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Eine Reise ins Innere!

Eine Reise ins Innere

Mein TÜV ist abgelaufen! Und ich habe das komische Gefühl, dass ich dieses mal nicht ungeschoren davon komme. Die ASU macht mir Kopfzerbrechen. Die Anzeichen, dass ich die Plakette diesmal nicht bekomme, mehren sich. Die Karosserie ist nicht mehr das, was sie einmal war. Der Auspuff macht Geräusche, die meine Umwelt misslich stimmt. Die Abgasentwicklung lässt sich nicht mehr leugnen. Der Motor stottert und ist gerade morgens unwillig. Kurzum, von scheckheftgepflegt kann nicht die Rede sein. Ok, er ist nicht mehr der Jüngste und ich bin auch nicht gerade pflegeleicht mit ihm umgegangen. Also muss er überholt werden. Ab in die nächste Werkstatt mit ihm und rauf auf die Hebebühne. Nur habe ich gar keine Werkstatt, denn seit Jahren habe ich den TÜV ignoriert. Ich spreche hier von einem bestimmten TÜV. Denn ich habe gar kein Auto! Bin nicht einmal im ADAC. Und die Karosserie, von dem hier die Rede ist, ist mein Körper. Und der will nicht mehr so. Aber zum Abwracken ist es noch zu früh, zumal ich niemanden habe, der sich über die Abwrackprämie freuen würde. Gefühlt muss er noch zwanzig bis dreißig Jahre durchhalten. Unsere Familie ist zäh und langlebig. Obwohl, nach meinem letzten "Rentenwassiezuerwartenhabenbescheid" , sollte ich schon mal goodbye sagen. Wäre ich ein Pferd, natürlich ein heißblütiger Hengst, hätte ich die Chance auf einen Gnadenhof zu kommen oder wenigstens als Salami der Menschheit noch gute Dienste leisten zu können. Ich wäre dann zumindest in aller Munde. Warum bin ich nicht als Hund zur Welt gekommen? Da würde ich nach einem glücklichen Hundeleben eingeschläfert. Und ein Hundeleben friste ich ja jetzt schon. Bin ständig Müde und freue mich nur aufs Essen.

Habe auch oft von Leuten gehört, ich sei ein fauler Hund! Allerdings auch, ich sei ein blödes Schwein. Aber so blöd bin ich nicht, dass ich deren Leben haben möchte. Geschweige deren Ende. Abgestochen, ausgeblutet, Haare abgebrüht, in der Mitte zersägt und an meinen Füßen aufgehängt! Da bräuchte ich ja zwei Särge und Doppelgrabstelle. Zwei Kreuze, zwei Beerdigungen, zwei Pfarrer, zwei Särge, zwei professionelle Grabredner! Wer soll denn das bezahlen? Von meinen Rücklagen, Immobilien, Gold und Wertpapieren, reicht es nicht mal für eine Abschiedsfete. Will ich auch gar nicht. Feiern auf meine Kosten und ich bin nicht dabei? Könnte diesen Leichenfledderern so gefallen. Und die ganzen Erbschleicher, die sich auf meine Kosten ein lockeres Leben machen wollen. Euch lach ich ins Gesicht. Ha! Nix gibt’s! Ich geh jetzt zum Arzt und lass mich Gesundmachen, nur aus Trotz. Ich werde Hundert Jahre alt, nur um euch Geiern es zu zeigen. Jetzt brauch ich nur noch den Arzt, der mich wieder TÜV-Neu macht. Ich brauche eine Kapazität, einen Chefarzt, einen Medizinnobelpreisträger und vor allem einen, den die Barmer übernimmt. Nur wie findet man den richtigen Arzt? Normalerweise orientiere ich mich an der Werbung im Fernsehen. Nach einer Woche intensivem Suchens dort, stelle ich ernüchternd fest, Ärzte werben nicht. Haben sie wohl nicht nötig. Arrogantes Pack! Hocken einfach auf ihren Millionen, statt vernünftige Werbung für sich zu machen. Und diesen Arztbewertungen im Internet traue ich nicht einen Klick weit. "Empathischer Arzt, hingebungsvoll, mitfühlend, herausragender Sachverstand. Fühlte mich bestens aufgehoben und hervorragend betreut." Das hat doch garantiert ein Familienmitglied gepostet, wenn nicht sogar der Arzt selbst. Ich habe da meine eigenen Suchkriterien. Das Entscheidendste ist, dass er in meiner unmittelbaren Nähe ist. Laufe doch nicht schwerkrank durch die halbe Stadt, nur um dem ein sorgenfreies Leben zu finanzieren. Ich brauche einen jungen und dynamischen, humorvollen Arzt. Er soll mir die Diagnose sagen, entsprechende Pillen verschreiben und mich nicht mit gutgemeinten Ratschlägen voll texten. Spätestens nach einer Woche will ich Vollzugsmeldung von ihm, dass ich wieder gesund bin. Dann trennen sich unsere Wege und das machen wir ab jetzt alle zehn Jahre so. Ich habe schließlich Besseres zu tun, als tagelang in irgendwelchen Wartezimmern herumzusitzen und mir das unbändige Leid anderer Patienten anzuhören, von denen sowieso die Hälfte Simulanten sind, die Arztbesuche als Volkssport sehen. Die jammern sich doch nur von Facharzt zu Facharzt. Weinerliche und wehleidige Arbeitsverweigerer sind das. Schuld sind diese ganzen Krankenhausserien. Die verklären doch nur sämtliche Krankheiten, die Ärzte werden zu Göttern hochstilisiert und jede Krankenschwester könnte Miss Germany sein. Und nach sechzig Minuten ist jeder Tumor wie von Zauberhand geheilt und die immer topfrisierte Patientin verliebt sich in den Chefarzt und heiratet sie.

Ich checke also die Ärzte in meiner Nachbarschaft. Bleibt nur noch die Frage, Arzt oder Ärztin? Männliche Ärzte sind ja eher mundfaul, rational, unfähig Mitleid zu zeigen und mehr am Golf spielen interessiert. Ärztinnen hingegen leiden mit dem Patienten, sie sind redseliger und geben auch schneller ihre Privatnummern raus, damit man sie auch nachts erreichen kann. Und meistens sehen sie auch besser aus. Und meine muss gut aussehen, verdammt gut aussehen. Ich will eine kompetente, wahnsinnig gut aussehende Ärztin, die weiß wie sie auf mich zu wirken hat. Sie darf gerne auch etwas Verwegenes haben. Die muss schon was zu bieten haben, wenn sie mich als ihren Patienten haben will.

Nach dem wertneutralen Abwägen, ob es Arzt oder Ärztin sein soll, entschied ich mich schweren Herzens für eine Ärztin. Ich fand im Internet eine Praxis gleich bei mir um die Ecke, geführt von einer Frau Thomas. Die ist perfekt, dachte ich. Eine Ärztin mit männlichem Nachnamen, ohne die Bezeichnung "Dr.", der ja eh nur dazu da ist, um die Kosten in die Höhe zu treiben, und Abgehobenheit symbolisiert. Silke Thomas! "Silke" klingt sehr weich und gefühlvoll und "Thomas" hat eine gewisse notwendige Härte. Aber das ausschlaggebende für mich war, sie hat noch keine Bewertung im Internet. Alles noch jungfräulich! Keine verlogene Lobhudelei und kein Hinweis auf Todesfälle durch Fehldiagnose. Ich habe mich entschieden! Die oder keine. Silke Thomas, du bist auserwählt mich zu heilen. Mach aus mir dein Meisterstück. Du Göttin in Weiß!

Gleich am nächsten Tag rief ich an! "Gemeinschaftspraxis Silke Thomas, Dr. Rita Russ und Dr. med. Franziska Gröllmann. Mein Name ist Luise Krebs. Was kann ich für sie tun?" "Ich will Silke", entfuhr es mir. "Bitte?", fragte die Stimme am Telefon irritiert. "Äh, mein Name ist Lachnit, Jürgen Lachnit. Ich hätte gerne einen TÜV-Termin bei Frau Thomas. Heute noch!" Es entstand eine kleine Pause. Sie hatte wohl mit meiner Entschiedenheit nicht gerechnet. Sie tat mir auch ein wenig leid, wenn sie jeden Tag hundert mal diese ganze Ansage immer und immer wieder aufsagen muss. Aber anhand der Aufzählung wusste ich nun, hier bin ich richtig. Meine Silke wurde an erster Stelle genannt und dann erst die beiden Dr. und Dr. med.! Silke war offenkundig die Chefin in diesem Ärztinnen-Harem. Meine Wahl hätte trefflicher nicht ausfallen können. Ich spürte, hier entstand langsam eine Symbiose zwischen Ärztin und Patienten, deren hehres Ziel es war, für meine rasche Genesung, mit mir zu verschmelzen.

Die Stimme am Telefon, in deren Tonfall ein Hauch von unerfüllter Erotik mitschwang, schien mit meiner Entschlossenheit nicht ganz klarzukommen. "Es tut mir leid Herr Lachnit, aber Frau Thomas hat erst nächste Woche einen Termin frei. Ich könnte ihnen für Übermorgen einen Termin bei Frau Dr. Russ anbieten." Der Vorzimmerdrache wollte mich also abwimmeln. Aber nicht mit mir. Ich musste also etwas mehr Schärfe in meine Stimme legen. "Passen sie mal auf Frau ....Dingens ...." Sie unterbrach mich mit einem ungeheuren "Es tut mir leid, aber....". Sätze mit -aber- unterbinde ich immer gleich. Die sind nicht förderlich und bringen einen selten ans Ziel. Ich setzte also zum finalen Dolchstoß an! "Also erstens mag ich es nicht, wenn man mich unterbricht. Das schickt sich nicht Frau ....". "Krebs ist mein Name!", erwiderte sie ungefragt. "Ja da kann ich nun auch nichts dafür!", erwiderte ich unwirsch. "Sie blockieren meinen Heilungsverlauf! Oder wollen sie das ich tot umfalle?" Schweigen auf der anderen Seite. Ich vernahm ein leises Schluchzen. Jetzt bloß nicht weich werden, dachte ich. Ich muss jetzt solange in diese Kerbe hauen, bis das Bollwerk zerbrochen ist. "Ich werde um siebzehn Uhr vorbeikommen und erwarte ohne längere Wartezeit zu Frau Thomas vorgelassen zu werden. Ich werde dann auch ihre Impertinenz für mich behalten. Sie wollen doch ihre Stelle sicher behalten, oder?" Das Schluchzen wurde vernehmlich lauter. "Und Heulen sie nicht! Heulen macht hässlich." Mit letzter Kraft entgegnete sie zaghaft, dass um siebzehn Uhr die Praxis schließe. Das sollte wohl das letzte klägliche Aufbäumen sein, dass ich natürlich nicht durchgehen lassen konnte. "Hör zu, Dingens ...", ich hatte inzwischen meine Stimme in einen Verachtensmodus umgestellt. "Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar!" Natürlich war ich auf alle Eventualitäten vorbereitet. Und ich schleuderte ihr meinen letzten Trumpf um die Ohren.

"§ 323c StGB unterlassene Hilfeleistung!
Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft."
Und mit den Worten:: "Siebzehn Uhr bin ich da! Und ich trink meinen Kaffee, schwarz!", legte ich auf. Ich war stolz darauf, diesem Krebsgeschwür gezeigt zu haben, wie man der - Servicewüste Deutschland- Paroli bietet. Nach drei bis vier Beruhigungszigaretten, sollte sich mein Blutdruck wieder stabilisiert haben. Jetzt galt mein Tatendrang nur einem, der Vorbereitung auf Silkes Untersuchung. Ein TÜV-Check vom feinsten sollte es sein. Zur Feier des Tages und des Anlasses angemessen, entschied ich nach Durchsicht meines Kleiderschrankes, dass der Ankauf von neuer Underwear angesagt war. Auf was Silke wohl stand? Es muss etwas sein, was meinen Körper umschmeichelt. Mir schwebte etwas eng anliegendes vor, damit sich auch etwas abzeichnet. Am besten etwas mit Push-up Funktion. Ich ging ins teuerste Unterwäschegeschäft und ließ mich fachkundig beraten. Die drei Verkäufer, die ich okkupierte, übertrafen sich in ihrer Beratung. Sie führten mir mehrere Modelle vor, persönlich vor. Einen Verkäufer musste ich leider bitten sich eine Socke reinzustecken, damit ich ein realistisches Bild erhielt. Körperlich war er einfach indiskutabel für den Verkauf von Unterwäsche. Der wäre im Anglerbedarf besser aufgehoben.

Nach drei Stunden stellten sich bei den Verkäufern erste Ermüdungserscheinungen ein. Aber ich hatte nun wenigstens alle Modelle gesehen und war nun auf dem neuesten Stand der Unterhosenentwicklung. Ich bedankte mich für die Beratung und ging zu KIK, um mir etwas Preisgünstiges zu holen. Mir war vorher nicht klar, dass so wenig Stoff so viel Geld kostet. Bei KIK bekam ich etwas Adäquates, für den Bruchteil dessen, was das Wucherfachgeschäft verlangt hatte. Außerdem unterstütze ich mit meinem Kauf auch die Jugendarbeit in einem Dritte Welt Land. Man hört ja schließlich auch immer allerorten von der Politik, dass die Jugend unsere Zukunft ist. Und das unterstütze ich gerne.

Geduscht und die Haare frisiert, überall, eingekleidet in meine neue "Beckhamunderwear", war ich Punkt siebzehn Uhr vor Silkes Praxis. Und die war zu! Blieb mir also nur Sturmklingeln! Nach fünf Minuten endlosen Wartens öffnete sich die Tür und die Sonne ging auf! Vor mir stand eine Frau, für die ich sterben würde. Eingehüllt in ihre weiße Medizinerkleidung, stand da Silke Thomas. Ich hatte den Hauptgewinn gezogen. Von ihr würde ich mir ohne Umschweife sämtliche Organe entfernen lassen. Mein Herz schlug wie wild, mein Blutdruck stieg in ungeahnte Höhen und nicht nur der! Ich musste mich zusammenreißen um nicht gleich über sie herzufallen. Wie angewurzelt stand ich da, sprachlos ob so viel Schönheit. Mein ganzes Leben habe ich nach der perfekten Frau gesucht, um jetzt nach jahrzehntelanger Suche endlich fündig zu werden. Jetzt nur keinen Fehler machen. Der erste Satz ist entscheidend um ihr Herz zu gewinnen. Nur was sagt man als Erstes, wenn man vor so einem helfenden Engel steht. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und öffnete meinen Mund, um ihr mit dem ersten Satz, den Grundstein für unser zukünftiges gemeinsames Leben zu legen. Dieser Satz sollte, nein musste eine literarische Glanzleistung sein. Ein Meilenstein deutscher Wortschöpfung! Dagegen würde Casanova verblassen. Generationen von Männern werden sich darauf berufen. Ein Satz, der die Welt verändern wird, der in die Analen der Verführungskünste eingehen wird und der als die "Lachnit-Methode" Berühmtheit erlangen wird. Der auf einer Stufe mit dem "Satz des Pythagoras" stehen wird. Und der erste Satz, den ich meiner Silke entgegen hauchte, war: "Ich krank!". Wo ist das schwarze Loch im Erdboden, wenn man es braucht? Ich möchte darin versinken. Ich könnte mir links und rechts auf die Backe schlagen, wenn ich nicht so wehleidig wäre. "Herr Lachnit, nehme ich an?!" Mit diesen Worten erlöste Silke mich aus der Schockstarre.
"Ja!", sagte ich kleinlaut. "Na, dann kommen sie mal rein! Sie wurden mir ja bereits in höchsten Tönen angekündigt. Ich war schon sehr gespannt auf sie!"

Ich lächelte sie an und sie lächelte mich an! Es hätte alles wunderbar werden können. Es hätte! Denn plötzlich glitt ihr Lächeln aus ihrem Engelsgesicht und wurde durch eine Strenge ersetzt, die ich mir einfach nicht erklären konnte. Sie hingegen konnte es sehr wohl und schlagartig umgab mich eine Eiseskälte. "Was glauben sie eigentlich, wer sie sind!", schleuderte sie mir ins Gesicht und eh ich etwas erwidern konnte, kanzelte sie mich weiter ab. "Halten sie den Mund!", brüllte sie mich an, dass der Boden unter mir erbebte. "Ich habe schon viele Patienten gehabt, aber noch nie so was wie sie. Ich musste meiner Sprechstundenhilfe eine Spritze geben, nur wegen ihrer Unverschämtheiten. Sie wollte sogar kündigen!" Ihre Stimme erklomm ungeahnte Höhen und sie fuhr mit ihrer Tirade weiter. "Sie können nicht einfach frei über mich verfügen. Ich bin doch nicht ihre Leibeigene. Was glauben sie, denn wer sie sind? Ich erwarte sie morgen um acht, nüchtern und mit einem Blumenstrauß für meine Sprechstundenhilfe und einer ernst gemeinten Entschuldigung. Sie... .Sie Mann!" Wumms! Die Tür erzitterte, die sie mir vor der Nase zuschlug! Ich stand davor, zurechtgestutzt auf Bonsaigröße! "Wow!", dachte ich nur, "Was für ein Weib! Ich mag dominante Frauen!"

Neuer Tag, neues Glück? Ihrem Wunsch folgend, erschien ich am nächsten Tag pünktlich um acht Uhr, mit dem eingeforderten Blumenstrauß. Ich kaufte von drei Blumengeschäften und einer Großgärtnerei sämtliche verfügbaren Rosen auf, natürlich nur die roten, als Zeichen meiner großen Liebe! Ich musste dafür extra einen Kleinkredit bei meiner Bank erbetteln. Aber für die große Liebe muss man bereit sein, kleine Opfer zu bringen. Mit den zwei Taxifahrern, die ich zur Beförderung der Rosen benötigte, stand ich Punkt acht Uhr morgens, vor der Rezeption, lächelte Frau Dingens freundlich, ja gerade liebenswürdig an und säuselte ihr zu: "Mein Name ist Lachnit. Ich habe.......!"Das plötzlich einsetzende Heulen von Frau Dingens unterbrach jäh meine vorbereitete Entschuldigungsrede und ich bemerkte nur so nebenbei, Heulen macht wirklich hässlich! Aber irgendwas in meinem tiefsten Inneren sagte mir, dass jetzt nicht die Zeit ist, dies zu thematisieren. "Aufhören!", brüllte ich sie an und tatsächlich setzte sie ihr Heulen schlagartig aus. Irgendwo hatte ich gelesen, dass man hysterischen Frauen eine Scheuern muss, um diesen Zustand zu beenden. Das hatte ich als zweite Stufe vorgesehen. Aber das Anbrüllen genügte schon. "Ich möchte mich doch nur bei ihnen entschuldigen!", flötete ich. Ängstlich und ungläubig sah sie mich an. "Bitte hören sie mich an! Ich habe da etwas für sie vorbereitet." Ich nahm eine Pergamentrolle aus meiner Jacke und begann zu Deklamieren! "Hochverehrte Frau ....!", ich stockte. Verflucht wie hieß die Heulsuse denn gleich noch mal. Ich wusste nur noch, dass es irgendein Tiernamen war. Ich sah sie hilflos an. "Ihr Name?", forderte ich sie auf.

Sie sah mich an und sagte nichts. "Jetzt sagen sie schon ihren Namen! Damit wir das hier endlich hinter uns bringen. Also, sie sind Frau .....?"Ganz leise und unverständlich hörte ich nur: "Eeebs!" Unwirsch heischte ich sie an: "Gute Frau, ich hab nicht ewig Zeit! Jetzt noch mal ruhig und verständlich!" Ich lauschte und jetzt kam ein deutliches "Krebs!" Aus ihrem Munde. "Na, sehen sie! Geht doch." Ich erhob das Pergament erneut und begann:"Hochverehrte Frau Krebs!" Ich sah sie an und lächelte ihr zu. Sie schaute noch immer skeptisch. "Ich möchte ihnen meine tief empfundene Zuneigung übermitteln. Meine Zerknirschung ist sehr groß. Niemals wollte ich ihnen Leid zufügen. Dafür sind sie mir viel zu wertvoll, besonders als Mensch ...., als Frau! Allerliebste Frau Krebs, entnehmen sie bitte meine herzlichen Grüße und untertänigste Vergebung, die ich hiermit zum Ausdruck bringen möchte. Ich war ein ungezogener Bengel und bin nicht der Dreck unter ihren Fingernägeln wert. Ich werfe mich mental vor ihnen in den Dreck. Als geschlagener Hund stehe ich in vollkommener Zerknirschung vor ihnen und entbiete ihnen diesen kleinen Blumengruß!" Auf das Stichwort "Blumengruß", sollten die Taxifahrer hereintreten und die Rosen übergeben. Doch sie kamen nicht. "Blumengruß!", brüllte ich in Richtung Eingangstür. Die Tür ging einen Spalt auf und einer der Taxifahrer ragte seinen hochroten Kopf herein. "Wie war noch mal das Stichwort?", fragte er leicht nervös. Man soll halt nicht mit Amateuren arbeiten! Blumengruß... .Blumengruß!", schnauzte ich ihn an. "Ihr versaut mir noch meine schöne Rede! Es sollte ein so wundervoller Moment für Frau .... Äh .... Dingens ... Krebs sein. Und jetzt ruiniert ihr zwei Volldeppen die schöne feierliche Stimmung. Bringt jetzt endlich das Grünzeug rein. Trinkgeld könnt ihr euch in die Haare schmieren." Ohne Aussicht auf Trinkgeld geriet die feierliche Blumenübergabe etwas ruppig. Die beiden Taxifahrer schmissen völlig lieblos die Rosen auf den Tresen, der überquoll. Immer noch etwas aufgebracht, sah ich Frau Krebs an und beendete meine Entschuldigung mit den Worten:" so, jetzt soll sich Frau Thomas endlich um meine Genesung kümmern!" Ich unterstrich meine Forderung, indem ich mit der flachen Hand auf den Tresen schlug. Keine gute Idee!

Aufgeschreckt durch einen Schmerzensschrei von mir, kam Silke aus dem Arztzimmer. "Was ist denn jetzt schon wieder los?", fragte sie aufgeregt. "Ich verblute!", rief ich ihr hilfesuchend zu und hielt ihr meine Hand entgegen, die ich zielsicher in die Rosendornen gehauen hatte. Selbst im Arztzimmer konnte ich noch das hämische Lachen der Taxifahrer vernehmen.

Nachdem Silke die Erstversorgung erledigt hatte, mir eine Tetanusspritze zur Prophylaxe ins Gesäß gepfeffert hatte, konnte sie sich endlich um meine eigentliche Heilung kümmern. Fast eine Stunde lang hörte sich Silke meine Krankengeschichte an. Ich beschrieb alles bis ins kleinste Detail. So schonungslos und offen war ich bisher nie. Aber zu Silke hatte ich grenzenloses Vertrauen. Und augenscheinlich war sie, wie so viele Frauen auch, multitaskingfähig. Während sie mir, ohne mich mit Zwischenfragen in meiner Lebensgeschichte zu stören, an den Lippen hing, telefonierte sie, unterschrieb Rezepte und konnte sogar noch zwei Sudoku-Rätsel lösen. So erfuhr ich ganz nebenbei, dass sie am Abend ihrer Tochter Pizza mitbringen wollte. Moment mal! Tochter? Ich stutzte. Wo eine Tochter ist, ist oft auch ein Kerl, zu dem sie Papa sagt. Meine Hoffnung auf Silke, als Privatärztin, kam ins Wanken. Eine Seifenblase zerplatzte. Ein Traum wurde zerstört. Eine hoffnungsfrohe Liebesbeziehung zerbrach, noch ehe sie begonnen hatte. Und für so jemanden hatte ich meine Pobacke hingehalten. Die Investition in neue Underwear erschien mir plötzlich völlig überzogen. Hoffentlich hatte ich noch irgendwo den Kassenbon um den unnützen, geradezu sinnlosen Einkauf rückgängig zu machen. Ob der Großhändler die Rosen zurücknehmen würde, war allerdings auch fraglich. Ich könnte höchstens versuchen ihn zu verklagen auf Schmerzensgeld, wegen der Schädigung meiner Hand.
Bei genauem Hinsehen musste ich feststellen, Frau Thomas war doch schon etwas in die Jahre gekommen. Es war wohl die Schminke, die ihr faltenreiches Gesicht menschlich erträglich machte. Aber wehe sie kommt in einen Regenschauer. Dann wäre sie auch nur noch eine gewöhnliche, verlebte Frau. Was hatte mich nur veranlasst, mich von ihrem gelblichen, falschen Lächeln täuschen zu lassen. Ich forderte sie unmissverständlich auf, mir eine Überweisung zu einem Facharzt zu geben. Ich lege mein Leben nur in profunde Hände und ein Arzt, der nicht einmal einen Doktortitel im Namen trägt, ist indiskutabel. Außerdem hat sie nicht mal eine Bewertung im Internetauftritt. Ich habe es bis heute nicht verstanden, wie ich nur so leichtsinnig und verantwortungslos mit meinem Leben umgehen konnte. Nur mit viel Glück bin ich dem Tod durch einen Kunstfehler entgangen. Die Tetanusspritze war doch eine vollkommen überzogene Behandlung. Wegen einem kleinen Blutstropfen macht die so einen Aufstand. Das Freilegen einer Pobacke könnte man auch als sexuelle Nötigung auslegen. Eine Anzeige bei der Landesärztekammer sehe ich als unausweichliche Maßnahme. Die Menschheit muss vor solchen Ärztinnen geschützt werden. Es kann ja nicht sein, dass die ihre Approbation an jeden X-beliebigen verschenken und die das dann noch schamlos ausnutzen.
Ich werde mir jetzt einen richtigen Arzt suchen.
Einen Mann! Am besten einen Alten! Und einen Hässlichen! Sicher ist sicher!

Neuer Tag, neues Glück! Nach einem intensiven Gespräch mit mir beschloss ich diesmal, etwas intensiver nach dem Arzt meines Vertrauens zu suchen. Die Zeit drängt, da der regelmäßig auftretende Schmerz mein Leben und meine Laune beeinflusst. Ich werde unleidig! Nicht nur gegen andere, das ginge ja noch in Ordnung, nein, gegen mich himself! Ich reagiere schon aggressiv, wenn ich mich morgens im Spiegel erblicke. Manchmal bin ich so sauer auf mich, dass ich mich dahingehend bestrafe, indem ich jedes Gespräch mit mir verweigere. Gerade meinen Humor mag ich sehr und kann herzhaft über mich lachen. Aber nun ist seit ein paar Tagen Funkstille und ich bemerke, wie sehr ich mir fehle. Ich habe sogar schon an eine räumliche Trennung gedacht. Heute Morgen habe ich mir selbst ein Bein gestellt, so verhasst bin ich mir inzwischen geworden. Seit Tagen surfe ich nur noch im Internet nach "dem" Arzt. Von sieben Ärzten, die in meiner unmittelbaren Nachbarschaft wohnen habe ich Porträtfotos angefordert, sowie einen lückenlosen Lebenslauf. Ich weiß ja jetzt genau, was ich suche. Er darf nicht unter sechzig Jahren sein, eine fachliche Kapazität, einen Doktortitel und muss in jedem Fall sexuell unattraktiv sein. Einen solchen Reinfall wie mit der Ärztin, deren Namen ich verdrängt habe, kann sich meine Genesung nicht mehr erlauben. Der Tipp eines ehemaligen Freundes brachte mich schließlich auf die richtige Spur. Er arbeitet in einem katholischen Altenstift. Und dort gibt es einen alten Arzt.

Das Stift liegt irgendwo in der Westeifel, also zirka Dreihundertfünfzig Kilometer von mir entfernt, aber für einen Spitzenarzt muss man schon mal eine kleine Mühe auf sich nehmen. Mit dem ICE ist man ja schnell da, dachte ich. Die Deutsche Bahn denkt da anders. Zu meinem Vertrauensarzt fährt gar kein ICE, wie ich von einem knurrigen Unservicemitarbeiter im Unservicepoint, im "Wir-reisen-nicht-Kundencenter"! "Dann fahr ich halt mit dem D-Zug!", gab ich in gleicher freundlicher Weise zurück. Nach zwanzig Minuten Recherche teilt mir diese frohsinnsresistente Fachkraft mit, "D-Zug fährt nicht!" Dass ich todkrank bin, scheint diesen Fahrgastignoranten nicht zu interessieren. "Regionalzug?", röchle ich ihm im Angesicht des Todes entgegen. Als er dann irgendwann aus seiner Mittagspause zurückkehrte, teilte mir diese Ausgeburt an Kundenvergraulung mit: "Regionalzug fährt nicht!" Mit der letzten Kraft, bevor ich vor meinen Schöpfer trete, flehte ich ihn an, mir halt irgendeine Verbindung zu suchen, notfalls mit einer Lore oder einem Triebwagen. Missmutig geht er wieder von dannen, bespricht sich mit seinen Kollegen. Die Warteschlangen vor den einzelnen Schaltern werden immer länger. Die Reisenden schauen mich inzwischen wütend und verächtlich an. Kurz bevor die aufgebrachte Meute sich auf mich stürzt, um mich im Bordbistro als Gulasch feilzubieten, löst sich der eilig improvisierte Stuhlkreis auf, den das Servicepersonal eingesetzt hatte, um mein Ansinnen zu prüfen. Die Gesamtheit des Servicepersonals kam zu mir, stellte sich im Halbkreis vor mich und teilte mir mit, es führe kein Zug, gleich welcher Bauart zu meinem Wunschziel. "Warum? Warum? Warum?", bäumte ich mich ein letztes Mal auf. Wie aus einem Munde sprach der Chor der Bahn freudestrahlend zu mir:"Nicht unsere Schuld! Liegen keine Schienen!"

Nachdem mich die Bahnhofsmission mit Valium, Antidepressiva und einer Morphiumspritze notdürftig stabilisiert hatte, bekam ich noch einen Luftballon geschenkt und wurde als geheilt entlassen.
Anschließend robbte ich zu meiner Bank und löste mein Sparbuch auf und bestellte mir ein Taxi! Selten sah ich einen so freundlichen und vor Glück strahlenden Taxifahrer, als ich ihm mein Fahrziel verriet. Er stellte sein Navigationsgerät ein, lud mich auf eine Pizza, sowie ein Kaltgetränk meiner Wahl ein und erlaubte mir, sogar zu rauchen. Das nenne ich nun Firstclass-Service! Von unterwegs telefonierte er mit seiner Frau und beauftragte sie vierzehn Tage Mallorca zu buchen. Wir bretterten über Autobahnen, Bundesstraßen, Landstraßen und schließlich über Feldwege, bis sich die reizende Dame aus dem Navi meldete und zu unserer Überraschung mitteilte:"Sie verlassen den digitalisierten Bereich!" Gerade wollte ich amüsiert loslachen, über den originellen Scherz der Navigationsdame, als mein Taxifahrer in die Eisen stieg. Der Feldweg führte geradewegs in ein Maar! "Wir sind da!", meinte der Taxifahrer und wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Wo sind wir?", fragte ich und wischte mir die Reste der Pizza aus dem Gesicht. "Das weiß der Himmel!", murmelte er und verkündete freudestrahlend:"Das macht dann fünfhundertneunundachtzig Euro und siebzig Cent!" So schnell wie er abbremste, so schnell war er auch wieder in der Dunkelheit verschwunden. Und ich stand, wie Hänschen klein, im Wald allein. Dachte ich jedenfalls! Zwei leuchtend rote Punkte sahen mich aus dem Unterholz an. Ich wusste gar nicht, dass es in der Eifel wieder freilaufende Wölfe gibt. Übrigens ist es ein Irrglauben, dass sie Angst vor Menschen haben. Rückblickend bin ich jetzt doch froh, dass diese Ärztin, deren Namen mir nicht mehr einfallen will, mir dereinst diese Tetanusspritze gesetzt hat.

Am nächsten Morgen wurde ich von einem eifelanischen Ureinwohner aufgelesen. Er versorgte notdürftig meine klaffenden Wunden und nahm mich mit seinem Pferdefuhrwerk mit. Die nächsten zwei Stunden hörte ich von ihm immer nur fortwährend denselben, nicht zu identifizierten Satz:"Dou bass su demelisch dat de brells!" Sicher eine Aufmunterung im Eifelidiom! Leider war ein direktes Nachfragen ob der Bedeutung nicht möglich, wegen der Sprachbarriere. Und als ich nicht mehr daran glaubte, stand ich plötzlich vor dem Seniorenstift. Offensichtlich sind mitten in der Pampa Baugrundstücke besonders günstig. Alte Menschen erwarten nichts mehr vom Leben und das bekommen sie hier geboten. Schon die alten abgehangenen Indianer wurden in der Prärie zum Sterben ausgesetzt. Altenwigwams waren damals noch unbekannt. Selbst Essen auf Rädern hatte sich noch nicht durchgesetzt. Zum Glück ließ sich Winnetou erschießen, sonst hätte er dieses Schicksal auch erleiden müssen. Wie Old Shatterhand seinen Lebensabend bestritt, entzieht sich meiner Kenntnis und ist auch nicht sonderlich relevant für mein weiteres Leben. Falls ich noch eins vor mir habe. Wenn nicht bald die Blutungen gestillt werden, sehe ich eh schwarz. Mein ehemaliger Freund empfing mich und meinte nur lapidar:"Na du siehst ja scheiße aus!" Er klebte einige Heftpflaster auf meinen gepeinigten und zermarterten Körper. Der Ohnmacht nahe, fragte ich ihn nach dem Arzt, wegen dem ich die langwierige und schmerzensreiche Odyssee auf mich genommen hatte. Er sah mich erstaunt an und mir schwante Böses! "Da liegt wohl ein kleines Mißverständnis vor", meinte er sichtlich konsterniert. "Doktor Faust wohnt nur hier! Er hat sich schon vor zwanzig Jahren zurückgezogen. Er leidet an Parkinson und sieht nur noch mit einem Auge. Aber er war mal ein toller Arzt, leider hat er nur noch wenig Erinnerung daran. Demenz, du verstehst!" Meine Fassungslosigkeit wurde nur noch überboten von dem Drang ihn umzubringen. Langsam und qualvoll! Und dann den Wölfen vorwerfen. "Ich will wieder heim", schluchzte ich nur noch. "Kein Problem!", meinte er! Direkt vor dem Haus ist die Bushaltestelle. Dann bist du in fünf Minuten am nächsten Bahnhof und nimmst den ICE nach Hause!"

Eine Stunde später, nachdem er mir beidseitig die Pulsadern wieder genäht hatte, trat ich die Heimreise an. Schwarzfahren kostet bei der Bahn übrigens sechzig Euro!
Am nächsten Tag überlegte mir eine neue Strategie. Es muss doch einen Arzt geben, der mich von meinem Leid erlöst und der meinen Ansprüchen gerecht wird. Eine ganzseitige Anzeige in einer überregionalen Zeitung sollte Erfolg bringen. Dafür musste ich eine Hypothek auf mein Haus aufnehmen, aber für meine Gesundheit ist mir kein Opfer zu groß. Ich machte ein Selfie meines geschundenen nackten Körpers, dass bereits am nächsten Morgen auf jedem Frühstückstisch lag. Unter der Bildunterschrift: "Wer rettet diesen zerstörten Körper?", stand meine Telefonnummer! Und die Resonanz war gigantisch. Bis auf Ärzte rief so ziemlich jeder an. Als Erster meldete sich RTL und bot mir eine eigene Reality-Soap an.

Am Telefon war der zuständige Redakteur außerordentlich freundlich und sehr interessiert an meinem Schicksal. Das hätte mich gleich Beunruhigen sollen. Voller Stolz erzählte er mir von seiner Laufbahn bei RTL. Vom ungelernten Kabelträger arbeitete er sich binnen zwei Jahren zum zuständigen Redakteur von Sendungen wie: "Schwiegertochter gesucht", "Bitte melde dich!", bis hin zu "Die Geissens". Zur Zeit plane er eine neue revolutionäre Castingshow. Darin sollen neue unbekannte Menschen zu Prominenten gemacht werden. Grundvoraussetzung für die Teilnahme an der Show wäre es, dass die Kandidaten keinerlei Fähigkeiten besitzen. Auch deren Aussehen solle unterirdisch sein. Sie dürfen auch gerne mit Sprachfehler und einem, undefinierbarem Dialekt behaftet sein. Ungewöhnliches Sexualleben wird gerne akzeptiert. Wenn man gar kein Sexualleben vorweisen kann, ist man praktisch schon gesetzt für das Finale. Moderiert soll die Show werden von Frederik von Anhalt und Micaela Schäfer. Eine Fachjury soll die Kandidaten brutal-möglichst kritisieren. Dafür wurde bereits Tatjana Gsell, Daniela Katzenberger und Weltstar Helmut Berger angefragt. Zwischen den groß ausgelegten Werbepausen singt Menders Bagci die größten Ralph Siegel Hits. Man hörte schon am Telefon die Begeisterung des Redakteurs für seine neue Showidee. Er rechne schon heute fest mit dem Grimme-Preis. Wenn es mir nichts ausmachen würde, mich vor der ganzen Nation lächerlich zu machen, würde er mich gerne als Kandidat einladen. Nach reiflicher Überlegung, einem Augenzwinkern, teilte ich ihm mit, ich sei zwar krank, aber dann doch nicht so krank! Er zeigte für meine Entscheidung keinerlei Verständnis. Ich solle doch froh sein, wenn sich überhaupt jemand für mich interessiere. Er hätte noch aus jedem uninteressanten Normalo einen Star gemacht, wenn auch nur für wenige Tage, aber immerhin. Es gäbe genügend Beispiele für talentfreie Promis, die sehr gut davon leben könnten, denn mit "Können" käme man heute nicht mehr weit. Schließlich wurde es mir zuviel und ich legte auf und verbat mir jeglichen weiteren Kontakt. Redakteur scheint mir der erbärmlichste und unappetitlichste Beruf zu sein.

Vor meinem Haus hatte sich inzwischen eine stattliche Anzahl von Paparazzi versammelt. Auch so eine Berufsgruppe von Blutsaugern. Eine Mischung aus Aasfresser und Hämorrhoiden, gepaart mit Eiterausfluss! Im Mittelalter hätte ich jetzt von meiner Burgzinne flüssiges Pech auf sie herab gekippt. Ach ja, die gute alte Zeit!
Während sich mein Gesundheitszustand nach eigener Diagnose zunehmend verschlechterte, klingelte das Telefon unaufhörlich. Suspekte Heilpraktiker, selbst ernannte Schamane, eine Pizzabäckerin mit hellseherischen Fähigkeiten, die aus geschmolzenem Mozzarella Krankheiten herauslesen kann, sowie eine Handauflegerin aus Tasmanien. Aber kein Arzt! Gerade als ich die Hoffnung aufgeben wollte, klingelte es an der Eingangstür. Ich sah durch den Türspion. Ich konnte im dunklen Treppenhaus nur schemenhaft eine Gestalt erkennen. "Wer ist da?", fragte ich vorsichtshalber. "Öffnen sie!", kam es von der anderen Seite. "Wenn sie von RTL sind, dann verschwinden sie!", entgegnete ich. "Was ist RTL?", fragte die Stimme zurück. Ich schloss auf einen intelligenten Menschen und fasste Vertrauen. Ich öffnete vorsichtig die Tür, aber nur einen Spalt. Ein Lichtstrahl fiel auf das Gesicht des Mannes und ich erschrak. Er hatte ein blasses, fahles Gesicht. Seine Falten hatten sich tief in sein Gesicht eingegraben. Sein starrer Blick durchbohrte mich förmlich. Über der Nasenwurzel begann eine Narbe, die im grauen Haaransatz verschwand. Kurz, er sah aus, als sei er aus einem Edgar Allen Poe Roman gefallen. Er hielt mir seine knorrige Hand entgegen, wobei mir seine sehr langen dünnen vier Finger auffielen. "Mein Name ist Doktor Frank!", sagte er in einer sehr merkwürdigen monotonen Diktion. Er rollte das "R" und unterlegte es mit einem Knarren. Ich gab ihm die Hand und erschauerte. Niemals zuvor hatte ich so etwas Glitschiges und Götterspeisenartiges in Händen gehalten. "Darf ich eintreten?", Monotonisierte er. "Bitte!", sagte ich und hatte dabei das Gefühl, als würde ich gerade den "Henker von London" reinlassen.

Bedächtig und ein Bein hinterherziehend trat er ein. "Sind sie Arzt?", fragte ich ihn, während er mir ins Wohnzimmer folgte. "Sind sie krank?", fragte er scharf zurück, durch seine von Lücken durchsiebten Zahnreihen. "Ja!", antwortete ich. "Dann bin ich Arzt!"
"Was sind sie denn für ein Arzt?", fragte ich weiter. Er sah mich durchdringend an, ohne sichtbare Mimik. "Was haben sie denn für eine Krankheit?" "Schmerzen im Bauch.", gab ich zurück. Er trat einen Schritt auf mich zu und nahm meinen Kopf in seine gallertartigen Hände. Sämtliche Rückenhaare stellten sich mir auf. Er sah mir lange, sehr lange in die Augen. Dann nahm er plötzlich ein Ohrläppchen und zog daran. "Tut das weh?, hauchte er mir ins Antlitz. Ich roch seinen Atem, der das Zeug dazu hatte, ohne Probleme die Zulassung als neues Narkosemittel zu erhalten. Er stand so nah an mir, dass seine Nasenhaare an meiner Oberlippe kitzelten. "Was ist?", fragte er erneut ungeduldig, "Tut es weh, wenn ich am Ohrläppchen ziehe?" Ich spürte kaum, dass er überhaupt mein Ohrläppchen anfasste. "Ziehen sie mal fester, ich spüre gar nichts!", forderte ich ihn auf. Er zog nochmals, diesmal deutlich fester, sodass mir ein "Au!" entfuhr. "Dachte ich es mir doch!", stellte er zufrieden fest. "Was habe ich?", fragte ich unsicher. "Sie haben..", begann er und sein Gesicht verfinsterte sich, soweit es sich überhaupt noch weiter verfinstern konnte. "Sie haben ....", er hielt inne und ich sah es ihm an, dass es ihm schwerfiel weiterzusprechen. "Mein Gott, ist es so schlimm?" Mir wurde schwarz vor Augen. "Wie lange habe ich noch? Sagen sie es mir! Ich muss die Wahrheit wissen." Vor meinem geistigen Auge lief mein Lebensfilm ab. Immer schneller und schneller werdend, bis er plötzlich abrupt abriß. "Sie haben ....", setzte Doktor Frank erneut knarrend fort und ich sah ihm den Schmerz an, den jeder gute Arzt empfindet, wenn er jemanden seine Todesdiagnose mitteilen muss.

"Sie haben ....", und er hielt immer noch mein Ohrläppchen fest, "sie haben ....", ich hielt die Anspannung nicht mehr aus. "Sagen sie es, bitte!", flehte ich ihn auf die Knie sinkend an. "Sie haben. .... eine .......", er machte eine letzte bedeutungsschwangere Pause, um mir dann das Unausweichliche, die ungeschminkte und geschönte Wahrheit zu präsentieren. "Sie haben ... eine .... Typhilitis!" Vor Schreck gelähmt kauerte ich am Boden und war am selben zerstört. "Ich muss nun gehen! Und sie gehen noch heute ins Krankenhaus!", sagte er. Mit diesen mitfühlenden Worten drehte er sich um und schlurfte zur Eingangstür um sie als Ausgangstür zu benutzen. In tiefster Verzweiflung rief ich ihm nach, wie lange es noch dauern würde. "Er drehte sich noch ein letztes Mal um, ein letzter Blick auf den am Boden liegenden, der auf ein letztes hoffnungsvolles Wort heischende. "Höchstens eine Woche, dann haben sie es geschafft!" Mit diesen Worten verließ er die Wohnung.
Ich habe Doktor Frank nie wiedergesehen. Ich erfuhr nie, woher er kam, noch wohin er ging. Nur der Odem seines Atems blieb zurück und ließ sich auch mit Durchlüften nicht entfernen. Er hatte sich in die Tapete eingefressen. Auf dem Schauplatz blieb ich zurück. Verzweifelt und von aller Welt verlassen, blieb ich noch eine Stunde regungslos und haderte mit meinem zu Ende gehenden Lebens. Ich fühlte, wie Gevatter Tod meiner habhaft werden wollte. Nur eine Woche blieb mir noch. Eine Woche! Das sind sieben Tage, einhundertachtundsechzig Stunden, zehntausendundachtzig Minuten, sechshundertviertausendachthundert Sekunden. Wow, eine ganz schöne große Zahl! Diese letzte große Zahl stabilisierte mich wieder etwas. Ich beschloss, schleunigst mir eine Sterbeklinik zu suchen. Ich hatte die Wahl zwischen Palliativstation oder Hospiz.

Ich verließ meine Wohnung gegen zweiundzwanzig Uhr, bestückt nur mit einem kleinen Rucksack, der das Nötigste beinhaltete. Waschzeug, Schlafanzug und einen Anzug für die Beerdigung. Ich ging über den Hinterhof, kletterte über eine Mauer, sodass ich über das Garagendach laufen konnte und mit einem gezielten Sprung über einen Stacheldrahtzaun es schaffte, den Paparazzi zu entkommen, die immer noch auf mich lauerten. Wen stört schon ein aufgeschlagenes Knie und blutende Hände, wenn man nur noch eine Woche zu Leben hat. Meinem Vermieter hatte ich telefonisch bereits mitgeteilt, dass ich fristlos kündigen müsste, wegen eines bedauerlichen Todesfalls. Telefon war abgemeldet, am Briefkasten einen Zettel angebracht mit dem Hinweis: "Unbekannt verzogen!" Und eine Traueranzeige an die Zeitung geschickt, mit dem Hinweis, sie erst in acht Tagen zu veröffentlichen. Die Beerdigung wollte ich dann von der Paliativstation aus organisieren, sonst wird mir in der letzten Woche noch langweilig. Zum Glück kann man ja heutzutage alles per Internet erledigen.
www.ich-sterb-dann-mal.de!
Der einfache Weg zum stressfreien Tod.

Der Pförtner sah

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 16.09.2016
ISBN: 978-3-7396-7396-7

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Rolf Bidinger ist Regisseur, Schauspieler und Kabarettist. Er lebt in Mainz. Bisher erschienen: Die Taube, die nicht hören wollte Laubingers letzter Fall Vergissmeinnicht Infos: https://www.facebook.com/RolfsBuecher/?ref=bookmarks ALS PRINTAUSGABE: ISBN 978-3-96133-058-4

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