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Kapitel A

„Wie hätte ich den ahnen können, dass ich mein Lebenswerk nun doch noch vollenden würde!?“ Einige Werkzeuge werden beiseite geräumt. Beim Herumlaufen gibt sein schwerer weißer Kittel bemerkenswert laute Flattergeräusche von sich.

„...könnte uns die kommenden Tage mit Regen heimsuchen...“, klirrte es aus dem einen, noch funktionierenden Lautsprecher des alten Fernsehers, den er eigentlich nur aus dem Grund laufen ließ, damit das alte Haus nicht ganz zu still und leblos war.

„Jetzt bist du beinahe vollkommen!“, ruft er hinter sich, unterdessen in einer Kiste wühlend. Dabei huscht ein Lächeln über sein Gesicht und bringt den dichten Schnauzbart, der das Antlitz des Bernd Schleicher ziert, zum Zucken.

„Eine klitzekleine Sache allerdings gibt es da noch zu tun.“, sagt er, indes mit seinen trüben, hinter dicken Brillengläsern lauernden Augen, die er wieder höchst konzentriert auf seine Arbeitet gerichtet hat. Mit großer Geste greift er in seine Tasche und hält dann ein kompaktes rotes Etwas in seiner linken Hand – zu noch keinem Zweck ersichtlich. Mehrmals dreht und wendet er es in seinen zerarbeiteten Fingern, bloß, um es kurz darauf wieder in seine Tasche zurück zu friemeln.

„So einfach soll's wohl doch nicht sein...“, nuschelt Bernd S. Beim Verlassen des Dachbodens und vergräbt sich im Wohnzimmer hinter einem kiloschweren Buch.

Süßer Tee dampft bereits neben ihm.

Kapitel B

Die Augen aufschlagen...

Tragischer hätte ihr Tag unmöglich beginnen können. Und weil sich zum Ärger meist noch Pech gesellt, regnet es heute natürlich, als hätte sich jemand eine Sintflut gewünscht und wäre dabei halbwegs erfolgreich gewesen. Sie seufzt einmal, dass man es nur allzu gut nachvollziehen kann und schaltet das Radio ein.

„...haben wir es acht Uhr fünfundzwanzig und trotz des schlechten Wetters an diesem Dienstag Morgen hoffen wir...“, alles weitere wurde bereits gesagt und damit lässt sie das Radio wieder verstummen.

„Ihr mich auch!“, pöbelt sie, meint damit alles und jeden und schlüpft durch den Türspalt in ihr vorgeheiztes Badezimmer. Einmal das Standartwaschprogramm durchziehen. Zu heiß duschen, schminken, Haare zurechtbiegen und einigermaßen zueinander passende Klamotten überstreifen.

Auch heute zündet sie die „eine“ morgendliche Zigarette am Tag an, bevor sie auf dem Weg zur Arbeit ein weiteres Mal von einem koffeinbeschwingten Moderator hören darf, wie stark es gerade wo regnet. Denn zu ihrem Verdruss ist ihr CD-Spieler kaputt. CD klemmt.

Kapitel C

 Rosti erhebt sich und stakst etwas unbeholfen, aber zielsicher der Tür entgegen. Sie steht offen. Als er schließlich irgendwann den Ausgang aus diesem brüchigen Haus gefunden hat, schreitet er, schon wesentlich stabiler im Gang, ohne Zögern direkt durch das harte Eichenholz und verschwindet in der Nacht.

Kapitel A1

Bernd S. Wird von einem plötzlichen Krachen unsanft aus seinem traumlosen Schlaf geweckt und verschüttet dabei den Rest des Tees über dem Tisch und seinen Unterlagen. Seine nächtlichen Aufzeichnungen sind völlig zerstört. Alles für nichts und wieder nichts. Aber jetzt muss er sich erst einmal um diesen ominösen Lärm kümmern. Es klang, als käme er von der Straße und zugleich aus seinem Haus.

„Vielleicht“, murmelt er „kam es von oben...“, weil es etwas umgekippt ist oder dergleichen. Also steigt er seinem hohen Alter entsprechend langsam die zwölf hölzernen Stufen zu seiner Dachkammer hinauf. Die Türe steht offen.

Bernd sieht sich in dem halbdunklen Raum um und bemerkt im ersten Moment nichts ungewöhnliches. Obwohl das Fehlen von Rosti durchaus offensichtlich ist.

„Donnerwetter!!!“, entfährt es ihm, als er die praktisch unmögliche Flucht des Roboters registriert.

Kapitel B1

 „Schönen guten Morgen Frau Schneider. Mein Name ist Schirmann von der Firma Datex. Wir führen eine allgemeine Umfrage...“, Anna unterbindet jedwedes weitere Gerede, indem sie postum auflegt.

„Nervt mich nicht!“, schnauzt sie. „Kann man denn nicht mal in Ruhe seine Mittagspause genießen!? ...wenigstens scheint die Sonne wieder.“, versucht sie sich selbst zu beruhigen. Just in diesem Moment sieht Anna jedoch, wie sich eine riesige graublaue Wolke vor den lebensspendenden Feuerball drängt.

„Verdammt!“, muss sie leise fluchen und verlässt mit ihrer nun bereits vierten Zigarette an diesem Tag ihren angestammten Rastplatz.

Kapitel C1

Unterwegs entdeckt Rosti viele Dinge, die er noch nie zuvor in seinem kurzen Leben gesehen hat, aber trotzdem zu kennen scheint. Wenige Lichter. Viel Bewegung.

„Schön.“, summt er leise, als er für einen Moment stehen bleibt und durch eine breite Lücke zwischen den gewaltigen Baumkronen die winzigen funkelnden Sterne am Himmel wahrnimmt. Je länger er dieses Bild betrachtet, umso mehr Lichtpunkte kann er erkennen.

„Wunderschön.“, flüstert er noch einmal und setzt seinen Weg fort. Schließlich gibt es noch weitaus mehr da draußen, was es zu erkunden gilt und Rosti muss seine Neugier einfach befriedigen.

Sein Gang ist mechanisch. Geradeaus laufen kann er nun ohne weiteres. Ziemlich zügig obendrein. Im Nu lässt er die Lichtung hinter sich und steuert mit stoischem Blick weiter in die schier unendliche Wildnis hinaus.

Kapitel A2

 Wie vom Schlag getroffen stürmt Bernd aus seiner einstmals soliden Haustür auf die nächtliche Straße hinaus. Seine hektischen Schritte hallen klatschend über den nasskalten Asphalt des einzigen befestigten Weges weit und breit in die Stille des schwarzen Himmels. Er wendet seinen Blick hastig hin und her, wobei Herrn Schleichers schütteres Haar im fahlen Licht der Laternen wellenartige Wogen schlägt. Nichts als kühler Wind und das Schattenspiel der Nacht.

„Ich hätte dir ganz einfach einen Sender einbauen können...“, verflucht er sich selbst. „Keine zwei Minuten hätte das gedauert.“

Ohne sonderlich große Hoffnung Rosti zu finden, verhallen noch für eine gewisse Zeit die verzweifelten und sorgenschweren Rufe des Bernd Schleicher in den dicht beieinanderstehenden Nadelbäumen.

„Eine Maschine ohne Antrieb!“, hörte man ihn letztlich noch rufen, befände man sich in seiner Nähe.

Kapitel B2

Jetzt hat sie die Faxen aber ein für alle Mal dicke. Erst vor wenigen Minuten wurde sie mit Tempo einhundert in einer fünfziger Zone von zwei bläulichen Ordnungswichteln angehalten und auch entsprechend sanktioniert. Annas heißgeliebter Führerschein befindet sich jedenfalls demnächst in Obhut unserer Exekutive.

Wäre der Verlust ihrer mobilen Agilität Annas einziges Problem, dann wäre sie vorhin wahrscheinlich nicht derart entgleist, als sie mit ihren eigenen Fehlern konfrontiert wurde – vielleicht aber doch. Jedenfalls hatte sie ein paar Tage zuvor am späten Nachmittag erfahren, dass ihr bescheidener Kredit ohne großes Federlesen abgelehnt wurde. Aus der Traum von einer ausgedehnten Shopping-Tour mit brandneuem Handy und frisch manikürten Nägeln. Auch den Strandurlaub kann sich sich erst einmal aus dem Kopf schlagen. Keine Ferienhotelromanze.

„Dann leckt mich doch!“

Im selben Atemzug hat Anna einen tiefgreifenden Entschluss für sich und ihr Leben gefasst.

„Keinen Bock mehr auf diese ganze deprimierende Scheiße! Ciao!“, damit schnappt sie sich ihre wichtigsten Sachen und steigt in den kleinen roten Corsa, der schon des Längeren keine Waschstraße mehr von innen sehen durfte.

Kapitel C2

 Er schreitet also weiter ohne Unterlass durch die tannenfrische Waldluft und nimmt alle Eindrücke ganz genau in sich auf. Und silbern glänzt Rostis stählerner Körper dabei im weißen Licht des Mondes.

Ein unabhängiger Beobachter könnte meinen, das dieser gut gebaute Roboter nichts, aber auch wirklich nichts anderes als sein Ziel im Auge hat. Im Grunde genommen hätte er durchaus recht damit, denn Rostis großes Ziel ist es, die gesamte Welt zu sehen. Vielleicht auch etwas mehr.

Kapitel D

„Was zum...?“, schreit der geschockte Fahranfänger bei seiner ersten Solo-Tour zu seiner Freundin und steigt mit panischer Kraft in die Eisen, um diesem Ding, das mitten auf der Fahrbahn steht, auszuweichen. Er reißt das Lenkrad nach links, schleudert mit den Hinterrädern um ein Haar gegen die Leitplanke und kann seinen nagelneuen Wagen mit Mühe und Not wieder unter Kontrolle bringen. Schweißgebadet und hektisch atmend sucht er mit weit aufgerissenen Augen im Rückspiegel nach diesem Etwas. Doch auch als er sich umdreht, ist es nirgendwo mehr zu sehen.

Noch immer im Adrenalinrausch greift er nach seinem Handy und wählt, die Finger zitternd, die altbekannte Notrufnummer.

„Ja,“, keucht er in sein Telefon. „..ein metallisches Ding!“

Kapitel E

Am nächsten Morgen hört Bernd Schleicher, einer leisen Vorahnung folgend, den regionalen Polizeifunk mit. Kurze Zeit später wird er aufmerksam, als es heißt, dass ein unbekanntes Hindernis einige Kilometer von seinem Haus entfernt einen Beinahe-Unfall verursacht hätte.

„Rosti?“, fragt er sich. „Mit Sicherheit.“

Somit setzt er sich auf seinen verstaubten Motorroller und ist heilfroh, dass dieser auch gleich anspringt. Zumindest hat er jetzt eine heiße Spur.

Sein weißer Kittel, den er in aller Hektik vergessen hat auszuziehen, flattert wild im Fahrtwind um seine Hüften und sämtliche kleine Schräubchen, Federn und Muttern klappern in den weiten Taschen, dass meinen könnte, es sei eine moderne Art von Musik. Das seltsame rote Etwas befindet sich ebenfalls darin.

Nur zu gern würde Bernd das Tempo anziehen, doch mit dieser uralten Mühle, die nach Leibeskräften unter ihm vibriert, wäre dieser Versuch nichts weiter als vergebene Liebesmüh.

Kapitel F

Weit ist Anna nicht gekommen. Schon nach rund zwei Stunden Fahrzeit ist ihr Auto einfach ausgegangen und nun steht sie alleine und verlassen am Straßenrand, ohne dass die letzten zehn Minuten jemand vorbei gekommen wäre und ihr hätte helfen können. Einen Pannendienst kann sie sich nicht leisten und sie ist auch kein Mitglied beim ADAC. Sie hat zwar die Motorhaube geöffnet, doch zu mehr reicht ihr Fachwissen eben nicht. Als Kind hatte sie ihren Vater in solchen Fällen immer sagen hören: „Liegt bestimmt die Lichtmaschine.“ Aber wie diese aussieht oder ob ihr Wagen überhaupt so etwas besitzt, weiß sie beim besten Willen nicht.

„Scheiße!“, sagt sie in ihrer unverwechselbaren Art, als sie plötzlich Rascheln und Knacken aus dem Wald hört. Ein Wildschwein, denkt sie sofort und sucht Deckung hinter dem scheinbar winzigen Corsa.

Kapitel G

Das ist nun schon das zweite Auto, das Rosti zu Gesicht bekommt. Ein rotes dieses Mal. Aber es fährt nicht und niemand sitzt darin. Jemand hockt dahinter. Eine weibliche Person. Sein Emotions-Assistent zeigt an, dass auch dieser Mensch ängstlich ist, doch lange nicht so stark wie der, dem er letzte Nacht begegnet ist. Vielleicht, denkt sich Rosti, ist es an der Zeit, Kontakt aufzunehmen.

Kapitel E1

„Aller Wahrscheinlichkeit nach läuft er querfeldein.“, überlegt Bernd Schleicher laut. Er hat vermutlich die Bremsspuren des gestrigen Vorfalls entdeckt und steigt von seinem Roller, um sich in der Umgebung etwas genauer umzusehen. Der abgeriebene Gummi zeichnet eine klare Kurve, mit der der überraschte Fahrer seinem Roboter ausgewichen sein muss. An dieser Stelle betrachtet er sich genau den von der Straße durchschnittenen Wald. Fußspuren, abgebrochene Zweige und dergleichen. Und tatsächlich findet er reichlich von beidem. Die Anhaltspunkte führen aus östlicher Richtung, über die Straße und zurück zwischen die Bäume gen Westen.

„Rosti, Rosti, Rosti...wo willst du hin?“

Impressum

Texte: Kevin Hänle / OutlawMusika
Bildmaterialien: OutlawMusika
Tag der Veröffentlichung: 01.06.2015

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