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Kapitel 1



Eiskalter Wind umwehte Sif als sie sich die letzten Meter bis zur Baumkrone hinauf hangelte. "Sif, warte!", keuchte Arum, der noch gut die Hälfte der Kletterpartie vor sich hatte. Sif setze sich auf einen breiten Ast und trommelte ungeduldig mit den Fingern auf die Rinde. Als Arum schließlich verschwitzt und außer Atem neben ihr saß, lehnte sie sich grinsend an seinen bebenden Körper und war froh, dem Trubel im Dorf entgangen zu sein. Erleichtert seufzte sie und blickte über die atemberaubende Landschaft, die sich unter ihnen erstreckte. "Wow, ist das schön hier!", stieß Arum hervor und nahm sie in den Arm. Unter ihnen schlängelte sich der Fluss Azuron durch das Tal bis an die Südküste des Landes. Grinsend wühlte Sif in Arums goldblonden Haaren, um sein volle Aufmerksamkeit zu erlangen. "Na, habe ich zu viel versprochen?", hauchte sie ihm ins Ohr. Arum brauchte noch einen Moment um sich zu fassen, dann sagte er plötzlich:"Es ist wunderschön hier... Ich würde vielleicht öfter hierherkommen, wäre nicht diese ewige Kletterei. Außerdem bist du immer noch sehr viel schöner!" Er lächelte sie an und küsste sie leicht auf ihre vollen Lippen. "Hey, ihr zwei, kommt bitte runter und setzt euch an den Tisch. Ich hab Hunger!", rief Garrun laut. Sif seufzte und murmelte etwas von wegen Väter zerstören die schönsten Momente, gab sich dann aber einen Ruck und löste sich von ihrem geliebten Arum. "Komm, lass uns runter steigen, bevor mein Vater noch verhungert“, witzelte sie und auch Arum seufzte auf. Sein Blick strich noch einmal wehmütig über den Horizont.

Das Wetter war perfekt und das Essen war köstlich. Gebratene Finsterechse mit Chili-Sauce war besser als es sich anhörte. "Komm her, Arum, gönn deinem zukünftigen Schwiegervater eine Umarmung!", rief Garrun laut und umarmte ihn. Sif wurde rot und schämte sich, aber ihr Vater war nun einmal so. Er sprach immer alles aus was er sich dachte. Die Feier dauerte noch bis spät in die Nacht. Sif ging schon früher, da sie sich etwas unwohl fühlte. Der frische Nachtwind wehte durch das offene Fenster und kühlte ihre heiße Stirn. Bald sank sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

"Sif! Sif, steh auf! Beeil dich, wir haben nicht viel Zeit!", flüsterte Garrun mitten in der Nacht. Es war hell. Zu hell, dachte sie sich. Als sie aus dem Fenster blickte, sah sie die Häuser in Flammen stehen und fremde Soldaten durch das Dorf marschieren. "Was ist hier los?", fragte sie entsetzt. "Keine Zeit für Fragen, schnell, folge mir!", erwiderte er gehetzt und zog sie hinter sich her durch die Hintertür und schubste sie unsanft in die geheime Luke hinter dem Salatbeet. "Was i...", fing sie an, doch Vater war schon verschwunden. Sie saß allein im kalten, feuchten Keller, als er die Luke zuknallte. Zitternd vor Angst versuchte sie zu realisieren, was geschehen war. Doch sie war zu müde um nachzudenken und wäre beinahe eingeschlafen, als sie eine raue Stimme rufen hörte:"Hier ist niemand, lasst uns verschwinden!" Die Kälte kroch in Sif's Füße, doch sie wagte es nicht sich zu rühren, aus Angst, man würde sie hören, und schließlich fiel sie in einen tiefen Schlaf.

Als sie erwachte und ihr Versteck verließ, fand sie das Dorf wie ausgestorben vor. Niemand war zu sehen, mehrere Hütten waren niedergebrannt worden. Es stieg noch immer Rauch auf. "Hallo, ist hier jemand?", rief sie verzweifelt. Tränen liefen ihr über das verängstigte Gesicht. Plötzlich legte ihr jemand eine schwere Hand auf die Schulter und riss sie hinter eine Mauer.
Langsam drehte sie sich um und blickte verwirrt in das grobe grinsende Gesicht eines Lanuren-Kriegers. Was dann passierte ging sehr schnell. Später erinnerte sie sich kaum noch an Details. Der Soldat packte sie grob an den Haaren. Sif schrie auf und spürte, wie tief in ihrem Geist etwas aufbrach und eine große Menge an Energie freiließ. Sie wünschte sich nichts anderes als den Krieger wegstoßen zu können. Instinktiv richtete sie ihre geballten Hände auf den Mann. Und dann geschah es. Ein greller Blitz und der schwere Mann flog mehrere Meter durch die Luft bevor er in eine vom Ruß geschwärzte Wand krachte und mit seltsam verdrehten Gliedern liegenblieb. Dann wurde alles schwarz vor ihren Augen.

Kapitel 2: Der schwarze Reiter



Sif kam von einem dumpfen Pochen in ihrem Kopf zu sich und brauchte einen Moment um zu verstehen, warum sie mit einer riesigen Beule am Hinterkopf mitten auf der staubigen Straße lag, umgeben von niedergebrannten Häusern und verkohlten Leichen. Sif richtete sich auf und bereute es sofort, denn ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Rücken. Ihr tränten die Augen wegen des Rauches. Sie sah sich um. Das Dorf war komplett verlassen, sie war allein. Sif verstand nicht, warum die Krieger alle Bewohner dieses bedeutungslosen Dorfes mitgenommen und was sie überhaupt im Land der neutralen Sheitane zu suchen hatten.
Sie wusste nicht was sie jetzt machen sollte. Deshalb versteckte sie sich auf ihrem Baum und dachte nach.
Sie erinnerte sich an den Blitz und den Krieger, der durch die Luft flog und versuchte sich an eine ihrer ersten Schullektionen zu erinnern.

Ihr Lehrer hatte Sif damals erklärt, dass sich die spezielle Gabe eines Kindes mit fast exakt 16 Jahren zu entwickeln beginnt. So weit, so gut, dachte sie, dann fiel ihr wieder ein was der alte Mann zu ihr gesagt hatte: „Jedes Volk hat spezielle magische Fähigkeiten. Die Lanuren beherrschen starkes Feuer und haben die Gabe körperliche Erschöpfung zu heilen. Die Sheitane setzen ihre Magie meist nur im Alltag und zur Verteidigung ein. Sie können starke Hitzeschilder erzeugen, die magische Angriffe abwehren können.“
Sif konnte sich nicht erinnern, dass der Lehrer je gesagt hatte, dass Sheitane jemanden meterweit durch die Luft fliegen lassen können. Sie konzentrierte sich wieder und rief sich die Worte des Lehrers ins Gedächtnis. Dann hatte er von den kleinwüchsigen, aber listigen Globs geredet. Diese beherrschten zwar keine Kampfmagie, konnten jedoch betäuben und Illusionen hervorrufen.
„Die friedlichen Gemiten haben einen besonderen Bezug zur Erde. Sie können sie bewegen und verfestigen und das Wachstum von Pflanzen verändern“, erläuterte er weiter.
Keine dieser Gaben traf auf sie zu! Es blieben noch die Manduriten, Erejaten und Shagranen.
Die Manduriten lebten westlich der Shaitane an der Küste und auf den Inseln. Sie hatten die Fähigkeit, Wasser zu kontrollieren und waren bekannt für ihre außergewöhnlichen Heilkräfte.
Die Erejaten waren Elementarkrieger. Sie beherrschten zwar alle vier Elemente, doch keines außergewöhnlich gut. Sie schafften es jedoch, eine Technik zur Kombination von zwei Elementen zu entwickeln. Sif schüttelte verwirrt ihren Kopf. „Seltsam“, dachte sie, „könnte es sein, dass ... Nein, ich glaube, ich bilde mir diese enorme Druckwelle bloß ein!“, versuchte sie sich zu überzeugen. Im Grunde ihres Herzen wusste sie jedoch die Wahrheit: Sie, die kleine Sifira, Tochter von Garrun und Xenia, war eine Shagrane. Sie gehörte zum mächtigsten Volk der Welt. Sif versuchte sich zu erinnern, was ihr Lehrer über sie gesagt hatte. Sie erinnerte sich nur noch an sein verächtliches Schnauben, als er dieses Volk als "Egoisten" und "Hochstapler" bezeichnete.

Sif blickte traurig in die aufgehende Sonne, die als schmale Sichel am Horizont aufgetaucht war. Sie war müde, aber viel zu aufgewühlt um schlafen zu können. Sie dachte darüber nach, was sie nun mit ihrem Leben anfangen sollte. Sie wusste keine Antwort. Sie fragte sich, ob es überhaupt eine Antwort gab. Erst als es vollends hell war, kam sie zum Schluss, ihre entführten Freunde suchen zu müssen. Sie wollte unbedingt erfahren, wohin man sie gebracht hatte. Sie rannte ins Dorf und durchwühlte die verkohlten Trümmer nach einigen brauchbaren Gegenständen. Nach einigem Suchen fand sie unter einem Dachbalken einen zerkratzen Spiegel. Sie betrachtete sich. Sie war hübsch und eher blass, anders als ihre gleichaltrigen Freunde. Außerdem ähnelte sie stark ihrer Mutter. Sif wollte den Spiegel wegwerfen, überlegte es sich dann aber anders und steckte ihn ein. Als sie einiges an Proviant und Werkzeugen beisammen hatte, steckte sie alles in ihre Umhängetasche und machte sich auf den Weg. Sie folgte mehrere Stunden lang den Fußspuren der Krieger und war so in Gedanken vertieft, dass sie nicht merkte wie sie verfolgt wurde.
Ein schwarz gewandeter Reiter preschte in vollem Galopp von hinten auf sie zu. Sif drehte sich um und konnte sich im letzten Moment auf den Boden fallen lassen. Nur Millimeter von ihren Hals entfernt steckte ein kleiner Pfeil mit schwarzen Wiederhacken in einem Baum. Der Fremde sprang vom Pferd. Er hielt eine lange, rot glühende Klinge in der Hand. Das Schwert auf Sif gerichtet, befahl er ihr aufzustehen und zu ihm zu kommen. Sie dachte nicht einmal daran und versuchte zu fliehen. Doch sie kam nicht weit, denn plötzlich stand er vor ihr. Wütend herrschte er sie an:"Hör mir zu, Mädchen! Ich will dir nicht wehtun, aber wenn du dich wehrst oder versuchst wegzulaufen...naja." Er lachte boshaft und packte Sif grob am Arm. Er schleifte sie zum Pferd, wo er ihr die Hände fesselte und sie in den Sattel beförderte. Endlich fand sie ihre Stimme wieder und keuchte ängstlich: "Was willst du von mir?" Doch der Mann schwieg und sie schaffte es während des ganzen Rittes nicht, ihm auch nur ein einziges Wort zu entlocken. Sie ritten den schmalen Weg entlang und kamen schließlich an eine Weggabelung. „Na bitte! So erfahre ich wenigstens wo wir sind“, dachte sie sich. Doch sie sah gleich, dass die Beschilderung in lanurisch geschrieben war. Sie knirschte wütend mit den Zähnen und der Reiter lachte schadenfroh. Irgendwann verlor Sif das Bewusstsein und wurde erst spät in der Nacht unsanft geweckt.
„Wir sind den ganzen Tag durchgeritten“, dachte Sif entsetzt und massierte vorsichtig ihr Gesäß. Sie stöhnte, als sie nach der viel zu kurzen Rast weiterritten. Später gab der Mann ihr etwas hartes Brot und einen Schluck Wasser. Erst am nächsten Morgen fasste sie sich ein Herz und sprach ihren stillen Begleiter wütend an: "Sag mir endlich wo du mich hinbringst! Ich will nur das wissen! Bitte!" Aus ihrer Wut wurde beinahe ein verzweifeltes Flehen und Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie leise zu schluchzen begann. Zu ihrem Erstaunen bekam sie eine Antwort. Leise knurrte er: "Darun Gard". Die Angst schnürte Sif die Kehle zu. Von Darun Gard, der dunklen Festung, hatte sie schon gehört. Tod und Folter war dort an der Tagesordnung. "W-w-was passiert dort mit mir?", fragte sie entsetzt. Doch ihr Entführer zuckte nur mit den Schultern und sagte nichts mehr.
Sif sah sich um. Sie befanden sich auf einer geschützten Lichtung. Nichts, nicht der kleinste Laut war zu hören. Sie zitterte, der Wald war ihr unheimlich, eine bedrohliche Aura ging von ihm aus. Sif sagte nichts, als der Krieger sie wieder in den Sattel hob, und sie versuchte einigermaßen bequem zu sitzen. Schon preschte das Pferd los und ließ den Wald hinter sich. Zwei Tagesritte später kamen sie an den blauen Hauptfluss des Azuron und Sif erblickte die Tore eines hölzernen Fortes. Diese öffneten sich als sie näher kamen. Sif spürte wie ihr die Angst in die Glieder kroch, als sie hunderte von Sheitane hinter Gitterstäben sitzen sah. Gebrochene Augen starrten Sif an, ohne sie wirklich zu sehen, manche kannte sie. Es waren auch Gefangene aus ihrem Dorf darunter. Das Pferd ritt durch ein weiteres Tor und Sif bemerkte, dass dort sehr viele Jugendliche etwa in ihrem Alter gefangen waren. Sif schluckte ihre Angst hinunter, als man sie in eine Zelle zu drei sheitanischen Mädchen steckte, die verängstigt in eine Ecke kauerten. Ein Lanure mit grobem Gesicht trat in die Zelle und herrschte Sif an: "Mach uns keinen Ärger!" Sif wollte etwas erwidern, doch er hatte sich schon zum Gehen umgedreht. Sie wollte nicht auffallen, deshalb hielt sie den Mund und setzte sich auf einen Strohsack. Sie nahm ihre Zelle unter die Lupe. Vier Strohsäcke und vier verängstigte Mädchen. "Was passiert hier mit uns?", fragte sie vorsichtig die Anderen. Eine erklärte: "Wissen wir nicht genau. Sie mischen einen Trank in unser Wasser, welcher unsere Kräfte blockiert. Er wirkt nur bei Leuten, deren Fähigkeiten unter dem starkem Grad liegen. Den Anderen geben sie einen stärkeren Trank." Dann fragte Sif: "Und welchen Grad hast du?“ Sie antwortete zögerlich: „Ich habe den dritten Grad und meine beiden Freundinnen, die übrigens die Zwillingstöchter des Königs der Sheitane sind, haben den herrlichen Grad!" Sif öffnete vor Verwunderung den Mund. Sie staunte, von den großartigen Fähigkeiten der Zwillinge hatte sie schon gehört. "Sie sehen so mitgenommen aus, weil man ihnen eine Extradosis des Trankes verabreicht hat. Sie sind so stark, dass sie einfach das Gitter schmelzen lassen könnten!", fügte das Mädchen hinzu. Sif zuckte mit den Schultern und sagte:"Ich weiß eigentlich gar nicht, welchen Grad meine Kräfte haben."

Plötzlich öffnete ein junger Krieger die Zelle und las von einem Blatt: "Sifira, Sheitane mit unbekanntem Grad?" Sif nickte zerstreut. „Woher wissen sie das?“, dachte sie. "Folge mir!", befahl der Mann. Sif folgte ihm bis an ein großes Metalltor, das sich lautlos öffnete. Er führte sie durch, blieb jedoch draußen stehen, als sich das Tor wieder schloss.“Komm her!", rief eine laute Stimme am anderen Ende der Halle. Mit zögernden Schritten tat sie, was er wollte und setzte sich auf den Stuhl, der vor einem kleinen Tisch stand. Nervös beobachtete sie, wie er ein seltsames Metallinstrument aus einer Truhe holte. Er drückte es ihr in die rechte Hand und gab ihr einen glatten Stein in die linke. Verwirrt sah sie dich die Gerätschaft an. "Führe den Stein langsam zum Stab!", befahl er. Sif tat wie geheißen und sofort bog sich der Metallstab so weit nach rechts wie nur möglich. Sie blickte zu dem Lanuren auf und wollte fragen, was dies bedeutet. Der Mann aber stand mit bleichem Gesicht hinter ihr. "Was ist los?", fragte sie erstaunt."Dieses Werkzeug kann sehr genau bestimmen, wie stark eine Gabe ist. Biegt sich der Stab nach rechts, ist deine Gabe höher als der starke Grad, biegt er sich nach links, so ist deine Gabe niederer als der starke Grad." Nachdem er dies gesagt hatte, eilte er durch eine Tür. Nachdenklich blickte Sif auf ihre Hände, als sie plötzlich starke Kopfschmerzen bekam. Stöhnend fiel sie auf den Boden.

"Bringt sie in den Bunker, schnell!", hörte sie jemand rufen und mehrere Hände hoben sie auf, während sich eine unsägliche Hitze in ihr ausbreitete. Man brachte sie in einen unterirdischen Metallbunker und legte sie dort auf den kalten Boden. "Zum Glück sind wir darauf vorbereitet. Ich will mir gar nicht vorstellen, was sonst geschehen würde!", flüsterte einer, der sie trug. Sif fing an vor Schmerz zu schreien. Sie fühlte sich als würde sie verbrennen. Plötzlich entlud sich die Hitze und der Schmerz und ihr Körper schickte eine enorme Druckwelle nach allen Richtungen gleichzeitig aus. Der Bunker hielt, aber nur knapp. Nackt und vollkommen erschöpft lag sie auf dem eingedellten Boden und öffnete die Augen, als eine junge Frau eintrat und ihr fremdartige Kleider brachte. Die Frau verbeugte sich vor ihr und verschwand wieder. Immer noch erschöpft merkte sie, wie sich ihr Körper erholte und ihre Kräfte zurückkamen. Langsam zog sie sich an. Ein alter, seltsam gekleideter Mann trat ein. Er besah sich erstaunt das halb zerstörte Innere des Bunkers. Sif begann drauflos zu fragen: "Was...Wieso?“, doch der alte Mann unterbrach sie: "Lass mich zuerst reden!" Sif nickte. "Sifira... Möchtest du so genannt werden?", fragte er lächelnd. Sif lächelte zurück. "Nenn mich Sif." Der Alte nickte, und flüsterte plötzlich schnell und so leise, dass Sif ihn kaum verstand: "Glaube nichts von dem, was ich dir erzählen werde, der Lanurenkönig versucht zu verhindern, dass sich deine Kräfte entwickeln, um dich aus dem Weg zu haben. Stell mir keine Fragen dazu!" Dann redete er normal: "Sif, zuerst sag ich dir, dass alles Leben Schicksal ist. Du hast auch ein Schicksal: Du wirst dem König der Lanuren zur Weltherrschaft verhelfen. Dies allein ist der Grund, weshalb du überhaupt geboren worden bist. Solltest du dich gegen den König, und somit gegen deine Bestimmung richten, hat dein Leben keinen Sinn mehr und du wirst sterben. Hast du verstanden?" Etwas zu eifrig nickend bejahte Sif. "Gut, das war‘s! Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann wieder“, sagte er freundlich und flüsterte ihr noch leise ins Ohr: "Unterzeichne keinesfalls irgend ein Papier! Es könnte verzaubert sein." Dann ging er und lies sie allein. Doch dann steckte er noch einmal den Kopf durch die Tür und rief: "Ach ja, der König will dich sprechen!" Sif seufzte und stand auf. Sie blickte an sich hinunter. Die Kleider passten perfekt. Sie ging zur Tür und fühlte sich leicht wie eine Feder. Eine Wache, die Sif wie eine goldene Statue ansah, zeigte ihr den Weg und sie kam an einem Spiegel vorbei. Erstaunt betrachtete sie sich. Sie war immer schön gewesen. Jetzt, da sich ihre Kräfte begannen zu entwickeln, hatte sich auch ihr Körper verändert und klarere Konturen angenommen. Sif drehte sich um und hüpfte, so leicht und stark fühlte sie sich. Vor einer vergoldeten Tür blieb sie stehen. Sie atmete tief durch und versuchte nicht nervös zu wirken als sie eintrat. Es war ein finsterer, düsterer Raum.

"Komm her und setz dich!", sagte eine sanfte Stimme. Langsam näherte sie sich, dann erschrak sie etwas als plötzlich ein junger Mann vor ihr stand. "Verzeihung, ich muss zum König", murmelte sie. Der Mann lächelte und sah sie von oben bis unten an. "Er steht direkt vor dir!", sagte er kichernd. Sif verneigte sich vor ihm und entschuldigte sich: "Verzeihung, ich hätte jemanden mit höherem Alter erwartet!" Er nickte verstehend: "Nun gut, dann lass uns eines klären: Du hast mir aufs Wort zu gehorchen, aber das weißt du ja schon! Mehr ist eigentlich nicht zu sagen!" Dann reichte er ihr eine lange Papierrolle und einen Stift. "Setz deinen Namen ans Ende!", befahl er. Sif erstarrte. Davor hatte sie der alte Mann gewarnt. Sie verzog gespielt das Gesicht und sagte ernst: "Tut mir leid. Ich habe mir das Handgelenk verletzt, als ich in diesem komischen Metallraum stolperte und hinfiel." Er sah sie schief an. "Hingefallen? Seltsam. Personen mit einer solchen Gabe gelten in der Regel nicht wirklich als ungeschickt", sagte er und sah Sif nachdenklich an. Dann zuckte er mit den Schultern. "Ich hab Zeit, ich bin nicht ungeduldig. Mein erster Auftrag an dich: Du wirst morgen in das Azur-Hochgebirge reisen und eine Zeit lang meditieren. Nur so kannst du lernen, deine Kräfte zu kontrollieren um mir nützlich zu sein!" Ein Diener kam herein und zeigte ihr das Zimmer für die Nacht. Es war prunkvoll eingerichtet. Allerdings waren die Wände blutrot gefärbt und auch die Möbel waren teilweise rot, was in Kombination mit dem dunklen Holz eine unheimliche Atmosphäre schuf.

Kapitel 3: Die Verfolgung



Arum wachte vom Zwitschern der Vögel auf. Er hatte Kopfschmerzen. Seine Hand erfühlte eine dicke Beule am Hinterkopf. Mit schmerzverzerrtem Gesicht setzte er sich auf. Rauchschwaden wehte ihm ins Gesicht und trübten seinen Blick. Bruchstücke von Erinnerungen zogen vor seinen inneren Augen vorbei. Die Krieger, das Feuer, ihre verzweifelten Versuche das Feuer zu löschen und Sif... "Sif!", hustete er hervor und rappelte sich auf. Er stützte sich mit einem Stock und humpelte aus der halbzerstörten Hütte. Erschrocken sah er sich um, und stolperte über einen Ziegelstein. Wut kroch in ihm hoch und entlud sich an einen Felsbrocken. Verwundert betrachtete er den leicht glühenden Stein. Er hatte nicht erwartet, dass seine magischen Kräfte so schwach waren. Dann zuckte er mit den Schultern und rannte zu Sif‘s Haus. Er hoffte, ihr Vater hatte sie in Sicherheit gebracht. Er stieg über die zerstörte Tür und rutschte aus. Fast wäre er gegen die Wand geknallt. Arum sah auf den Fußboden. Blut. Er drehte sich um und taumelte erschrocken einige Schritte zurück. Sifs Vater Phil war brutal mit einer Streitaxt an die Wand genagelt worden. Namenloses Entsetzen schrie aus den leeren Augen des Toten. Arum stiegen Tränen in die Augen, denn er wusste, Phil hatte seine Tochter bis zu seinem Ende beschützt. "Hoffentlich ist er nicht umsonst gestorben!", dachte sich Arum und schwor sich, Rache zu nehmen. Entschlossen stapfte er hinter das Haus und entdeckte die Falltür. Sie war offen. Da wusste Arum, dass sie frei war und ihr Versteck verlassen hatte. Er sprintete zum Stall und fand einen noch lebenden Jungdrachen. Schnell sattelte er ihn und stieg auf. Nichts war schneller als ein Drache, auch wenn es nur ein sehr junger war. "Außer vielleicht die Luftleoparden", dachte er noch und stieg auf. Von den Luftleoparden hatte man seit Jahrzehnten nichts mehr gehört, die letzten waren angeblich bei der Großen Schlacht vor

getötet worden. Der Wind machte Arum das Atmen schwer, als sich der Drache in die Lüfte erhob. Rasend schnell wurden das Dorf kleiner, als er dem Drachen vermittelte wo er hin wollte. Durch das innere Band, das die Sheitane mit den Drachen verband, fiel ihm das nicht schwer. In einigen Schullektionen hatten sie sich mit den Drachen und den Seelenbrüdern, wie man in einigen Völkern die Verbindung zwischen einer Tierart mit einer Menschenart nennt, beschäftigt. Allein Sif war es nicht gelungen mit den Drachen eine Verbindung aufzubauen, fiel ihm ein, doch er verdrängte den Gedanken, denn er musste sich auf die Landschaft unter sich konzentrieren, um die Spuren der kleinen Armee nicht zu verlieren. Er folgte ihnen bis zu einem Wald, wo sie abrupt endeten. Arum gab dem Drachen den Befehl zu landen. Er legte die Flügel an und ließ sich wie ein Stein in die Tiefe fallen. Im letzten Moment breitete er die Flügel aus und bremste ruckartig ab. Schnell sprang Arum vom Drachen und untersuchte den Waldboden an der Stelle, wo die Spuren aufhörten. Schnell fand er den Weg, den die Krieger genommen hatten. Zufrieden bestieg er wieder den Drachen. Arum wusste wo dieser Weg hinführte. Manchmal war er nach der Jagd diesen Weg bis zu einem alten Lagerhaus gegangen, um seine Beute an einen Globhändler zu verkaufen. Der Wind spielte mit Arums Haar, als der Drache wieder los flog. Er machte sich große Sorgen um Sif. Mehrere Stunden später kam das Fort am Azuron in Sicht. Arum wachte aus seinem Halbschlaf auf und zog eine Augenbraue hoch. „Weshalb hat man die Dorfbewohner hierhergebracht?“, fragte er sich. Seit hundert Jahren lebten die Lanuren friedlich. Irgendjemand muss sie gegen die Sheitane aufgehetzt haben, doch wer wusste Arum nicht. "Wir werden es herausfinden, nicht wahr?", murmelte er und tätschelte den Hals des Drachen. Langsam wurde es dunkel. Arum musste vor dem Morgenrot ins Fort gelangen, um sich nach den Leuten aus seinem Dorf umzusehen. Sie landeten hinter einem großen Felsen. Müde holte Arum etwas Proviant aus seiner Tasche. Kauend sah er sich um. Der Wald ging nahtlos in die feuchte Savanne des Lanurenreiches über, doch Arum machte sich zu viele Sorgen um seine Leute und Sif, als dass er die Landschaft hätte genießen können. Der feuchte Wind brachte warme Luft in das Azurontal. Arum legte sich hin, um noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

Kapitel 4: Verwirrung



In dieser Nacht hatte Sif fürchterliche Alpträume, und als sie am Morgen aufwachte, fühlte sie sich müder als zuvor. Seufzend sank sie in das weiche Kissen zurück. Bald darauf kamen zwei junge Mädchen, die Sif zu ihrem großen Erstaunen beim Ankleiden halfen. Sie gähnte.
Die Zofen gaben ihr robuste, eng anliegende Reithosen und eine braune Lederbluse ohne Ärmel. Ebenso erstaunt war Sif als sich die Beiden vor ihr verneigten, bevor sie den Raum verließen. Auch Sif verließ zögernd das Zimmer, nachdem sie sich lange im Spiegel bewundert hatte. Ihre Schönheit war verblüffend.
Von einigen Soldaten wurde sie nach draußen geleitet. Der König wartete bereits auf sie und überreichte ihr eine Umhängetasche. "Was geschieht nun mit den anderen Gefangenen?", fragte Sif schnell. Der König lächelte. "Sie wurden bereits gestern freigelassen und reich entschädigt. Es wurden Fehler begangen, die man hätte vermeiden können. Als ich dich suchen ließ, hat mein Oberbefehlshaber meine Befehle missverstanden. Es tut mir sehr leid, dass solch großer Schaden entstanden ist!" Der König redete wie ein Wasserfall, offensichtlich versuchte er weitere Fragen ihrerseits zu vermeiden. "Diese zwei Männer werden dich begleiten, denn der Weg ist weit und gefährlich. In den Bergen lauern Banditen. Hier, das ist für dich, alles Weitere wird dir der Alte erklären!" Er reichte ihr ein Bündel, in dem es metallern schepperte. Der Alte nickte ihr zu. "Lerne schnell! Mehr ist nicht zu sagen." Der König rief einen Stallburschen her, der drei große Finsterechsen brachte. Sif sah angsterfüllt auf die Tiere. Der König merkte es und meinte schmunzelnd: "Keine Sorge, die beißen nicht." Dann gab er dem Alten ein Zeichen und sie stiegen auf. Nervös betrachtete sie ihr Reittier. Schnell sahen sie nicht aus, dachte sich Sif, doch als sie losrannten merkte Sif, dass dem nicht so war. Mit halsbrecherischer Geschwindigkeit sprinteten die riesigen Echsen durch das Tor und sprangen gut zwanzig Meter über den Fluss. Erschrocken klammerte sich Sif an den Sattel und ihr junger Begleiter lachte über ihr Gesicht. "Ich bin Zorun!", schrie er ihr zu, denn der Wind heulte ihnen um die Ohren. "Ich bin Sif!" Er verdrehte die Augen und rief: "Weiß ich, dein Name ist allein heute schon hundert Mal gefallen!" Er grinste. Finsterechsen schienen zwar schnell zu sein, hielten jedoch kaum vier Stunden am Tag durch. Trotzdem waren sie das schnellste Transportmittel zu Land. Sif war heilfroh als sie anhielten. Dagegen sind Pferderitte entspannende Erholungsreisen, dachte Sif und setzte sich an einen Baum. Gerade als sie ihre müden Glieder ausstreckte kam, kam Zorun und warf den Beutel mit den Metallteilen neben sie. "Bloß keine Müdigkeit vortäuschen, du hast eine Menge zu lernen!" Grinsend sah Sif ihn an und glaubte, er mache Witze. "Ich meine das ernst!", sagte Zorun. Stöhnend rappelte sie sich auf und nahm das Bündel. "Was ist da drin?", fragte sie neugierig. Er verdrehte die Augen, und witzelte: "Materialien für deinen Gesangunterricht natürlich!" Sif sah ihn erstaunt an. "Wirklich, das ist ja toll!" Er lachte plötzlich laut auf und auch der Alte grinste. "Nun mach es schon auf!", drängte Zorun. Sie öffnete das Bündel. Sif verzog das Gesicht. Waffen alle Art. "Das ist zwar nur Kleinkram, eignet sich jedoch gut für den Anfang. Such dir was aus, aber lass dir ruhig Zeit!", rasselte er herunter. Sif besah sich die Teile. Ein Messer, zwei seltsam geformte Dolche, einige Wurfmesser, Kampfklauen und ein Sharam, eine rasiermesserscharfe Wurfscheibe. Nachdenklich betrachtete sie die Messer. Dann schüttelte sie den Kopf. Die kamen nicht in Frage. Irgendwie gefielen ihr die Klauen am besten. Arum hatte sie immer Wildkatze genannt. Sie grinste. "Ich nehm die Kampfklauen!" Sie zeigte darauf. Zorun nickte und half ihr sie anzulegen. "Merk dir eines! Eine Waffe ist eine Verlängerung deines Armes, ein Teil von dir, du musst lernen deine Waffe zu verstehen!" Sif nickte. Sie begannen den Unterricht mit den Grundhaltungen. Er ließ sie so lange die Angriffs- und Verteidigungshaltung üben, bis ihr vor Anstrengung der Schweiß über das Gesicht lief. "So, lasst es für heute gut sein! Ruht euch aus, ich bereite das Essen zu!", rief der Alte. Sie hatten ihr Lager in der Nähe eines kleinen Baches aufgeschlagen. Der Alte hatte inzwischen zwei Zelte aufgestellt, ein großes und ein kleineres.
Sif wusch sich das heiße Gesicht am Bach und trank viel, denn die Sonne schien heiß. Sie wollte später die Beiden ein wenig besser kennenlernen. Auch über den jungen König wollte sie mehr erfahren. Als sie ins Lager zurückkehrte, brannte eine Feuerstelle, über der Zorun Fleischstücke briet. Sif lief das Wasser im Mund zusammen. Sie hatte seit zwei Tagen nichts mehr gegessen, seit dem Tag des Überfalls.


Sif lag auf ihrer weichen Matte, durch die man den Boden spürte. Sie dachte an die Unterhaltung während des Abendessens. Zorun war sehr gesprächig gewesen. Sif hatte einiges Interessantes erfahren. Zorun war mit nur vierundzwanzig Jahren der beste Kämpfer im ganzen Lanurenreich und der Alte war der weiseste und älteste Gelehrte. Man gab ihr die beiden als Lehrer mit, damit sie eines Tages dem König nützlich sein konnte. Sif hatte gefragt, was sie denn tun könnte, um dem König nützlich zu sein. Zorun und der Alte hatten jedoch nicht geantwortet, was Sif misstrauisch machte.

Mit verkrampften Muskeln erwachte sie noch vor der Dämmerung. Die vergangene Nacht war kalt gewesen. Sif rieb die kalten Hände aneinander um sich zu wärmen. Die Männer schliefen noch. Sif stieg auf einen hohen Felsen und wartete auf den Sonnenaufgang. Nur wenige wissen um die Schönheit der aufgehenden Sonne. Sif erinnerte sich wie sie schon als kleines Kind jeden Morgen die Sonne bewunderte. Oft saß Arum neben ihr und hatte einen Arm um sie geschlungen. Manchmal hatten sie sich geküsst, und er hatte ihr eine Kette mit einem Stein geschenkt. Er sagte damals schmunzelnd, er habe ihn einem fremden Händler abgekauft.
Gedankenverloren starrte Sif zum Horizont und Tränen stiegen ihr in die Augen. Automatisch tastete sie nach der Kette um ihren Hals. Erschrocken fuhr sie hoch. Da war nichts unter ihrer Kleidung. Sif sah sich um und schloss dann die Augen, um nicht wieder loszuheulen. Sie musste sie während des Rittes verloren haben. Wütend und mit aller Kraft schlug sie mit der flachen Hand auf den Felsen unter sich. Dieser gab nach. Schreiend fiel sie zwei Meter in die Tiefe und prallte mit dem Rücken auf etwas sehr Hartes. Vor Schmerz schrie sie leise auf. Zorun kam mit gezogener Klinge aus dem Zelt gestürmt, dicht gefolgt vom Alten. "Nichts passiert! Bin nur ausgerutscht!", gab Sif von sich, atmete tief durch und stand auf. Sie rieb sich den schmerzenden Rücken. "Jag uns nie wieder einen solchen Schrecken ein, Sif! Und klettere nicht auf Felsen, wenn du dazu offensichtlich zu ungeschickt bist!", knurrte Zorun böse und legte sich wieder schlafen. Der Alte war etwas blass im Gesicht und fragte sie flüsternd aber streng: "Was ist wirklich passiert?" Sif senkte den Kopf und sagte nichts. Seufzend nahm er ihren Kopf zwischen beide Hände, damit sie ihn ansehen musste. Lange und konzentriert sah er ihr tief in die Augen und nach einiger Zeit wurde er noch bleicher im Gesicht. Er schaute über ihre Schultern hinweg und nahm den flachen, länglichen Stein in Augenschein. Seine Augen weiteten sich und er ließ Sif los. Schnell bückte er sich und hob das Teil auf. Es war etwa so lang wie ihr gesamter Arm und an der breitesten Stelle in der Mitte drei Zentimeter breit. Er hob den grünlichen Stein auf Augenhöhe und schätzte die Dicke auf knapp fingerbreit. Sif sah den Alten fragend an. Er ignorierte ihren Blick und holte ein Tuch aus seiner Satteltasche. Damit wickelte er den leicht leuchtenden Stein ein. Der Alte drückte ihn Sif in die Hand und murmelte: "Zorun darf nichts davon erfahren!" Dann ging er Feuerholz sammeln. Sif wurde wieder wütend und lief ihm nach. "Was ist los, erklär mir das und was soll ich mit diesem blöden Stein machen?" Er drehte sich erst um, als der Boden leicht zu zittern begann. Er sah sie angsterfüllt an. "Beruhige dich! Es tut mir leid!" Tränen tropften auf den Waldboden und begossen das Moos. Sif's Wut verpuffte, als sie sah, wie der Alte leise zu schluchzen begann. "W-Was ist los?", fragte sie vorsichtig. Er sah sie nicht an, sondern würgte hervor: "Geh weg! Ich verdiene dein Mitleid nicht, ich bin ein mieser Verräter!" Langsam entfernte sich Sif. Sie hatte den Alten immer beherrscht und fröhlich erlebt, doch nun wusste sie, dass er im Innersten verzweifelt und alleine war. Fühlte er sich als Verräter, weil er ihr half? Hatte er damit seinen König verraten?

Als der Alte mit einem Stapel Holz ins Lager zurückkam, versuchte sie sich nichts anmerken zu lassen. Er war wieder vollkommen beherrscht, aber auch gefühlslos. Er vermied es ebenfalls, sie anzusehen und entzündete schweigend das Feuer. Zorun kam auf sie zu und rief: "Fang, es ist Zeit wieder zu trainieren!" Er war auch nicht bei der Sache, denn sonst hätte er ihr niemals aus mehreren Metern Entfernung eine sehr spitze und scharfe Waffe zugeworfen. Mit großen Augen sah sie die Klauen auf sich zufliegen und schaffte es sogar sie irgendwie aufzufangen. Dabei schlitzte sie sich die halbe Handfläche auf. Sif schrie auf, ihr wurde schwindlig und sie musste sich an einen Baum lehnen. Zorun kam mit erschrockenem Gesicht auf sie zugerannt und drückte sie auf den Boden. Man sah ihm an wie wütend er auf sich selbst war. "Es tut mir wahnsinnig leid! Es war unüberlegt von mir, dir die Klauen einfach so zuzuwerfen!" Sif nickte und versuchte die Blutung mit ihrem Ärmel zu stoppen. "Lass nur, ich mach das schon!", murmelte Zorun, noch immer erschüttert von dem Unfall. Zitternd verband er mit Stoffstreifen ihre Hand. Nach einer halben Stunde hatten sich alle vom Schock erholt und ihnen wurde klar, dass die Verletzung nicht schlimm war. Zorun weigerte sich jedoch trotzdem den Kampfunterricht fortzusetzen, selbst als ihn Sif dazu drängte. Sie setzten ihre Reise fort und allmählich fühlte sich Sif wieder besser. Am Abend herrschte gedrückte Stimmung. Keiner wollte eine Unterhaltung beginnen, darum begann Sif mit einem Messer zu schnitzen. Sie hatte das Schnitzen von ihrem Vater gelernt und war immer schon sehr gut darin gewesen. Sie hatte nichts Bestimmtes im Kopf gehabt und plötzlich hielt sie ein Miniaturtier in der Hand, welches sie noch nie gesehen hatte. Sie betrachtete die Schnitzerei kurz und wollte sie ins Feuer werfen, doch Zorun hielt ihre Hand fest. "Darf ich?" Er zeigte auf die Figur. Sif zuckte mit den Schultern und legte es in seine Hand. "Wahnsinn!", hauchte er, "wie hast du es geschafft diese winzigen Details heraus zu schnitzen?" Sif zuckte uninteressiert mit den Schultern und schaute nur ins Feuer. Sie gähnte. Zorun war wie verzaubert von ihrer Schnitzerei. "Hat mir mein Vater beigebracht", sagte sie gelangweilt. "Ich leg mich hin, bis Morgen!", gähnte sie noch. Zorun sah nicht auf, er murmelte bloß:"Fantastisch!". Sif verdrehte die Augen. Wütend dachte sie, sie habe ihnen die Chance gegeben mit der Wahrheit herauszurücken. Sie tat so als würde sie schon schlafen und um sicher zu gehen, schloss sie sogar die Augen. Einige Zeit später hörte sie wie ihr Zelt leise geöffnet wurde. Vermutlich der Alte. Das Zelt schloss sich wieder. Sif atmete gleichmäßig und die Gestalt entfernte sich wieder. Blinzelnd öffnete sie die Augen. Es war Zeit!Kapitel 5:

Arum gurtete sich sein Schwert um und rannte in geduckter Haltung über die Ebene zum Fort. Er war entschlossen Sif und die anderen Bewohner zu befreien, koste es was es wolle. Mit grimmiger Miene suchte er die Mauern nach Wachposten ab. Niemand war zu sehen. "Umso besser!", dachte sich Arum. Er hatte alles gut vorbereitet. Es hatte ihn sehr viel Kraft gekostet, doch es war sehr gut gelungen. Mithilfe seiner Hitzekraft hatte er mehrere Metallstangen zu einem Haken gebogen und sie aneinander geschmolzen. Ein kräftiger Wurf genügte. Erfreut zog Arum am Seil, das er am Haken befestigt hatte. Mit beiden Händen packte er nun das Seil und stemmte die Beine gegen die Pfähle. Seine Erfindung hielt. Schnell kletterte er die Wand hinauf und schaute vorsichtig ins Lager. Der Vorhof und die Käfige an der gegenüberliegenden Seite waren leer. Arum schwang sich gekonnt über das Holz und landete sanft auf den Holzplanken, auf denen Wachen stehen sollten. Wachsam sah sich Arum um. Niemand war zu sehen. Erfreut sah er, dass man von den Wachposten aus den Innenhof erreichen konnte. Schnell schlich er an der Wand entlang durch eine kleine Tür und hatte nun freien Blick in den Hof. Niemand. "Verdammt! Wo sind alle", fluchte Arum leise und stolperte beinahe eine Treppe hinunter als ihn jemand am Arm packte und zurückzog. "Pass auf, du brichst dir noch was!", keuchte eine weibliche Stimme, dann fragte sie etwas strenger: "Was machst du hier oben? Wer bist du überhaupt?" Stotternd versuchte Arum eine mehr oder weniger gute Lüge zusammenzureimen. Mit einer raschen Handbewegung unterbrach sie sein Gestammel und meinte: "Auch egal! Komm, gehen wir zu den Anderen." Arum sah ihr verwirrt nach, als sie die Treppe hinunterging. "Was ist? Kommst du oder nicht?", rief sie etwas genervt. Offenbar hielt sie ihn für einen Schwachkopf. Arum gab sich einen Ruck und folgte ihr. Erstaunt sah er die Menschen an, die sich im Hof die Beine vertraten. Es waren auch welche aus seinem Dorf darunter. Alle sahen sehr mitgenommen aus. Alle waren etwa zwischen fünfzehn und zwanzig. Viele waren verletzt und machten den Eindruck als wären sie gefoltert worden. "Komm, hilf mir mit den Verletzten!", rief ihm die fremde Frau zu. Er half einem Mann mit übel zugerichteten Beinen auf und brachte ihn zu einem Strohballen. "Was ist hier los?", fragte er dann die Frau. Sie sah ihn erstaunt an. "Hast du dir den Kopf angeschlagen oder bist du einfach nur blöd?", sagte sie und verdrehte die Augen. Wütend entgegnete er: "Weder noch! Ich bin erst seit wenigen Minuten innerhalb dieses Lagers! Also antworte mir gefälligst!" Den letzten Satz schrie er beinahe und sie sah erschrocken aus. "Tut mir leid, das wusste ich nicht. Ich bin Thalia und wie ist dein Name?", fragte sie. Arums Augen wurden groß: "Doch nicht Thalia, die Tochter ... von Glaeril dem König der Shagranen?“ - „ Ja, die bin ich!", bekam er zur Antwort. Sie verdrehte die Augen und wandte sich ab, um die anderen Verletzten zu versorgen. "Warum bist du hier?", fragte sie noch ohne sich umzudrehen. "Ich suche meine entführte Freundin. Wenn möglich auch die anderen Entführten aus meinem Dorf!", sagte Arum während er Thalia halt einigen Verwundeten zu versorgen. Dann verschwand sie in einer Gruppe von Mädchen. Arum seufzte und folgte Thalia. Plötzlich stand sie wieder vor ihm. "Thalia, wollen wir nicht raus aus dem Fort?", fragte er. Die Frau lächelte. "Ich bin nicht Thalia", meinte sie. Verwirrt starrte er sie an. "He du, wie heißt du eigentlich?", rief eine Stimme hinter ihm. Schnell drehte er sich um. Thalia. Schmunzelnd sah sie über seine Schultern. "Ich sehe, du hast meine Zwillingsschwester Zira bereits kennengelernt!" Arum verstand. "Ich bin Arum! Schön dich kennen zu lernen", erwiderte er. Sie nickte und wand sich an ihre Schwester. "Ich denke, wir sollten nun raus aus dem Fort, doch wohin sollen wir gehen?", fragte Zira. Ratlos schauten sie sich an. Arum antwortete an ihrer Stelle: "Wir sollten am Waldrand in Lager für die Verletzten aufbauen, zwei oder drei müssen Hilfe holen! Die Grenze ist drei Tagesritte entfernt, mit meinem Drachen sind wir aber viel schneller. Allerdings ist er ein Jungdrache, deshalb trägt er nur zwei Personen!" Thalia nickte. "Ich und Zira werden Hilfe holen und unseren Vater verständigen, du bleibst hier und zeigt den Anderen wie sie sich Unterkünfte bauen können!", befahl Thalia. Arum, der es hasste, wenn man ihn herumkommandierte, schluckte seinen Stolz hinunter. "Na gut, aber wie kommen wir hier raus? Ich kam über die Mauer. Die Meisten sind dafür noch zu schwach!", bemerkte er. Zira kicherte: "Überlass das nur uns!" Die Zwillinge traten an das massive Eisentor und konzentrierten sich. Sie richteten ihren Blick auf die Scharniere und schmolzen diese in Sekundenschnelle. Thalia trat gegen das Tor und mit einem lauten Krachen schlug es auf dem Boden auf. Arum war beeindruckt. Er ging durch den nun leeren Torbogen und die Beiden taten das Selbe mit dem zweiten Tor. Die Jugendlichen im inneren Hof halfen sich gegenseitig aufzustehen. Alle schritten aus dem Fort in die Freiheit.
Am Waldrand band Arum seinen Drachen los und Thalia und Zira stiegen auf. "Beeilt euch!", rief er. Bald sah man von ihnen nur noch einen schwarzen Punkt am Horizont.

Müde ließ sich Arum auf einem Stein nieder. Er hatte beim Bau der notdürftigen Hütten aus Ästen und kleinen Bäumen geholfen. Er hatte erfahren, dass die Lanuren am Vortag plötzlich verschwanden und alle Männer und Frauen über zwanzig Jahren mitgenommen hatten. Die Kinder hatte man freigelassen. Als Arum einen Jungen fragte, wo die kleineren Kinder waren, hatte dieser nur ratlos mit den Schultern gezuckt. Er hatte nichts über Sif erfahren. Anscheinend war sie doch nicht hier gewesen. Er fragte sich wo sie sein konnte. "Hallo, ich bin Chantia, wer bist du?" Ein blondes Mädchen setzte sich neben ihn. "Arum", murmelte er nur. "Was bedrückt dich?", fragte sie besorgt. Arum seufzte, sagte aber nichts. "Komm schon, raus damit!", ermutigte sie ihn. Arum gab nach: "Ich suche meine Freundin. Sie hätte eigentlich bei euch sein sollen, man hat sie auch entführt!"
Chantia meinte: "Wie sieht sie aus? Vieleicht habe ich sie ja gesehen." „Naja, sie ist sehr auffällig", begann er. "Sie ist sehr schön und kleiner als ich und hat rabenschwarzes Haar mit hellblauem Haaransatz. Auch ihre Augen sind hellblau." Chantia sah nachdenklich aus. "Sie heißt Sifira, falls das hilft", sagte er noch mutlos. Chantia erstarrte. Arum sah sie erschrocken an. "Was ist?" "Sifira…, ja, ich hab sie kurz gesehen, sogar mit ihr gesprochen! Sie sah sehr traurig aus.“ "Was ist passiert? Sag schon, wo ist sie, geht es ihr gut?", fragte Arum drauflos. Chantia sah ihn mitleidig an. "Sie… sie ist vermutlich tot!"

Kapitel 6:
"Es tut mir leid!", sagte Chantia mitfühlend. Sie stand auf und ging. Arum's Blick war tränenverschleiert. Er sagte nichts.
Stunden später hatte er sich noch keinen Fingerbreit bewegt. Seine Welt war in tausend Scherben zerbrochen. Ohne Sif kam ihm sein Leben plötzlich sinnlos vor. Ohne sie wollte er nicht leben. Entschlossenheit brachte Licht in seine Augen zurück. Er stand auf. "Arum?", hörte er Chantia rufen als er das Lager verließ und rannte. Er wollte nur noch rennen, nur noch Sif's Mörder finden. Der Ausdruck der Entschlossenheit wich der Wut und der Suche nach Rache. Er wollte diejenigen suchen, die seine Welt hatten einstürzen lassen.

Währenddessen im Palast des Shagranenkönigs…

Der König brüllte und tobte: "Nein, das kann nicht sein! Ich hab sie doch umbringen lassen! Wie ist das möglich!?"
Der Bote zitterte am ganzen Leib und wurde unter dem furchterregenden Blick immer kleiner. "Wann war das? Ist der Späher zuverlässig?", schrie der König. "Was schreist du denn so herum? Beruhig dich erst mal, der arme Bote stirbt doch vor Angst!", sagte die Königin amüsiert. "Was? Hast du gehö...", stammelte er. Mit einer Handbewegung schnitt sie ihm das Wort ab. "Das ist nicht möglich, ich sah mit eigenen Augen wie sie starben, also beruhige dich endlich!", meinte sie ungeduldig. Dann funkelte sie den Boten an: "Und was dich an geht, sag deinem Auftraggeber: Wenn er noch einmal solche zweifelhaften Vermutungen äußert, werde ich ihm eine Lektion erteilen. Und sag ihm, das wird sicher keine Lektion im Teekochen! Geh!" Eilig verschwand der Bote aus dem Saal und suchte den Stall auf. Er schwang sich auf sein Pferd und galoppierte so schnell wie es der steile Hang zuließ dem Hafen entgegen. Er wollte nur noch weg von diesem verfluchten Ort.

Arum musterte die Karte. Sie schien in Ordnung zu sein. "Wie viel soll sie kosten?", fragte er den Jungen. Dieser winkte mit freundlicher Miene ab und drückte sie ihm in die Hand. "Du hast mir geholfen diese Hütte zu bauen und uns vor dem riesigen Feuerlemuren gerettet, diese Karte schenke ich dir deshalb mit Freuden." Arum zuckte mit den Schultern und bedankte sich. Er trat ins Freie und blickte nach Norden. Morgen würde er aufbrechen.

Kapitel 7:

Die aufgehende Sonne schmolz finstere Formen aus der tiefen Dunkelheit der Nacht. Reif überzog das Land, Vogelgezwitscher und fröhliches Zirpen verlieh ihm einen trügerischen Schleier. Der Duft der Blumen, den der Wind herangetragen hatte, verdeckte für einen Augenblick den Gestank. Den Gestank von tausenden Leichen.

Sif's Füße brannten und ihr Rücken schmerzte vom vielen Laufen, sie war müde. Die Albträume raubten ihr jede Kraft und sie war morgens noch müder als am Abend. Sie schlief kaum noch, sie hatte Angst. Angst vor dem Traum, dem einen Traum der immer wiederkam.
Der Kopf des Vogels zuckte unruhig. Er hatte etwas gehört. Wachsam beobachtete er von seinem Nest aus den Waldboden. Das Geräusch verstummte. Der kleine Vogel legte seinen Kopf beruhigt unter seinen Flügel. Stille. Windstille. Man hätte eine Nadel fallen hören können. Der Wald war wie ausgestorben. Er hatte gelernt des Nachts kein Geräusch zu machen. "Jeder der sich nachts in diesen Wald wagte, war verrückt oder hat sich bereits mit dem Tod abgefunden."
>>Keuchend stürmte Sif durch den Wald der Stille. Sie war überstürzt aufgebrochen und bereute dies bereits. Sie wusste nicht wohin, noch wo sie war. Ihre Beine waren zerkratzt und ihre verwundete Hand schmerzte. Außerdem hatte sie Hunger. Sie verfluchte ihre Dummheit, sie hatte weder Essen noch Wasser mitgenommen. Den grünen Stein und ihre Waffe hatte sie sich geschnappt und war weggelaufen. Schon seit mehreren Stunden rannte sie durch die Dunkelheit, hoffend dass der Wald irgendwann aufhören würde. Schreiend stolperte sie über eine hervorstehende Wurzel und schrammte sich die Ellbogen auf. Mit dem Gesicht im Schlamm lag sie am Waldboden. Fluchend rappelte sie sich auf und wischte sich mit dem Ärmel das Gesicht ab. "Wohin des Weges?" Sif erstarrte. Diese Stimme kannte sie. Sie wirbelte herum. "Arum?"<<

Sif schreckte auf und versuchte die Bilder zu vergessen doch sie kamen immer wieder. Heftig atmend hielt sie an und lehnte sich an einen Baum. Die Hitze war mittlerweile unerträglich geworden und selbst im Schatten der Bäume war es so heiß, dass sich die Tiere des Waldes tief in die Erde gruben, wo angenehme Kühle herrschte. Ganz in der Nähe hörte Sif einen Bach plätschern. Erfreut folgte sie dem Geräusch. Fast stolperte sie in den kleinen Fluss, doch eine Hand hielt ihren Oberarm fest. "Vorsicht!", sagte eine Frauenstimme freundlich. Sif dankte ihr murmelnd und kniete sich am Bach nieder. Als sie ihren Durst gestillt hatte, sah sie verwundert, dass die rothaarige Frau auf sie wartete. Sif richtete sich auf und fragte sie: "Ist etwas?" Die Gefragte zuckte mit den Schultern. "Ich bin neugierig wer du bist und was dich hierher verschleppt hat. Es kommen hier nur sehr selten Leute vorbei, da man eine Erlaubnis der Regierung braucht um die Grenze überqueren zu dürfen", meinte sie. Sif sah sie genervt an und knurrte:"Hör zu, ich bin in Eile und habe keine Zeit Klatsch und Tratsch auszutauschen, noch dir von mir zu erzählen! Ich gehe jetzt." Die Frau sah sie etwas enttäuscht an, nickte aber. "Wo willst du hin, vielleicht kann ich helfen!", rief sie Sif hinterher. Sif sagte:"Weg von diesem verdammten Land!" Dann drehte sie sich um und sah nicht mehr zurück.
Stundenlang lief sie nach Südwesten, dem Flüsschen folgend, das mittlerweile ein richtiger Fluss geworden war. Den Namen des Flusses wusste Sif nicht, nur dass er durch Mandor, der Hauptstadt des Manduritenreiches, floss. Mandor, die Stadt des blauen Lichtes, die Zitadelle des Lichtes, wo junge, begabte Magier aller Völker ausgebildet werden, war das Wahrzeichen der Stadt. Dort wollte Sif hin, sie wollte ihre Fähigkeiten trainieren. Sowohl im Kampf als auch in der Magie wurde man dort unterrichtet.
Ein Zweig knackte. Sif wirbelte herum und sah einen roten Haarschopf hinter einen Baum verschwinden. "Warum folgst du mir? Wie heißt du überhaupt?", rief Sif wütend. Verlegen trat die Frau hinter dem Baum hervor und stammelte mit gesenktem Kopf: "Ich... Ich will nach Mandor, z... zur Akademie." Sif verdrehte die Augen und fragte höhnisch: "Findest du ohne mich nicht nach Mandor oder bist du zu feige alleine zu reisen?" Die Frau wollte etwas erwidern doch plötzlich brach Sif lautlos zusammen.

Schmerzen. Schmerzen war das erste was Sif wahrnahm. Schmerzen und Übelkeit. Es waren keine gewöhnlichen Schmerzen, kein Brennen, kein Ziehen, kein Pochen, nur Leere. Das dumpfe Gefühl der Leere schmerzte mehr als alles was Sif je gespürt hatte. Sie spürte, dass sie sich veränderte. Langsam wich das Gefühl der Leere und Stück für Stück gewann Sif die Kontrolle über ihren Körper zurück. Ihre Muskeln zogen sich zusammen und kurz bekam sie keine Luft mehr. Sif schrie auf als sie sich wieder entspannte und ihr Körper sich anfühlte, als wäre er mit tausend Schwertern durchbohrt worden. Zuckend öffneten sich Sif 's Augenlider und der Schmerz ebbte nach und nach ab. Hustend stützte sie sich am Waldboden auf und kam auf die Knie. Ihr Blick fiel auf ihre linke Hand und verwundert hielt sie inne. Ihre Hand hatte sich verändert. Sie war zierlicher, doch auch kräftiger geworden, und ein verschnörkeltes Zeichen schlang sich geschmeidig von der Spitze ausgehend um ihren kleinen Finger, über den Handrücken und verschwand im Ärmel ihrer Lederbluse. Staunend bewunderte sie das filigrane Tatoo und merkte nicht wie die Frau sich neben Sif auf den Boden geworfen hatte. Sie stand auf und sah sich nach der Frau um, wobei sie fast über sie gestolpert wäre. "Was machst du denn auf dem Boden?", fragte Sif erschrocken. "I.I...Ich verneige mich vor ihnen, M.. My Lady", flüsterte die Frau untergeben. Sif verdrehte die Augen und sagte: "Na, du bist anscheinend auch noch nicht ganz bei Sinnen, ich gehe dann mal weiter, übrigens ist eher mein Haar aus Eis, als dass ich eine Prinzessin wäre!" Sif schnaubte und beobachtete amüsiert den verwirrten Gesichtsausdruck der Frau und drehte sich um. Sif rannte weiter Richtung Mandor, sie wollte so schnell wie möglich die Stadt erreichen. "Ich denke du verwechselst mich mit jemanden!", sagte sie noch schmunzelnd. "Prinzessin Galcialis, geht es Ihnen gut?", fragte die Frau besorgt. Sif erstarrte. Dann begann sie lauthals zu lachen. "Sehe ich aus wie Galcialis?", fragte Sif amüsiert und grinste, "bist du sicher dass es Dir gut geht?" "J...Ja, Sie sehen exakt so aus wie Galcialis, und ich muss es wissen!" Sif verdrehte die Augen und meinte: "Na gut, ich schau mal nach ob du Recht hast, wenn du dir so sicher bist!" Sif kicherte, denn sie hielt die Behauptung der Frau für lächerlich. Sie holte den Spiegel aus ihrem Rucksack. Sie sah sich an. Der Spiegel fiel. Tausend Scherben. Stille. Schwer atmend musste sich Sif hinsetzen und ignorierte die Glassplitter, die sich in ihre Hand bohrten. Ihre einst grünen Augen waren nun eisblau und schwarz marmoriert, passend zu ihren schneeweißen Haaren, die mit ebenfalls eisblauen Strähnen durchzogen waren. "Wer bin ich?", schrie Sif laut in den Wald hinein. Sie schlug die Hande vor ihr Gesicht und begann hemmungslos zu weinen. Die Frau setzte sich neben sie und nahm sie tröstend in die Arme. Obwohl die Frau für Sif eine völlig Fremde war, gab sie ihr Sicherheit und Geborgenheit. Minutenlang heulte Sif ihren Kummer heraus. All ihre Sorgen um Arum, ihren Vater und die anderen Dorfbewohner, ihre Entführung und ihre Flucht waren zu viel für sie gewesen. "Wir sollten langsam weiter, hier ist es nicht sicher", sagte die Frau vorsichtig, als Sif sich wieder etwas beruhigt hatte. Diese nickte. Die Frau sagte freundlich: "Ich heiße Kleyira und ich glaube zu wissen wer du bist, auch wenn es nur eine vage Vermutung ist." Sif sah sie hoffnungsvoll an und fragte: "Wie heiße ich?"

Kapitel 8:

Galcialis schnaubte ärgerlich. "Ein aufwändigeres Gewand hast du wohl nicht gefunden, oder? Und mit diesen Schuhen zu gehen ist reiner Selbstmord!", sagte sie bissig zu ihrem Vater. Er sah sie wütend an und knurrte: "Stell dich nicht so an, reiß dich zusammen!" Sie schnaubte genervt. "Ich habe eine Bedingung! Ich werde mich gut benehmen und dir keine Schande machen, dafür darf ich auf die Akademie!", sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Der König sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an. Nach kurzem Überlegen willigte er ein: "In Ordnung, und du wirst ohne großes Theater Hawil heiraten, wage es nicht mich zu hintergehen, du weißt welche Strafe dich dann erwartet!" Galcialis zuckte zusammen und nickte artig.
Als sie wieder alleine war atmete sie erleichtert auf und lächelte. So würde sie der Hochzeit noch einige Jahre entkommen.

"Sie ist schlau, viel zu schlau!", murmelte die Gestalt. Der König nickte. "Aber gegen diesen Bann kann ihr selbst ihre Klugheit nicht helfen!", sagte er grimmig. "War es klug ihrer Bedingung zuzustimmen?", fragte die Gestalt beunruhigt. "Ja, ich denke schon", antworte Dimanteron, "sie nutzt uns unausgebildet viel weniger." Die Gestalt verneigte sich. "Ich werde sie im Auge behalten!", meinte sie noch, bevor sie verschwand.

Arum untersuchte nachdenklich die Fußspuren. Die Arme war nach Osten gezogen, drei Echsenspuren zeigten jedoch weiter nach Norden. "Ist das eine Falle um eventuelle Verfolger abzuschütteln?", fragte er sich. Hatte man Sif nach Norden geschleppt? Seltsam, denn im Norden war keine wichtige Stadt des Reiches, im Osten hingegen lag Darun Gard, die schwarze Feste, wo man Schwerverbrecher und Kriegsgefangene gefangen hielt. Dann tat Arun etwas, was er noch nie getan hatte. Er ließ den Zufall entscheiden, aus seiner Tasche holte er eine Münze hervor und warf sie in die Luft. "Kopf nach Osten, Zahl nach Norden", dachte er.


"Ich schlage vor, ich erzähle die ganze Geschichte, und du stellst nachher Fragen", sagte Kleyira, räusperte sich und fuhr ohne Umschweife fort. "Alles begann vor etwa sechzehn Jahren, dem Todestag der Königin Rubima. Das Königreich der Shagranen war reich und die Bevölkerung war friedlich und glücklich. Bevor ihre Königin starb war alles gut, der König war gütig und fröhlich und versuchte die Probleme jener zu lösen, die mit einer Bitte zu ihm kamen. Ein großes Fest wurde gefeiert, als bekannt wurde, dass die Königin ein Kind erwartete. Einen ganzen Tag lang feierte man im Palast und die Nachricht verbreitete sich im ganzen Land. Doch dann wurde die Königin krank, keiner wusste woran sie erkrankt war, man konnte ihr nicht helfen. Später erfuhren einige meiner vertraulichen Freunde, dass sie vergiftet wurde. Um das Kind zu retten, schnitt ihr Leibarzt das Mädchen aus dem Mutterleib und sah, dass sich die winzige Hand fest an eine andere klammerte. Es waren Zwillinge!"
Sif sah sie erstaunt an. "Ich habe einen Bruder?", fragte sie. Kleyira schüttelte lächelnd den Kopf. "Nein, du hast eine Zwillingsschwester. Nun, ihr wurdet geboren, doch eure Mutter starb!" Traurig starrte sie zu Boden und Sif sah eine Träne zu Boden fallen. "Man hat mir ein Elixier verabreicht, damit ich alles vergesse, was in jener Nacht geschehen war, und bis heute hielt die Wirkung an. Als ich dich sah, fiel mir plötzlich alles wieder ein." Die ganze Geschichte hatte Kleyira sichtlich mitgenommen, und so viele Informationen musste Sif erst einmal verdauen, deshalb saßen sie einfach still am Boden. Stumm verstrichen einige Minuten. Vorsichtig fragte Kleyira: "Soll ich dir nun sagen wie du heißt und wer deine Schwester ist?" Sif schluckte schwer und nickte. Kleyira räusperte sich: "Nun", sie sah Sif nachdenklich an, "du heißt …

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 07.08.2011

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch allen meinen Lesern und bedanke mich für die Unterstützung meiner Freunde.

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