Cover




Wo bist du?
Abends sehe ich zum Himmel hinauf und stelle mir vor, dass du dort oben als Stern am Firmament leuchtest. Manchmal stelle ich mir vor, du wärst bei mir, ähnlich wie ein Engel und hieltest ein wachsames und liebevolles Auge auf mich.
Doch wo bist du wirklich? Was ist mit dir geschehen, als du aufhörtest zu atmen, als dein Körper nur noch eine leblose Hülle wurde? Ist dein Tod das große Ende gewesen, aus und vorbei? Oder gibt es da noch etwas anderes? Gibt es ein Paradies, eine neue Dimension oder ein Aufsteigen zu höheren Sphären?
Ich werde es nicht erfahren. Ich werde noch lange grübeln, werde zweifeln und hoffen, doch Gewissheit werde ich erst bekommen, wenn ich ebenso wie du diesen letzten Schritt tun muss.
Bis dahin bleiben mir all die Erinnerungen an dich, das Photo auf meinem Schrank, das mich jeden Tag anlächelt und zu sagen scheint: Sei nicht traurig! Die Krawatte von dir, die ich mir genommen habe, damit ich etwas besitze, das du getragen hast. Den Rosenstock im Vorgarten, den du geliebt hast und der jedes Jahr bis zum Herbst herrlich blüht.
Aber am wertvollsten sind die kleinen Erinnerungen, die mich immer wieder überfallen. Deine Stimme, die manchmal in meinen Ohren klingt und mir Mut zuspricht. Der Hauch des Windes, der einer Berührung gleicht, tröstend und zart. Das Gefühl, dass du bei mir bist und mich nie ganz verlassen wirst. Und so glaube ich dann doch, dass der Tod nicht das große Ende sein kann, nicht für dich, nicht für Menschen, die wahrhaft geliebt werden!
Von ihnen bleibt immer etwas zurück. Wir tragen es in uns, auch wenn wir es manchmal nur schwer wahrhaben können.
Es ist dunkel geworden. Ich trete ans Fenster und schaue hinaus. Dort draußen am Himmel leuchten schon die ersten Sterne, es wird eine klare und schöne Nacht. Für ein paar Minuten schließe ich die Augen und reiche dir in Gedanken die Hand. Du lächelst, sei nicht traurig! Das hast du auch gesagt, als du im Krankenhaus lagst, ans Bett gefesselt, gefasst und bereit das Unvermeidliche zu akzeptieren. Sei nicht traurig!
Papa, wie könnte ich nicht traurig sein, wo du mich doch verlassen musstest! Wie könnte ich nicht weinen, wo du nicht mehr bei mir sein kannst!
Doch wenn ich mir einen Stern am Himmel aussuche, dann kann ich mir vorstellen, dass du von dort aus über mich wachst. Doch wenn ich meine Erinnerungen lebendig halte, dann lebst du in mir weiter! Und wenn ich den Wind auf meinem Gesicht spüre, dann kann ich mir wünschen es wäre der Hauch einer Berührung von deiner Hand!
Sei nicht traurig! Vielleicht irgendwann einmal, Papa. Jetzt noch nicht, aber vielleicht irgendwann einmal. Bis dahin werde ich abends nach den Sternen schauen und mich nach dem Wind sehnen, der mir sanft zuzuflüstern scheint. Wenn ich nur still genug bin, dann werde ich deine Stimme hören können.
Sei nicht traurig…

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 18.11.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für meinen Papa

Nächste Seite
Seite 1 /