde Mammon gänzlich gleichgültig. Mir geht es nur darum, diese aufdringlichen Bittsteller wieder glücklich zu sehen. Diese „Art“ Mensch ist sowieso schon leidgeprüft, was ihre Beliebtheit betrifft. Dem möchte ich Einhalt gebieten, mit den wenigen Mitteln, die mir zur Verfügung stehen. Denn auch ein verzweifelter geldeintreibender Finanzbeamter, sollte das Recht auf etwas Anerkennung und Liebe erhalten.

Auch die netten Herren der Inkassounternehmen verdienen unser aller Mitleid, denn sie müssen bei Wind und Wetter raus, um uns mit drakonischen Strafen zu drohen. Keiner denkt dabei, wie es seelisch um diese Menschen bestellt ist. Und wenn sie uns die Finger brechen, dann tun sie es nicht aus einem sadistischen Grundgefühl heraus. Nein mit Nichten! Sie wollen uns nur unserer Sorgen befreien, die schwer auf uns lasten. Aber das auch sie unter unseren Schmerzen leiden, daran denkt niemand. Nicht ohne Grund hat einmal ein von mir hochgeachteter Kollege geschrieben: „Geben ist seliger denn Nehmen!“

Hier nun meine fünf Gebote, die einzuhalten mir eine eherne Verpflichtung ist. Möge die Macht von Franz von Sales, Schutzpatron aller Schriftsteller, mit mir sein. Es sind zwar nur fünf einfache und schlichte Gebote, doch sie können zu einem weltumspannenden Fanal werden.

Das sage ich in aller Bescheidenheit und Demut.

Und nun ist es endlich soweit. Es gibt kein Entrinnen mehr. Ich muss mich offenbaren! In einem für mich sehr schmerzlichen Prozess, muss, darf und werde ich, ihnen meine fünf Thesen ans Herz legen. Vermögen sie es, die Welt ein stückweit besser zu machen.

  1. Gebot: Roten Faden nie aus den Augen verlieren!
  2. Gebot: Einfache Sätze. Sowohl in Inhalt als auch in der Länge. Kein Satz sollte sich über mehr als zwei Seiten erstrecken!
  3. Gebot: Keine unnötigen Landschaftsbeschreibungen!
  4. Gebot: Niemals erhobener Zeigefinger,

Höchstens erhobener Mittelfinger!

  1. Gebot: Du sollst nicht langweilen!

Verkündet und beschlossen!

Demütig und in dem stillen Wunsch, mich selbst an diese Gebote zu halten, schließe ich nun dieses erste Kapitel und gelobe Besserung, um ihnen einen unbeschwerten Lesegenuss zu ermöglichen.

Mögen den Worten Taten folgen!

 

Kapitel 2

Gewaltig und Massiv steht er da.

Wie ein genmanipulierter Knollenblätterpilz, der sich nach einem apokalyptischen, weltuntergangsmäßigen Herbstgewitter, mit seinen kraftvollen Stößen aus der asphaltierten Erde geschossen hat.

Ein Monolith aus Stahl und Glas.

Unaufhörlich öffnet sich die mit Sagrotan und Sidolin gereinigte Glasflügeltür wie von Geisterhand, automatisch sobald jemand vor sie tritt. Jeden morgen, kurz vor acht Uhr, das gleiche erschreckende Bild. Menschenmassen strömen hinein und werden von dem aufreißenden Maul verschluckt und werden um Fünf wieder ausgespuckt. Kaum im Inneren angelangt, warten schon zehn hungrige Aufzüge darauf, um die ganzen Menschen auf die, ihnen zugewiesenen Stockwerken, zu transportieren. Nur einer der Aufzüge bleibt entspannt stehen.

Ihm bleibt die heftig drängelnde und schubsende amorphe Masse menschlichen Fleisches, welches nach Schweiß, überdosiertem Parfüm und der Knoblauchgeruch des gestrigen Döners erspart.

Die Mischung all dieser Düfte ergibt einen Geruchscocktail, der geradezu zum Erbrechen einlädt. Doch die Menschen, die tagein und tagaus sich dieser schweren Prüfung, des Frühstück an sich haltens, meistern dieses Martyrium mit grenzenloser Gelassenheit.

Ihre Jahrzehnte lange Erfahrung, die sie sich in öffentlichen Verkehrsmitteln erworben haben, hat sie abgehärtet.

Ohne den morgendlichen Odem würde ihnen sicher etwas fehlen. Dieses süßliche Gemisch, was sich auch in ihren feinen Anzügen unauswaschbar verewigt hat, tragen sie abends mit nach Hause und erfreuen ihre ganze Familie damit.

Diese wiederum verreiten es weltumspannend. Sei es nun in der Schule, ihrem Betrieb oder beim Einkaufen. Doch niemand stört sich mehr daran. Man hat sich so daran gewöhnt, dass einem glatt etwas fehlen würde. Das ist auch der Grund, weshalb der verwaiste Fahrstuhl von ihnen nicht betreten werden darf. Und damit ihn auch niemand aus Versehen betritt, versperrt eine dicke rote Kordel, die von zwei goldverzierten Ständern gehalten wird, den Zugang. Davor steht ein Mann in einer schmucken Livree, die aus einem Theaterfundus entliehen sein könnte.

Wie ein königlicher Lakai aus längst vergangenen Zeiten bewacht er das Tor zu einem Fahrstuhl, der einen ungewöhnlichen Duft verströmt. Frischer Zitronenduft mit einem Hauch von Lavendel, strömt heraus, wenn sich der Fahrstuhl einmal öffnet. Doch das Inhalieren dieses, für einfache Angestellte ungewohnte Aroma, bleibt dem Chef vorbehalten. Nur ihm wird der Zugang gewährt. Dann hat der Livrierte, den man neidlos als muskulöser Fleischkloß bezeichnen kann, seinen großen Auftritt. Ein Schauspiel, das seinesgleichen sucht. Sobald der Chef eintrifft, nimmt das livrierte Muskelpaket Haltung an, wobei die Livree sich anspannt und Gefahr läuft, sämtliche Nähte zum Platzen zu bringen.

Ich selbst habe von dem obersten der oberen Bosse nicht die geringste Vorstellung, ob er ein netter Chef ist, ein Tyrann oder ein liebenswerter älterer Herr. Von Angesicht zu Angesicht habe ich ihn noch nie getroffen. Wenn er die Konzernzentrale betritt, sind alle Angestellten bereits in ihren Büros. Er kommt immer als Letzter und er geht auch immer als Letzter. Selbst die am längsten hier arbeitenden Angestellten wurden seiner nicht ansichtig. Er ist wie ein Phantom. Ein Unsichtbarer. Man sieht ihn nicht, aber man spürt überall seine Anwesenheit.

Nur der Livrierte könnte von ihm erzählen, doch ihm wurde, zum Zeichen uneingeschränkter Loyalität und Verschwiegenheit, bei Unterschrift des unkündbaren Dienstvertrages, die Zunge entfernt. Als Gegenleistung erhielt er dafür den Anspruch auf ein dreizehntes Monatsgehalt und einen kostenlosen flüssigen Mittagstisch aus der Betriebskantine. Seine Arbeit besteht einzig und allein darin, den Chef morgens mit dem Aufzug in die oberste Etage zu fahren und abends wieder nach unten. Den Rest des Tages hat er frei und könnte sich mit den Kollegen unterhalten, wenn er könnte! Um wenigstens etwas mitsprechen zu können, hat er sich, zu einem geringen Teil von seiner Krankenkasse finanziert, auf die linke Handinnenfläche ein „Ja“ und auf die Rechte ein „Nein“ tätowieren lassen. Seitdem ist er viel gesprächiger geworden. Eigentlich ist er ein glücklicher einsamer Mann, der eigentlich alles hat, was ein gutes Leben ausmacht. Nur mit Frauen hat er weniger Glück, denn immer wenn er eine küsst, spürt er nur eine bedrückende Leere!

Zunächst dachte er daran, augenscheinlich schwul zu sein, doch als er sich Männern zuwandte, stand er vor dem gleichen Problem. Seitdem verbringt er seine Abende beim Bingo im firmeneigenen Seniorenheim.

 

Einer, der jeden morgen das größte Gebäude der Stadt betritt, bin ich. Mir bleibt das tägliche Gedränge im Aufzug erspart. Ich habe eine Sonderstellung. Niemals fahre ich nach oben. Ich nutze eine kleine unscheinbare Treppe, die in den Keller führt. Ich muss auch nicht in einem der vielen Büros sitzen und bin nicht ständig dem Blick aus einem der riesigen Fenster ausgesetzt, die einem die anonyme Großstadt vor Augen führen, deren Mittelpunkt früher einmal die größte Kirche der Stadt war. Heute wirkt sie nur wie ein unscheinbares Gebäude, was aus der Zeit gefallen ist. Im Vergleich zu unserem Glaspalast wirkt sie fast schon ängstlich und verloren. Riefen früher ihre Glocken um zwölf Uhr zum Mittagstisch, geht heute das Geläut im Großstadtlärm unter. Doch mir bleibt diese schöne Aussicht erspart. Ich stapfe hinab in den Keller und betrete allmorgendlich mein kleines fensterloses Büro.

Hier befindet sich das Archiv, wo alle abgeschlossenen Fälle von mir in alphabetischer Reihenfolge einsortiert werden.

Sie zu lesen, steht mir nicht zu. Ich horte sie nur. Jeder Aktendeckel beinhaltet ein Schicksal. Meist handelt es sich um eine Ablehnung eines Bescheids. Wenn eine Versicherung, so wie die meine, jede Forderung eines Versicherungsnehmers, sei sie auch noch so berechtigt, positiv bescheiden würde, könne sie sich einen so wundervollen Firmensitz niemals erlauben.

Also muss man Prioritäten setzen. Jede Stadt, die Etwas auf sich hält, wünscht sich eine Skyline, die sie unverkennbar macht. Ohne unsere Hauptzentrale, die nachts so wunderbar leuchtet und die während der Adventszeit, einen blinkenden Stern auf dem Dach installiert hat, der über der ganzen Stadt sein warmes gelbes Licht verströmt, wäre an dieser Stelle wahrscheinlich noch ödes braches Ackerland. Aber nun erstrahlt hier unsere Firmenzentrale, wie ich nicht ohne Stolz, jedem gerne erzähle. Im höchsten und eindruckvollsten Gebäude der Stadt arbeiten zu dürfen, steigert mein Selbstwertgefühl, wie mir meine Psychologin immer wieder einzureden versucht. Allerdings bleibt es bei ihrem kläglichen Versuch. Ich bestätige sie zwar ausdrücklich darin, dass die wöchentlichen Sitzungen mit ihr, mir sehr viel geben, tue es aber nur, weil sie eine sehr nette Frau ist.

Wobei ihr attraktives Erscheinungsbild wesentlich mehr hergibt als ihre fachliche Kompetenz.

Wenn ich mir als Laie erlauben darf zu sagen. Ohne ihre knisternde erotische Ausstrahlung, hätte ich sie längst wegen Inkompetenz gefeuert, aber erstens genieße ich die prickelnden Therapiestunden und zweitens bezahlt ja alles die Krankenkasse. Auf diese Weise kann ich mir wenigstens etwas meiner Mitgliedseiträge zurückholen.

In meinem sehr überschaubaren Freundeskreis erzähle ich natürlich nichts davon, dass ich in die Psychotherapie gehe. Dort denken alle, ich mache einen Töpferkurs. Um mit dieser Notlüge glaubhaft zu bleiben, habe ich mir bei einem „Tag der offenen Tür“, den die Grundschule einer Nachbarstadt ausgerichtet hat, einige Exponate von Drittklässlern erstanden, die nun meine Wohnung zieren.

Anlässlich einer Geburtstagsfeier, zu der ich geladen hatte, wurden diese Werke kritisch seitens meiner Freunde begutachtet. Die meisten waren sich einig, die solle mir doch ein anderes Hobby zulegen. Nur mein, bis dato bester Freund, lobte meine Kreativität und mein handwerkliches Geschick. Zu meinem größten Bedauern musste ich daraufhin diese langjährige Freundschaft, die einst im Kindergarten begann, ohne Angaben von Gründen beenden. Mir sind einfach verlogene Menschen zu tiefst zuwider! Und da er einen manischen Hang zur Melodramatik hat, kommentierte er meine Entscheidung auf seine, ihm eigene Art, für die ich ihn früher immer bewunderte. Er hing sich in seinem Tonstudio auf. Welch eine Ironie des Schicksals.

Zum Glück waren wir zu diesem Zeitpunkt nicht mehr miteinander befreundet, weshalb ich auch keine Notwendigkeit sah, seiner Beisetzung beizuwohnen. Friedhöfe sind für mich eben auch kein Ort ungetrübter Freude und würden mich in meiner Therapie auch weit zurückwerfen, wie mir meine Therapeutin eindrücklich versicherte. Schließlich ging es auch um die Stabilität meiner Psyche, meinte sie unter Tränen. Ihren plötzlichen Gefühlsausbruch nahm ich ihr auch nicht weiter übel. Schließlich hatte sich gerade erst ihr Ehemann aufgehängt! Nach einer angemessenen und pietätvollen Auszeit kehrte ich nach drei Jahren wieder zu ihr zurück. Nichts hatte sich verändert. Nur hing jetzt über ihrem Schreibtisch ein übergroßes gerahmtes Foto an der Wand. Es zeigte, in schwarz-weiß, zwei kleine nackte Jungen, die in einem Sandkasten saßen und mit Förmchen Kuchen backten. Und für einen kleinen Augenblick fehlte er mir doch etwas. Ich hatte sogar kurzzeitig einen Anflug von schlechtem Gewissen. Und dann geschah etwas, was millionenfach, jeden Tag auf dieser schönen Welt passiert. Ich sah zu ihr. Sie sah zu mir. Dann kam, was unter diesen Bedingungen passieren musste. Wir fielen, in gemeinsamer Erinnerung an den Verblichenen, über uns her. Und die Couch, wo ich bislang immer alleine lag, wurde einzige Zeugin unserer hemmungslosen Leidenschaft. Kurz vor dem gemeinsamen, hart erarbeiten Höhepunkt, brach sie jäh ab. Die Therapiestunde war zu Ende und Überstunden konnte sie leider nicht abrechnen. Mit dem schalen Gefühl leichter Frustration verließ ich sie, um Zuhause die Dinge alleine zum Abschluss zu bringen. Mit ein wenig Mühe und dem passenden Video, gelang mir dies auch zufriedenstellend. Zur Therapiestunde bin ich danach nicht mehr gegangen. Eine Frau, die ohne besonderen Grund sich mir einfach so hingibt, ist für mich als professionelle Therapeutin indiskutabel. Sie selbst hat es dann wohl auch eingesehen. Denn unmittelbar nach diesem Ereignis hat sie, ob aus Scham oder tiefer Frustration, ihre Praxis geschlossen. Heute befindet sich dort ein kleiner, aber feiner Imbiss. Manchmal überkommt mich die Erinnerung an diese schöne Zeit auf der Couch. Dann gehe ich, nostalgisch wie ich nun einmal bin, dort hin und gönne mir eine Currywurst mit Pommes, sowie Extra Mayonnaise. Mit meinem hochgestapelten Pappteller gehe ich dann hinüber zum Kinderspielplatz und schaue den Kindern zu, wie sie im Sandkasten mit Förmchen Sandkuchen backen. Und die Tauben, die unser Stadtbild prägen, stürzen sich begierig auf die Pommes, die ich auf dem ganzen Weg verloren habe. Sie ernähren sich von der Erinnerung an eine ehemals schöne Freundschaft, die zerbrach, weil ein Drittklässler, einen indiskutablen schiefen Aschenbecher, aus einem Stück Ton, mit seinen kleinen unbedarften Fingern geformt hat. Hoffentlich hat er dafür eine Fünf bekommen! Ginge es nach mir, wäre seine Versetzung akut gefährdet. Ich hätte nicht übel Lust ihm einen geharnischten Brief zu schreiben, damit er begreift, was er da angerichtet hat. So jung und schon drei Menschen das Leben versaut! Würde mich nicht sonderlich wundern, dieses Subjekt einmal auf irgendeiner Fahndungsliste zu entdecken. Die Anlagen dafür sind jetzt bereits unübersehbar. Das zerstörte Leben von drei Menschen geht ja jetzt schon auf sein Konto.

 

Kapitel 3

Ob ein neuer Tag ein guter wird oder ob sich der Beginn einer Katastrophe abzeichnet, hängt einzig und alleine an dem simplen Wörtchen „Aufstehen“! Mehr braucht es nicht, um einem den Tag aber so richtig zu vermiesen.

„Wer schläft, sündigt nicht!“ Diese alte Weisheit hat auch heute noch uneingeschränkte Gültigkeit. Deshalb gilt gemein hin der „Wecker“ als die Wurzel allen Übels. Sein Vorgänger, der Hahn, hat im Laufe der Evolution weitgehend ausgedient.

Er fristet sein Dasein, ohne jederlei Lustgewinn, weitgehend als Brathähnchen, wobei hier die Weckfunktion bereits der Heizspirale zum Opfer gefallen ist.

Andererseits hat das beruhigende und gleichmäßige Drehen am Grill auch etwas meditatives.

So empfindet es zumindest der Grillhändelkunde. Inwieweit der Hahn es auch so empfindet, ist weder wissenschaftlich erfasst, noch in der Bibel überliefert. Der größte Unterschied zwischen Wecker und Hahn besteht darin, Wecker werden selten geschreddert, wenn sie frisch geschlüpft sind. Weibliche Hähne haben es da weitgehend besser. Sie dürfen, wenn sie die ausreichende Qualifikation dazu besitzen, Karriere als Suppenhuhn machen. In dieser Beziehung ist uns Menschen die Geflügelwelt um einiges voraus. Von einem Huhn ist noch nie ein Krieg ausgegangen. Man kann also durchaus behaupten: Das Huhn ist, weil es weiblich ist, viel friedfertiger.

Daraus ergibt sich zwangsläufig der Schluss, wir brauchen mehr Hühner als Staatsoberhäupter! Eine These, die keinen Widerspruch duldet. Oder kennen sie einen weiblichen Diktator? Frauen sind friedfertiger, solange sie genug Schuhe haben.

Ich selbst habe, trotz tierfreundlicher Gefühle, einen robusten Wecker. Robust war die Grundvoraussetzung für den Ankauf gewesen.

Denn ich habe die Unart, ein Resultat mittelprächtiger Erziehung, ihn morgens gegen die Wand zu werfen. Was auch das Hauptargument war, mir keinen Hahn zuzulegen. Zum einen möchte ich keinen Ärger mit den Tierschutzverbänden und zum anderen gibt es unschöne Flecken auf der Tapete. Allerdings würde ich morgens einen Hahn an die Wand schleudern, gäbe es maximal ein dumpfes „Flatsch“, was mein Wandnachbar, ein ungehobelter, unfreundlicher Klotz, kaum mitbekommen würde. Den täglichen Wandeinschlag meines Weckers bekommt er jedoch deutlich mit. Warum stellt er auch sein Bett ausgerechnet an meine Wurfwand! Statt mir Dank zu zollen, denn durch mich braucht er ja keinen eigenen Wecker, was sich ja finanziell für ihn auszahlt, werde ich regelmäßig von ihm zur Rede gestellt. Sein penetrantes Dauerklopfen an die Wand, sein ungestümes Klingeln an meiner Tür, sowie die beleidigenden Briefe in meinem Briefkasten, zeugen nicht nur von einer schlechten Kinderstube, nein sie bedrohen so langsam auch unsere gute Nachbarschaft. Würde er einfach wie ich morgens um sechs Uhr aufstehen, wäre unsere Welt in Ordnung. Aber nein, der Herr muss ja ausgerechnet nachts als Türsteher vor einer Diskothek herumstehen und Leuten den Eintritt verweigern, die bildungsmäßig weit über ihm stehen. Für ihn zählt nur die richtige Kleidung, wie ich leidvoll am eigenen Leib erleben durfte.

„Du kommst hier nicht rein, Alter!“, schnauzte dieses hirnlose Muskelbreitkreuz, mich grinsend an.

Die ganze Schlange von adrett gekleideter Einheitsanzugträger, mit ihren wohlparfümierten Bulimietussen, mit ihren zugespachtelten Einheitsgesichtern, lachte mich aus.

Mit meiner geistigen Überlegenheit ging ich erhobenen Hauptes an der Phalanx von Einheitsdiscogängern vorbei. Was bitteschön ist gegen farblich abgestimmte Bermudashorts und Hawaiihemd auszusetzen? Und meine weißen Socken geben den Birkenstocksandalen genügend Halt beim Tanzen.

Seit jener Abfuhr, aus mir unverständlichen Gründen, kriselt nun unsere Nachbarschaft. Er könnte ja einfach meine morgendliche Weckerdetonation einfach überhören, so wie man es macht, wenn in einem vollbesetzten Fahrstuhl jemand einen Pups lässt. Da fragt ja auch keiner: „Wer war das?“

Der Trick dabei ist es, einfach den Nebenmann böse anzuschauen, dann fällt kein Verdacht auf einen.

Meine kulinarischen Kochkünste beschränken sich halt nur auf Bohnensuppe und Chili con Carne! Sollte ich dennoch einmal auf frischer Tat ertappt werden, gebe ich kommentarlos die Visitenkarte meiner Mutter raus, an die entsprechende Beschwerden, als wahre Schuldige zu richten sind. Meine Blähungen sind erblich bedingt und ich sehe nicht ein, dass ich dafür büßen soll. Mir wäre eine blähfreie Familie auch lieber gewesen. Aber Familie kann man eben nicht umtauschen. Damit ist man sein Leben lang gestraft! Wenigstens gibt es in unserer Stammbaumlinie keine Bluter und Schizophrene! Ein kleiner Trost.

Heute Morgen geschah nun Ungewöhnliches. Ich wurde wach. Das ist nur in sofern seltsam, da mein Wecker, selbst noch schlafend, leise vor sich hin tickte. Kein ohrenbetäubendes Alarmsignal kam von ihm. Hatte er wohl verschlafen und woher kam der Lärm, der mich aus Morpheus Armen gerissen hatte. Fragen über Fragen! Und das auf nüchternen Magen. Verwirrung machte sich bei mir breit. Ich warf einen müden, dennoch verächtlichen Blick auf das Zifferblatt. Jeder andere hätte nun zusammengezuckt. Mein ignoranter Wecker tat dies nicht. Er stand einfach da und tat als könne er kein Wässerchen trüben. Völlig teilnahmslos zeigte mir das Zifferblatt unverhohlen fünf Uhr an. Ich entschuldigte mich sofort, denn ich erkannte, mit der mir von Gott gegebenen Intelligenz, dass er noch eine Stunde Zeit hatte, bis sein Dienst beginnen würde. Ich hörte! Ich lauschte! Ich drückte mein Ohr fest an die Wand. Und der Übeltäter war ausgemacht.

Ich suchte verzweifelt in meinem Großhirn, in dem dort ansässigen persönlichem Tonarchiv, wo mir solch merkwürdige Geräusche schon einmal untergekommen waren. Leider war es nicht nur ein Geräusch, was ich sicher schnell identifiziert hätte. Zu meinem Unwillen waren es mehrere Geräusche, die sich überlappten.

Nun sah ich mich gezwungen, jedes Einzelne ohrentechnisch zu isolieren. Eine Aufgabe, die einen wachen Verstand verlangte, was ohne eine ordentliche Koffeinspritze ein Ding der Unmöglichkeit war. Aber ich hatte ja nun eine Stunde Zeit, bevor ich geweckt wurde, und wollte diese nicht sinnlos verstreichen lassen. Da ich ja nun ein aufgewecktes Kerlchen bin, raffte ich mich auf und schleppte ich in die Küche, wo mich eine überraschte Kaffeemaschine ansah. Sie hatte mich offensichtlich noch nicht erwartet. Dennoch erwies sie sich als kooperativ und protestierte auch nicht, als ich sie einschaltete. Demütig versah sie ihren Dienst, der ihr zur Lebensaufgabe geworden war. Mit einer Tasse frischgebrühten Wassers, leider vergaß ich das Kaffeepulver, kehrte ich zurück in mein Schlafzimmer, das immer noch erfüllt war von den Geräuschen, die mein Nachbar produzierte. Was mochte sich da drüben nur zutragen? Mein inzwischen wacher Geist, dank der schmackhaften und aufputschenden Tasse heißen Wassers, kam nicht hinter das Geheimnis, welches sich hinter der Raufasertapete verbarg. So sehr ich mein Ohr gegen die Wand auch drückte, vermochte sich eine differenzierte Identifikation der einzelnen Geräusche, nicht bei mir einstellen. Also mussten schwerere Geschütze aufgefahren werden. Zum Glück bin ich ja ein gewiefter Ermittler, der für jedes Problem eine raffinierte Lösung bereithält. Sie muss mir eben nur einfallen. Just in dem Augenblick, wo ich begann meine einzigartigen Fähigkeiten ernsthaft in Frage zu stellen und vor meinem geistigen Auge erhellte sich mein Schlafzimmer und erstrahlte in gleißendem Licht. Es durchzuckte mich ein Geistesblitz, der seines Gleichen suchte. Um die Schallwellen der Gegenseite zu verstärken, benötigte ich einen Interferenzverstärker, der die überlagernden Frequenzen, besser auseinanderhält. Ich durchstöberte die Elektroabteilung meines mir eigenen Küchenschrankes, jedoch ohne einschlägigen Erfolg. In meiner aufkommenden Verzweiflung blieb mir nichts anderes übrig, als mich an einer freien Improvisation zu versuchen, selbst wenn diese wissenschaftlich gesehen, noch auf wackligen Füßen steht. Aber nun kam mir meine Affinität zu drittklassigen Agentenfilme der sechziger Jahre, des letzten Jahrhunderts zu Gute. Dort stand in einem Film, ein mittelbegabter Schauspielerdarsteller als Agent, der zu Recht in Vergessenheit geraten ist. In diesem, als billiger Abklatsch auf die James Bond Filme, trashigen Streifen, mit Slapstickeinlagen und unappetitlichen Sexszenen, die zur Auflockerung dienen sollten, benutzte der Held eine Suppenschüssel, um die undefinierbaren Töne im Nebenzimmer besser zu eruieren.

„Ja! Das ist es!“, feuerte ich mich selbst an.

Die Begeisterung über mein phänomenales Filmgedächtnis brachte mich der Lösung ein gutes Stück voran.

„Suppenschüssel habe ich!“, frohlockte ich, um mich gleich darauf selbst zu ermahnen. Ich beendete den Jubel, indem ich mir eine seit Tagen herumliegende Socke in den Mund stopfte, die sofort meinen Enthusiasmus im Keim erstickte. Der Duft, einer über mehrere Tage getragenen Socke, die sich aus dem Mund in meine Nase schlich, tat ihr übriges. Jetzt musste ich handeln. Ich lief zurück in die Küche, wo ich erfahrungsgemäß eine Schüssel erwartete. Inmitten eines Großangebots schmutzigen Geschirrs begann ich die Suche. Ich kämpfte mich bis zur Spüle vor, denn ich vermutete dort meine Suppenschüssel, die offenbar mit mir Verstecken spielen wollte. Doch für solche Albernheiten stand mir jetzt nicht der Sinn. Ich wühlte mich durch Spaghettireste und angeschimmelte Teller hindurch, doch die Schüssel blieb verschwunden. Den flüchtigen Gedanken, irgendwann einmal wieder abzuwaschen, verbannte ich sofort wieder. Meine Entscheidung, auf Einweggeschirr umzustellen, hatte sich doch sehr gut bewährt und ich sah keinerlei Grund dies zu ändern. Von leichter Panik getrieben, suchte ich nun akribisch die ganze Wohnung nach der vermaledeiten Schüssel ab. Ich rief sogar in meiner Verzweiflung nach ihr! Doch offenbar war sie nicht in der Lage, auf mein flehentliches Rufen zu reagieren. Endlich, nach langem Suchen, fand ich die Unglückselige. Sie hatte sich, aus mir unverständlichen Gründen, unter meinem Bett versteckt. Sofort wollte ich sie als Verstärker an die Wand drücken. Doch ein Blick in die Schüssel offenbarte ein Problem epischen Ausmaßes. Sie war nicht leer! Kleine grüne Bohnenstückchen schwammen in einer Brühe, dessen altes Familienrezept mir meine Mutter, auf ihrem Sterbebett anvertraute. Und dieses, sicher von ihr gut gehütete Geheimnis, bereitete mir nun große Probleme.

Jede professionelle Hausfrau würde mir natürlich jetzt zurufen: „Füll die Suppe doch einfach in eine andere Schüssel!“

Und ich würde ihnen erwidern: „Wie denn? Habe ja nur eine!“

Wozu brauche ich auch zwei Schüsseln, wenn ich ja eh nur Bohnensuppe kochen kann. Ich stand vor einem riesigen Dilemma.

„Mutter, warum hast du mich verlassen?“

Jetzt gab es nur noch eine einzige Möglichkeit mich selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Ich musste mit einer, mir lieb gewordenen Tradition brechen, nämlich morgens keine Bohnensuppe zu essen. Eine Alternative konnte ich nicht erkennen. Also vergaß ich meine guten Vorsätze und setzte die Schüssel an, um sie schluckweise zu entleeren und die Schüssel ihrer eigentlichen Bestimmung zuzuführen, dem Abhören meines Nachbarn. Für die Wahrheit muss man eben Opfer bringen, sei die Suppe auch noch so sauer. Was auch nicht weiter verwundert, steht sie doch bereits drei Tage ungekühlt unter meinem Bett. Da muss man schon Abstriche in Konsistenz und Geschmack akzeptieren. Aber darauf konnte ich jetzt keine Rücksicht nehmen. Hier ging es jetzt um weitaus Wichtigeres. Dem Erkunden und Ausspähen der nachbarschaftlichen Geräuschkulisse, die mich so jäh vorzeitig aus dem Schlaf gerissen hat. Ich setzte die Schüssel an der Wand an, während Mutters Soße die Tapete herunterlief, presste mein Ohr fest an das Porzellan und lauschte. Und mir war Erfolg beschieden. Denn plötzlich konnte ich alles viel deutlicher verstehen. Ich erkannte nun, was sich dort hinter der Wand abspielte. Zunächst erkannte ich Andre Rieu mit seinem Orchester, der wohl, auf Grund der geringen Quadratmeterzahl, nicht persönlich drüben sein dürfte. Ergo, lief da eine CD. Der ungekrönte Walzerkönig, er verströmte eine romantische Stimmung, die auch mich sofort erfasste und mich zu einem leichten Schunkeln animierte, was kein noch so berühmter Techno-DJ jemals bei mir auslösen könnte. Des Weiteren vernahm ich ein metallisches Quietschen, was kontrastreich und rhythmisch sich zu der Walzermusik hinzugesellte. Abgerundet und sich zu einem Dreiklang entwickelt, waren auch noch Dialogfetzen zu vernehmen. Es handelte sich dem Gehör nach um ein Mitbringsel von der Arbeit. Als Türsteher war er natürlich direkt an der Quelle. Gerade kurz vor Schließung jeder Diskothek, lassen sich ramponierte Damen leichter mitnehmen. Dieses sogenannte „Resteficken“ erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung. Diese Damen sind willig und kosten nichts. Billiger geht es ja kaum. Und ein solches Betthupferl hatte sich mein Nachbar offensichtlich mitgebracht. Leider schien sie nicht sehr kommunikativ zu sein, denn bis auf ein Endlosschleifenartiges: „Ja! Ja! Ja!“, brachte sie keinen vernünftigen Gedanken zu Tage. Er hingegen stöhnte und schüttelte ihr sein ganzes Herz aus.

„Luder! Komm gibs mir! Geile Sau du!“, waren nur einige der Komplimente, die ich aufschnappen konnte. Zum Höhepunkt der Konversation konnten sie sich auf ein gemeinschaftliches „Jaaaaaa!“,verständigen. Dann kehrte Ruhe ein. Wenige Minuten später komplimentierte mein Türstehernachbar die Dame aus der Wohnung. Unter dem Vorwand, meine Katze zu suchen, traf ich die leicht derangierte, aber glückliche Dame im Treppenhaus. Ich hoffe für meinen Nachbarn, dass sie es im Dunkeln getrieben haben, denn ich hatte große Mühe, bei ihrem Anblick im Neonlicht, die Bohnensuppe bei mir zu halten. Hier torkelte der Beweis an mir vorbei, weshalb es besser ist, dass Diskotheken immer gedimmtes Licht haben. Meine mir angeborene Höflichkeit verpflichtete mich dazu, sie mit einem freundlichen „Schlampe“ zu begrüßen. Meinem Nachbarn hingegen zolle ich meinen vollen Respekt. Nach acht Stunden vor der Disko immer noch stehen zu können, ist eine respektable Leistung. Dazu braucht es schon eine ausgewogene Ernährung und mentale Stärke.

Als ich nach der vergeblichen Suche nach meiner Katze, die nur ein Vorwand war, denn ich hasse Katzen, wieder in die Wohnung ging, wunderte ich mich, bei dem Blick auf meinen Wecker, wie schnell die Zeit vergeht. Eben noch war ess eine Stunde vor dem Aufstehen und nun war ich schon seit einer Stunde im Büro. Theoretisch, versteht sich! Praktisch gesehen, fehlte ich dort unentschuldigt. Jetzt mich noch auf den Weg zu machen erschien mir als reine Energieverschwendung, denn schließlich muss ich in knapp sieben Stunden ja wieder nach Hause. In einer solch ausweglosen Situation ist es gut, wenn man sich schnell eine Krankheit für einen Tag überlegt, die glaubhaft ist und man auch die Personalabteilung damit überzeugt, die ja gerne mal skeptisch sind. Besonders unser Herr Leichwickel, der selbst im Koma noch zur Arbeit gehen würde, versucht einen immer zu überzeugen, so schlimm könne es ja nicht sein, dass man dem Betrieb entsagen würde. Er ist gefürchtet als Ferndiagnostiker, denn er hatte seinen damaligen Zivildienst als Krankenwagenfahrer abgeleistet, was ihn als eine medizinische Kapazität ausweist. Nun musste also dringlichst eine schwere Krankheit gefunden werden, mit der ich Herrn Leichwickel überzeugen konnte.

Gerade war ich im „Das große Buch der Hausmedizin“ bei L wie Lepra angelangt, da wurde ich von einem Sturmklingeln an der Tür jäh unterbrochen.

„Erzählen sie mir bloß nicht sie seien krank!“, begrüßte mich Herr Leichwickel, als ich unbedacht die Tür öffnete.

Merke: Türspione sind nicht nur Zierde da!

Mit seinem Erscheinen hatte er mir nicht einmal die Chance gegeben, mich auf meine Krankheit einzustellen.

„Welche Krankheit haben sie sich denn ausgedacht, um sie mir vorzugaukeln?“

Langsam geriet ich in arge Bedrängnis. Mit seinem Röntgenblick scannte er mich von oben bis unten ab.

„Ich fühle mich nicht gut!“, stotterte ich wenig überzeugend.

Inzwischen hatte Herr Leichwickel seinen Medizinkoffer geöffnet, den er stets mit sich trug und ein Stethoskop entnommen.

„Öffnen sie ihr Hemd und lassen sie die Hose herunter!“, befahl er, im Tonfall eines Generalmajors der Bundeswehr. Ein von mir vorsichtig eingerachter Einwand wurde einfach von ihm ignoriert. Mit der Zielsicherheit eines Scharfschützen pfefferte er mir ein Fieberthermometer bis zum Anschlag in meinen rückwärtigen Eingangsbereich. Mein Nachbar der gerade zum Brötchenholen ging, konnte sich ein unpassendes Grinsen nicht verkneifen. Als Herr Leichwickel sich schließlich einen Gummihandschuh überstreifte, bat ich ihn höflichst herein, da mir schwante, was nun folgen würde. Und ich sollte nicht enttäuscht werden! Auf meinen diskreten Einwurf, ich hätte nur Kopfschmerzen, was mir als Ausrede dann doch noch eingefallen war, reagierte er im Gegenzug mit dem Aufziehen einer Tetanusspritze, die einschlug wie eine Panzerfaust. Mit dem sadistischen Grinsen eines Marquis de Sade zog er den Gummihandschuh aus und gab ihn mir zum Entsorgen in die Hand. Dann kramte er in seinem Koffer und ich richtete mich schon auf eine narkosefreie Operation am offenen Herzen ein, als er eine Packung Aspirin herausfischte.

„Dreimal täglich eine! Und Morgen sind sie wieder da. Sonst mache ich wieder einen Krankenbesuch, bis sie wieder gesund sind! Und jetzt weggetreten ins Bett!“

Dann ging er seiner Wege. Vermutlich hatte er noch einen Krankenbesuch zu machen.

Wen wundert es da noch, dass dank seiner Fürsorge, unser Unternehmen den geringsten Krankenstand aller börsennotierten Konzerne weltweit hat. Für unsere Firma ist Herr Leichwickel unverzichtbar und mit seinen zweiundachtzig Jahren, der dienstälteste Mitarbeiter. Allerdings hat er der Konzernleitung bereits mitgeteilt, wenn er die Hundert vollgemacht hat, will er in den vorzeitigen Ruhestand, um ein Medizinstudium zu beginnen. Den Traum einer eigenen Praxis möchte er sich noch erfüllen, bevor er zu alt dafür ist.

Wie befohlen, legte ich mich ins Bett und genoss den restlichen Tag, entgegen meiner Gewohnheit, auf dem Bauch liegend. Das Schlafen in Rückenlage war mir aus medizinischen Gründen die nächsten vierzehn Tage nicht möglich.

Der kommende Morgen brachte wieder Routine in mein Leben. Der Wecker klingelte so, wie ich es ihm aufgetragen hatte und der neue Tag begrüßte mich mit einer herrlichen Migräne, die mich die Schmerzen im Gesäß vergessen ließen. Ich fühlte mich hundeelend. Jeder Arzt hätte mich sofort krankgeschrieben. Damit wäre ich dann ein Novum in unserer Firma, denn noch nie zuvor hat ein Mitarbeiter mehr als einen Tag gefehlt. Daran ist Herr Leichwickel nicht ganz unschuldig. Einen weiteren Hausbesuch wollte ich mir und meinem Hinterteil nicht zumuten, weshalb ich mich aus dem Bett schälte und ungeduscht zur Arbeit ging, als Zeichen meines Widerstandes. Etwas von einem Revoluzzer steckt eben auch in mir. Ich verzog mich in mein kleines dunkle Kellerbüro und wurde den ganzen Tag auch nicht weiter behelligt. Es hätte ein schöner Arbeitstag werden können, doch nach fünf Stunden konnte ich einfach nicht mehr stehen. Meine Füße schmerzten so sehr, dass sie sogar die Migräne überlagerten. Schön wenn ein Schmerz den anderen vergessen macht! Schmerzfrei zu sein, kann ich mir kaum noch vorstellen. Durch das Ausbleiben des von mir so geschätzten Mittagsschlafes, aufgrund meines Unvermögens im Stehen schlafen zu können, überwand ich die nur mühsam diese Zeitspanne, wodurch meine nachmittägliche Arbeitsleistung nur zu einem Minimum abgerufen werden konnte. Aber um alte Akten, für die sich sowieso nie wieder ein Mensch interessiert, dem Alphabet nach einzusortieren, sollte mein mit Schlafdefizit gepeinigter Körper und im Besonderen mein blitzgescheiter Verstand ausreichen. Schließlich hatte ich die ABC Einstellungsprüfung mit kleinen Abstrichen fulminant gewonnen. Lediglich das Einsortieren des Ypsilons an die richtige Stelle, bereitete mir, durch einen plötzlich einsetzenden Blackout, leichte Probleme. Versehentlich hielt ich das Ypsilon für ein Vau und wunderte mich schon, denn bislang schrieb ich stets Pfau! Da ich nun etwas verunsichert war, setzte ich das Ypsilon zwischen P und V, was die alphabetische Grundordnung etwas durcheinanderbrachte. Die Prüfungskommission erkannte aber mein Potential, denn immerhin war von A bis H alles fehlerfrei und was ebenfalls für mich sprach, war die Tatsache, das ich der einzige Bewerber war. Unter der Auflage, einer ABC Nachschulung nach Feierabend zu besuchen, bekam ich die Stelle. Das sind nun jetzt schon zehn Jahre her und heute passieren mir solch kleine Verwechslungen kaum noch. Als damals die neue Rechtschreibreform eingeführt wurde, packte mich zwar die Angst, im Zuge der Reform würden die Buchstaben neu angeordnet, doch war dies unbegründet. Die Familie Duden hatte sich dann doch für die alte Ordnung entschieden, was mir sehr entgegenkam. Heute macht mir keiner mehr ein X für ein U vor, dazu bin ich viel zu gewieft.

An jenem, für mich schlafdefizitären Arbeitstag, geschah ausgerechnet eine Stunde vor Dienstschluss Ungeheuerliches. Gerade als ich eine Z-Akte ins Hochregal einsortieren wollte, fielen mir die Augen zu. Normalerweise hätte das niemanden gestört, denn für mich interessiert sich niemand und hier unten im Keller werde ich auch nie besucht, wegen der Rattenplage. Ausgerechnet an diesem Tag geschah im dritten Stock ein verheerender Fehler, seitens des Sachbearbeiters „Toasterbrände D – P“! Obwohl der Sachverhalt ablehnungswürdig war, gab er ihm statt. Als Entschuldigung gab er später vor dem „Kontrollgremium zur Entlassung unbeliebter Mitarbeiter und entbehrlicher Subjekte“ an, er wäre einen winzigen Augenblick unachtsam gewesen, da ihn eine Frau angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, er sei Vater geworden. Das Gremium beriet sich daraufhin und nach einer Abstimmung, die sieben zu drei ausging, gratulierte man ihm heftig zu seinem Kind und entließ ihn anschließend, da Privatgespräche während der Arbeitszeit nicht gestattet seien. Und genau jener, jetzt ehemaliger Mitarbeiter kam, nachdem ihm klar war, wer diese Frau war, die angerufen hatte, hinab in den Keller um sich die Akte wieder zu holen. Im Anzeigenprotokoll, die meiner fristlosen Kündigung angeheftet war, konnte ich nachlesen, was zur Auflösung meines Arbeitsvertrages führte.

Abschrift des Protokolls durch unseren ehemaligen Sachbearbeiter Herr S.!

Herr S. beschrieb den Vorgang, der sich zugetragen hat, unter Tränen, (Herr S. hatte im Zuge seiner Vernehmung die Kündigung überreicht bekommen), wie folgt:

„Habt Mitleid mit einem armen und verzweifelten Diener dieses Unternehmens, dem es eine große Ehre war, sein ganzes Leben unterzuordnen, um den Wohlstand des größten und wunderbarsten Konzerns im Universum aller börsennotierter Aktiengesellschaften, zum alleinigen Wohl ihrer Aktionäre, zu mehren. Flehentlich bitte ich um Gnade, auf das ich weiterhin mein erbärmliches Leben in den Dienst der Firma uneingeschränkt stellen kann. Rückratlos will ich jeden Angestellten denunzieren, diskreditieren und vor allem an den firmeneigenen Pranger stellen, der seine Arbeitskraft nicht vollends in den Dienst des Unternehmens stellt. Als ich das Archiv betrat, um den von mir unentschuldbaren Fehler wieder auszubügeln, fand ich den, für das Archiv zuständigen Mitarbeiter, schlafend, stehend, an ein Regal angelehnt. Seine Arbeitsverweigerung war unübersehbar. Selbst als ich ihn ansprach, ließ er vom Schlafe nicht ab. In treuer Pflichterfüllung sah ich keinen anderen Ausweg, als ihn in diesem Zustand zu belassen. Ich fotografierte ihn, damit die Beweislast erdrückend und die sofortige fristlose Kündigung durchgeführt werden kann. Wenn ich mir dann auch noch einen Lösungsvorschlag für zukünftige schlafanfällige Mitarbeiter machen darf, ohne Gefahr zu laufen, als Schleimer mich bloßzustellen! Ich würde das ganze Archiv komplett auf elektronische Daten umstellen. Dann spart die Firma auch die Kosten für einen ineffizienten Mitarbeiter und man könnte den freigewordenen Kellerraum anderweitig nutzen. Kleine Einzelzellen, in denen abmahnungsbedrohte Angestellte über ihre Verfehlungen nachdenken können, wäre sicher eine wirkungsvolle Alternative.“

Fassungslos, aber nicht wirklich überrascht von der Aussage, die Herr S. gegen mich vorgebracht hat, denn er ist weit über die Grenzen des Unternehmens als Denunziant geschätzt, zeigten die Fotos mehr als deutlich meine Verfehlung. Somit waren gegen die sofortige Ausweisung und ein lebenslanges Zutrittsverbot keine Rechtsmittel möglich. Die einzige Freude, die mir das Kündigungsschreiben machte, war die Entlassung von Herrn S., sowie zwei der Beweisfotos, die mir für langjährige treue Dienste, seitens der Konzernleitung überreicht wurden. Sämtliche Versicherungspolicen, zu der ich damals bei der Einstellung zum Abschließen verpflichtet wurde, erloschen nun, damit mein Name restlos ausgelöscht wird. Das von mir angehäufte Vermögen aus der Lebensversicherung, geht automatisch in den firmeneigenen Fond, aus dem die Konzernleitung den Betriebsausflug für Konzernleitende finanziert.

Während einer kleinen Zeremonie auf dem Firmenparkplatz, der für alle Angestellten verpflichtend war und als unbezahlte Feierstunde deklariert wurde, stad ich ein letztes mal im Mittelpunkt. Die firmeneigene Triangelcombo spielte „Ich hatt einen Kameraden“, eine sehr anrührende Geste, die mir die Tränen in die Augen trieb. Höhepunkt meines Abschieds war aber ohne Zweifel, das öffentliche Verbrennen meines Dienstausweises, sowie meines Namensschildes. Unter dem Jubel aller Angestellten wurde ich dann vor das Werkstor geführt, was sich sofort und für immer schließen sollte. Dann war die Feierstunde beendet und meine ehemaligen Kollegen zog es wieder in ihre Büros. Ich stand noch eine Weile vor dem Tor und fühlte mich plötzlich sehr einsam. Ich hatte mir ja immer einen großen Abschied gewünscht, aber dieser war so einzigartig, den ich nie vergessen werde und der für immer einen Platz in meinem Herzen hat. Nur eines betrübte mich etwas! Der letzte Handschlag des Konzernchefs blieb mir verweht. Wie gerne hätte ich ihm noch einmal die Hand geschüttelt. Was heißt nochmal! Überhaupt einmal seine Hand berühren zu dürfen! Das wäre so wie: „Venedig sehen und sterben!“ Aber er blieb der Feierstunde fern. Das fand ich nun besonders schade, denn sein Erscheinen wäre wie ein Ritterschlag für mich gewesen. Doch diese Ehre blieb mir vergönnt. Was hätte ich nicht dafür gegeben! Während ich mir noch ausmalte, wie der oberste der oberen Chefs mich dankbar in seine Arme schloss, wurde ich unsanft aus meinen Gedanken gerissen. Einer für die Sicherheit des Geländes zuständigen Security-Schäferhund, ließ es sich nicht nehmen, um mich ebenfalls gebührend zu verabschieden, indem er sich in meiner Wade verbiss. Jeder Abschied ist ein schmerzvoller Prozess und meiner war es ganz besonders. Mit aufgerissener und bluttriefender Wade verließ ich die Wirkungsstätte, die mich zwanzig Jahre, als treuen Mitarbeiter beherbergt hatte. Kein Blick zurück im Zorn. Nur unendliche Dankbarkeit für einen rührenden Abschied, den man mir bereitet hat. Ziellos lief ich durch die Straßen, eine Blutspur hinter mir herziehend. Die klaffende Wunde wurde derweil von einer nicht geringen Anzahl gieriger kleiner Insekten okkupiert, die auf der Suche nach einem geeigneten Ort zur Eiablage waren. In mir fanden sie nun einen geduldigen und verständnisvollen Vermieter!

„Das sieht aber sehr ungesund aus, wenn gleich ich persönlich Insekten sehr schätze!“

Der, der meine Kreise störte, war eine „Die“! Ein musternder Blick meinerseits.

„Aha! Eine

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Rolf Bidinger
Tag der Veröffentlichung: 14.11.2019
ISBN: 978-3-7487-2059-1

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