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Prolog

 Bildfetzen gehen an meinem inneren Auge vorbei. In rasender Geschwindigkeit gehen sie vorüber. Mir ist übel und mir wird schwindlig. Was passiert mit mir? Langsam verschwinden die Bilder und eine Schwärze kriecht in mein Blickfeld. Ich habe Angst und will einfach nach etwas sicherem Greifen. Aber was ist hier schon sicher? Diese Welt ist so krank und die Leute um mich sind Verräter. Sogesehen möchte ich doch lieber nicht in dieser Welt sein. So lasse ich mich in das unbekannte Schwarze fallen und werde von Wärme umhüllt.

Kapitel 1

Umzingelt von so vielen Leuten lag ich da einfach auf dem Boden. Nur, ich hatte keine Ahnung, wer diese Leute waren, wo wir waren, was gerade geschehen war oder wer ich überhaupt war. Ich sah nur die Mienen der anderen. Viele hatten eine Maske in der Hand und waren sehr schön gekleidet: Die Mädchen in prächtigen Kleidern und die Knaben in eleganten Anzügen. Doch das was ich sofort erkannte, waren nicht die Kleider, die Haare oder die Dekos. Nein! Was mir sofort auffiel, waren ihre Gesichter und die Mienen, die ich schnell deuten konnte. Während in einigen Blicken reines Mitleid und Sorge herrschte, mischten sich in einigen anderen auch nervige und gelangweilte Blicke ein. Doch irgendwie schien es den anderen nicht aufzufallen. Doch was war denn mit mir los? Ich –

„Oh my gosh! Dir geht es gut! Hey! Sie ist in Ordnung! Oh gosh! Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht! Dir geht es doch gut oder?!“
Bevor ich meine Gedanken wieder gefasst hatte, umarmte mich dieses Mädchen schon. Sie war eines der Mädchen, die nur reine Sorge gezeigt hatten. Ich registrierte, dass wir uns in einem geschlossenen Raum befanden. Keine Lampen leuchteten, nur die Dekolichter schienen klar und bunt. Als sie mich endlich wieder losliess, half sie mir auf die Beine zu kommen. Erst jetzt spürte ich den feinen Stoff an meiner Haut und wie kühl es sich anfühlte. Ich trug ein blaues, schulterfreies Kleid: Oben hielt ein enger mit Pailletten besetzter, dunkelblauer Stoff das Kleid bis zur Taille fest. Um die Taille wurde es dann wieder loser und cyanblauer feiner Stoff ging mir bis etwa zu den Knien. Eigentlich war es ein sehr schönes Kleid. Doch ich hatte keine Maske in der Hand, wie alle anderen. Wo war meine Maske hin? Hatte ich überhaupt eins dabei? Und wieso um alles in der Welt trugen alle eine Maske? Waren wir etwa auf einem Maskenball? Das musste es wahrscheinlich sein. Denn eine andere Begründung gab es für mich einfach nicht. Nun stand ich also da, auf einem Maskenball ohne Maske, während die Leute mich umzingelt hatten. Na toll! Was war nur geschehen? Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich dem Mädchen immer noch nicht geantwortet habe.

„Ja, es geht schon, danke“, antwortete ich zögerlich. Meine Stimme klang etwas heiser und ich entschied mich dazu, dass ich etwas trinken sollte. Scheinbar hatte sich das Mädchen das Gleiche gedacht. Denn sie führte mich automatisch zu einer Bar. Langsam verschwanden die Leute und es begann wieder ein wenig lauter zu werden. Als die Musik wieder startete, setzten die Leute ihre Masken wieder auf, gingen auf die Tanzfläche und feierten los. Wir zwei setzten uns auf die hohen Barstühle und sie bestellte für uns:

„Hey Jan! Kannst du uns etwas zu trinken bringen, bitte?“

„Kommt sofort“, antwortete dieser Jan und ging uns etwas holen. Ich drehte mich wieder um und beobachtete die Leute auf der Tanzfläche. Vorne ganz am Rand tanzten ein Mädchen mit blonden Haaren und einem rosanen Kleid mit einem Jungen, der wahrscheinlich ihr Freund war. Sie sahen sehr glücklich aus. Das Mädchen schwenkte sich im Rhythmus der Musik und der Junge strich sich die dunkelblonden Haare aus der Stirn, die ihm ständig ins Gesicht fielen. Ein anderer Junge mit braunem Haar unterhielt sich mit einem Mädchen, dass ein olivgrünes, knielanges Kleid trug. Nach ihrer Körperhaltung und ihren Blicken her waren sie einfach nur gute Freunde. Ich drehte mich gerade wieder rechtzeitig um, bevor ich wieder Jan mit zwei Getränken in der Hand antraf.

„Hier zwei mal Cola für die Mädchen, bitteschön“, sagte er und schob zwei Gläser in unserer Richtung. Das Mädchen neben mir nippte daran, während ich es gierig hinunter schluckte.

„Wow, hast du aber einen Durst! Willst du noch ein Glas, Kate?“ Mit einem verwunderten, fragenden Blick schaute er mich an. Aber wichtiger war, ich hatte meinen Namen herausgefunden. Ich hiess Kate. Aber wahrscheinlich war es die Abkürzung von Katherine. Na schön. Ich hatte jetzt endlich meinen Vornamen herausgefunden.

„Ähm.. Nein danke. Ich glaube der hat gereicht“, antwortete ich ablehnend. Als ein anderer ihn rief, ging er, aber immer noch mit einem misstrauischen Blick auf mich gerichtet. Ich drehte mich auch langsam zurück zu dem Mädchen, das immer noch am Getränk nippte. Ich wusste nun wie mein Vorname lautete und wo wir waren. Na super! Was war mit dem ganzen Rest? Wie hiess ich zum Nachnamen, wer war meine Familie, was machte ich hier, wie hiess dieses Mädchen und was zum Teufel war gerade eben mit mir geschehen?!?

„Ähm, Kate, geht es dir gut? Du siehst sehr müde aus.“ Als eine Hand leicht meine Schulter berührte, kehrte ich zurück zur Realität. Müde? Ich war nicht müde sondern verzweifelt.

„Hmmm… ja. Mir geht es gut, danke. Und nein, ich bin nicht müde. Ich habe nur kurz über etwas nachgedacht.“ Anscheinend hat es gewirkt, als wäre ich müde.

„Ach so. Dann wirst du bestimmt auf die Tanzfläche kommen und mit mir die Bühne rocken oder?!“ Jetzt lachte sie wieder freundlich und der Blick voller Sorge war schon verschwunden.

„Ähm.. Tut mir echt Leid. Aber ich glaube, ich bleibe lieber eine Weile hier, bis ich mich ganz erholt habe. Geh du nur ruhig tanzen. Ich komm hier schon klar.“

„Na gut“, zögerte sie. „Aber wenn du etwas brauchst oder gehen willst, musst du mich sofort informieren. Und Jan! Pass auf sie auf.“ Mit diesen Worten kehrte sie um und ging auf die Tanzfläche, bevor ich überhaupt etwas erwidern konnte. Ich konnte ihr nur hinter herschauen. Kopfschüttelnd drehte ich mich um und sah Jan grinsen.

„Du weisst ja wie Sarah ist. Ihr zu widersprechen ist nutzlos. Aber du solltest es ja am besten wissen.“ Er schaute ihr zu, wie sie auf der Tanzfläche wild herumtanzte. Ihr kurzes goldgelbes Kleid lag eng an ihr und nur die orangen Fransen gegen Ende des Kleides tanzten in der Luft mit ihr. Ihre dunklen Haare schwangen immer wenn sie ihren Kopf drehte. Aber der Punkt war, ich wusste endlich, wie sie hiess: Sarah. Bevor ich aber weiterdenken konnte, wurde ich wieder aus meinen Gedanken gerissen.

„Weshalb willst du denn nicht tanzen?“ Erst jetzt bemerkte ich, dass er seine Maske anhatte. Wann hatte er sie denn angezogen? Während eine nachtblaue Schicht sein Gesicht verdeckte, zierten kleine goldene Sterne und kleine Linien diese Maske und verschönerten den Anblick. Seine braunen Haare umrahmten sein Gesicht und seine braunen Augen schienen zu funkeln wie die Sterne auf der Maske. Sein blauer Anzug gab noch den Rest und alles in allem passte es wunderbar. Wieder wurde ich durch eine Umarmung, von meinen Gedanken unterbrochen.

„Ach Kleine, es geht dir ja gut. Ich hatte mir schon Sorgen um dich gemacht.“ Als dieses Mädchen mich endlich um eine Armeslänge entfernt hielt, fielen mir sofort ihre traurig lächelnden Augen auf. Sie trug eine schneeweisse Maske und einige weisse Federn schmückten die Maske. Ihr bodenlanges, weisses Kleid betonte ihre Kurven und liess sie adlig wirken. Ihre blonden Haare, die wie flüssiges Gold wirkten, umrahmten ihr Gesicht und fielen ihr bis zur Brust hinab. Kurz gefasst: Sie wirkte wie ein Engel. Nur der Heiligenschein fehlte. Wenn man in ihren hellblauen Augen mit den dunklen Einsprengseln schaute und sie ihr bezauberndes Lächeln aufhatte, lagen wahrscheinlich die Jungs ihr zu Füssen. Mir wurde das Antworten durch Jan abgenommen:

„Hey Leila. Sie ist erst wieder zu sich gekommen.“ Während er lächelnd in meine Richtung den Kopf neigte, lächelte ich ihm dankbar zurück.

„Oh Schätzchen, was war denn nur mit dir geschehen? Hattest du etwa zu viel Alkohol getrunken?“ Als ich ihr nicht antwortete und sie nur anstarrte, fing sie an zu lachen und erklärte mir, dass es nur ein Scherz gewesen sei. Sie entschuldigte sich, dass sie wieder los müsste, weil sie bei der Organisation helfen musste und zwinkerte mir einmal zu, bevor sie losging.

„Ja, die gute Seele unter uns allen. Niemand ist so nett und hilfsbereit wie sie.“ Jan schweifte mit seinem Blick immer noch Leila hinterher. Erst als einige Schüler neue Drinks aufforderten, entschuldigte er sich bei mir und widmete sich wieder seiner Arbeit. Endlich hatte ich mal Zeit um wieder in meine Gedanken zu versinken. Also die erste Frage lautete immer noch: Was ging hier vor sich? Die zweite Frage war natürlich: Was war gerade vorher mit mir geschehen, dass ich plötzlich auf dem Boden aufwache, aber überhaupt keine Erinnerungen mehr habe. Die dritte Frage war natürlich die meiner Persönlichkeit: Wer war ich? Wer war meine Familie? Wer waren all diese Leute? Wo waren meine ganzen Erinnerungen?

Irgendwie schien sich die Szene immer zu wiederholen. Während ich wieder zurück zur Realität kehrte, dachte ich noch etwas weiter. War ich etwa in einem Traum oder Film, dass es sich immer wiederholte? Ein Pieksen in meinem Arm, verriet mir, dass ich nicht träumte. Offenbar hat der Junge der vor mir stand, nichts vom Pieksen oder meinen Gedanken bemerkt. Ich musterte den Jungen so unauffällig wie es ging, während er sich neben mich setzte, die Maske auf die Theke legte und auch um einen Drink bat. Er trug einen grauen Anzug, unter dem sein weisses Hemd zu sehen war. Als ein Helfer sein Drink brachte und er sich bedankte, hatte ich Zeit, unbemerkt die Maske zu betrachten. Sie war vollkommen hellgrau und nur einige silberne, weissglitzernde Linien verzierten sie. Diese Maske bedeckte nur seine Augenpartie und somit konnte man seine schmalen Lippen und seine kleine Nase auch mit der Maske erkennen. Gerade als er zurück zu mir umdrehte, schaute ich wieder ihn an, damit er nichts von meinen ganzen Musterungen mitbekam. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen und seine Augen funkelten freudig. Nachdem er sich ein Schluck von seinem Drink genehmigt hatte, meinte er gelassen:

„Ich bin echt froh, dass es dir wieder gut geht. Ich dachte schon, dir ging es nicht gut und wir müssten dich ins Spital bringen oder so. Aber Gott sei Dank war es nichts Schlimmes. Du hattest wohl einen Drink zu viel. Nicht wahr?“

Okay.. Erstens wer war er? Und zweitens weshalb dachten alle, ich hätte zu viel getrunken? Weil ich fühlte mich nicht im Geringsten betrunken, aber hatte dafür absolut keine Erinnerungen mehr. Was war also wirklich passiert? Ich hatte keine Ahnung was ich ihm antworten sollte. Also sagte ich das erst Beste, was mir in den Sinn kam.

„Ja, ich denke, ich habe wirklich ein wenig zu viel getrunken. Deshalb haben aber Jan und Sarah mir nur noch Wasser oder Cola erlaubt.“

„So wie du ausgesehen hast, würde ich dir auch nichts anderes bieten. Aber.. ich wollte dich eigentlich fragen… ob du… ob du… gerne mit mir…tanzen würdest?“, fragte er mit einem schüchternen Lächeln und sah so aus, als hätte er Angst vor meiner Antwort. Da ich aber eh nichts Besseres zu tun hatte, und er auch nicht schlecht aussah, stimmte ich mit einem einfachen Schulterzucken zu. Also nahm er meine Hand und führte mich auf die Tanzfläche. Gerade wurde ein langsames Lied gespielt und während ich meine Hände hinter seinem Nacken ineinander verschloss, legte er seine Hände auf meinen Hüften. Leicht bewegten wir zum Takt und wir unterhielten uns leise miteinander, wobei ich sehr oft schmunzeln musste. Nach einer Weile wurde die Musik gewechselt und wir verschwanden von der Tanzfläche. Ich entschuldigte mich kurz bei ihm und ging zur Toilette. Dort begegnete ich Sarah, die lächelnd auf mich zukam.

„Na, wie ist denn Jason so?“

„Jason?“ fragte ich. Und erst da fiel mir ein, dass der Junge wohl Jason heissen muss.

„Ja, Jason. Ich meine, er hat schon lange ein Auge auf dich geworfen. Und ehrlich jetzt. Er ist heiss und dass der ach so coole Jason sich verliebt hat, und das auch noch in dich, ist einfach nur fantastisch. Nach alldem, was er getan hat, hätte ich nicht erwartet, dass er sich tatsächlich in jemanden verliebt.“

Ach so cool? Was er schon getan hat? War er etwa ein Player? Ich sollte wohl so schnell wie möglich meine Erinnerungen zurückbekommen. Sonst geht das mächtig schief.

„Na ja. Es war ja nur ein Tanz. Und wir haben halt normal geredet, wobei er mich oft zum Lachen gebracht hatte.“ Das Grinsen auf Sarahs Gesicht wuchs, als sie sah, wie ich anfing zu lächeln.

„Ich freu mich so für dich. Wir reden morgen darüber. Ich muss jetzt auch schon zurück.“ Mit einem Grinsen im Gesicht verliess sie die Toilette und ich ging dem nach, wofür ich überhaupt hierhergekommen bin. Danach ging ich zurück an die Bar und dort stand Jason. Als er mich kommen sah, lächelte er leicht und ich grinste auch zurück. Konnte es wirklich wahr sein, was Sarah mir vorher erzählt hatte?

„Na Lust, wieder zu tanzen?“, fragte Jason lässig. Es ging gerade ein schnelleres Lied und ich entschied mich dagegen. Da es mir sowieso nicht gerade gut ging, entschied ich mich nach Hause zu gehen und teilte dies auch Jason mit. Er konnte es nicht lassen, mich nach Hause zu bringen und während er sich bereitmachte, verabschiedete ich mich kurz von Sarah und Jan. Sarah zwinkerte mir kurz zu und grinste, als sie sah, dass Jason mich nach Hause brachte. Als wir nach draussen traten, überzog eine Gänsehaut mich und fröstelnd schlang ich meine Arme um mich. Sofort legte Jason sein Jackett um mich und ich bedankte mich mit einem kleinen Lächeln. So liefen wir durch die Strassen, wobei Jason meistens vorlief, vor allem bei Kreuzungen und Abbiegungen, da ich ja absolut keine Ahnung hatte, wo ich wohnte. Wir unterhielten uns und er brachte mich immer wieder zum Lachen. Schliesslich hielten wir vor einem grossen Einfamilienhaus an und ich drehte mich zu Jason um.

„Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast und danke für deine Gesellschaft heute Abend“, meinte ich.

„Kein Ding, Kate. Für dich tue ich doch alles“, antwortete er und wurde leicht rot, obwohl man das bei diesem schwachen Strassenlaternenlicht nicht richtig erkennen konnte. Schüchtern lächelnd fragte ich dann:

„Kannst du mich morgen abholen, damit wir zusammen in die Schule können?“ Da ich ja keine Ahnung hatte, wo die Schule sich befand, musste diese Frage einfach sein. Mit einem etwas erstauntem, aber freudiger Miene meinte er:

„Natürlich. Treffen wir uns um halb acht hier?“ Ich nickte nur zur Bestätigung. Aus meiner Handtäschchen holte ich dann den Schlüssel, woran zu meinem Glück nur ein Fahrrad-, ein Spind- und ein Hausschlüssel hingen, und schloss die Tür auf. Doch kurz bevor ich rein ging, drehte ich mich noch schnell um, gab Jason einen Kuss auf die Wange, bedankte mich nochmal und ging hinein. Aus dem Fenster neben der Türe, konnte ich beobachten, wie Jason ein überraschtes Gesicht machte und eine Hand auf die Wange legte. Dann fing er an zu lächeln, wobei es danach zum Grinsen mutierte und ging schliesslich glücklich nach Hause, wobei er immer wieder sich zurückdrehte und zu unserem Haus hinüberschaute.

Da es im Haus dunkel war stieg ich leise die Treppen hinauf, ich vermutete dort die Zimmer, und stand in einem langen Flur. Rechts und links von der Treppe konnte man Zimmer entdecken. Auf der einen Seite konnte ich zwei weisse Türen und eine Badezimmer Türe entdecken und auf der anderen Seite entdeckte ich, eine Tür, die mit pinken Zetteln und Kleber zugedeckt war, dann eine Tür, die mit dem Wort „Badezimmer“ beschriftet war und daneben eine weitere, weisse Tür. Ich dachte ein wenig nach und entschied mich für die letzte Tür, da dies wahrscheinlich mein Zimmer sein musste. Leise ging ich hin und öffnete die Tür und ohne ein Quietschen ging sie auf. Hinter mir schloss ich die Tür und betätigte den Lichtschalter. Ich war in einem grossen Zimmer mit einer Verbindung zum Bad nebenan. In einer Ecke stand ein grosses Bett mit dunkelblauer Bettwäsche und daneben befand sich ein grosses Fenster mit weissen Vorhängen davor. Der bodenlange Spiegel ersetzte die Türe des Wandschranks. Auf der gegenüber liegenden Seite konnte ich einen weissen ordentlichen Schreibtisch entdecken, worauf auch ein Laptop zu sehen war. Die Wände waren dunkelblau und weiss gestrichen worden. Der Boden war mit dunklen Marmorplatten ausgelegt und ein heller, flauschiger Teppich lag auf der einen Seite und lud mit seinen grossen Kissen einen zum Kuscheln ein. Alles in alles betrachtet konnte man sich hier richtig wohl fühlen. Da ich aber jetzt müde war, ging ich zum Schrank, öffnete diese, nahm mir ein Pyjama und ging ins Badezimmer. Dort zog ich mich um, wusch mir das Gesicht und putzte die Zähne und kam zurück. Das Kleid hing ich vorsichtig an einen Kleiderbügel auf und ich selber legte mich dann ins Bett und kuschelte mich unter die Decke. Im Schein des Mondlichts glitt ich kurz darauf in das Land der Träume.

Kapitel 2

Das schrille Klingeln meines Weckers holte mich aus meinem tiefen Schlaf und mit einem Schlag brachte ich ihn zum verstummen. Verschlafen rieb ich mir die Augen und tapste ins Badezimmer. Ich putzte mir die Zähne und ging dann schnell eiskalt duschen. Das weckte mich dann schon ein wenig und nur mit einem Handtuch um mich gewickelt, ging ich in mein Zimmer mich fertig anziehen. Erst jetzt bemerkte ich mein Spiegelbild und betrachtete es genauer. Denn da ich alles vergessen hatte, hatte ich sogar mein Aussehen vergessen. Ich sah ein Mädchen mit einem dunkelgrünen T-Shirt, worauf bunte Muster abgebildet waren, und einem schwarze Röhrenjeans. Die dunkelbraunen, taillenlangen Haare fielen ihr in leichten Locken über die Schulter. Die Haut war rein und etwas dunklerer. Dunkelbraune Augen beobachteten kritisch das Spiegelbild. Die kleine Nase und die geschwungenen Lippen vervollständigen das Bild. Als ich mit meiner Musterung fertig und mit meinem Aussehen auch sehr zufrieden war, nahm ich eine meiner Taschen und wollte einpacken, als ich merkte, dass ich keine Ahnung hatte, welche Fächer ich hatte. Ich ging kurz zu meinem Schreibtisch und da fand ich zum Glück meinen Stundenplan. Nebenan fand ich einen Kalender wobei der Mittwoch eingekreist war und Maskenball darunter stand. Das hiess, heute wäre der Donnerstag. Also suchte ich in meinem Stundenplan den Donnerstag und packte alle Bücher und Hefte von denjenigen Fächern, die eingetragen waren. Schnell nahm ich noch eine andere kleine Tasche und packte darin meine Sportsachen ein: ein hellgrünes T-Shirt und eine lange schwarze Jogginghose. Die Schuhe fand ich nirgends im Zimmer und ich dachte mir, dass sie wahrscheinlich unten sind. Bevor ich das Zimmer verliess schaute ich noch einmal zurück und entdeckte ein Smartphone auf meinem Schreibtisch. Ich nahm es in die Hand und nahm noch die Kopfhörer dazu und wollte es in meine Tasche einstecken, als eine neue Nachricht angezeigt wurde. Zum Glück hatte ich keinen Code oder Pin sodass ich ungehindert hinein konnte. Die Nummer war unbekannt und ich öffnete die Nachricht:

„Veilchen sind blau, Rosen sind rot, die Katze macht miau und Kate ist bald in Not.“

Ich starrte die Nachricht eine Weile noch an und verstand den Sinn nicht ganz. Warum sollte ich bald in Not sein? Die ersten beiden Sätze kamen mir auf eine Weise bekannt vor, als hätte ich es schon einmal gehört. Vielleicht etwas von meiner Vergangenheit, worüber ich eben keine Erinnerungen mehr hatte. Wenn das so wäre, musste ich unbedingt meine Erinnerungen wieder zurückholen. Weshalb sollte ich in Not sein? Hatte ich vielleicht eine schlimme Krankheit? Okay nein, warum sollte ich das dann durch eine SMS erfahren. Und vor allem, wer würde einen so darüber informieren? Die einzige Möglichkeit wäre dann, dass jemand mich warnen will oder vielleicht eine Wahrsagerin wäre und eine Vision gesehen hätte. Da ich aber letzteres ausschloss, fragte ich mich weshalb ich in Not sein würde und man mich warnen wollte. Verwirrt steckte ich mein Handy in meine Tasche und lief die Treppen hinunter. Ich legte meine Tasche neben einem Schuhregal und suchte kurz meine Sportschuhe heraus. Ich fand ein Paar, welche mir passen könnten und packte sie ein. Danach ging ich ins Innere des Hauses und kam in das Wohnzimmer welches mit der Küche halb verbunden war. Eine halbhohe Wand und ein Esstisch trennten die beiden Räume voneinander. Der Esstisch war schon gedeckt und meine Mutter stand hinter dem Waschbecken und wusch das Geschirr. Ich vertraute mal meine Instinkte und tat, was mein Inneres mir empfahl. Lächelnd ging zu meiner Mutter, gab ihr einen Kuss auf die Wange und wünschte ihr einen guten Morgen. Sie drehte sich lächelnd um und wünschte mir auch einen guten Morgen. Sie hatte auch dunkelbraune Haare, die aber nur schulterlang waren, und braune Augen. Doch während ihre vollen Lippen zu einem Lächeln verzogen waren, blickten die Augen mich traurig an. Sie versuchte etwas zu überspielen, aber was? 

„Kannst du kurz Isa wecken? Sie soll ja nicht zu spät in die Schule kommen“, meinte Mum dann und leicht in den Gedanken versunken, ging ich die Treppen wieder hinauf. Isa… War das der Spitzname von Isabella vielleicht? Das war bestimmt meine kleine Schwester demzufolge. Doch wie alt war sie denn? Vor ihrer Tür blieb ich dann kurz stehen, atmete einmal tief durch und machte mich auf alles gefasst, bevor ich die Türe öffnete. Das ganze Zimmer war in weiss, rosa und pink gehalten. Ein Prinzessinnenbett war auf der gegenüberliegende Seite und die Person darin zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Braune, schulterlange Haare lagen verteilt auf dem Kissen und nur das kindliche, schlafende Gesicht war noch zu sehen. Der Rest des Körpers wurde durch eine pinke Bettdecke zugedeckt. Leise schritt ich zu diesem Bett hin und ging in die Knie. Sanft strich ich ihr über die Haare und gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Aufwachen Isa. Du musst in die Schule“, flüsterte ich ihr sanft zu und langsam schlug sie ihre Augen auf und gähnte prompt. Ich musste lächeln und hellbraune Augen blickten mich verschlafen an. „Komm, schnell Zähne putzen und dann ab in die Dusche mit dir“, meinte ich lächelnd.

Die Augen reibend trottete sie in unser gemeinsames Bad, und ich ging zu ihrem weissen Schrank und holte ein violettes Kleid heraus, das weisse Tupfen aufwies. Danach ging ich zu ihrem weissen Schreibtisch und ein 1.Klässler Stundenplan war zu finden. 1.Klasse… Das hiess Isa war etwa 6 Jahre alt. Ich packte ihre Hefte und Etui in eine kleine Schultasche und da kam sie auch schon zurück vom Duschen. Sie zog schnell ihre Kleidung an und hüpfte dann zu mir hinüber. Wow, sie war aber gutgelaunt. Sie sprang und mit schnellen Reflexen konnte ich sie gerade noch so auffangen. Sie gab mir einen kurzen Kuss auf die Wange und piepste mit kindlicher Stimme:

„Guten Morgen Kate. Machen wir ein Wettrennen? Wer zuerst unten ist.“

Und schon war sie hinabgesprungen, nahm mir die Tasche aus der Hand und rannte die Treppen hinunter. Kopfschüttelnd stieg ich die Treppen hinab und setzte mich an den Tisch. Isa plapperte bereits fröhlich und ass dabei ihre Frühstücksflocken. Ich griff auch nach einer Schale, füllte sie zur Hälfte mit Frühstücksflocken und goss ganz viel Milch hinein. Schweigend ass ich und hörte Isa zu. Nach einer Weile fragte mich dann Mum wie gestern der Ball gewesen war. Für eine klitzekleine Sekunde hielt ich inne mit dem Essen, fuhr aber fort, damit sie nichts merkten. Irgendwie konnte ich ihnen nicht mitteilen, dass ich meine Erinnerungen verloren hatte. Es kam mir irgendwie falsch vor, also sagte ich die Halbwahrheit.

„Ja, es war sehr schön und ich konnte mich wirklich amüsieren.“ Das war wirklich nicht gelogen und bezog sich auf den Tanz mit Jason. Damit es aber nicht einfach nur bei dieser einen Aussage blieb, fuhr ich einfach fort. „Die anderen waren auch wirklich sehr schön angezogen gewesen. Sarah hatte das goldgelbe Kleid an und sah echt Hammer aus.“ Weiter wusste ich einfach nicht was erzählen und beendete deshalb meine kleine Rede. Meine Mutter nickte zufrieden und lächelte leicht. Doch der traurige Glanz in ihren Augen war stets da. Was war nur passiert?

„Wo ist denn Daddy?“, fragte Isa und ich fragte mich dasselbe. Ich hatte gedacht unser Vater müsste vielleicht früh zur Arbeit und war deshalb nicht hier. Aber wenn sie nachfragte, musste diese Annahme wohl falsch sein.

„Nun Daddy ist für eine Weile auf einer Geschäftsreise“, meinte Mum nach einer Weile zögerlich. Ihr Lächeln war gezwungen und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das gelogen war. Aber wo war er dann sonst? Betrog er sie etwa mit einer anderen? Wollten sie sich scheiden lassen und konnten es uns nicht mitteilen oder was in aller Welt war los? Gedanklich ganz versunken, ass ich weiterhin mein Frühstück, spülte dann das Geschirr ab und gerade als ich in den Flur ging, klingelte es und ich suchte schnell meine Schuhe und schrie, dass ich gleich käme. Schnell zog ich meine grünen Ballerinas an, nahm meine Tasche und öffnete die Türe, in der Erwartung Jason sei es. Doch ich hatte mich gewaltig getäuscht.

Schwarze Lackstiefel, schwarze Falthose, breiter Gürtel, blauer Uniform mit einigen Orden und auf dem Kopf ein Hut. Hellbraune Augen blickten mich an und die Lippen waren auch zu einem traurigen Lächeln verzogen. Aus der hinteren Hosentasche holte er seine Marke heraus und streckte sie mir hin.

„Guten Tag. Mein Name ist Stevenson und ich bin von der Polizei. Ist deine Mutter zuhause?“, fragte er mich freundlich. Ich studierte zuerst seine Marke, die er in der Hand hielt und rief dann meine Mutter. Mum kam in den Flur und währenddessen liess ich den Polizisten in das Haus. Mums Augen weiteten sich für einen Augenblick, bevor sie sich wieder fasste und schnell kam sie auf mich zu.

„Kannst du heute Isa auch schnell in die Schule bringen? Es ist ja nicht weit weg und du bist auch etwas früh dran. Vielen Dank Schatz.“ Sie rief Isa, die munter hinunter kam, aber ein wenig stutzte, als sie den Polizisten sah. Während meine Mutter ihr erklärte, dass ich sie heute zur Schule brachte, zog sie ihre Schuhe an und nahm ihre Tasche. Schnell drückte Mum uns einen Kuss auf die Stirn und schob uns aus der Tür. Ich fragte mich was los war, was der Polizist da zu suchen hatte und warum Mum uns so schnell aus dem Haus loswerden wollte. Doch bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, sah ich Jason um die Ecke kommen und automatisch fing ich an zu lächeln. Er lächelte auch etwas schüchtern zurück und als er bei uns war, wünschte er uns einen guten Morgen. Isa nahm er kurz in die Arme und wirbelte sie in der Luft herum. Als er Isa wieder absetzte, küsste sie ihn kurz auf die Wange und wünschte ihm auch einen guten Morgen. Lächelnd beobachtete ich sie und registrierte, dass er ein guter Freund von mir war. Denn dieser Umgang der zweien konnte nicht einfach von heute auf morgen stattfinden. Ich wünschte ihm auch noch kurz einen guten Morgen und erklärte ihm, dass wir Isa noch kurz zur Schule bringen mussten. Mit einer kleinen Handbewegung winkte er ab und signalisierte mir damit, dass es ihm nichts ausmachte. Auf dem Weg zu Isas Schule plapperte sie fröhlich mit Jason und somit widmete ich wie sooft meine Gedanken. Was war gestern passiert? Warum tauchte heute plötzlich ein Polizist auf und was wollte er denn von Mum? Ist irgendetwas Schlimmes passiert? War Mum vielleicht eine Zeugin von etwas gewesen? Auf keiner diesen Fragen bekam ich eine Antwort und betrachtete wieder meine Umgebung. Wir hielten gerade vor einer kleinen Schule an. Viele Kinder spielten dort herum und Isa gab mir, sowie auch Jason schnell einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich, bevor sie zu einer Mädchengruppe rannte und mit ihnen mitspielte. Das waren wohl ihre Freundinnen.

„Hey Kate. Wollen wir los?“, fragte mich Jason und berührte mich kurz an der Schulter. Diese Geste gab mir kurz einen Stromschlag und für eine Sekunde sah ich einige Bilder von Jason und mir.

Wir sassen in einem Sandkasten als kleine Kinder und funkelten uns wütend an. Einen gelben Eimer hielten wir in unseren Händen und stritten uns um jenen. Danach sah ich ein Bild, als wir ein wenig älter waren und lachend auf einer Wiese lagen. Unsere Kleider waren leicht befleckt von Gras und Erde und wir waren ziemlich nass. In der Hand hielten wir jeweils eine Wasserflasche, die nun leer war, weil wir mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Wasserschlacht veranstaltet hatten. Als wir dann in die Augen sahen, blickten wir uns für eine Weile so an, bis ein Vogelgezwitscher uns wieder zurück in die Realität holte. Dann sah ich ein Bild von gestern, wie er von der Bar aus mich angeblickt hatte, als ich lächelnd mit Sarah in einen Ballsaal umfunktionierte Turnhalle eingetreten waren. Seine Augen lagen bewundernd, faszinierend sowie verlangend auf mir, während sein Mund etwas offen blieb. In der Hand hielt er einen Becher und wollte auf mich zukommen, als ich gerade wegging, weil Sarah mich am Arm zog.

Nun blickte ich wieder in Jasons Augen, die mir Freundlichkeit und so etwas wie Zuneigung ausstrahlten. Was war denn das gewesen? Meine kleine Vision, oder was es auch immer gewesen war, hatte Jason wohl nicht bemerkt. Daher nickte ich nur kurz und wir schlenderten zu unserer Schule. Nach einigen Minuten der Stille drehte ich mich ein wenig zu ihm hin.

„Kann ich dich mal etwas fragen?“

„Na klar. Du kannst mich alles fragen“, meinte er etwas überrascht.

„Wie lange sind wir schon befreundet?“, fragte ich ihn daraufhin. Zuerst war er etwas überrascht, doch dann grinste er mich an.

„Du kannst mich nicht reinlegen Kate. Denn befreundet sind wir ja erst seit der 3.Klasse. Vorher waren wir ja verfeindet, wie du weisst. Aber warum fragst du?“ Okay, seine Antwort passte irgendwie zu meinen Bildern die ich gerade gesehen hatte. Als er sah, dass ich einen nachdenklichen Blick hatte, blieb er kurz stehen, drehte mich an der Schulter zu ihm und fragte mich besorgt:

„Hey Kate. Was ist los?“

Ich schaute ihm in die Augen und sah Besorgnis, Vertrautheit und wieder so etwas wie Zuneigung entgegen strahlen. Da entschied ich mich ihm alles zu erzählen. Und so fing ich an, ihm alles zu erzählen, was seit gestern Abend passiert war. Ich wusste nicht warum ich es nicht einmal meiner Familie erzählte, aber so einem “fremden“ Jungen alles anvertraute. Als ich schliesslich endete, verknotete ich meine Hände ineinander und schaute etwas ängstlich auf zu Jason, wartete auf seine Reaktion und hoffte er würde mir helfen und mich nicht auslachen. Er schaute mich nur stumm eine kleine Weile an und nahm mich dann in seine Arme. Ich fühlte mich so geborgen und wohl bei ihm, dass ich meinen Kopf auf seine Schulter legte. Sanft strich er mir über die Haare und über meinen Rücken. Als wir uns langsam wieder voneinander trennten, blickte er mich so intensiv an und ich konnte nur in seine Augen schauen. Er kam mir mit seinem Gesicht immer näher und winkelte seinen Kopf etwas an. Ich tat nichts Weiteres und als unsere Nasenspitzen sich streiften, flatterten mir meine Augen zu und schliesslich lagen seine sinnlichen Lippen auf meinen. Eine kurze Weile standen wir so auf dem Gehweg und vergassen die Umwelt. Schliesslich entfernte er sich wieder etwas von mir und sah mich an. Ich war so verwirrt von diesem Kuss und öffnete langsam wieder die Augen. Mit einem leisen Sorry ging er dann davon um die Ecke. Immer noch verwirrt lief ich denselben Weg wie er, weil ich ihn zur Rede stellen wollte. Um die Ecke gebogen erblickte ich dann ein grosses Schulhaus und auf dem Hof standen schon viele Leute. Viele verschiedene Gruppen konnte ich entdecken und auch sofort zuordnen zu welchem ich gehörte. Denn ich entdeckte Sarah die sich mit einem anderen Mädchen unterhielt und auch Jan war dort anwesend. Auf dem Weg zu ihnen nahm ich schnell mein Handy, suchte Jason in der Kontaktliste und schrieb ihm eine SMS:

„Wir müssen reden!“
Als ich fast bei der kleinen Gruppe angekommen war, fing ich an Jason auf dem Hof zu suchen. Nirgends konnte ich ihn ausmachen, bis ich ihn dann bei einer Gruppe ausmachte, bei dem ich ihn nicht erwartet hatte. Lässig stand er an dem Geländer gelehnt und grinste verführerisch. Wenn dieses Lächeln mir gegolten hätte, hätte ich mich ja auch gefreut. Doch um ihn standen viele Leute und darunter vor allem Mädchen. Nun verstand ich auch was Sarah gestern gemeint hatte.

„Er ist heiss und dass der ach so coole Jason sich verliebt hat, und das auch noch in dich, ist einfach nur fantastisch. Nach alldem, was er getan hat, hätte ich nicht erwartet, dass er sich tatsächlich in jemanden verliebt.“

Er war der beliebteste Junge dieser Schule. Dies konnte ich mit hundert prozentiger Sicherheit sagen. Das hätte mich ja eigentlich nicht weiter gestört. Doch irgendwie gefiel es mir absolut nicht. Auch einige andere Jungs standen dort herum. Viele hatten jeweils ein Mädchen an der Seite, welche sehr offen zu sein schienen. Und dies bezog nicht nur ihren Charakter sondern auch ihren Kleidungsstil. Denn sie trugen ziemlich knappe und enge Sachen, die ihnen eigentlich, meiner Meinung nach, viel zu klein waren. Naja. Konnte mir ja egal sein. Schliesslich hatte es ja nicht ich an. Ich entdeckte das Mädchen, welches Jason kokette Blicke zuwarf. Langsam stöckelte sie auf ihn zu, lehnte sich neben ihm an das Geländer und fing eine Unterhaltung an. Ich wendete mich ab und fragte mich was das sollte. Zuerst küsste er mich einfach so und dann nicht einmal fünf Minuten später flirtete er mit einer anderen. Ich verstand echt nicht mehr was los war. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass er eine Zigarette nahm und anfing diese zu rauchen. Na toll. Er war auch noch ein Raucher. Ich war mir sicher er trank auch viel und war sicher sternenhagelvoll nach einer Saufparty. Dabei hatte ich am Anfang wirklich gedacht, er wäre ein Gentleman und er schien mir auch wirklich sehr sympathisch zu sein. Doch einen Player als festen Freund wollte ich nun wirklich nicht haben. Aber die Bilder, die ich heute gesehen hatte, verwirrten mich wirklich sehr. Schliesslich drehte ich mich um zu “meiner“ Gruppe und sah, dass sie mich noch nicht entdeckt hatten, zum Glück. Ich lief die letzten Schritte zu ihnen und begrüsste alle. Sarah umarmte mich und fragte sofort nach meinem Wohlergehen. Das war echt süss, wie sie sich Sorgen machte. Sie war wirklich meine beste Freundin. Ich wusste echt nicht, ob ich ihr die Wahrheit wegen gestern erzählen sollte oder nicht. Ich meine einem Jungen wie Jason, dem Player, erzählte ich so etwas Wichtiges, aber meiner besten Freundin nicht?! Obwohl ich es ihr erzählen wollte, entschied ich mich dagegen und bejahte nur ihre Frage. Die Klingel war schon zu hören und wir machten uns alle auf dem Weg zu unseren Klassenzimmern. Ich hatte natürlich ein Problem, da ich ja absolut keine Ahnung hatte. Deshalb ging ich vorerst einfach mal Sarah nach, in der Hoffnung die gleichen Fächer wie sie zu haben. Ein kurzes Vibrieren in meiner Tasche verlangte meine Aufmerksamkeit, sodass ich mein Handy hervorzückte und nachschaute, wer mir geschrieben hatte.

„Treffen wir uns in der Mittagspause an dem alten, grossen Baum hinter der Schule? Ach ja. Geh vorerst einmal Sarah nach. Am Morgen hat sie die gleichen Fächer wie du und ihr Spind ist auch neben deines. – Jason PS: Es tut mir Leid.“

Ich wusste echt nicht, was ich fühlen sollte. Auf der einen Seite Trauer. Auf der anderen Seite Glücklichkeit. Schliesslich beeilte ich mich aber Sarah hinterherzulaufen, denn ich hatte keine Lust, mich hier zu verlaufen. Wir gingen direkt in ein Klassenzimmer und Sarah steuerte auf die letzte Reihe zu und ich folgte ihr einfach. Ich nahm neben ihr Platz und sass somit am Fenster, was mir nur gerecht war. Ich packte mein Heft und das Etui heraus und versuchte aus meinen letzten Notizen in Biologie schlau zu werden. Doch das einzige was ich verstand war, dass wir das Thema Säugetiere und ihr Verhalten hatten. Gerade als ich wieder aufblickte, sah ich dass ein Lehrer, Mitte dreissig, in das Zimmer kam und alle sich an ihre Plätze setzten. Jason konnte ich nicht in diesem Zimmer entdecken. Doch dafür entdeckte ich Jan und Leila. Der Lehrer stellte seine Tasche ab und holte einen Stapel Blätter. Er fing an diese zu verteilen. Kein Laut verliess seinen Mund dabei. Ich musterte unseren Lehrer etwas genauer und merkte dass er dunkelblonde Haare und blaue Augen hatte. Als er schliesslich auch bei uns die Blätter verteilt hatte, ging er wieder stumm nach vorne und stellte sich hinter den Stuhl. Verwirrt schaute ich auf mein Blatt hinab, denn die ganze Klasse war auf einmal verstummt. Ich sah, wie 85/100 Punkte, unterschrieben mit einem sehr gut, in der oberen Ecke stand. Sofort freute ich mich darüber und bemerkte, dass ich wohl eine kleine Streberin war, oder Biologie einfach mein liebstes Fach war. Der Lehrer räusperte sich und alle Blicke richteten sich auf ihn.

„Die Prüfung war wie erwartet ausgefallen. Wie sooft haben die gut Vorbereiteten eine gute Note und der Rest von euch sollte in der Stunde besser aufpassen. Die Prüfungen dürft ihr bis zur nächsten Stunde behalten und sie anschauen. Am nächsten Donnerstag will ich sie wieder zurück haben. Nun schlägt die Seite 238 auf und lest euch den Text durch. Passt auf, denn der Text geht bis zu Seite 240. Bis zur Ende der Stunde habt ihr Zeit die Fragen mit eurem Bankpartner zu lösen. In der nächsten Stunde gebe ich euch ein Frageblatt dazu. Den füllt ihr dann aus und macht zum Abschluss eine Zusammenfassung zu diesen Seiten. Wer nicht fertig wird, macht alles als Hausaufgaben. Und jetzt los!“ Damit klatschte er in die Hände und alle nahmen ein Buch aus einem Wandregal. Ich lief auch los und holte mir und Sarah ein Buch und fing an den Text durch zu lesen. Als ich schliesslich fertig war, wartete ich bis Sarah auch fertig war und gemeinsam beantworteten wir dann die Fragen. Ich konnte mich wohl echt glücklich schätzen, dass wir nicht irgendetwas von der letzten Stunde durchnahmen oder ich eine schlechte Banknachbarin hatte. Als wir schliesslich endeten, klingelte es und viele seufzten glücklich auf, über die Tatsache, dass wir Pause hatten. Ich beobachtete in Ruhe die Schüler sowie das Klassenzimmer. Die Wände wurden in einem hellen Cremeton gehalten und gegenüber der Fensterseite war jenes Wandregal mit den Büchern. Vorne war der Lehrertisch und dahinter war die Wandtafel zu sehen. Hinter mir, an der Wand, waren einige Plakate aufgehängt. Wahrscheinlich waren das Plakate von Referaten, welche die Schüler gehalten hatten. Als es dann klingelte kamen alle zurück an ihre Plätze und fingen wieder an ihre Aufgaben zu erledigen. Ich nahm das Blatt entgegen, welches der Lehrer inzwischen verteilt hatte und beantwortete die Fragen darauf. Da ich noch reichlich Zeit hatte, schrieb ich noch die Zusammenfassung. Als ich fertig war, sah ich auf die Uhr und bemerkte, dass ich noch etwa fünf Minuten bis zur Ende der Schulstunde hatte. Also schaute ich hinaus aus dem Fenster und fing an nachzudenken. Ich habe Jason geschrieben, dass ich mit reden möchte. Ich wusste dabei gar nicht genau worüber. Jedenfalls hatte er mir zugestimmt. Das war schon mal gut. Doch langsam zweifelte ich, ob ich wirklich noch hingehen sollte. Denn er hat sich zwei Mal bei mir entschuldigt. Hiess das etwa, dass er den Kuss bereute und es gar nicht wirklich wollte? Die Aktion, die er auf dem Hof veranstaltet hatte, verdeutlichte mir die Theorie nur. Eigentlich war das ja gut. Dann hätte ich keine Probleme mit all diesem Mädchen, weil ich ihnen Jason wegnahm oder so. Doch wollte ich das auch wirklich? Auch wenn ich Zweifel hatte zu diesem Baum hinzugehen, musste ich es tun. Denn er war der Einzige, der mein kleines Geheimnis kannte und mir somit helfen konnte. Ausserdem sagte mir eine kleine innere Stimme, dass ich ihm vertrauen konnte. Denn die Bilder von vorhin seien Beweise genug dafür, meinte die innere Stimme. War diese innere Stimme vielleicht mein Gewissen? Auch egal. Es gab jetzt wichtigeres zu überlegen. Doch genau in diesem Moment erklang die Schulglocke und befreite mich von meinen Gedanken. Schnell packte ich meine Sachen ein und wartete bis Sarah auch fertig war. Gemeinsam liefen wir draussen in den Flur und sie steuerte einen Spind an. Da Jason meinte, meines wäre neben ihres, suchte ich meinen Schlüssel heraus und öffnete den Spind. Zum Glück war es der Richtige und nicht der, auf der anderen Seite. Auf der Innenseite der Türe entdeckte ich meinen Stundenplan und schaute schnell nach, welches Fach ich hatte. Wir hatten nun zwei Stunden Mathe und somit holte ich mein Mathebuch aus dem Spind und schloss sie wieder ab. Sarah wartete auf mich, bis ich fertig war, und dann trotteten wir zum nächsten Klassenzimmer. Ein anderer Lehrer als vorhin tauchte auf und schrieb Seitenzahlen und Aufgabennummern an der Tafel hin. Schnell zückten alle ihre Hefter und Bücher und fingen an die Aufgaben zu lösen. Der Rest den man nicht fertig kriegte, war wohl Hausaufgabe. Auch ich fing an und nach zwei Schulstunden hatte ich gerade einmal die Hälfte geschafft. Denn ich musste den Einführungstext noch einmal durchlesen um überhaupt etwas zu verstehen. Schnell schrieb ich mir die zu erledigenden Aufgabennummern auf und packte alles schnell in die Tasche. Sarah wartete bereits und gemeinsam liefen wir in ein Saal, welches wohl die Kantine war. Denn auf der einen Seite konnte ich die Köche und eine lange Schlange entdecken und der Rest der Halle war mit Tischen und Stühlen versehen. Jan kam gerade mit zwei Tabletten voller Essen auf uns zu und ein schwarzhaariger Junge kam neben ihm mit, auch bepackt mit zwei Platten. Als sie bei uns ankamen, überreichten sie uns jeweils einen Platten und gemeinsam setzten wir uns an einem Tisch hin. Schon bald kam auch das dunkelhäutige Mädchen von heute Morgen, mit der Sarah sich unterhalten hatte und hatte ihr Essen dabei. Wir assen und redeten miteinander. Als ich schliesslich fertig war, entschuldigte ich mich bei den anderen, verräumte mein Tablett und lief hinaus zu diesem alten, grossen Baum. Jason sass bereits unter dem Baum und schien auf mich gewartet zu haben. In der Hand hielt er sein Handy und als er mich hörte, steckte er es zurück in seine Tasche. Ich kam neben ihm zu stehen und setzte mich auch hin. Das Gras war noch ein wenig nass vom morgendlichen Tau, doch mich kümmerte dies kein Bisschen. Ich wollte endlich wissen, was Jason zu sagen hatte und wie es schliesslich nach dieser Unterhaltung mit uns beiden aussah.

Kapitel 3

Einige Minuten sassen wir so nebeneinander und sagten nichts. Als ich gerade wieder aufstehen wollte, fing er an zu reden.

„Ich weiss, es ist sehr verwirrend für dich. Ich meine, du hast absolut keine Ahnung mehr von allem, kennst die Leute nicht, hast keine Erinnerungen mehr an sie und dann erzählst du es mir und wartest auf eine Reaktion und statt dir diese zu geben, küsse ich dich einfach und entschuldige mich bei dir danach und verschwinde wieder sofort. Du verstehst nicht warum ich nicht zu dir komme und es mit dir berede oder warum ich nicht dir helfe hier zu Recht zu kommen. Nein stattdessen stehe ich auf der anderen Seite des Schulhofes und habe dabei eigentlich nur eine Frage in meinem Kopf: Warum habe ich dich geküsst? Warum verdammt noch mal habe ich dich geküsst? Ich meine, versteh es nicht irgendwie falsch, dass ich es bereue oder so. Obwohl vielleicht doch… ach ich habe doch keine Ahnung. Das einzige was mein Problem dabei ist, seit ich dich geküsst habe, gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich meine ja, ich hatte schon viele Mädchen. Aber wirklich, ich hatte alle nur zu meinem Spass. Keiner davon war meine feste Freundin oder so. Und vor allem, keiner von ihnen hat es jemals geschafft, sich in meinem Kopf einzunisten. Aber ganz ehrlich. Seit gestern auf dem Ball, gehst du mir nicht aus dem Kopf. Du.. in diesem Kleid.. einfach nur wunderschön sahst du aus. Deine Nähe macht mich irre. Ich meine, ich habe mich bisher noch nie so gefühlt. Und heute Morgen.. die Umarmung.. deine Nähe.. Der Drang dich zu küssen war einfach zu gross. Und seitdem fühle ich nur noch deine Lippen auf meinen und will ständig bei dir sein. Wieder deine Lippen auf meine spüren. Doch ich habe Angst, dass du es nicht zulässt. Denn du warst noch nie wie die anderen Mädchen. Du hast dich nicht durch meinen Anblick täuschen lassen. Du kanntest mein wahres Gesicht und trotzdem hast du mich als Freund angenommen. Doch nun hast du keine Erinnerungen mehr und ich weiss nicht, was erlaubt ist und was nicht. Also hilf mir und sag es mir. Darf ich dich küssen?“

Jason hat sich zuerst in Rage gesprochen, doch wurde dann immer leiser, bis er in einem Flüstern endete. Er war mir immer näher gekommen, bis sein Gesicht meinem so nahe war, dass unsere Nasenspitzen sich bereits berührten. In seinen Augen sah ich seine Zuneigung zu mir. Doch ich konnte auch Angst darin sehen. Angst, dass ich ihm den Kuss nicht gewähren würde. Angst, dass ich ihn, den coolen Jason, verletzen könnte. Angst, dass ich ihm das Herz brechen würde. Denn auch wenn ich meine Erinnerungen nicht mehr hatte, konnte ich mit Sicherheit sagen, noch nie war er verliebt gewesen oder hat nur die Bedeutung dieses Wortes verstanden. Bis jetzt.

„Ich meine, er hat wohl schon lange ein Auge auf dich geworfen. Und ehrlich jetzt. Er ist heiss und dass der ach so coole Jason sich verliebt hat, und das auch noch in dich, ist einfach nur fantastisch.“

Ja, Sarah hatte wohl gestern Recht behalten. Jason war in mich verliebt. Doch wie lange schon, dass es sogar Sarah bemerkt hatte, aber Jason es erst seit gestern mit Sicherheit wusste? Klar, könnte ich jetzt ihm den Kuss verwehren und damit mein Herz schützen. Denn er ist ein Player. Geboren um Herzen zu brechen und meines wird er auch mit Sicherheit brechen. Doch auch ich wollte seine Lippen wieder auf meinen spüren. Das Gefühl der Geborgenheit und der Wohlbefindlichkeit in der Nähe von ihm fühlen. Daher konnte ich einfach nichts anderes als ein ja zu krächzen. Und schon trafen seine weichen Lippen auf meine. Das Gefühl war so berauschend. Er bewegte seine Lippen langsam auf meine und seine Hände legte er auf meine Wangen. Seine Fingerspitzen strichen zärtlich über meine Wangenknochen und hinterliessen ein seltsames Gefühl. Ich legte meine Hände auf seine Brust und fühlte seine starken Muskeln unter seinem T-Shirt. Ich konnte es den anderen Mädchen echt nicht verübeln, ihm so hinterher zu gaffen. Er sah ja nicht nur so Hammer aus. Nein, er konnte auch verdammt gut küssen. Langsam entfernte er sich von mir und ein schüchternes Lächeln umspielte seine Lippen.

„Kate.. Willst..Willst du.. meine.. meine.. Freundin sein?“

Tausende Gedanken schossen mir wild durch den Kopf. Ich, seine Freundin, wir würden zusammen sein, Eifersuchtsattacken der anderen Mädchen. Doch keines der Gedanken war wichtig als ich wieder das Gefühl von seinen Lippen auf meinen in mir spürte. Sein Blick, wie er mich ansah, voller Wärme, der fantastische Abend mit ihm gestern. Auch jetzt, seine Nähe verursachte bei mir warme Schauer, sein warmer Atem, der mich auf dem Gesicht traf brachte mich meinen Gehirn auszuschalten. Ich konnte nichts anderes als zu nicken, denn ihm zu antworten wäre ich auf keinen Fall fähig. Sofort erstrahlte sein Gesicht und voller Freude kam er wieder näher, um mich stürmisch zu küssen. Seine Zunge strich über meine Lippen und ich gewährte ihm Einlass. Unsere Zungen spielten ein verrücktes Spiel und zum ersten Mal seit meinem Gedächtnisverlust konnte ich meine Gedanken verschwinden spüren. Er zog mich immer näher, sodass ich letztendlich fast auf seinem Schoss sass. Nachdem uns die Luft fast ausgegangen war, lösten wir uns voneinander und schauten uns in die Augen. Sein Blick war so intensiv, dass ich meinen Blick einfach nicht von ihm lösen konnte. Die Schulglocke unterbrach diesen schönen Moment und räuspernd stand Jason dann auf. Er hielt mir die Hand hin, die ich auch ergriff und zog mich hoch. Er legte mir einen Arm um die Taille und küsste mich kurz. Danach liefen wir gemeinsam in das Schulhaus.

„Also die nächsten zwei Stunden hast du dann mit mir. Wir haben jetzt beide Zeichnen bei Herrn Wulf. Er ist eigentlich sehr nett und lässt uns eigentlich oft frei arbeiten. Momentan sind wir an einer Bleistiftzeichnung. Das Motiv durften wir frei wählen. Wir haben noch diese zwei Stunden und danach müssen wir fertig sein. Deine angefangene Zeichnung hast du in deinem Spind, denke ich.“ Damit führte er mich zu meinem Spind. Doch auf dem Weg dorthin bemerkte ich die vielen Blicke und hörte das viele Getuschel. Erst jetzt fiel mir auf, Ich, war mit Jason, dem begehrtesten Jungen dieser Schule, zusammen.

„Mach dir keine Gedanken über die anderen. Die sind doch alle nur eifersüchtig. Die Mädchen eifersüchtig auf deinen Platz an meiner Seite und die Jungs eifersüchtig, dass sie dich nicht haben können. Immerhin bist du eine Naturschönheit“, raunte er in mein Ohr, während ich nach meiner Zeichnung in meinem Spind griff. Meine Nackenhaare stellten sich auf von seiner tiefen Stimme und seiner Nähe. Seinen Arm um meine Taille hat er immer noch nicht gelöst, was auch der Grund für das Getuschel war. Als wir wieder losliefen zum Zimmer, fiel mir auf, dass er seine Zeichnung nicht in der Hand hielt.

„Willst du deine Zeichnung nicht auch noch holen?“, fragte ich ihn.

Er lächelte mich nur an. „Ich habe meine Zeichnung bereits in meiner Tasche. Ich habe es nach Hause mitgenommen um ein wenig weiter zu arbeiten. Denn nur in der Stunde wäre ich nicht fertig geworden. Vier Stunden würden mir nicht reichen für diese Zeichnung.“ Nun war mein Interesse geweckt und ich fragte ihn, ob ich seine Zeichnung sehen könnte. Er schüttelte nur lächelnd seinen Kopf. Als er mich dann schmollen sah, küsste er mich kurz und raunte nahe meinem Ohr, ich würde es zu sehen bekommen, wenn es vollendet sei. Wir liefen in ein Zimmer, das voller Malsachen war und Jason steuerte einen Platz ziemlich weit hinten an. Leise flüsterte er dann, dass ich so ziemlich bei jedem Fach hinten sässe. Nachdem ich an diesem Platz meine Sachen hervorgeholt hatte und die Zeichnung nun öffnete, sah ich einen Elefanten. Die Zeichnung sah nun mal nicht schlecht aus, aber es haute einem auch nicht gerade um. Jason hinter mir lächelte und fragte mich, ob Elefanten meine Lieblingstiere waren. Nach einer Weile des Überlegens zuckte ich die Schultern, da ich wirklich keine Ahnung hatte.

„Stimmt ja, keine Erinnerungen. Tut mir Leid. Habe es vergessen“, entschuldigte sich Jason bei mir und steuerte einen Platz in der Nähe von mir an, als er die Schritte von Herrn Wulf wahrnahm. Er holte seine Zeichnung aus seiner Tasche und rollte es aus. Ich versuchte zu erkennen, was er wohl zeichnete. Doch ich konnte beim besten Willen seine Zeichnung nicht erkennen. Schliesslich gab ich es auf und widmete mich meiner Zeichnung. Ich habe die letzten Stunden nur die Konturen gezeichnet gehabt und musste noch das Innere vollenden. Doch bevor ich auch nur einen Strich machen konnte, räusperte sich Herr Wulf und lenkte die Aufmerksamkeit aller Schüler auf sich.

„Guten Tag. Nun letzte Woche haben wir ja mit unseren Bleistiftzeichnungen angefangen und wie bereits gesagt, solltet ihr es heute beenden. Wer nicht fertig wird, bekommt einfach eine Note Abzug. Die Theorieblätter zu eurem Auftrag habt ihr ja bereits. Ich gehe auch bei jedem von euch mal vorbei um zu sehen, wie weit ihr bereits seit. Das Licht und Schattenspiel solltet ihr auch in eurer Zeichnung mit einbeziehen. Die Blätter dazu habe ich schon beim letzten Auftrag verteilt. Da könnt ihr nachlesen, wenn ihr etwas vergessen habt. Und nun ran an die Arbeit und nutzt die Zeit. Schliesslich geht es um eure Note.“

Schon nahmen alle ihre Bleistifte in die Hand und legten los. Ich nahm zuerst den weichen und zeichnete grob die Innenlinien und verschmierte sie jeweils, wie es gerade zum Bild passte. Mit dem mittelharten bearbeitete ich dann eher die Feinstruktur. Mit dem Weichen wieder konnte ich gute Schatteneffekte erzeugen und durch das Radieren konnte ich einige helle Flecken erzeugen, womit ich die Lichtreflektion ermöglichen konnte. Ich war so in meiner Arbeit vertieft, dass ich meine Umgebung nur noch schwach wahrnahm. Irgendeinmal stand dann Herr Wulf hinter mir und schaute mir beim Arbeiten zu. Er nickte zufrieden und ging dann weiter zu Jason. Dieser war so hochkonzentriert mit seiner Arbeit, dass er nichts weiter bemerkte, was in seinem Umfeld passierte. Einige seiner dunklen, braunen Strähnen fielen ihm in die Stirn und seine braunen Augen verrieten keine Gefühlsregung. Herr Wulf betrachtete einige Sekunden das Bild, lächelte, schaute dann mich einmal an und ging dann weiter zum nächsten Schüler. Was hatte das denn zu bedeuten. Warum hat er mich jetzt so komisch angeschaut? Wollte er etwa kontrollieren, ob ich stets am arbeiten war? Doch hätte er mich dann nicht ermahnen müssen weiter zu arbeiten? Oh man! Der Tag war echt verwirrend und anstrengend. Ich wartete einfach nur auf das Klingeln der Schulglocke, die das Erlösen dieser Schulstunde verkündete. Kopfschüttelnd widmete ich mich wieder meiner Zeichnung und feilte weiter daran herum. Endlich klingelte es und kündete somit die nächste Stunde an. Schnell packte ich meine Sachen und nahm meine Zeichnung in die Hand. Ich gab es vorne bei Herrn Wulf ab und wartete auf Jason. Ich war einfach nur froh, dass ich fertig geworden bin. Jason lächelte zufrieden und machte die letzten Striche bevor er alles einpackte. Ich ging auf ihn zu und wollte die Zeichnung betrachten. Doch bevor ich bei ihm ankam, hatte er mich bereits bemerkt, packte schnell seine Zeichnung und gab es lächelnd dem Lehrer ab. Auf meinen verwirrten Blick gab er mir nur schnell einen Kuss und zog mich schnell aus dem Zimmer, weil wir schon die letzten waren und bald die nächste Stunde anfing. Erst als wir wieder meinen Spind ansteuerten, kam mir in den Sinn, dass ich noch meine Sporttasche dabei hatte und wir somit in der letzten Stunde Sport hatten. Daher packte ich schnell meine Tasche in den Spind und holte meine Sporttasche heraus. Als ich mich umdrehte, war Jason immer noch da.

„Die Sportstunde hast du wieder in deiner Klasse. Da bin ich leider nicht dabei. Aber häng dich an Sarah dran. Jan und Leila sind dann auch dort. Ich muss los in die Mathestunde. Ich warte dann draussen beim Baum auf dich. Also tschüss, bis später.“ Mit einem kurzen Kuss verabschiedete er sich von mir und ging zügig durch die Schülermasse. Als ich mich wieder umdrehte, stand ich einer grinsenden Sarah gegenüber.

„Oh, du musst mir alles erzählen, Liebes.“
Mit diesen Worten griff sie meine Hand und schleifte mich zu einem anderen kleineren Gebäude in der Nähe und wir traten dann in die Garderobe. Es waren noch nicht viele da und ich steuerte eine Ecke an und liess dort meine Tasche fallen. Zwei Hände an meiner Schulter drehten mich zu Sarah um und grinsend wartete sie auf meinen kleinen Vortrag. Da ich keine andere Wahl hatte, seufzte ich auf und nahm langsam meine Sachen aus der Tasche.

„In der Pause, als ich eben verschwunden bin, da war ich bei Jason. Wir hatten vereinbart uns in der Pause draussen zu treffen. Dann hat er plötzlich angefangen zu reden und mir quasi seine Liebe erklärt. Es floss aus ihm wie ein Wasserfall heraus. Er hörte einfach nicht auf zu reden. Na ja. Schlussendlich küssten wir uns und er fragte mich, ob ich seine Freundin sein möchte und ich konnte nur ja sagen. Und nun sind wir zusammen“, endete ich meinen kleinen Monolog. Ich merkte selbst, wie mein Lächeln immer breiter wurde, bis ich auch grinste. Sarah quietschte kurz und umarmte mich dann.

„Ich freu mich so für dich. Wir wussten alle, dass es einmal soweit sein würde. Aber er hat solange dafür gebraucht. Echt ey, das war fast nicht mehr zum Aushalten. Einen Monat länger und wir hätten euch wahrscheinlich in ein Zimmer gesperrt und gesagt, er solle es dir endlich sagen. Aber zum Glück habt ihr es ja selbst geschafft. Aber wir reden später darüber. Los, bevor wir noch zu spät sind.“
Wir beide waren schon fertig angezogen und betraten die Halle. Einige Jungs waren auch schon dort und sassen auf den Bänken herum. Als ich mich umblickte, traf ich auf einige seltsame Blicke. Irgendwo dazwischen konnte ich Jan ausmachen der mich wissend angrinste. Gott! Wussten es etwa alle? Gingen die Gerüchte hier so schnell herum oder was? Ich meine wir sind erst seit zwei Stunden zusammen und schon weiss es die ganze Schule. Aber immerhin ging es hier ja auch um Jason. Bei seiner Beliebtheit war das nun wirklich kein Wunder. Man wusste wahrscheinlich sogar, wann, wo und mit wem er ins Klo ging. Sarah und ich setzten uns auch hin und warteten auf die anderen Schüler/Innen und auf den Lehrer. Auf dem Stundenplan in meinem Spind hatte ich noch gelesen, dass unser Lehrer Herr Theiss hiess. Als dann die meisten anwesend waren, kam Herr Theiss aus dem Geräteraum und hatte zwei weiche Bälle in der Hand. Schnell kamen die letzten Schüler noch gerannt und entschuldigten sich bei Herrn Theiss. Er rief uns schnell zu, dass wir Völkerball spielten und dies auch noch Mädchen gegen Jungs. Also stellten wir uns alle auf und fingen an zu spielen. Ich konnte vielen Bällen ausweichen. Doch zu einem unvorsichtigen Moment wurde ich von diesem schwarzhaarigen Jungen von der Mittagspause getroffen und musste in den Himmel. So spielten wir eine ganze Weile und durch einen Treffer konnte ich wieder hinein gelangen. Nach einer ganzen Weile war mit mir ein anderes, rothaariges Mädchen im Feld und drei Jungs waren im Gegnerfeld. Gerade wurde einer davon abgeschossen und zu zweit standen wir jeweils in den Feldern. Da der Lehrer meinte, es würde noch lange dauern, schickte er die Leute im Himmel schon mal weg und die machten eine gemütliche Trinkpause. Schliesslich gewann unser Team und die Mädchen, die gespannt zugeschaut haben, rannten auf uns zu und gratulierten uns in Form von Umarmungen und Lob. Auch Leila gratulierte mich. Aber mit einem freudigen Lächeln und leeren Augen. Nur wenn man genau schaute, konnte man auch die tiefe Trauer dahinter sehen. Sie versuchte es zu überspielen. Sie verwirrte mich echt sehr. Ich meine schon gestern hatte sie so einen traurigen Ausdruck in den Augen gehabt und jetzt wieder das. Als Leila mir gratulierte, berührte sie kurz meine Schulter. Sofort schossen mir wieder Stromschläge und einige Bilder durch den Kopf.

Wir schaukelten gegeneinander und versuchten höher als die andere zu sein. Wir waren nur einige Jahre jünger als jetzt. Wir lachten ausgelassen und auch kein böser Funke war in Leilas Augen. Nein, sie funkelten nur so vor Freude, wie auch meine. Dann kam ein anderes Bild, wie wir an einer Lichtung standen und uns stritten. Das konnten nun höchstens zwei oder drei Jahre her sein. Es gab viele Gebüsche, sodass man sich gut verstecken konnte. Wir stritten sehr heftig und schliesslich war ich es, die zuerst diesen Park verliess. 

Wieder fragte ich mich was diese Bilder sollen. Ich meine, konnte ich wirklich solche Visionen sehen? Ich nahm wieder die Umgebung wahr und bemerkte wie auch bei Jason, dass sie wohl nichts von meinen “Visionen“ mitbekamen. Das ganze Zeug verwirrte mich jetzt umso mehr und ich hatte die Vorahnung, dass zwischen Leila und mir etwas passiert war, aber niemand davon Bescheid wusste. Ich musste nun nur noch herausfinden, was damals geschehen war, dass sie so seltsam zu mir war.

Ein Händeklatschen erlöste mich von meinen Gedanken und ich setzte mich auf die Bank zu den anderen. Sarah reichte mir eine Wasserflasche, die ich dankend annahm. In grossen Schlücken leerte ich die halbe Wasserflasche und gab sie Sarah zurück. Herr Theiss stand vorne und lobte das Mädchenteam und wir warteten auf weitere Anweisungen zum Aufstellen der Dinge. Diese gab Herr Theiss uns auch schon und wir stellten alles schnell auf, damit wir auch länger trainieren konnten als Aufstellen. So verbrachten wir die restliche Stunde mit trainieren und als es zum Schulschluss läutete, verräumten wir alles schnell und verabschiedeten uns von Herrn Theiss. Ich zog mich schnell um, liess mich von niemandem ansprechen und flüchtete fast aus der Garderobe. Am Spind nahm ich schnell noch meine restlichen Sachen und lief auf den Baum zu, wo Jason bereits wartete. Unglaublich wie er dort so lässig stand. Einige Strähnen fielen ihm auf die Stirn und aufgeregt huschten seine Finger auf dem Display seines Smartphones herum und wurden von seinen Augen verfolgt. Seine Gesichtszüge wirkten aber sehr entspannt und die leichten Sonnenstrahlen und die Schatten der Blätter malten ein Muster auf seinem Gesicht. Schliesslich stand ich dann bei ihm und er steckte schnell das Handy weg, während er mir leicht zulächelte. Er gab mir kurz einen Kuss, schlang seine Arme dann um meine Taille und wir liefen los. Während dem Heimweg unterhielten wir ein wenig und ich musste wiedermal oft schmunzeln. Als wir dann vor unserem Haus standen, verabschiedete er sich mit einem langen Kuss von mir und ich trat ins Haus. Ich hörte, wie meine Mutter etwas in einem Topf rührte und ging deshalb in die Küche, nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte. Isa sass im Wohnzimmer und schaute fern. Von heute Morgen wusste ich noch, dass sie früher Schluss hatte als ich. Aus dem Kühlschrank holte ich mir eine Kleinigkeit zu essen und ging dann hoch in mein Zimmer um meine Hausaufgaben zu lösen. Meine Tasche stellte ich neben meinem Schreibtisch ab und fing an, sorgfältig die Aufgaben zu lösen. Als ich dann schliesslich fertig war, schaute ich auf die Agenda. Für diese Woche war nichts Weiteres eingetragen und ich war einfach nur noch froh darüber. Ich blickte zu meinem Laptop und fuhr ihn hoch in der Hoffnung dort etwas Wichtiges über mich und meinem Leben zu erfahren. Ich durchforstete meine Ordner, doch ich fand nichts, dass mir weiterhelfen könnte. Nicht einmal irgendwelche Bilder oder Videos fand ich. Ich hatte sicher irgendwelche Fotos oder Videos gemacht, dachte ich. Also überlegte ich, wo ich diese hingetan haben könnte. Ein Gedanke durchzuckte mich und ich fing an in meinen Schubladen und Schränken zu suchen. Dann auf dem kleinen Regal hoch über dem Schreibtisch entdeckte ich es und verband es mit dem Computer. Sofort tauchten zwei neue Ordner auf. Eines hiess Schule und das anderes Fotos. Also klickte ich letzteres und hoffte dort auf mehr Informationen zu stossen. Zu meinem Glück tauchten sehr viele Fotos auf. Ich fing beim ersten an und ging alle Bilder durch, die in diesem Ordner gespeichert waren. Anfangs fand ich nur Bilder mit meiner Familie. Einmal am Strand, dann wieder vor einem grossen Haus, das nicht unseres war, eines auf einer grossem Park, dann noch viele vor Sehenswürdigkeiten. Anhand dieser Fotos tippte ich mal, dass wir viel reisten. Und das wahrscheinlich schon seit langer Zeit. Denn anfangs war Isa nicht dabei, aber danach war sie auch auf den Fotos zu sehen. Ich sah dabei meinen Vater zum ersten Mal und merkte, dass er mehr Ähnlichkeiten mit Isa hatte als mit mir. Denn er hatte dunkelblonde Haare, die fast ins Braune hinüber gingen und haselnussbraune Augen. Er hat markante Gesichtszüge und seine kleine Nase rundete das freundliche Gesicht ab. Ich ging weiter und die Familienfotos waren schliesslich zu Ende. Nun fingen die Fotos an, die ich mit meinen Freunden geschossen habe. Als erstes sah ich einige Bilder von mir, Sarah und das dunkelhäutige Mädchen. Nach ihrem Aussehen und ihrer Art her würde ich auf eine Inderin tippen. Ich wusste einfach nicht wie sie hiess und es wollte mir auch nicht einfallen. Wir lachten immer fröhlich auf allen Fotos und es war wirklich sehr gut zu erkennen, dass wir Freundinnen waren. Dazwischen waren natürlich auch einige Fotos die ich nur mit Sarah oder mit dem anderen Mädchen geschossen habe. Aber anhand meiner Information bisher, dachte ich, dass Sarah und ich beste Freundinnen waren. Das andere Mädchen hing auch oft mit uns herum. Aber in einem Notfall würde ich mich als erstes an Sarah wenden. Nach diesen Fotos kamen viele Fotos von unserer Clique. Also mit den Jungs. Zu fünft waren wir an verschiedenen Orten in verschiedenen Posen auf den Fotos zu sehen. Wir blickten immer fröhlich und munter in die Kamera. War ja schliesslich kein Wunder. Denn wie konnte man bei diesen vier deprimiert sein. Nach diesen Fotos folgten einige Bilder von meinen Geburtstagen. Die fünf waren immer drauf, was mich aber auch wunderte war, Jason war auch drauf. Auf den vorherigen Bildern hatte ich ihn bisher nicht entdeckt. Und auf diesen Bildern nun, war Jason oft im Vordergrund. Schliesslich folgten nur noch Bilder von mir und Jason. Wie wir als Kleinkinder im Sandkasten um diesen Eimer stritten. Das war das Bild von meiner Vision heute Morgen. Es sah wirklich zu süss aus, wie wir als kleine Kinder versuchten böse zu funkeln. Vor allem mit den grossen, kindlichen Augen und den dicken Backen. Immer wieder tauchten Bilder von unserer Kindheit auf, wie wir uns eben ständig stritten. Doch ab der dritten Klasse fand ich nur noch Bilder, auf denen wir freundschaftlich miteinander umgingen. Jason hatte also nicht gelogen, was diese Tatsache betraf.

„Denn befreundet sind wir ja erst seit der 3.Klasse. Vorher waren wir ja verfeindet, wie du weisst.

Einmal waren da Bilder wie er mir versuchte das Skaten beizubringen, dann wieder Bilder wie wir herumalberten, gemeinsam tanzten und schliesslich auch ein Bild wie wir nass vor unserer Haustüre standen und den Kopf gesenkt hatten. Wahrscheinlich wurde das geschossen, nachdem wir die Wasserschlacht beendet hatten und nach Hause ankamen. Sicherlich waren wir darauf vorbereitet Ärger zu kriegen. Das Bild nach der Wasserschlacht selber, bei der wir auf der Wiese lagen, konnte ich aber nicht finden. Schliesslich fand ich weitere Bilder, wie wir zusammen abhingen und das nicht einmal vor langer Zeit. Viele Selfies mit ihm konnte ich entdecken und musste bei diesen Bildern wirklich sehr lachen. Die sahen aber manchmal auch zu lustig aus, wie wir Grimassen schnitten. Schliesslich endeten die Bilder mit ihm und andere Bilder, unerwartete Bilder konnte ich ausmachen. Neugierig schaute ich sie mir an. Leila und ich schaukelten gegen die Wette und lachten fröhlich. Auf dem nächsten lag ich auf dem Boden mit einem aufgeschürften Knie und lachte nur. Leila sass daneben und schaute mich verwirrt an. Auf dem nächsten lachte sie auch mit und beide sassen auf dem Boden, ich mit einem aufgeschürften Knie, und lachten ausgelassen. Dann kamen einige Fotos mit ihr und unserer Clique. Jason war zu meiner Verwunderung auch dabei. An vielen verschiedenen Orten waren sie aufgenommen und von diesen vielen Bildern, waren die meisten Gruppenselfies. Dabei musste ich auch oft schmunzeln, obwohl die Bilder mich wirklich verwirrten und mich ins Grübeln brachten. Aber die Bilder, auf denen ich mit Leila abgebildet waren, endeten und das Letzte war in dem Alter von etwa fünfzehn oder sechzehn. Also vor etwa zwei, drei Jahren. Was war damals denn passiert? Und weshalb habe ich mich mit Leila gestritten, dass sie nun so distanziert gegenüber mir war? Ausserdem warum war Jason auf einigen der Bilder mit der Clique abgebildet, aber dann wieder bei den anderen nicht? Was war nur los? Meine Vergangenheit war mir wirklich ein Rätsel und ein Sherlock Holmes, der mir dieses Rätsel lösen könnte, wäre nun wirklich nur mehr als praktisch. Ich fand nur noch viele Videos und heute konnte ich die alle sicherlich nicht mehr anschauen. Denn schneller als ich gedacht hatte, war die Zeit vergangen und nun war es bereits sieben Uhr. Ich steckte die Festplatte aus, verräumte sie an ihrem rechten Platz und ging dann hinunter um zu essen. Isa sass wie immer bereits am Tisch und wartete auf das Essen. Ich nahm auch schnell Platz und schon kam Mum mit dem Topf in der Hand. Schnell luden wir unsere Teller voll und assen schweigend, wobei assen wohl übertrieben war. Denn nur meine Mutter ass in aller Ruhe und sah uns amüsiert zu. Ich verschlang das Essen regelrecht und Isa schlürfte die Spaghetti und verteilte einige Flecken auf ihrem Kleid. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich einen so grossen Hunger hatte. Nachdem wir fertig waren, machte ich schnell den Abwasch und ging dann hoch in mein Zimmer. Ich legte mich auf das Bett und dachte ein wenig nach. Kurze Zeit später stand Isa in einem pinken Pyjama und einem Teddybären in der Hand an meiner Türe.

„Kate, liest du mir eine Gute-Nacht-Geschichte vor?“, fragte sie mich mit grossen Augen und ich tat ihr den Gefallen ohne viel nachzudenken. Während sie es sich in ihrem Bett bequem machte, nahm ich ein Buch aus einem der Regale und las sie es ihr vor. Nach einer Weile fielen ihr die Augen zu und einige Minuten darauf war sie schon eingeschlafen. Mit einem sanften Lächeln stand ich langsam auf und verliess leise ihr Zimmer. In meinem Zimmer angekommen fing ich sofort an zu suchen. Denn während dem Vorlesen hatte ich einen Einfall gehabt. Doch auch nach einer ganzen Stunde vergeblicher Suche fand ich kein Tagebuch von mir. Ich nahm mir vor diesen Fehler sofort zu korrigieren und suchte in meiner Schublade nach einem leeren Buch und fand prompt einen. Ich holte mir einen Stift und setzte mich auf mein Bett und fing an, alles aufzuschreiben, was bisher geschehen war. Auf diese Weise könnte ich auch in Zukunft, falls ich wieder mal einen Gedächtnisverlust hatte, mein Leben rekonstruieren. Danach war ich so müde, dass ich schnell einschlief. 

Kapitel 4

Das ständige Piepen in meinen Ohren teilte mir mit, dass es Zeit war aufzustehen. Also liess ich den Wecker verstummen und trottete mit halbgeschlossenen Augen ins Bad. Ich machte mich schnell fertig und ging in meinem Zimmer mich anziehen. Schnell packte ich meine Tasche und lief hinunter und begrüsste Mum wie schon gestern. Ich wollte gerade hinauf und Isa wecken gehen, als meine Mutter mich aufhielt und mich informierte, dass sie heute später Schule hatte. Leider war mir zu diesem Moment nicht aufgefallen, dass ich eigentlich das wissen sollte, aber Mum mich trotzdem erinnert hatte. Also ass ich in Ruhe mein Frühstück, gab Mum kurz einen Kuss auf die Wange und verabschiedete mich von ihr, ging im Flur meine Schuhe anziehen und trat hinaus. Sobald ich die Tür geschlossen hatte und mich umdrehte, wurde ich auch schon an der Taille festgehalten und prompt geküsst. Zuerst reagierte ich nicht, doch ich erkannte sofort wer es war und erwiderte den Kuss. Nach kurzer Zeit löste er sich langsam von mir und ich sah, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln hoben.

„Hey! Ich hoffe du hast gut geschlafen und von mir geträumt“, begrüsste Jason mich. Ich konnte nur schmunzeln und ihm einen spielerischen Stoss geben.

„Ja, ich habe gut geschlafen. Aber leider muss ich dich enttäuschen, denn ich habe nicht von dir geträumt.“ Nein, denn ich hatte eine traumlose Nacht zum Glück. Wir liefen langsam los und Jason zog eine beleidigte Miene, was mich nur zum Lachen brachte und ich gab ihm einen kurzen Kuss. Den Schulweg verbrachten wir redend und lachend und als wir schliesslich am Schulhof ankamen, gesellte ich mich zu meiner Clique und Jason verschwand kurz.

„Hey Kate! Wo geht denn Jason hin?“, fragte Sarah mich verwirrt.

„Ach, er wollte seine Freunde begrüssen. Nur weil wir zusammen sind, heisst das ja nicht, dass wir aneinander hängen müssen“, meinte ich schulterzuckend. Doch kaum hatte ich diesen Satz zu Ende gesprochen, sah ich schon wie Jason mit funkelnden Augen zu uns hinüber kam, mich besitzergreifend an sich drückte und mir einen kurzen Kuss auf die Lippen gab. Okay… Was war denn das gewesen? Den Anwesenden schenkte er ein gespielt fröhliches hey und ich konnte seinen Blick nicht definieren, den er den anderen zuwarf. Weshalb benahm er sich so seltsam? Er war doch früher auch mit den anderen gut befreundet gewesen oder irrte ich mich da? Na ja. Ich hatte keine Ahnung, doch ich konnte nur Sarah wissend grinsen sehen, was mich sehr verwirrte. Mit den Lippen formte sie ein später und ich entspannte mich in den Armen von Jason für einen Moment. Die Schulglocke erklang und ich löste mich von Jason. Bevor ich jedoch einen Schritt gemacht hatte, zog mich Jason wieder zu sich und kam meinem Gesicht sehr nahe. Nahe an meinem Mund flüsterte er mir zu, welche Fächer ich bei wem und mit wem hatte. Für die anderen würde es wie ein langer Kuss aussehen und ich war Jason dafür sehr dankbar. Am Schluss drückte ich ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen und signalisierte ihm mein Danken. Schnell ging ich Sarah hinterher, die nur grinste.

„Na ihr seid ja wie zwei Magneten. Ihr klebt ja förmlich aneinander." Bevor sie noch weiter sprach, stellte ich ihr die Frage, die mir seit vorhin im Kopf herum schwirrte.

„Warum hast du vorhin so gegrinst, als Jason zu uns hinüber kam?" Sarah stoppte mitten im Gang und ich war somit auch gewilligt zu stoppen. Sie betrachtete mich, als wäre ich ein Kleinkind, das nicht verstand, dass man Mamas Schminkkasten nicht benutzen sollte. Ich schaute nur verwirrt zurück und sie begann wieder zu laufen.

„Sag mir nicht, du hättest seine Eifersucht nicht bemerkt", meinte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Eifersüchtig?", fragte ich zweifelnd, während ich wieder neben ihr herlief. Warum sollte Jason eifersüchtig sein und vor allem auf wen? Diese Frage schob ich beiseite, sobald ich das Klassenzimmer betrat. Denn ab da konzentrierte ich mich auf den Unterricht, egal wie langweilig der auch war. Am schlimmsten war die Stunde bei Frau Zunt. Ja, ich weiss, ein echt seltsamer Name. Vielleicht war sie gerade deswegen stets schlecht gelaunt und liess es an uns aus. Die Schulglocke die nach gefühlten Ewigkeiten endlich klingelte, erlöste uns alle von ihrer schrecklichen Stunde.

„Endlich, ich dachte schon, die Stunde endet nie", meinte Jan seufzend. Wir hatten gerade Mittagspause und so schlenderten wir in die Cafeteria. Diesmal stellten wir uns in die Reihen und nahmen noch zusätzlich zwei Tabletts für das dunkelhäutige Mädchen und für den anderen schwarzhaarigen Jungen. Ich musste dringend ihre Namen herausfinden. Wir schlenderten mit dem Essen zu unserem Tisch und da sassen bereits die genannten zwei.

„Hey Kate, danke erstmal fürs Essen. Du kommst doch heute auf die Party oder?", fragte mich das indische Mädchen. Eine Hand an meiner Schulter brachte mich zum Umdrehen und braune Augen die mir schnell näher kamen, brachten meine Augen zum Schliessen. Ein verspielter Kuss entstand und liess die Frage verklingen. Immer noch umgedreht löste ich mich ein kleines bisschen von ihm und da antwortete Jason mir auch schon leise auf die Frage, welche das dunkelhäutige Mädchen mir gestellt hatte.

„Die Party findet bei Dwain statt und du hast schon vor Wochen zugesagt. Meera hatte dich nur gefragt, weil du ja beim Ball umgekippt bist und ob du daher schon wieder Trinkbereit bist." Damit löste er sich endgültig von mir und drehte sich um zu unserem Tisch. Er setzte sich neben mich und erst jetzt bemerkte ich sein Tablett, das er auf den Tisch stellte. Meera hiess also das indische Mädchen. Das half mir zumindest und ich musste sie nicht ständig als “das dunkelhäutige Mädchen“ nennen. Ich räusperte mich kurz, die Tatsache ignorierend, dass Jason hier sass und nicht bei seinem Tisch und antwortete schliesslich mit einem ja sicher. Der Rest der Mittagspause redeten wir über belanglose Dinge und die Klingel kündigte eine neue Stunde an. Wir verschwanden dann für drei Stunden in verschiedene Schulzimmer und kamen schliesslich gegen vier Uhr auf dem Schulhof. Schnell verabschiedeten wir jeweils voneinander und Jason begleitete mich nach Hause. Den Schulweg verbrachte ich meist lachend, denn Jason hatte wirklich Humor. Über die Sache wegen den Fotos und den alten Freundschaften sprach ich nicht. Denn es kam mir vor, als müsste ich dies selbst herausfinden. Schliesslich standen wir vor meinem Haus. Mit einem langen Kuss verabschiedeten auch wir uns und ich ging ins Hausinnere.

 

Es klingelte und schon bevor ich die Tür öffnete, wusste ich, wer da war. Ich öffnete also die Tür und erblickte Jason, der seinen Mund leicht öffnete, als er mich erblickt hatte. Ich trug ein schwarzes, kurzes Kleid und hatte mir Smokey eyes gemacht. Meine Haare hatte ich mir halb hochgesteckt, damit sie mir beim Tanzen nicht allzu sehr störten. Doch er in einem weissen Shirt, welches seine Muskeln betonte und einer blauen Jeans sah nicht minder gut aus. Er schloss schnell seinen Mund, kam eilig rüber zu mir und küsste mich stürmisch. Nach langer Zeit lösten wir schweratmend voneinander und standen keuchend gegenüber.

„Du siehst echt heiss aus", unterbrach Jason unser Schweigen.

„Du siehst auch gut aus", gab ich das Kompliment zurück, nachdem ich mich geräuspert hatte. Damit schloss ich die Tür und machte mich auf dem Weg.

„Die Partys von Dwaine sind sehr beliebt und fast alle kommen da hin. Du wirst sehen, es wird sehr voll sein."
Ich folgte ihm einfach und als ich laute Musik und einen starken Bass hörte, wusste ich, dass wir da waren. Jason klingelte und ein blondhaariger Junge öffnete die Türe und klatschte mit Jason ein. Wir traten ein und Hölle waren da viele. Ich sah in einer Ecke Sarah und die anderen stehen, wollte da hin, als Jason mich an der Taille packte und mich in eine andere Richtung mitzog. Verwirrt sah ich zu Jason rüber, doch er grinste nur. Wir kamen an einem Sofa, auf der Jasons Freunde sassen. Er begrüsste sie alle und setzte sich dann hin und zog mich auf seinen Schoss. Man überreichte ihm ein Gläschen und er trank es auf ex hinunter. Ich bewegte mich etwas unwohl auf ihn, doch da packte er schon meine Taille und flüsterte mir ins Ohr:

„Kate, bitte hör auf, auf mir so zu wackeln, denn ich bin auch nur ein Mann. Dein Aussehen ist schon verboten und dann noch auf mir zu reiben... Mach das einfach nicht wieder, wenn du keine andere Absicht hast."

Damit entliess er mich und ich sprang schon fast fluchtartig auf. Schnell ging ich auf die Toilette und setzte mich auf einen Klodeckel. Was war denn das gewesen? Ich liess mir die Wörter noch einmal durch den Kopf gehen und erst da machte es Klick bei mir. Ich habe ihn heiss gemacht. Hölle, bin ich dumm. Wieso habe ich es nicht sofort gemerkt. Oh man! Schnell ging ich wieder hinaus und ein knutschendes Paar wartete bereits. Meine Güte, hatten die es eilig. Ich ging schnell zu meinen Freunden, denn ich wusste nicht, wie ich Jason gegenüber treten sollte. Bei ihnen setzte ich mich neben dem Schwarzhaarigen und unterhielt mich mit ihm, als er an der Schulter gepackt wurde und einen Kinnhaken verpasst bekam. Erschrocken drehte ich mich um und entdeckte einen wütenden Jason.

„Was fällt dir ein mit MEINER Freundin zu flirten? Ja genau, richtig gehört, sie ist meine FREUNDIN.“

„Hey Alter. Beruhige dich. Ich habe mich mit Kate nur unterhalten.“ Jason wollte schon wieder auf ihn los, als der Schwarzhaarige ihn abwehrte. Dadurch geriet Jason ins Taumeln, fing sich auf dem Tisch ab, wo ein zerbrochenes Glas lag und schnitt dadurch seine Hand auf. Schnell ging ich dazwischen, nahm Jason bei der Hand und zog ihn durch die neugierige Meute hindurch und lief einfach hinauf in ein Badezimmer. Dort suchte ich nach einem ersten Hilfe Kasten fand aber nur ein Desinfektionsmittel. Also nahm ich diese mit und zog Jason in das nächst beste Zimmer, welches ein Schlafzimmer war. Dort durchsuchte ich den Nachttisch und fand einen Verband. Ein kleines Stück davon riss ich ab und reinigte damit die Wunde. Jason verzog nur kaum merklich das Gesicht. Es brannte wohl sehr stark. Während ich ihm den Verband umwickelte, schimpfte ich mit ihm.

„Was ist nur in dich gefahren? Wir haben doch nur geredet?!" Doch bevor ich etwas Weiteres sagen konnte, küsste er mich. Ich spürte starken Alkohol an meiner Zunge, die von seiner umspielt wurde. Deshalb wollte ich mich wieder zurückziehen. Doch der Kuss wurde nur fordernder und Jason packte mich an den Oberarmen. Je mehr ich versuchte den Kuss zu beenden, desto stärker wurde Jasons Griff. Nach langer Zeit liess er dann keuchend von mir ab. Sein Blick war gierig, doch seine Augen waren glasig vom starken Alkohol. Schnell drehte er mich so um, dass ich in das Bett gedrückt wurde, er über mir lag und die Hände neben mir gestemmt hatte.

„Jason, hör bitte auf. Ich will das nicht. Du machst mir Angst“, meinte ich verzweifelt den Tränen nahe. Doch daran dachte Jason wohl überhaupt nicht. Barsch drückte er mir einen Kuss und fuhr mit seinen Händen langsam meine Seiten entlang und stoppte in der Mitte meiner Oberschenkel. Ich wand mich unter ihm, und wimmerte, er solle aufhören. Doch er hielt mich mit einer Hand fest und zog schnell sein Shirt aus.

Etwas in mir schrie, dass ich ihn runterschubsen und weglaufen sollte. Da ich den Überraschungsmoment auf meiner Seite hatte, fiel er wirklich von mir runter, auch wenn er stärker war, und ich lief schnell aus dem Zimmer, die Treppen hinunter, die feiernde Meute ignorierend und warf die Haustüre hinter mir ins Schloss und rannte so schnell wie möglich nach Hause. Der Gedanke, dass Jason mich fast genötigt hatte, jagte mir so eine Angst ein, und auch Enttäuschung kroch in mir hoch. Die Tränen liefen mir still die Wangen hinab. Leise Schluchzer durchdrangen die Stille der Nacht. Ich dachte, er liebte mich wirklich und nicht nur Sex war für ihn so wichtig. Doch was erwartete ich denn nur. Wir sprachen hier gerade von Jason. Dem Player schlechthin. Natürlich wollte er nur ins Bett mit mir. Aber dass er es so eilig hatte und unsere Beziehung nur zwei Tage dauerte, das hätte ich jetzt echt nicht gedacht. Ein trauriges Lächeln kroch mir über die Lippen und das bittere Gefühl verliess mich nicht. Aber vielleicht sollte ich auch freuen, dass es immerhin zwei Tage gedauert hatte. Egal was ich auch empfinden sollte, jetzt war ja eh alles vorbei. Zuhause lief ich leise in mein Zimmer, zog mich um und schminkte mich noch schnell ab, bevor ich in einen unruhigen Schlaf verfiel. Die Nacht wachte ich ständig auf von Albträumen, in denen Jason gegen meinen Willen mich unsittlich anfasste. Ständig sah ich Bilder wie er mich immer wieder verletzte. Und wenn ich ihm etwas nicht geben wollte, nahm er es sich einfach. Das Vibrieren meines Handys holte mich dann zum Glück aus meinem Schlaf. Doch als ich den Namen erblickte, schmiss ich es sofort wieder weg. Zum Glück landete es auf meinem flauschigen Teppich und ging nicht kaputt. Schnell ging ich in das Badezimmer und duschte um frisch zu werden. Denn wach war ich bestimmt. Doch die Dusche brachte mich zum Nachdenken. Weshalb rief jetzt Jason wieder an? Wollte er mir etwa drohen, nur weil ich nicht mit ihm schlafen wollte? War vielleicht sogar er es, der mir diese SMS geschrieben hatte?

„Veilchen sind blau, Rosen sind rot, die Katze macht miau und Kate ist bald in Not.“

Denn ich glaubte zu wissen, dass man die ersten zwei Sätze bei Liebesbriefen schrieb. Und das mit der Not traf ja vielleicht auf gestern Abend zu. Um mir den Kopf nicht noch mehr zu zerbrechen, stieg ich schnell aus der Dusche, trocknete mich ab, ging in mein Zimmer etwas anziehen, holte mein Tagebuch heraus und schrieb die Ereignisse von gestern auf. Dies sparte mir viel Nachdenken. Ausserdem war es früh am Morgen und niemand war wach. Ich fragte mich nur, weshalb Jason dann um sechs Uhr morgens mich anrief. War er vielleicht bis dahin auf der Party? Oder war er bereits nach dem 'Unfall' nach Hause gegangen? Trotz dieser Enttäuschung kam ich nicht umhin, mir Sorgen um ihn zu machen. Hölle, was lief nur mit mir falsch! Oh man. Ich war ja richtig gespannt, was der Tag noch alles mit sich bringen würde.

Kapitel 5

Nach etlichen Anrufen und SMS gab Jason auf mich zu erreichen und erleichtert nahm ich mein Handy in die Hand. Gerade als ich eine SMS von Sarah öffnen wollte, rief Jason wieder an und somit wurde der Anruf angenommen. Obwohl der Drang gross war, einfach aufzulegen, brachte ich es doch nicht übers Herz. Was stimmte nicht mit mir?

 „Kate, endlich. Bitte hör mir zu. Ich weiss, ich kann nicht einfach mal bei dir so entschuldigen und dann ist es vergessen. Aber es tut mir wirklich so leid. Ich hatte viel zu viel Alkohol getrunken und war nicht mehr ganz bei mir. Okay, nein, ich war völlig betrunken. Aber in diesem Kleid sahst du einfach zu gut aus. Ich konnte dir einfach nicht widerstehen. Und als ich dann noch gesehen habe, wie du mit Ryan geredet hast, wurde ich eifersüchtig und wollte einfach nur klarstellen, dass du mir gehörst. Es tut mir so leid. Bitte verzeih mir Kate. Ich will nicht unsere Beziehung nach zwei Tagen schon enden lassen. Bitte Kate!“ Er flehte wirklich herzrührend und ich konnte ihm einfach nicht böse sein. Die Fotos gingen mir durch den Kopf und seine kleinjungenhafte Art kompensierte auch ein Stück. Ausserdem war er der einzige, der von meinem kleinen Geheimnis Bescheid wusste. Klar, werde ich diese Sache nicht einfach so vergessen. Aber ich will ihm eine Chance geben und somit räusperte ich mich, bevor ich zu ihm sprach.

„Na schön, wir müssen reden. Um 14 Uhr bei dem alten Spielplatz.“ Mit diesen Worten legte ich einfach auf und stiess einen langen Seufzer aus. Ich checkte meine Nachrichten ab und las darunter auch eine besorgt klingende SMS von Sarah. Offenbar hatte sie wohl meinen Abgang gesehen. Ich sendete ihr, dass mir gestern einfach schlecht geworden war, aber es nun wieder besser ginge. Ein lächelndes Smiley benachrichtigte mich, dass Sarah mir dies glaubte und zufrieden war. Als ich die Uhr erblickte, zeigte diese 11 Uhr an. Somit erledigte ich meine Hausaufgaben und ging Mittag hinunter. Meine Mutter stand schon fleissig vor dem Herd und eine noch halbschlafende Schwester erwartete mich am Esstisch. Ich musste auch kurz gähnen, bevor ich Isa einen Kuss auf die Wange gab und mich ebenfalls hinsetzte. Kurz darauf brachte Mum das Essen und Stille begleitete unser Essen. Nach dem Essen half ich Mum noch kurz beim Abwasch und ging schliesslich in mein Zimmer. Dort zog ich mich dann um und packte meine Tasche. Mit einem Kuss auf der Wange verabschiedete ich mich von meiner Mutter und machte mich auf den Weg. Schnell kam ich beim Spielplatz an, denn irgendwie hatte ich den Weg noch im Kopf, zum Glück. Auf einer Bank entdeckte ich Jason, der wirklich sehr mitgenommen aussah. Seine Haare waren zerzaust, die Hände steckten in seiner Jeansjacke und beim Nähertreten sah ich auch die Augenringe. Als er meine Schritte hörte, blickte er auf und sofort stand er auf.

„Kate, es tut mir wirklich so leid. Bitte verzeih mir Kate. Ich verspreche dir, das wird nicht wieder vorkommen. Bitte Kate. Es tut mir so leid“, endete er flehend vor mir.

"Er ist nicht gut für dich", meinte ich eine Stimme gehört zu haben. Verwirrt über die Stimme schaute ich unauffällig um mich, konnte aber nichts entdecken. Ich schaute zurück zu Jason und sah in seinen Augen die Reue und konnte ihm einfach nicht böse sein, egal was mir die Stimme sagte.

„Ok, aber falls dies eine Wiederholung erhalten sollte, werde ich sofort weg sein“, meinte ich und sah, wie er sich sichtlich entspannte und ihm ein Stein vom Herzen fiel. Vielleicht war ich voreilig und naiv ihm zu vergeben. Aber momentan konnte ich nicht anders. War das etwa, was Liebe aus einem machte? Man vertraute einem und verzeihte ihm jede Tat?
Schnell kam er auf mich zu und umarmte mich fest. Als er sich löste, schaute er mir tief in die Augen und ich konnte den Blick nicht abwenden. Seine braunen Augen wirkten in der Sonne einfach so warm und wieder näherten wir uns langsam, bis unsere Lippen sich trafen. Wie schon unser erster Kuss, vergassen wir die Umwelt und als wir uns lösten, sagte er ein leises Sorry. Doch statt wieder wegzulaufen wie damals, kroch ein verlegenes, entschuldigendes Lächeln über seine Lippen. Da wusste ich, dass er auch an unseren ersten Kuss dachte und ich musste lächeln. Wir setzten uns auf die Bank hin und unterhielten uns. Die Lederjacke, die ich mitgenommen habe, zog ich wieder an, da es wieder etwas kühler wurde.

„Woher hast du gewusst, dass ich um sechs Uhr in der Früh schon wach bin?“, fragte ich ihm. Denn dies interessierte mich wirklich. War er vielleicht ein Stalker von mir, wenn er schon Ryan schlug, der sich wirklich nur mit mir unterhalten hatte?

„Ich wusste es nicht. Als du mich runtergeschubst und weggelaufen bist, verstand ich zuerst nix. Doch erst einige Minuten darauf, hatte ich realisiert, was ich unter dem Alkoholeinfluss getan hätte, wärst du nicht vorher schon abgehauen. Ich habe sofort danach die Party verlassen und bin aus lauter Verzweiflung die ganze Nacht lang durch die Strassen spaziert. Schliesslich habe ich dann um sechs Uhr versucht dich zu erreichen und mich zu entschuldigen. Es tut mir verdammt Leid, Kate. Das wird wirklich nie wieder vorkommen.“ Ich gab ihm kurz einen kleinen Kuss auf die Wange und lehnte mich an ihn an. Den Kopf auf seiner Schulter gelegt, beobachtete ich die wenigen Kinder, die auf dem Spielplatz herum tollten.

„Weisst du noch, vor einigen Jahren, waren wir es, die hier gestritten hatten. Und heute versöhnen wir uns am gleichen Ort wieder.“ Diese Worte von Jason liessen mich aufblicken und sofort verfiel ich in seinen braunen Augen. Sein Blick war so voller Emotionen und ich fragte mich, wie viele davon mir galten.

„Erzähl mir ein wenig von uns. Wie wir früher so waren und was alles passiert ist. Ich möchte uns etwas besser kennenlernen. Bitte Jason“, quengelte ich. Mit einem Lächeln auf den Lippen legte er einen Arm um mich und an ihm gekuschelt, hörte ich mir unsere Geschichte an.

„Wie ich schon einmal erwähnt hatte, waren wir als Kleinkinder richtige Streithähne. Genau in diesem Sandkasten sahen wir uns zum ersten Mal und mit dem Streit um diesen gelben Eimer fing die ganze Geschichte an. Unsere Eltern freundeten sich an denselben Tag an und somit kreuzten sich immer wieder unsere Wege und unsere Zankereien amüsierten unsere Eltern nur. Ich glaube, deine Eltern haben sogar einige Fotos davon gemacht. Bis zur dritten Klasse haben wir uns gehasst. Eigentlich weiss ich sogar selbst nicht mehr warum. In der dritten dann, gingen wir auf eine Klassenfahrt und ich sass bei meinen Freunden, während du hinten in der Ecke des Busses sassest. Du hast ständig nur aus dem Fenster hinausgeschaut und jeglichen Kontakt mit jedem vermeidet. Du musst wissen, damals warst du nicht einmal mit Sarah oder Meera befreundet gewesen. Du hast irgendwie alleine in deiner Welt gelebt. Leila war die einzige, mit der du mindestens ein wenig unterhalten hast. Als wir einmal anhielten, um eine kleine Pause zu machen, bist du nicht einmal ausgestiegen. Deshalb kam ich dann zu dir, weil ich dich eigentlich nur durch unsere Streitereien ein wenig aufmuntern wollte. Ich wollte einfach nur eine Gefühlsregung sehen, anstatt dein emotionsloses Gesicht. Also kam ich zu dir nach hinten und fragte scherzend ob dir schlecht sei. Erst als du dich umgedreht hast, sah ich deine glitzernden Augen. Ich erschrak natürlich und fragte was los sei. Du meintest nur, dass es mich eh nicht interessiere. Doch als ich immer noch neben dir sitzen blieb, hast du gemerkt, dass ich dir helfen wollte. Du teiltest mir mit, dass dein Grossvater gestorben sei und hast angefangen still zu weinen. Sofort nahm ich dich in die Arme und tröstete dich, während du so aufgelöst warst. Als die anderen wieder zurückkamen, hast den Kopf auf meiner Schulter angelehnt geschlafen. Fast die ganze Klasse war überrascht, uns zwei, die berühmten Streithähne, so vorzufinden. Einige Stunden später bist du dann aufgewacht und hast dich bei mir lächelnd bedankt. Ich lächelte zurück und dies war das erste Mal, dass wir uns anlächelten. Während der restlichen Fahrt erzähltest du mir von deinem Grossvater, wie grossartig er war und was ihr zusammen alles erlebt habt. Seit dieser Klassenfahrt sind wir befreundet und am Ende des Tages meintest du sogar, nur der Tod deines Grossvaters hätte zwischen uns Frieden gebracht. Obwohl alle von deiner Familie an seinem Todestag traurig waren, kamst du immer mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zur Schule und brachtest mir immer etwas mit, um an unsere Freundschaft zu erinnern. Manchmal waren es nur gebackene Kekse, manchmal hast du mir sogar eine Kleinigkeit geschenkt. Irgendwann brachte ich dir auch Geschenke meinerseits und bald darauf entstanden die Gerüchte, wir wären zusammen. Wir stritten es immer wieder ab. An diesem Jahr hast du dich auch mit Sarah, Meera, Jan und Ryan angefreundet. Mit ihnen, Leila, dir und mir bildeten wir unsere kleine Clique darauf. Wir waren nicht die Coolsten und die Beliebtesten. Aber wir waren auch nicht so eine kleine Strebergruppe. Wir waren einfach nur Mittelschicht. Später kamen wir in die Oberstufe und Leila und ich waren in einer anderen Klasse als ihr. Wir unternahmen noch viel gemeinsam, doch es war nicht mehr ganz so wie früher. Doch die Freundschaft zwischen uns Zweien hat nie darunter gelitten und wir trafen uns auch mal oft zu zweit. Dann kamen wir in das Gymnasium und ich bin immer noch in einer anderen Klasse. Ryan und Meera kamen auch in eine andere Klasse und die Clique löste sich halbwegs auf. In den Pausen seid ihr fünf oft zusammen, aber Leila und ich gingen verschiedene Wege. Wir schlossen schon in der Oberstufe neue Freundschaften und ich bin immer noch meistens mit ihnen, wie Dwain zum Beispiel.“

Wow, das war echt eine lange Story, und dies beinhaltete nur wie Jason und ich uns versöhnt haben. Wie lang würde es wohl dauern meine ganze Geschichte zu hören? Ich verstehe aber immer noch nicht, weshalb Leila und ich uns damals zerstritten haben. Ich sollte über das Wochenende noch einmal meine Ordner gründlich nach Hinweisen durchsuchen. Vielleicht habe ich ja Glück und finde etwas. Da es bereits dunkel wurde, wir waren auch sehr lange am Spielplatz gewesen, begleitete Jason mich wieder nach Hause. Vor der Türe verabschiedeten wir uns. Drinnen ging ich direkt essen und danach legte ich mich bereits Schlafen, nachdem ich mich bettfertig gemacht hatte. Ich war so müde von gestern und da konnte ich einfach nicht länger wach bleiben. Schnell sank ich in die Welt der Träume und träumte von mir und Jason.

 

Am Montag ging wieder das Morgenritual los. Das hiess aufstehen, Tasche packen, Isa wecken, frühstücken und sich verabschieden. An der Tür wartete Jason bereits und küsste mich bevor er mir einen guten Morgen wünschte. Hand in Hand liefen wir zur Schule und die Blicke der anderen weiblichen Mitschüler schienen mich zu töten. Jasons Hand lag auf meiner Taille und da ich meine Clique suchte, sah ich nicht, wie er jedem männlichem Wesen wütende Blicke zuwarf. Ich gesellte mich zu meiner Clique und da läutete es bereits. Die Stunden waren zäh wie ein Kaugummi und als die Schule zu Ende war, freuten sich einfach alle. Denn die Sonne schien und es war herrliches Wetter. Dabei im Schulzimmer zu sitzen und zu büffeln ist einfach Zeitverschwendung. Jason begleitete mich nach Hause, wobei wir einen kleinen Umweg nahmen, damit die Zweisamkeit etwas länger andauerte. Zuhause erledigte ich dann die Hausaufgaben und ass zu Abend. Nachdem ich ein wenig Fern gesehen hatte, war es auch schon wieder Zeit ins Bett zu gehen. So verliefen die Tage, bis zum Freitag. Es war gerade Pause und wir waren alle in der Cafeteria. Jason gesellte sich, seit wir zusammen waren, immer zu uns. Die anderen waren gerade in einem Gespräch vertieft, als er mich etwas näher zu sich zog. Ich hob die Brauen um zu fragen, was los sei.

„Kate, hast du Lust heute mit mir Essen zu gehen? Danach können wir ins Kino gehen?“, fragte er zögerlich. Überrascht fragte ich ihn, ob es ein Date wäre.

„Na ja, eigentlich schon. Aber du musst natürlich nicht, wenn du nicht willst“, erklärte er rasch, als er meinen zweifelnden Blick sah. „Ich will dich natürlich zu nichts zwingen“, meinte er noch.

Sofort fing ich an zu lächeln und antwortete ihm, dass ich kommen würde. Wir machten noch schnell die Zeit ab und dann klingelte es auch schon. Den ganzen restlichen Tag lang grinste ich wie ein Honigkuchenpferd und war sehr happy. Zuhause ging ich sofort duschen und mit einem Handtuch um den Körper stand ich vor dem Kleiderschrank und suchte mir ein Outfit zusammen. Obwohl es sehr warm war, wollte ich nicht unbedingt ein Kleid anziehen. Also suchte ich mir eine schwarze Skinny Jeans und eine dunkelgrüne Bluse. Schnell machte ich meine Haare indem ich die vorderen Strähnen mit einer Spange fest steckte. Ich schminkte mich noch dezent, da klingelte es schon an der Türe. Meine Mutter öffnete für mich und liess Jason herein. Schnell legte ich noch die wichtigsten Sachen in meine Tasche und rannte hinab. Bevor ich meine Schuhe holen konnte, wurde ich von Jason angehalten und geküsst. Ich erwiderte seinen Kuss und erst das Räuspern meiner Mutter liess uns auseinandergehen. Verlegen wandte sich Jason ab, während ich sie klagend ansah. Mit einem Schmunzeln wünschte sie uns einen schönen Abend und hielt mir meine schwarzen Stiefeletten hin. Ich zog sie schnell an und ging mit Jason hinaus. Vor uns stand ein dunkelblauer Audi und einladend öffnete Jason mir die Türe. Staunend, dass diese Karre ihm gehörte, stieg ich ein. Schnell schloss er die Türe und setzte sich auf die Fahrerseite. Wir fuhren los und schnell kamen wir vor einem Restaurant zum Stehen. Jason hielt mir seinen Arm hin und etwas nervös hakte ich mich bei ihm ein. Das Restaurant war gut gefüllt und wir wurden einem ruhigen Platz zugewiesen. Eine junge Frau brachte uns die Speisekarten und ich las mir alle Speisen durch und bestellte mir schliesslich ein Steak mit Salat und Kartoffelstock und ein Glas Wasser. Die Frau, die Joanne hiess, blickte immer nur Jason an und notierte eilig seine Bestellung. Ich fragte mich, ob sie überhaupt meine Bestellung aufgenommen hatte. Ich blickte auf zu Jason und er sah mich lächelnd an. Als die Kellnerin wegging fragte er auch schon weshalb ich nicht klar machte, zu wem er gehörte.

„Ganz einfach. Du weisst, zu wem du gehörst. Falls du das irgendwie vergessen solltest, bin ich sofort weg. Ich bin nicht wie die anderen Mädchen, die sich auf dein Aussehen beschränken. Und Joanne sollte wissen, dass du mich auf ein Date eingeladen hast. Und wenn sie es nicht kapiert, dann ist sie es echt nicht wert, mich über sie aufzuregen.“ Eifersüchtig würde ich trotzdem sein. Nur musste ich ihm das nicht auf die Nase binden. 

„Ich weiss genau, weshalb du meine Freundin bist“, meinte Jason darauf grinsend und beugte sich über den Tisch um mich zu küssen. Die Speisen wurden uns schnell serviert und während wir assen, unterhielten wir uns über dies und jenes. Es wurde noch ein sehr angenehmer Abend, wenn man die Flirtversuche von Joanne ausser Acht liess. Nach dem Essen führte Jason mich in ein Kino und gemeinsam sahen wir uns einen Film an. Es war eine Komödie und wir lachten uns schlapp. Nach dem Film stiegen wir wieder ein in sein Auto und er fuhr mich nach Hause. Bevor ich noch ausstieg, bedankte ich mich bei ihm und gab ihm noch einen langen Kuss. An der Haustür drehte ich mich noch einmal um, winkte ihm zu bevor ich im Inneren des Hauses verschwand. Schnell machte ich mich bettfertig und mit den Gedanken bei Jason, schlief ich friedlich ein.

 

So vergingen Wochen, Monate. Leila verhielt sich sogar normal mir gegenüber. Nicht einmal Hass war in ihrem Blick zu sehen. Stattdessen sah ich Mitleid in ihren Augen. Mitleid gegenüber mir. Dies verstand ich absolut nicht, aber was solls. Zwischen mir und Jason lief es sehr gut und der Vorfall bei Dwain war auch schon fast vergessen. Aber etwas anderes kämpfte sich immer mehr in den Vordergrund in meinem Kopf. Dad war immer noch nicht zuhause. Also so lange konnte eine Geschäftsreise ja wirklich nicht dauern. Als ich am nächsten Morgen also Isa geweckt hatte und sie schon am Frühstücken war, rief ich Mum in die Küche und stellte sie zur Rede.

„Mum, wo ist Dad? Denn, dass er auf einer Geschäftsreise ist, kaufe ich dir wirklich nicht ab. Betrügt er dich etwas? Habt ihr euch etwa schon scheiden lassen?“ Entsetzt starrte ich sie an. Doch sie schüttelte nur geschockt den Kopf.

„Nein, nein. Weder betrügt er mich, noch haben wir uns scheiden lassen. Er ist… er ist…“ Sie stockte und ihre Augen füllten sich rasend schnell mit Tränen. Bevor ich sie weiterfragen konnte, kam Isa in die Küche hinein. Sofort drehte sich Mum so um, dass Isa ihr Gesicht nicht sehen konnte und fragte nach, ob sie etwas wollte. Das Zittern in ihrer Stimme fiel Isa nicht auf und sie verneinte nur. Den Teller legte sie auf der Spüle ab und rannte schon wieder hinaus.

„Kate, Zeit für die Schule. Dein geliebter Jason wartet sicherlich bereits vor der Türe“, lachte sie noch beim Hinausrennen. Mein Blick fiel sofort auf die Uhr und sie hatte Recht. Schnell verabschiedete ich mich von Mum und fluchend rannte ich zur Tür. Isa hatte Recht. Jason wartete bereits vor der Tür. Wie jeden Morgen gab er mir einen Kuss, als Begrüssung. Wir beeilten uns ein wenig in die Schule zu kommen und kamen gerade noch rechtzeitig in der Schule an. Die Schulstunden kamen und gingen. Doch ich war mit meinen Gedanken bei dem Gespräch heute Morgen, zwischen Mum und mir. Was wollte sie sagen? Was meinte sie mit er ist…? Wo ist Dad wirklich hin? Dummes Gedächtnisverlust! Ich verfluchte diesen Maskenball. Okay, er war natürlich echt schön gewesen, soweit ich das beurteilen konnte. Vor allem die Gesellschaft von Jason. Aber nur wegen diesem Maskenball hatte ich meine Erinnerungen verloren. Und ich kann dir sagen, das ist echt scheisse! Die Lehrer stellten mir glücklicherweise absolut keine Fragen und ich war echt froh, dass ich fast überall zuhinterst in einer Ecke sass. Wieso habe ich diesen Gedächtnisverlust, verdammt nocheinmal?!

„Hast du was gesagt?“, fragte Sarah neben mich. Ausversehen habe ich wohl meine Gedanken laut ausgesprochen.

„Ehm ja, ich habe mir überlegt, ob wir als Clique mal wieder etwas zusammen unternehmen wollen? Ich meine, wir lernen jetzt nur noch für die Schule und ansonsten hänge ich nur mit Jason herum. Wollen wir nicht wiedermal etwas gemeinsam unternehmen?“, fragte ich sie darauf. Es war das beste das mir einfiel, ohne verrückt zu klingen. Dabei entsprach es zum Teil sogar der Wahrheit. Ich wollte wirklich wiedermal etwas mit der Clique unternehmen. Sofort leuchteten ihre Augen und sie nickte heftig.

„Klar, wollen wir wieder mal zum See gehen? Wir waren schon lange nicht mehr dort. Auch wenn der Winter anfängt. Wir müssen ja nicht schwimmen gehen.“

„Ja, ist eine gute Idee. Diesen Freitag um fünf am See?“

„Mhm. Ich sag den anderen Bescheid. Den Rest können wir ja noch in der Pause besprechen“, meinte sie wieder gutgelaunt. Der Lehrer hatte zum Glück nichts von unserem Gespräch mitgekriegt und wir wendeten uns wieder der Aufgabe zu. In der Pause drehte sich dann alles nur um dieses Treffen und alles wurde geplant und organisiert. Vom Essen, über Musik bis zu Decken wurde alles abgesprochen und wir arrangierten es so, dass wir auch dort in einer Hütte übernachten konnten. Zuhause fragte ich Mum natürlich um Erlaubnis und sie gewährte ihn mir. Da kam mir wieder das Gespräch vom Morgen in den Sinn und ich hakte natürlich nach. Da klingelte es an der Tür. Als ich seufzend die Tür öffnete, gab mir der Postbote ein Paket und ich musste noch kurz unterschreiben. Danach verschwand er wieder und mit gerunzelter Stirn schloss ich die Türe. Das Paket suchte ich nach einer Karte oder ähnliches ab, fand aber nichts. Weil sie an mich adressiert war, entschuldigte ich mich bei Mum und ging in mein Zimmer. Ja, es klingt komisch. Aber ich möchte meine Privatsphäre wahren. Im Zimmer angekommen, setzte ich mich auf das Bett und öffnete den Kartondeckel. Ich sah nur Seidenpapier und klappte es schnell zur Seite. Hervor kamen weisse Rosen. Ich nahm sie freudig hoch und roch daran. Die waren sicher von Jason. Doch als ich wieder auf das Paket blickte, entdeckte ich eine einzelne dunkelrote Rose mit einer Karte, die mit einem schwarzen, dünnen Band an die Rose befestigt wurde.

„Veilchen sind blau, Rosen sind rot..."

Sofort liess ich die Karte los und legte mir die Hand geschockt auf den Mund. Meine Mutter rief mir von unten zu, dass sie nun weg sei und Isa mitnahm. Kurz war ich verwirrt darüber, wo sie hinging. Dann kam mir wieder in den Sinn, dass sie Isa zu ihrem Ballettkurs hinfuhr.

Was zum Teufel lief hier ab?! Schon seit Tagen erhalte ich diese mysteriösen Karten mit den noch mysteriöseren Sprüchen und jetzt erhalte ich sogar Rosen zugeschickt. Wer war das und woher wusste die Person wo ich wohnte, wo ich sonst jeweils war um mir diese Nachrichten zukommen zu lassen? Ausserdem warum schickt mir jemand Rosen, weisse Rosen, aber schreibt Rosen seien rot? Warum liegt da eine einzelne rote Rose? Und warum kam mir dieser schwarze Band so bekannt vor? Fragen über Fragen, doch keine Antwort. Plötzlich fühlte ich mich beobachtet, plötzlich hatte ich das Gefühl einen kranken Stalker zu haben. Mit so einer Situation kam ich nicht klar. Ich raufte mir die Haare und die Verzweiflung kroch in mir hoch. Ich durfte jetzt nicht in Panik geraten.

„Ganz ruhig bleiben. Okay. Ruhig durchatmen. Ein.. und.. aus.“ Ich redete mir ein, ruhig zu bleiben und von ganz vorne anzufangen. Aus einem unerklärlichen Grund wollte ich niemanden mit einbeziehen. Also konnte ich auch nicht Jason oder Sarah anrufen. Ein Gedanke durchblitze mich und schnell schnappte ich mir den Karton. Doch ich fand keine Hinweise, wer der Absender war. Nun war ich mir sicher, Jason war es nicht. Er konnte es nicht gewesen sein. Oder? Weshalb sollte er derartiges machen? Auch wenn es nur als schlechter Scherz gedacht ist. Das ganze Grübeln brachte mir starke Kopfschmerzen. Ich holte mir im Badezimmer Aspirin und machte mich auch bettfertig. Das ganze Chaos machte mich so müde und die Kopfschmerzen wurden von Minute zu Minute stärker. Schnell räumte ich das Paket weg, steckte die Blumen in einer Vase und stellte sie in den Wohnzimmer. Mit schmerzverzerrtem Gesicht ging ich wieder hinauf. Dummer Gedächtnisverlust! Blöde Kopfschmerzen! Mieses Leben! Fluchend legte ich mich ins Bett und schlief nach vielen Herumgewälze endlich ein.

Kapitel 6

Das Wochenende kam schnell und die Clique bereitete alles für das Treffen am See vor. Die Rosen und die Nachrichten versenkte ich in eine Grube meines Gehirnes. Ich wollte nicht ständig darüber Gedanken machen und meinen Kopf zerbrechen müssen. An diesem Wochende wollte ich einfach nur im Moment leben und die Zeit mit der Clique geniessen. Ich machte schnell einen Picknickkorb für alle und holte einige Decken. Ryan holte uns alle mit seinem Pickup ab und wir legten die Sachen dann hinten hinein. Im Auto herrschte eine lockere Stimmung und wir sangen alle zum Lied mit, das gerade im Radio lief. Schnell waren wir am See angelangt und machten uns dort gemütlich. Wir legten die Decken aus, die Jungs holten einige Äste und Zweige um ein Lagerfeuer zu machen und wir, Mädchen, packten das Essen aus. Es war sehr lustig mitanzusehen, wie die Jungs versuchten ein Feuer zu machen, indem sie einen Stock hin und her drehten und auf einen Funken hofften. Schliesslich verloren sie aber die Geduld und nahmen einfach das Feuerzeug in die Hand. Schnell liessen wir uns auf kleine Baumstämme, die uns als Sitzgelegenheiten dienten, nieder und wärmten uns alle am Feuer. Es war nicht einmal sehr spät und wir verteilten alle das Essen und assen während wir herumalberten. Marshmellows wurden gebraten, Fleisch wurde über das Feuer gehalten und jedem, dem etwas ins Feuer fiel, musste etwas machen, was die anderen bestimmten. Als bei mir ein Marshmellow herunterfiel, hatte ich die Wahl entweder einmal in den See eintauchen und zurückkehren oder ich musste mein grösstes Geheimnis sagen. Da momentan mein grösstes Geheimnis mein Gedächtnisverlust war, bevorzugte ich es, in den See zu springen, trotz der eisigen Kälte. Also zog ich mich bis auf die Unterwäsche aus, tauchte einmal in den See und kam schnell wieder heraus. Zitternd nahm ich das Badetuch entgegen, das mir Jason entgegenhielt und wickelte mich darin ein.

„Du hättest eine Lüge als dein grösstes Geheimnis auftischen sollen, statt halbnackt in den See zu springen“, tadelte Jason mich. In seinen Augen sah ich Eifersucht blitzen.

„Ach komm Jason. Sei ein wenig lockerer. Es ist doch gleich, wie wenn ich in einem Bikini herumlaufe. Ich meine, man sieht nicht viel mehr und ausserdem sind das unsere Freunde. Sie wissen, dass wir zusammen sind und ausserdem steht auch niemand auf mich. Wenn, dann haben nur alle Augen für dich. Doch meine Mädels freuen sich für unser Glück und die Jungs auch. Es gibt keinen Grund eifersüchtig zu sein, Jason“, endete ich flüsternd und gab ihm einen langen Kuss. Mein Beruhigungsversuch hatte gewirkt, denn etwas sanfter meinte er, ich sollte mich wieder anziehen, damit ich etwas wärmer hatte. Also huschte ich schnell in die Hütte und suchte mir trockene Kleider. Ich zog mich um und rubbelte mir die Haare trocken. Da hörte ich, wie die Türe aufgingi. Als aber kein weiteres Geräusch zu hören war, legte ich das Handtuch weg und lief in das Wohnzimmer, in der Hoffnung die Person zu finden. Zu meiner Überraschung fand ich aber niemanden und auch sonst, in der ganzen Hütte war niemand. Echt merkwürdig. Gerade als ich wieder hinaus zu den anderen gehen wollte, entdeckte ich einen Zettel. Ich hob ihn auf und las ihn mir durch.

„Rosen sind rot, Veilchen sind blau, Jason zu vertrauen, das ist nicht schlau!“

Was?! Ich sollte Jason nicht vertrauen? Was ist denn das für ein Schwachsinn?! Und wer hat mir wiedereinmal eine Nachricht geschrieben? Ich weiss nur, es muss jemand aus meinem Freundeskreis gewesen sein. Ausserdem muss es die gleiche Person sein, die auch früher mir die Nachrichten geschrieben hat. Die Frage ist nur wer ist es? Und was hat das ganze jetzt mit Jason zu tun? Fragen über Fragen, aber keine einzige Antwort! Zur Hölle nochmal! Erst mein Gedächtnisverlust, dann mein verschwundener Dad und jetzt die Briefe! Was sollte der ganze Scheiss?!  Ich hatte ja keine weiteren Anhaltspunkte und somit verliess ich die Hütte wieder. Immerhin war es draussen echt sehr kalt. Meine Freunde sassen immernoch am Feuer und lachten gerade über etwas. Als ich sie dort so sah, waren alle Sorgen schon wieder vergessen. Doch beim Anblick von Jason kam mir der Zettel wieder in den Sinn. Wieso sollte ich aber Jason nicht vertrauen, meinem langzeitigen, besten Freund, aber irgendeiner Person, die mir anonym Zettelchen schreibt?! Kopfschüttelnd ging ich zu Jason hin und setzte mich neben ihm hin. Ich kuschelte mich in den flauschigen Pullover, während er einen Arm um meine Schulter legte und mir einen Kuss auf die Schläfe drückte. Den Kopf auf seiner Schulter anlehnend schaute ich in das Feuer und hörte teilweise meinen Freunden zu und teilweise war ich in einer anderen, gedanklichen Welt. Meine Freunde haben inzwischen fertig gegessen und einige fingen an, hinter vorgehaltener Hand zu gähnen. Somit entschieden wir uns schlafen zu legen. Wir waren uns einig, dass die Jungs im Wohnzimmer auf dem Boden schlafen und wir Mädels würden uns auf dem grossen Bett gemütlich machen. Die Jungs machten sich breit auf dem Boden und lächelnd legte ich mich schlafen. Zu viert war es etwas eng im Bett, aber wir kuschelten uns aneinander und wärmten uns nicht nur, sondern hatten auch keinen Platznot. Nein, ich würde es keinem von ihnen zutrauen, dass sie diese Zettelchen schrieben. Vor allem aus welchem Grund sollten sie auch so etwas machen?! Grübelnd glitt ich spät Nachts in den Schlaf.

Am nächsten Morgen stand ich recht früh auf, da ich von dem wenigen Vogelgezwitscher, die noch nicht in den Süden gezogen waren, aufgeweckt wurde. Schnell zog ich mich um und huschte dann leise in die Küche, um ein Frühstück vorzubereiten. Vom Wohnzimmer drang noch Geschnarche der Jungs und unbewusst brachte mich das zum Lächeln. Leise vor mich hin summend, holte ich die Zutaten aus den Schränken und bereitete den Teig vor. Als ich den hatte, liess ich ihn in einer Schüssel stehen, damit er ein wenig aufging und ging kurz rüber in das Wohnzimmer. Es sah echt witzig aus, wie die schliefen und somit holte ich kurz mein Handy und schoss ein Foto von denen. Jan schlief voll ausgebreitet, die Decke halb unter sich begraben und schnarchte wohl am lautesten von allen. Ryan lag auf der anderen Seite, in einer Embryostellung, hatte ein kleines Kissen in der Hand, der richtig zusammengeknautscht war. Dann lag da noch Jason, die eine Hand hinter dem Kopf und die andere lag auf seiner Brust. Seine Decke lag nur bis zur Hüfte, wodurch ich seine Brustmuskeln bewundern konnte, die durch das dünne weisse T-shirt gut sichtbar waren. Seine schwarzen Haare waren verstrubelt und schauten in allen Richtungen. Hölle! Musste dieser Typ sogar im Schlaf so gut aussehen?! Schnell wendete ich mich ab, bevor ich noch anfing zu sabbern und schaute noch bei den Mädels vorbei. Sarah lag am Rand und hatte auch einen Kissen in der Hand derartig verknautscht, dass dieser wahrscheinlich nie wieder so sein wird, wie er einmal war. Bei diesem Anblick musste ich leise unterdrückt lachen. Meera lag in der Mitte und war wohl froh, eingeengt zwischen Leuten zu sein, denn sie kuschelte sich noch mehr in die Decke. Leila lag am anderen Ende und schlief am normalsten von allen. Wenn ich darüber nachdenke, will ich gar nicht wissen, wie ich ausgesehen haben musste. An das Frühstück erinnernd schloss ich leise die Türe und machte mich wieder auf in die Küche. Dort schaltete ich den Herd an und legte los. Heiss und gut duftende Pfannkuchen landeten auf den Teller und ich legte es auf den gedeckten Tisch. Das Nutellaglas, Ahornsirup und viele weitere Dinge standen schon bereit auf dem Tisch. Ich liess auch noch die Kaffeemaschine an und machte für jeden das gewünschte Getränk. Irgendwie hatte ich noch in Erinnerung, wer was am liebsten mag, was mir echt seltsam vorkam. Spielte ja keine Rolle. Plötzlich umarmte mich jemand von hinten und ich erkannte Jasons Duft.

„Guten Morgen", raunte er mir mit einer rauen Stimme zu und ein Schauder durchlief meinen Körper. Seine Nase vergrub er in meine offenen Haare und die Arme verschloss er vorne an meinem Bauch.

„Dir auch einen guten Morgen“, sagte ich und schloss die Augen, während ich mich an ihn schmiegte.

„Hast du das ganze Frühstück zubereitete? Und dazu noch alleine?“

Er drehte mich in seinen Armen um und warf einen Blick über meine Schulter auf den gedeckten Tisch. Dann schaute er wieder mich an und ich konnte Bewunderung, Zuneigung und Stolz in seinen Augen erkennen. Sanft küsste er mich und nah an meinem Mund flüsterte er mir noch zu: „Dann habe ich ja die richtige Frau fürs Leben gefunden."

Damit ging er dann ins Bad. Erst als er weg war, sickerten seine Worte in mein Hirn. Frau fürs Leben. Diese Worte hatten mich versteinern lassen. Hatte er schon etwa sein ganzes Leben geplant? Mit mir? Wollte er mich etwa heiraten? Konnte ich mir das überhaupt vorstellen? Konnte ich mir eine Zukunft mit ihm vorstellen? Schlurfend und mit noch halbgeschlossenen Lidern kam mir Sarah entgegen.

„Morgen“, begrüsste ich sie.

Ich hörte nur ein Grummeln, denn sie hatte ihren Kopf in ihren Armen vergraben. Schmunzelnd stellte ich fest, dass sie definitiv kein Morgenmensch war. Nach und nach kamen alle an den Tisch bis auf Meera. Ich entschied sie wecken zu gehen und ging ins Schlafzimmer. Völlig weg von dieser Welt lag sie auf dem Bett und lächelte selig. Dabei murmelte sie ständig etwas. Ich ging näher an sie heran und rüttelte sie an der Schulter wach.

„Lass mich weiterschlafen Mummy“, jammerte sie noch im Halbschlaf.

„Ich bin aber nicht deine Mummy! Hey Meera, komm, die anderen warten auf uns!“, weckte ich sie sanft auf und verwirrt öffnete sie ihre Augen. Als sie mich sah, schaute sie zuerst etwas verwirrt im Zimmer herum, bevor sie klarere Augen bekam und sich aufsetzte.

„Man hatte ich einen Traum“, flüsterte sie wohl eher zu sich selbst.

Doch ich konnte nur grinsen und musste sie einfach necken. „Und über wen hast du den geträumt? Doch nicht etwa von Sam oder?“

Sofort wandte sie verlegen ihr Gesicht ab. „Ach komm, ist doch nicht schlimmes. Na los, gehen wir Frühstücken. Ich werde es auch keinem verraten, keine Angst“, beruhigte ich sie und sie stand auf und gemeinsam liefen wir in die Küche.

Die anderen warteten auf uns, und als alle am Tisch waren, stürzten sie sich aufs Essen. Hölle! Die mussten ja verhungert sein, so wie die hier assen. Schmunzelnd nahm ich einen Schluck von meinem Orangensaft und schaute den Jungs zu, wie sie die Pfannkuchen in den Mund stopften und das mit allenmöglichen Sachen, die auf dem Tisch waren: Schlagrahm, Ahornsirup, Nutella. Meera verzog das Gesicht als sie die Jungs sah und flüsterte „ekelhaft“, Leila verkniff sich ein Lachen und Sarah trank seelenruhig ihren Kaffee, bevor sie die fressenden Jungs überhaupt erblickte. Wir nahmen jeweils auch ein Pfannkuchen, bevor sie alle von den Jungs weggefressen wurden (ja man konnte es nur als fressen bezeichnen) und assen in Ruhe unser Frühstück. Jan nahm Sarahs Kaffee (sie war die einzige die Kaffee hatte) und trank daraus.

„Hey, das ist mein Kaffee. Wenn du mich nicht den ganzen Tag miesgelaunt aushalten willst, mach mir sofort einen neuen Kaffee!“, forderte sie Jan wütend blickend auf.

Dieser nahm nur grinsend einen weiteren Schluck und sofort sprang Sarah auf und rannte Jan hinterher, der mit der Kaffeetasse verschwunden war. Die ganze Clique musste lachen und lachend machte ich einen neuen Kaffee für Sarah und stellte sie bereits auf den Tisch, als beide in die Küche zurückkamen.

„Siehst du, ist doch nichts passiert. Die Küchenfee hat dir bereits einen neuen Kaffee hergezaubert“, beschwichtigte Jan sie.

„Ach halt die Klappe!“, murrte Sarah beleidigt, kam auf mich zu und gab mir einen Kuss auf die Wange als Dankeschön. Ansonsten verlief das Frühstück normal und ruhig ab. Da ich ja das Frühstück gemacht habe, meldete sich Sarah fürs Abräumen. Überraschenderweise meldete sich Jan als Freiwilliger ihr zu helfen, bevor Meera es tun konnte. Die Jungs grinsten wissend und Sarah warf mir nur einen verwirrten fragenden Blick zu. Doch ich wusste ihr nicht zu helfen und somit verliessen wir alle die Küche und ich informierte noch Sarah (mit einem deutlichen Blick auf Jan), sie könnte mich rufen, falls sie Hilfe benötigen würde. Sie winkte einfach ab und grinsend verschwand ich.

Im Wohnzimmer wurde gerade entschieden zu packen, sodass wir danach den Heimweg antreten könnten. Also ging ich meine Sachen einpacken und gerade als ich meinen Schal in den Koffer einpacken wollte, bekam ich wieder eine Vision. Ich stand vor einem Schaufenster, wo dieser Schal eben ausgestellt war. Jason, der neben mir herlief, blieb stehen und sah mich fragend an. Als ich dann das Preisschild bemerkte, änderte sich meine Miene zuerst zu Entsetzen und dann zu Bedauern. Wir liefen weiter und Jason fragte mich was los sei. Meine Antwort hörte ich nicht mehr, da die Szene sich änderte. Nun bummelten Jason und ich durch die Strassen und redeten über viele Sachen. Plötzlich standen wir auf einem kleinen Hügel, der etwas erhöht lag, sodass wir einen wunderschönen Ausblick auf diesen See hatten.

„Oh mein Gott! Wow!“ hauchte ich entzückt.

„Atemberaubend, nicht wahr“, hörte ich Jason neben mir flüstern. Langsam nickte ich und bewunderte den Ausblick, der uns sich anbot. Der See schimmerte in einem türkisenen Blau und drum herum wuchsen die Blumen. Die Blüten schillerten in den prächtigsten Farben und ich konnte sogar zwei kleine Häschen entdecken. Die Sonne ging gerade unter und versetzte das Ganze in ein anderes Licht. Alles schimmerte in einem Goldton, die Sonnenstrahlen malten Muster auf den See und fasziniert schaute ich mir das Spektakel an. Plötzlich wurde mir der Ausblick verwehrt, denn Jason stand nun vor mir, die Hände hinter dem Rücken, als würde er etwas verbergen und lächelte geheimnisvoll. Als ich fragend zu ihm hochblickte, nahm er lächelnd die Hände hervor.

„Happy Birthday Kate!“, flüsterte er mir zu, während er mir den Schal überreichte, den ich im Schaufenster erblickt hatte.

„Ach du meine Güte! Was? Aber..wie..?“ Ich konnte nicht einmal eine Frage formulieren. Denn ich war zu überrascht und zu verwirrt. Wie wusste er, dass ich den Schal haben wollte und hatte er deshalb den ganzen Tag so geheimnisvoll gelächelt? Grinsend umarmte ich meinen besten Freund und wir setzten uns hin und redeten lange.

Ich wurde wieder in die Gegenwart katapultiert und lächelnd betrachtete ich den Schal. Ich entschied mich spontan den Schal anzuziehen und packte die restlichen Sachen in die Tasche. Als ich fertig war, trug ich meine Tasche ins Wohnzimmer und stellte sie neben den anderen Taschen. Ich wollte noch kurz bei Sarah vorbei schauen und ihr Bescheid sagen, also ging ich in die Küche. Ich öffnete schon meinen Mund nur um ihn danach wieder zu schliessen und zu schmunzeln. Denn Jan ärgerte gerade Sarah und diese machte ein wütendes Gesicht, doch ich wusste, dass sie es genoss. Ich bestätigte also meine Vermutung, dass beide füreinander etwas übrig hatten, es jedoch nicht dem anderen gegenüber eingestehen konnten. Ich räusperte mich und erschrocken schauten sie mich an, als hätte ich sie bei etwas erwischt, was ich nicht hätte sehen sollen. Das Lachen unterdrückend teilte ich ihnen mit, dass wir in etwa einer Stunde los wollten und sie langsam anfangen sollten zu packen. Gleichzeitig erklärte ich ihnen, dass ich den Rest erledigen würde, da ich schon fertig war mit Packen. Mit einem Danke verschwand Jan und auch Sarah folgte ihm hinaus, nachdem sie mir einen Kuss auf die Wange gegeben hatte. Gerade als Sarah die Tür passierte, kam Jason ihr entgegen und kam dann in die Küche und sagte er würde mir helfen. Also trockneten wir gemeinsam das Geschirr ab und verstauten es in die vorgesehenen Schränken. Als wir fertig waren, wollte ich schon hinaus, als Jason mich am Arm zurückzog.

„Wieso die Eile? Wir haben noch Zeit.“

„Ach, und was gedenkst du denn genau zu tun?“, fragte ich ihn lächelnd. Meine Hand hatte ich auf seine Brust gelegt und strich über seine Muskeln, die in seinem schwarzen T-shirt gut zur Geltung kamen. Besass er nur T-shirts, in denen seine Muskeln betont wurden?!
„Nun.. weiss nicht.. etwas Zeit mit meiner Freundin verbringen vielleicht“, raunte er mir zu. Unwillkürlich fing mein Herz an schneller zu schlagen, als er das Wort Freundin erwähnte. Langsam kam er mir näher und legte seine weichen Lippen endlich wieder auf meinen. Meine Hände fuhren seine Brustmuskeln hinauf, seinen Hals hinauf und schlossen sich schliesslich hinter seinem Nacken. Seine Hände wanderte auf meine Taille, wo er mich noch näher zu sich hinzog. Der Kuss wurde intensiver und ich spürte seine Leidenschaft. Er stupste mit seiner Zunge gegen meine Lippen und gerade als ich sie öffnen wollte, unterbrach ein Räuspern unseren Kuss. Seufzend entfernte ich mich von ihm und drehte mich zur Tür, wo nun Leila stand. Ich konnte ihren Blick nicht definieren. Mit emotionsloser Stimme meinte sie, dass wir nun losfahren würden. Sie drehte sich um und ging davon. Händchenhaltend folgten wir ihr. Die Taschen waren alle schon im Auto verstaut und nachdem Jason das Haus abgeschlossen hatte, stiegen wir als die Letzten ein. Ryan fuhr los und es herrschte lockere Stimmung, wie auch schon bei der Hinfahrt. Das Radio lief und wir sangen alle laut die Lieder mit. Als ein Lied kam, das wir nicht kannten, erfand Jan einfach irgendeinen Blödsinn, den er dazu sang und brachte uns alle zum Lachen. Dabei fiel ihm leider die Coladose um und es gab einen kleinen Tumult. Ryan drehte sich nur kurz um, doch das genügte schon. Denn als er wieder auf die Strasse schaute, bremste er heftig, da ein Häschen auf der Strasse sass und schnell wegsprang, als es uns erschrocken bemerkt hatte. Das Häschen war gerettet, doch wir nicht. Denn die Strasse war leicht vereist durch die tiefen Temperaturen, die nachts gewirkt hatten. Durch das Bremsen kam das Auto ins Gerutschte und obwohl Ryan versuchte die Kontrolle über das Auto zu behalten, gelang es ihm nicht. Das Auto kippte nun gefährlich und einige schrien los und andere versuchten sich zu beruhigen. Wir landeten in einem Graben in einem Wald und das einzige was ich noch sah, war Jasons Gesicht, das trotz Schmerzen besorgt zu mir herum ruckte, bevor mich eine Schwärze umfing.

Kapitel 7

Jason P.o.V.

Seit Stunden lief ich nun schon diesen Gang auf und ab. Auf und wieder zurück. Wie schlimm muss der Unfall gewesen sein, wenn sie einige Stunden behandelt werden muss. Scheisse! Das ist alles meine Schuld. Hätte ich doch nur mehr Acht auf sie gegeben. Wäre sie doch einfach in der Mitte gesessen, statt neben der Türe, wo es so gefährlich ist. Wenn ihr etwas passiert... Man ich will gar nicht erst an das denken. Verdammt! Sie muss nun Schmerzen erleiden nur wegen mir.

„Ja, schauen sie nach, ob sie aufwacht und rufen sie mich sofort. Wir müssen dann ihre Kopfverletzung anschauen.“ Der Arzt kam gerade aus der Türe heraus und sofort stürmte ich auf ihn zu.

„Wie geht es ihr? Kann ich zu ihr hingehen?“ Ich hörte selbst meine verzweifelte Stimme, doch im Moment war es mir egal. Denn immerhin ging es um sie.

„Ja, sie ist nicht bei Bewusstsein, aber Sie können sie besuchen gehen. Seien Sie aber leise, bitte. Sie braucht die Ruhe um sich zu erholen.“ Mit diesen Worten ging er davon und leise öffnete ich die Türe und huschte in ihr Zimmer. Und da lag sie. Überall sah ich weisse Verbände aufblitzen und hörte das stetige Piepen. Scheisse! Sofort stürzte ich mich auf sie zu und hektisch zog ich einen Stuhl herbei, und setzte mich neben ihr Bett hin.

„Mein Gott! Kate! Wach bitte auf! Es tut mir leid. Es ist alles nur meine Schuld. Es tut mir so Leid, dass ich dich nicht beschützen konnte.“ Ich war kurz vor den Tränen, während ich ihr diese Dinge zuflüsterte.
Ihre Hände lagen kühl in meinen, auf der ich einen Kuss gab. Ich sass eine ganze Weile einfach still da und beobachtete sie, hoffte auf eine Regung. Doch sie schien zu schlafen. Da ich nichts an ihrem Zustand nun ändern konnte, gab ich ihr noch einen letzten Kuss auf die Wange, bevor ich das Zimmer verliess. Draussen angelangt sah ich eine Schwester, die gerade im Gang war. Schnell holte ich sie ein und fragte, was genau Kate hätte.

„Da sie an der Seite sass, wo der Aufprall am heftigsten war, wurde sie am stärksten von euch allen verletzt. Nun sie hat eine leichte Verquetschung am linken Handgelenk. Ihren Kopf konnten wir soweit noch nicht untersuchen, da sie nicht bei Bewusstsein war, als sie hierher gebracht wurde. Wahrscheinlich ist sie in einem Schock, weshalb sich ihr Verstand weigert aktiv zu werden. Sobald sie aufwacht, werden wir sie zu Ende untersuchen. Sie müssen keine Angst haben. Es ist nichts lebensgefährliches.“

Beruhigend legte sie mir die Hand auf die Schulter und sprach sanft zu mir. Etwas gefasster als vorher fragte ich nun, wo meine Freunde waren. Sie teilte mir mit, dass sie alle unten in der Cafeteria warten würden und nachdem ich mich bedankt hatte, verschwand ich hinter der Treppe und machte mich auf den Weg in die Cafeteria. Es war wirklich ein Wunder, wie wir alle so unverletzt durchgekommen waren. Die meisten von uns haben nur leichte Kratzer abbekommen. Meera hatte auch einen etwas tieferen Schnitt abbekommen, soweit ich weiss. Ryan hatte den Kopf am Sitz angeschlagen, aber schien keine ernsthafte Verletzungen zu haben. Ihm war es kurzzeitig schwindlig gewesen, was sich aber wieder gelegt hatte. Kate hatte es am heftigsten erwischt. Denn sie sass bei der Türe und als wir in den Graben geschleudert wurden, hatte sich ein Baum in die Türe gedrückt und somit war sie recht eingeklemmt worden. Der Sicherheitsgurt hatte nicht zugelassen, dass sie sich viel bewegen konnte und der Baum hatte heftig die Tür geschrottet. Ich war nur froh, dass sie nicht bei Bewusstsein war, sodass sie die ganzen Schmerzen nicht spüren konnte.

„Jason! Wie geht es ihr?“, fragte Sarah mich, während sie auf mich zukam.
Inzwischen hatte ich das Cafeteria betreten und alle schauten hinüber zu mir. Auf allen Gesichtern konnte ich Sorge erkennen und ich bewunderte meinen Engel, dass sie soviele Menschen um sich hatte, die sich ernsthaft Sorgen um sie machten.

„Nun sie hat immer noch nicht ihr Bewusstsein wiedererlangt. Doch die Schwester meinte, es wäre nichts Schlimmes. Sobald sie aufwacht, würden sie noch einige Tests machen und danach bräuchte sie einfach viel Ruhe und gute Erholung.“

Ich zog einen Stuhl an den Tisch und setzte mich zu den anderen. Es herrschte eine Weile vollkommene Stille und jeder schien in den Gedanken zu sein. Sobald wir Kate hierher gebracht hatten, wurde sie aufgenommen und untersucht. Eine Schwester hat währenddessen uns Formulare gegeben, die wir ausgefüllt hatten. Schliesslich hatten wir unsere Eltern informiert. Mikayla wollte sofort hierher fahren, doch ich schaffte es sie zu beruhigen und meinte nur, sie müsste nun auf Isabella aufpassen und ich würde auf Kate Acht geben (auch wenn ich es im Auto eben nicht tun konnte). Die Eltern der anderen würden später kommen und sie abholen. Denn der Pick up war völlig schrott und wir hatten nur noch unsere Sachen hinausholen können. Meine und Kates Sachen hatte ich mitgenommen und in ihr Zimmer gelegt. Sie lag zwar nicht in einem Einzelzimmer, aber die anderen Betten waren nicht belegt und somit würde sie auch nicht gestört werden. Als ich aufblickte, bemerkte ich den nachdenklichen Blick von Leila auf mir. Sie hatte ich nie verstanden. Immerhin war sie am Anfang die beste Freundin von Kate gewesen. Doch als wir in die Oberstufe gekommen waren, hatten sich ihre Wege getrennt. Am Anfang war Leila sogar noch sehr traurig gewesen, dass ihre Freundschaft aus war. Da ich mit ihr in derselben Klasse war, konnte ich sie gut beobachten. Kate verlor kein Wort über ihren Streit und sie schien auch nicht besonders traurig zu sein, obwohl ich manchmal einen traurigen Schimmer in ihrem Blick entdecken konnte. Ich habe nie herausgefunden, weshalb sie sich zerstritten hatten, denn jedesmal wenn ich das Thema angesprochen hatte, lenkte Kate sofort ab und ich beliess es einfach und wollte sie nicht bedrängen. Doch mit der Zeit hatte sich Leila mir gegenüber auch sehr merkwürdig verhalten. So als wäre ich Schuld an ihrem Streitt gewesen. Denn auch wenn sie es zu kaschieren versuchte, konnte ich manchmal Wut in ihren Augen blitzen sehen. Und ich war mir sicher, dass es mir galt. Bevor ich weiter zu sehr in Gedanken festhing, stand ich auf und bestellte mir einen Latte Macchiato. Die Verkäuferin hinter der Theke lächelte mir kokett zu. Doch ich hatte nur einen verständnislosen Blick übrig. Okay klar, wäre ich nicht wegen Kate hier, und wären wir nicht zusammen, hätte ich wahrscheinlich mit ihr geschlafen. Denn sie war nur einige Jahre älter als ich und sah echt nicht schlecht aus. Aber es war nunmal nicht so. Wie dreist musste man sein, dass man im Krankenhaus mit einem flirtete, der besorgt um seine FREUNDIN war und selbst noch einige Kratzer abbekommen hat? Kopfschüttelnd ging ich wieder zurück zu meinem Platz und nippte am Kaffee. Eilige Schritte kamen näher und als ich mich umdrehte, konnte ich die Eltern von Jan und Meera sehen. Hinter ihnen kamen auch die Connors und abschliessend sah ich auch die Eltern von Sarah. Ihre Gesichter zeigten eher Sorge als Wut. Schnell wurden sie in die Arme genommen und nach einigen Sätzen verabschiedeten sie sich von Ryan und mir und gingen schliesslich nach Hause.

„Und Kumpel, kommen deine Eltern auch etwas später?“, fragte mich Ryan.

Ich schüttelte den Kopf: „Nein man, ich bleibe hier bei ihr. Sobald sie aufwacht schaue ich dann weiter.“
Mit einem Nicken quittierte er meine Antwort und die Stille legte sich wieder über uns. Auf einmal kam die Schwester von vorhin zu uns und fragte, ob wir zu Kate wollten, da sie aufgewacht sei. Sofort sprang ich auf und zu meiner Verwunderung und leichter Verärgerung stand auch Ryan auf und folgte uns. Während wir zum Zimmer gingen, meinte die Schwester, Kate würde nach Gehirnerschütterung oder sonstige Schäden im Gehirn untersucht. Die Schwester hielt uns die Tür auf und wir gingen hinein. Der Arzt leuchtete gerade mit seiner Lampe in Kates Augen. Er konnte wohl nichts merkwürdiges finden und schrieb es in die Akte in seiner Hand. Dann fing er an sie auszufragen. Kate hatte uns noch nicht bemerkt, da sie mit dem Rücken zu uns sass.

„Also wie heissen Sie?“

„Kate“

„Und ihr ganzer Name?“

Sie überlegte einige Sekunden, doch bedauernd schüttelte sie ihren Kopf. „Tut mir Leid, aber ich kann mich nicht mehr daran erinnern.“

„Okay, und können Sie mir sagen wann sie Geburtstag haben?“

„Es ist irgendwann im Herbst, aber das genaue Datum kann ich Ihnen nicht sagen“, meinte sie wieder.

„Okay, tut Ihnen der Kopf weh oder fühlen sie eine Übelkeit?“ Sie schüttelte ihren Kopf.

„Nun das ist etwas seltsam, aber ich denke, Sie haben eine leichte Gehirnerschütterung. Die Befragung deutet auf einen Gedächtnisverlust hin, wobei Sie nicht alles, aber vieles vergessen haben. Einige Sachen wissen Sie noch, aber den grössten Teil scheinen Sie vergessen oder verloren zu haben. Nun, gegen die Schmerzen, gebe ich Ihnen Medikamente mit und ich rate Ihnen viel auszuruhen. Das Tape um ihr Handgelenk sollten Sie jeden Tag wieder wechseln und für mindestens eine Woche sollten Sie kein Sport machen. Die blauen Flecken verschwinden mit der Zeit. In die Schule können Sie noch gehen, aber Sie erhalten Sportverbot. Ich stelle Ihnen selbstverständlich ein Arztzeugnis aus. Bei ihrem Gedächtnisverlust kann ich Ihnen leider nicht behilflich sein. Aber ich bin mir sicher, mit der Hilfe Ihrer Freunde werden Sie es sicher schaffen, die Lücken zu schliessen. In der Freizeit sollten Sie nicht viel unternehmen. Denn ihr Körper benötigt nun viel Ruhe damit sich ihr Gehirn wieder sich vollständig erholen kann.“ Er kritzelte noch etwas in die Akte und verabschiedete sich von Kate. Sobald er sich umdrehte, setzte ich mich in Bewegung und umarmte Kate vorsichtig. Überrascht erwiderte sie meine Umarmung.

„Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht“, flüsterte ich in ihr Ohr, und strich über ihre Haare. Ich wich wieder zurück und lächelnd legte sie mir eine Hand auf die Wange.

„Um mich musst du doch keine Sorgen machen. Ist doch nichts Schlimmes passiert“, antwortete sie mir in normaler Lautstärke.

„Nichts passiert?! Du hast ein verquetschtes Handgelenk und einen Gedächtnisverlust und du willst mir weis machen, es sei nichts Schlimmes passiert?!“, rief nun Ryan aus und am liebsten wäre ich ihm an die Gurgel geganen.

Der sollte sich verpissen, egal wohin. Immerhin hatte er uns in den Graben gefahren. Kate drehte sich erschrocken um und hatte dementsprechend ein geschocktes Gesicht.

„Ryan, was machst du denn hier?“, fragte sie immer noch geschockt.

„Na ich sehe, wie es dir geht“; erwiderte dieser verwirrt. Schnell räusperte ich mich und teilte Kate mit, dass die anderen schon nach Hause gegangen waren. Sie nickte und befühlte ihr Handgelenk. Ein Klingeln ertönte und mit einer Entschuldigung nahm Ryan sein Iphone hervor und las wohl eine SMS durch. Er tippte etwas zurück und steckte sein Handy in seine Hosentasche.

„Tja Leute, meine Eltern sind da und ich gehe dann mal. Und Kate, es tut mir Leid, dass du nun so verletzt da liegst, nur weil ich nicht auf die Strasse geachtet habe.“ Mit einem Lächeln winkte sie das ab und wir verabschiedeten ihn. Sobald er durch die Tür verschwunden war, küsste Kate mich und überrascht erwiderte ich ihren Kuss. Etwas ausser Atem lösten wir uns und ich lehnte meine Stirn an ihre. Die kleine Mullbinde an ihrer Stirn störte mich dabei nicht im Geringsten.

„Wofür war der denn?“, flüsterte ich ihr zu.

„Darf ich meinen Freund etwa nicht ohne Grund küssen?“, stellte sie mir gespielt empört eine Gegenfrage. Mit einem Schmunzeln liess ich das Thema fallen. Wir lösten uns von einander und langsam stand sie von dem Krankenbett auf. Sie holte ihre Kleider vom Nachttischchen und ging in das nebenanliegende Bad, um sich umzuziehen.

„Weisst du wie eklig es ist, in diesem Krankenhausgewand herumzulaufen?“, stellte sie mir eine rethorische Frage, während sie ihre Haare hoch band. Als sie mein Schmunzeln sah, hörte ich ein leises „ja, lach du nur“ und musste nun noch mehr grinsen. Das Gewand legte sie fein zusammengefaltet auf das Bett und hakte sich dann bei mir ein. Zusammen gingen wir dann zum Empfangstresen.

„Hmm... Der Arzt meinte, ich sollte bei Ihnen meine Medikamente abholen“, sprach sie die Schwester an, nachdem sie sich mit einem Räuspern bemerkbar gemacht hatte. Die Schwester lächelte und verschwand für zwei Sekunden in den hinteren Teil und kehrte mit einer Tasche in der Hand zurück. Sie überreichte sie an Kate und erklärte ihr welche Medikamente wofür waren. Ich schrieb inzwischen Alex, er sollte doch uns abholen kommen. Er antwortete, er wäre in etwa zehn Minuten hier und wir sollten doch bei der Bank vor dem Eingang warten. Kate verabschiedete sich gerade bei der Schwester und ich murmelte auch ein Ciao, bevor wir langsam auf den Ausgang zu schlenderten. Sobald wir hinaus traten, fröstelte sie leicht, da es inzwischen ziemlich spät war und sie nur eine Bluse anhatte. Also zog ich ihr meinen Pullover über und wollte ihr die Ärmel hochkrempeln, als sie mich aufhielt indem sie sich in den Pullover kuschelte.

„Es riecht so gut“, murmelte sie mit geschlossenen Augen und roch an meinem Pullover.

„Kein Wunder, ist ja schliesslich meins“, erwiderte ich grinsend. Lächelnd schlug sie mir auf die Brust.

„Du bist blöd!“

„Ach, das weiss ich doch“, antwortete ich ihr und hielt sie in einer Umarmung fest. Ich hatte meinen Kinn auf ihren Kopf gelegt und sie schmiegte sich an meine Brust. So standen wir für eine Weile, bis ich sie zur Bank dirigierte, damit sie sich setzen konnte. Wenig später kam dann Alex und ich führte Kate zum Auto. Wir setzten uns beide hinten hin und Alex fuhr auch schon los, Richtung Kates Haus.

„Wer ist das?“, fragte Kate verunsichert.

„Das ist Alex, mein Bruder. Er hat gerade Ferien und ist manchmal hier, wenn er gerade nicht feiert. Er ist 22 Jahre alt, also vier Jahre älter als ich.“ Da der Radio lief, konnte Alex uns nicht gehört haben. Zum Glück stellte er auch keine unnötigen Fragen, wie zum Beispiel was geschehen sei oder so. Dies schätze ich auch sosehr an ihm. Er mischte sich nie in die Angelegenheiten der anderen ein. Kurze Zeit später erreichten wir Kates Haus und vorsichtig begleitete ich sie ins Haus, wo Mikayla ihre Tochter sofort in den Arm nahm. Ich lud Kates Gepäck und ihre Tasche aus und brachte es hoch in ihr Zimmer, damit sie nicht selbst alles hinauftragen musste. Vor der Türe verabschiedete ich mich mit einem Kuss von ihr und stieg wieder in das Auto, diesmal auf den Beifahrersitz.

„Willst du erzählen, was passiert ist?“, fragte Alex fürsorglich. Doch ich verneinte nur und er fragte nicht mehr nach. Schnell kamen wir auch zuhause an und ich trug meine Taschen hinauf in mein Zimmer. Ich war eh schon müde und dann noch all diese Treppen hinauf zu laufen war die reinste Folter. Schnell zog ich mich bis auf die Boxershorts aus und nachdem ich die Zähne geputzt hatte liess ich mich auf mein Kingsizebett fallen und fiel in einen tiefen Schlaf, aus der mich wohl niemand so schnell herauskriegen würde.

Kapitel 8

Stöhnend öffnete ich die Augen. Die Sonne schien hell durch die Vorhänge und blendete mich für eine Weile. Oh mann, wie ich es hasste morgens aufzustehen. Träge schleppte ich mich hinunter in die Küche und stellte die Kaffeemaschine an. Langsam fing es an zu kochen und lies die braune Flüssigkeit in meine Tasse fliessen.

„Guten Morgen, Jason. Na, gut geschlafen?“

„Ach, halt die Klappe und verschwinde einfach!“, murrte ich vor mich hin. Ein tiefes Lachen ertönte hinter mir.

„Vergiss deine Tabletten nicht“, meinte Alex noch bevor ich wieder in meinem Zimmer verschwand.

Mit der Kaffeetasse in der Hand liess ich mich auf meinem Bett nieder und holte mein Handy heraus. Es sind nun schon einige Wochen vergangen seit dem Unfall. Inzwischen hatten wir auch schon Mitte November, was wohl auch zur Frage meiner Freundin führte.

„Hey Jason. Mir ist gerade echt langweilig. Wollen wir auf den Weihnachtsmarkt gehen? Kate <3“

Ja, sie ist wieder gesund und in den Wochen habe ich mich auch gut um sie gekümmert. Ich tippte ihr kurz eine Antwort zurück und trank dann meinen Kaffee. Als ich dann las, wann sie los wollte, beeilte ich meinen Kaffee fertig zu trinken und lief eilig ins Bad um mich bereit zu machen. Schliesslich wollte ich ja Kate nicht in Boxershorts begrüssen, wenn sie in zehn Minuten hier ankommt. Eine kurze Dusche, schnell Zähne putzen und danach noch kurz die Tablette herunter schlucken. Ich schnappte mir noch schnell mein Handy sowie mein Porte-monnaie und joggte die Treppen herunter. Alex öffnete gerade die Türe und bevor Kate mich sah fuhr ich mir kurz durch die unordentlichen Haare und stand dann schon bei ihr. Wie immer begrüsste ich sie mit einem Kuss und einem zugerauntem Morgen. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen und ihre braunen Augen lagen auf mir. Wir gingen schliesslich hinaus und liefen los. Mit dem Auto in die Altstadt zu fahren erschien mir nicht sehr klug. Ausserdem konnte ich so etwas länger Zeit mit meiner Freundin verbringen.

„Was für Geschenke willst du denn auf dem Markt kaufen?“

„Na ja, ich brauche für Isa und Mum etwas, und für die Clique.“

„Und für mich hast du nichts?“, fragte ich sie gespielt schokiert und auch etwas wütend. Immerhin konnte sie für Ryan etwas kaufen, aber nicht für mich, ihren festen Freund?!

„Für dich habe ich etwas besonderes. Lass dich damit überraschen“, flüsterte sie geheimnisvoll und zwinkerte mir zu. Ihre Augen glitzerten vor Freude und Schalk und das Lächeln liess ihr Gesicht strahlen. Ich schluckte mein Verlangen sie zu küssen herunter und schaute weiterhin etwas beleidigt rein und wartete auf ihre Reaktion. Wie zu erwarten, lachte sie zuerst amüsiert und küsste mich schliesslich kurz. Doch bevor sie sich wieder entfernen konnte, hielt ich sie an der Taille fest und küsste sie leidenschaftlich und hingebungsvoll. Ihre Hände wanderten meine Brust hinauf, an meinem Hals entlang und während die eine Hand meinen Nacken streichelte, fuhr die andere durch meine Haare hindurch. Sie biss mir leicht in meine Unterlippe und fast wäre mir ein Stöhnen entwichen. Scheisse, dieses Mädchen machte mich verrückt. Doch auch ich blieb nicht ruhig und wollte sie glücklich und zufrieden stellen. Meine Hände wanderten ihre Seiten hinab und eine blieb auf ihre Hüfte liegen und die andere fuhr die Seiten wieder hinauf und landete auf ihrer Wange, wo ich zart darüber strich. Als meine etwas raueren Finger über ihre zarte Haut fuhr, erschauderte sie und ein Glücksgefühl durchfuhr meinen Körper. Von diesem überwältigt, drückte ich sie noch näher an mich und biss ihr meinerseits leicht in die Lippen, dass sie mit einem weiteren Schauer stumm kommentierte. Ihre Lippen waren so weich und passten einfach perfekt zu meinen. Sicher standen wir eine volle Minute da auf dem Gehweg und küssten uns. Wir konnten wohl echt froh sein, dass die Strasse etwas abgelegen war und somit nicht viele sich dahin verirrten. Langsam und etwas widerwillig beendete ich schliesslich unseren Kuss und öffnete meine Augen, zur gleichen Zeit, wie Kate es auch tat. Ich war mir sicher, dass in meinen Augen tiefe Leidenschaft und grenzenloses Glück zu sehen war, während ich in Kates warmen braunen Augen volle Zufriedenheit und Liebe erblickte. Sie keuchte stark und atmete schneller als normal, genau wie ich. Der Kuss war nicht wie die anderen einfach so gewesen. Er hatte von uns beiden vieles verlangt und auch vieles über uns preisgegeben.

„DAS war ein richtiger Kuss und nicht die kurzen Küsse, die du mir so schnell schnell gibst. Ich würde sterben für so einen Kuss“, keuchte ich immer noch ausser Atem. Kate nickte, immernoch etwas mitgenommen vom Kuss und ihr Blick flog hinunter zu meinen Lippen und wieder zurück zu meinen Augen, stark am Zweifeln, ob sie mich nun küssen sollte oder nicht. Sie keuchte auch noch stark und so standen wir beide da, und schauten uns gegenseitig an. Schliesslich beruhigte sie sich wieder und deutete darauf hin, dass wir wohl weiter sollten. Also, kein Kuss demfalls. Schade, denn ich hätte stundenlang so weiter machen können, wären wir bei mir und nicht auf der Strasse, wo uns weiss wer sehen könnte. Glücklich und lächelnd setzten wir unseren Weg fort und erreichten fünf Minuten später den Markt.

„Das ist ja wunderschön“, hauchte Kate, als wir den Marktplatz betraten. Es war wirklich bezaubernd, wie die Marktstände aufgestellt und dekoriert waren. Überall waren bunte Tücher zu sehen und man konnte auch in der Mitte einen grossen Tannenbaum ausmachen, der reichlich dekoriert war. Gemächlich schlenderten wir los und schauten uns die verschiedenen Stände an. An einem Stand blieb Kate stehen und griff nach einen schönen Schal. Er war aus Seide und war dunkelviolett mit schwarzen  geschwungenen Linien darauf.

„Für wen ist er?“, fragte ich sie.

„Naja, ich überlege für Mum den hier zu kaufen. Denkst du, es würde ihr gefallen?“, fragte sie mit gerunzelter Stirn, liess aber den Blick nicht vom Schal los.

„Natürlich würde es ihr gefallen. Und die Farbe passt gut zu ihr. Sie würde sich sicher wahnsinnig darüber freuen.“ Immer noch skeptisch schaute sie auf zu mir. Aber als sie mein nickendes Gesicht sah, war sie wohl überzeugt und bezahlte den Betrag, den die Verkäuferin nannte und weiter ging es mit unserem Bummel. Nach einigen weiteren Stunden waren wir schliesslich mit der einen Seite des Marktes fertig und entschieden uns einige Sandwich zum Mittag zu holen. Schnell hatten wir uns eines gekauft und setzten uns auf eine Bank, um sie zu essen. Bis jetzt hatte Kate für ihre Familie und die Clique etwas gefunden. Ich dachte sie hätte nun alles, aber sie meint nur, sie bräuchte noch zwei Geschenke. Wenn ich darüber nachdachte, fragte ich mich schon, für wen sie noch Geschenke benötigte. Das fragte ich sie auch.

„Ich will unbedingt für Leila noch ein Geschenk“, jammerte sie. Also entschieden wir uns die andere Seite des Marktes anzuschauen. Wir assen noch kurz alles auf, bevor wir uns losmachten. Die Hände tief in der Manteltasche vergraben folgte ich Kate, die alles neugierig betrachtete. Vielleicht sollte ich mich auch mal auf die Suche nach Geschenke machen. Auch wenn ich nicht viele Personen zu beschenken hatte, sollte ich wohl Alex, Mikayla, Isa und natürlich Kate etwas schenken. Die Frage war nur, was?! Als wir beim nächsten Stand waren, sah ich ein hübsches Paar Ohrringe, die mit der Silberfassung einen caramell farbenen Stein umhüllten. An diesem Stand waren auch Handschuhe zu finden und ich wählte ein Paar dunkelviolette aus. Ein braunes Lederarmband mit schwarzen kunstvollen Muster war auch aufzufinden und ich kaufte alle drei für einen günstigen Preis ein. Kate hatte mein ganzes Tun schweigend beobachtet und stellte die Frage, die ich schon erwartet hatte.

„Ich werde dir nicht verraten, wem ich das alles schenke. Das wirst du noch sehen“, flüsterte ich ihr ins Ohr und merkte, wie ich sie neugierig gemacht habe. Sie schmollte noch ein wenig und versuchte heraus zu finden, wem ich es schenke. Doch ich schwieg wie ein Grab, schüttelte hin und wieder den Kopf und grinste die ganze Zeit. Schliesslich gab sie die Versuche auf und gemeinsam durchsuchten wir weiter die Stände nach einem passenden Geschenk. Ich suchte eigentlich für sie eins. Aber ich konnte nicht vor ihr, ihr Geschenk kaufen. Also versuchte ich für eine kleine Weile von ihr los zu kommen.

„Kate, ich geh mal kurz zum anderen Stand. Ich dachte, ich hätte dort einen Freund gesehen. Bin gleich wieder zurück.“
Ich drehte mich um und joggte zum anderen Stand. Da inzwischen eine Menge Leute sich auf den Markt eingefunden haben, konnte sie mich schon nach einigen Sekunden nicht mehr sehen. Zu meinem Glück auch. Ich beeilte mich an einen Stand zu kommen, an dem ich das perfekte Geschenk für sie gefunden hatte. Oder jedenfalls, würde es noch das perfekte Geschenk werden. Ich nahm die Silberkette mit dem Rubinherzen als Amulett und gab es dem Verkäufer.

„Könnten Sie mir bitte darin zwei Namen eingravieren?“
„Leider kann ich es Ihnen nur in die Silberfassung gravieren. Wenn sie aber damit einverstanden wären, würden Sie die Namen hier kurz aufschreiben, bitte?“
Also schrieb ich mit sauberer Schrift Jason & Kate auf und reichte das Blatt Papier dem Verkäufer. Er machte sich sofort ans Werk und er muss wohl ein Künstler sein. Denn innerhalb weniger Minuten war er zufrieden mit seiner Arbeit, zeigte es mir und nannte den Betrag. Staunend holte ich meine Brieftasche heraus, bezahlte den hohen Betrag und liess es auch in einer schönen Schachtel verpacken, mit einem dazu passenden Ring, dessen Stein je nach Sonneneinfall eine andere Farbe erhielt. Beides steckte ich in meine Jackeninnentasche und suchte Kate im Getümmel auf. In der Nähe der Tanne fand ich sie und ging auf sie zu.

„Na, fertig mit deinen Einkäufen?“

„Ja, ich habe alle Geschenke gefunden. Und hast du deinen Freund getroffen?“

„Ja, wir hatten eine kurze Unterhaltung. Aber er musste dann auch schon los“, log ich sie an. Ich konnte ihr ja schlecht die Wahrheit sagen. Wir blieben eine Weile dort stehen und betrachteten die hohe Tanne. Denn inzwischen war es schon dunkel geworden und die Lichter leuchteten hell. Die Stimmung wurde immer weihnachtlicher und wir entschieden uns, noch ein wenig unsere Zeit hier gemeinsam zu verbringen. An einem Stand kaufte ich heisse Schokolade für uns beide und wir wärmten unsere Hände an den warmen Bechern. Kate versank inzwischen fast in ihrem Schal und ihrer Mütze. Kleine Atemwolken verliessen sie und ihre Nase wurde schon fast rot vor Kälte. Sie merkte wohl meinen Blick auf sich und drehte sich zu mir um.

„Was?“, fragte sie mich verwirrt.
Lächelnd schüttelte ich den Kopf und meinte es wäre nichts. Als ich mein Getränk fertig getrunken hatte, warf ich den Becher fort und umarmte Kate von hinten, damit sie etwas wärmer hatte, als bisher. Unbemerkt kuschelte sie sich mehr in meine Umarmung und trank  ihr Getränk weiter.

„Es ist schön hier, so mit dir und dieser weihnachtlichen Stimmung“, meinte sie dann irgendwann. Wir standen etwas abseits vom Markt und betrachteten wie die Leute, fröhlich miteinander redeten, Geschenke kauften und gute Laune verbreiteten, trotz der Kälte.

„Ja, finde ich auch. Der Tag hat echt Spass gemacht.“ Nickend bestätigte sie meine Aussage. Wir fielen wieder in ein Schweigen, dass ich dann schliesslich mit einem leisen Danke unterbrach.

„Wofür denn?“, fragte Kate mich verwirrt und drehte sich in der Umarmung um. Ich verwirrte sie heute eindeutig zu oft, fiel mir auf. Aber sie sah auch so süss aus, so halb in ihrer Kleidung begraben und ein verwirrtes Gesicht, mit gerunzelter Stirn.

„Naja, für den Kuss, für den Tag, für deine Nähe, für alles halt“, beendete ich meine Antwort.

„Jason was redest du da für einen Blödsinn. Ich bin deine Freundin. Da unternimmt man ja was zusammen. Ich meine, das ist normal“, behauptete sie immer noch verwirrt.

„Nein, ich meine, du hättest damals auch nein sagen können oder mir nicht verzeihen können. Stattdessen hast du mir nicht nur eine Chance gegeben sondern auch verziehen. Du hast keine Ahnung, wie glücklich du mich jeden Tag machst. Wie du mit einem kleinen Lächeln mir den Tag versüsst. Wie du mit deinem Anblick mir den Atem raubst. Wie du mit deinen Küssen mich um den Verstand bringst. Und am wichtigsten, du hast keine Ahnung, wie sehr ich dich liebe“, endete ich flüsternd, die Hand an ihre Wangen. Zärtlich fing ich an sie zu küssen. Doch schnell vertiefte sie den Kuss und plünderte meinen Mund. Diesmal hatte sie die Führung übernommen und liess mich alles um mich herum vergessen. Ausser Atem gingen wir auseinander, als wir durch einen Stoss eines Passanten unterbrochen wurden. Ich sah, wie Kate immer mehr kalt bekam und leitete sie auf den Heimweg, ohne auf das Gesagte oder den Kuss einzugehen. Auf dem Heimweg kamen wir an einer Seitengasse vorbei und zwei Personen, mit einer Kapuze tief im Gesicht, standen dort und unterhielten sich seltsam leise. Als ich endlich begriff, wer sie waren, wollte ich nur noch weg. Doch es war zu spät. Sie hatten mich bereits bemerkt.

„Hey Jason! Was geht Alter? Hast du wieder mal ne neue am Start? Sieht gar nicht aus wie die anderen Schlampen. Wer ist sie denn? Ach, ich finde es selbst heraus. Mein Name ist Taylor und wie heisst du den, meine Süsse?"

Kapitel 9

Scheisse! Scheisse, scheisse, scheisse! Wieso in aller Welt jetzt und vor allem weshalb Taylor und Zack?! Ich meine es gibt sieben Milliarden Menschen auf dieser Erde und ausgerechnet Taylor und Zack mussten in der Gasse sein?! Scheisse! Und das auch noch wenn Kate dabei ist. Ich blickte neben mir und entdeckte eine ziemlich verunsicherte, verängstigte, bleiche Kate. Wenn ich sie schon dermassen mit hineingezogen habe, musste ich mindestens Schadenbegrenzung machen. Kate schaute immer noch misstrauisch auf Taylors Hand und überlegte sich, ob sie sich vorstellen sollte oder nicht. Bevor sie jedoch dies tat, griff ich schnell ein.

„Hey Taylor, Alter. Lange nicht gesehen. Was treibst du denn hier?“ Verdammt! Das war definitiv die falsche Frage. Immerhin wusste ich ja bereits, was er hier machte. Doch mein Gehirn hatte wohl einfach keinen besseren Einfall gehabt. Scheisse! Ich musste Kate schnellstens hier wegbringen und Taylor durfte auf keinen Fall erfahren, wer sie wirklich ist.

„Na was wohl?! Das übliche halt. Du weisst schon. Aber sag du mir doch, wer die Kleine hier ist. Immerhin sieht sie anders aus, so normal halt.“ Der abschätzige Blick auf Kate entging mir nicht. Und doch konnte ich etwas in seinen Augen blitzen sehen. Ich wusste es nur nicht zu deuten.

„Ach, nur eine alte Freundin von mir. Habe sie vorher kurz getroffen und wollte sie sicher nach Hause bringen. Du weisst schon, unsichere Gegend und so“, antwortete ich gespielt gelassen. Innerlich hoffte ich nur, dass unser Gespräch damit beendet wäre und wir endlich gehen konnte. Den verwirrten Blick von Kate auf mir, ignorierte ich gekonnt. Oh, man! Das wird ein langes Gespräch nach sich ziehen und ich habe keine Ahnung, wie ich es Kate erklären sollte. Wieso musste ich auch diesen Scheissweg wählen, wo natürlich niemand anderes als Taylor und Zack sind?! Nun gut. Fluchen bringt jetzt auch nicht viel. Ich sollte wohl lieber Kate hier wegbringen.

„Nun, war schön dich wieder mal gesehen zu haben. Aber ich muss los.“

„Klar Alter! Und pass auf die Schnalle auf. Schliesslich kann sie dir leicht entwischen“, lachte er dreckig und sein Blick zeigte mir, was er sich vorstellte. Am liebsten würde ich auf ihn zugehen, ihn packen und einige Schläge verpassen. Aber Kate hier wegzubringen erschien mir jetzt wichtiger. Ich legte ihr eine Hand auf den Rücken und drängte sie weiter zu gehen. Zum Glück leistete sie mir keinen Widerstand und hatte auch vorhin kein Wort gesagt. Ich kann auch nur von Glück reden, dass Zack sich nicht eingemischt hatte. Der konnte in seinem Zustand schlimmer sein als Taylor. Meine Hände ballten sich zu Fäusten, bei der Vorstellung, wie er sie berühren würde. Mein Atem beschleunigte sich und meine Sicht verschwamm. Mein Hirn spielte mir falsche Bilder vor, die ich nicht sehen wollte. Eine Berührung an meiner Wange holte mich glücklicherweise aus dieser Qual heraus.

„Jason, ist alles in Ordnung? Ich habe dich etliche Male gerufen, aber du hast nicht reagiert. Was ist los?“ Das sorgenvolle Gesicht von Kate brachte mich wieder zurück in die Gegenwart und sofort wurden meine Züge weicher.

„Ja, alles in Ordnung. Ich war nur gerade in Gedanken. Lass uns weitergehen.“ Ich gab einen Kuss auf ihre Handinnenfläche und nahm sie dann in meine und hielt sie fest. Der restliche Weg verlief schweigsam und ich war Kate so dankbar, dass sie mich nicht sofort mit Fragen bombardierte. Ich weiss echt nicht, womit ich sie verdient hatte. Ein Blick auf sie genügte mir zu wissen, dass ich diesen Diamanten unter den Milliarden von Kieseln mit meinem Leben schützen musste und sie nicht gehen lassen konnte. Vielleicht mag ich sie nicht verdient haben, aber ich war viel zu egoistisch um sie gehen zu lassen. Auf keinen Fall würde ich in einer Welt ohne sie überleben. Scheisse, wie kitschig war ich denn geworden. Dieses Mädchen hat mich schon seit der Kindheit verzaubert. Seit diesem einen Tag am See, habe ich mich in sie verliebt. Jeden Tag ein bisschen mehr. Jede weitere Sekunde, die ich mit ihr zusammen verbringe, liebte ich sie mehr. Sie erweckte so viele Sachen in mir, von der ich bisher nie gehört oder sogar geglaubt habe, dass sie existierten. Inzwischen waren wir in ihrer Strasse angekommen und standen auch schon vor ihrer Haustüre. Mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete sie sich von mir.

„Was?! Kein richtiger Kuss? Echt jetzt?!“ Ich konnte einfach nicht anders als nachzufragen. Sie lachte kurz und bereitete mir damit eine Gänsehaut.

„Du hattest heute genug richtige Küsse. Geh jetzt schlafen. Gute Nacht Jason.“ Damit schloss sie die Tür hinter sich. Etwas traurig darüber trottete ich nach Hause. Zuhause ging ich direkt in mein Zimmer und zog mich bis auf die Boxershorts aus. Ich ging noch die Zähne putzen und die Tablette nicht zu vergessen. Als ich schon im Bett lag, schrieb ich Kate noch eine Nachricht.

Hoffe du träumst wiedermal von mir. Falls nicht, werde ich dafür sorgen, dass du nur noch von mir träumst.“ Bevor ich die Nachricht wieder löschen konnte, hatte ich sie aber auch schon gesendet. Meine Finger hatten einfach automatisch auf senden gedrückt, ohne auf den Befehl von mir zu warten. Scheisse! Was Kate wohl jetzt von mir denken wird? Musste ich immer alles verderben?! Das Handy in meiner Hand vibrierte und sofort las ich mir die Nachricht durch.

Ha, dazu kannst du noch lange warten. Währenddessen kannst du ja von mir träumen.“ Die Antwort liess mich schmunzeln und schnell hatte ich ihr zurück geschrieben.

Was denkst du, mache ich wohl jede Nacht?! ;-)“ Ihre Antwort kam diesmal auch schneller.

Naja, ich dachte immer, du würdest die ganze Nacht lang neben meinem Bett stehen und mich beim Schlafen beobachten, wie ein kleiner Stalker :-P“ Das liess mich nun wirklich auflachen.

Ach, bist du dir denn sicher, dass es nur kein Traum von dir war?“ Lange erhielt ich keine Antwort und als ich schon fast glaubte, sie sei eingeschlafen, erhielt ich eine Antwort, die mir das Blut in den Adern gefrieren liess.

Jason, der Typ von vorhin steht in unserer Strasse. Ich habe das Licht zwar ausgeschaltet, aber ich habe das Gefühl, dass er ab und zu hinüber zu unserem Haus schaut. Ich habe echt Angst. Wer ist das und was soll ich machen?“ Was machte Taylor bei ihr in der Gegend? Er ging nie in eine solche Gegend. Er geht immer nur in Seitengassen und gottverlassene Orte hin. Was hat er also bei Kates Strasse verloren?! Am liebsten wäre ich jetzt zu Kate hinüber gelaufen. Aber das hätte nur unnötige Aufmerksamkeit auf Kate gezogen. Denn was sollte ich, ein Player, nach Taylors Meinung, bei einem Mädchen verloren haben, ausser dass ich mit ihr schlafe?! Doch Kate war ja anders. Nur durfte Taylor das nie erfahren. Sonst wäre Kate erledigt. Ich musste jetzt einfach Kate beruhigen.

Taylor? Der tut dir nichts. Leg dich einfach schlafen und schon morgen wirst du darüber wieder lachen können. Apropos morgen, soll ich dich wieder abholen kommen?“ Ich hoffte, ich konnte sie beruhigen.

Ja, hast recht. Und ja, ich würde mich freuen. Nun aber gute Nacht und träum schönes von mir. :*“ „Danke, dir auch gute Nacht und träum du auch schön von mir. :*
Ich war so erleichtert, dass Kate nun beruhigt schlafen konnte. Denn ich würde sicher nicht ruhig einschlafen können. Ich musste unbedingt mit Taylor reden, herausfinden was er trieb, was er vorhatte. Vielleicht könnte ich ihn ja jetzt noch erwischen. Schnell zog ich mich wieder an und lief die Treppen hinunter. Alex war eh nicht da, also musste ich niemanden mitteilen, dass ich noch rausgehe. Mit dem Schlüssel und dem Handy in der Hand, schloss ich die Türe hinter mir. Ich nahm einen kurzen Umweg, damit es Taylor nicht sehr verdächtig vorkam, wenn ich so plötzlich bei ihm auftauchte. Die Kapuze hatte ich tief ins Gesicht gezogen und bald sah ich schon Taylor unter einer Strassenlaterne stehend. Zack war nicht in der Nähe und dies bedeutete nur, Taylor hatte etwas vor. Meine Gedanken rasten, was er wohl mit Kate vorhatte. Sie musste unbemerkt bleiben, sonst wäre nicht nur ich, sondern auch sie erledigt. Wie würde sie wohl reagieren, wenn sie die Wahrheit erfahren würde? Sie würde sicher sofort mit mir Schluss machen und danach noch am Boden zerstört sein. Nein! Ich musste verhindern, dass Taylor auch nur irgendetwas verriet, nicht einmal das kleinste Bisschen.

„Hey, Alter! Habe dich gar nicht gesehen. Was machst du denn hier? Du treibst dich doch nie nur in die Nähe einer Strassenlaterne?“ Ich konnte nur hoffen, dass er meine Aufregung nicht anmerkte.

„Zwei mal in einer Nacht, was. Ach, es gibt doch immer ein erstes Mal. Nicht wahr?“ Er lachte dreckig über die Zweideutigkeit in seinem Satz.

„Nun, aber was war denn der Anlass dazu?“, fragte ich neugierig.

Er warf seinen Zigarettenstummel auf den Boden und trat ihn aus. Sobald er den Qualm geblasen hatten, antwortete er mir auch: „Nun, deine kleine Freundin, hatte mich schon neugierig gemacht. Ich wollte nur wissen, wie sie dich um den Finger gekriegt hatte.“ Dabei blickte er mich direkt an und zog eine Augenbraue in die Höhe. Hatte er herausgefunden, dass sie meine Freundin war? Wie konnte er das wissen? Ich wusste, wenn ich jetzt in Schweiss ausbrach und vor mir her stotterte, wäre es das gewesen und er würde die ganze Wahrheit wissen. Ich musste nun professionell bleiben und diplomatisch handeln. Die einzige Möglichkeit: Lügen und schauspielern.

Ich lachte zuerst künstlich auf und antwortete ihm schliesslich: „Wie ich es schon vorhin gesagt habe. Sie ist eine alte Freundin von mir und sie hat mich sicher nicht um den Finger gewickelt. Eher meine Mutter würde ich sagen. Als ich noch kleiner war, war sie auch auf dem Spielplatz und unsere Mütter freundeten sich an. Seither verlangt meine Mutter, dass ich immer nett zu ihr sein soll und so der restliche Kram halt. Und ich muss ja mein Bild von einem gut erzogenen Sohn aufrecht halten. Deshalb das Ganze.“

Taylor lachte. „Ach wirklich? Und das, obwohl deine Eltern nicht einmal hier sind. Ich dachte schon, du wärst mit ihr zusammen und hast mich vorhin angelogen. Aber du bleibst wohl für immer der Bad Boy, auch wenn die Hälfte der Welt das nicht weiss.“
Lachend holte er sich eine neue Zigarette und streckte mir auch eines hin. Ich nahm ihn an und zündete es mir an, nachdem mir Taylor das Feuerzeug hin hielt. Tief sog ich den Rauch in mir auf. Wie lange hatte ich schon keine Zigarette mehr geraucht und jetzt fing ich wieder an zu rauchen, um die Farce aufrecht zu halten. Scheisse, man! Ich wusste echt nicht, wie lange das Ganze noch gut gehen konnte.

„Und wie laufen deine Geschäfte?“, fragte ich Taylor, um eine Konversation zu betreiben.

„Nun, nicht schlecht. Obwohl die Kunden immer weniger kaufen, in letzter Zeit. Ich frage mich, woran das wohl liegt.“ An mir, dachte ich nur, doch sprach es nicht aus.

„Ich habe dich schon lange nicht mehr dealen gesehen. Bist du etwa clean geworden oder hast du nur Angst, von der Polizei gefangen zu werden?“, scherzte er. Doch wieder lag sein stechender Blick auf mir, während ich dem Rauch um uns herum zuschaute, wie sie sich langsam in der Luft auflösten. Was sollte ich darauf auch antworten?! Dass ich clean bin?! Der würde mich schief anschauen und dann mir eine Knarre an den Kopf halten. Also kam das ganz sicher nicht in Frage. Vielleicht eine weitere Lüge. Ich meine, ich lüge fast mein ganzes Leben vor. Wieso nicht eine weitere Lüge.

„Nein, man. Nichts davon. Ich war nur in letzter Zeit beschäftigt. Du weisst schon, Schule und so. Ausserdem könnte es sein, dass meine Eltern wieder zurückkehren. Und ja, der ganze Stress halt. Ich hab gehört, dass in letzter Zeit vermehrt Polizisten hier herum fahren. Also pass auf, Taylor.“

„Was? Hast du etwa Angst vor der Polizei?“, fragte er mich lachend, als hätte ich gerade einen Witz gemacht.

„Nein, das nicht. Aber falls ich erwischt werde, bin ich sowas von dran.“ Die Wahrheit konnte ich unmöglich sagen.

„Alles klar. Es wird langsam Zeit. Ich sollte mich auf den Weg machen. Wer weiss, was die Jungs angestellt haben. Also, ich erwarte dich bald wieder anzutreffen. Tschau“

Ich hob nur eine Hand und wartete, bis er nicht mehr zu sehen war. Sobald er um die Ecke verschwunden war, trat ich meine Zigarette aus und kaute an einem Kaugummi herum. Der beissende Geruch war stark in der Luft und in meinem Mund hatte ich den altbekannten Zigarettengeschmack. Doch im Gegensatz zu früher, wollte ich ihn nur schnellstens loswerden. Ich blickte noch ein letztes Mal zu Kates Zimmer, bevor ich zurück wollte. Ich sah gerade noch, wie ein Schatten hinter dem Vorhang verschwand. Scheisse! Sie hatte mich gesehen. Mit Taylor. Vor ihrem Haus. Sie hatte alles mit angesehen. Blass im Gesicht und völlig versunken in Gedanken starrte ich ihr Zimmer an. Ganz unscharf konnte ich Konturen sehen, wie sich eine Person ins Bett legte. Kate! Warum verdammt? Warum konntest du dich nicht einfach schlafen legen, so wie du es mir geschrieben hattest? Warum Kate? Eine ganze Weile stand ich noch so da und hatte mein Gesicht schmerzvoll verzogen. Schliesslich trat ich verzweifelt und mit hängendem Kopf den Heimweg an.

Du kannst morgen ohne mich losgehen. Ich schaffe es auch alleine dahin.“ Ihre Nachricht versetze mir einen Stich ins Herz und ich fragte mich nur, was ich getan hatte. Eines stand fest. Ich werde sie morgen ganz sicher abholen. Egal ob sie es wollte oder nicht. Wir mussten reden.

 

Kapitel 10

Kate P.o.V.

Dealen, Rauchen, was sonst noch? Was sonst noch wusste ich nicht über Jason? Schockiert über die neu erfahrenen Informationen schaute ich aus dem Fenster zu Jason. Gerade in diesem Moment drehte er sich zu mir um und schnell verschwand ich hinter dem Vorhang. Jason dealte?! War der Polizist deshalb wiedermal bei uns gewesen? Um Hinweise nach Drogendealern zu suchen? Bevor ich weiter in kuriose Gedanken kam, legte ich mich ins Bett, schickte aber Jason noch eine Nachricht, dass er mich morgen nicht abholen kommen brauche. Doch auch im Bett konnte ich keine Ruhe finden. Ständig gingen mir die eben gesehenen Bilder durch den Kopf. Was hat er mit diesem Typen da, Taylor, zu tun? War dieser auch ein Drogendealer? War vielleicht das Ganze nur ein Spiel für ihn gewesen? Hatte er mich nie geliebt? All die Sachen, die er mir gesagt hatte, wie seine kleine Rede auf dem Markt vorhin, waren das nur Lügen gewesen? Tränen rannen mir die Wangen hinab und ich weinte stumm in meinen Kissen. Ich habe ihm vertraut. Wie naiv war ich denn gewesen?! Als ich ihm die Geschichte mit dem Gedächtnisverlust erzählt hatte, hatte er seine Chance gesehen, mir irgendeinen Scheiss weis zu machen, damit er mich schneller herumbekommt. Jetzt verstand ich auch, was Taylor vorhin gemeint hatte.

„Hey Jason! Was geht Alter? Hast du wieder mal ne neue am Start? Sieht gar nicht aus wie die anderen Schlampen.“
Ich war nur eine Schlampe für ihn. Ein weiteres Betthäschen, sonst nichts. Niemals habe ich ihm irgendetwas bedeutet. Nein, ich habe mich geirrt. Jason kannte das Gefühl der Liebe nicht, nicht damals, nicht heute, wahrscheinlich niemals. Wieso? Wieso musste alles mir passieren? Nicht genug, dass ich ein Gedächtnisverlust habe, nein, mein Vater ist auch noch verschwunden, der Unfall und jetzt noch das. Die Tränen konnte ich nicht mehr stoppen und so benässten sie mein Kissen. Hölle, was mache ich denn nur? Mein Blick fiel auf den Schal, der auf dem Stuhl hing. Plötzlich verschwamm die Umwelt und nur der Schal blieb scharf sichtbar. Ich war jetzt nicht mehr in meinem Zimmer sondern wieder in dem Park, wo Leila und ich uns damals gestritten hatten. Der Schal lag um meinen Hals und Leila stand vor mir und gestikulierte wild.

„Kate, wie oft soll ich es dir noch sagen. Jason ist kein guter Umgang für dich. Er ist ein Dealer und ist in anderen kleinen kriminellen Geschäften eingewickelt. Ich will dir doch nur helfen. Ich will nur das Beste für dich.“

„Nein! Ich glaub dir kein Wort. Jason ist nicht kriminell. Klar, er raucht und sieht manchmal gefährlich aus, das heisst aber lange nicht, dass er ein Dealer ist. Wir sind beste Freunde. Er hätte mir soetwas gesagt. Ich dachte echt, du weisst was Freundschaft heisst und dir wäre unsere Wert. Leider scheine ich mich gewaltig getäuscht zu haben. Doch weisst du was, es spielt auch keine Rolle mehr. Denn das wars mit unserer Freundschaft.“ Mit diesen Wörter stürmte ich aus dem Park. Leila war zuerst schockiert, bevor sie anfing zu weinen. Sobald ich aus der Sicht von Leila verschwunden war, weinte ich auch schon los und setzte mich auf eine Bank im Wald.“

Das Bild verschwamm und ich war wieder in meinem Zimmer auf dem Bett. Das war wieder eine Vision gewesen. Leila hatte Recht gehabt. Sie hatte es schon damals gewusst, doch ich wollte es ihr nicht glauben. Ich hatte ihr Unrecht getan und nicht sie mir. Soviele Jahre hatte ich ihr die Freundschaft verweigert und dabei hatte sie nur das Beste für mich gewollt. Noch mehr Tränen strömten aus meinen Augen. Morgen musste ich wohl mein Fehler korrigieren. Morgen wird ein sehr anstrengender Tag werden. Schliesslich wusste die ganze Schule, sogar die halbe Stadt, dass ich mit Jason zusammen war. Wie sollte ich nun allen erklären, dass unsere Beziehung einen Hänger hat? Dass es sogar wahrscheinlich aus ist mit uns? Dabei dachte ich wirklich, er liebte mich. Seine warmen braunen Augen, die mich so intensiv angeschaut haben. Seine Wärme, seine Nähe, seine Berührungen, die mir wohlige Schauder beschaffen hatten. Und seine Küsse erst. So alles ergreifend wie der von heute.

„DAS war ein richtiger Kuss und nicht die kurzen Küsse, die du mir so schnell schnell gibst. Ich würde sterben für so einen Kuss“ All das war doch auch nur gelogen. Wie konnte er mir das nur antun? Mit vielen weiteren Tränen, tausenden von Gedanken und einem unruhigen Schlaf überstand ich schliesslich die Nacht.

Müde trottete ich in das Badezimmer und machte mich fertig für die Schule. Wie zu erwarten fand ich Mum fleissig in der Küche handhaben. Inzwischen wussten alle von meinem Teil Gedächtnisverlust, da Ryan alles ausgeplappert hatte. Seitdem umsorgten sich die Leute mehr um mich. Doch die Frage um meinen Dad hatten wir immernoch nicht geklärt. Jedesmal wenn ich Mum danach fragte, kam irgendetwas dazwischen, sodass ich ihre Antwort nie erfahren konnte. Aber heute wollte ich es herausfinden. Denn er ist seit Monaten nicht mehr hier und langsam mache ich mir wirklich grosse Sorgen. Jason hin oder her. Dad war ja wohl wichtiger. Also stellte ich meine Mutter sofort zur Rede, bevor ich Isa aufwecken gehen musste.

„Was sollte denn mit eurem Dad sein?“, fragte sie gespielt fröhlich.

„Mum, lüg mich bitte nicht an. Sag mir jetzt die Wahrheit. Wo ist Dad?“ Mum verdrängte mit aller Kraft ihre Tränen und meinte nur ich sollte Isa wecken gehen, damit wir nicht zu spät waren.

„Wir reden noch“, sagte ich meiner Mutter bevor ich Isa wecken ging. Nachdem wir bereit für die Schule waren, nahm ich Isa an der Hand und ging aus dem Haus. Wider erwarten stand Jason vor der Türe und konnte mir nicht in die Augen schauen. Den Kopf hielt er gesenkt und eine Spannung entstand zwischen uns. Isa bemerkte nichts davon und lief auf ihn zu, umarmte ihn und wünschte ihm einen guten Morgen. Jason lächelte ihr zu und sah dann auf zu mir. Ich schaute demonstrativ weg, nahm Isa wieder an der Hand und lief los, ohne Jason auch ein bisschen zu beachten. Jener trottete hinter uns her und sobald ich Isa an ihrer Schule frei liess, rief er auch schon nach mir. Sturr lief ich weiter, denn ich konnte es nicht ertragen wieder in sein Gesicht zu blicken, nach alldem was er mir angetan hatte.

„Kate, jetzt warte doch bitte“, rief er mir zu, während er schneller auf mich zukam. An der Schulter drehte er mich zu sich um.

„Warum? Damit du mich weiter anlügen kannst? Damit du noch mehr Sachen vor mir verschweigst? Damit du mich nocheinmal verletzt?“ Tränen wollten herausquellen, aber ich hielt sie mit aller Kraft zurück. „Nein, Jason. Vielen Dank aber ich verzichte lieber darauf.“ Damit drehte ich mich um und lief schnell wieder los.

„Kate, du verstehst das falsch.“

Schnell drehte ich mich wieder um und teilte ihm meine Meinung mit. „Ach ja, wie sollte ich das falsch verstehen, dass du mit einer Zigarette vor unserem Haus mit diesem Taylor stehst und ihr euch über eure Dealergeschäfte unterhaltet? Habe ich da falsch verstanden, dass du ein Raucher bist, oder dass du kein Dealer bist, sondern nur so getan hast? Oder sollte ich falsch verstehen, dass du nicht einmal bereit bist, uns als ein Paar zu sehen, sondern nur gute Freunde? Ja, das Fenster war offen und ich habe alles mitgehört. Sollte ich falsch verstanden haben, dass du mich nie geliebt hast, sondern nur mit mir ins Bett wolltest? Das war es doch was du wolltest. Schon damals auf Dwains Party. Insgeheim hoffst du doch nur, dass ich schnell meine Beine breit mache, damit das ganze Theater vorbei ist. Macht dir das Spass mich so zu verarschen? Ich war dir doch nur eine Herausforderung und nun hast du mich auch noch herumbekommen. Nur der Sex wurde dir verweigert und nun versuchst du es dir zu holen, nicht wahr?! Es reicht Jason. Das wars mit uns.“

Mit diesen Worten drehte ich mich wieder um und lief los. Die Tränen rannen wieder über meine Wangen, die ich hastig wegwischte. Ich konnte unmöglich weinend in die Schule gehen. Also säuberte ich mir mit einem Taschentuch das Gesicht und kam dann auch schon in der Schule an. Schnell hatte ich meine Clique gefunden, doch ich musste nun mit Leila reden. Also suchte ich sie, aber fand sie nicht auf dem Schulhof. Es klingelte und so verbrachten wir den Tag in der Schule. Es gab schon einige Gerüchte und Getuschel wegen mir und Jason, aber es hielt sich noch in Grenzen. Durch den Prüfungsstress sah ich Leila den ganzen Tag nicht und sendete ihr somit eine SMS, dass wir uns im Park treffen sollten, da ich etwas zu bereden hatten. Sie antwortete mir, dass sie da sein würde und somit ging ich nach der Schule direkt zum Park. Ich ging zu dem gleichen Platz wie damals und fand Leila, die auf dem Boden sass und die Natur betrachtete.

„Hey“, begrüsste ich sie leise und setzte mich ebenfalls auf die Wiese.

„Hey, na wie geht es dir?“, meinte sie fürsorglich, als wüsste sie bereits was los war. Ich konnte nicht mehr und erzählte ihr alles. Angefangen mit dem Maskenball bishin zur Unterhaltung von heute Morgen. Natürlich habe ich nur die Sachen bezüglich Jason erwähnt. Statt mich auszulachen und zu sagen, dass sie ja genau das gesagt hätte, zog sie mich in ihre Arme und tröstete mich, während ich wiedermal stumm weinte. Nach einer Weile löste ich mich wieder von ihr und wischte mir die letzten Spuren meiner Tränen weg.

„Gehts wieder?“, fragte sie mich fürsorglich.

„Ja, danke Leila. Also eigentlich.. hmm.. wollte ich mit dir über damals reden. Es tut mir so Leid, dass ich dir nicht geglaubt hatte. Ich weiss, dass du Recht hattest, aber ich konnte es damals einfach nicht glauben. Auf jedenfall, es tut mir so Leid und ich hoffe, du kannst mir verzeihen. Schliesslich habe ich echt schlimme Dinge zu dir gesagt.“ Ich konnte ihr kaum in die Augen blicken, aber als sie weiterhin schwieg, blickte ich auf und sah ihr nachdenkliches Gesicht.

„All die Jahre habe ich auf so einen Moment gehofft. Wir würden wieder beste Freunde sein, so wie damals. Aber niemals hätte ich gedacht, dass es so dazu kommen würde.“ Sie blickte auf und hatte Tränen in den Augen. Doch das waren nicht Freudentränen, sondern Tränen der Trauer.

„Heisst das, du willst gar nicht mehr mit mir befreundet sein?“, fragte ich zur Sicherheit nach.

„Doch natürlich will ich mit dir befreundet sein. Wie gesagt, ich wünsche mir diesen Moment seit Jahren.“

„Aber? Ich meine wieso bist denn dann so traurig?“ Ich verstand sie wirklich nicht.

„Was?! Ich bin nicht traurig. Ich bin nur froh, meine beste Freundin wieder zu haben. Nun es wird langsam Zeit. Ich sollte wohl nach Hause gehen, bevor Charlie sich noch Sorgen um mich macht. Du weisst ja, wie beschützerisch er sein kann.“ Wir halfen uns gegenseitig auf und machten uns auf den Weg. Auch wenn ich wusste, dass sie mir etwas verschwieg, hakte ich nicht nach. An der Kreuzung verabschiedete ich mich von ihr und ging meinen Weg. Vor der Haustüre jedoch wartete Jason. Ich wusste nicht wie lange er schon da wartete, aber wahrscheinlich seit Schulschluss und das war nun zwei Stunden her. Sollte ich ihn ignorieren und sturr einfach reingehen oder sollte ich mit ihm reden? Einen Augenblick stand ich dort still und genau in dem Moment hob Jason seinen Blick und traf auf mich.

„Kate, lass mich bitte erklären. Gib mir doch eine Chance dir alles zu erklären. Bitte“, flehte er und kam auf mich zu. Ich stand wie versteinert da und dachte nach, was ich ihm antworten sollte. Hat nicht jeder eine Chance verdient? Immerhin konnte ich ja danach immer noch nein sagen. Also nickte ich zögerlich und für einen Moment schien er erleichtert zu sein, bevor er nervös herumtigerte.

„Nun, wo soll ich anfangen? Wie soll ich es dir erklären?“, fragte er eher zu sich selbst als zu mir. „Können wir das nicht irgendwo anders besprechen als vor deiner Haustüre auf der Strasse?“, fragte er schliesslich und wieder nickte ich.
Ich lief langsam los und Jason holte mich schnell ein und lief neben mir her. Meine Beine brachten mich automatisch zum Hügel, mit dem Ausblick auf dem See und schliesslich liess ich mich dort nieder. Ich wollte nicht bei mir zuhause darüber reden. Dann hätte ich keine Fluchtmöglichkeit und ich konnte auch nicht einfach so weggehen. Hier war das möglich, auch wenn der See nicht ganz so neutral war, da ich hier nur positive Erinnerungen hatte.

„Also, was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?“, unterbrach ich die Stille.

„Hör zu, es ist echt nicht so, wie du es dir vorstellst. Ja, ich habe mal geraucht und habe auch mal gedealt. Aber das ist alles Vergangenheit. Seit langem habe ich damit aufgehört. Vom Rauchen hast du ja sowieso gewusst. Das war ja kein Geheimnis. Nur vom Dealen hast du nichts gewusst. Und ich wollte es dir auch nicht sagen, weil ich wusste, dass du dich darüber aufregen würdest und vielleicht sogar die Freundschaft künden würdest. Ich hatte einfach Angst, verstehst du? Angst, dass ich dich verlieren könnte. Deshalb habe ich nach einer Weile auch aufgehört. Ich habe damals nur angefangen, weil meine Eltern nie zuhause waren, Alex war auch schon am Studieren und alleine in diesem scheiss Haus zu sein hat mich irre gemacht. Deshalb auch die vielen Partys, die ich da veranstaltet habe. Es tut mir Leid, dass du es so herausbekommen hast, aber daran kann ich nun leider auch nichts mehr ändern. Aber bitte, verzeih mir Kate.“

„Und was ist mit mir?“

„Was soll mit dir sein?“ Ich sah seine Verwirrung und klärte ihn auf.

„Was ist mit mir? Hast du mir die ganze Zeit angelogen? War unsere ganze Beziehung nur vorgespielt, um mich endlich ins Bett zu bekommen? Was war mit unseren ganzen letzten Monaten? Waren wir für dich überhaupt ein Paar? Oder war ich nur ein Betthäschen, das du länger behalten wolltest?“

„Nein Kate. Du interpretierst das ganze vollkommen falsch. Schau, hätte ich Taylor gesagt, dass du meine Freundin wärst und ich clean bin, hätte er mir eine Knarre an den Kopf gehalten. Versteh es nicht falsch, aber sobald er verpfiffen wird, würde er seine Leute auf mich hetzten und ich wäre tot, bevor ich Knarre buchstabieren könnte. Auf dich hätte er auch Jagd gemacht, wenn er gewusst hätte, dass wir zusammen sind. Das konnte ich nicht zulassen, verstehst du? Es war alles nur zu deinem Wohl. Und ich habe dich immer geliebt. Nichts davon war vorgetäuscht. Schon seit langer Zeit stand ich auf dich, konnte es dir aber nicht sagen, weil ich Angst hatte dich zu verlieren. Glaub mir Kate, lieber würde ich mich umbringen lassen, als ohne dich zu leben. Das ist mein voller Ernst. Glaubst du wirklich, ich würde mir soviel Mühe geben, wenn ich dich ins Bett bekommen wollte?“ Sofort verzog ich mein Gesicht und auch Jason sah wohl ein, dass sein letzter Satz die Situation nur verschlimmerte.

„Also... nein... das war... nicht so gemeint... du weisst schon...“ stammelte er daher. Ich konnte mein Lachen nicht mehr unterdrücken und prustete los. Sofort war Jason erleichtert und lächelte schüchtern.

„Ist jetzt zwischen uns alles wieder in Ordnung?“, fragte er zurückhaltend, nachdem ich mich wieder eingekriegt hatte.

„Er ist nicht gut für dich, Kate“ Wieder diese Stimme, eine tiefe männliche Stimme. Sie kam mir irgendwie bekannt vor. Doch wiedereinmal ignorierte ich sie.

„Ja, ich denke schon.“ Vielleicht vertraute ich ihm viel zu schnell, vielleicht war ich viel zu naiv. Aber ich konnte es nicht ändern. Wie sehr es mein Verstand auch möchte, mein Herz war einfach (leider) stärker. Die Liebe hat einen so grossen Einfluss auf uns. Denn bei jedem anderen wäre ich abgehauen und hätte ihn einfach ignoriert. Doch bei Jason, war mein Herz einfach zu stark. Die Anziehung zu ihm, die Wärme in seinen Augen, da konnte ich einfach nicht widerstehen. Was solls, mir würde schon nichts Schlimmes geschehen. Solange ich bei Jason war, war ich doch in Sicherheit. Mit dem Kopf lehnte ich auf Jasons Schulter und schloss die Augen.

„Kate, es ist bereits dunkel geworden. Komm, wir sollten wieder gehen, bevor Mikayla sich noch Sorgen macht“, meinte er leise an meinem Ohr. Ich liess mich von ihm hochziehen und etwas schneller liefen wir los und erreichten bald mein Haus.

„Also, gute Nacht und träum süss von mir.“

„Ja, du auch.“ Damit ging ich wieder ins Haus. Um über Dad zu sprechen war ich einfach zu müde und es war auch schon zu spät. Ich hatte sogar das Abendessen verpasst. Doch auf dem Weg zum Park hatte ich mir ein Sandwich gekauft und das reichte mir. Schnell machte ich die Hausaufgaben bevor ich mich schlafen legte.

 

Wochen vergingen und glücklich lebte ich weiter. Mit Jason lief es super, Leila wurde neben Sarah zu meiner besten Freundin, auch wenn sie sich manchmal seltsam verhielt und in der Schule lief es auch prima. Ich schrieb gute Noten und meine Chancen für einen gute Karriere standen sehr gut. Und bevor wir uns alle versahen, stand schon Weihnachten vor der Türe. In der Schule wurde ein Fest organisiert und nach dem Unterricht wurde viel daran gearbeitet, damit das Ergebnis wundervoll war. Die Stadt war voll von Leuten: Mädchen auf der Suche nach passenden Kleider, Jungs, die auf der Suche nach einer Begleitung waren, und allerhand Leute, die stets noch Weihnachtsgeschenke kauften. Ältere Leute liefen den Märkten entlang und genossen die weihnachtliche Stimmung. Kleine Kinder veranstalteten Schneeballschlachten und bauten gemeinsam Schneemänner oder sogar kleine Iglus. Die Stadt pulsierte nur so von Lichtern und Leuten, trotz den eisigen Temperaturen. Eine glückliche Stimmung herrschte überall und alle freuten sich auf das grosse Fest. Ich war auch schon mit den Mädels shoppen und wir haben bezaubernde Kleider gekauft. Die Geschenke hatte ich alle schon beim Markt an jenem Tag mit Jason gekauft. Unser Haus hatten wir auch schon dekoriert und der Tannenbaum stand auch schon seit Wochen dekoriert in unserem Wohnzimmer. Die Abende verbrachten wir immer vor dem Fernseher und schauten Disneyfilme, während der Kamin das Haus erwärmte.

Der Festtag war endlich gekommen und meine Mädels und ich machten uns bei mir Zuhause fertig. Meera trug ein burgund farbenes A-linie Kleid. Die Ärmel waren aus Spitze und fielen ihr leicht über die Schultern, sodass man ihre Schultern sehen konnte. Kleine Strasssteine versetzten das Kleid in eine Eleganz und betonten ihre Figur. Ihre schwarzen Haare haben wir ihr gelockt und halb hochgesteckt, sodass ihr Gesicht gut zur Geltung kamen. Sarah turg ein violettes Ballonkleid, das in der Mitte mit einer schwarzen dünnen Schleifengürtel festgehalten wurde. Es war Ärmellos und der leichte Stoff liess ihre weisse Haut durchschimmern. Ihre hellbraunen Haare hatten wir vollends hochgesteckt, und ihre Augen dafür extra stark geschminkt, sodass jeder auf ihr Gesicht fokussiert war. Einige wenige Strähnen haben wir gelockt und diese umranden ihr Gesicht. Leila trug ein hellblaues tailliertes Kleid, das ihre Augen gut zur Geltung brachten. Weisse Pailetten schimmerten auf dem Bustier. Das Kleid war trägerlos und Leila entschied einen weissen Bolero darüber anzuziehen. Ihre Haare liess sie offen und weich fielen sie ihr auf die Schulter. Ich trug ein dunkelgrünes, kurzärmeliges vintage-cocktail Kleid mit schwarzer Spitze übersehen. Die vordersten Strähnen habe ich in einen Wasserfallzopf zusammengeflochten und den Rest offen gelassen. Nur an den Spitzen habe ich sie leicht gelockt. Zufrieden betrachteten wir uns im Spiegel und strahlende Gesichter schauten uns entgegen. Während die anderen ihre Sachen zusammensuchten, ging ich schon mal hinab und nahm meine Schuhe aus dem Regal. Es läutete an der Türe und ich informierte meine Mutter, ich würde die Türe aufmachen. Vor mir stand Jan und ich hiess in willkommen. Ich teilte ihm mit, er solle schon mal ins Wohnzimmer gehen. Hinter ihm kamen dann auch schon Ryan und Sam nach. Sam konnten wir überreden Meera zu fragen und ich denke nach dem heutigen Tag müssen wir ihn nicht mehr überreden, da er es freiwillig tun würde. Jason war noch nicht da und so konnte ich noch meine Tasche packen, bevor wir los mussten. Es klingelte erneut und voller Vorfreude öffnete ich die Türe. Jason stand in einem weissen Hemd und einer schwarzen Weste, die er nicht zugeknöpft hatte. Ich lud auch ihn ins Haus und er tritt sofort ein, nur um mich zu küssen, bevor er sich einfach umdrehte und ins Wohnzimmer ging. Er hatte mich nicht einmal begrüsst und etwas verwirrt ging ich hinauf die Mädels holen. Sobald wir unten im Wohnzimmer waren, wurden wir mit Komplimenten überhäuft und schliesslich gingen wir los, damit wir noch ankamen, bevor das Fest zu Ende war. Meera lief in Sams Begleitung, dessen Augen auf Meera hafteten. Sarah war in Begleitung von Jan und folglich ging Leila gemeinsam mit Ryan zum Fest. Was zwischen Sarah und Jan lief, haben wir immer noch nicht herausgefunden. Denn beide fühlten sich angezogen vom anderen und doch konnten sie es sich nicht eingestehen. Jason und ich bildeten das Schlusslicht unserer kleinen Gruppe. Da die Strassen glatt waren, hielt ich mich an Jasons Arm fest, der mich sowieso an der Taille festhielt.

„Weisst du wie bezaubernd du aussiehst?“, fragte mich Jason. Ich lächelte schüchtern und sofort schaute er mich wieder so intensiv an. Ich konnte nichts anderes als seinen Blick zu erwidern und schon küsste er mich. Schon bald kamen wir an und genossen das Fest. In der Mitte war ein grosser Tannenbaum aufgestellt  und darunter waren kleine Geschenke gestellt worden, worin sich viele Süssigkeiten befinden sollten. Es gab viele Sitzgelegenheiten und wir besetzten einen runden Tisch. Wir unterhielten, lachten und amüsierten uns. Kurz ging ich uns allen Getränke holen. Jemand rempelte mich an und als ich mich umdrehte, glaubte ich Taylor gesehen zu haben. Das konnte nicht sein, da er kein Schüler von hier war und nur Schüler hier zugelassen waren. Und wenn auch, was machte Taylor hier? Was wollte er hier? Wollte er hier etwa Drogen verkaufen? Gehörte hier die Schülerschaft zu seinen Kunden? Bevor ich jedoch weiter darüber nachdenken konnte, gab mir der Aushelfer die Getränke und ich kehrte zurück. Erst da entdeckte ich das Zettelchen unter meinem Glas.

„Rosen sind rot, Veilchen sind blau, es tut mir Leid, Jasons Traumfrau“

Schnell steckte ich das Zettelchen in meine Tasche, bevor es jemand anders bemerken konnte. Die aufkommenden Gedanken drängte ich zurück, da ich nicht jetzt darüber nachdenken wollte. Am Tisch wurden gerade Witze erzählt und alle lachten los. Irgendeinmal dachte ich, war es Zeit, die Geschenke zu überreichen. Also holte ich die Geschenke aus meiner Tasche und verteilte sie meinen Freunden. Nur Jason erhielt keines und abwartend schaute er mich an.

„Bekomme ich etwa kein Geschenk?“, fragte er mich.

„Nö, also jedenfalls nicht heute und nicht hier“, meinte ich nur geheimnisvoll. Schmollend lehnte er sich zurück und betrachtete die anderen, die richtig glücklich waren. Sie bedankten sich bei mir und entschuldigten sich, dass sie kein Geschenk für mich hier hätten. Doch ich winkte es nur ab. Die Zeit raste und schon war das Fest zu Ende. Wir verabschiedeten uns voneinander und Jason begleitete mich noch nach Hause.

„Also, wann erhalte ich mein Geschenk?“, wollte er wissen.

„Muss ich dir denn etwas schenken? Ich meine, mit mir zusammen zu sein, ist das nicht schon eine so nette Geste von mir?“
Auf meinem verschmitztem Lächeln hin jagte er mich nach. Schliesslich fing er mich und hielt mich an der Taille fest.

„Willst du nicht noch hinein kommen?“ Wir standen vor meiner Haustür und überrascht schaute Jason auf.

„Und was ist mit meinem Geschenk?“, fragte er nach. Statt ihm eine Antwort zu geben beugte ich mich nach vorne und legte meine Lippen auf seine. Meine Augen flatterten zu. Sein Griff um meine Taille wurde fester und eine Hand wanderte nach oben, wo er mich zuerst an der Wange streichelte, bevor er sie in meinen Nacken legte und mich noch näher zu sich zog. Ich fuhr mit meiner Hand seine Brust hinauf, seinen Hals entlang und vergrub meine Hand in seine Haare. Seine Lippen waren so weich und diesmal war er derjenige, der mir Einlass gewährte, als ich mit meiner Zunge anstupste. Ganz leicht strich ich ihm mit meiner Zunge über die Unterlippe. Er versuchte mich noch näher zu ziehen, obwohl es nicht mehr möglich war. Seine Hand liess meinen Nacken los und wanderte hinab zu meiner Hüfte. Mir wurde es kalt und heiss zugleich, als er dies tat und ich revangierte mich, indem ich ihm in die Unterlippe biss und daran saugte. Ich merkte wie ihm wohlige Schauer überfielen und lächelte in den Kuss hinein. Bevor er sich jedoch revangieren konnte und ich ohne Sauerstoff das Bewusstsein verlor, beendete ich den Kuss und entfernte mich von ihm. Wir beide waren völlig ausser Atem und ich spürte seinen schnellen Herzschlag an seiner Brust. Auch mein Herz schlug heftig, um Sauerstoff in die Blutbahnen zu bringen.

„Genügt dir dieser Kuss als Geschenk oder brauchst du mehr davon? Du hast mal gesagt, du würdest sterben für so einen Kuss. Und jetzt hast du einen erhalten ohne dafür zu sterben. Also bist du jetzt zufrieden?“ Er kam mir näher um mich zu küssen, aber ich lief schnell rückwärts.

„Nein, Jason. Wollen wir nicht lieber reingehen, bevor wir hier erfrieren? Und du hast mir immernoch nicht geantwortet“, meinte ich gespielt streng. Ich drehte mich um und öffnete die Tür, als ich Jasons Hände schon an meiner Taille spürte. Obwohl er mich die Treppe rauf drängen wollte, ging ich ins Wohnzimmer, wo Mum und Isa einen weiteren Disneyfilm schauten. Als Mum uns hörte, drehte sie sich um und begrüsste Jason.

„Hallo Jason! Hey Spatz! Und wie war das Fest? Setzt euch doch erst einmal hin.“

„Hallo Mikayla. Entschuldige mich für einen Moment.“ Damit verschwand er aus dem Wohnzimmer und ich setzte mich wortlos hin. Leise erzählte ich ihr vom Fest, um Isa nicht zu stören und bald kam auch Jason zurück.

„Jason, also wir wissen, dass du über die Festtage hin alleine bist, da deine Eltern ja nicht hier sind und Alex mit seinen Freunden feiert. Da dachten wir, du könntest mit uns feiern. Naja, nur wenn du willst, natürlich. Was meinst du?“ Überrascht von diesem Angebot schaute er uns zuerst an und nickte schliesslich.

„Klar, will ich mit euch Weihnachten feiern. Bereite ich euch wirklich keine Umstände?“

„Natürlich nicht. Du bist mein Freund.“

„Genau, und du bist jederzeit willkommen bei uns“, bekräftigte meine Mutter die Zustimmung. Glücklich und zufrieden damit schauten wir uns alle den Film zu Ende und verabschiedeten Jason.

„Ich hole dich morgen ab, damit du nicht zu Früh da bist.“

„Kate, du musst doch deswegen nicht mich abholen kommen“, meinte Jason.

„Doch ich will und ich werde. Also bis morgen. Gute Nacht und süsse Träume!“

„Dir auch gute Nacht und träum Schönes von mir!“ Damit verschwand er in die Dunkelheit und seufzend schloss ich die Türe hinter mir zu. Oben legte ich mich sofort hin, da ich den morgigen Tag gespannt erwartete.

Kapitel 11

Vor lauter Aufregung auf den heutigen Tag, hüpfte ich wie ein kleines Kind herum. Ich liebte die Festtage. Die Kinder spielten oftmals im Schnee herum, draussen war es kalt und alle liefen in Mäntel und Schals eingehüllt. Sobald sie im Haus sind, wärmten sie sich an warmen Getränken am Kamin auf und überall sah man bunte Lichterketten, die die Stadt schmückte. Es roch überall nach Zimt, Orangen, Erdnüssen und Kerzen. Ich liebte diese Zeit ausserdem, weil wir dann zuhause immer leckere Kekse backten und Isa im Glauben liessen, dass es den Weihnachtsmann doch tatsächlich gab. Ausserdem scheinen die Leute zu dieser Zeit alle Sorgen vergessen zu haben und wirkten glücklich. Es ist die Zeit für die Familie und den anderen Mitmenschen. Ein Fest der Liebe. Denn zu dieser Zeit kümmert sich niemand um den Status, die Religion, das Geld oder die Vergangenheit. Alle wollen einfach nur ein schönes glückliches Fest ermöglichen. Dies freute mich am meisten, da die Welt sonst immer so auf den Status fixiert war und an allem etwas zu mängeln fand. Egal ob es das Aussehen war, die Religion, die Hintergrundgeschichte oder sonst irgendetwas. Die Welt fand immer etwas. Umso mehr freute ich mich jedes Jahr deshalb auf diese Festtage. Nun ja, obwohl ich meine Erinnerungen verloren hatte, scheinen mir die materiellen Dinge im Kopf zu sein. Denn ich kann mich nur an nichts erinnern, was mich, meine Gefühle oder andere Personen betraf. Solche Dinge wie der Festtag zum Beispiel ist mir wohl hängen geblieben. Strahlend hüpfte ich die Treppen hinunter und umarmte meine Mutter überschwänglich und gab ihr einen dicken Kuss auf die Wange. Mum schmunzelte nur über mein Verhalten und bat mich um Hilfe mit den Vorbereitungen für den Abend. Ohne zu zögern half ich natürlich und bald darauf kam auch schon Isa hinunter und kratzte sich verschlafen am Kopf. In meinem Hochgefühl wirbelte ich sie kurz herum und drückte ihr auch einen dicken Schmatzer auf die Wange.

„Mum, etwas stimmt nicht mit Kate. Sie ist viel zu fröhlich“, meinte sie darauf zu Mutter und gähnte prompt.

Mum sagte immer noch nichts und schmunzelte über unser Verhalten. Ich nahm Isa auf meine Arme und ging mit ihr wieder hinauf um sie mal richtig wach zu kriegen. Zuerst steckte ich sie unter die Dusche, wobei das Wasser natürlich auf kalt eingestellt war. Sofort schrie sie los und drehte es zu warm um. Bevor sie auf mich losgehen konnte, sprang ich schnell aus dem Badezimmer und flitzte in ihr Zimmer und suchte ihr Kleider heraus: einen flauschigen roten Pullover, bequeme Hosen und Kuschelsocken. Leise trug ich die Sachen ins Badezimmer und legte sie neben dem Waschbecken, bevor ich wieder verschwand. Bald darauf hörte ich wie die Dusche abgestellt wurde und sie die Sachen anzog. Nach einigen Minuten ging ich wieder hinein und befahl ihr die Zähne gründlich zu putzen. Ja, grosse Schwester konnten manchmal echt nervig sein. Aber auch ihr böser Blick minderte meine gute Stimmung nicht. Eher im Gegenteil, sie amüsierte mich eher. Reichlicher wacher verliess sie nun das Badezimmer und setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Damit sie nich mehr länger wütend auf mich war, ging ich auf sie zu und kitzelte sie aus, bis sie nach Luft schnappte und kaum noch atmen konnte vor lauter Lachen.

„Aufhören.. Kate.. bitte.. hör.. auf“, brachte sie unter ihrem Gekicher hervor und ich lies von ihr ab. Stattdessen setzte ich mich aufs Sofa und setzte Isa auf meinem Schoss. Auch wenn sie schon sechs war, für mich war sie immer noch meine kleine, süsse Schwester. Wir schauten eine Weile Fern, bis ich mich besann Jason abzuholen, da bald Mittagszeit war und er mit uns zu Mittag essen sollte. Also setzte ich Isa ab und lief nach oben um kurz meine Tasche zu holen, bevor ich los ging. Da es zu Jason ja nicht weit war, lief ich die kurze Strecke zu ihm. Doch irgendetwas stimmte nicht. Etwas war anders. Da spürte ich ihn. Ein beobachtender Blick auf mir. Ich schaute mich um, doch konnte niemanden auf der Strasse entdecken, da Jasons Strasse auch etwas abgelegener lag. Schulterzuckend lief ich weiter, aber das Gefühl beobachtet zu werden liess mich einfach nicht los. Ich steckte meine Hände tief in die Jackentasche und beschleunigte meine Schritte. Doch trotz allem fühlte ich mich sehr unwohl. Wer beobachtete mich und von wo beobachtete die Person mich? Weshalb überhaupt? Ich seufzte genervt auf. Immer wieder Fragen, doch nie erhielt ich Antworten darauf. Wahrscheinlich wurde ich doch nur paranoid, wegen dem ganzen Briefchen-Mist. Kopfschüttelnd verlangsamte ich mein Tempo wieder und lief auf Jasons Haus zu. Aber trotz allem wurde ich das seltsame Gefühl nicht los und versuchte es soweit wie möglich zu ignorieren. Schliesslich war ich vor Jasons Haustüre und wollte gerade klingeln, als mich eine Hand am Arm packte und mich zu sich umdrehte. Ich erschrak mich sosehr, dass ich einen hohen Schrei ausstiess und der Person mir gegenüber ins Gesicht schlug. Zu spät bemerkte ich, dass es nur Jason war und sofort eilte ich mich erschrocken zu ihm.

„Oh mein Gott, geht es? Tut mir Leid, ich dachte, ich wurde verfolgt und da dachte ich, du bist...“, stotternd entschuldigte ich mich und betrachtete seine Nase näher, die ich getroffen hatte.

„Ich wollte dich nur begrüssen, aber dass du mich so sehr hasst, konnte ich ja nicht wissen“, scherzte Jason und erleichtert aber auch besorgt trat ich noch näher.

„Zeig mal deine Nase.“ Sanft tastete ich sie ab und stellte erleichert fest, dass nichts gebrochen war.

„Ach, komm Kate, der Schlag war nicht einmal heftig. Das war wie ein Schmetterlingsflügelschlag. Da ist schon nichts passiert. Komm erst mal rein“, lud er mich ins Hausinnere ein.

Immernoch vom seltsamen Gefühl heimgesucht lief ich durch die offene Tür herein und erst als er die Türe geschlossen hatte, liess das Gefühl, beobachtet zu werden nach.

„Was hast du überhaupt draussen gemacht?“, wollte ich nun von ihm wissen. Ich meine es war so kalt draussen und Jason lief in einem dünnen Kapuzenpullover herum.

„Eigentlich wollte ich nur ein wenig Holz aus der Garage holen, um den Kamin anzufeuern. Da habe ich dich eben gesehen und dachte ich könnte dich überraschen. Aber leider ging die Überraschung nach hinten los und du hast mich geschlagen, statt mich erfreut zu umarmen oder zu küssen, wie ich es mir vorgestellt habe“, erklärte er mir schliesslich grinsend.

„Es tut mir ja auch schrecklich Leid.“ Um meine Aussage zu bekräftigen küsste ich ihn kurz. „Also, bist du nun bereit? In einer halben Stunde wird meine Mutter das Essen servieren und dank meinem grossen Hunger will ich gerne pünktlich sein.“

„Da haben wir ja noch lange Zeit. Man braucht ja nur fünf Minuten von mir zu dir. Also haben wir noch fünfundzwanzig Minuten Zeit.“

„Ach und was willst du in diesen fünfundzwanzig Minuten machen?“, fragte ich ihn halb genervt, da ich wirklich grossen Hunger hatte. Meine gute Laune wurde wegen diesem seltsamen Gefühl eingedämmt. Jason schenkte mir ein schelmisches Lächeln und ich wusste, das bedeute für mich wahrscheinlich nichts Gutes. Er kam mir immer näher und ich wich zurück bis ich an eine Tischkante stiess. Ich drehte mich um und sah gerade noch, wie die Vase gefährlich ins Wanken geriet, bevor sie auf den Boden fiel und in tausend Scherben zerbrach. Erschrocken hielt ich mir die Hand vor den Mund und machte einen Schritt zurück und stiess mit Jason zusammen.

„Ach du meine Güte, es tut mir so Leid, Jason. Ich kaufe dir eine Neue. Wirklich, das war nicht meine Absicht.“ Heute war wohl echt nicht mein Tag, was Jason betraf. Zuerst der Schlag in sein Gesicht und nun die Vase. Plötzlich war mir zu Heulen zu Mute. Jason blickte auch geschockt auf die zerbrochene Vase und danach zu mir.

„Kate, diese Vase hat meine Mutter aus dem Ausland und die ist sehr viel wert. Ich weiss nicht einmal wie viel sie gekostet hat.“ Meine Augen wurden bei jedem Wort grösser und ich war schockiert darüber, eine solch teure Vase kaputt gemacht zu haben. Auf einmal fing Jason an schallend zu lachen und konnte einfach nicht aufhören, während ich ihn verwirrt anschaute. Ich habe gerade eine sehr teure Vase kaputt gemacht und denke darüber nach, wie ich sie ersetzen kann und mein Freund wird verrückt und lacht sich schlapp. Inzwischen hielt er sich schon den Bauch und war rot, vor lauter Lachen. Nach einigen Minuten beruhigte er sich schliesslich und kam langsam zu mir.

„Kate, das war ein Scherz gewesen. Die Vase stammt aus einem Markt, und ist nicht sehr viel wert. Es ist schöner, dass es kaputt ist, als dass es schlimm wäre. Du hättest aber mal dein Gesicht sehen sollen. Einfach herrlich.“ Da fing er wieder an zu lachen und versuschte sich zu beruhigen, als er meinen bösen Blick sah.

„Ach komm schon Kate, war doch nur Spass. Und nachdem du mir ins Gesicht geschlagen hast, darf ich mir ja wohl einen Scherz erlauben.“

Ich schaute immer noch ein wenig beleidigt zu ihm, da zog er mich am Hand zu sich und küsste mich als Entschuldigung. Nachdem wir die Scherben in den Mülleimer entsorgt hatten, machten wir uns auf den Weg, da ich weitere Unfälle vermeiden wollte. Auf dem Weg zu mir alberten wir ein wenig herum, doch das störte keinen. Fünf Minuten bevor, das Essen serviert wurde, kamen wir an. Schnell setzten wir uns an den Tisch und Mum stellte das Essen bereit. Während dem Essen wurde Jason ein wenig ausgefragt, wie zum Beispiel, wo seine Eltern jetzt auf Geschäftsreise wären und wann sie zurückkehren, wie es bei Alex mit dem Studium laufe und solche Sachen halt. Jason antwortete brav auf jede der Fragen und nach dem Essen half ich meiner Mutter noch mit dem Aufräumen, während Jason mit Isa schon mal ins Wohnzimmer ging. Obwohl mir die Frage auf der Zunge brannte, wollte ich die glückliche Atmosphäre nicht zerstören und behielt somit die Frage für mich. Aber es wunderte mich dennoch, wo Dad blieb. Auch wenn sie geschieden wären, wäre es nicht normal, dass er zumindest zu Weihnachten hier her kam? Immerhin ist es der Fest der Liebe und ein kleines Geschenk bringen und den Kindern eine Freude bereiten, wäre doch nicht zu viel verlangt, oder?! Ausser er hätte Mum betrogen und sie hätte ihm den Kontakt zu uns verbotern. Aber weshalb sollte Mum dann so traurig sein, wenn sie ja den Kontakt abgebrochen hatte? Das Ereignis vor einigen Wochen kam mir in den Sinn, als ich mit Jason „Schluss gemacht habe“, und wie traurig ich darüber gewesen war, obwohl ja ich diejenige war, die den Kontakt gemieden hatte. Ich konnte Mum verstehen, aber weshalb will sie es uns nicht sagen? Vielleicht war ja Isa wirklich zu jung, um ihr über die Scheidung unserer Eltern zu erzählen, aber weshalb erzählte sie es nicht mir? In Gedanken versunken trocknete ich das Geschirr ab und versorgte es in den Schränken.

„Kate, kommst du? Wir wollten nun gemeinsam Frozen anschauen. Isa besteht darauf und will nichts anderes machen.“

Überrascht schaute ich auf zu Jason, der seinen Kopf in die Küche hineingesteckt hatte. Mum war längst verschwunden und kopfschüttelnd, um meine Gedanken zu vertreiben folgte ich Jason ins Wohnzimmer. Wir machten uns alle bequem und schauten in Ruhe den Film an. Mein Kopf ruhte auf Jasons Schulter und er hatte seine Hand um mich gelegt und mich näher zu sich gezogen. Doch ich konnte mich kaum auf den Film konzentrieren, egal wie sehr ich es auch versuchte. Meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Ich dachte wieder über das Gefühl nach, das ich während dem Weg zu Jason hatte. Ich war mir so sicher, dass jemand mich beobachtet hatte und ich nicht paranoid wurde. Doch wer sollte mich schon verfolgen? War es etwa die gleiche Person, die mir auch diese Zettelchen schrieb? Das erinnerte mich an das Zettelchen von gestern. Was war da schon wieder gestanden?

Rosen sind rot, Veilchen sind blau, es tut mir Leid, Jasons Traumfrau“

Was tat jener Person leid? Über den letzten Vers wollte ich gar nicht erst nachdenken. Wer war die Person? Was hat sie mit mir zu tun? Ich weiss, es muss jemand aus meinem Freundeskreis sein, da die Person das Zettelchen auch in die Hütte hinein legen konnte, und das ganze ohne Probleme oder von irgendjemandem entdeckt zu werden. Das ganze Nachdenken brachte mich nicht weiter sondern machte mich nur noch müder. Prompt musste ich auch schon gähnen und versteckte es schnell hinter meiner Hand. Trotzdessen hatte Jason es gesehen, zog mich näher an sich und ich kuschelte mich mehr an ihm. Er drückte mir einen Kuss auf die Schläfe und schaute weiterhin den Film an. Ich versuchte es ihm nach zu machen, doch es gelang mir nur teilweise. Schliesslich endete der Film irgendwann und wir bereiteten den Abend vor, während Isa kurz bei ihrer Freundin war, um ihr die Geschenke zu geben. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieses Jahr Weihnachten anders verlaufen würde als üblicherweise, und hauptsächlich lag das wahrscheinlich daran, das Dad nicht da war und das ich nun in einer Beziehung steckte, obwohl das Letztere nicht eine grosse Differenz aufweisen wird. Wir legten die Geschenke unter unserer geschmückten Tanne neben dem Kamin. Mum wollte gerade das Essen machen und ich bat ihr meine Hilfe an. Jason half auch und deckte den Tisch für vier. Als ich mit dem Salat in der Hand zum Esstisch zurückkehrte, blieb ich vor Überraschung stehen. Der Tisch war so schön gedeckt, als wären wir in einem Restaurant. Jason hatte sogar die Servietten kunstvoll gefaltet. Ich habe nie gedacht, dass er dies alles konnte. Immernoch staunend setzte ich die Schüssel auf dem Tisch ab.

„Na, überrascht?“ Von hinten umarmte mich Jason und ich schmiegte mich automatisch in seine Umarmung.

„Ich wusste gar nicht, dass du sowas kannst“, stellte ich klar und nahm eines der Servietten in die Hand, um es genauer zu inspizieren. Wie ein Fächer sah es auch und hinten konnte es an einem Stück abgestützt werden, damit es nicht umfiel.

„Tja, du weisst so einiges nicht über mich“, flüsterte er mir ins Ohr. „Ausserdem war, das nicht annähernd so schwierig, wie deine Leistung, die du bei der Hütte am See gezaubert hast.“ Ich legte die Serviette wieder hin und drehte mich in seine Umarmung um, damit ich in sein Gesicht blicken konnte. Ich küsste ihn kurz und lief dann wieder in die Küche, um die weiteren Sachen hinauszu tragen. Jason kam mir nach und half mir, das Hauptmenü und die Beilagen zum Esstisch zu bringen. Somit hatten wir alles vorbereitet, bevor Isa wieder zurück war. Es war erst fünf Uhr und Mum meinte, es wäre eine gute Gelegenheit, um die alten Fotoalben hervor zu nehmen. Da ich meine Erinnerungen an diesen Fotos vielleicht aufpuschen konnte, stimmte ich dem zu. Ich packte jede Gelegenheit, solange ich meine Erinnerungen zurückerhalten sollte. Ich verstand ja immer noch nicht, weshalb ich sie überhaupt verloren hatte. Mum holte die Alben aus dem Schrank und wir setzten uns auf das Sofa und blätterten uns durch die Fotos durch. Es gab viele süsse Fotos unserer Familie und wiedermal stach mir das Bild unseren Vaters in die Augen. Unauffällig linste ich zu Mum hinüber. Ich konnte die tiefe Trauer in ihren Augen sehen, die sie mit einem Lächeln zu überspielen versuchte. Doch die Tränen drängten sich in den Vordergrund und sie entschuldigte sich kurz bei uns, bevor sie schnell aus dem Wohnzimmer verschwand. Jason schien nichts von ihrem Gefühlsausbruch zu merken und schaute ruhig die Fotos an. Schnell vertrieb ich meine Gedanken und schaute auch die Fotos an. Irgendwann kam auch Isa wieder nach Hause und auch Mum kehrte wieder zurück und hatte ein ehrliches Lächeln auf den Lippen. Meinen fragenden Blick wich sie unmerklich aus. Wir assen gemeinsam zu Abend und es verlief in einem harmonischen Klang. Geschichten wurden erzählt, Witze brachten alle zum Lachen und entspannt genoss ich diesen Abend. Nach dem Essen war mein Bauch so voll, dass ich Angst hatte den Pullover kaputt zu machen und das, obwohl dieser sehr gross war. Wir steckten alles in die Spülmaschine und waren wieder im Wohnzimmer.

„Schau mal Isa, der Weihnachtsmann war heute etwas früher hier und hat die Geschenke hingelegt“, erzählte Mum begeistert.

„Mum, ich weiss jetzt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Ich weiss, dass ihr das ward“, meinte Isa ein wenig traurig, aber auch entschuldigend.

„Was, wieso glaubst du, wir waren das?“, mischte sich plötzlich Jason ein.

„Tina hat mir bereits erzählt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt und ausserdem hat sie ihre Eltern erwischt, wie sie den Weihnachtsmann gespielt haben.“

„Ach, Schatz. Das tut mir Leid. Ich wollte dir echt nur Freude bereiten und du hast dich immer sosehr daran gefreut.“ Meine Mutter verwuschelte Isas Haare und nahm sie in die Arme.

„Eine Geschichte können wir ja trotzdem hören, oder?“, fragte Isa hoffnungsvoll.

„Na klar, komm her, ich kenne eine, die du bestimmt nicht kennst.“

Damit zog Jason Isa zu sich und setzte sie auf seinen Schoss. Ich setzte mich auf die Couch ihm gegenüber und auch Mum setzte sich neben mich hin. Jason erzählte die Geschichte so spannend, dass wir alle an seine Lippen hingen. Er konnte die Leute wirklich in den Bann ziehen. Nicht nur gutaussehend, sondern auch noch redegewandt. Dafür liebte ich ihn. Ok, nicht nur wegen dem, aber das sind auch Eigenschaften, die dazugehörten.

„Ende der Geschichte“ Damit holte er mich wieder in die Gegenwart zurück und lächelte mich an, sodass ich fast zerschmolzen wäre. Was tat der Typ bloss mit mir an?!

„Zeit die Geschenke auszupacken“, schrie da Isa auf.

Bei uns war es Tradition, dass wir schon am Heilig Abend die Geschenke auspacken durften. Wir setzten uns alle um den Tannenbaum herum und reichten die Geschenke dem anderen. Isa hatte als Erste die Verpackungen aufgerissen und neugierig hineingeguckt. Sie stiess einen spitzen Schrei aus und hüpfte auf und ab.

„Danke, danke, danke“, schrie sie uns begeistert zu bevor sie für eine kurze Zeit ins Badezimmer ging und dann wieder zurückkehrte. Sie trug die caramellfarbenen Ohrringe, die Jason damals gekauft hatte, meinen geschenkten Ring, mit einem ähnlich farbigen Stein und ein ganz anderes Outfit. Denn nun trug sie einen weissen Kuschelpullover und einen roten Rock mit weissen Strumpfhosen.

„Du siehst wunderhübsch aus, Schatz“, meinte Mum darauf und umarmte sie erneut.
Langsam öffneten wir drei unsere Geschenke und bedankten uns gegenseitig bei den anderen. Mum erhielt von mir den violetten Schal und von Jason passende Handschuhe dazu. Zum Schluss öffnete ich Jasons Geschenk und er meines. Ja, ich habe ihm ein anderes Geschenk, ausser dem Kuss gestern. Beide hielten wir den Atem an, als wir entdeckten, was der andere einem geschenkt hatte. Ich war wirklich sprachlos. Langsam nahm ich die Kette aus dem Halter und hob sie hoch. Ein Rubinherz als Anhänger und in der silbernen Fassung war etwas eingraviert. Ich betrachtete es näher und konnte lesen was darauf stand. Dies liess mein Herz für einen Moment stocken, bevor es in der doppelten Geschwindigkeit schlug. Mir wurde so unglaublich warm und ich schaute auf zu Jason. Doch genau wie ich, schien auch Jason sprachlos zu sein. Ihm habe ich eine Bleistiftzeichnung gemalt. Das Motiv war ein grosses Herz, in dem Jasons Gesicht leicht gezeichnet war. Auch wenn ich nicht sehr talentiert war, habe ich mit einiger Hilfe geschafft dieses Bild zusammenzustellen. Mit schwarzer Tinte habe ich nebenan ein kleines Gedichtchen geschrieben, das ich selbst erfunden hatte. In seinen Augen sah ich, dass er gerade genau dasselbe empfand wie ich: Schockierung, Unglaube und tiefe Liebe für den anderen. Der Drang ihn zu küssen wuchs um jede Sekunde, doch ich wollte ihn nicht hier vor Isa und Mum küssen. Also musste es wohl oder übel warten, was mich unglaublich eilig wirken liess. Jason verstand wohl meine Bedenken, denn ich erhielt ein unmerkliches Nicken und einen undefinierbaren Blick von ihm. Da wir ja morgen schon früh losfahren mussten, gingen wir schliesslich schlafen. Gerade als Jason und ich in meinem Zimmer gehen wollten, hielt Mum uns auf.

„Jason, du kannst im Gästezimmer schlafen. Ich habe es dir eingerichtet und es sollte bequemer sein, als im Bett von Kate“, meinte sie mit einem Zwinkern. Ich wurde leicht rot und auch Jason sah etwas verlegen aus, obwohl meine Mutter wahrscheinlich etwas ganz anderes gemeint hatte.

„Ich möchte mich nur kurz bei Kate bedanken und die Tasche holen, danach verschwinde ich wieder“, meinte jener nun zu meiner Mum.

Mum nickte und verschwand in ihrem Schlafzimmer. Schnell drängte ich Jason in mein Zimmer und sobald ich die Türe geschlossen hatte, küsste ich ihn heftig wie noch nie zuvor. Auch Jason küsste mich stürmisch zurück und wir beide drückten unseren Dank und die Liebe zum anderen mit dem Kuss aus. Da ich drohte wegzusacken, hielt mich Jason an der Hüfte und lief mit mir los, bis ich an der Bettkante stolperte und auf meinem Bett landete. Doch Jasons Lippen hatten sich nicht entfernt, sondern er lag nun auf mir und küsste mich immer noch um den Verstand. Diesmal biss er mir in die Unterlippe und erschrocken schnappte ich nach Luft, womit er ungehindert Zugang zu meinem Mund verschaffte. Mir wurde es jedoch unglaublich warm, bis mir sogar heiss war. Seine Hände strichen nun meine Seiten entlang und als er ausversehen meine Busen berührte, entfuhr mir ein Stöhnen, das jedoch in seinem Mund erstickt wurde. Ich liess meine Hände über seinen Körper wandern und schliesslich fuhr ich unter sein Kapuzenpullover und fühlte seinen unglaublichen Sixpack. Er versuchte ein Stöhnen zu unterdrücken und mein Mund erstickte es diesmal. Wieder biss er mir in die Lippe und saugte daran. Ich war froh, dass wir lagen, da ich sonst längst weggekippt wäre. Nach einer endlos erscheinenden Zeit beendeten wir schliesslich den Kuss und ich schnappte heftig nach Luft.

„Ok, wenn wir weitergemacht hätten, hätte ich dir nicht versprechen können, dass du noch lange Jungfrau geblieben wärst“, brachte er schliesslich zwischen zwei Atemzügen hervor. Mein Puls raste wie verrückt und mir war so unglaublich warm. Ausser einem Nicken brachte ich jedoch nichts zu stande. Bevor wir erneut übereinander herfielen, stand Jason auf und half mir auch auf. Er ging zu seiner Tasche und nahm sein Nachtzeug heraus und wollte schon gehen, als ich ihn aufhielt.

„Ich habe vollkommen vergessen dir zu sagen, dass wir morgen meine Grossmutter besuchen gehen. Na ja, ist eben eine Tradition und..“

„Ich weiss, du hast mir schon früher von den Traditionen in deiner Familie erzählt. Und ich verstehe es vollkommen, dass ihr alleine dort hingehen wollt“, unterbrach mich Jason.

„Was, quatsch. Ich wollte dir eigentlich nur mitteilen, dass du auch mitkommen sollst. Scheinbar kennst du meine Grossmutter sogar besser als ich selbst im Moment.“

Etwas traurig machte mich der Gedanke schon. Schliesslich kannte Jason meine Familie, meine Umgebung, sogar mich besser als ich selber es tat.

„Ach komm. Wenn jemand trotz Gedächtnisverlust alles schafft, dann bist du das.“

„Das sagst du doch nur, weil ich deine Freundin bin.“ Die Sache mit dem Gedächtnisverlust machte mich wirklich fertig. Niemand kannte das Gefühl, eine aussenstehende Person im eigenen Leben zu sein. Konnte man einfach ohne Probleme weiterleben, wenn man die Vergangenheit nicht kannte? Viele wünschen sich oftmals die Vergangenheit zu vergessen und nur noch nach vorne zu blicken. Aber haben die im Entferntesten eine Ahnung, wie das ist, wenn das wirklich passiert, ohne dass man das jemals gewollt hatte? Ich meine, die Vergangenheit, das Erlebte formt uns und hat mich auch zu meiner jetztigen Position gebracht. Aber nun habe ich keine Ahnung von meiner Vergangenheit und könnte die selben Fehler wiederholen, weil ich mich einfach an nichts erinnern kann.

„Kate, gemeinsam schaffen wir das schon. Und ich sage dir das nicht, weil du meine Freundin bist, sondern weil du eine starke Frau bist, die einen eisernen Willen haben kann. Du bist wunderschön, witzig und klug. Kein Wunder bist du meine Traumfrau.“

Er küsste mich auf die Stirn und verschwand aus dem Zimmer. Dass ich bei seinen Worten erstarrt bin, schien er nicht gemerkt zu haben.

„Rosen sind rot, Veilchen sind blau, es tut mir Leid, Jasons Traumfrau“, spukte es in meinem Hirn herum.

Jasons Traumfrau. Jason hat gerade selber gesagt, dass ich seine Traumfrau bin. Was zur Hölle sollte das sein? Wer ist die heimliche Person? War es letztendlich wirklich Jason selber? Denn aufjedenfall war er überall da, als ich die Zettelchen gekriegt hatte. Ausserdem würde man ihn auch nicht verdächtigen, da er ja schliesslich mein Freund war. Er hatte es am leichtesten von allen, mir die Zettelchen zu zustecken. Konnte es wirklich sein? Weshalb aber sollte Jason sowas tun? Nachdem ich mir die Zähne geputzt und bettfertig gemacht habe, legte ich mich ins Bett und starrte die Decke an, während die Fragen weiter in meinem Kopf herum schwirrten. Mein letzter Gedanke galt noch Jason, der wirklich der heimliche Zettelschreiber sein könnte, bevor ich ins Land der Träume glitt.

Kapitel 12

Schon am Morgen früh gegen sieben Uhr fuhren wir los, da wir doch eine ganze Strecke zurücklegen mussten, bis wir bei meiner Grossmutter waren. Die Fahrt dauerte fast zwei Stunden und wegen dem Schneechaos auf den Strassen verzögerte sich unser Zeitplan um einiges. Im Auto schlief Isa auf meinem Schoss ein und obwohl ich auch das Gefühl hatte, gleich einzuschlafen, war es doch nicht der Fall. Denn Jason brachte Mum und mich mit seinen Witzen zum Lachen und ich genoss das Gefühl an seiner Schulter gelehnt seine tiefe Stimme zuzuhören. Gegen zehn Uhr vormittags kamen wir schliesslich bei unserer Grossmutter an und währenddessen hatte es auch aufgehört zu schneien. Ich packte die Taschen mit den Keksen und weckte langsam Isa auf. Müde gähnend stand sie auf und erkannte das wir bereits angekommen waren. Sofort war sie wach und mit einem breiten Grinsen huschte sie geschwind aus dem Auto und lief, nein eher rannte, auf die Haustüre zu. Auch ich stieg mit Jason aus und viel langsamer als Isa gingen wir auf die Haustüre zu. Ich hatte einfach keine Ahnung wie Isa so rennen konnte, wenn der Weg doch so voller Schnee war. Isa klingelte bereits mehrere Male und die Tür wurde auch schon prompt geöffnet.

„Isabella, mein kleiner Wirbelwind!“ Damit nahm Omi Isa fest in die Arme und auch Isa grinste über beide Wangen.

„Wuff, wuff“, ertönte es im Hintergrund.

„Fluffy, mein Junge! Na, hast du mich vermisst?“, redete ich mit dem kleinen Bernadiner. Er leckte mir mein halbes Gesicht ab, während ich ihn streichelte und knuddelte. Obwohl ich mich an Omi nicht richtig erinnern konnte, konnte ich mich an Fluffy umso besser erinnern. Ich hatte keine Ahnung woran das lag, liess mich aber weiter vom kleinen Hündchen abschlecken. Irgendwann stand ich schliesslich auf und umarmte meine Grossmutter.

„Hi Omi, wie gehts dir denn?“

„Mir geht es super, sag mir aber wie es dir geht? Mikayla hat mir schon vom Unfall und deinem Gedächtnisverlust erzählt. Aber kommt doch ersteinmal herein.“

Wir putzten uns die Schuhe am Willkommensteppich ab und traten dann hinein. Die Schachtel mit den selbstgemachten Keksen überreichte ich Omi und sie nahm ihn mir mit einem zarten Lächeln ab.

„Jason, dich habe ich auch schon lange nicht mehr gesehen. Wie geht es dir denn?“

„Tag, Mrs. Kenth. Mir gehts hervorragend, danke der Nachfrage. Ich hoffe Ihnen geht es auch so gut, wie uns?“

„Mir geht es sogar fast besser, da ihr alle jetzt bei mir seid. Setzt euch doch bitte. Wollt ihr was zu trinken?“

„Tee wäre gut, Mum. In diesem Schneechaos Auto zu fahren ist einfach unmöglich.“

„Und für euch Kinder, mache ich heisse Schokolade, gut?“
Ohne auf unsere Zustimmung zu warten lief sie schon in die Küche und hantelte da herum. Währenddessen setzten wir uns und machten es uns gemütlich. In der Ecke stand ein kleiner Tannenbaum und war spärlich geschmückt. Die Möbel waren in einem hellen Braunton gehalten und die Wände dafür in einem leicht türkisenen Touch. In einer seltsamen Art harmonisierten die Farben miteinander sehr gut. Ansonsten war das Haus recht aufgeräumt und nicht sehr weihnachtlich geschmückt. Draussen hatte ich noch Weihnachtsbeleuchtung gesehen und ich fragte mich, wie sie den da oben hinbekam. Vielleicht hat ihr ja einer aus der Nachbarschaft geholfen. Wie auch immer. Omi kam da auch schon mit den Getränken und reichte uns die warmen Tassen. Auf unseren heissen Schokoladen schwammen kleine Marshmellows und unwillkürlich musste ich darüber lächeln. Die Wärme des Getränks drang durch das Porzellan zu meinen Händen und ich wärmte mich daran auf. Plötzlich verschwamm das Bild und ich war in einer anderen Szene.

Ich sass immer noch auf dem Sofa meiner Oma, aber etwas war anders. Neben mir sass eine jüngere Version von Jason und hielt auch eine Tasse heisser Schokolade. Um seine Schultern lag ein Handtuch und seine Haare waren noch nass. Er zitterte und erst jetzt bemerkte ich auch das Zähneklappern meinerseits. Um meine Schultern lag auch ein Handtuch und meine Haare tropften auch.

„Was zum Gottes Namen habt ihr denn euch dabei gedacht? Habt ihr keine Ahnung, wie gefährlich das sein kann? Ihr könnt euch erkältet und schlimmsten falls sogar eine Lungenentzündung geholt haben!“, wütete Omi vor uns.
Ich schielte zu Jason hinüber, der seine Augen verdrehte und grinste. Auf meinen Lippen bildete sich auch ein Grinsen und das, obwohl ich meinen Körper nicht einmal kontrollieren konnte. Ich steckte in einem anderen Körper fest und war nur Zuschauerin aus diesem Blickwinkel. Das Bild veränderte sich und nun zeigte es uns draussen in Omas Garten. Wir trugen nur Tshirts und Jogginghosen und standen in kniehohem Schnee. Vor mir stand ein riesiger Schneeball, der wohl den Unterleib eines Schneemanns darstellen sollte. Aber statt den Schneemann zu Ende zu bauen, lieferten wir uns eine heftige Schneeballschlacht. Gerade als Jason sich umdrehte und einen Schneeball formen wollte, sprang ich auf ihn und schmiss Schnee in sein Tshirt hinein. Sofort liess er den Schnee in seiner Hand los und hüpfte auf und ab, um den Schnee aus seinem Tshirt weg zu bekommen. Als er dann mein Grinsen sah, nahm er einen Haufen Schnee in die Hände. Kreischend rannte ich weg von ihm und versuchte einfach nicht in seine Hände zu gelangen. Doch Jason schien schneller zu sein. Denn er schmiss sich auf mich, sodass wir beide auf den Boden landete und klatschte mir den Schnee in mein Tshirt und rieb es richtig ein. Da er ja halb auf mir lag, konnte ich nur unter ihm winden, aber das brachte kaum etwas. Also holte ich viel Schwung und drehte uns so um, dass ich nun auf ihn sass. Schnell schüttelte ich den Schnee aus meiner Kleidung Wir beide waren vom Schnee durchnässt, meine Haare hingen strähnenweise in meinem Gesicht und fingen schon an, Eiszapfen zu bilden und doch grinsten wir uns beide richtig an. Jason schien etwa zehn oder elf Jahre alt zu sein. Das hiess ich musste etwa neun oder zehn Jahre alt sein. Gerade als ich einen Schneeball in sein Gesicht klatschen wollte, hörte ich die empörte Stimme Omis. Das was sie sagte hörte ich nicht mehr, da dass Bild sich wieder veränderte.

„Ich glaube, ich ziehe zu deiner Oma, Kate. Nicht einmal auf dem Markt gibt es solch feine heisse Schokolade. Und die haben nicht einmal Marshmellows!“, meinte Jason neben mir. Es war wieder die erste Szene, nur dass Omi schon verschwunden war.

„Hey! Das ist meine Oma! Zieh doch zu deiner Oma! Omi gehört mir und nicht dir! Du willst doch nur, dass dir meine Omi heisse Schokolade macht. Aber ich liebe Omi, nicht wie du, die sie nur ausnutzen will!“, schleuderte mein kleines Ich ihm entgegen. Eine heftige Diskussion entstand zwischen uns, aber ich konnte es nicht wirklich wahrnehmen, da mich ein Blitz ablenkte. Verdattert schauten wir beide auf den Auslöser und sahen meine Oma, die lachend eine Kamera in der Hand hielt. Sie hatte ein Foto von uns gemacht, wie wir uns stritten?! Als sie unsere Blicke bemerkte, fing sie an laut zu lachen und schien sich dann schliesslich unter Kontrolle zu haben.

„Ihr müsst euch doch nicht wegen mir streiten, Kinder. Ihr könnt zu mir kommen, wann ihr wollt und ich werde euch immer wieder heisse Schokolade machen. Das Rezept könnt ihr erhalten, wenn ihr auch schön brav seid und keinen Unfug anstellt.“ Damit verschwand sie wieder und wir schlürften still unsere Schokolade.

Meinen Vision endete und ich wurde in die Gegenwart zurückgeschleudert. Die Leute um mich schienen meinen kleinen gedanklichen Exkurs nicht bemerkt zu haben und still trank ich aus meiner Tasse. Geniesserisch schloss ich die Augen und liess den süssen Geschmack der Schokolade auf meiner Zunge zergehen und erlebte eine Geschmacksexplosion.

„Die heissen Schokoladen deiner Oma waren schon immer fantastisch. Weist du noch, als wir damals darüber gestritten haben?“, fragte mich Jason, während ich meine Augen wieder öffnete, den ich aus lautem Genuss geschlossen hatte. Konnte es sein, dass diese Bilder, die ich manchmal sehe, keine Visionen waren, sondern Erinnerungen, die ich bruchstückhaft wieder zurück erhalte? So Flashbacks, die langsam mein Gedächtnis wieder aufbauten? Ich schüttelte den Kopf darüber, aber Jason schien es missverstanden zu haben und tätschelte mein Knie.

„Kopf hoch, Kate. Deine Erinnerungen werden schon zurückkehren und wenn du willst, kann deine Oma ja, dir das Foto zeigen, dass sie damals geschossen hat. Vielleicht kommts dir ja dann wieder in den Sinn“, meinte Jason aufmunternd. Er schien mein Kopfschütteln als Antwort auf seine Frage aufgenommen zu haben. Aber konnte es wirklich sein, dass ich meine Erinnerungen langsam zurückbekam? Vielleicht konnte ich ja die Flashbacks, kontrolliert erhalten. So konnte ich schneller mein Gedächtnis zurück erhalten. Dass ich Flashbacks erhielt schienen die Umstehenden nie zu merken, sodass es in der Wirklichkeit nicht länger als eine Sekunde dauern konnte, egal wie lange es für mich auch andauerte. Über dies konnte ich aber nicht länger nachdenken, da Fluffy sich zu mir gesellte und sich zu meinen Füssen hinlegte. Die anderen waren längst in ein Gespräch vertieft, dem ich mit einem halben Ohr zuhörte. Zuerst sprachen sie über unsere Verwandten, ihr Wohlergehen und noch was sie so heute trieben. Was mich sehr überraschte war, dass Jason besser in meine Familie zu passen schien, als ich es selber tat. Denn ich hatte absolut keine Ahnung wer Onkel Miller war oder weshalb meine Cousine nun einen anderen Berufsweg eingeschlagen hatte. Im Gegensatz zu Jason, der interessiert die Folgerungen meiner Mum zuhörte. Es war fast, als würde Jason der Sohn meiner Mum sein. Als wäre ich ein fünftes Rad am Wagen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Hatte Jason, ohne unser Merken meinen Platz vielleicht eingenommen? Mich ersetzt durch sein Wissen, das ich dank meiner Gedächtnisverlustes nicht mehr hatte? Die Gedanken der letzten Nacht kamen mir wieder in den Sinn und die Zweifel stiegen immer weiter. War Jason der geheime Briefchenschreiber? Wollte er mich langsam aber sicher in den Wahnsinn treiben? Wollte er mich vielleicht in meiner Familie ersetzten? Wollte er sich hier die Liebe holen, die er bei seiner Familie nicht erhielt? Das wurde doch langsam absurd. Weshalb in der Hölle sollte Jason mich in der Familie ersetzen wollen? Er liebte mich und er war mein bester Freund. Die Kette, die er mir gestern geschenkt hatte, bewies das doch zu genüge. Er war nur fürsorglich und kannte mich und meine Familie so gut, weil ich sooft davon berichtet habe und sovieles mit ihm zusammen erlebt habe. Es war doch nicht seine Schuld, dass er so gut in unsere Familie integriert war. Es war doch nicht seine Absicht gewesen. Langsam wurde ich richtig paranoid. Die Geschichte mit den Zettelchen und dem Verfolgen stieg mir langsam aber wirklich über den Kopf. Ich sollte schnellstens wieder einen klaren Kopf haben. Aber trotz allem blieben die Zweifel erhalten, die ich einfach in die hintersten Ecken meines Gehirns schickte. Es war Weihnachten, das Fest der Liebe. Ich sollte das Fest mit meiner Familie geniessen, statt sie voller Gedanken und Zweifel zu verbringen. Also wendete ich mich voll und ganz meiner Familie zu. Ja, Jason gehörte wirklich auch zu unsere Familie. Schnell vertrieb ich meine Gedanken wieder und konzentrierte mich wieder auf das reale Leben.

„Wo bist du denn immer wieder in Gedanken?“, murmelte Jason gerade mir zu und küsste mich sanft auf die Schläfe.

„Bei dir natürlich“, erwiderte ich ihm schmunzelnd und sah ein Grinsen sein Gesicht erobern.

„Nur bei mir oder bei uns?“ Mein Gesicht verzog sich automatisch und ich boxte ihm spielerisch in den Arm. Leise lachend zog er mich an der Schulter näher zu sich und seufzte zufrieden. Zu Mittag gab es dann das Festessen, das Omi jedes Jahr zubereitete. Das Rezept sei ein Familiengeheimnis, meinte sie jedesmal, wenn wir sie danach fragten. Eine kleine Weile blieb es still. Nur das Klappern des Besteckes, der Teller und dem Mampfen und dem Stöhnen war zu entnehmen, dass jemand zuhause war.

„Omi, das ist so köstlich. Wie kannst du so grandios kochen?“

„Das liegt in der Gene, meine Liebe. Mikayla hat die Gene auch und wenn du Glück hast, kannst du auch so toll kochen wie wir.“

„Glauben Sie mir Mrs. Kenth. Kate kann auch fantastisch kochen. Sie hat uns mal das Frühstück vorbereitet. Ich glaube, ich habe unsere Clique niemals zuvor, so zufrieden und hungergestillt erlebt wie damals.“
Das Kompliment kam so unerwartet, sodass ich verwundert zu Jason aufblickte. Er lächelte mich an und etwas beschämt blickte ich auf mein Essen herunter. Das Essen verlief ansonsten ziemlich ruhig und nach dem Dessert setzten wir uns wieder ins Wohnzimmer. Ich war so voll und müde, dass ich glatt ein Mittagsschläfchen halten konnte. Mein Bauchumfang hatte sicherlich um zehn Zentimeter zugenommen. Lachend unterhielten wir uns und die neuesten Ereignisse wurden ausgetauscht. Das idyllische Bild wurde von einem Klingeln unterbrochen.

„Ich mache schon“, murrte ich, da Omi nicht einmal Richtung Haustüre schaute. Ich erhob mich und lief in den Flur, gefolgt von Fluffy, der trottend hinterher kam. In Frage stellend, wer alles heute hierher kommen könnte, öffnete ich schliesslich die Türe. Ein Junge, die Hände in seiner Hosentasche vergraben, stand vor der Tür. Er hatte nur einen Kapuzenpullover an und schaute mich zuerst verwirrt an, bevor ihm ein Licht aufgegangen zu sein scheint.

„Hey, du musst wohl Kate sein, richtig?“ Sein Lächeln war echt süss und seine grünen Augen blickten in meine.

„Ähmm.. Ja und wer bist du?“, fragte ich ihn verwirrt, ab der Tatsache, dass er meinen Namen kannte, obwohl wir uns niemals zuvor begegnet waren.

„Ach, wie unhöflich von mir. Ich bin Liam.“ Er streckte mir seine Hand entgegen, die ich zögernd schüttelte.

„Schatz, wer ist denn an der Türe?“, hörte ich meine Oma von drinnen fragen.

„Ähm.. jemand namens Liam. Kennst du ihn?“, stellte ich ihr die Gegenfrage. Ich lasse doch nicht einfach Fremde in Omis Haus. Ich drehte mich wieder zu Liam um und wartete auf Omis Antwort. Währenddessen betrachtete ich ihn. Seine dunkelbraunen, fast schwarzen Haare standen ihm in einem Bedlook und ein dunkler Kapuzenpullover umhüllte seinen Körper. Ein Arm schlang sich besitzergreifend um meine Taille und ich spürte da auch schon einen Kuss auf meine Schläfe.

„Hey Liam. Ich bin Jason, Kates Freund. Komm rein.“ Seine Stimme wirkte ein wenig aggressiv, wie auch seine Körperhaltung. Wir liessen Liam eintreten und folgten ihm ins Wohnzimmer.

„Ah, Liam, willkommen. Kate und Jason hast du ja schon kennengelernt. Und das ist meine Tochter Mikayla und ihre zweite Tochter Isa. Und das ist Liam, ein Nachbarsjunge.“ Sie deutete auf ihn, der etwas verloren wirkte. Lächelnd setzte er sich schliesslich, um irgendetwas zu machen. Mum hiess ihn willkommen und Omi berichtete uns, wie er ihr in letzter Zeit sooft geholfen hatte. Auch die Weihnachtsbeleuchtung hatte sie ohne seine Hilfe nicht da oben hinbekommen. Nach einiger Zeit unterhielten Liam und ich uns lachend und schienen auf der gleichen Wellenlänge zu sein. Ab und zu stockte Liam bei seiner Erzählung und als ich neben mich sah, konnte ich auch den Grund dafür entdecken. Denn sobald ich wegen Liam loslachte, schickte Jason ihm Killerblicke zu, die ihn recht einzuschüchtern schien. Ich entschuldigte mich kurz bei Liam und teilte Mum und Omi mit, dass Jason und ich kurz spazieren gehen würden. Jason zog ich mit und schon bald standen wir vor der Türe. Ich lief los und verwirrt über meine Reaktion lief Jason mir nach.

„Kate, was ist denn los?“ Er hatte wirklich keine Ahnung, weshalb ich also eingeschnappt war?!

„Mit mir ist alles in bester Ordnung. Die Frage ist eher, was mit dir los ist? Weshalb tötest du Liam mit deinen Blicken, obwohl er dir doch nichts getan hat?“ Wir schlenderten gerade einen kleinen Weg entlang, den man aber wegen dem vielen Schnee, fast nicht erkennen konnte. Doch sobald ich Jason zur Rede gestellt habe, blieb er stehen und ich war gewillt auch stehen zu bleiben.

„Der Typ baggert dich an und flirtet mit dir. Meinst du ich finde das okay? Ich bin dein Freund, sitzte neben dir und der Typ flirtet einfach weiter mit dir! Natürlich bin ich dann erzürnt. Wenn ein Mädchen mit mir flirten würde, würdest du ja auch nicht einfach still lächelnd sitzen bleiben!“

„Jason, Liam und ich haben uns nur unterhalten. Er hat weder geflirtet noch mich angebaggert. Weshalb wirst du denn so schnell eifersüchtig? Wieso siehst du in jedem Kerl, der nur mit mir redet einen Rivalen? Jason, du bist mein Freund. Wir kennen uns seit der Kindheit. Ich bin in dich verliebt. Weshalb machst du dir denn Sorgen?“ Sanft streichelte ich seine Wange, da er wohl richtige Angst hatte, mich zu verlieren.

„Ja, ok, du hast recht. Tut mir Leid. Es ist nur, immer wenn die anderen dich zum Lachen bringen, kommt das Gefühl in mir hoch. Die Stimme, die mir sagt, dass du nur mir gehörst, mein Blut kocht und ich werde so aggressiv, dass ich jedem dieser Typen eine reinhauen könnte.“ Sein Körper spannte sich an und ich konnte die Aggressivität in seinen Augen lodern sehen. Um ihn endlich aus dieser Trance zu befreien, legte ich meine Arme um ihn und mein Kopf landete auf seiner Schulter. Langsam löste er sich aus seiner Starre und erwiderte meine Umarmung. So standen wir eine Weile still.

„Besser?“, flüsterte ich an seiner Schulter und nahm ein Nicken seinerseits wahr. Ich löste mich von ihm und küsste ihn kurz, nahm dann seine Hand in meine und lief wieder los. Ich hörte noch ein leises Danke von ihm, was ich mit einem Lächeln quittierte. Wir beendeten noch unseren kleinen Spaziergang, hingen aber den ganzen Weg in Gedanken. Meine Hände steckte ich wieder in meine Manteltasche und spürte da etwas papierhaftes. Ich nahm es raus im Glauben, es sei nur Bonbonpapier oder ähnliches und wollte es schon zerknüllen, als ich Schriftzeichen auf dem weissen Zettelchen sah.

„Veilchen sind blau, Rosen sind rot, es tut mir Leid, ist nun alles im Lot?“

Am Zettelchen sah ich ein schwarzes Band, an dem ein kleiner Sugus dran hing. Als ich das pinke Sugus vom Band lösen wollte, kam mir wieder ein Flashback.

Ich sass als kleines Mädchen in der Küche und hatte ein riesen Suguspäckchen in der Hand. Eifrig holte ich alle Himbeersugus heraus und steckte alle anderen wieder in die Tüte. Mit meiner Beute rannte ich lachend davon.

Himbeersugus schien meine Lieblingssorte zu sein. Wer wohl alles davon wusste? Doch mein Verdacht, das Jason mein geheimer Zettelchenschreiber war, stieg ohne mein Merken trotzdem. Wie gelang denn ansonsten das Zettechen in meiner Manteltasche? Meine Familie kann ja wohl das nicht gewesen sein. Isa war schlichtweg zu jung und Mum konnte die Informationen gar nicht haben. Ausserdem, war niemand ausser Jason an allen Orten dabei. Weshalb sollte Jason auch die Zettelchen schreiben? Da mir die Fragen langsam auf die Nerven gingen, entschloss ich einfach Jason zu fragen.

„Jason, wieso schreibst du mir Zettelchen? Ich meine, es gibt ja nichts, dass wir nicht einfach besprechen könnten. Daher wieso die Zettelchen und was sollte der ganze Mist? Ich versteh nicht einmal die Hälfte davon, was du mir geschrieben hast.“ Diesmal standen wir schon vor der Haustüre. Die Augenbrauen zusammengezogen drehte sich Jason zu mir um.

„Von was redest du denn da? Zettelchen? Bekommst du nun schon Liebesbriefe von Typen? Wann checken die denn, dass du meine Freundin bist?!“ Das meine Freundin betonte er extra und ich konnte die Aggressivität in seinen Augern wieder aufkommen sehen.

„Was? Nein! Keine Liebesbriefe. Ich hatte einfach nur einen Sugus in meiner Tasche und da dachte ich, du wärst es gewesen. Vielleicht hatte ich ihn ja einfach vergessen und erst jetzt wieder bemerkt. Ach, lass uns hineingehen. Omi fragt sich bestimmt, wo wir abgeblieben sind.“ Damit zog ich Jason ins Haus. Ich sah, wie er mir nicht glaubte, aber er liess es dabei. Meine Verwirrung liess ich mir nicht anmerken und zerrte ihn einfach weiter in das Wohnzimmer. Wir setzten uns wieder hin und assen unsere selbstgemachten Kekse und die Brownies, die Liam mitgebracht zu haben schien. Diesmal beteiligte sich Jason auch in die Gespräche und versuchte so gut wie möglich die Eifersucht in ihm zu ignorieren. Jedesmal wenn die Anzeichen wieder auftauchen, drückte ich seine Hand und sofort beruhigte er sich wieder. Gegen Abend verabschiedete sich Liam und wir tauschten sogar unsere Nummern, auch wenn es Jason nicht zu gefallen schien. Bei uns gab es danach auch schon Abendessen und nach dem Dessert konnte ich kaum noch aufstehen, da ich befürchtete, dass meine Hose platzte. So dick hatte ich mich meiner Meinung nach noch nie gefühlt. Ich beneidete jeden, der Omis Kochkünste geniessen durfte. Mir war es leider nur einige Male im Jahr gegönnt. Fluffy hatte sich unter dem Tisch auf meinen Füssen niedergelassen und ich konnte heimlich ihm einige Leckerbissen zukommen lasse. Wenn Omi das gemerkt hätte, hätte ich sicherlich Ärger gekriegt. Was Fluffy anging war Omi recht streng. Sie wollte ihn so wenig wie möglich zum Tierarzt bringen und hat uns allen verboten, ihn heimlich zu füttern. Nur Hundefutter war ihm zugelassen, doch Fluffy tat mir so leid, dass ich ihm sooft wie möglich heimlich fütterte. Wahrscheinlich hatte er mich auch deshalb so lieb und war immer in meiner Nähe. Draussen war längstens dunkel und nur noch der Schnee glitzerte im Strassenlicht. Der Himmel war wolkenbehangen, sodass wir neuen Schneefall über Nacht erwarten konnten. Langsam machten wir uns auf den Heimweg, schliesslich mussten wir noch zwei Stunden fahren und wer wusste, ob es noch länger dauern würde. Wir verabschiedeten uns herzlich von Omi und Fluffy wurde von mir durchgeknuddelt. Der Bernadiner leckte einmal mein Gesicht ab und stellte sich neben Omi an die Türschwelle. Winkend verschwanden wir im Dunkeln und stiegen in das Auto. Isa war schnell auf meinem Schoss eingeschlafen und auch ich konnte kaum noch die Augen offen halten. Mein Kopf lehnte auf Jasons Schulter und er strich mir zärtlich meinen Arm auf und ab. Nur meine Gedanken verhinderten meinen Schlaf und seufzend versuchte ich ein letztes mal sie zu vertreiben. Ich merkte, wie mein Versuch unter Jasons Streicheleinheiten Erfolg fand und die Gedanken sich langsam verflüchtigten. Das letzte was ich noch spürte, waren Jasons Lippen auf meinem Kopf. 

Kapitel 13

Jason P.o.V.

„Ich weiss, du wirst auf Kate gut aufpassen. Doch als Mutter habe ich die Pflicht, dir zu sagen, dass du auf sie wirklich gut Acht geben solltest. Sie macht zurzeit eine schwierige Zeit durch und versucht alles Mögliche um ihre Erinnerungen wieder zu finden. Sie wird dich wahrscheinlich viel über die Vergangenheit fragen und du sollst ihr ruhig ihre Fragen beantworten. Falls du jetzt schon weisst, dass du es nicht aushalten wirst oder dass es dir zu viel wird, muss ich dich bitten, schon jetzt Abstand zu ihr zu halten. Mir ist klar, dass du sie liebst und am liebsten den ganzen Tag um dich hättest. Das sehe ich in deinen Blicken und deiner Körperhaltung an. Aber bitte Jason, tu ihr einfach nicht weh. Verletz sie bitte nicht, denn ich weiss nicht, ob sie das nun wirklich ertragen könnte.“
Mit ernster Stimme sprach Mikayla zu mir und durch den Rückspiegel schaute sie mir einige Sekunden in die Augen, bevor sie wieder auf die Strasse achtete. Um das eben Gesagte zu verarbeiten schaute ich auf Kate hinunter, die auf mir eingeschlafen war. Sanft strich ich ihr über die Haare und sie schmiegte sich unbewusst näher an mich heran. Ich würde ihr doch niemals wehtun. Fest entschlossen sah ich wieder auf und blickte durch den Spiegel zu Mikayla.

„Niemals würde ich meiner Kate etwas zu Leide tun. Mikayla, Sie wissen wahrscheinlich gar nicht, wie lange ich schon in Kate verliebt bin. Ich könnte ihr niemals wehtun oder sie sogar verlassen. Sogar wenn sie es möchte, könnte ich es nicht. Denn ich weiss nicht, ob ich ohne sie leben könnte.“
Die Erkenntis schockte mich jedesmal wieder aufs Neue und zum ersten Mal sprach ich es laut aus, was mich stocken liess. Auch Mikayla blickte überrascht zu mir.

„Nun, wenn das so ist, bin ich ja froh darüber, dass Kate jemanden wie dich gefunden hat.“
Doch ihre Stimme wirkte nicht ganz so erfreut, wie sie es eigentlich hätte sein sollen. Klar, wie musste eine Mutter auch reagieren, wenn ein junger Mann herkam und mitteilte, er wolle gerne sein Leben mit der Tochter verbringen?! Denn insgeheim hatte ich schon an eine Hochzeit zwischen uns gedacht. Schon der Gedanke Kate in einem weissen Kleid zu sehen, liess mein Herz viel schneller klopfen. Wie sie auf mich zukommen würde, mit einem Brautstrauss und dann durch ihren Schleier hindurch würde sie mir dieses umwerfende Lächeln schenken, sodass ich sie am liebsten zu mir ziehen und küssen würde. Oder wie schön es doch wäre, wenn ich nach der Arbeit nach Hause kam und Kate auf mich warten würde, wie wir gemeinsam Kinder hätten. Kate wäre sicher eine bezaubernde Mutter, würde sicher ganz fürsorglich sein und die Familie total verwöhnen. Irgendeinmal würden auch unsere Kinder gross werden, heiraten und uns Enkelkinder gebären. Kate und ich würden gemeinsam alt werden, auf der Veranda sitzen und den Kindern beim Spielen zusehen. Und wenn wir sterben, werden wir beide nebeneinander begraben werden. Mein Herz klopfte begeistert über diese Gedanken und mein ganzer Körper kribbelte über die Vorstellung. Dabei meine Kate noch in den Arm zu halten, minderte meine Gedanken nicht im Mindesten. Im Gegenteil, die Vorstellungen wuchsen nur, wie wir gemeinsam Zeit verbrachten. Zum Glück kamen wir in dem Moment an, denn noch länger und ich hätte wahrscheinlich ignoriert das Kate am Schlafen wäre und sie einfach stürmisch überfallen. Mikayla öffnete mir die Türe und da ich Kate nicht wecken wollte, hob ich sie hoch und trug sie ins Haus. Sie schmiegte sich an mich an und ein Lächeln kroch über meine Lippen. Im Schlaf vergrub sie sogar ihre Nase in meiner Brust und ich hatte Angst, mein laut pochendes Herz könnte sie wecken. Aber Kate, ganz wie sie war, schlief einfach tief und fest. Isa wurde von Mikayla getragen und in ihrem Zimmer gebracht. Als ich Kate gerade in ihrem Bett legte und wieder zurück kehren wollte, hoffte ich dass sie mich aufhielt. Dass sie mich im Schlaf am Handgelenk festhielt und bat bei ihr zu bleiben. Oder dass sie im Schlaf meinen Namen rief, sodass ich die Nacht über bei ihr bleiben konnte, sie in meinen Armen halten konnte und mit ihr in den Armen wieder aufstehen konnte. Doch nichts dergleichen geschah. Für einen Moment hatte ich gehofft, es wäre wie in all den Filmen, in der das Mädchen den Jungen festhielt und bat bei ihr zu bleiben. Doch das Leben war kein Film, wie ich feststellte. Denn Kate kuschelte sich tiefer in ihre Decken und schlief tief und fest ein. Irgendwie war das ja klar. Meine Kate war doch nicht wie alle anderen. Sie war etwas besonderes. Ein Diamant unter vielen hässlichen Kieselsteinen. Ich zog ihr noch Schuhe, Socken und Jacke aus und legte alles auf ihrem Schreibtischstuhl. Sie auszuziehen getraute ich mich nicht, da sie vielleicht morgen wieder wütend auf mich sein würde. Deshalb beliess ich es lieber, deckte sie einfach nur zu und verschwand aus ihrem Zimmer, als ich meine Sachen genommen habe. Im Badezimmer putzte ich die Zähne, wusch mir einmal das Gesicht und schluckte meine Tablette hinunter. Danach liess ich mich auf das provisorische Gästebett nieder und versank in meiner Traumwelt.

 

Ein lautes Geschrei holte mich aus meinen dunklen Träumen wieder in die Realität. Leicht öffnete ich meine Augen und schloss sie aber direkt wieder. Isa sprang wie ein Gummiball auf meinem Bett herum und schrie vergnügt auf dabei.

„Komm schon Jason, steh auf! Es ist viel zu spät um noch zu schlafen!“, schrie Isa im Zimmer herum. Stöhnend öffnete ich die Augen, doch das Licht blendete mich so sehr, dass ich meine Augen wieder zusammenkniff und meinen Arm darüber legte.

„Ach komm, Jason. Steh schon auf!“, kreischte Isa unbekümmert weiter. Sie zog mir die Decke weg, doch ich blieb trotzdem liegen.

„Na gut, wie du willst. Dann hole ich halt einen Eimer Wasser.“ Plötzlich hatte ich Ruhe und ich öffnete ein Auge, um nachzuschauen, ob sie wirklich gegangen war. Doch statt Isa stand nun Kate vor mir und schaute mich tadelnd an.

„Willst du wirklich nicht aufstehen? Isa füllt schon den Eimer.“

„Willst du denn mich nicht mit einem Kuss aufwecken?“

„Ich dachte immer die Prinzen komme die Prinzessinnen mit einem Kuss aufwecken? Und da wir weder in einem Märchen sind, noch du eine Prinzessin bist, erhälst du keinen Kuss.“ Ihre Augen funkelten in der Morgensonne schelmisch und einmal mehr, verlor ich mich in ihren Augen. Als ich jedoch Isa hinten im Flur erhörte, die einen Eimer mitzuschleppen schien, war ich in sekundenschnelle auf den Beinen. Kurz war mir sogar schwindelig, da ich zu schnell aufgestanden bin, aber das verging dann so schnell, wie es eben gekommen war. Da tauchte auch schon Isa auf und hatte tatsächlich einen Eimer Wasser dabei. Als sie aber sah, dass ich schon aufgestanden bin, huschte Enttäuschung über ihr Gesicht. Schmollend ging sie wieder mit ihrem Eimer zurück. Fassungslos blickte ich ihr hinterher. Puh, noch einmal Glück gehabt. Bei dieser Familie musste man wirklich vorsichtig sein, auch wenn man sie liebte.

„In fünf Minuten gibt es Frühstück und wenn du zu spät bist, bleibt nichts mehr übrig. Also wenn ich du wäre, würde ich mich beeilen.“
Damit verschwand Kate und ich beeilte mich, da ich grossen Hunger hatte und das trotz Mrs. Kenths Kochkünste von gestern. Schon als ich aus dem Badezimmer heraustrat, roch ich Kaffee und einen süsslichen Duft. Waren das Pfannkuchen oder doch nur Butterbrote? Der Geruch lockte mich direkt in die Küche, in der schon alle am Tisch sassen und gerade anfangen wollten zu essen.

„Guten Morgen, Jason. Setzt dich doch. Wir wollten gerade anfangen.“ Ich setzte mich gegnüber von Kate und fing ihren Blick auf, der soviel sagte wie, ich habs dir doch gesagt. Kopfschüttelnd widmete ich den Pfannkuchen, die schon zur Hälfte weg waren. Wie konnte diese Familie soviel essen und doch so dünn sein? Ich trieb zuhause so viel Sport und gehe ins Fitness und Kate, sie geht nicht einmal ins Fitnesszentrum oder ist in einem Sportverein oder so. Und trotz allem ist sie so dünn. In Schweigen genossen wir das Frühstück und ich trank meinen Kaffee.

„Iih, Jason. Wie kannst du Kaffee trinken?! Das ist doch so bitter!" Als Isa das Gesicht verzog musste ich ein Lachen unterdrücken.

„Ach ja, wenn Kaffee bitter ist, was soll ich denn ansonsten trinken?", stellte ich ihr eine Gegenfrage.

„Na eine Tasse warme Milch", antwortete sie, als wäre das selbstverständlich.

„Weisst du denn nicht wie gut eine Tasse warme Milch schmeckt und wie gesund es erst ist. Es hat viel Kalzium, das gut für die Knochen ist. Also hör auf das bittere, ungesunde Zeug zu trinken und fang an Milch zu trinken!" Es war recht süss, wie sie versuchte mir eine Predigt zu halten. Kaffee machte mich halt wach. Daran konnte nun auch eine Rede einer kleinen Frau nichts ändern. Doch das sagte ich lieber nicht laut, da Isa sonst für Wochen nicht mehr mit mir reden würde.

Nach dem Frühstück blieb ich noch für eine kurze Weile bei ihnen, aber verabschiedete mich dann rasch um nach Hause zu gehen. Auch wenn sie mich eingeladen haben, wollte ich ihnen nicht das Familienfest ruinieren. Sie benötigen sicher auch mal ihre Privatsphäre und somit machte ich mich auf dem Weg zu mir. Wie zu erwarten war niemand bei mir zuhause. Weder Dad, noch Mum, nicht einmal Alex. Dad und Mum waren wahrscheinlich noch immer in London und Alex war wahrscheinlich auf einer Party mit seinen Kumpels, oder in einem fremden Bett eines Mädchens. Ich schluckte meine Tablette, packte schnell das Geschenk und lief dann auch schon wieder hinaus. Eine Tasche mit Sportkleidung hing über meine Schultern. Kurz warf ich ein Blick zum Haus vor mir, doch da es ruhig aussah, legte ich das Päckchen in den Briefkasten und wollte gerade verschwinden als die Türe auf ging und ein lachender Dwain herauskam.

„Hey Jason, was machst du denn hier?“ Überrascht kam er auf mich zu. Ich nahm das Päcken wieder aus dem Briefkasten und hielt es ihm hin.

„Morgen, wollte dir nur dein Geschenk vorbei bringen. Sag deiner Familie einen Gruss, man.“ Damit drehte ich mich auch schon um.

„Danke bro! Und klar, mach ich! Schöne Feiertage noch!“, rief er mir verwundert zu, als ich auch schon um die Ecke ging. Lächelnd ging ich die Treppen zum Fitnesszentrum hinauf und betrat dann die Sporthalle.

Nach den Mahlzeiten bei Mrs. Kenth und bei Kate, war es wieder höchste Zeit zu trainieren. Sonst konnte ich als Fettklösschen herum laufen und ich wäre dann nicht mehr der beliebteste Junge der Schule, sondern das Gespött der Schule. Ausserdem würde Kate bestimmt nicht mit einem Fettkloss zusammen sein wollen. Also machte ich mich daran, die Kalorien zu verbrennen. Zuerst stemmte ich Gewichte und trainierte meinen Bizeps und den Trizeps. Danach machte ich einige Übungen, die meinen Rumpf verstärkten. Letztendlich war ich auf dem Laufband und joggte darauf einige Kilometer. Der Schweiss rann mir in Strömen aus den Poren, doch das liess mich nicht daran hindern, weiter zu machen. Bis auf mich war das Fitnesszentrum vollkommen leer, da wahrscheinlich alle bei ihrer Familie waren. Doch die Besitzer liessen die Halle immer offen, damit jeder, wann er wollte hinein kommen konnte. Für die Sicherheit sorgten sie mithilfe von Kameras, die in jeder Ecke positioniert waren. Da hörte ich, wie die Türe auf ging und jemand hinein kam. Ein brauner Lockenkopf, graue Augen und ein mürrischer Blick. Chris. Heute hatte er, wie ist es auch anders zu erwarten, einen schwarzen Hoodie, graue Hosen und schwarze Chucks an.

„Hey, Chris! Was machst du denn hier?“ Überrascht blickte ich auf den grimmigen Typen vor mir.

„Na, was macht man wohl, in einem Fitnessstudio?!“ Damit entledigte er sich von seiner Tasche und ging gleich zu den Hanteln. Schweigend fuhren wir mit unseren Übungen fort. Nach 10 km hörte ich schliesslich auf und legte mir das Handtuch um meinen Nacken. Chris Stimme hielt mich jedoch auf, nachhause zu gehen.

„Heute Abend Treffen in der Gasse. Taylor möchte dich sehen. Ein neuer Fisch ist uns ins Netz gegangen und Taylor will, dass du für ihn sorgst.“
Auch ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass er mich nicht einmal ansah und somit verliess ich, ohne mich auch bei ihm zu verabschieden, die Halle und trat in die kalte Dezemberluft. Ich lief in schweissnassen Sportkleidung durch die Strassen, da es nicht allzu weit war bis zu mir. Zuhause sprang ich unter die Dusche und stellte sie eher kalt ein. Während ich mich einshampoonierte, liess ich den gestrigen Tag Revue passieren. Bei zwei Sachen blieb ich dabei hängen. Erstens, wie könnte ich die Jungs in Ruhe lassen, wenn sie mit Kate flirteten und sie anbaggerten. Und Kate ihrerseits, versteht das nicht und denkt ich wäre viel zu schnell eifersüchtig. Das Zweite war, was hatte sie denn mit den Zettelchen gemeint? Bekam sie da etwa Liebesbriefe? Sie hatte mir nichteinmal gesagt, dass sie Zettelchen bekam, oder hatte es nicht einmal besser erklärt, als ich bei ihr nachgefragt hatte. Sie hatte nur abgewunken und war dann hinein gegangen. Und was wollte denn Taylor von mir? Bisher musste ich mich nie um einen neuen Fang kümmern. Ich war bisher immer nur der Mittelsmann, der das Pulver an andere weiter verkaufte. Ich selber hatte früher auch mal genommen, aber eher selten und nur wenn ich wieder mal in einer dieser tiefdepri-Phase gewesen war. Auf jeder Party wurde ich eingeladen, da ich den Stoff hatte. Das ganze wurde jedoch unter den Tischen gehandelt, damit es nicht jeder mitbekam. In diesem Geschäft konnte man nur wenigen trauen und wenn jemand mich beim dealen erwischt hätte, hätte es viel schlimmer für mich enden können. Aber ich kannte das Risiko und wusste mich auch zu helfen. Taylor wusste, dass ich sein bester Mann war, was den Handel unter den anderen betraf. Daher fragte ich mich umsomehr, weshalb er mich verantwortlich machte, für einen neuen Typen. Ausserdem, weshalb jetzt wieder, nach so langer Zeit, in dem ich mein Leben wieder in den Griff gekriegt hatte? Während dem ganzen Grübeln hatte ich mich auch schon abgewaschen und trat nun aus der Duschkabine heraus. Mit dem weichen Badetuch hatte ich mich abgetrocknet und lief im Trainer zuhause herum. Immerhin war eh keiner da und da würde es ja niemandem stören. Ich setzte mich vor den Fernseher hin und zappte durch die Kanäle hindurch. Doch da lief einfach nichts interessantes und somit schaltete ich es schon einige Minuten darauf wieder aus. Ich ging wieder hinauf und zog mir vernünftige Sachen an, da ich langsam los musste. Die Schlüssel musste ich noch suchen und fand sie schliesslich unter einem haufen Kram auf meinem Schreibtisch. Schnell zog ich mir meine Jacke über und lief los zu der besagten Gasse. Einige Minuten später war ich eine Strasse entfernt von der Gasse, konnte aber bereits Taylor und Zack ausmachen. Im Halbschatten konnte man noch Chris finden. Ich überquerte die Strasse und erst als ich am Eingang der Gasse war, konnte ich auch das neue Mitglied ausfindig machen. Er stand ziemlich weit hinten, während Taylor auf einem Container sass und Zack wiedermal schon im siebten Himmel schwebte. Dieser Typ war ja dauervoll. Ich meine, jedesmal wenn ich ihn traf, egal ob am Morgen oder Abend, fand ich ihn nur zugedröhnt vor. Wie konnte der überhaupt solange überleben ohne erwischt zu werden oder im Krankenhaus zu landen?! Doch darüber sollte ich mir wohl nicht den Kopf zerbrechen. Da der Neue weit hinten im Dunklen stand, kontte ich nicht ausmachen wer er genau war, oder wie er aussah. Er war von grosser Statur und war schlank. Er erinnerte mich an jemandem, doch ich konnte nicht sagen, wer es genau war. Als Taylor mich endlich bemerkt hatte, sprang er vom Container und alle versammelten sich langsam um ihn. Der Neue trat auch einige Schritte hervor und im schwachen Strassenlicht konnte ich endlich sein Gesicht ausmachen, auch wenn es nur sehr schwach war. Doch, das was ich sah, liess mich kurz die Luft aufschnappen. Auch der Neue sah geschockt aus, als er mich entdeckt hatte.

Kapitel 14

Das konnte nicht wahr sein! Haselnussbraune Augen blickten in meine dunkelbraunen Augen. Wie konnte es sein, dass er hier war?! Auch mein Gegenüber war wohl von meinem Anblick geschockt.

„Hey, Jason. Darf ich dir unser neuestes Mitglied vorstellen? Das hier ist Ryan. Ryan, das ist Jason!“ Taylor schien wohl nichts von unserem vorherigen Bekanntschaft zu wissen und auch nicht unsere schockierte Gesichter wahrzunehmen. Unmerklich schüttelte ich den Kopf und konnte nur hoffen, dass er mein Kopfschütteln richtig deutete. Wie es aussah, hatte er mein Signal richtig gedeutet, denn er streckte mir die Hand aus. Ich schüttelte sie und wir begrüssten uns wie zwei unbekannte. Taylor erklärte uns, dass Ryan ab nun in meiner Obhut sein würde und dass ich ihm alles beibringen sollte. Obwohl mir tausende von Gedanken durch den Kopf schossen, ignorierte ich sie alle und konzentrierte mich auf Taylor. Als er schliesslich endete, wollte er uns beide schon wegschicken und sich seinen anderen Geschäftspartner widmen. Doch mir brannte eine Frage auf der Zunge, die unbedingt gestellt werden musste.

„Taylor, weshalb muss ich diese Aufgabe übernehmen. Bisher hat doch Luke immer diese Aufgabe übernommen. Also weshalb plötzlich hast du dich nun umentschieden?“ Taylor kletterte wieder auf den Container und genoss, dass ich zu ihm nun aufblicken musste.

„Luke, hat seine Arbeit nicht mehr so gut erledigt, wie er es sollte. Also erhielt er seine Strafe und nun erhälst du den Job. Und nun verzieh dich und mach deine Arbeit.“ Damit wendete er sich vollkommen von mir ab und blickte zu Chris und Zack, der schon wieder an einem neuen Joint dran war. Da ich eh nichts mehr dagegen tun konnte, ging ich mit Ryan um die Ecke und wir liefen ein gutes Stück.

„Ryan, was machst du bei Taylor? Weisst du überhaupt, auf was du dich da eingelassen hast? Ich rate dir lieber dich davon zu entfernen. Denn gut wird die ganze Sache nicht enden.“ Ich schaute neben mich. Ryan lief immer noch mit gesenktem Kopf weiter. Die Hände hatte er tief in seinen Hosentaschen vergraben, als würde er sich erwischt, wie auch schuldig fühlen.

„Ehrlich, man. Ich hatte keine Ahnung was da genau lief. Ich habe Taylor nach dem Weihnachtsfest getroffen und er kam mir voll sympathisch vor. Er meinte, ich könnte einiges dazu verdienen und hatte nicht erwähnt wie oder womit. Er hat mir nur gesagt, ich solle heute Abend eben in dieser Gasse sein. Dass er mir aber mit Drogen und anderem Stoff kommt, konnte ich ja nicht wissen. Erst als ich den anderen zugedröhnten Typen sah, begriff ich, um was es hier zu gehen scheint. Aber ich frage mich, was du hier machst und was du damit zu tun hast? Was genau solltest du mir denn beibringen? Und seit wann bist du denn schon in diesem Geschäft?“ Seine Stimme wurde immer anklagender und nun blieb er auch stehen.

„Ryan, hör mir jetzt zu. Du musst dich von Taylor und seinen Leuten möglichst fern halten. Was mit mir ist, spielt nun keine Rolle. Um mich musst du dir keine Gedanken machen. Was dich betrifft, werde ich Taylor eine Lüge auftischen und klar stellen, dass du hier nicht zu gebrauchen bist. Mach du dich einfach vom Acker und lass dich hier nie wieder blicken. Verstanden?“ Ich sah ihm vollkommen ernst in die Augen und er nickte etwas belämmert. Ich sah, dass er viele Fragen hatte, doch wir mussten die Fragestunde auf später verschieben, bevor Taylor oder Chris hier auftauchte und mir meinen Plan zunichte machte. Ryan durfte einfach nicht in unsere Kreise geraten. Er war einer der guten. Er passte nicht in diese dunklen Geschäfte rein. Ein weiterer Kleinkrimineller sollte nicht in Kates Nähe sein. Eigentlich sollte niemand in Kates Nähe sein, ausser ihrer Famile und mir. Aber nach der gestrigen Ansage von ihr, musste ich einfach akzeptieren, dass hin und wieder mal einige Jungs mit ihr unterhielten. Ich konnte nicht jedesmal in Eifersucht ausbrechen und hoffen, dass Kate mich beruhigen würde. Aber zurück zum Thema. Ryan musste jetzt schnellst möglichst verschwinden. Doch das Pech schien mich zu verfolgen. Gerade als Ryan sich auf den Weg machen wollte, kam Chris um die Ecke und hielt auf uns zu.

„Taylor ruft dich! Hey, Frischling! Du auch mitkommen!“ Chris war schon immer wortkarg gewesen. Ein abfälliges Schnauben meinerseit konnte ich nicht zurückhalten und folgte ihm schliesslich zurück in die Gasse. Ryan lief neben mir her und warf mir einen unsicheren Blick zu. Jedoch war ich selbst sehr beunruhigt, was ich mir aber nicht merken liess. An der Gasse standen diesmal Taylor und Zack sah auch schon etwas besser aus. Ansonsten war die Gasse vollkommen leer und sobald wir da waren, lief Taylor auch schon los.

„Hey Frischling, heute kannst du viel lernen. Wir brechen gerade auf, um eine grosse Ladung neuen Stoff zu holen. Da kannnst du gerade deinen Dienst einsetzen und das Gelernte anwenden. Jason, du hast ihm doch bestimmt schon die wichtigsten Dinge beigebracht, nicht?“ Taylors Grinsen war echt unheimlich, so als wusste er etwas, dass wir nicht wussten. Als hätte er etwas hinterlistiges geplant, das ihn nun wie einen kleinen Schuljungen grinsen liess. Um meine Unsicherheit zu verbergen, stimmte ich ihm zu und warf Ryan einen Blick zu, der soviel wie, vertrau mir heissen soll.
Wir liefen nun schon eine Weile und sowohl Ryan wie auch ich hatten keine Ahnung wohin wir genau hingingen.

„Taylor, wo genau wird die Übernahme stattfinden?“ Taylor liess jedoch nur ein Zungenschnalzen von sich hören. Also schwieg ich und wir trotteten den anderen hinterher. Nach einer endlos erscheinenden Zeit kamen wir schliesslich am Stadtrand an. Deshalb also das Zungenschnalzen. Ich hätte es voraus ahnen können. Die Geschäfte fanden öfters hier am Stadtrand statt, damit die Chancen uns zu erwischen geringer waren. Hier am Stadtrand stand seit Jahren schon eine Fabrikhalle leer. In dieser Halle fanden die meisten illegalen Dinge statt. Ob es Drogenhandel war, illlegale Wetten, andere Geldeinsatzspiele oder selten sogar Prostitution, spielte da absolut keine Rolle. All die Dinge wurden einfach hier gemacht. Diese Gegend wurde fast nie von der Polizei kontrolliert und so konnten all die schmutzigen Geschäfte problemlos gemacht werden. Wir bogen in die breite, leere Strasse ab, als ich die Fabrikhalle schon sehen konnte. Ryan neben mir lief schweigend her. Aber seiner Körperhaltung konnte man schnell ablesen, dass er sehr nervös war. Jeder Muskel seines Körpers war angespannt und wartete nur darauf, eingesetzt zu werden. Er war völlig verängstigt und sah wie ein Opfer eines Jägers aus, der auf den Moment des Fluchtes wartete.

„Mach dich ein wenig lockerer, man. So wird das ganze nur auffälliger, wenn du weggehst. Dann haben sie sofort den Verdacht, dass du nur ein Spion oder so was in der Art bist.“ Auf meine Worte reagiert Ryan und liess sofort seine Schultern ein wenig hängen und die Anspannung wich ganz wenig. Ich wollte ihm schon aufmunternd auf die Schulter klopfen, als er sich wieder anspannte.

„Ryan, man. Lass mal locker. Entspann dich ein wenig.“

„Ja, du hast ja leicht reden. Du hast das bestimmt schon Tausende Male gemacht. Tut mir ja furchtbar Leid, dass ich noch kein Krimineller bin. Weiss es Kate denn? Ihr würde es sicher sehr interessieren zu wissen, dass sie mit einem Kriminellen zusammen ist. Meinst du nicht auch? Deine Eltern wissen ja eh nicht, was du gerade treibst, da sie ja ständig im Ausland sind. Habe ich recht? Sie denken wahrscheinlich sogar, dass du ein braver Junge bist, gute Noten schreibst und ja keine Dummheiten anstellst. Ich bin mir ziemlich sicher, die wissen nicht einmal, dass du ständig neue am Start hast, sie einmal durchvögelst und dann wie aufgebrauchte Nastücher einfach wegschmeisst. Dass du ständig Partys bei dir veranstaltest und natürlich nicht dass du trinkst und rauchst. Wie sollten sie da wissen, dass du mit Drogen zu tun hast und noch dazu ein Teil dieser “Geschäftsleute“ bist. Die sind viel zu beschäftigt damit, in andere Länder zu reisen und die anderen zu überzeugen Gutes zu tun und Belehrungen zu veranstalten, während sie nicht einmal ihren eigenen Sohn unter Kontrolle halten können. Daher tut es mir sehr Leid, dass ich noch nicht so verkorkst bin wie du und deshalb das Ganze nicht auf die leichte Schulter nehme.“
Autsch. Das so von einem anderen zu hören tat echt weh, auch wenn die Hälfte stimmen mag. Aber ich konnte nicht jetzt meine Emotionen loslassen und ihn verprügeln. Erst die Sache mit Kate, damals auf der Party und nun beleidigte er mich auch noch und warf mir Sachen an den Kopf, die ihm nichts angingen?! Innerlich war ich vollkommen am ausrasten. Leider konnte ich ihm nicht mit einem Tracht Prügel ein wenig Verstand in ihn zurückkehren lassen. Denn wir waren gerade in einer sehr heiklen Situation. Ein falsches Wort oder eine falsche Bewegung und mindesten zwei Knarren würden auf uns gerichtet sein. Ob Zack wirklich eine Knarre hätte, bin ich mir immer noch nicht sicher. Jedenfalls war es schon auffällig, dass Ryan und ich ständig am Flüstern waren. Wir konnten nur von Glück sprechen, dass Taylor noch keinen Verdacht schöpfte. Also versuchte ich möglichst ruhig zu bleiben und Ryan zu beruhigen.

„Ryan, hör mir jetzt zu. Verhalte dich möglichst unauffällig und bleib immer im Hintergrund, egal was geschieht. Je weniger du auffällst und je weniger zwielichtige Typen dich sehen, desto sicherer bist du, heil aus der Sache hinaus zu kommen. Wir sind bald da und stell bitte keine Dummheiten an. Bleib einfach immer hinter mir.“
Ryan schien etwas sagen zu wollen, entschied sich aber offensichtlich dagegen. Stattdessen nickte er und schaute sich um, als hätte er erst jetzt registriert, dass wir nicht mehr in der Stadt waren. Ich hingegen habe jeden Schritt von Taylor verfolgt und alles mit Argusaugen beobachtet. Schliesslich war ich nicht neu in diesem Geschäft und wusste wie ich mich zu verhalten habe. Auch während der ganzen Vorwürfen von Ryan habe ich den Blick nicht abgewendet. Denn das gehörte einfach zu diesem Job. Ryan musste vieles erlernen, obwohl, eigentlich ja nicht, da er einfach nicht dazugehören sollte. Jedenfalls hatte ich meinen Pokerfache schon aufgesetzt, als wir in diese Strasse eingebogen sind. Und etwas in dem ich wirklich gut war, war einen Pokerface aufzusetzen. Zu solchen Gelegenheiten konnte einfach niemand in mein Gesicht einer meiner Gefühle ablesen. Ausser vielleicht Kate, da sie mich einfach in und auswendig kannte. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihr Gedächtnis verloren hatte. Ok, aufhören! Ich sollte mich wieder auf die Geschehnisse vor mir konzentrieren und mich nicht ständig von irgendwelchen Gedanken ablenken lassen. Inzwischen standen wir nicht mehr auf der Strasse, sondern waren bereits auf der Wiese, auf welcher das Gebäude stand. Vor der Halle sah ich auch schon zwei Typen, die wirklich kaum zu bemerken waren, da sie, wie es auch in dieser Branche üblich war, in schwarz gekleidet waren und somit von der Dunkelheit verschluckt wurden. Nur Ryan stach mit seiner blauen Winterjacke aus der Reihe. Ich hatte mir meine schwarze Lederjacke geschnappt bevor ich zu dem Treffen ging und war somit auch in schwarz gekleidet. Je näher wir gingen, deste klarer konnte ich alles wahrnehmen. Ryan schien erst jetzt die zwei Typen zu bemerken. Das Stocken in seinem Gehen verriet ihn. Doch da er und ich das Schlusslicht bildeten, fiel das keinem weiter auf und gefahrlos näherten wir uns weiter den beiden Typen und auch dem Gebäude. Die Geschäfte wurden normalerweise innen erledigt, und zwei standen Schmiere und warnten uns, falls etwas merkwürdig sein sollte. Heute waren wohl, diese beiden Typen ausgewählt worden, aufzupassen, dass niemand dem Gebäude sich näherte. Einige kurze Wörter, ein kaum merkliches Nicken und schon passierten wir die bewachte Türe und gelangen in die Halle. Die Halle sah genauso aus, wie auch letztes Mal, als ich da war. Deckenhohe Fenster, die aber trüb waren oder sogar zerbrochen. Durch das milchige Glas konnte man nicht mehr hinein oder hinaus sehen. Nur das Mondlicht durchbrach schwach die Scheibe. An der hohen Decke flackerten die Lampen. Die hatten ihre besten Tage wohl auch lange hinter sich. Doch es brachte den Vorteil mit sich, dass man somit das Licht aussen durch die Scheiben nicht sehen konnte. Einen Couch, einige Sessel, ein Tisch und eine Stehlampe standen in der Mitte der Halle, in der sich alle traffen. Diese wurden wahrscheinlich später von den Dealern hierher gebracht, damit man es etwas gemütlicher hatte, während man verhandelte. In dem grossen Sessel sass der dürre Typ vom letzten Mal. Seinen Namen hatte man mir schon letztes mal nicht verraten und so hoffte ich auch nicht es heute zu erfahren. Er war der Boss von seiner Truppe. Seine Truppe bestand aus fünf Jungs und einem Mädchen. Jedenfalls waren sie die einzigen, die ich bei Geschäften antraf. Die Besagten sassen auf der Couch und schienen nur auf uns gewartet zu haben. Denn sobald sie uns entdeckt hatten, war ihre entspannte Haltung weg und sie setzten sich aufrechter hin. Auch unsere Gruppe spannte sich merklich an. Nur die Bosse der beiden Truppen waren immer noch locker und entspannt. Nerdie, wie ich den anderen Boss getauft hatte, da er wirklich wie ein Nerd aussah, mit seiner dürren Körperstatur und seiner Brille, grinste nun breit und streckte seine Arme aus, während er auf Taylor zukam. Chris, ganz der Bodyguard, hatte seine Hand, bereit an seiner Waffe, wie auch der Typ ihm gegegnüber, der der Bodyguard Nerdies zu sein schien. Alle waren voll in ihrem Element und waren perfekt einstudiert in ihrer Rolle. Chris als Bodyguard, Zack, der den Stoff jeweils kontrollierte und zu guter letzt ich, der den Stoff unter den Leuten mischte und die Kohle eigentlich einbrachte.

„Hey Taylor! Schon lange nicht mehr gesehen!“ Freundschaftlich umarmten sich die beiden Bosse und wurden dabei von aller Augen angestarrt.

„Hey Stan, ist echt eine Weile her. Und wie geht es dir denn?“ So besprachen sie einige Minuten irgendwelche Privatsachen, bei der ich gar nicht richtig zuhörte. Zwar merkte ich mir jedes Detail, um in Gefahr diese gegen sie zu benutzen, aber normalerweise reden sie nur das übliche Zeug: Nach dem Wohlergehen fragen, wie es sonst so im Leben läuft, und welche Frauen sie schon im Bett hatten. Ansonsten redeten sie nichts Privates. Gleich nachdem sie die Floskeln abgeschlossen hatten, wurden sie ernst. Sofort waren alle wieder 100 prozentig dabei und wachsam beobachteten wir, was so genau da ablief.

„Also, kommen wir zum Geschäftlichen. Gestern Abend haben wir eine neue Ladung Stoff gemischt. Ihr müsst es wie immer unter die Leute mischen und ihn verbreiten. Denn es ist ein neuer Mix, also nichts herkömmliches und altes. Etwas ganz neues, ganz einzigartiges. Ein kleiner Zug und es haut dich schon um. Du fühlst dich einfach wie im Himmel auf Erden. Das Zeug hat echt was drauf. Also ihr müsst es unter die Leute mischen. Nach nur einem Mal probieren, können sie nicht mehr davon loslassen und werden immer mehr wollen. Das bringt uns dann richtig viel Kohle ein. Was sagt ihr dazu? Könnt ihr das machen?“ Herausfordernd schaute Stan unsere Gang an. Taylor musste nicht lange überlegen. Sofort deutete er mit dem Finger, Zack nach vorne zu kommen.

„Du weisst, ich muss eine Garantie haben, dass das Zeug macht, was du versprichst. Deshalb muss ich ihn auch einmal getestet bekommen.“
Jedesmal läuft es auf der selben Art. Nerdie, stellt uns irgendein Stoff vor, Taylor lässt ihn testen und danach machen wir den Deal. Doch diesmal geschah es ganz anders. Denn gerade als das Mädchen einen kleinen Koffer herausholte und ihn auf den Tisch legte, stürmten die beiden Typen hinein und schrien laut los:

„Die Cops kommen! Rennt weg und versteckt den Koffer!“
Da waren sie auch schon weggerannt. Kaum waren sie aus dem Sichtfeld, konnten wir das Martinshorn auch schon hören. Scheisse! Sie waren schon da! Alles geschah nun ganz schnell. Von der einen Sekunde auf die andere war der Koffer verschwunden und mit ihm auch die ganze andere Gang. Stan verliess gerade mit seinem Bodyguard die Halle durch einen Hinterausgang. Er nickte noch beim Hinaustreten Taylor zu, der es erwiderte. Erst jetzt bemerkte ich, dass Ryan und ich die einzigen waren, die immer noch mitten in der Halle herum standen. Alle anderen waren schon verschwunden. Ich konnte die Stimmen unseres Gangs hören, aber auch diese wurden rasant leiser. Ich schnappte mir Ryans Hand, der panisch und schokiert mich ansah. Ich zog ihn mit, um durch denselben Hinterausgang wie die anderen hinauszutreten. Doch der scheiss Mistkerl hatte es noch abgeschlossen. Ich hämmerte darauf und versuchte es mit Fusstritten aufzubekommen. Doch vergeblich. Schnell stürmte ich auf die andere Seite, um irgendwie hinaus zu kommen. Doch es war zu spät. Ich hörte wie Autotüren zugeschlagen wurden, da waren auch schon um die sechs Cops bei uns. Die Waffen auf uns gerichtet blickte einer zu uns und schrie uns Befehle zu:

„Hände hoch und keine Bewegung! Durchsucht die Halle und checkt die zwei dann ab!"
Vier Polizisten rannten in alle Ecken, zu allen möglichen Verstecken und schrien schliesslich, dass es gesichert wäre. Die anderen beiden kamen zu uns und hielten die Waffen immer noch auf uns gerichtet. Ryan hatte richtig Panik. Das konnte ich in seinen Augen sehen. Schweiss brach bei ihm aus und er zitterte auch schon los. Dieser Junge hatte nicht einmal etwas mit diesem Geschäft zu tun und befürchtete dabei das Schlimmste. So eine Memme. Der war sicherlich noch nie in Schwierigkeiten geraten. War natürlich das brave Muttersöhnchen. Doch weitere Überlegungen wurden unterbrochen, als ich zwei Klicken hören konnte. Das Einrasten der Handschellen.

Kapitel 15

Seit Stunden wartete ich nun schon hier. Jedenfalls fühlte es sich so an. Da ich aber keine Uhr in der Nähe sah, konnte ich das nicht so richtig beurteilen. Weitere Leute liefen hin und her, aber keiner schien mich wahrzunehmen. Nun zumindest sah niemand mich an oder dachte im entferntesten daran, mich aufzurufen. Stattdessen liefen alle geschäftig weiter, als wäre ein Staatsfeind aus der Zelle ausgebrochen. Und das obwohl Weihnachten erst gestern war. Hatten die Leute kein Privatleben? Keine Feiertage? Immerhin war es jetzt schon Nacht, keine Ahnung wie viel Uhr. Aber da wir bereits elf Uhr hatten, als wir zum Lagerhaus aufmachten, musste jetzt schon der siebnundzwanzigste sein.
Das konnte doch nicht wahr sein. Das Warten war so schlimm. Vor allem in meiner Situation, wenn man wie auf heissen Kohlen sitzt. Was sollte ich bloss tun. Während der ganzen Warterei spukte mir dabei nur eine Frage durch den Kopf. Die alles entscheidende Frage. Was soll ich bloss tun? Sollte ich Schweigen und damit riskieren ins Gefängnis zu landen oder sollte ich alles verraten und damit mein Leben aufgeben? Taylor würde das Risiko verraten zu werden bestimmt nicht eingehen und mich töten lassen. Die Drecksarbeit macht er auf keinen Fall. Lieber lässt er etwas grosszügig an Geld springen statt jemanden persönlich zu töten. Aber meine Frage blieb immer noch ungeklärt. Was würde mit Kate geschehen? Was würde aus unserer Beziehung geschehen, wenn sie das alles erfahren würde? Was sollte ich bloss ohne sie machen? Da könnte ich lieber ins Gefängnis gehen oder mich von Taylors Leute umbringen lassen. Ein Leben ohne Kate wäre für mich unvorstellbar. Unaufhörlich trommelte ich mit den Fingern auf meinem Oberschenkel. Da wir kapitulierend die Hände gehoben hatten, hatten sie uns die Arme nicht nach hinten verdreht, so wie es in all den Filmen geschieht. Sie haben uns wahrscheinlich nicht als ganz so gefährlich eingestuft und deshalb erlaubt die Hände vorne zu haben. Ansonten wäre es auch sehr unangenehm, die ganze Zeit mit verdrehten Armen hier zu sitzen. Mein Bein wippte hin und her und man konnte das Klopfen meines Schuhs auf dem dreckigen Boden hören. Über die Feiertage hatten sie wohl kein Putzkräfte zur Verfügung. Der Linoleumboden hatte an Glanz und Farbe verloren. Das Gebäude war wohl schon zu lange da, als dass es als neu angesehen werden könnte.
Da wurde gerade die Tür geöffnet und der Polizist führte Ryan hinaus. Ryan sah zum Teil immer noch schockiert aus von den jüngsten Ereignissen. Aber er war nicht mehr so angespannt, wie zur Zeit, als wir abgeführt worden waren. Er sah eher erleichtert aus. Hatte er vielleicht alles ausgeplappert? Hatte er dem Polizisten die Wahrheit gesagt? Ich schätzte ihn nicht als einen Typen, der einen Polizisten, einen Staatsbeamten anlügen würde. Aber das bedeutete gewiss unseren Tod. Zur Sicherheit schaute ich den Polizisten ins Gesicht und hoffte an seiner Mimik etwas deuten zu können. Doch da hätte ich einen Stein anschauen können. Keine Spur von Erleichterung oder Anstrengung konnte man erkennen. Ich hatte somit null Ahnung, was Ryan in Wahrheit ihm erzählt haben könnte. Ich wusste auch nicht, was ich dem Polizisten erzählen sollte. Ich hatte mich immer noch nicht entschieden. Vielleicht sollte ich mich wohl beeilen. Denn der Polizist und Ryan kamen auf mich zu. Ryan warf mir einen Blick zu, der zeigte, dass er erleichtert war es endlich hinter sich gebracht zu haben. Nun, diese Hürde stand ja noch vor mir. Ryan hatte man wohl die Handschellen abgelegt, als man ihn befragt hatte. Mit einem unsicheren Lächeln kam er auf mich zu und setzte sich neben mich auf dem freien Stuhl.

„Hey, man. Viel Glück dadrin. Ist eigentlich nicht sehr schlimm. Es ist..“ Er wurde mitten im Satz von dem Polizisten unterbrochen. Dieser hatte ihn nämlich bis hierher begleitet und sah mich nun eindringlich an.

„Ihr seid nicht befugt miteinander zu sprechen. Und nun bitte ich Sie mit mir mitzukommen.“ Damit deutete er auf mich und bedeutete mir ihn zu folgen. Ich stand also auf und folgte ihm zu einer Türe. Die Handschellen lagen immernoch unangenehm um meine Handgelenke. Er öffnete die Türe und bedeutete mir hinein zu gehen. Sobald ich drinnen war, fiel die Tür ins Schloss und ich stand alleine im Verhörsraum.
Na super. Ich dachte, die wollten mich befragen und nicht mich hier warten lassen und die Ermittlungen so lange wie möglich herauszögern. Um nicht wie ein aufgescheuchtes Huhn zu wirken setzte ich mich an den Tisch und legte die Hände auf den Tisch. Ich konnte ja schlecht hier auf und abtigern und hoffen, dass der Typ möglichst schnell auftaucht. Meinen Blick hielt ich strengstens auf die Tischplatte gesenkt, mit dem Wissen, dass ich beobachtet wurde. Ich war ja nicht dumm. Hinter dem Spiegel befand sich sicher der Polizist und wartete doch nur, dass ich ausrastete oder irgendeine Regung von mir geben würde, dass mich verraten könnte. Deshalb und auch wegen den Tatsachen, dass hier haufenweise Kameras befestigt waren, hatte ich meinen Pokerface schon aufgesetzt, als ich diesen Raum betreten habe. Mein Pokerface war undurchdringbar. Das wusste ich. Was ich aber nicht verstand war, weshalb sie mich so zappeln liessen. Um mir nichts anmerken zu lassen zwang ich mich still zu sitzen und nicht einmal mit dem Fuss auf und ab zu wipfen. Das ich mich dabei leicht verkrampfte, konnte ich nicht verhindern. Deshalb atmete ich ruhig einige Male durch und entspannte meinen Körper und beruhigte mich selbst. Da ging die Türe auch schon auf und der Polizist von vorher kam wieder hinein, in der Hand einen Block mit einem Stift. Beides legte er auf den Tisch. Statt sich zu setzten kam er auf meine Seite und nahm meine Hände. Mit einem kleinen Schlüssel machte er schliesslich meine Handschellen auf und nahm beides an sich und setzte sich nun mir gegenüber. Ich rieb mir die Handgelenke und bemerkte erst jetzt, wie sehr die Handschellen mir die Freiheit geraubt hatten. Einige Minuten blieb es still und der Polizist tat nichts ausser mich anzusehen.

„Junge, wir können uns eine Menge Arbeit sparen, wenn du alles hier auf schreibst“, meinte er schliesslich.
Dabei schob er den Block und den Stift zu mir hinüber.

„Oder wir machen es auf die harte Tour und die ist echt nicht angenehm.“
Mein Blick lag auf dem Polizisten, emotionslos und nichtssagend. Beide starrten uns gegenseitig an, bis der Polizist mit einem Seufzen den Blick abwendete. Was er wohl von mir erwartete? Was sollte ich bloss tun? Was sollte ich bloss sagen? Die Wahrheit oder eine Lüge? Die Frage nagte immer noch an mir herum. Ich wartete weitere Minuten und bewegte mich nicht einen Zentimeter. In meinem Kopf rasten die Gedanken und mein Herz pochte um einiges schneller, doch von alldem liess ich mir nichts anmerken. Damit mir nicht noch der Schweiss ausbrach und alles offenbarte. Ich zwang mich ruhig ein und auszuatmen und meinen Herzschlag auf Normaltempo zu bringen. Meinem Gegenüber wurde das Warten allmählich leid. Er seuftze ergeben.

„Junge, willst du dir das wahrlich antun? Willst du wirklich da sitzen und stillschweigen und damit riskieren ins Gefängnis zu gehen oder aber du sagst uns die Wahrheit und schilderst alles ganz genau. Bei einer Kooperation kannst du fein aus der Sache herauskommen und müsstest höchstens eine Geldstrafe zahlen. Du hast nun die Wahl.“
Er lehnte sich gegen das Spiegelfenster und schaute mich eindringlich an. Ich zog den Block und den Stift zu mir, einfach nur um etwas zu machen. Den Kugelschreiber hatte ich schon in der Hand, aber ich schrieb nichts auf. Ich klickte ständig darauf herum oder drehte es zwischen meinen Fingern. Ich wusste einfach nicht weiter. Ich hielt auf einmal still und klickte den Kugelschreiber und setzte es an, um etwas zu schreiben. Doch keine Wörter flossen auf dem Papier. Keine Spur von Tinte verteilte sich auf dem Blatt. Die Verzweiflung liess mich zögern. Ich hatte die Wahl: Entweder riskierte ich meinen Tod von Taylors Hand oder ich riskierte einige Jahre im Gefängis. Eigentlich war mir das Gefängnis ja lieber. Aber der Gedanke an Kate trieb mich weiter in einen Strudel aus Verzweiflung. Schliesslich überwog ein Teil und ich fällte meine Entscheidung.  Ich setzte den Stift an und schrieb das Einizige, was ich in meiner Situtation halt wirklich konnte, musste. Mein Gegenüber beugte sich ein wenig nach vorne und las die drei Wörter, die ich aufgeschrieben hatte. Danach durchbohrte sein Blick meine Netzhaut. Ohne etwas zu sagen schnappte er sich den Block, den Stift und verschwand wieder durch die Türe. Was war denn jetzt wieder los? Ich habe nur die Wahrheit geschrieben, nämlich:

„Ich kann nicht“
Ich konnte wirklich nicht. Wie gern ich Taylor auch im Gefängnis sehen wollte, mein Leben hing hier davon ab. Und nicht nur meines, sondern auch Kates. Wäre ich im Gefängnis, könnte sich Taylor sie einfach schnappen, da sie ja absolut keinen Schutz hätte. Wenn ich bei ihr wäre, könnte ich Taylor zumindest von sie fernhalten, nicht nur von sie sondern allgemein von uns. Ich will endlich das Leben hinter mir lassen und doch kann ich es nicht. Ich will mich endlich verbessern und dann kann ich nicht einmal. So eine scheisse aber auch. Was die Polizisten nun wohl machen werden? Werden sie mich einbuchten oder mich freilassen? Plötzlich ging die Tür auf und riss mich aus meinen Gedanken. Der selbe Polizist von vorher kam herein, diesmal mit einer dünnen Akte in der Hand. War es vielleicht sogar meine Akte? Bisher hatte man mich nie erwischt, sodass ich keine langen Strafregister oder derart ähnliches aufzuweisen hatte. Aber vielleicht haben sie mir ja heute ein neues erstellt, wer weiss. Diesmal setzte sich der Herr direkt auf seinem Stuhl und öffnete geschäftsmässig die Akte. Er tat so, als würde er sie studieren und schaute mich dann wieder an. Die offene Akte legte er auf den Tisch.

„Dein Freund da draussen, hat mir eigentlich schon alles erzählt. Eigentlich bräuchte ich deine Aussage nicht. Aber wenn du weiterhin schweigst, heisst das für mich und meine Kollegen, dass du auch darin steckst, viel tiefer als dein Freund.“
Ich versuchte möglichst gleichgültig ihn anzublicken. Innerlich geriet ich halb in Panik. Wenn Ryan wirklich alles erzählt hatte, konnte er in Gefahr sein. Taylors Leute würden nicht Däumchen drehend warten, bis sie eingebuchtet waren. Sie würden ihn eine Lektion verpassen, die er sein Leben lang nicht vergessen würde.

„Dein Pokerface ist gut. Aber du beherrscht es nicht gut genug, um deine Angst zu verstecken. Ich kann die Furcht in deinen Augen ablesen. Du hast aber nicht Angst davor eingebuchtet zu werden. Du hast Angst davor, dass der Gangboss dir oder deinen Freunden etwas antut. Stimmts?“
Wie konnte er das alles wissen? Vielleicht war das ja nur so ein billiger Einschüchterungstrick. Ich gab keine Regung von mir und verriet einfach nichts.

„Keine Sorge, dir oder deinen Freunden wird nichts geschehen. Ryan, dein Freund hat uns alles erzählt und wir haben bereits eine Truppe auf der Suche nach Taylor und den anderen geschickt. Ryan wusste nur Taylor und Stans Namen. Wenn du uns die anderen Namen verrätst, könnten wir die Typen schneller schnappen und du wärst auch fein aus der Sache. Na, was meinst du?“ Damit hatte er mich. Die Namen konnte er unmöglich wissen, wenn Ryan nichts ausgeplappert hätte. So ein Plappermaul. Aber jetzt sah ich auch meine Chance, mich ohne grosse Probleme herauszu winden und nutzte die Chance. Resigniert seufzte ich und meine Mauer brach zusammen.

„Na gut, was wollen Sie wissen?“, fragte ich schliesslich ergeben.

„Sag mir einfach alles was du weisst, und ich sorge dafür, dass du nur mit einer Geldstrafe hier hinausspazierst.“
Was hatte ich denn für eine Wahl. Also fing ich ganz am Anfang an, mit der ersten Begegnung zwischen mir und Taylor, wie ich mit den anderen von seinem Kreis anfreundete und wie ich schliesslich in seinen Kreis mit einbezogen worde. Die Offenbarung, was sie so trieben und auch mein erstes Geschäft. Wie ich eine Aufgabe zugeteilt bekam und was mein Job in dessen Gang war. Dabei nannte ich alle Namen, die ich kannte und beschrieb die anderen auch möglichst genau. Ich wusste nicht, wie lange ich schon da sass und dem Polizisten alles erzählte. Ich redete einfach alles raus, was ich niemanden sonst verraten hatte. Wirklich niemanden, nicht meinen Freunden, nicht meiner Familie und vor allem nicht Kate. Ich wusste, dass ich sehr verzweifelt klang, doch genaus das war ich ja auch: Verzweifelt. Gefangen in meiner Situation, in der es kein Entkommen gab. Doch je mehr ich redete und alles erzählte, desto mehr spürte ich etwas aufsteigen. Ganz leicht und fein war es im Herzen, das von einem Mikrometer zu einem Milimeter wuchs. Hell wie die Sterne leuchtete es und wuchs immer stärker, aber nicht so stark, dass es blenden würde. Hoffnung, das war Hoffnung, das ich spürte. Hoffnung, frei ohne Probleme hier rauszukommen. Hoffnung, heil aus dieser verzwickten Situation rauszukommen. Hoffnung, den Scheiss mit Taylor endlich abgeschlossen zu haben.
Nach langer Zeit endete ich schliesslich und wusste gar nicht wie viel Zeit vergangen war. Nur das Kratzen des Stiftes auf dem Papier unterbrach die Stille. In meiner aufgewühlten Lage habe ich gar nicht gemerkt, dass der Polizist fleissig am mitschreiben war. Mit einem letzten Wort klickte er auf den Kugelschreiber und die Miene zog sich zurück. Schweigend schaute er mich an, ein merkwürdiger Ausdruck lag in seinen Augen, das ich nicht zu deuten wusste.

„Du wirst mit einer Geldstrafe entlassen.“ Damit stand er auf und hielt mir die Türe auf. Zuerst war ich fassunglos, dass ich jetzt mit einer Geldstrafe davon kam, sodass ich einige Sekunden unglaublich den Polizisten anschaute und einfach sitzen blieb. Langsam stand ich auf und ging an dem Herren vorbei aus der Türe heraus. Ryan sass immer noch an dem selben Platz und knetete nervös seine Hände. Weshalb er wohl nervös war? Hatte er jetzt vielleicht wirklich Schiss gekriegt? Doch als er aufblickte und mich erblickte, schien die ganze Nervosität weggeflogen zu sein. Sofort stand er auf und kam erleichtert grinsend auf mich zu.

„Hey Alter! Was..“ Weiter kam er nicht, weil der Polizist mich einfach weiter zog, zu einer Art Empfangtresen. Dort sass eine etwas molligere Frau und lächelte freundlich. Der Mann liess mich los und deutete mit dem Finger die Zahl sieben und danach auf mich. Die Akte legte er auf den Tisch, nahm seinen Bericht heraus und schob dann die Mappe der Frau zu. Und dann verschwand er einfach so, ohne irgendwelche weiteren Wörter. Die Frau tippte eifrig auf ihrem Computer herum, sobald sie meine Akte angesehen hatte. Sie druckte dann ein Papier aus und gab ihn mir.

„Also, du musst 7000Fr. als Geldstrafe zahlen. Du hast dafür zwei Monate Zeit. Das Geld kannst du hier vorbei bringen oder auf die Bank überweisen. Alle weitere Daten findest du auf dem Papier. Ich wünsche dir noch alles Gute und hoffe dich nicht bald wieder hier anzutreffen, jedenfalls nur wenn du das Geld bringen willst. Bitte nicht als Gefanger in Handschellen.“
Mit einem Augenzwinkern wendete sie sich wieder ihrem Computer zu. Damit war ich wohl entlassen. Ich nahm das Papier und faltete es bevor ich es vorsichtig in meine Jackentasche stopfte. Ryan stand bereits hinter mir, als ich mich umdrehte. Keine Ahnung wie lange er schon da stand. Ich sollte wirklich meine Aufmerksamkeit wieder der Umwelt schenken. Ich war momentan einfach viel zu durcheinander, als das ich die Welt um mich beachtet hatte. Immer noch in einer anderen Welt gefangen lief ich dem Ausgang entgegen. Ryan hinter mir. Erst als wir die Türe passierten, atmete dieser erleichtert aus. Die kalte Nachtluft schlug mir entgegen und die schweren Gedanken und Fragen lösten sich langsam in der Luft auf.

„Jeezus, bin ich froh, dass wir da heil raus sind. Nun muss ich mir endlich keine Sorgen mehr machen. Ich dachte schon die sperren uns ein oder so. Stattdessen sind wir ohne Probleme aus dem ganzem Dilemma, nicht? Ich meine wir sind jetzt nicht nur frei, wir haben auch Taylor nicht mehr hinter uns. Sprich ganz frei, aus allen schmutzigen Geschäften und das auch noch so schnell. Ach, fühlt sich das gut an. Nun kann ich mich auf Silvester freuen. Den ganzen Scheiss Kram kann ich mit diesem Jahr hinter mich lassen.“
Dümmlich grinste er mich an. Doch mir war ganz und gar nicht nach Grinsen zumute. Eine beklemmende Angst erfüllte mich. Eiskalt lief es mir den Rücken entlang. Denn ich wusste, es war noch nicht vorbei. Lange nicht. Taylor würde uns folgen, auf Schritt und Tritt, bis er uns kriegte. Würde ich schon in diesem Jahr sterben oder würde er mich nur krankenhausreif prügeln? Was dachte ich denn da, natürlich würde er mich töten. Wahrenscheinlich noch nicht jetzt hier, da sich nicht einmal Taylor sich getrauen würde vor dem Polizeipräsidium einen zu töten. Aber die Angst verliess mich trotzdem nicht. Denn ich konnte mir sicher sein, dass ich sterben würde. Wer würde denn schon keine Angst haben, mit dem Wissen schon in maximal drei Tagen zu sterben. Auch wenn man Taylor fassen würde, wären wir trotzdem tot. Konnte ich mich da freuen, dass wir frei waren? Kaum oder? Ryan schien nichts davon zu bemerken, grinste immer noch, als hätte er im Lotto gewonnen. Schweigend traten wir den Heimweg an, ich völlig angespannt und beängstigt, dass in jeder Ecke einer von Taylors Leuten wartete und uns anspringen würde und Ryan neben mir fröhlich hingrinsend. Jedes Knacken liess mich innerlich zusammenzucken. Schon bald kamen wir in unsere Gegend und ich freute mich zumindest diese Nacht noch zu überleben. Doch es kam alles ganz anders, als erwartet.

 

Kapitel 16

Kate P.o.V.

Völlig aufgeregt lief ich hier und da und packte die letzten Sachen in die Tasche. Heute war Silvester und wir feierten den Neujahr mit einer kleinen Party. Da ich nicht wirklich viele Kleider besass und auch nicht in einem Kleid herum laufen wollte, entschloss ich mich einfache Jeans mit einem schönen Top zu kombinieren. Das Burgunderrot umschmeichelte meine leicht lockigen Haare. Das Top war ziemlich locker geschnitten und nicht so hauteng, dass man jedes kleinstes Fettpolsterchen sehen würde. An der Taille war es ein wenig gerafft und hinten endete es etwas länger als es vorne der Fall war. Dazu kombinierte ich schwarze Skinny Jeans, da diese Kombination elegant sowie leger erschien. Ich trug dazu schwarze Stiefeletten und eine kleine lederne Handtasche. Darin stopfte ich gerade mein Geldbeutel, mein Handy und mein Ausweis. Ansonsten benötigte ich nichts und sah wieder auf die Uhr. Erschrocken, wie spät es bereits war, keuchte ich auf und rannte förmlich die Treppen hinunter. Ich schnappte mir noch meinen Wintermantel und war auch schon aus dem Haus. Isa und Mom wollten es sich zuhause gemütlich machen und vom Garten aus, das Feuerwerk über der Stadt ansehen. Da ich nicht besonders viel Lust darauf hatte, mit den Absätzen in der Nacht durch die Strassen zu laufen, hatte ich mich entschieden mit dem Bus zu fahren. An der Bushaltestelle sah ich zwei jüngere Mädchen, die sich kurze Röcke und weit ausgeschnittene Tops anhatten. Sie kicherten und tuschelten miteinander und ich könnte wetten, sie hatten bestimmt schon zuhause sich angetrunken. Ich verstand das sowieso nicht. Weshalb warfen die Jugendlichen heutzutage die ganze Kindheit weg und möchten so schnell wie möglich erwachsen werden? Die Kindheit sollte man doch geniessen, solange man sie hatte. Ausserdem konnten die Mädchen in solcher Verfassung doch keinen Jungen fürs Leben oder zumindest für eine Beziehung finden. Wenn Knaben auf solche Mädchen ansprangen, dann doch nur, um mit ihnen zu schlafen. Weshalb nur verstanden die Mädchen das nicht und hofften immer die Eine zu sein, die das Leben des Jungen verändern würden. Über diese Dummheit konnte ich nur den Kopfschütteln. Als mir auffiel, dass aber fast das Ähnliche auch mir mit Jason passiert war, musste ich darüber schmunzeln. Wie das Schicksal mit uns spielte.
Der Bus kam angerollt und schweigend stiegen die beiden ein. Ich setzte mich in den hinteren Reihen und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Die Häuser wurden immer dichter, die Strassen belebter und immer mehr Leute konnte man entdecken. Erste Feuerwerke wurden aufgestellt, um sie auch zum Jahreswechsel anzuzünden. Einige Stationen später stieg ich schliesslich aus und lief die letzten Meter bis zu Jans Haus. Jans Eltern hatten eingewilligt, dass unsere kleine Clique bei ihnen feiern durfte und wir waren hocherfreut darüber gewesen. Soweit ich wusste war Jans Familie auch anwesend. Leider wusste ich nicht mehr, wer alles zur Familie gehörte. Ja, ich danke dir mein Gedächtnis für den Verlust, den du mir zugefügt hast. Am Anfang wollten sie mich sogar abholen, da ich ja den Weg sicherlich nicht wusste. Doch ich wollte nicht, dass sie sich soviel Mühe machen mussten, nur wegen mir. Also habe ich einfach gefragt, welche Strasse ich nehmen muss und wo abbiegen und all das. So war ich eben auch vor seiner Haustür gelangt und klingelte. Lachend öffnete Jan die Tür und begrüsste mich sogleich mit einer Umarmung. Normalerweise war das bei uns nicht üblich, aber vielleicht war er ja auch leicht angetrunken und war jetzt richtig locker drauf. Er bat mich herein und spielte den perfekten Gastgeber. Im Wohnzimmer sassen die anderen bereits und begrüssten mich erfreut. Neben meinen Freunden entdeckte ich auch die Familie Jans.
„Kate, also das ist Lisa, meine kleine Schwester, Daniel, mein Vater und  Rosemarie, meine Mutter.“ Auf meinen verwirrten Blick hin, erklärte mir seine Mutter, dass sie über den Gedächtnisverlust Bescheid wussten und Jan deshalb sie wieder vorgestellt hatte. Verstehend lächelte ich und setzte mich auf die Couch. Es wurde ziemlich eng, aber wir quetschten uns trotzdem hinein.
Lachend unterhielten wir uns alle und nach einer Weile spielten wir auch kleine Spiele. Am witzigsten war Scharade, weil wir keine Ahnung hatte, was der vorne uns vorspielte. Also rieten wir wild drauf los und lachten uns einfach schlapp. Gegen viertel vor zwölf gingen wir dann hinaus auf den Balkon. Dieser war riesig, sodass wir uns alle problemlos hinstellen konnten. Jason stellte sich hinter mich und ich schaute ihn, halb zu ihm gedreht, an. Er gab mir flüchtig einen Kuss und wir warteten den Countdown ab. Schon bald fing der an und bei zwei zog ich Jason zu mir heran und küsste ihn innig. Als die Feuerwerke am Himmel flogen, startete auch ein Feuerwerk in mir drinnen. Meine Hände lagen auf seinen Wangen und seine lagen auf meiner Taille, von der sie hinab zur Hüfte wanderten. Ich versuchte ihn enger an mich heranzuziehen. Doch das war nicht möglich, ausser er verschmolz mit mir. Jasons eine Hand verfing sich in meinen Haare und zogen leicht daran, sodass ich automatisch den Mund öffnete. Diese Gelegenheit nutzte er auch, um mit seiner Zunge mich um den Verstand zu bringen. Das konnte ich nicht einfach auf mich sitzen lassen. Wild und stürmisch küsste ich ihn zurück und zog Jason noch näher zu mir heran, sodass er gegen mich gepresst war. Als die ersten anfingen zu jubeln, beendeten wir den Kuss und wünschten den anderen ein frohes neues Jahr. Umarmungen wurden getauscht und Hände wurden geschüttelt. Sarah stand am Anfang etwas abseits und ich erwischte sie, wie sie zwei Finger auf ihre Lippen legte und ihre Wangen sich leicht rosa färbten. Lächelnd ging ich zu ihr hin, umarmte sie und wünschte ihr ein frohes neues Jahr.

„Ach, und du musst mir über den Kuss alles haargenau erzählen“, flüsterte ich ihr noch ins Ohr, bevor ich die Arme herunter nahm. Ihre Wangen färbten sich noch dunkler und fast schon schüchtern blickte sie auf den Boden hinab. Die Frage, wie ich das wusste hing in der Luft, doch unbeantwortet fuhr ich fort, die anderen zu beglückwünschen. Heiter wurde weiter gefeiert und schliesslich verlegten wir die kleine Feier nach innen, da es draussen doch recht kalt war.
Etliche Spiele und Geschichten später verabschiedeten wir uns langsam voneinander. Jason konnte es sich natürlich nicht nehmen, mich nach Hause zu begleiten. Die Busse fuhren zu dieser späten Zeit sowieso nicht mehr und deshalb war ich über Jasons Angebot erfreut. Ich setzte mich in sein Auto und schnallte mich an, als Jason auch schon Gas gab und mich nach Hause fuhr. Wir haben alle etwas getrunken, aber Jason hatte aufgepasst, nicht zu viel zu trinken, sodass er noch Auto fahren konnte. Vor meinem Haus hielt er an und mit einem Kuss verabschiedeten wir uns. Doch bevor ich ganz ausgestiegen bin, packte er meine Hand und küsste mich wieder innig und bevor ich es erwidern konnte liess er mich auch schon los.

„Frohes Jahr noch einmal, Süsse“, raunte er zu und wich in seinem Sitz wieder zurück.

„Danke, dir auch Jason“, verabschiedete ich mich endgültig mit einem Lächeln und stieg aus. Von der Haustüre her, winkte ich ihm noch zu und ging dann hinein.

 

Am nächsten Tag stand ich gegen Mittag auf und ass einige Pfannkuchen, die als Morgen- oder Mittagessen angesehen werden konnten. Als ich wieder auf mein Handy schaute, bemerkte ich eine neue Nachricht. Sie war von Sarah.

„Hey, kannst du vielleicht mal rüber kommen? Ich brauche dringend jemanden zum reden. Sarah“
Ich konnte es mir schon denken, was ihr solche Kopfschmerzen bereitete. Mit einem leichten Lächeln zog ich mich um und gab Mum bescheid, bevor ich mich auf den Weg machte.
Mrs. Michalson machte mir die Tür auf, als ich klingelte.

„Hallo Kate. Komm rein.“
Ihre einladenden Geste folgend, trat ich in den Hausflur. Mittlerweile war ich schon einige wenige Male hierher gekommen, seit meinem Gedächtnisverlust. Sarah kam die Treppe heruntergepoltert und blieb auf der zweitletzten Stufe stehen.

„Kate, da bist du ja. Na komm. Gehen wir in mein Zimmer.“
Damit zog sie mich auch schon die Treppe wieder hinauf, bevor ich Mrs. Michalson auch nur begrüssen konnte. Diese tat es mit einem Schmunzeln ab und ging in das Wohnzimmer. Sarah schob mich in ihr Zimmer und schloss hinter mir die Tür, sodass niemand uns stören konnte. Seit meinem letzten Besuch hatte sich nichts verändert. Drei ihrer Wände waren gelb und nur eine war weiss gehalten. Auf etwa dreiviertel Höhe der Wand zog ein dunkelroter Streifen über das ganze Zimmer. Das grosse Fenster durchflutete das Zimmer mit viel Licht, da ihr Fenster schön gegen Osten gerichtet war. Somit konnte sie jeden Morgen wunderbar den Sonnenaufgang beobachten, wenn sie es schaffte, so früh aufzustehen. Ihre Möbel bestanden aus Kirschholz oder weisser Ikeamöbel. Ein kirschfarbener Flauschteppich zierte den Boden. Ihr Bettbezug war auch in einem rötlichen Farbton gehalten. Alles in allem herrschte eine fröhliche Atmosphäre mit all den warmen Farben. Es passte zu Sarah. Nicht eintönig, aber auch keine kalten Farben. Gemischt, bunt, fröhlich. Ganz wie Sarah.

„Setz dich doch.“ Sie deutete auf ihr Bett und ich liess mich darauf nieder.

Plötzlich fand ich mich in einer anderen Welt wieder. Eine junge Sarah sass mir gegenüber auf dem Bett und hielt einige Karten hoch. Auch ich hielt in der Hand Unokarten, wie ich bemerkte und ich war gerade am Zug. Damals war das ganze Zimmer noch in einem grasgrün und einem türkisblau gehalten. Man fühlte sich wie im karibischen Meer. Doch darum kümmerten wir uns wenig. Die Puppen schienen uns viel interessanter zu sein. Im Hintergrund auf der Kommode war ein Bild zu sehen, das Sarah, Leila und mich abbildete. Wir waren schätzungsweise elf Jahre alt. Wir hielten alle Teddybären hoch und grinsten in die Kamera. Z

urück in der Realität bemerkte ich erst, dass der gleiche Teddybär auch auf ihrem Bett lag, und meines bei mir zuhause lag. Woher wir diese hatten, fiel mir einfach nicht ein. Gedanklich kopfschüttelnd kehrte ich jedoch zum eigentlichen Problem zurück.

„Also, worüber wolltest du reden? Ich bin ganz Ohr.“
Sarah setzte sich erstmal auf dem Bürostuhl und drehte hin und her. Sie druckste herum, statt die Sache direkt anzusprechen. Mich schaute sie gar nicht erst an.

„Komm schon Sarah. Es geht doch um den Kuss mit Jan, stimmts?“
Sofort blickte sie auf und schaute mich mit grossen Augen an.

„Woher..?“
Den Rest der Frage stellte sie nicht und mit halb geöffnetem Mund schaute sie mich ohne zu blinzeln an. Ein kleines Lächeln konnte ich mir nicht verkneifen.

„Komm schon. Dachtest du wirklich niemand würde das bemerken? Ich meine, ihr schleicht euch einander schon lange herum, ohne dem anderen zu sagen, was ihr für den anderen empfindet. Und an Silvester, nachdem Kuss hast du so unglaublich rein geschaut. Die Finger auf den Lippen gelegt, leicht gerötete Wangen, kleiner Schimmer in den Augen... Willst du noch mehr hören?“
Kaum merklich schüttelte sie ihren Kopf. Waren wohl zu viele Informationen auf einmal. Sie schien noch einen Moment über das Gesagte nachzudenken und ich liess ihr auch die Zeit, bis meine Worte ganz zu ihr durchgedrungen war. Als dieser Zeitpunkt gekommen war, hebte sie ihren Kopf hoch und blickte mich an.

„Warte, was meinst du denn mit, wir schleichen um uns schon lange herum?“ Ehrliche Verwirrung spiegelte auf ihrem Gesicht wider. Sie wirkte wie ein kleines Kind, das etwas nicht verstand.

„Jan steht auf dich. Das ist ganz offensichtlich. Und du stehst auf ihn. Und das nicht erst seit gestern. Ihr neckt euch ständig herum.“

„Ach was, das bildest du dir doch nur ein. Auf keinen Fall steht Jan auf mich. Und ich bin doch nicht in diesen Idioten verliebt.“

„Ach und weil er nicht auf dich steht, hat er dich gestern auch geküsst, oder?“, fragte ich sarkastisch. Weshalb verstand sie das einfach nicht? Es war doch so offensichtlich.

„Ach, Kate. Was soll ich bloss tun? Ich meine, wie soll ich mich jetzt Jan gegenüber verhalten. Das gestern war schon komisch. Aber weil ich mega in Gedanken war, war ich einfach still. Aber danach? Es war so schwierig ihn einfach nicht zu schlagen.“
Ich war so amüsiert über Sarahs Geschichte und Bedenken, dass mir ein Lachen entwich.

„Ja ja, du scheinst ja sehr amüsiert zu sein“, murrte sie herum.

„Tut mir Leid“, meinte ich noch kichernd, „aber weshalb wolltest du denn Jan schlagen? War der Kuss etwa so schlecht?“

„Was? Nein! Der Kuss war echt schön, um ehrlich zu sein...“

„Aha“, hörte ich ihr interssiert zu. Das Grinsen kriegte ich nicht aus dem Gesicht „Nur echt schön oder atemberaubend?“, stoppte ich sie und versuchte mehr Informationen aus ihr heraus zu kitzeln.

„Na ja..“, druckste sie wieder herum und wurde richtig rot. Sie konnte ja fast schon mit ihrem Teppich konkurrieren. So verlegen hatte ich Sarah noch nie gesehen. Sie war immer so eigenwillig und ihr war auch echt nichts peinlich. Daher wurde es nur noch mehr klar, wie sehr ihr das ganze gestern gefallen hatte.

„Es war wunderschön. Eigentlich wollte ich, dass er gar nicht erst aufhört und der Moment ewig so andauern konnte. Er war so sanft und seine Lippen waren so weich“, geriet sie ins Schwärmen.
Na klar. Sie hat sich gar nicht verguckt. Sondern sich richtig doll verliebt. Was musste man denn noch tun, damit sie es endlich kapierte?

„Sarah, hörst du dir denn selber zu? Du bist vollkommen verschossen in Jan. Weshalb gestehst du es dir denn selbst nicht ein?“ Sarah wendete ihren Blick ab.

„Willst du denn etwas zu trinken oder Snacks zum Essen?“

„Sarah, versuch nicht abzulenken.“

„Na, was sollte ich denn sonst tun? Ich weiss ja selber, dass ich über beide Ohren in Jan verschossen bin. Aber was sollte ich denn tun? Es läuft nicht bei allen, wie bei dir und Jason. Jan ist so verspielt und so kindisch. Ich meine, hast du dir den Typen mal angeguckt? Ich verstehe ja nicht einmal, weshalb ich mich ausgerechnet in ihn verliebt habe! Mit dem kann man doch nicht ernsthaft eine Beziehung führen! Wie kann ich mir sicher sein, dass er der Richtige ist? Ob er es überhaupt ernst meint oder nur einfach mal mit mir schlafen will?“ Reine Verzweiflung war in ihrer Stimme zu hören. Es war wirklich süss, wie sie sich aufregte, obwohl sie tief in ihrem Inneren die Antwort zu ihrer Frage bereits wusste.

„Sarah, glaubst du wirklich, Jan würde an Silvester zum Jahreswechsel vor seiner ganzen Familie dich küssen, wenn er es nicht ernst meinen würde? Dass niemand euch gesehen hat, ist reine Glückssache. Aber er ging das Risiko ein, damit er sein sowohl auch dein Jahr mit einem Kuss zwischen euch beginnen konnte. Natürlich hat er sich danach verhalten, als wäre nichts geschehen. Aber sind nicht alle Jungs so, dass sie immer einen auf cool machen? Glaub mir, Jan hat wirklich ein gutes Herz und ist ein wahrer Gentleman. Und falls es jemand mit Jan aufnehmen kann, dann bestimmt nur du“, redete ich ihr gut zu.
Ob sie mir glaubte oder nicht, war eine andere Sache. Sarah schien eine Weile intensiv darüber nachzudenken.

„Denkst du wirklich, Jan meint es ernst?“, fragte sie dann dennoch unsicher. Am liebsten würde ich sie anschreien:

„Ja verdammt noch mal. Wie oft sollte ich es denn noch wiederholen? Bist du etwa taub? Oder einfach nur blind? Hast du denn seine Blicke nicht bemerkt oder siehst du einfach nicht, dass ihm alles auf der Welt egal wird, sobald du in sein Blickwinkel gerätst?!“
Aber stattdessen nickte ich ihr ruhig zu. Ich war doch auch mal so unsicher gewesen, sobald es um mich und Jason ging. Weshalb sollte dann Sarah eine Ausnahme bilden. Bei Verliebten sollte man geduldig und verstehend sein. Man musste einfach nur zuhören und dies allein konnte schon denen sehr behilflich sein.

„Sarah, schon auf dem Maskenball hat er dir auf der Tanzfläche zugeschaut und ich konnte in seinen Augen den Wunsch ablesen, am liebsten alleine dort mit dir zu tanzen. Bei dem Wochenendtrip vor dem Unfall habt ihr doch beide auch in der Küche herumgealbert und ich denke, wäre ich nicht reingeplatzt, hätte er dich wahrscheinlich schon dann geküsst. Also mach dir keine Sorgen. Er ist wirklich in dich verliebt.“
Sanft sprach ich diese Worte und tätschelte ihre Hand dabei. Vielleicht konnte ich ihr somit helfen. Aber letztendlich musste sie natürlich entscheiden.

„Na gut, aber was soll ich denn als nächstes machen? Sollte ich ihn etwa anrufen oder ihm schreiben? Seit dem Kuss haben wir gar nicht mehr miteinander gesprochen und ich will irgendwie auch nicht den ersten Schritt machen“, erklärte sie mir ihre Bedenken. Ihre Zweifel waren berechtigt, daher wollte ich sie auf andere Gedanken bringen.

„Weisst du was, zuerst machen wir uns heute einen netten Mädelsabend. Um Jan können wir uns später kümmern. Ich rufe Leila und Meera an und lade sie auch ein. Einverstanden?“
Aufmunternd nickte ich und sie stimmte mir schliesslich auch zu. Schnell waren die beiden Mädels benachrichtigt und eine halbe Stunde später standen beide auch schon vor der Türe. Gemeinsam gingen wir ins Wohnzimmer und Sarah legte einige Filme hervor, von denen wir eines aussuchten. Der glückliche Gewinner war: Starstruck – Der Star, der mich liebte. Das Wohnzimmer wurde so hergerichtet, dass wir es vollkommen bequem hatten: Sofas und Decken wurden geholt, auf dem Tisch lagen vielerlei Snacks, die nur darauf warteten gegessen zu werden und wir alle vier sassen auf dem flauschigen violetten Teppich. Sobald der Popcorn hergerichtet war, die Chips in den Schüsseln und die Süssigkeitenpackungen auf dem Tisch lagen, starteten wir den Film. Eigentlich war das ein richtiger Klischeefilm. Wir wussten alle, dass niemals ein Star so in Normalsterbliche verlieben würde, aber süss war der Film trotzdem. Ausserdem war Sterling Knight ja ein echt süsser Typ mit seinen grossen blauen Augen und den blonden Haaren. Auch wenn ich meinen Jason hatte, schwärmen konnte man ja trotzdem.

Stunden später lagen wir auf dem Boden und unterhielten uns über den Film. Die Popcornschüssel war schon nach einer halben Stunde leer gewesen und zum Nachfüllen hatten wir kein Popcorn mehr gefunden. Die Chipsschüssel kam dann als nächstes und nur die Süssigkeiten lagen verteilt nun um uns. Mit der Zeit wechselten die Themen vom Film zum wahren Leben, zu Silvesterabend, dann zu Weihnachten und schliesslich zur Schule, die nächste Woche wieder anfängt.

„Och, ich habe jetzt schon keine Lust auf die Schule nächste Woche. Das frühe Aufstehen, das viele Lernen, die Hausaufgaben und von den lahmen Lehrern möchte ich gar nicht erst anfangen. So mühsam. Manchmal frage ich mich wirklich wer diese eingestellt hat oder wer überhaupt die Schule erfunden hatte? Ich meine, so einen Scheiss, wie die Algoritmen und so braucht doch kein Schwein im Alltag. Wäre es nicht schön, wenn wir jeweils vier Wochen Ferien und eine Woche Schule hätten“, motzte Sarah gerade herum.

„Also ich finde es nicht schlecht so. Immerhin sehen wir uns öfters und können auch die anderen treffen. Ausserdem ist Wissen Macht und lernen ist doch auch nicht schlecht.“
Meera war schon immer eine kleine Streberin. Sie schrieb immer sehr gute Noten und war, glaube ich, sogar Klassenbeste. Vielleicht lag es nur in ihrem Blut, bei ihr als Inderin. Asiaten waren doch immer so klug.

„Meinst du denn eine bestimmte Person, die du in der Schule triffst?“, stichelte Leila sofort los, worauf Meera leicht errötete und verlegen ihren Blick senkte.

„Heisst die bestimmte Person vielleicht Sam“, machte auch Sarah grinsend weiter. Nun mussten wir alle drei grinsen, während die arme Meera immer verlegener wurde. Ihre geröteten Wangen liessen sie noch süsser erscheinen. Bevor sie die Gelegenheit hatte uns zu antworten, unterbrach das Klingeln meines Handys die Unterhaltung. Ich entschuldigte mich und nahm den Anruf an. Auf Meeras Gesicht spielte Erleichterung ab, so als wäre sie damit der unangenehmen Situation entkommen. Was ja sogar stimmte.

„Hallo?“, fragte ich in den Hörer, da ich nicht auf das Display geschaut habe, wer angerufen hat.

„Hey Kate. Hast du heute Abend vielleicht Zeit? Oder hast du heute schon etwas vor?“, sprach mir Jasons Stimme entgegen. Ich überlegte kurz, aber mir fiel nichts ein.

„Nein, ich denke nicht. Weshalb fragst du?“

„Nun, dann reserviere den Abend für mich. Ich hole dich um sieben Uhr ab. Sag Mikayla Bescheid, dass wir erst gegen zehn Uhr zurück kehren. Ach und du musst dich nicht schick machen. Trag bequeme Kleidung. Also bis später. Ciao.“ Damit legte er einfach auf. So kurz gebunden hatte er schon lange nicht mehr geredet. Villeicht hatte er es ja eilig gehabt. Verwirrt schaute ich mein Handy an und drehte mich wieder meinen Freundinnen zu.

„Wer war das?“, fragte Sarah auch schon los.

„Jason“, antwortete ich einsilbig zurück. Ich scheine wohl Jasons Verhalten, einsilbige Antworten zu geben, angenommen zu haben.

„Was wollte er denn?“, fragte jetzt auch Meera.

„Ich glaube, er hat mich gerade auf ein Date eingeladen“, antwortete ich stirnrunzelnd zurück.

„Wann denn?“, wollte Leila wissen.

„Heute Abend gegen sieben Uhr.“

„Dann solltest du dich vielleicht beeilen. Schliesslich ist es bereits halb sechs.“ Sarah zeigte auf die Uhr und tatsächlich. Es war bereits halb sechs. Die Zeit war ja regelrecht davon geflogen.

„Tut mir Leid, Leute..“ Bevor ich jedoch zu weitern Erklärungen ansetzen konnte, winkte Sarah bereits ab.

„Geht schon klar. Aber ich möchte später gerne erfahren, wohin er dich diesmal entführt hat und was ihr so getrieben habt.“ Sie zwinkerte mir zu und augenverdrehend verabschiedete ich mich von den Mädels. Bevor ich aber ging, konnte ich noch einen eigenartigen Ausdruck auf Leilas Gesicht wahrnehmen. Aber ich wusste es nicht zu deuten. Vielleicht hatte ich mich aber auch nur getäuscht.

Kapitel 17

Punkt sieben Uhr klingelte es. Die Tasche und die Jacke schnappend öffnete ich die Tür. Mum wusste Bescheid und somit rief ich nur ein bis später, bevor ich die Türe hinter mir schloss. Bevor ich auch nur einen Schritt weiter machen konnte, fing mich Jason ab, stahl mir einen Kuss und lächelte mich so süss an. Er trug seinen grauen Mantel, blaue Jeans und seine schwarzen wildleder Roamers. Ich hatte mich an seine Anweisungen gehalten und trug lockere Jeans, Stiefel und unter meinem Wintermantel einen einfachen Kuschelpullover.

„Wo geht es denn eigentlich hin?“ fragte ich ihn neugierig, während er mich zum Auto begleitete. Doch er antwortete mir nur mit einem Kopfschütteln. Ich zog einen Flunsch und schmunzelnd gab er mir einen kurzen Kuss als Wiedergutmachung.  Wie ein wahrer Gentleman hielt er mir die Autotür offen. Lächelnd stieg ich ein und schnallte mich an. Ich vertraute Jason. Er würde mich schon nicht in Gefahr bringen oder mich zum Affen machen lassen. Eine ganze Weile fuhren wir schweigend und nur das Radio trällerte irgendwelche Hits. Ich persönlich kannte ja keines der Hits, was zum Teil auch an meinem Gedächtnisverlust lag. Zum anderen lag es daran, dass ich nicht viel Radio hörte. Aber das spielte ja keine Rolle. Er fuhr mehr und mehr in die Stadt hinein und schliesslich waren wir im Stadtzentrum angekommen. Bunte Lichter zuckten überall herum und die Strassenlichter spendeten viel Licht. In der Stadt wurde jeweils die Nacht zum Tag. Die Lichter zogen die Menschen wie Motten an. Und ohne sich zu wehren, flogen diese geradewegs auf es zu. Je mehr Lichter ein Einkaufszentrum hatte, desto mehr Leute gingen auch dahin. Aber zurück in die Realität. Was wollte er denn mit mir im Stadtzentrum tun? Dazu noch mit bequemer Kleidung? Also Essen gingen wir definitiv nicht. Aber was dann? Schliesslich hielt er vor einem Sporzentrum. Wollte er ernsthaft Sport mit mir machen. Ich warf ihm einen verstörten Blick zu, als er ausstieg, das Auto umrundete und mir die Türe öffnete. Ich stieg aus und Jason schloss sein Auto mit einem Klick. Er nahm mich an der Hand und zog mich ins Zentrum hinein.

„Jason, ist denn alles in Ordnung? Wollen wir jetzt sogar Paarsport machen?“, fragte ich scherzend.

„Also ich stehe dir gerne zur Verfügung, falls du Paarsport betreiben willst. Nur wäre es dann besser, wenn wir in einem unserer Schlafzimmer sind und nicht in der Öffentlichkeit“, meinte er daraufhin grinsend. Ich errötete sofort, da ich erst nun verstand, was ich selbst gesagt hatte und wie er es verstanden hatte. Halb erbost schlug ich ihm gegen die Schulter.

„Du bist doof“, schmollte ich, da er aus mir einen Witz machte.

„Das weiss ich doch.“ Er umarmte mich von der Seite und gemeinsam gingen wir weiter.
Wir traten ein und warme Luft schlug mir entgegen. Auf der rechten Seite sah ich ein Tennis und ein Badmintonfeld. Links konnte ich eine Jugendbar erkennen mit Dartspielen, Tischfussball und einem Billiardtisch. Jason lief weiter den Gang entlang und vor einem Tresen hielt er dann an. Ich stand hinter ihm und schaute mich um. Erst langsam schienen die Dinge in meinen Kopf durchzusickern. Ein Regal voller verschiedener seltsame Schuhe, Sportzentrum... Bevor ich fertig mit meiner Analyse und dem Ergebnis war, zog mich Jason an der Hand weiter. Wir bogen links ab und nach einem schmalen Gang kamen wir an einer grossen Halle an. Erst nun begriff ich das Ganze. Jason hat mich zum Bowling eingeladen.

„Du hast mich zum Bowlen eingeladen“, sprach ich meinen Gedanken laut aus. Spitzbübisch grinste mich Jason an.

„Klar, wieso auch nicht. Ich verspreche dir, es wird sehr lustig.“
Er gab mir flüchtig einen Kuss und zog mich weiter auf eine leere Bahn. Wir liessen uns auf die Plastikstühle nieder und da erst bemerkte ich die Schuhe, die er in der Hand hielt. Ein Paar davon streckte er mir entgegen und ich nahm sie in die Hand und tauschte diese gegen meine Stiefel. Den Mantel zog ich aus und legte es zusammen mit meiner Tasche auf den benachbarten, freien Stuhl. Jason legte seinen Mantel auf meine und half mir schliesslich auf. Erst da fiel mir auf, dass ich dank meinem kleinen Unfall keine Ahnung mehr hatte, wie man überhaupt bowlt.

„Jason, das ist jetzt echt peinlich, aber.. ich habe keine Ahnung mehr, wie man bowlt“, gestand ich ihm verlegen. Die Hände knetete ich nervös und mein Blick war auf den Boden gerichtet. Zwei Finger hoben mein Kinn an und ich blickte direkt in Jasons warme, braune Augen.

„Das weiss ich doch. Ich wollte es dir heute wieder beibringen. Du hast gerne gebowlt und da dachte ich, ich bringe es dir wieder bei, damit ich dich wieder so lachen sehen kann, wie früher.“
Obwohl er nur flüsterte, jagte es mir wohlige Schauer den Rücken hinab. Er stand nur wenige Zentimeter vor mir und die Nähe nahm mir halb den Atem weg. Das Gesagte brachte noch seinen Teil mit, sodass ich mich in seinen braunen Augen verlor. Das war so süss von ihm. Als kleines Dankeschön küsste ich ihn, bevor ich dann ratlos vor ihm stand.

„Was muss ich denn nun tun?“ Hilflos blickte ich zu ihm auf.

„Komm.“
Er zog mich an der Hand nach vorne bis zu der Ballausgabe. Drei bunte Kugeln lagen bereit. Jason nahm das erste heraus, als eines auch schon nachgerollt kam. Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger steckte Jason in die kleinen drei Löcher.

„Also, ich zeige es dir einmal vor, okey?“
Als Antwort nickte ich bloss. Jason schwang seinen Arm nach hinten, holte Anlauf und schwang den Arm wieder nach vorne und liess die Kugel beim Höhepunkt los. Die Füsse hatte er gekreuzt und die Kugel flog weit auf die Bahn hinaus, bevor sie auf den Boden knallte und nach vorne rollte. Sie traf die vorderste Kegel und nach und nach fielen auch alle anderen Kegeln. Auf dem Bildschirm vorne bei uns wurde das ganze als Video nocheinmal abgespielt, bevor das Wort Strike gross erschien.

„Wow, wie hast du das geschafft?“ Staunend betrachtete ich die Kegeln, die mithilfe einer Maschine wieder aufgestellt wurden.

„Training, baby, Training“, grinste er mich an. „Ich zeige dir jetzt, wie man es spielt und mit deinem Talent kannst du schnell besser spielen als ich.“
Er holte eine Kugel und drückte sie mir in die Hand. Ich steckte meine Finger in die Löcher, genau wie es Jason getan hat und stellte mich vor der Bahn hin. Jason stellte sich hinter mich und legte seine Arme auf meine. Ich spürte seine harten Brustmuskeln an meinem Rücken. Leicht zog er meinen Arm nach hinten, um Schwung zu holen. Ich spürte seinen warmen Atem auf meinem Nacken. Sein Duft umhüllte mich gänzlich. Seine andere Hand lag an meiner Hüfte. Meine Konzentration verschwand langsam. Langsam schwangen unsere beiden Arme nach vorne. Bevor wir ganz nach oben gelangten, flüsterte Jason in mein Ohr, die Kugel loszulassen. Wie gesagt, befolgte ich Jasons Worte. Seine Nähe brachte mich um den Verstand. Seine Stimme jagte mir warme Schauer den Rücken hinunter. Seine Hände an meinem Körper liessen mein Blut dermassen zirkulieren, dass es mir abwechselnd heiss und kalt wurde. Dass die Kugel die vordersten drei Kegeln traf und danach an der Seite weiterrollte, ohne andere Kegeln zu berühren, nahm ich nur im Hintergrund wahr. Mein Atem ging nur noch stossweise. Was machte der Typ denn nur mit mir? Was stellte er nur mit meinem Körper an. Ich hatte jegliche Kontrolle über mich verloren. Ganz langsam schlangen sich seine Arme um mich und drehten mich in der Umarmung zu sich um. Man konnte förmlich das Knistern in der Luft hören. Den gesenkten Blick gab ich auf und schaute direkt in seine braunen Augen. Sie schienen mich in einen Strudel zu ziehen. Die schwarzen Wimpern umrandeten das Ganze auf das Feinste und seine Pupille füllte fast gänzlich seine Iris. Nur ein hauchdünner brauner Ring war zu sehen. Sein Kopf kam meinem immer näher. Langsam winkelte er seinen Kopf an. Meine Augen flatterten automatisch zu. Doch bevor seine weichen Lippen meine treffen konnten, liess uns ein lautes Geräusch auseinander treiben. Erschrocken wirbelte ich herum, um nachzusehen, woher das Geräusch stammte. Am Nachbarsbahn wurde heftig gejubelt und gelacht und viele Jugendiche prosteten sich gerade zu. Ein Blick auf den Bildschirm verriet, dass der Spieler wohl drei Strikes hintereinander getroffen hat. Das war schon eine Leistung.

„Hmmm“, mit einem Räuspern wendete sich Jason der Ballausgabe zu, „wollen wir dann mal weitermachen.“
Er streckte mir den Ball hin und ich versuchte es diesmal alleine. Etwas schüchtern warf ich den Ball, sodass er schnell auf die Seite rollte und  ich leer ausging.

„Na komm Kate, das kannst du besser“, munterte mich Jason auf.
Also versuchte ich es nocheinmal. Zwei Würfe hatte ich zur Verfügung und diesmal traf ich 8 von 10. Das war meines Erachtens nicht schlecht. Danach kam wieder Jason dran. Dieser hatte zwar kein Strike, aber beim zweiten Mal hat er doch noch alle Kegeln erwischt. Ich wollte auf alle Fälle so gut wie er sein, also merkte ich mir, wie er sich bewegte und was genau er machte. Das Beobachtete wendete ich schliessllich an und diesmal klappte es wirklich gut, sodass ich auch beim zweiten Mal alle Kegeln traf. Ich war sehr glücklich. Einige Würfe später traf ich sogar meinen ersten Strike.  Strahlend fiel ich Jason um den Hals und gab ihm einen langen Kuss. Die Freude trieb mich immer weiter zu spielen und möglichst viele Keglen auf einem mal zu treffen.

„Siehst du? Ich sagte doch, du wirst besser spielen als ich“, meinte Jason grinsend, als ich einen weiteren Strike geschossen habe. Ich wusste ja eigenltich gar nicht, dass ich so gut spielen konnte. Aber ich wusste ja auch vieles nicht. Jason kannte mich viel besser als ich mich selbst und es machte mich auf einer Art und Weise sehr traurig. Aber das Leben war nun mal kein Wunschkonzert. Eine ganze Weile spielten wir noch weiter. Jason holte uns noch Kleinigkeiten zu essen und das Trinken fehlte natürlich auch nicht. Wir hatten viel Spass und die Atmosphäre von dem Fastkuss war auch verflogen. Viel Gelächter, Gerede und so viel Spass wie schon lange nicht mehr, war das Ergebnis des Abends. Da unsere Bahn am Ende der Halle lag, störten wir niemanden. Unsere anderen Nachbarn waren sowieso mehr mit dem Trinken beschäftigt, sodass sie uns gar nicht richtig warhnahmen. Gegen neun Uhr zogen wir wieder unsere eigenen Schuhe an und nahmen unsere Mäntel und Taschen bevor wir die Bahn verliessen und nach vorne zum Tresen gingen. Dort bezahlte Jason und ich ging schon mal voraus. Da ich den Schlüssel zum Auto nicht hatte, lehnte ich mich dagegen und wartete, bis Jason auftauchte.
Viele Leute liefen in der Stadt geschäftig herum. Die Hände in den Taschen gesteckt kam Jason auf mich zu. In dem Strassenlicht wirkte er so anziehend. Er sah richtig zum anbeissen aus. Das verwegene Lächeln, die jetzt schwarz erscheinenden Augen und die dunklen Strähnen, die ihm auf die Stirn fielen. Lässig schlenderte er auf mich zu und kam erst einen Meter vor mir zum Stehen. Ich konnte mich nicht bewegen. So gebannt war ich von ihm. Er machte einen Schritt auf mich zu. Erst stemmte er eine Hand am Autodach ab, bevor seine andere Hand nach folgte. Ich war somit gefangen zwischen seinen Armen. Aber ich wollte ja auch nicht fliehen. Er beugte seinen Oberkörper näher zu mir und nahm mir die Luft zum Atmen weg. Seine Augen senkten den Blick auf meine Lippen. Langsam winkelte er seinen Kopf an und beugte sich zu mir hinunter. Das Knistern vom Anfang war wieder da und ich konnte schon wieder diese Hitze fühlen. Wieder flatterten meine Augen zu und diesmal war niemand da, der uns stören konnte. Seine weichen Lippen landeten auf meine und nahmen mich gefangen. Meine Hände wanderten seine Brust hinauf, und schlossen sich hinter seinem Nacken. Ich zog ihn näher zu mir heran und auch er drückte mich mehr an das Auto. Er machte einen weitern Schritt und presste mich somit enger an sich. Zart streichelte ich mit den Fingerspitzen seinen Nacken und scharf zog er die Luft ein. Mit seiner Zunge stelte er Dinge an, die mich halb um den Verstand brachten. Ich verwuschelte seine Haare und hielt mich daran fest, da ich meinen Halt zu verlieren drohte. Sofort griff er mit einer Hand meine Taille und mit der anderen Hand meine Hüfte und hielt mich fest. Den Rücken drückte ich jetzt durch, da es sonst nicht sehr angenehm zum stehen war. Atemlos beendeten wir den Kuss und langsam öffnete ich die Augen. Sein intensiver Blick war mir einfach zu viel, sodass ich den Blick senkte und unabsichtlich fiel er auf seine Lippen. Man, was konnten diese nur mit mir anstellen. Meine Knie waren immer noch weich, aber ich versuchte wieder etwas gerade zu stehen. Es war wie in all diesen Filmen. In der Nacht, nur im Licht der Strassenlaterne, am Auto gelehnt vom Freund um den Verstand geküsst werden. Die ganze Umwelt habe ich ausgeblendet. Es hat nur mich und Jason gegeben. Bevor ich mich aber weiter darin vertiefen konnte, ging Jason räuspernd einen Schritt zurück und liess mich langsam los, so als hätte er Angst, ich könnte umfallen. Zur Sicherheit hielt er mich am Ellbogen und führte mich um das Auto zu meinem Sitz. Als ich drinnen sass, schnallte ich mich an und Jason stieg auch ein. Wir redeten auf der ganzen Fahrt kein Wort miteinander, aber das Schweigen war auf keinem Fall unangenehm. Wir waren beide in Gedanken versunken und schliesslich waren wir vor meinem Haus angelangt. Jason öffnete mir die Türe und führte mich bis zur Haustüre.

„Vielen Dank für den wunderschönen Abend, Jason. Es hat mir echt viel Spass gemacht.“ Zaghaft lächelte ich und drehte mich zu ihm um.

„Wir könnten es ja gerne mal wiederholen.“ Zusitmmend nickte ich.

„Auf jedenfall. Dann können wir auch die anderen dazu einladen.“ Eine kurze Zerknirschung huschte auf sein Gesicht, dass sich jedoch schnell verflüchtigte. Ich wollte mich mit einem Gute Nacht schon abwenden, als Jasons Worte mich abhielten.

„Kriegt man am Date nicht noch einen Gute-Nacht-Kuss?“ Fast schon schüchtern lächelte er mich an. Irgendwie kann mein Gehirn es immer noch nicht fassen, dass Jason sich in meiner Gegenwart manchmal wie ein kleiner Junge verhielt. Lächelnd schlang ich meine Arme um seinen Hals und küsste ihn sanft. Sofort erwiderte er meinen Kuss und fuhr mit seinen Händen durch meine offenen Haare. Ausser Atem beendeten wir den Kuss. Sanft streichelte er meine Wange.

„Gute Nacht Kate. Schlaf schön und träum was von mir.“ Damit ging er einige Schritte rückwärts und ich beneidete ihn darum, dass er ohne zu fallen die Treppen runtergestiegen ist und das trotz des Schnees.

„Gute Nacht Jason. Träum was Süsses.“ Ich schloss die Türe auf und bevor ich sie von innen ganz zumachte, winkte ich ihm noch zu. Durch das Fenster neben dran, sah ich wie er sich in das Auto setzte, einen Blick zum Haus rüber warf und seine Finger seine Lippen abtasteten. Er schüttelte leicht den Kopf und lächelnd fuhr er schliesslich weg. Ich zog meine Schuhe und den Mantel aus, verräumte es sorgfältig und schlich die Treppen hinauf. Obwohl wir früh von der Stadt losgefahren sind, war es bereits halb elf. Wo war die Zeit nur gegangen? So leise wie möglich verschwand ich in meinem Zimmer und zog mich um. Im Bad putzte ich mir die Zähne und machte mich bettfertig. 

 

Wochen vergingen ohne grosse Ereignisse. Die Schule hatte auch schon angefangen und alle waren voll im Prüfungsstress. Die Lehrer waren halb genervt von der Unaufmerksamkeit, die sie während den Stunden erhielten. Die Hausaufgaben jedoch häuften sich dadurch und auch die nicht Unruhestifter wurden da hineingezogen. Viele bekamen oft Nachsitzen aufgedonnert und nicht einmal diese Massnahmen halfen. Einer hat sogar während den Stunden Papierbälle herumgeworfen und musste eine ganze Woche nach der Schule jeweils dem Hausmeister beim Putzen helfen. Eine schlimme Zeit. Meine Sorgen wuchsen auch von Tag zu Tag. Jedoch ging es mir weniger um die Schule, viel mehr um meinen Vater. Mum blockte immer ab, sobald es um ihn ging. Ich habe sie angefleht, mir zu verraten, was los war. Ich habe ihr sogar gedroht, sie zu ignorieren, bis sie mir sagte, was los war. Gedroht zu hungern, bis sie es mir verriet. Doch sie kapselte sich ab und meine Drohung waren letztendlich nur leeres Gerede gewesen. Generell redete sie nicht mehr viel. Die Fröhlichkeit war verschwunden, das Glitzern in ihren Augen erloschen. In mir wächst nur die Verzweiflung. Von meinem anonymen Zettelschreiber habe ich dafür nichts gehört. Nur die kleinen Sugus fand ich überall. Keine Ahnung wer mir diese hinlegte. Doch die Person scheint mich sehr gut zu kennen. Denn ich fand sie sogar in der Schule an meinem Schreibtisch. Es war recht unheimlich, aber da ich wöchentlich nur einmal einen Sugus erhielt, hielt sich das Ganze noch in Grenzen. Ich hatte sogar überlegt, dass es dieser Taylor sein könnte, der unheimliche Typ, der mal vor unserem Haus stand und von dem Jason mich so dringend fern halten wollte. Doch wie kam er denn in die Schule. Das passte nicht und deshalb konnte er es auch nicht sein. Konnte es wirklich sein, dass ich einen Stalker hatte? So einen kranken Psyochopathen, der mir auflauerte und mich beobachtet? Bloss der Gedanke allein liess mich erschaudern.


Mittlerweile war es schon März und dreiviertel Jahr war seit meinem Gedächtnisverlust vorbei. Der Schnee draussen war auch schon geschmolzen und nur noch die tiefen Temperaturen hinderten an einem warmen Sommer. Vögel zwitscherten wieder, die Blumen blühten wieder und die Natur erstrahlte in seiner vollen Pracht. Heute war es Samstagabend. Mum hat ein grosses Abendfest organisiert, so für Freunde und Bekannte. Mums Kochkünste waren exquisit. Sie hatte extra für den Tag Reis mit Currysauce gekocht, den alle liebten. Beim Nachtisch habe ich ihr geholfen. Gemeinsam hatten wir Tiramisu gemacht, aber in so kleine Gläschen, sodass man das Gläschen schön auslöffeln konnte. Draussen im Garten wurde alles hergerichtet. Tische und Bänke stellten wir hin und Kerzen wurden bereitgestellt, um bei Einbruch der Dämmerung den Garten hell zu erleuchten. Ein weiterer Grund für den Anlass war der Geburtstag von Jasons Mum. Jasons Eltern waren ab Mitte Januar zurückgekehrt und würden ihrer Aussage nach für einige Monate bleiben. Natürlich hatten wir ihr noch nichts verraten und Jason wusste auch nichts davon. Ich war schon gespannt ihr überraschtes Gesicht zu sehen. Den Kuchen hatten wir nach langem Überlegen selbst gebacken. Bei der Konditorei müssten wir sonst jedes Detail erläutern, wie und wo wir was haben wollten. Doch bei Selbstgebackenem hatte man die ganze Kontrolle. Also backten wir einen Tirolerkuchen. Das war ziemlich einfach und war schon nach einigen Stunden fertig. Nur bei der Glasur benötigten wir mehr Zeit. Doch nach einem ganzen Tag arbeiten, hatten wir es geschafft. Eigentlich war es sehr schlicht, doch dadurch, dass Isa viel dazwischen kam und wir immer wieder von der Schokolade naschten, mussten wir ständig von Vorne beginnen. Es war ein runder Kuchen und darauf war ganz simple Schokoglasur. Danach hatten wir unsere Kreativität freien Lauf gelassen und somit den Frühling auf den Kuchen gezaubert. Sprich, rote, gelbe, orange Blumen, geformt aus Marzipan kringelten sich an den Seiten. Schmetterlinge durften natürlich nicht fehlen und auch eine Biene hatte sich auf den Kuchen verirrt. Mit weisser Glasur haben wir schliesslich ihren Namen und das Datum geschrieben. Es sah wirklich schön aus und wir waren sehr stolz auf unser Werk. Gegen fünf Uhr trudelten die ersten Gäste. Ich begrüsste jeden Gast und führte sie in den Garten, wo sie es sich gemütlich machten. Sobald die ersten Gäste versorgt waren mit Trinken und kleinen Häppchen folgten die nächsten. Etwa um sechs Uhr kam Jason mit seiner Familie. Zur Begrüssung küsste er mich und das vor seinen Eltern. Eigentlich hatte ich ja nichts gegen öffentliches Küssen, aber just in diesem Moment war es mir dann doch etwas peinlich. Schliesslich sah ich sie zum ersten Mal nach langer Zeit und den ersten Eindruck von mir hatten sie als einen Kuss mit ihrem Sohn erhalten. Klar, hatten sie von Jason erfahren, dass wir ein Paar waren. Trotzdem senkte ich verlegen meinen Kopf bevor ich sie begrüssen konnte.

„Hallo Nina, hallo Dean.“ Nina nahm mich in die Arme und hielt mich dann eine Armeslänge entfernt.

„Bist du aber gewachsen, und so hübsch erst. Kein Wunder hat sich mein Sohn in dich verliebt.“ Sofort wurde ich rot und verlegen senkte ich den Blick. Dean gab ich die Hand zur Begrüssung. Alex kam hinter ihnen auch noch hervor und wir umarmten uns freundschaftlich, was Jason aber nur ein leises Knurren entlockte. Sobald Alex mich losliess, zog mich Jason an der Taille zu sich. Ich führte die vier in den Garten und sofort wurden sie von den anderen herzlich begrüsst. Nur Jason presste mich enger gegen sich und legte besitzergreifend einen Arm um meine Schulter, so als wollte er klar machen, dass ich ihm gehöre. Um keine grosse Szene zu machen, lächelte ich schön weiter und ignorierte Jasons Getue.

Es wurde ein herrlicher Abend und da sich alle gegenseitig bereits kannten, wurde offen gelacht und amüsiert. Schliesslich wurde gegessen. Vorspeise gab es keine, da wir ja Häppchen verteilt hatten. Doch bevor wir die Hauptspeise auftischen konnten, trug Mum Ninas Kuchen zum aufgestellten Tisch. Die Kerzen wurden alle angezündet, auch die im Garten und es sah wunderschön aus. Während Mum den Kuchen brachte, sangen wir alle das Geburtstagslied. Nina war wirklich überrascht und bekam vor lauter Freude sogar Tränen. Unter unserem Geklatsche blies sie die Kerzen aus und schnitt den Kuchen. Den ersten Stück gab sie meiner Mum, statt ihrer Familie. Danach kam Dean dran, dann Alex und schliesslich Jason. Nach ihrer Familie gab sie noch mir und Isa ein Stück. Wir entschieden, dass wir zuerst die Hauptspeise essen sollten und danach den Kuchen verteilen sollten. Also wurde alles für das Abendessen organisiert. Es herrschte eine ausgelassene Stimmung und zwischen den Gesprächen und dem Essen machte ich natürlich viele Fotos. Ninas Überraschung hatte ich als Video aufgenommen. Jason war natürlich sofort neben mir, sobald ich alle Teller ausgeteilt hatte und selbst am Essen war.

„Weshalb hast du mir denn nichts gesagt, wegen meiner Mums Geburtstagsüberraschung?“ Er klang leicht anklagend, was mich seufzen liess. Heute war ich echt etwas gestresst und seine Anklagungen und dieses besitzergreifende Getue gingen mir echt auf die Nerven.

„Jason, mach jetzt nicht eine Szene daraus. Wir hatten es ja selbst erst kürzlich beschlossen und daher hatten wir es niemandem gesagt. Und unter dem ganzen Stress hatte ich auch vergessen dir etwas davon zu berichten“, meinte ich leicht entnervt. Ich war schliesslich auch sehr müde, aber ich hoffte, ich konnte ihn damit trösten.

„Aber nächstes Mal will ich davon wissen“, antwortete er leicht schmollend.

„Nächstes Mal wirst du es als erster erfahren.“
Zur Versöhnung gab ich ihm einen kurzen Kuss, bevor ich fertig ass. Schliesslich räumte ich die Tische ab und holte den Nachtisch. Neben dem Tiramisu gab es jetzt auch ein Stück vom Kuchen. Alle assen sich satt und da wir noch etwas an Nachtisch übrig hatten, durften die Kinder noch einmal Nachschlag holen. Isa spielte mit ihren Freundinnen und auch ich unterhielt mich mit meinen Freunden. Gegen zehn Uhr verabschiedeten sich alle langsam. Am Schluss war nur noch Jasons Familie bei uns. Wir unterhielten uns alle und waren inzwischen auch hinein gegangen. Jason sass neben mir und Alex spielte mit Isa herum. Nina bedankte sich zum Tausendsten Mal bei Mum und Dean sass einfach neben ihr und lächelte über ihr Gespräch. Ich verschwand kurz in die Küche um mir Wasser zu holen, als ich ein Rascheln aus dem Garten vernahm. Am Anfang dachte ich mir nichts, vielleicht war es nur der Wind. Doch dann klang es, als wäre ein Glas zu Bruch gegangen. Stirnrunzelnd ging ich in den Garten. Ich sah gerade noch, wie ein Schatten weghuschte. Sofort setzte ich nach und sprang um das Haus herum. Doch da war die Person schon auf der Strasse und verschwand auf der anderen Seite. Ausser Atem registrierte ich nur noch, dass sie in ein Auto sprang und wegfuhr. Wegen der Dunkelheit konnte ich nicht einmal das Nummernschild identifizieren, gestehe denn die Person. Wer zur Hölle war das und was wollte sie in unserem Haus?

Kapitel 18

Seit dem Vorfall bei uns im Garten sind nun schon einige Wochen vergangen. Aber weil ich die Einzige war, die das Ganze mitbekommen hat, und es keine Beweise gab, konnte ich nichts weiter dazu unternehmen. Den Profil der Person konnte ich niemandem mir Bekanntem zuordnen. Da ich aber auch nichts Verdächtiges im Garten fand und keine seltsamen Dinge mehr geschahen, liess ich das Ganze hinter mich und vergass den Vorfall auch mit der Zeit.
Dass sich Jason aber immer weiter von mir entfernte, konnte ich nicht ignorieren. Zumindest verbrachte er immer weniger Zeit mit mir, was mich schon ein wenig wunderte. Eigentlich war das ja für mich nicht schlimm. Aber es war irgendwie schon auffällig, wie wenig wir in letzter Zeit unternahmen. Am Morgen holte er mich jeweils ab und nach der Schule brachte er mich wieder nach Hause. Sogar in der Schule redeten wir nicht viel mitteinander, da ich ihn nicht oft sah. Unsere Telefongespräche wurden immer knapper und kürzer und immer lautete seine Entschuldigung, dass er gerade keine Zeit hätte und später wieder anriefe, was er jedoch nie tat. Normalerweise wurde ich ja nicht schnell eifersüchtig, aber bei dieser Situation wurde ich doch recht misstrauisch. Als wir eines Tages wie üblich in die Schule liefen, sprach ich also das Thema an.

„Jason, was ist eigentlich los? Hast du Zuhause irgendwelche Probleme oder sinken deine schulischen Leistungen? Ich meine, du wirkst immer so abwesend und wir sehen uns fast gar nicht mehr.“

„Nein, nein, alles in Ordnung, mach dir keine Sorgen“, lächelte er mich leicht an.

„Jason, wenn du eine andere hast, musst du es mir nur sagen. Ich werde dir keine grosse Szene machen.“
Dass ich tagelang die Augen ausheulen würde und zutiefst deprimiert wäre, behielt ich aber lieber für mich. Jason blieb entsetzt stehen.

„Was? Was redest du denn für einen Unsinn, Kate? Auf keinen Fall habe ich eine andere oder will mit dir Schluss machen. Spinnst du? Wie kommst du denn auf die Idee? Ich bin heillos in dich verliebt. Wie soll eine andere an dich ankommen?“
Er zog mich an sich und küsste mich hart. Seine Hände umfingen mein Gesicht und sanft entliess er meine Lippen.

„Wie könnte ich dich jemals verlassen?“ Es war nur ein Flüstern, doch es liess mich warm erschaudern. Er hauchte kleine Küsse, verteilt über mein ganzes Gesicht, bevor er mir tief in die Augen sah.

„Komm wir sollten in die Schule“, seufzte er und liess mich los.
Schweigend brachten wir den restlichen Schulweg hinter uns. Dort angekommen gab er mir einen kleinen Kuss zum Abschied, bevor er unter all den Leuten verschwand. Mit einem Seufzen drehte ich mich meiner Clique zu.

„Krach im Paradies?“, fragte nun Leila mich. Sie war seit unserer Versöhnung wieder öfters bei uns, bis sie schliesslich ganz zu unserer Clique gehörte.

„Ich weiss auch nicht. Gestritten hatten wir nicht, aber ich frage mich, was mit Jason los ist. Er ist die meiste Zeit über verschwunden und langsam mache ich mir Sorgen, ob er vielleicht mich betrügt. Immerhin war er bevor wir zusammenkamen, ein richtiger Playboy und wer weiss, ob er es immer noch ist. Niemand kann das einfach von einem auf den anderen Tag abschalten.“
Leila, die mir aufmerksam zugehört hatte, machte den Mund auf, um etwas zu sagen, als Sarah ihr zuvorkam.

„Was laberst du denn für einen Schwachsinn?! Jason stand auf dich, schon seit geraumer Zeit. Und schon dann hat er aufgehört Frauen aufzureissen. Denkst du wirklich er würde dich betrügen?“
Das dich betonte sie noch extra stark. Doch unser Gespräch wurde durch die Schulglocke unterbrochen und ergeben betrat ich das Schulzimmer.

Die Schule verlief nicht besonders interessant und etwas mürrisch schlendere ich die Strassen entlang. Jason hat sich nicht einmal gemeldet und somit habe ich alleine den Heimweg angeschlagen. Den lose herum liegenden Stein kickte ich vor mir her und entdeckte mein Fussballtalent schon beim ersten Kick. Denn der Stein flog in einem hohen Bogen auf die Strasse, statt gerade zu landen, wo ich eigentlich gezielt hatte. Frustriert über den Tag, rammte ich meine Hände in die Jackentasche. Da es für Anfang April noch recht frisch war und der Himmel heute noch Regen versprach, habe ich mir vorsorglich meine Lederjacke angezogen. Meine Gedanken schwirrten um das Gespräch von heute Morgen. Konnte es wirklich möglich sein, dass Jason mich vielleicht doch betrog? Oder bildete ich mir das ganze einfach nur ein? Ich meine, was soll eine Freundin denn ansonsten denken, wenn der Freund plötzlich keine Zeit mehr für dich hat und nur noch knappe zwei Wörter mit dir tauscht, bevor er verschwindet? Dass ich sogar meine Gedanken rechtfertige, ist doch echt krank. Also versuchte ich einfach die Gedanken in den Hintergrund zu verdrängen und nahm die Realität wieder wahr.
Ein Fussball rollte vor meine Füsse und verwundert schaute ich mich um. Rechts von mir konnte ich ein Fussballfeld ausmachen, auf der einige Jungs spielten. Einer davon joggte auf mich zu, wahrscheinlich um den Ball zu holen. Ich bedeutete ihm stehen zu bleiben und kickte ihm den Ball zu. Wie gesagt, hatte ich wahrlich ein Talent für Fussball und so landete der Ball neben den Typen in den Busch. Ich schlug mir erschrocken die Hände vor dem Mund, bevor ich mich entschuldigend auf ihn zuging. Da ich ja den Ball hinein geworfen habe, konnte ich ihn auch wieder hinausholen. Ich lud meine Tasche neben dem Typen ab und stürzte mich in das Gebüsch. Es war schwieriger als gedacht, denn die Zweige und Äste verbogen sich nicht so schnell und meine Lederjacke hing sich schnell irgendwo an. Da ich aber am Schluss keine neue Lederjacke kaufen wollte, zog ich auch den aus und warf ihn zu meiner Tasche. Nur in T-shirt bekleidet stürzte ich mich erneut in das Gebüsch und nach wenigen Minuten und etlichen Kratzern hielt ich schliesslich triumphierend den Ball hoch. Als ich wieder hinaus wollte, verfing sich ein spitzes Ästchen in mein T-shirt. Ich zog daran und lief einfach weiter, in der Meinung, dass höchstens das Ästchen brechen würde. Doch ganz falsch gedacht. Denn sobald ich raus war, hörte ich auch ein reissendes Geräusch. Als ich hinab sah, konnte ich sehen, dass mein T-shirt an der Bauchstelle einen Riss hatte und ich sogar darunter leicht angekrazt war. Ich hatte den Gebüsch wohl echt unterschätzt. Mit einem entschuldigenden Lächeln überreichte ich schliesslich den Ball.

„Tut mir Leid, dass ihr solange warten musstet. Aber ich bin wohl echt nicht begabt, was Fussball angeht“, meinte ich verlegen am Kopf kratzend.

„Das Warten ist weniger schlimm als dein Körper. Mein Gott, du hast soviele Kratzer an deinen Armen. Tut dir das nicht weh?“; fragte der Typ mich zweifelnd. Erst als er es erwähnte, schaute ich meine Arme an. Dunkelrote Striemen überzogen meine Arme, aber so richtig weh taten sie mir jetzt auch nicht.

„Ehrlich gesagt nicht wirklich.“ Ich klopfte einfach mal meine Kleidung und meine Arme ab, bevor ich mir meine Jacke schnappte und sie mir anzog.

„Ach übrigens, mein Name ist Kate“, meinte ich freundlich und streckte ihm meine Hand hin.

„Ich bin Charlie.“ Er ergriff meine Hand und lächelte mich charmant an.

„Willst du mit uns vielleicht eine Runde spielen?“, ergriff er das Wort, bevor sich eine peinliche Stille über uns legen konnte.

„Du hast ja mein Talent gesehen, daher lieber nicht. Und ausserdem habe ich eh keine Ahnung von Fussball.“

„Ach, das ist ganz einfach, ich kann es dir beibringen, wenn du willst“, bot er mir an. Da ich keine Hausaufgaben auf hatte, und Jason sowieso nicht auftauchen würde, stimmte ich ihm zu. Ich schnappte mir noch meine Tasche und schlenderte mit Charlie auf die anderen Jungs zu, die uns interessiert beobachteten.

„Hey Leute, das ist Kate. Sie hat sich in den Gebüsch gestürzt, um unseren Ball zu holen. Na ja, den sie selbst dorthin befördert hat.“ Ein Lachen konnte er sich nicht verkneifen und mein zuvor schüchterner Blick, flog nun als tadelnder Blick zu ihm. Dass ich darauf errötete, konnte ich natürlich nicht verhindern. Daraufhin lachte er schallend los und ich boxte ihm in die Schulter. Eigentlich wunderte ich mich, wie offen ich mit ihm umging, obwohl ich ihn erst seit einigen Minuten kannte. Da lebte man soviele Jahre in einer Stadt und kannte trotzdem die Hälfte der Bewohner nicht. Und das, obwohl das Fussballfeld nur wenige Meter von meinem Haus entfernt lag. Grinsend schüttelte ich den Kopf und winkte den anderen zu. „Hallo“s und „Hi“s waren zu hören, bevor Charlie mir alle mit Namen vorstellte. Ich lernte Kevin, Luke, Mason und Austin kennen. Charlie warf Mason den Ball zu und meinte sie vier sollten schon mal spielen, während er mir die Spielregeln und die Kunst des Fussballspielens erklären würden. Die anderen gingen wieder aufs Feld und setzten ihr Spiel fort, während Charlie und ich uns auf die Bank setzten und anfingen uns zu unterhalten.

Es wurde recht spät, als ich mich von den Jungs verabschiedete und die restlichen paar Meter hinter mich brachte.

„Ich bin wieder da“, schrie ich ins Haus und zog meine Schuhe aus. Mum und Isa sassen am Esstisch und bereiteten das Abendessen vor.

„Hey Spatz, ich wollte dich gerade anrufen und fragen, wo du steckst. Aber jetzt, wo du da bist, kannst du mir gerne helfen.“ Schnell half ich ihr das Essen auf den Tisch zu stellen und begann zu erzählen.

„Tut mir Leid, dass ich erst so spät nachhause komme. Aber ich habe einige Jungs kennengelernt: Charlie, Kevin, Luke, Mason und Austin. Sie haben gerade Fussball gespielt, als ich durch einen kleinen Zwischenfall auf sie getroffen bin. Naja, so kam es, dass Charlie und ich uns unterhielten und er mir die Fussballregeln erklärt hatte. Er ist echt nett. Er ist zwanzig und hat gerade Semesterferien. Sie sind alle Studenten und sind über die Ferien Heim gekehrt, sagte zumindest Charlie.“
Meine Mutter lächelte freudig und auch Isa hat mir interessiert zugehört. Leider habe ich nicht bemerkt, dass sie sich für eine Sekunde versteifte. Aber so dachte ich einfach, dass sie sich freute, dass ich neue Freunde gefunden hatte. So verging der Abend mit Essen, unseren Erzählungen, was wir alles am Tag erlebt hatten und einem schlechten Fernsehprogramm. Als ich am Abend bettfertig ins Zimmer ging, zeigte mir mein Handybildschirm eine SMS an. Neugierig wer mir jetzt zu so späten Zeit schrieb, öffnete ich die Nachricht. 

„Hey Süsse, Tut mir Leid, dass ich mich erst jetzt melde, aber etwas Wichtiges ist dazwischen gekommen. Auf jedenfall wollte ich dich auf unser drittes Date einladen. Sei morgen um zwei Uhr bereit, ich hole dich ab. Kleidungsstil überlasse ich dir selbst, aber ich werde nicht verraten, wohin wir gehen oder was wir machen. Ich freue mich schon. Also, bis morgen.
Dein Freund Jason <3“

Wow! Überrascht legte ich mich ins Bett und grübelte eine Weile nach. Das kam ziemlich plötzlich, dafür dass er so oft verschwunden war. Und wohin könnten wir denn morgen gehen? Was könnten wir machen? Naja, diese Fragen führten ja dazu, sich zu überlegen, was ich mir anziehen sollte? Ein Kleid war ja doch ein wenig zu übertrieben. Und in Trainer und T-shirt wollte ich jetzt auch nicht wirklich hin. Entweder Jeans und Top oder ein Rock und ein Top. Mit den Gedanken welche Kleidungsstücke in meinem Schrank lagen und was wohl am passendsten war, schlief ich schliesslich ein.

 

Am nächsten Tag stand ich recht früh auf, was ich einem beschissenen Traum zu verdanken hatte. Weshalb den Tag nicht nutzen, wenn man schon wach war. So machte ich mich schon mal an meine Hausaufgaben, um den Rest des Wochenende frei zu haben. Nachdem ich fertig war, ging ich hinunter, weil es schon halb zwölf war. Isa sass gähnend am Esstisch, was mich grinsen liess.

„Na, kleine Schwester. Gut ausgeschlafen?“ Als Antwort gähnte sie nocheinmal. Um den Schlaf gänzlich von ihr zu vertreiben, startete ich eine Kitzelattacke. Lachend windete sie sich unter meine Hände und konnte sich kaum noch auf dem Stuhl halten. Bevor sie vor lauter Lachen aus dem Stuhl kippte, flehte sie mich an aufzuhören.

„Aufhören, bitte Kate. Ich bin ganz wach“, brachte sie zwischen zwei Lacher raus. Ich liess schliesslich von ihr ab und setzte mich neben ihr auf den Stuhl. Eine kleine Warnung, ausgekitzelt zu werden falls sie es wagen sollte, noch einmal zu gähnen. Isa kriegte sich langsam wieder ein und Mum brachte die Crepes. Isa und ich schnappten uns eine, schmierten es je nach Bedarf mit viel Schokocreme, Ahornsirup oder einfach nur wenig Butter mit viel Zucker. Ich entschied mich für die Schokocreme, während Isa ihre mit Ahornsirup ertränkte. Meine Mutter schmierte ganz wenig Butter und ass sie dann so. Nach dem Essen verschwand ich wieder in mein Zimmer um mich bereit zu machen. Klar hatte ich noch zwei Stunden Zeit, aber lieber zu früh als zu spät. Ich ging schnell duschen und in einem Handtuch umschlungen trottete ich ins Zimmer. Im Kleiderschrank wühlte ich dann ganze zehn Minuten herum, bevor ich etwas passendes gefunden hatte. Ich entschied mich für einen schwarzen geblümten Rock, der mir knapp bis zu den Knien reichte und ein dunkel magenta farbiges Top. Die dreiviertel Ärmel waren halbdurchsichtig und waren geeignet für das jetztige Wetter. Dazu zog ich noch schwarze Nylonstrumphosen, schwarze gewundene Doppelblatt Ohrringe und schwarze Armreifen, damit alles farblich abgestimmt war. Die Kette, die mir Jason zu Weihnachten geschenkt hatte, gehörte natürlich dazu und lächelnd umfasste ich sie. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich keine Zeit zum totschlagen hatte. Schnell huschte ich ins Bad und begann mich dezent zu schminken und meine Haare zu machen. Ich machte mir einen Half-updo, und lockte meine Haarspitzen leicht, damit sie nicht einfach schlaff herunter hingen. Leichte magenta Lidschatten und ein dünner Lidstrich zierten meine Augen und ein Hauch von Lippenstift trug ich auf, sodass es noch recht natürlich wirkte. Damit war ich auch fertig und betrachtete mich zufrieden im Spiegel. Im Zimmer schnappte ich mir eine kleine, schwarze Umhängetäschchen, stopfte die wichtigsten Dinge hinein und verliess mein Zimmer. Eigentlich war es ja erst halb zwei. Aber wie gesagt, lieber zu früh als zu spät. So sah ich eine Weile Fern mit Isa und öffnete erfreut die Tür, als es klingelte. Mit der anderen Hand schnappte ich meine schwarzen Stiefeletten. Die schwarze Stoffjacke nahm ich von der Garderobe und drehte mich erst dann zu Jason um und stockte mitten in der Bewegung. 

Heiliger Mist verdammt, ging mir durch den Kopf. Jason sah auch einfach zum Niederknien aus in seiner schwarzen Jeans, dem dunkelblauen Hemd und seiner Lederjacke. Die Haare hatte er wieder geschnitten und dies stand ihm wahrhaftig gut. Schüchtern streckte er mir einen Rosenstrauss dunkler Rosen hin, die einen betörenden Duft verteilten. Überrascht nahm ich ihn mit einem Danke entgegen und trug ihn schnell ins Haus, stellte sie in eine Vase, bevor ich wieder hinaus ging und endgültig die Türe hinter mir schloss.

„Hi, du siehst..hm.. echt gut aus“, begrüsste er mich seltsam schüchtern. Die Hände hatte er in die Hosentasche gesteckt und nervös biss er sich auf die Lippe, was echt gut aussah.

„Danke, du siehst auch gut aus“, gab ich das Kompliment zurück. Schliesslich streckte er mir seinen Arm entgegen, wo ich mich einhaken konnte. Ganz der Gentleman führte er mich zum Auto und öffnete mir die Türe. So elegant wie möglich stieg ich ein und schnallte mich an. Jason umrundete das Auto und stieg auch ein, bevor er sich anschnallte und dann losfuhr. Irgendwie gab eine merkwürdige Anspannung im Auto und schweigend hinterlegten wir den Weg zurück.

„Wo gehen wir denn hin?“, fragte ich wiedermal. Jason grinste nur schelmisch.

„Bin ich denn under- oder overdressed?“

„Du bist perfekt, Kate“, antwortete er nur, nachdem er mir einen kurzen Blick zugeworfen hat. Fünf Minuten später hielt er an einem Waldrand an. Es kam mir irgendwie bekannt vor. Aber da ich während der Fahrt in Gedanken gewesen war, habe ich den Weg nicht gemerkt. Jason stieg aus und half mir aus dem Auto. Er schloss das Auto ab und verwirrt betrachtete ich ihn, wie er mich an der Hand nahm und wir in den Wald hinein gingen.

„Und, hast du schon Fortschritte, bezüglich deines Gedächtnisverlustes?“ Und so begannen wir ein Gespräch, das wir während unserem kleinen Spaziergang führten. Die Bäume raschelten im Wind, die Vögel sangen Lieder für uns und die Sonne schenkte uns zwischen den Bäumen einige Strahlen. Es war herrlich so in der Natur zu sein. Mit Jason. Allein, in unserer Zweisamkeit. Die Blätter raschelten unter unseren Schritten. Kleine Blümchen wuchsen am Rande des Weges. Und nach einer ganzen Weile kamen wir an eine Lichtung, die wie eine Erhöhung wirkte. Das Gras war saftig grün und erfreut schaute ich hinab. Erst da merkte ich, wo wir waren. Wir waren am See. Der See, an der Jason mir den Schal geschenkt hatte. Der See, an dem wir letzten Herbst mit der Clique übernachtete haben. Der See, an der wir wahrscheinlich auch die Wasserschlacht gemacht haben. Das war unsere See. An dem immer etwas geschah und unser Leben prägte.

„Komm, gehen wir hinunter.“ An der Hand zog mich Jason den Hügel hinab. Ich, so tollpatschig wie ich war, stolperte jedoch auf halbem Wege und näherte mich dem Boden. Bevor ich jedoch das Gras küssen konnte, hielten mich zwei Arme an der Taille fest und rückten mich wieder ins Senkrechte. Ein Blick nach oben und ich versank in den braunen Augen, die jetzt im Sonnenlicht wie Honig wirkten. So anziehend und so süss. Bevor ich ihm jedoch einen Kuss geben konnte, entzog er sich meinen Armen und ging weiter den Hügel hinab. Was war denn das? Normalerweise liess er doch keine Gelegenheit aus mich zu küssen? Also was war denn jetzt nur los? Konnte es sein, dass er mir hier an unserem dritten Date sagen wollte, dass er eine andere gefunden hat? Dass es aus mit uns war? Mit gerunzelter Stirn ging ich ihm hinterher. Meine Gedanken ignorierend folgte ich meinem Freund, der am Rande des Sees zum Stehen kam. Erst jetzt bemerkte ich die rotkarierte Decke, die auf dem Boden aufgebreitet war. Allerlei Leckereien und Knabbereien lagen da bereit und warteten nur darauf verputzt zu werden.

„Jason..“, stockte ich. Doch weitere Worte kamen mir nicht mehr aus dem Mund.

„Tadaaa, Überraschung!“ Jason breitete die Arme aus und machte eine wage Bewegung auf die Umgebung. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass er ein Picknick organisiert hatte. Immer noch benommen von seiner Überraschung setzte ich mich auf ein freies Stückchen Tuch.

„Du hast das wirklich alles alleine organisiert?“ Ich konnte es einfach nicht fassen, wie viel Mühe er sich gegeben hat.

„Naja“, er kratzte sich verlegen am Kopf, „kochen und backen kann ich ja nicht wirklich, also habe ich Mum um ein wenig Hilfe gebeten und da sie noch ein Stein im Brett hatte, hat sie sofort zugestimmt.“
Es war trotzdem so süss von ihm. Ich beugte mich zu ihm hinüber und gab ihm einen kurzen Kuss. Ich nahm mir ein Kuchenstück und biss hinein. Es war wirklich lecker.

„Kompliment an deine Mutter. Sie kann wirklich gut kochen oder backen, was auch immer.“ Demonstrativ biss ich nocheinmal ab und kaute genüsslich darauf. Auch Jason nahm sich etwas zu essen und kurz herrschte Schweigen. Plötzlich sah ich zwei Häschen ganz in der Nähe von uns. Entzückt schaute ich denen eine Weile zu.

„Jason schau mal, da sind zwei junge Häschen“, machte ich ihn auf die Tiere aufmerksam. Er drehte den Kopf und sah gerade noch wie sie davon huschte.

„Tut mir Leid, jetzt habe ich sie verscheucht. Ich sollte wohl lernen, leiser zu reden“, meinte ich entschuldigend. Schmunzelnd schüttelte der Angesprochene den Kopf.

„Was ist?“, fragte ich verwundert.

„Es waren doch nur zwei Häschen. Du musst dich doch nicht wegen denen verändern. Bleib bitte so wie du bist.“
Nach unserem kleinen Picknick sassen wir einfach nur eine ganze Weile da und redeten über alles Mögliche. Der See glitzerte in einem wunderschönen Türkiston. Alle möglichen Blumenarten wuchsen um ihn herum. Im Sommer würde dieser Ort sicher wie ein Paradies sein. Alle Blumen würden in allen Farben schillern, die Bäume würden für die hohen Temperaturen Schatten spenden und der See einfach als Abkühlung dienen. Jason und ich lagen auf dem Rücken und versuchten in den Wolken etwas zu erkennen. Wie viele Stunden vergangen waren, wusste ich nicht und es war mir auch egal. Es war einfach so schön mit meinem Freund ein wenig Zeit in Zweisamkeit zu verbringen. Vorallem nach all der Zeit, in der wir nichts unternommen hatten. Da kam mir wieder etwas in den Sinn, dass mich schon lange interessierte, ich aber vergessen hatte.

„Was hast du eigentlich damals im Zeichenkurs gezeichnet? Herr Wulf hat mich danach so seltsam angesehen. Und du hast gesagt, du würdest es mir zeigen, wenn du damit fertig wärst.“ Ich legte meinen Kopf auf eine Hand und stützte mich mit dem Ellbogen am Boden ab. Jason lag in einer ähnlichen Position, nur dass er seinen Kopf nicht abstützte.

„Naja“, druckste er herum, „ehrlich gesagt hat Herr Wulf dich so seltsam angeschaut, weil ich dich gezeichnet habe.“ Unglaublich schaute ich ihn an.

„Du hast mich gezeichnet? Aber.. aber.. wir kamen doch erst an diesem Tag.. zusammen.. und die Arbeit haben wir doch schon früher angefangen?“ Ich konnte das Gesagte einfach nicht glauben.

„Nun.. als ich es gezeichnet habe, dachte ich, man darf ja wohl die beste Freundin zeichnen, ohne dass man gleich zusammen sein muss. Dass ich bereits in dich verliebt war, habe ich damals noch nicht begriffen.“ Verlegen kratzte er auf dem Tuch herum.

„Das ist so süss von dir. Ich wusste gar nicht, dass du so ein Romantiker sein kannst.“
Grinsend gab ich ihm einen Kuss. Von meiner liegenden Lage her ging das schlecht, sodass ich mich langsam aufsetzte und zu ihm herüber kroch und schliesslich auf ihn kletterte. Den Kuss unterbrachen wir nicht. Was er nur schon mit seinen Lippen alles anstellen konnte, war einfach unglaublich. Seine Hände landeten auf meiner Taille und ich vergrub meine in seine Haare. Ausser Atem gingen wir auseinander.

„Nun, so in einer Position gefällst du mir sehr. Am liebsten noch im Schlafzimmer und ohne Kleider natürlich.“ Schelmisch grinsend zwinkerte er mir zu. Erst da fiel mir auf, dass ich rittlings auf ihm sass und dass sich da unten auch etwas sich regte. Sofort sprang ich auf und in meiner Tollpatschigkeit schaffte ich natürlich wieder auf ihn zu fallen. Sein Blick war so intensiv, sodass ich mich nicht abwenden konnte. Ich senkte meinen Kopf und er küsste mich stürmisch. Unsere Zungen fochten einen Kampf, den niemand zu gewinnen mag. Jason setzte sich langsam auf und zog mich mit. Seine Hände lagen an der Zwischenstelle von Hals und Wange. Mit dem Daumen strich er meine Wangenknochen entlang. Meine wanderte hinauf zu seinen Schultern und weiter zu seinem Nacken. Ich strich ihn sanft über den Nacken und schliesslich über die kurzen Haare. Seine Hand wanderte zu meinem Nacken und zog mich noch näher an sich. Ich konnte nicht mehr. Dieser Typ machte mich wahnsinnig. Warme Schauer liefen meinen Rücken hinab. Nach einer Weile liess er ab und mein Mund folgte ihm automatisch, bevor ich dann meine Augen öffnete. Der Himmel wechselte seine Farbe und wägte ab, ob er goldig rot erscheinen sollte oder doch lieber ein dunkles blau annehmen sollte. Die Vögel zwitscherten immer noch fröhlich herum. Ein sanfter Windstoss wehte meine Haare leicht nach vorne. Jason strich mir die Strähne hinter das Ohr.

„Du bist so wunderschön, weisst du das? Schon seit klein an wusste ich, du wirst mal wunderschön sein. Denn bereits dann warst du so hübsch gewesen. Schon damals habe ich auf dich aufgepasst und geschaut, dass sich kein Junge dich nähert, nicht mehr als ich es durfte. Und wenn dann diese Feste und Partys stattfanden und du noch diese Kleider anhattest, dann geschah es einfach um mich. Ich kann nicht mehr klar denken und alles nur wegen dir. Am liebsten will ich dich dann in meine Arme ziehen und dich um den Verstand küssen. Und wenn ich sehe, dass die Jungs dich hinterherschauen, will ich sie nur eine in die Fresse hauen, dich von ihnen weg bringen und in ein Zimmer stecken, in dem nur du und ich sind.
Du bist wie ein kleines Mädchen, dass die Welt erst entdeckt. Die Faszination funkelt in deinen Augen und ein glückliches Lächeln umspielt deine Lippen. Wie vorher, als du die Hasen so entzückt beobachtet hast. Und nicht nur das, du siehst auch in allem und jeden etwas Gutes. Egal wie schlecht ein Mensch ist, du siehst immer das Gute in ihm. Als ich dachte, ich wäre verloren, mich selbst aufgegeben habe, kamst du und zeigtest mir all die Guten Dinge auf der Welt, für die es sich zu kämpfen lohnt. Du sahst das Gute in mir, und das obwohl ich schon ein hoffnungsloser Fall gewesen war. Ich hatte alles möglich genommen. Alkohol, Drogen, trieb illegale Dinge. Alles. Doch du kamst wie ein Engel und halfst mir aus dieser schlimmer Zeit. Mein persönlicher Engel. Für dich würde ich sogar sterben. All deine Sorgen und Schmerzen auf mich nehmen, wenn ich es nur könnte. In meinem Kopf spuckst nur du alleine herum. Die ganze restliche Welt ist mir egal. Sogar ich selbst bin mir egal, solange du glücklich bist. Solange du lachst. Jeden Tag will ich von deinem Lachen geweckt werden. Mit einem Kuss, dass mir auf der Lippe brennt, egal wohin ich auch gehe. Weisst du im Mindesten, was du mir angetan hast? Was du mir bedeutest? Du hast mir den Kopf verdreht. Du hast dich so langsam und sanft in mein Herz geschlichen, dass ich nicht einmal selbst etwas davon gemerkt hatte. All die Frauen, mit denen ich mal etwas hatte, waren nichts im Vergleich zu dir. Niemand könnte dir das Wasser reichen, egal in welcher Hinsicht. Niemand könnte dich jemals ersetzten. Ich weiss nicht einmal, wie ich all die Jahre ohne dich überlebt habe. Denn jetzt könnte ich niemals wieder ohne dich leben. Ich liebe dich, Kate. Ich liebe dich vom ganzen Herzen.
Und all diese Sachen haben bei mir nur zu etwas geführt. Deshalb war ich auch in den letzten Tagen ein wenig abwesend. Bitte entschuldige mich. Ich habe einfach nur alles organisiert. Und wenn alles gut ausgeht wäre ich der glücklichste Mann auf Erden.“
Seine tiefe, raue Stimme sorgte für Gänsehaut und all die Dinge, die er sagte, erwärmten mein Herz von innen. Doch mein Herz setzte einen Schlag aus, bevor er polternd einen Sprint hinlegte, als Jason eine kleine Samtschatulle von irgendwoher zauberte und vor mir auf die Knie fiel. Langsam öffnete er die Schatulle und mir stockte der Atem.

„Katherine Rosalie Blake, willst du meine Frau werden?“

Kapitel 19

Jason P.o.V

Da war ich nun, vor ihr auf den Knien. Voller Hoffnung blickte ich zu ihr auf. Das Kästchen in meiner Hand wog immer schwerer. Ich habe mir so viel Mühe gegeben, damit es perfekt war. Einige Wochen lang habe ich nach einem umwerfenden Ring gesucht. Dann irgendwo in einer hinteren Ladenecke habe ich den gefunden. Ein Silberring mit etlichen winzigen weiss funkelnden Steinen besetzt. In der Mitte enthielt er einen wunderschönen schwarzen Edelstein, der das Licht zu verschlucken drohte. Die winzigen weissen Steinchen neben herum schienen je nach Lichteinfall ein königsblau, ein burgunderrot oder ein smaragdgrün anzunehmen. Das reflektierende Licht liess somit alle Edelsteine anwesend wirken. Eigentlich hatte ich absolut keine Ahnung über Ringe oder allgemein jeglicher Art von Schmuck. Doch der hier war mit Abstand das allerschönste Stück, das ich je gesehen habe. Es war so faszinierend, das Farben- und Lichtspiel zu betrachen. Der Kontrast zwischen Licht verschluckendem Stein und dem Licht reflektierenden Steinen war einfach nur überwältigend. Das ist er. Der Ring. Der, den ich überall gesucht habe. Das waren die Gedanken, die mir dabei durch den Kopf schossen, als ich gefesselt von dem wunderschönen Anblick da stand. Ohne auf den horrenden Preis zu achten, habe ich mir den Ring sofort gekauft. Ich konnte doch nicht warten, bis ein anderer mir diesen Fundstück vor meiner Nase wegschnappte. Die Grösse wusste ich so ungefähr und konnte somit alles anpassen lassen. Zwei Tage später erhielt ich dann die Meldung, dass der Ring abholbereit wäre. Nach der Schule, nachdem ich Kate nach Hause gebracht hatte, ging ich sofort zum Juwelier und schaute mir den Ring an und liess es in ein schönes Kästchen verpacken. Auch das Kästchen war nicht billig. Es war aus schwarzem Samt und drinnen war es mit schwarzer Seide gefüllt und in einem Schlitz steckte der Ring und stach natürlich hell heraus. Das ganze kostete mir natürlich sehr viel, aber es war mir wert. Sogar mehr als das. Immerhin ging es hier um Kate, mein Mädchen, meine Zukunft, meine Frau. Ach wie herrlich das schon klang. Meine Frau. Doch bevor ich all zu sehr in meine Träumereien glitt, blinzelte ich einige Male, um wieder in die Wirklichkeit zurück zu kommen.

Da stand sie. Die Sonne, die gerade unterging, bildete um sie einen goldenen Lichtschein, als wäre sie selbst, die das Licht ausstrahlte. Die Hände vor dem Mund geschlagen, stand sie vor mir da. Ihre Augen wurden verdächtig glänzend. Bevor ich den ersten Gedanken zu Ende denken konnte, stahl sich auch schon die erste Träne aus ihrem Augen und lief die leicht rosigen Wangen hinab. Nein! Sie durfte nicht weinen. Sie sollte nicht einen Tropfen Wasser vergiessen. Nein, nicht meine Kate. Schnell war ich wieder auf den Beinen, das Kästchen mit dem Ring schon vergessen, und fing behutsam ihre Träne auf. Da weitere Tränen zu überquollen drohten, wischte ich sanft mit dem Daumen über ihre Wangen, bevor ich über ihre Lippen strich.

„Hey, Süsse. Nicht weinen. Du sollst nicht weinen.“ Meine Stimme war nur ein raues Flüstern. Behutsam nahm ich sie in meine Arme, damit ich sie vielleicht beruhigen konnte. Doch entgegen jeder Vermutung, stemmte sie sich gegen mich und stiess mich von ihr ab. Nanu, was war denn jetzt los?

„Jason, das kannst du doch nicht machen?! Du kannst mir doch nicht einfach einen Heiratsantrag machen! Oh gott!“
Hektisch begann sie auf mich einzureden und lief dabei hin und her.

„All diese Tage habe ich mir gedacht, dass du mich betrügst, weil wir nichts mehr zusammen unternommen haben. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass du mich ignorieren würdest. Mich in die Schule und nach Hause zu begleiten, war das einzige, was du in den letzten Wochen gemacht hast. Ich hatte sogar Gedanken, dass du mit mir Schluss machen würdest. Und dann tauchst du einfach so auf, sagst mir, dass wir heute ein Date hätten und führst mich einfach so hier her aus. Hier hast du ein Picknick vorbereitet mit allerlei Leckereien. Nach so langer Zeit war das heute mein schönster Tag. Wir reden endlich wieder miteinander und können über alles und über Jeden reden. Ich kann bei dir einfach nur ich sein. Plötzlich sagt du mir all diese schönen Dinge, die meinen Herz einfach nur rasen, zugleich aber stocken liessen. Mein Herz quoll über vor Liebe. Doch dann als krönenden Abschluss kniest du vor mich nieder und machst mir einen Heiratsantrag. Was zum Teufel soll das? Was erwartest du von mir? Welche Antwort erwartest du von mir?“
Jetzt stand sie vor mir und blickte mir direkt in die Augen. In ihnen konnte ich die Verzweiflung sehen. Und das war der Augenblick, als mein Herz einen kleinen Riss bekam. Unendliche Enttäuschung und Verletzung durchbrach mich und meine Brust tat plötzlich von innen heraus so weh. Ich war mir absolut sicher, dass sie in meinem Blick meine ganzen Gedanken lesen konnte. Meine Enttäuschung, meine Traurigkeit und auch, dass sie mich verletzt hatte. Doch trotz allem stand sie unbewegt da, ohne die Miene zu verziehen. Ihr Blick hatte sich nicht im Mindesten verändert. War sie vielleicht gar nicht die Frau, die ich zu kennen schien oder verrieten meine Augen vielleicht doch nichts? Immer noch wartete sie auf meine Antwort. Doch was sollte ich denn sagen? Denn ich verstand sie einfach nicht. Gerade hatte sie mir erzählt, dass sie die Zeit mit mir genoss. Dass sie den heutigen Tag so genossen hätte. Dass ihr Herz vor Liebe überquollen wäre. Weshalb konnte sie meinen Antrag dann einfach nicht annehmen? Hegte sie letztendlich doch noch Zweifel gegen unsere Beziehung? Nach dieser ganzen Zeit, nach all diesen Monaten, nach Jahre langer Freundschaft zweifelte sie immer noch an mir? An uns? Weshalb nur? Habe ich ihr nicht schon genug bewiesen, was ich alles für sie tun würde? Was ich alles sogar schon getan hatte, nur ihretwegen? Dass ich mich komplett geändert habe? Dass ich mir ohne sie kein Leben vorstellen könnte? Dass ich mit ihr sterben würde? Ich habe mein Herz vor ihr niedergelegt, mit dem Wissen, dass ihre Antwort mein Leben verändern konnte. Ein ja würde mich lebenslang wie ein verliebter Trottel grinsend durch die Weltgeschichte laufen lassen. Doch ein Nein, würde meine ganze Welt bis in die Grundmauern erschüttern. Ich könnte wahrscheinlich nicht versichern, die Hände wieder von den Drogen zu lassen. Und das obwohl es für mich momentan noch gefährlicher war, mit der Polizei im Nacken. Und wann Taylor einen Attentat auf mich geplant hatte, konnte ich auch nicht vorausahnen. Doch trotz allem, würde ich Kate mit meinem Leben beschützen, wenn sie doch einfach nur die zwei Buchstaben, die das himmlische Wort ja bildeten, aussprechen würde.

Ich war ihr immer noch eine Antwort schuldig. Noch mehr verlieren, als ich es bereits getan hatte, konnte ich nicht. Und so öffnete ich meinen Mund, und liess alles heraus, dass mir all die Wochen auf der Zunge lag.

„Kate, die ganzen Wochen habe ich nur dieses eine Ereignis geplant. Ich habe mir stundenlang den Kopf darüber zerbrochen, wie ich es dir sagen sollte, wo ich dir den Antrag machen sollte. Und der See war das Einzige was mir einfiel. Das Einzige, das immer wieder in unserer Vergangenheit vorkam, das eine solche Bedeutung für uns hatte. Ich verbrachte jede Minute nur damit, über uns zu denken, über dich. Meine ganze Welt dreht sich nur noch um dich. Wenn du glücklich bist, bin ich das natürlich auch. Also bitte, bitte sag nichts anderes als einfach nur ja. Dieses eine Wort hat eine solche Macht und vorallem aus deinem wunderschönen Mund würde es für mich der Himmelsgesang auf Erden sein. Du kennst mich, du kennst unsere Vergangenheit, du kennst unsere Beziehung zueinander. Seit klein an waren wir schon in einander verschossen und schon damals war es klar, dass du zu mir gehörst und ich zu dir. Niemand anderen. Also weshalb zögerst du denn noch ja zu sagen? Was bedrückt dich? Warum zögerst du so? Warum Kate? WARUM?“
Hektisch atmete ich ein, denn es kostete mich meine ganze Kraft, meine Nerven bei mir zu behalten und nicht einfach durchzudrehen. Am liebsten würde ich sie an den Schultern packen und sie einfach durchschütteln. Dass meine Stimme verzweifelt klang, wusste ich selbst und doch war es mir egal. Denn bei Kate konnte ich ich sein. Kein Verstecken, kein Möchte-gern-Getue, einfach nur ich. Der kleine verunsicherte Junge, der seine grosse Liebe anbetete und nun auf ein Zustimmen für seinen Antrag erhoffte.

„Ich kann momentan einfach nicht. Jason, ist dir eigentlich klar, was das heissen würde? Verantwortung, der ganze Papierkram und der ganze restliche Mist natürlich, der dazu gehört. Ausserdem sind wir gerade mal 18, 19 Jahre alt. Wir sind doch viel zu jung um zu heiraten. Und ausserdem ist jetzt da noch die Sache mit meinem Gedächtnisverlust. Du redest immer über unsere Vergangenheit und allem. Aber ist dir bewusst, dass ich absolut keine Ahnung davon habe? Ich habe keine Erinnerungen mehr, die uns betreffen, die mich betreffen. Ich wusste ja nicht einmal meinen eigenen Namen. Wie kannst du da denken, ich würde unsere Vergangenheit kennen? Ich würde uns kennen? Ich würde dich kennen?“

Crack! Das war der Riss, der mein Herz endgültig in zwei Teile riss. Ihre flüsternde Stimme und nicht einmal die Tränen in ihren Augen konnten mir jetzt im Mindesten helfen. Trösten konnte ich sie auf keinen Fall. Nicht jetzt, nicht nach dieser Aussage. War ihr überhaupt klar, was sie mir antat. Sie zweifelte an unsere Beziehung, an mir und das obwohl ich den Himmel auf Erden bringen würde. Sie zerstörte alles in mir. Das kleine brodelnde Fünkchen erlisch, das Blut fror einfach mitten in seiner Bahn und mein Herz schlug keinen einzigen Takt mehr weiter.

„Jason ich kann einfach nicht. Ich sage nicht, dass ich dich nicht heiraten werde. Ich brauche einfach Zeit. Zeit, um darüber nach zu denken, mit meiner Mum darüber zu reden, einfach mich und das ganze mal zu ordnen. Bitte verzeih mir und gib mir die Zeit. Wenn ich dir wirklich so viel bedeute, wirst du mir das sicherlich nicht übel nehmen. Aber jetzt gerade, kann ich einfach nicht mehr. Es tut mir wirklich Leid, Jason.“
Damit ging sie einfach weg. Sie wurde immer kleiner und verschwand hinter den Bäumen des Waldes, während ich noch wie angewachsen da stand. Mit ihr ging auch ein kleiner Teil von mir. Meinen Körper spürte ich nicht mehr. Weder meine Beine, noch meine Arme oder irgendetwas sonstiges an mir. Denn sie hat alles in mir geraubt. Sie hat alles mit sich mitgenommen. Zurück blieb nur eine leere Hülle ohne jegliches Leben. Sprachlos fiel ich auf die Knie und betrachtete immer noch die Stelle, an der Kate verschwunden war. War das wirklich geschehen oder habe ich mir das ganze nur eingebildet? Hatte sie sich vielleicht nur einen Scherz erlaubt? Oder malte ich mir gerade nur Situationen aus, die geschehen könnten? Das schwarze Kästchen in meinem Augenwinkel jedoch bezeugte, dass alles wahr war. Der Ring funkelte immer noch im schwachen Sonnenlicht. Doch seinen Glanz hatte er für mich verloren. Denn sogar den Glanz des Ringes hat sie mit sich genommen. Und als krönenden Abschluss hat sie natürlich auch mein Herz gestohlen. Mein Herz, meine Seele, einfach alles in mir. Alles in mir strebt sich zu ihr zu gehen und sie einfach in die Arme zu nehmen. Das ganze einfach zu vergessen und bitten wie bisher weiterzumachen. Denn solange sie bei mir war, wäre ich noch vorhanden. Ohne sie würde ich sterben. Ob sie jetzt dabei meine Frau war, spielte für mich absolut keine Rolle mehr. Wenn sie doch nur bei mir wäre. Aber diese eine Aussage, die sie gesagt hatte...

„Wie kannst du denken, ich würde dich kennen?“
Die erste Träne stahl sich aus meinen Augen. Immer wieder hörte ich einfach nur diese eine Frage in meinem Kopf. Sie hallte in meinem Schädel wider. Doch ich wollte sie nicht hören. Ich wollte nicht ihre Stimme hören. Nicht wenn diese Stimme diesen einen Satz aussprach. Schreiend hielt ich mir die Ohren zu, als könnte dies etwas bewirken. Ich schlug meinen Kopf auf die weiche Decke, die den harten Boden bedeckte. Natürlich half das nicht im Mindesten. Weitere Tränen liefen nun meine Wangen hinab. Doch was halfen die mir? Sie würden auch nicht meine Kate zurück bringen. Sie könnten auch nicht das Ganze rückgängig machen. Geweint hatte ich als Kleinkind zum letzten Mal. Als ich mich sehr stark aufgeschürft habe, als ich das Fahrradfahren gelernt habe. Doch jetzt konnte ich einfach nicht anders. Auch wenn es normalerweise hiess, Jungs würden nicht weinen. Verzweifelt, verloren und verlassen lag ich also da auf der Picknickdecke. Auf dieser Decke haben wir noch zuvor zusammen gelegen. In meiner Wut und auch Verzweiflung fegte ich alles von der Decke und knüllte sie zusammen und schmiss sie einfach fort von mir. Ich liess einfach alles so liegen, ausser dem Ring natürlich und stampfte zum Auto. Schnell war ich am Auto und setzte mich hin und startete das Auto so schnell ich konnte. Mein Herz raste jetzt wieder, was mich selbst erstaunte, da es nur wenige Minuten zuvor zerrissen und nieder getrampelt worden war. Aber um mein Herz kümmerte ich mich keinen Deut mehr. Ehrlich gesagt kümmerte ich mich um nichts mehr. Es war doch eh alles egal. So aufgebracht, wie ich war, drückte ich einfach das Gaspedal durch und raste den Feldweg entlang. Die Reifen drehten durch und gaben ein Quietschen von sich. Der Tachoanzeiger wanderte immer schneller nach rechts unten und die Geschwindigkeit erhöhte sich ohne weiter Probleme. Wie ich es vom Feldweg weg schaffte und damit auf die Hauptstrasse kam, konnte ich nicht mehr sagen. Ich sah ja nicht einmal was neben meinem Fenster in der Gegend vorbeiflog. Auf eine seltsame Art und Weise machte mich dieses Gefühl extrem high. Ich war noch nie so schnell gefahren und wäre es auch nicht. Wenn...
Nein, darüber wollte ich keinen Gedanken mehr verschwenden. Zusehr, genoss ich das Auto über die Strasse zu jagen. Das nervige Hupen der anderen Autos ignorierte ich einfach. Weshalb sollte ich mich eigentlich der Monogamie zuwenden? Meine ganze Freiheit aufs Spiel setzten, wenn ich ja frei sein konnte? Niemand gab mir irgendwelche Befehle oder Anweisungen, an die ich mich halten sollte. Um niemanden musste ich sorgen, dass sie glücklich waren. Keine Bedenken, keine Gedanken, nichts mehr war von Nöten. So viele Mädchen warteten doch nur auf mich. Alle würden ihr letztes Hemd für mich weggeben. Weshalb sollte ich denn meine Zeit mit nur einer verschwenden, wenn ich sie doch alle haben konnte. All die Mädels, die nur darauf warteten von mir mal so richtig durchgevögelt zu werden. Zufrieden mit meinen Gedanken und meinem Wandel verlangsamte ich den schwindelerregenden Tempo und ein zufriedenes Grinsen kroch mir über die Lippen. Ich war nicht nur einfach zufrieden mit meiner neuen Entscheidung, ich war gerade zu begeistert. So durchtrieben und dreckig war es. Genau, das was ich gerade brauchte. Das Tempo senkte sich auf die normal Geschwindigkeit, gerade rechtzeitig, da ich an einer Kreuzung ankam. Scheinbar war es aber nicht früh genug gewesen. Denn da kam von der Seite ein Auto auf mich zugerast. Ob es mein Fehler oder sein Fehler gewesen war, konnte ich letzten Endes nicht sagen. Denn das letzte was ich noch sah, waren die Scheinwerfer des anderen Autos. Das Hupen hatte ich nur noch im Hintergrund wahrgenommen. Nur das Licht des Scheinwerfers brannte sich in mein Netzhaut. Auf den Aufprall der darauf folgte, war ich nicht im Mindesten vorbereitet. Obwohl ich mir gerade einen Lebenswandel vorgenommen hatte, konnte ich nichts dagegen machen. Das Auto näherte sich in Zeitlupe und alles was ich in meinem inneren Auge sah, war Kates Gesicht. Wie sie glücklich lächelte und mich liebevoll ansah. War das etwa mein Ende? Würde ich so sterben? Ohne jegliche Rücksicht kollidierte das andere Fahrzeug mit voller Wucht in mich hinein. Mein Auto drehte sich einige Male um sich selbst, bevor es gegen einen Baum krachte und dann in die Tiefe stürzte. Doch davon bekam ich nichts mehr mit. Mir war sofort schwarz geworden und auch mein Innerstes wurde in eine mir unbekannte, schwarze Tiefe gezogen und ohne Widerstand liess ich mich davon aufsaugen.

Kapitel 20

„Oh Gott, Jason! Bitte verlass mich nicht! Nicht jetzt! Bitte! Ich liebe dich! Bitte Jason! Halt durch! Für mich! Bitte!“
Lautes Stimmengewirr war um mich herum. Doch trotz allem konnte ich diese Stimme zwischen allen klar und deutlich verstehen. Mein Herz machte trotz meiner Situation einen kleinen Hüpfer, als es realisierte, wem diese helle, klare Stimme gehörte. Doch schon zerrte mich die Dunkelheit fort von ihr und kraftlos musste ich mich geschlagen geben.

 

Ein stetiges Piepen erklang irgendwo in der Ferne. Metall klirrte und hektische Schritte und Griffe ertönten. Ich versuchte die Augen zu öffnen, doch sie waren seltsam verklebt.

„Stellt ihn unter Narkose und gebt ihm eine hohe Dosis!“, konnte ich jemanden schreien hören. Ein Arzt vielleicht?

„Das kann sehr schmerzvoll werden“, hörte ich denselben Mann noch murmeln, bevor ich wieder langsam wegdämmerte. Sie hatten mir wohl gerade die Narkose verabreicht und innert Sekunden zeigte es schon seine Wirkung. Das letzte was ich noch wahrnahm, waren die klirrenden Metalle und das verlangsamen des stetigen Piepens.

 

Langsam lichtete sich der dichte Nebel in meinem Kopf und ein kleiner Lichtschimmer durchbrach gerade so die Dunkelheit. Das Piepen war im Hintergrund zu hören, aber ansonsten war es recht still um mich. Langsam konnte ich meine Lider heben und kniff sie wieder zu. Es dauerte eine Weile, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten. Ich lag in einem Krankenbett, in diesen scheusslichen Krankenhausgewänder und eine Decke lag auf mir. An meiner Hand war irgendetwas rundes drangehängt, dass wie ein seltsamer Armreif aussah. Einige Schläuche führten von einer Infusion aus zu meinem Arm und auch konnte ich spüren, dass ein Elektrode an meiner Brust befestigt war. Daher wahrscheinlich die Geräusche, es war mein Herzschlag, dass den Kardiyogramm anzeigte. Gegenüber von mir lag eine Wand und von der linken Seite her wurde das Zimmer mit Licht durchflutet. Das grosse Fenster gab eine schöne Sicht nach draussen frei. Doch als ich mein Kopf drehen wollte, fühlte ich, dass etwas oder besser gesagt jemand auf meiner Hand lag. Als ich Kate schlafend auf meiner Hand erblickte, stockte mein Herz, bevor es den Schlag verschnellerte. Der Kardiyogramm bestätigte meinen schnelleren Puls. Aber was machte sie hier? Hatte sie nicht gesagt, sie bräuchte Zeit um nach zu denken? Hatte sie nicht indirekt meinen Antrag abgelehnt? Hatte sie nicht mein Herz gebrochen? Und trotz allem klopfte es polternd in einer hohen Geschwindigkeit weiter. Doch die getrocknete Tränenspur auf ihrer Wange liess mich alles vergessen. Da ihr Kopf auf meiner Hand gebettet lag, zog ich es langsam darunter hervor und wischte sanft die Tränen fort. Meine rauen Finger strichen über die zarte Haut und ich konnte eine leichte Wut in mir spüren. Kate durfte nicht weinen. Vor allem nicht wegen mir. Ich war schuld, dass sie geweint hatte. Unwillkürlich ballte sich meine Hand zu einer Faust. Doch schnell rief ich mich zu Raison, da ich Kate nicht aufwecken wollte. Eine feine Strähne war ihr ins Gesicht gefallen und sanft strich ich es hinters Ohr. Ihre Haare fielen ihr wallend auf ihrem Rücken und ich wünschte mir, wiedermal die Hand in ihre Haare vergraben zu können. Sie an mich zu ziehen und einfach zu küssen. Aber wie konnte ich nur meinem Drang nachgehen? Immerhin war ich an dieses Bett gefesselt und ausserdem wollte Kate mich ja nicht. Es war schwer diesen Gedanken einzugestehen, aber ich konnte nicht sie dazu zwingen, wenn sie dabei unglücklich sein würde. Frustriert legte ich den Kopf wieder auf das Kissen. Durch die leichte Erhöhung, lag ich nicht ganz so flach. Ich inspizierte weiter das Zimmer, bevor ich völlig in Verzweiflung geraten würde. Es war ziemlich steril eingerichtet. In einem Krankenhaus konnte man wohl kaum etwas anderes erwarten. Jedenfalls gab es ein kleines Tischchen neben meinem Bett und jede Menge Blumen lagen in Vasen gestellt in meinem Zimmer. Niemals hatte ich mit soviel Blumen gerechnet gehabt. Wen konnte ich denn schon gross zu meinem Freundeskreis zählen? Taylor würde mir kaum Blumen schicken, vor allem nach meiner Aktion. Neben dem Stuhl, auf der Kate gerade sass, gab es noch zwei andere Stühle. Ich war in einem Einzelzimmer untergebracht, was mich aber nicht weiter wunderte. Meine Eltern hatten sicher dafür gesorgt, dass ich auch die beste Behandlungen bekam. Sie konnten doch nicht ihren guten Ruf verlieren.

Eine Regung in meinem Augenwinkel liess mich herumblicken. Kate schien aufzuwachen. Ihre Lider flatterten auf und blickten zu mir herüber. Zuerst schaute sie mich nur wieder aus traurigen Augen an. Doch danach erstarrte sie an ihrem Platz und war voll wach. Sie rieb sich die Augen, und blinzelte mich halb schockiert an. Ich wollte gerade den Mund aufmachen, um irgendetwas zu sagen, als sie einfach immernoch fassungslos aufstand und den Stuhl dabei halb umwarf.

„Oh, Jason! Du bist wach! Du lebst! Oh gott!“ Damit stürzte sie auf mich. Ihre Hände umschlangen meinen Hals und herzzerreissende Schluchzer erklangen gedämpft an meinem Hals. Zögerlich hob ich meine Arme, oder versuchte es zumindest. Aber sie waren bleischwer, dass ich mit einem schmerzverzerrtem Gesicht sie wieder hängen liess. Durch meinen schwerfälligen Seufzer entzog sich Kate mir und ich konnte sie nicht einmal aufhalten, da ich ja absolut keine Kraft hatte. Still quollen weitere Tränen aus ihren Augen und trotz den Schmerzen zwang ich mich die Arme zu heben. Die Zähne zusammenbeissend strich ich sanft die salzigen Tropfen fort. Ihre Hand umfasste meine, entnahm ihr damit eine grosse Last. Zart schmiegte sich ihre Wange an meiner Hand. Genüsslich schloss sie ihre Augen dabei, was meinen Herzen freudig holpern liess. Das EKG bemerkte es natürlich, wodurch Kate erschrocken ihre Augen aufmachte. Als sie aber sah, dass nichts los war, liess sie sich auf die Bettkante nieder. Doch statt irgendwelche Worte zu verschwenden, beugte sie sich nach vorne und küsste mich innig. Die Hände hatte sie an meinen Wangen gelegt und leidenschaftlich eroberte sie mich Stück für Stück zurück. Ich konnte nichts dagegen tun. Gegen sie war ich einfach machtlos. Egal was ich vornahm, egal wie viele Male ich mir selbst vorschrieb nicht mehr an ihr zu hängen, bei ihr war es einfach nicht möglich. Erlegen genoss ich einfach den Kuss. Wie sehr habe ich danach gesehnt. Wie sehr hatte mir das gefehlt. Aber Kate beliess es nicht nur bei einem einfachen Aufwach-Wiedergutmache-Kuss. Sie intensivierte ihn dermassen, dass mir die Welt eine halbe Drehung vollführte. Ihre neckenden Spielchen und die Hände, die zu meinem Nacken gingen, schossen heisse Schauer durch meinen Körper. Mein Puls raste und es schien nicht unbemerkt zu bleiben. Denn das EKG musste es ja mit einem schnellem Rhytmus und lauten Piepen bemerken, sodass Kate erschrocken von mir abliess. Am liebsten hätte ich sie wieder zu mir gezogen und sie einfach weiter geküsst. Ich wollte sie auch schon anflehen, nicht aufzuhören und das Ding einfach zu ignorieren, als auch schon eine Krankenschwester hinein kam. Na toll. Was hatte die denn hier verloren? Ich wollte doch nur alleine mit meiner Kate sein. Aber diese Zeit war mir wohl auch nicht vergönnt. Besorgt kam die Krankenschwester neben meinem Bett, gegenüber von Kate zu stehen und verstand erst da, dass ich wach war. Sofort informierte sie jemanden mit ihrem Pager. Kate indessen, fasste besorgt meine Hand.

Verdammte Kacke! Wirklich niemand schien zu verstehen, dass Kate mit ihren Küssen mich um den Verstand brachte und Schuld an meiner Herzraserei war. Die Schwester kontrollierte währenddessen die Infusion und schaute noch andere Dinge an der Maschine an. Da ich kein gebildeter Arzt war, hatte ich absolut keine Ahnung, was sie da genau machte. Sie könnte sogar meine Infusion vergiftet haben und ich hätte es nicht gemerkt. Aber da sie dann gefeuert wäre, glaubte ich kaum, dass sie das tatsächlich machen würde. Plötzlich erklangen viele Stimmen in meinem Zimmer und verwundert widmete ich den Stimmen. Och nein! Noch mehr Ärzte und Schwester kamen in das Zimmer. Man, nannten sie das Privatsphäre? Immerhin hiess es ständig, in einem Einzelzimmer hätte man seine Ruhe. Doch hier schien es nicht so zu sein. Man wurde ja regelrecht attackiert.

„Was ist los?“, fragte ein Arzt die Schwester.

„Der Patient ist wach“, benachrichtigte sie ihn. Wow, als wäre das nicht ersichtlich. Hallo! Ich war anwesend und wollte doch nur meine Ruhe haben. Ist das etwa so viel verlangt? Ausserdem, was war denn so besonders, dass ich nun aufgewacht war? Ich meine, sollte man sich nicht freuen und einfach weiterleben? Immerhin haben sie mir eine Narkose gegeben, und dann war es ja nicht wunderlich, wenn ich eingeschlafen war und jetzt wieder aufwachte? Ein Arzt holte ein kleines Lämpchen aus seinem Kittel und blendete mich damit in die Augen.

„Okay, Jason. Können Sie mich verstehen?“ Mir lag ein scharfer Kommentar auf der Zunge, aber ich beliess es und sagte brav ja.

„Mein Name ist Dr. Telman und ich bin Ihr zuständiger Arzt hier. Wissen Sie, wie Sie heissen?“

„Ja, ich bin Jason Collins und bin 19 Jahre alt.“ Dass meine Stimme leicht genervt klang, versuchte ich erst gar nicht zu verbergen.

„Gut, können Sie sich an irgendetwas vom Unfall erinnern?“, fragte er weiter, während er mich weiter untersuchte.

„Naja, es war dunkel und ich war gerade bei dieser Kreuzung. Und da kam dieses Auto von der Seite und hat mich gerammt. Mein Auto hat sich einige Male gedreht und dann ist es, glaube ich einen Hang hinab gefahren. Danach wurde mir alles schwarz.“

„Nun gut. Eine Gehirnerschütterung können wir ausschliessen, aber machen Sie trotzdem einen CT mit ihm“, meinte er zu der Schwester gewandt. Obwohl vielleicht könnte es auch eine Assistenztärztin sein. Keine Ahnung, aber war ja auch nicht weiter wichtig. Er flüsterte ihr auch etwas zu, dass wie "er ist auffällig munter, viel zu fit. Kontrollieren sie die Dosen und die Infusionen noch einmal" An mich wieder gerichtet, sprach der Arzt fort:

„Sie hatten wirklich Glück, Jason. Sie lagen ganze vier Wochen lang im Koma.“
Ich schluckte schwer. Wow, also das hatte ich jetzt echt nicht gedacht. Vier Wochen im Koma!

„Es hätte viel problematischer enden können. Als wir Sie gefunden haben, waren Sie bereits ohnmächtig und hatten viele Wunden und auch einige Brüche. Später während der OP, sind sie einmal aufgewacht, aber durch die starke Narkose, verloren Sie wieder ihr Bewusstsein. Dadurch, dass Sie schon mal aufgewacht waren, haben wir auch erwartet, dass sie am Tag nach dem OP wieder anprechbar sein würden. Aber Sie sind nicht aufgewacht und schliesslich erkannten wir, dass Sie im Koma lagen. Es war wirklich seltsam und sofort mussten wir Sie behandeln. Wir befürchteten schwere Gehirnschädigungen und konnten nicht sicher sein, ob Sie wieder Wohl auf werden. Daher müssen wir jetzt, wo Sie wieder aufgewacht sind, einige Tests durchführen und Sie gründlich untersuchen. Sie werden wahrscheinlich auch viele Schmerzen haben, da die Brüche und Wunden nicht ganz verheilt sind.“
Jetzt wo er es sagte, meldeten sich die Schmerzen mit voller Wucht und hauten mich wortwörtlich auf die Liege. Sofort eilte Kate neben mich und hielt meine Hand fest in ihre. Das gab mir soviel Wärme und Kraft, dass ich mich beruhigte und dankbar sie ansah. Ihre Hand schickte Wärmestrahlen durch meinen Körper und langsam erschienen mir die Schmerzen weniger. Diese Frau bewirkte wahre Wunder bei mir. Mehr als die beste Medizin es konnte.

 

Die Ärzte führten mich schliesslich fort von ihr und führten verschiedene Tests bei mir durch. Auch das CT überstand ich ohne Probleme. Die Ärzte sprachen untereinander wirr, aber diese Fachsprache verstand ich dann doch nicht und hörte deshalb auf, mir überhaupt die Mühe zu geben etwas zu verstehen. Kate musste während allem zurück in meinem Zimmer bleiben und das schmerzte mir so sehr. Nicht nur seelisch gemeint, sondern auch körperlich. Denn seit dem Moment, in der sie meine Hand losgelassen hatte, waren die Schmerzen wieder stärker geworden. Ich hatte gar nicht gewusst, dass ich so schwer verunfallt war. Mir tat der ganze Körper weh. Sie hätten mir wenigstens etwas gegen die Schmerzen geben können. Und langsam bekam ich auch noch Kopfschmerzen. Aber der Schock sass schon noch ziemlich tief. Immerhin war ich einen ganzen Monat im Koma gelegen. Wie konnte das eigentlich möglich sein? Ich fühlte mich nicht gerade wirklich super fit, aber ganz so schlapp und scheisse fühlte ich mich jetzt auch nicht. Mental war ich vollkommen in Ordnung. Und körperlich konnte ich nur über die Schmerzen klagen. Obwohl die Trägheit war ja da auch noch. Das lange Herumliegen, ohne jegliche Bewegung, würde jedenfalls erklären weshalb meine Arme so schwer zu heben waren. Ich konnte nur hoffen, schnellst möglich wieder fit zu sein. Ich wollte doch nicht die ganze Zeit so krüppelhaft herum liegen.

Später besannen sich die Ärzte wieder, dass ich hier mitten im Flur da lag und schoben mich zurück in mein Zimmer. Sie verschwanden, nachdem Sie einige Werte aufgeschrieben haben und mich wieder an das EKG angebunden hatten. Die Infusion verräumten sie und irgendwie wunderte es mich schon ein wenig. Immerhin durfte ich somit wieder feste Mahlzeiten zu mich nehmen, auch wenn es mit dem Hand-Heben etwas schwierig werden könnte. Sobald wir alleine waren, wollte ich Kate nur noch bitten, da weiter zu machen, wo wir aufgehört haben. Doch schon wieder wurde mir ein Strich durch die Rechnung gemacht. Denn meine ganze Familie und auch Kates Familie kamen in das Zimmer hereinspaziert. Kate musste ihnen mitgeteilt haben, dass ich wieder wach war. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen und konnte sie mit Mühe gerade noch zurückhalten. Und dann durfte ich das typische Es-geht-dir-wieder-gut-Gerede anhören. Ich meine schon klar, ich habe Ihnen einen grossen Schock verabreicht, als ich zuerst einen Unfall baute und danach einfach mal so für vier Wochen mich verabschiedete und im Koma lag. Aber im Moment wollte ich einfach nichts lieber als alleine mit Kate zu sein. Aber der liebe Gott hatte wohl ganz andere Dinge geplant. Der Teufel hatte auch seinen Spass als er auch noch die Clique und sogar Dwain zu mir schickte. Diese schauten auch für eine Weile bei mir vorbei, verabschiedeten sich aber relativ schnell. Nur Dwain blieb etwas länger und wünschte mir dann auch gute Besserung, bevor er verschwand. Meine Familie und Kates Familie blieb bis die Visitenzeit um war und nahmen Kate auch noch mit. Sie versprach mir morgen sofort zu kommen, sobald sie konnte und auch durfte. Mum hat dann doch angefangen zu weinen und Dad hat sie dann hinausbegleitet und beruhigt. Unter Tränen verliess sie nun das Zimmer. Die Schmerzen einer Mutter, die das Kind verloren zu haben glaubt, konnte niemand genauso spüren und deshalb tat es mir auch umso mehr Leid, obwohl ich nicht einmal wirklich Schuld daran war. Dass ich zu schnell gefahren war, konnte ich nicht bestreiten. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass ich bei der Kreuzung bei grün durchgefahren war. Doch alle Gedanken waren wie weggeblasen, als Kate ein letztes Mal für den Tag an mein Bett kam und meine Hand in ihre nahm.

„Gute Nacht Jason, und jage mir nie wieder einen solchen Schrecken ein!“, flüsterte sie und schenkte mir ein umwerfendes Lächeln. Langsam beugte sie nach vorne und küsste mich auf die Stirn. Sofort beschleunigte sich mein Puls und mir wurde wieder heiss und kalt. Ihre andere Hand strich sanft über meine Wange und erzeugte eine Gänsehaut. Unsere verschlossenen Hände legte sie auf meiner Brust, doch leider entlockte es mir einen Schmerzenslaut. „Oh mein Gott! Tut mir Leid Jason.“

„Nein, nein. War mein Fehler. Aber die Ärzte hätten mir wenigstens irgendwelche Schmerzmittel verabreichen können“, antwortete ich. Es war kein Jammern, nur eine genervte Feststellung gewesen. Weil ohne Schmerzen, hätte sie einfach weiter machen können. Heute stand wirklich alles gegen mich. Wirklich alles. Erst das EKG, dann die Schwester, dann die ganzen Ärzte und als ich dachte endlich mit ihr allein zu sein, müssen natürlich alle Besucher von Familie bis Freunde kommen. Zum Schluss, als ich endlich einen Kuss von ihr erhalte, müssen sich die Schmerzen wieder melden. Ernsthaft, was habe ich nur getan?!

„Du bist doch so ein starker Junge. Du brauchst doch keine Schmerzmittel. Und vielleicht hilft ja das, die Schmerzen zu lindern.“ Damit beugte sie sich erneut zu mir und gab mir einen so leidenschaftlichen Kuss, dass ich einfach alles, wirklich alles drumherum vergass. Sie beendete den Kuss viel zu schnell und mit geschlossenen Augen wollte ich folgen. Doch ihre Hand drückte mich sanft wieder aufs Bett.

„Ruh dich aus. Du brauchst den Schlaf. Gute Nacht Jason.“

„Dir auch gute Nacht und danke“, konnte ich ein Gähnen unterdrückend hervorbringen. Dass ich trotz allem Herumliegen so müde geworden war, hatte ich gar nicht gemerkt. Mit einem Lächeln verliess sie schliesslich das Zimmer und schaltete dabei das Licht aus. Als sie die Tür schloss, hatte ich die Ruhe, die ich eigentlich wollte. Aber ich konnte sie nicht mehr mit ihr geniessen, da sie einfach gegangen war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass man mich noch einmal untersuchen wollte und so legte ich mich auf die Seite und versuchte einzuschlafen. Versuchte zumindest in einen Traum mit Kate alleine zu sein.

Kapitel 21

Mit schlimmen Kopfschmerzen wachte ich auf. In meinem Kopf herrschte ein solcher Nebel. Was zum Teufel ist denn geschehen? Hatte ich gestern vielleicht wiedermal zu viel getrunken? Hat gestern überhaupt eine Party stattgefunden? Und in wessen Zimmer war ich denn gelandet, sogar ohne Begleitung? Nur langsam kamen mir die ganzen Erinnerungen wieder hoch. Der Unfall, das Krankenhaus und der ganze gestrige Tag. Aber im Gegensatz zu gestern fühlte ich mich absolut nicht auf der Höhe. Im Gegenteil. Alles schmerzte und am liebsten wünschte ich mir wieder einzuschlafen. Solche Kopfschmerzen hatte ich meiner Meinung nach noch nie gehabt. Die Schwestern wollten mich auch noch erblinden lassen, einfach nur, indem sie die Vorhänge offen gelassen hatten. Ernsthaft, hatten die überhaupt eine Ausbildung als Krankenschwester gemacht? Wussten sie nicht, wie man Patienten behandelte? Man sollte fürsorglich sein und nicht so brutal mit einem umgehen.

 

Kate kam wie versprochen. Keine Ahnung welche Zeit es war, da keine Uhr im Zimmer hing. Ausserdem lag ich ja in dem schrecklichen Krankenhausgewand und wusste nicht einmal wo meine Kleidung lag, in der ich mein Handy hatte. Aber eine Schwester war sogar vor Kate hineingekommen und hatte mir einen Tablet auf dem Tisch vorgesetzt. Darauf war ein spärliches Essen und eine Tablette zu finden gewesen. Ich konnte nicht einmal eine Hand heben und sollte das ganze Zeug essen können? Hatten die Vertrauen in mir.
Nun, wie besagt kam Kate und diesmal sogar allein. Doch entgegen jegliche Vermutung, wollte ich jetzt gerade nicht alleine mit ihr sein. Keine Ahnung was gestern mit mir los war. Aber ich verstand den Drang mit ihr alleine zu sein jetzt gerade absolut nicht mehr. Immerhin hatte sie mich abgewiesen, meinen Antrag abgelehnt. Und jetzt gerade lag ich so hilflos da und konnte nicht mal wegrennen, falls sie jetzt wieder das Thema ansprach. Ich konnte unmöglich vor ihr zusammenbrechen und ihre Mitleidstour wollte ich auch nicht haben. Ausserdem war ich nicht einmal vollständig regeneriert. In meinem Kopf herrschte ein einziges Chaos.
Freundlich lächelnd begrüsste sie mich und setzte sich wieder auf den gleichen Stuhl wie gestern. Sie wollte wohl etwas sagen, aber als sie das Tablet auf dem Tischchen sah, stockte sie unwillkürlich.

„Ähm Jason.. Willst du nicht etwas essen? Immerhin lagst du solange im Koma und hast sicher Hunger?“, fragte sie verwirrt. Es war mir schon ein wenig peinlich zuzugeben, dass ich nicht mal essen konnte. Deshalb musste ich beschämt meinen Blick senken. Mit erröteten Wangen nuschelte ich schliesslich die Wahrheit.

„Es tut mir Leid, Jason. Aber ich habe dich leider nicht verstanden.“

„Ich kann meine Arme nicht heben“, meinte ich etwas lauter, aber immer noch nicht besser fühlend.

„Ach, ist doch nicht schlimm. Ich habe kaum etwas anderes erwartet. Also wie wäre es, wenn ich dich jetzt füttere und gleichzeitig erzähle, was geschehen ist? Ist das ein guter Deal? Ja?“, fragte sie lächelnd.
Verblüfft über ihr Vorschlag konnte ich nur nicken. Sie nahm den Joghurt und den Löffel in die Hand und fütterte mich langsam. Irgendwie kam ich mir wie ein kleines Kind vor. Es fehlte nur noch, dass ich herum motzte, dass ich Straciatella Joghurt nicht mag. Aber das machte ich natürlich nicht, sondern schluckte brav die Bissen herunter. Für eine Weile blieb es still und nur das Ausleeren des Bechers hörte man. Als der Joghurt aber fast schon leer war, fing dann Kate an zu reden.

„Weisst du, nachdem ich gegangen war, bin ich dann noch mal zurück gekehrt. Also zum See. Aber du warst gar nicht mehr da. Na ja, ich war voll in Gedanken und konnte es einfach nicht glauben, was alles geschehen war. Deshalb bin ich einfach gelaufen. Ich hatte überhaupt keine Ahnung mehr wohin ich gelaufen bin. Jedenfalls kam ich nach einer Weile halt an der Kreuzung an. Und da waren soviele Leute, dort am Anfang des Hanges. Ein Krankenwagen kam auch schon angerast. Na ja, ich war halt auch neugierig zu erfahren, was geschehen war. Also bin ich da hingegangen. Viel konnte man eigentlich auch nicht sehen. Ein Auto war tief den Hang hinab gefahren und war schliesslich gegen einen Baum kollidiert. Der Fahrer musste schwer verletzt gewesen sein, hiess es. Schnell waren die Notärzte mit einer Trage hinab geeilt und haben den Fahrer herausgeholt. Bis dahin habe ich immer noch nicht viel gedacht. Doch plötzlich bemerkte ich dunkle Haare und die gleichen Körperstrukturen, wie eines Bekannten. Im ersten Schock wusste ich einfach nicht, wer da genau lag. Aber.. aber.. dann habe ich unter dem ganzen Blut dich erkannt... und... habe schockiert deinen Namen geschrien.“
Sie fing an still zu weinen und ich konnte mir nicht im Mindesten vorstellen, was sie da gesehen hatte. Schluchzend erzählte sie weiter.

„Sofort haben mich zwei Ärzte gefragt, ob ich dich kannte und nahmen mich mit in das Krankenhaus. Die ganze Zeit versuchten sie aus mir etwas heraus zu bekommen, aber meine Sorge um dich war grösser, sodass ich ihnen gar nicht zugehört habe. Ich habe angefleht, und gebetet, dass du nicht stirbst, dass du mich jetzt nicht einfach alleine lässt. Du warst voller Blut und warst nich bei Bewusstsein. Trotz dem ganzen Schreien von mir, hast du einfach nicht die Augen geöffnet. Ich hatte solche Angst um dich.“
Für eine Weile hörte man nur ihr Schluchzen und schnell wischte sie sich mit dem Ärmel übers Gesicht.

„Im Spital haben sie dich in den OP gebracht und ich musste draussen warten. Nach einer Stunde haben sie dich auf die Intensivstation verlegt. Ich war die ganze Zeit bei dir und habe gehofft, dass du aufwachst. Doch du schliefst einfach weiter und ich musste schliesslich nach Hause gehen. Natürlich habe ich dann auch deine Familie, sowie meine informiert und das Personal hat den Rest mit deiner Familie geklärt.
Jeden Tag verbrachte ich seither hier und inzwischen kennen mich die Leute hier schon. Die Schule habe ich oftmals geschwänzt, jedenfalls psychisch. Physisch war ich dort anwesend gewesen, aber meine Gedanken galten nur dir, und der Hoffnung, dass du schon bald wieder aufstehst. Und dann, gestern, nach fast einem ganzen Monat, bist du endlich aufgewacht und ich konnte es fast nicht glauben. Deshalb war ich anfangs so schockiert. Mich wunderte es zwar, dass du so fit warst, aber letztendlich spielt es ja keine Rolle. Hauptsache du bist wach.“
Unter stillen Tränen lächelte sie, es war ein ehrliches Lächeln. Mein Essenstablet war leer und auch die Tablette hatte ich mit Wasser geschluckt. Die Kopfschmerzen verschwanden langsam, dafür meldete sich die Trägheit wieder.

„Ich bin auch froh, dass ich wieder wach bin. Was das Munter-Sein betrifft... ich habe keine Ahnung, was gestern los war. Aber ich kann dir versichern, heute ist es ganz bestimmt nicht der Fall. Mein Kopf pocht um die Wette mit meinem Herzen, mein ganzer Körper schmerzt, als wäre eine Walze über mich hinweggefahren und ich kann, wie gesagt, nicht mal meine Arme heben.“ Schwach lächelnd demonstrierte ich das Arme-Heben.

„Ach komm, in einige Tagen ist alles wieder in bester Ordnung. Wenn es jemand schafft, dann sicherlich du.“ Dieser Satz liess mich unwillkürlich lächeln, da dies mein Standardsatz gewesen war, wenn ich sie aufmuntern wollte. Sie hatte wohl den gleichen Gedanken und lächelte verschmitzt. Eine Stille legte sich über uns und ich musste etwas anderes sagen, bevor sie das Thema ansprach.

„Weiss man denn, wer der andere Fahrer war? Ich dachte, ich wäre bei grün gefahren, aber dann kam das Auto und hatte mich eben gerammt!“

„Nein, der andere sei Fahrerflucht begangen, hiess es in den Berichten. Ja, deswegen wollte die Polizei auch noch vorbei kommen, sobald du aufgewacht bist. Also in den nächsten Tagen könnte die Polizei hier auftauchen. Erschrick dich dann nicht“, warnte sie mich vor.
Wieder senkte sich die peinliche Stille über uns. Konnte nicht jetzt meine Familie oder irgendjemand herein spazieren? Ich wollte über dieses Thema einfach nicht diskutieren. Sie würde mir nur erneut das Herz zerbrechen und trotz all den Knochenbrüchen, würde dieser Bruch mich endgütlig zerstören und wieder ins Koma schicken. Nur mit dem Unterschied, dass ich nie mehr wieder aufstehen würde.

„Wie viel Uhr ist es denn?“, unterbrach ich die Stille mit einer rettenden Frage.

„Es ist... kurz nach viertel vor vier. Du weisst ja, heute haben wir früher Schulaus. Da bin ich direkt von der Schule hierher gefahren. Die anderen wollen auch noch kommen, aber sind zuerst noch nach Hause gegangen. Wir haben dich alle schrecklich vermisst. Und du bist ja in der Schule auch so bekannt, sodass alle dir Blumen und Geschenke gebracht haben. Die Nachricht über deinen Unfall war so schnell in der Schule verbreitet gewesen, dass es auch etliche Gerüchte gegeben hatte. Einige waren sogar so dreist zu behaupten, du wärst betrunken gewesen oder hättest aus privatlichen Gründen Suizid begehen wollen! Alles solche Idioten!“
Kate regte sich extrem auf und lief in ihrer Wut auf und ab. Aber ich musste gestehen, dass die Gerüchte gar nicht so weit hergeholt schienen. Ich war zwar nicht betrunken, aber bestimmt hatte ich über das Leben und den Tod nachgedacht. Nach der Abservierung eben. Aber ich umging das Thema einfach und fragte, ob meine Familie wieder kommen wollte.

„Natürlich! Deine Mutter hatte alle Termine für heute abgesagt, nur um zu dir zu kommen. Ich weiss gar nicht wo sie hin ist.“ Suchend blickte sie sich um und schaute zur Tür hinüber. Nur war diese geschlossen, sodass man nicht wirklich hinaussah.

„Hmm.. Jason, es gibt da etwas, was wir vielleicht besprechen sollten“, begann sie das Gespräch und am liebsten wollte ich einfach nur wie ein Kleinkind die Ohren zuhalten und laut lalalala singen. Schreiend weglaufen wäre die nächste Option gewesen. Nur keines von beiden könnte ich tatsächlich ausführen, da ich ans Krankenbett gefesselt war, also nur metaphorisch gesehen natürlich.

„Weisst du, als wir damals das Date hatten und all die schönen Dinge gemacht haben, war ich wirklich der glücklichste Mensch auf Erden. Es war schön gewesen, mit dir Zeit zu verbringen, in Zweisamkeit. Ich meine trotz all dem was geschehen war, liebst du mich und ich dich auch.
Aber als du den Antrag gemacht hast, war ich einfach zu überfordert, verstehst du? Ich meine, ich liebe dich, versteh das nicht falsch. Aber an dem Tag war ich einfach mit allen überfordert. Der Gedächtnisverlust, die Briefe, mein Vater..“

„Was für Briefe?“, unterbrach ich sie zornig. Erhielt sie jetzt tatsächlich Liebesbriefe von anderen?! Und was ihren Vater betraf...

„Das spielt jetzt keine Rolle, Jason. Was ich sagen möchte, ist nur, die Entscheidung damals tut mir unendlich Leid. Aber als ich dich dann dort auf der Krankenliege sah, als du halb am sterben warst, wusste ich, ich konnte dich nicht gehen lassen. Vier ganze Wochen habe ich auf dich gewartet, gewartet dass du wieder aufwachst. Mein ganzes Dasein galt plötzlich nur noch dir. Ich konnte dich nicht einfach sterben lassen, gerade dann, als ich mir die Liebe zu dir eingestanden hatte. Also so richtig. Mein Leben drehte sich für diese Zeit nur um dich. Nichts anderes war mir wichtig.  Und deshalb bin ich zu der Entscheidung gekommen, dass ich meine Meinung ändern werde. Also, ja. Ja, Jason. Ich möchte dich heiraten. Unter einer Bedingung!“

„Alles was du willst, Kate!“, erwiderte ich vollkommen glücklich.  

„Die Hochzeit wird erst stattfindet, wenn du wieder gesund bist und wir die Schule beendet haben.“ Ich konnte nur heftig nicken. Ich war völlig baff. Kate wollte mich tatsächlich heiraten. Ein so breites Grinsen stahl sich in mein Gesicht, dass es einem Angst machen könnte. Kate wollte wirklich heiraten. Mich. Nach allem was geschehen war. Und jeder andere Gedanke verschwand, als sie dann zu mir kam, mein Gesicht mit ihren Händen umfing und mich um den Verstand küsste. Ich wollte sie berühren, besitzen, doch zu nichts war ich gerade fähig. Ich konnte sie nicht einmal näher an mich ziehen. Aber es war gar nicht mehr nötig. Wie als hätte sie meine Gedanken gelesen, beugte sie sich noch mehr zu mir und sass jetzt bereits auf meinem Bett. Und was ihre Zunge alles anstellte. Davon will ich gar nicht erst anfangen. Mein Puls raste, als wäre ich um die Wette mit Usain Bolt gesprungen. Und diesmal konnten wir beide sogar das laute Piepen des EKGs ignorieren. Mit der Hand fuhr sie langsam meine Brust hinab und schickte so Schauer durch meinen Körper. Das Krankenhausgewand war so dünn und leicht, dass es einfach mitgezogen wurde, sodass ihre Hand auf meinen nackten Oberkörper lag. Oh Scheisse! Da unten fing sich bei mir auch etwas an zu regen und ich konnte es nicht einmal wirklich verdecken. Ausser Atem gingen wir auseinander und nur das Piepen übertönte unser heftiges Atmen. Zum Glück bemerkte sie meinen Freund da unten nicht und beachtete nichts ausser mein Gesicht. Ihre Augen blickten in meine Seele und unwillkürlich fragte ich mich, ob sie damals wirklich meinen Herzbruch gesehen hatte und trotzdem noch darauf herum getrampelt war, oder ob ich mir das nur eingebildet hatte. Unser Blickkontakt wurde unterbrochen, als die Zimmertür aufging und wir beide hinüber blickten. Die Schwester kam herein und hinter ihr sah ich meine Eltern hereilen. Meine Mutter strahlte übers ganze Gesicht und rammte beinahe die Schwester um. Diese schaute ihr verdutzt hinterher, doch meiner Mutter kümmerte es nicht ein bisschen.

„Jason, du bist wach!“
Ich brachte ein mildes Lächeln zustande. Sie umarmte mich, zu meinem Glück nicht eine solche knochenbrechende Umarmung. Gebrochene Knochen hatte ich schon genug.

„Und, wie geht’s dir mein Sohn?“, fragte mich mein Vater. Mum liess von mir ab und schaute mich abwartend an.

„Wunderbar, abgesehen von den wenigen Schmerzen, die die Brüche hervorrufen. Aber momentan geht es mir echt grossartig.“
Mein breites Grinsen verschwand nicht und nun schauten mich meine Eltern eher misstrauisch an. Als mein Grinsen aber immer noch nicht erstarb, wendete sich meine Mutter Kate zu.

„Okay, was ist los? Hatte er zuviele Schmerzmittel erhalten?“
Wow, meine Mutter wusste ja scheinbar so richtig, wie ich tickte. Ich dachte immer, meine Eltern kannten mich nicht so gut, da sie ständig unterwegs waren und kaum Zeit für ihre Kinder hätten. Wie man sich täuschen konnte.

„Nein, nein, mit ihm ist alles in bester Ordnung“, versicherte Kate meiner Mutter meinen Gesundheitszustand. Sie blickte zu mir herüber und überlegte sich noch, ob sie uns glauben sollte. Kate indessen fragte mich auf stiller Weise, ob sie es denn ihnen sagen sollte. Doch solange konnte ich nicht einmal warten.

„Wir werden heiraten!“, platzte es aus mir heraus. Das irre Grinsen liess sich wieder blicken und mein Herz polterte heftig in meinem Brustkorb. Ich war so aufgeregt und alles prickelte gerade in meinem Körper. Meine Eltern schauten mich zuerst schokiert an und danach hinüber zu Kate. Kate errötete leicht und senkte verlegen ihr Blick. Dann besann sie sich und hob schnell ihren Kopf hoch.

„Wir werden aber erst heiraten, wenn wir die Schule beendet haben und nachdem Jason wieder völlig gesund ist.“
Aber meine Eltern blickten mich immernoch schockiert an. Ob sie wohl damit nicht einverstanden wären? Aber das würde mich sowieso nicht kümmern. Schliesslich war es mein Leben und da hatten sie nicht rein zu pfuschen. Vor allem nicht, wenn es um mich und Kate ging. Aber es erwies sich als nur ein anfänglicher Schock. Denn nach einigen Sekunden breitete meine Mutter erfreut ihre Arme aus und umarmte zuerst Kate und danach mich.

„Herzlichen Glückwunsch ihr beiden. Wann habt ihr denn das entschieden?“

„Eigentlich erst heute. Nur den Antrag hat er mir schon vor einem Monat gemacht“, antwortete Kate für mich. Ich war echt froh, denn ich hätte nicht gewusst was antworten.

„Du hast einen Ring gekauft, ihr einen Antrag gemacht und hast nichts davon uns verraten?“, fragte mein Vater nun nach. Gerade als ich meinen Mund öffnete, um ihm zu antworten, unterbrach er mich auch schon.

„Nein, weisst du was, ich will es lieber nicht wissen.“ Keine Ahnung was er damit meinte, aber mir konnte es nur recht sein.
Später kamen auch meine Freunde, aber die Sache mit der Hochzeit wurde nicht erwähnt. Irgendwie brauchten wir wahrscheinlich erst einmal Zeit für uns, bevor wir allen die Nachricht mitteilen konnten. Sie erzählten mir, was gerade in der Schule so lief und brachten mich auf den neuesten Stand. Alle verabschiedeten sich auch recht früh, sodass meine Familie und Kate noch übrig blieben. Aber zu meiner Überraschung wollten auch meine Eltern bald gehen.

„Ihr habt sicher eine Menge zu bereden. Da möchten wir euch lieber nicht stören“, meinte meine Mutter sanft. Mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedete sie sich von mir und Kate erhielt eine Umarmung. Danach waren auch sie beide weg und Kate und ich waren alleine. Bis die Visitenzeit um war, würden noch einige Stunden dauern und diesmal freute ich mich über diese Zeit. Eine Schwester brachte mein Abendessen vorbei und wieder fütterte mich Kate. Auch sie berichtete mir eine Zeit lang von verpassten Ereignissen und stellte schliesslich das Essenstablet weg.

„Aber jetzt genug von den Ereignissen und den anderen Sachen.“ Stürmisch überfiel sie mich und küsste mich wiedermal um den Verstand. Ihre Hände durchwühlten meine Haare und zogen mich nah an sie. Das Blut schoss mir in andere Regionen und ich konnte nur hoffen, dass sie das nicht bemerkte. Ich war verrückt nach ihr und konnte einfach nicht genug kriegen. Ihre Hände blieben nich lange untätig in meinen Haaren stecken. Bald schon hatte Kate sie auf Wanderschaft geschickt und ihre Lippen strichen über mein Gesicht hinweg. Jede noch so kleine Schramme küsste sie und nahm mir damit jeglichen Schmerz weg. Ihre Hände glitten über meine Brustnarbe und ein Schauer durchzuckte mich, als ihre kühlen Finger über die warme Haut strichen. Meinem Freund da unten, half das nicht im Mindesten. Mit ihren Küssen untersuchte sie mich auf die schönste Art und Weise und erlegen lag ich da und genoss die „Behandlung“. Als unsere Lippen sich wieder fanden, drückte sie mir einen langen Kuss und entfernte sich letzlich von mir. Mit einem Blick auf die Uhr, bemerkte sie, dass die Visitenzeit jetzt dann um sein würde und verabschiedete sich von mir. Mit einem seeligen Lächeln glitt auch ich ins Land der Träume.

Kapitel 22

Kate P.o.V

Seit einigen Tagen besuchte ich nun schon Jason und es ging ihm zusehends besser. Seine Bewegungen wurden kräftiger und stärker und mit ein wenig Hilfe konnte er sogar selbst essen. Laufen konnte er noch nicht, aber auch dafür wurde mit Therapie ein wenig nachgeholfen. Täglich ging ich nun mit ihm durch das Krankenhauspark spazieren und obwohl seine Schritte anfangs recht zittrig waren, konnte man seine Fortschritte wirklich erkennen. Da er früher schon ins Fitness ging und dort regelmässig trainierte, dauerte es weniger lang, als wir alle gedacht haben. Ich konnte mich nun auch in der Schule etwas besser konzentrieren und Jason war wiedermal das heissgeliebte Thema allerseits. Ich freute mich immer ihn besuchen gehen zu können, aber etwas hat sich verändert.
Seit dem Tag, an dem ich zugestimmt habe ihn zu heiraten, grinste er ständig vor sich hin. Nicht einmal seine Schmerzen schienen ihn abzulenken. Geschweige denn jemand anderes. Sobald ich den Raum betrat, hatte er nur noch Augen für mich. Eigentlich sollte das jeden freuen. Aber langsam wurde es schon etwas merkwürdig. Immerhin starrte er mich manchmal regelrecht an und jedesmal, wenn ich mich umdrehte, grinste er wie verrückt. Ich freute mich ja auch auf unsere Hochzeit und allem. Aber sosehr, dass ich ständig grinsen musste, nun auch wieder nicht. Manchmal war es mir sogar so unheimlich, dass ich mich abwenden musste. Ständig versuchte er meine Hand zu halten, in meiner Nähe zu sein oder anderwegs mich anzunähern. Ich wusste auch nicht so recht, was los war und sprach ihn darauf auch nicht an. Ich nahm es einfach hin und lebte weiter. Aber nicht nur unsere Beziehung hatte sich verändert. Seit dem Unfall von Jason fühlte ich mich irgendwie beobachtet. Natürlich klang das etwas paranoid, aber ich hatte wirklich das Gefühl von jemandem verfolgt zu werden. Vielleicht konnte es auch daran liegen, dass ich stets mit Jason unterwegs war, und nun fühlte ich mich alleine, sodass ich schon Wahnvorstellungen hatte. Wow, wie abhängig ich von unserer Beziehung geworden bin, habe ich gar nicht gemerkt. Aber war das wirklich so wichtig?

Da meine Mutter nichts über das Verschwinden meines Vaters berichten wollte, nahm ich es selbst in die Hand und suchte meinen Vater. Oder wollte es zumindest. Doch mit einem nicht vorhandenen Gedächtnis erwies sich das ganze als etwas schwieriger als anfangs gedacht. Um das Verschwinden meines Vaters erklären zu können, müsste ich wahrscheinlich erst einmal mein Gedächtnisverlust erklären können. Und das hat definitiv am Maskenball angefangen. Denn dort war ich ohne Gedächtnis mitten unter Leuten aufgewacht. Irgendetwas muss damals geschehen sein, dass ich nicht nur ohnmächtig wurde, sondern auch mein Gedächtnis verloren hatte. Konnte es sein, dass ich meinen Kopf irgendwo heftig angeschlagen hatte? Aber dann hätte ich das sicherlich gemerkt und eine Beule wäre auch zurückgeblieben. Aber nichts dergleichen war geschehen. Nur, was könnte es sonst gewesen sein?

All diese Gedanken brachten mich aber auch nicht weiter. Ich musste handeln oder einfach alles vergessen. Nun das erste ging schlecht, wenn ich absolut keine Anhaltspunkte hatte. Also versuchte ich es einfach zu vergessen und ein ganz normales Leben zu führen. Es war leicht gesagt, nur bestand die Schwierigkeit es umzusetzen. Ständig musste ich an meinen Vater denken und alle möglichen Szenarien stellte ich mir vor.

Neben dem Verschwinden, den Briefchen, der mysteriösen Stimme und nun auch noch der Hochzeit war es wirklich schwierig mich auf die Schule zu konzentrieren.  Dementsprechend sanken auch meine Leistungen, und auch einige Lehrer sprachen mich darauf an. Heute war wieder ein solcher Tag und diesmal war wohl Frau Tanner an der Reihe.

„Kate, können Sie kurz noch bleiben?“, hielt sie mich auf, gerade als ich verschwinden wollte. Sie wartete bis alle verschwunden waren, bevor sie anfing zu sprechen.

„In letzter Zeit sind ihre Noten rapide gesunken und es ist grosser Nachholungsbedarf nötig. Kate, ist da vielleicht irgendetwas, das Ihnen am Herzen liegt? Kann ich Ihnen womöglich helfen? Oder verstehen Sie einfach das Fach nicht?“
Mit der Wahrheit konnte ich unmöglich rausrücken. Aber sollten die Lehrer nicht weniger von mir erwarten, da ich ja einen Gedächtnisverlust hatte? Sie mussten ja nicht wissen, dass ich die schulischen Kenntnisse noch hatte. Aber ich meinte ja nur. Eine Antwort war ich jedenfalls schuldig und so erzählte ich das nächst beste, was mir in den Sinn kam.

„Naja, es ist einfach so, dass ich das letzte Thema nicht ganz so verstanden hatte. Und da wir ja darauf aufbauen, komme ich nicht so ganz draus.“
Ich versuchte möglichst ehrlich zu klingen. Langsam wurde das Lügen fast zu einer Gewohnheit. Ich wollte niemanden belasten und behielt meine Probleme lieber für mich. Deshalb log ich die anderen meist an, aber nur auf ihr Wohl achtend. Ob das aber gut ausging?

„Wissen Sie, mein Nachbar kann Ihnen vielleicht sehr hilfreich sein. Er geht in die Universität, aber reist täglich wieder dorthin. Um nebenan noch zu verdienen wäre die Nachhilfe sehr praktisch und auch für Sie wäre es sicher hilfreich. Ich habe ihm letztens nach seiner Nummer und seinem Einverständnis gefragt und er war vollends einverstanden. Also ich gebe Ihnen mal seine Nummer und Sie können ja ihn kontaktieren, falls Sie möchten. Ich empfehle es Ihnen natürlich, aber ich will Sie zu nichts zwingen. Es wäre nur zu Ihrem Besten. Hier haben Sie die Nummer.“
Damit reichte Sie mir einen Zettel auf der mit krakeliger Schrift eine Nummer stand. Das musste der Typ geschrieben haben. Frau Tanner hatte nämlich eine recht schöne Schrift.

„Wie gesagt, es kann Ihnen nur helfen und ich möchte Sie zu nichts zwingen.“
Na, klar. Alle Lehrer meinten es doch gleich. Sie beteuerten so sehr auf etwas und sagen dann, es wäre nur gut gemeinter Rat. Sie möchten niemanden zu nichts zwingen. Aber falls man es nicht tat, sind sie auch nicht einverstanden. Also nickte ich freundlich und steckte mir den Zettel ein. Da ich mir ziemlich sicher war, dass sie ihren Nachbarn fragen würde, ob ich angerufen habe, nahm ich mir vor, gleich nach der Schule den Studenten anzurufen. Ich verabschiedete mich von Frau Tanner und ging weiter in die nächste Stunde. Als ich dann in die Cafeteria kam, fragte Sarah, weshalb ich so lange gebraucht hatte. Also erzählte ich ihr was vorgefallen war.

„Die Frau versteht auch nichts. Ich meine, du hast dein Gedächtnis verloren. Sie sollte schon verstehen, dass du nicht so ganz hinterher kommst. Manchmal frage ich mich wirklich, wieso sie Lehrerin geworden ist“, regte sich Sarah auf.
Sie kann von Glück sprechen, dass Frau Tanner nicht gerade vorbeigelaufen war. Sonst hätte Sarah bestimmt eine Predigt erhalten. Der Schultag ging gemächlich vorbei und ich verabschiedete mich von meinen Freunden. Heute hatte ich mich entschieden mal nicht nach Jason zu sehen und ging somit auf direktem Wege nach Hause. Währenddessen rief ich schon mal diesen Nachbarn von Frau Tanner an. Hatte sie eigentlich einen Namen erwähnt? Ich glaube nicht. Es tutete einige Male bevor abgenommen wurde und eine tiefe Stimme erklang am Hörer.

„Hallo?“

„Ja, hallo. Ehm, mein Name ist Kate und Frau Tanner hat mir gesagt, ich sollte dich vielleicht anrufen wegen der Nachhilfe“, sprach ich zögernd. Da er laut Frau Tanner die Uni besuchte, duzte ich ihn einfach mal.

„Ah, Kate. Genau. Ich bin Kevin. Nun Frau Tanner sagte, du bräuchtest Nachhilfe in Chemie?“

„Ja. Momentan verstehe ich einfach nichts. Wann würde es dir denn passen?“, kam ich direkt zum Punkt.

„Nun, ich bin momentan in der Uni. Um sieben Uhr bin ich jeweils zuhause. Also wenn du willst können wir danach noch eine Stunde uns treffen.“

„An welchem Tag wäre das denn?“, fragte ich noch nach.

„Mir würde es Mittwoch am besten gehen. Geht das in Ordnung für dich?“

„Natürlich. Vielen Dank. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend. Bye“

„Danke dir auch, Kate. Bye“, verabschiedete er sich. Mit einem Seufzer liess ich mein Handy in meine Tasche gleiten. Kevin. Irgendwie kam mir der Name bekannt vor. Nur wusste ich nicht mehr so recht woher.

 

So kam es, dass am Mittwochabend jemand an unsere Haustür klingelte. Es musste Kevin sein. Ich habe ihm meine Adresse geschrieben, damit er auch das Haus fand. Mit einem freundlichen Lächeln öffnete ich die Türe und auch mein Gegenüber blickte auf und beide blieben wir überrascht stumm stehen.

„Hey Kevin. Man, jetzt weiss ich auch, woher mir der Name und die Stimme so bekannt kam.“
Ich umarmte ihn zur Begrüssung und liess ihn herein.

„Hey Kate. Ja, ich habe auch nicht gewusst, dass du die Kate bist.“
Lachend folgte er mir nach oben in mein Zimmer.

„Ist die Uni so streng oder weshalb seh ich euch denn nicht mehr Fussball spielen?“ Kevin seufzte auf und betrat nun mein Zimmer.

„Ja, momentan ist die Lernphase angesagt, da wir in zwei Monaten die grosse Prüfung schreiben müssen. Danach haben wir wieder etwas Ruhe. Aber bis dahin heisst es in Lesungen sitzen, den Professoren zuhören und sich anstrengen, dabei nicht einzuschlafen.“ Ein Lächeln huschte über seine Lippen und auch ich musste schmunzeln.

„So, kommen wir aber zum Punkt. Also was genau bereitet dir Schwierigkeiten in Chemie?“

„Alles!“, meinte ich leicht verzweifelt.

„Ach komm, so schlimm kann es nicht sein. Also was macht ihr gerade in der Schule und wo hast du dabei Probleme?“

„Nun, wir haben gerade die Reaktionsgleichung und müssen die Energie berechnen können und ich weiss nicht einmal was eine Reaktionsgleichung ist.“ Verzweifelt seufzte ich auf. 

"Also eigentlich ist es ganz einfach." Dann fing er an mir die Dinge zu erklären. Und so lernten wir eine ganze Stunde und Kevin konnte mir einige Dinge wirklich besser erklären als Frau Tanner.

„Du musst nur aufpassen, dass du die Vorzeichen nicht verwechselst beim Rechnen“, ermahnte er mich, als wir die Treppe hinabschritten. In dem Moment kam auch meine Mutter herein und blickte lächelnd Kevin an.

„Hallo Kevin. Wir wollten gerade essen. Willst du auch mit uns essen?“ Ich warf meiner Mutter einen misstrauischen Blick zu. Woher kannten sich die beiden und weshalb fragte sie plötzlich, ob er mit uns essen wollte?

„Hallo Mrs. Blake. Danke, aber leider nein. Ich muss jetzt nach Hause und lernen. Vielleicht ja ein anderes Mal. War aber nett Sie wieder zu treffen.“

„Gleichfalls. Auf Wiedersehen und komm gut nach Hause!“

„Ja, auf Wiedersehen“. Damit verschwand er aus unserem Haus. Meine Mutter drehte sich unschuldig in die Küche und fing an den Tisch zu decken.

„Mum, was war denn das?“, fragte ich sie mit gerunzelter Stirn.

„Was meinst du denn?“, tat sie eine auf Unschuld.

„Woher kennst du Kevin und weshalb lädst du ihn einfach so zum Essen ein?“ Tiefe Falten zierten nun meine Stirn.

„Kate, Kevin und die anderen Jungs kannte ich schon bevor, du mit ihnen Fussball gespielt hast. Und was das Essen anbelangt, ich wollte nur nett sein.“ Damit verschwand sie wieder in die Küche und ging nicht näher auf meine Fragen ein.

„Ruf schon mal Isabella. Sie hatte einen Bärenhunger gehabt.“ Meine Mutter konnte manchmal so verschlossen und sturr sein!

 

Die Nachhilfe zeigte seine Wirkung und ich wurde in der Schule erheblich besser. Auch Jason kam wieder in die Schule und wurde von allen Seiten begrüsst, angelächelt und die Mädchen stritten sich förmlich ihm zu helfen. Dass wir verlobt waren, ignorierten sie alle gefliessentlich. Okay, damit es auch fair blieb, wir haben es gar nicht wirklich öffentlich gemacht und auch den Ring trug ich nicht. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht einmal wo der war. Denn Jason hatte ihn gehabt und danach habe ich ihn auch nicht mehr gesehen. Nun, jedenfalls lief mein Verlobter (wie seltsam das klingt) auf Krücken herum und ich lief jeweils langsam neben ihm her. Es ärgerte ihn sehr, dass er nicht ohne die Krücken und auch nicht schnell laufen konnte. Aber was sein musste, musste halt sein. Wöchentlich musste er zum Arzt und dieser überprüfte dann alles, um auch sicher zu sein, dass nichts falsch zusammen wuchs. Sport durfte er noch nicht machen und hatte dann immer eine Freistunde. In dieser Zeit zeichnete er sehr oft. Dass er darin begabt war, wusste ich ja. Nur sein neustes Motiv wusste ich nicht und meine Neugier brachte mich schier um. Alles fragen und betteln half mir auch nicht. Ich habe es selbst mit Verführung versucht. Doch alles erfolglos.

 

Bald war auch schon wieder eine Party angesagt und Jason tat mir so leid, da er nur mit Krücken herum laufen durfte. Und trotz allem konnte er es nicht lassen mich dahin zu begleiten. So stand er Samstag vor meiner Tür, in einer Jeans und schlichtem weissen T-shirt mit einem karierten Hemd darüber. Ich hatte auch ein weisses Top, darüber ein rotes Jäckchen und schwarze Röhrenjeans angezogen. Meine Haare hatte ich bis auf die vordersten beiden Strähnen offen gelassen. Die Strähnen hatte ich mit einer Klammer hinten festgeklemmt. Was die Schminke betraf, beliess ich es auch schlicht: Ein dünner Lidstrich und ganz wenig Lippenstift. So wirkte es noch relativ natürlich.

„Gehen wir?“, fragte mich Jason.

„Also...Da du ja auf Krücken herum laufen musst, dachte ich, es wäre bestimmt sehr anstrengend zu laufen. Also habe ich..“ Und weiter kam ich nicht, da ich durch ein Auto unterbrochen wurde. Genaues Timing. Denn da stieg Jan aus und kam auf uns zugelaufen.

„Hey Jason, hey Kate. Wollen wir?“, fragte er. Wahrscheinlich hat Jason jetzt verstanden was ich sagen wollte, denn er drehte sich um und ging wortlos auf das Auto zu. War er etwa beleidigt? Er hatte nicht einmal Jan begrüsst, was ich in seinem Namen noch tat. Ich hielt Jason die Tür auf und half ihm einzusteigen. Zu meiner Verwunderung sass Sarah vorne auf dem Beifahrersitz.

„Hey Jason. Hi Kate, Siehst gut aus“, meinte sie freundlich lächelnd.

„Das Kompliment kann ich nur erwidern. Obwohl, nein, du siehst heiss aus. Was hast du denn heute Abend noch vor?“, fragte ich sie mit einem deutlichen Zwinkern. Sie warf mir einen bösen Blick, was ich aber einfach ignorierte. Doch was ich bemerkte, war der Blick von Jan auf meine Äusserung. Um es aber möglichst unauffällig erscheinen zu lassen, liess er das Auto anspringen und fuhr los. Ein Schmunzeln konnte ich nicht verhindern, was Jason mit einem verwirrten Ausdruck quittierte.  
Bald waren wir schon vor der kleine Hütte angekommen. Wir stiegen allesamt aus und Jan verriegelte das Auto. Schon von draussen hörte man die laute Musik und konnte regelrecht den Bass fühlen. Da ich neben Jason herlief, konnte ich beobachten, wie Jans Hand jeweils in Richtung von Sarah zuckte, was diese jedoch nicht zu bemerken schien. Wir betraten die Hütte und es war, als wolle die Partystimmung uns überfallen. Lichter zuckten wild umher, der Bass dröhnte nun so laut, dass man sich gegeneinander anschreien musste, um etwas zu verstehen und Leute johlten herum. Trotz der Krücken versuchte Jason mich an seiner Seite zu ziehen und besitzergreifend legte er einen Arm um meine Taille. Doch so konnte er kaum laufen, also beugte ich mich zu ihm und flüsterte die Worte ins Ohr, welche er hören wollte.

„Jason, ich laufe schon nicht weg und ausserdem bin ich nun mit dir verlobt. Wovor hast du denn Angst? Vertraust du mir etwa nicht?“

„Dir schon, aber den Kerlen hier nicht“, knurrte er. Aber die Hand verschwand von meiner Taille und fand wieder seine Krücke. Wir setzten uns auf einem Sofa hin und ich holte uns Getränke. Ich blieb den Abend über bei Cola. Jason sollte aufgrund seiner Verfassung kein Alkohol trinken, konnte es aber nicht lassen. Irgendwie erhielt er sein Alkohol, auch wenn es kein starker war. Einige andere kamen und gingen, setzten sich aufs Sofa und fingen eine Unterhaltung an. Also wendete ich mich der feiernden Meute zu und beobachtete Sarah, die mit einem Typen eher flirtete als redete. Doch immer wieder wanderte ihr Blick zu jemand anderem und als ich diesen folgte, sah ich Jan am anderen Ende stehen. Dieser hatte auch eine Gesprächspartnerin, schien jedoch recht abwesend zu sein. Sein Blick ruhte nämlich kaum bei dem Mädchen, sondern eher auf Sarah. Diese lachte laut, legte ihre Hand auf den Unterarm vom Gegenüber und schien sich in den Augen von Jan prächtig zu amüsieren. Aber ich erkannte, dass alles nur gespielt war. Jans Finger verkrampften sich in sein Becher und schliesslich ging er einfach davon und liess das arme Mädchen dort stehen. Er verschwand nach draussen und bei Jason entschuldigend, folgte ich ihm. Er brauchte dringend jemand zum Reden und ich glaube, mir könnte er es schon erzählen.

Kaum war ich draussen, hörte ich ihn schon fluchen und auf irgendetwas herum treten. Die Musik hier draussen war schon gedämmter und der fluchenden Stimme folgend gelangte ich zu Jan. Verzweifelt hatte er die Hände über sein Kopf gekreuzt, die Augen geschlossen und einen leidenden Ausdruck. Jetzt sah ich auch die Mülltonne, die er offenbar getreten hatte. Er fuhr sich einmal übers Gesicht, bevor er an einer Wand hinabrutschte und verloren wirkte. Ich setzte mich neben ihm und langsam hob er den Kopf von seiner Knien.

„Kate, was willst du denn hier?“, fragte er und überspielte seine Verzweiflung. Als ich ihn einfach nur schweigend anblickte, verstand er, dass leugnen keinen Zweck mehr hatte.

„Du weisst es, oder?“ Ich nickte nur und deprimiert liess er den Kopf wieder hängen.

„Das ist doch alles Scheisse. Weshalb sieht sie mich einfach nicht? Bin ich so unscheinbar? Was will sie nur von diesem anderen Typen?“, regte er sich auf.

„Jan, im Gegensatz zu dir, hat sie noch nicht verstanden, dass sie dich auch mag. So richtig richtig mag. Sie will nichts von diesem Typen.“

„Ja genau. Und deshalb flirtet sie mit ihm und amüsiert sich wunderbar mit diesem Affen!“ Ein Seufzen konnte ich nicht unterdrücken.

„Jan, sie hat das nur gemacht, um dich eifersüchtig zu machen. Weisst du, wir Mädchen können schon kompliziert sein. Aber hinter jeder Tat hat es eine Überlegung. Sarah überlegt sich nur, ob du es mit ihr ernst meinst oder nur an Sex interessiert wärst. Wie kann man das besser testen, als den Kerl eifersüchtig zu machen.“

„Ich will ja nicht nur Sex mit ihr. Klar ist sie hübsch und so. Aber sie ist auch nett, gutmütig, witzig, hat aber auch Pfiff und natürlich temparamentvoll. Einfach Sarah halt.“
Für einige Sekunden war es still, während ich ihn beobachtete.

„Ich bin wirklich in sie verliebt oder?“, fragte er mich und es war so süss, dass ich mich unweigerlich fragte, weshalb Sarah solange zögerte. Als hätte ich vom Teufel gesprochen, konnte ich hinter der Ecke eine lauschende Gestalt ausmachen. Sie hatte wirklich mitgehört. Jan hat es nicht bemerkt und auch Sarah hat nicht verstanden, dass sie entdeckt worden war.

„Das musst du eigentlich wissen. Aber ich denke du bist wirklich in sie verliebt und Sarah ist auch in dich verliebt. Nur will sie das nicht einsehen.“ Den letzten Teil sagte ich extra ein wenig lauter, damit sie mich auch wirklich verstand.

„Und was soll ich jetzt tun? Ich will nicht, dass unsere Freundschaft deswegen verloren geht.“

„Besteht denn überhaupt eine Freundschaft? Ich meine, seit eurem Kuss herrscht zwischen euch eine seltsame Stimmung..“, warf ich ein. Mit weit aufgerissenen Augen ruckte sein Kopf zu mir.

„Woher weisst du vom Kuss?“ Ein Lächeln konnte ich nicht unterdrücken.

„Eure Reaktion ist genau gleich.“ Darauf wurde er sogar leicht rot, was man wirklich nur selten sah und senkte sein Kopf.

„Es war wirklich nicht schwer herauszufinden, dass ihr euch geküsst habt. Und mit Sarah habe ich darüber auch schon gesprochen.“

„Und was hat sie gesagt?“, nuschelte er kaum hörbar. Es war so niedlich, wie die beiden ihre Liebe zu einander verheimlichen wollten.

„Nun sie fragte mich natürlich, was das zu bedeuten hatte und..“

„Was hast du darauf geantwortet?“, unterbrach mich Jan.

„Nun, dass du sie zum Jahreswechsel geküsst hast, zeigt schon wie viel du für sie empfindest. Ich meine, jeder hätte euch sehen können und trotzdem hast du es riskiert. Und ich hatte schon lange den Verdacht, dass du in sie verschossen bist. Vor allem als du beim Maskenball sie so angeschaut hast.“

„Wie habe ich denn sie an... Warte, der Unfall war doch erst später geschehen und du hast doch dein Gedächtnis verloren. Wie kannst du dich dann an den Maskenball erinnern?“
Oh Mist! Ich habe mich mal richtig verplappert. Aber ich durfte es mir nicht anmerken lassen. Sie sollten alle weiterhin glauben, dass ich mein Gedächtnis zum Teil beim Unfall verloren hatte. Ich brauchte dringend eine Ausrede. Einen Ausweg.

„Also.. Weisst du.. Ich hatte ja nur zum Teil alles vergessen und ältere Ereignisse sind da eher verblassen. Die jüngeren weiss ich noch eher.“ Um von meinem Erklärungsnot abzulenken, wechselte ich das Thema.

„Aber zurück zu deiner Frage. Du hast Sarah so angeschaut, als wolltest du sie am liebsten in deinen Armen halten und alleine mit ihr sein. Alleine mit ihr tanzen, ohne andere Leute um euch herum.“
Jan schien in Gedanken an dem Abend zurückgekehrt zu sein. Seine Augen blickten in die Ferne und ich konnte auch ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkeln sehen. Kurz schaute ich wieder zur Ecke und sah, dass Sarah weg war. Wahrscheinlich war sie schon etwas länger weg. Mit ihr musste ich auch noch reden. Es war ja süss, dass sich beide soviele Gedanken machten, aber langsam sollten sie endlich begreifen, was los war.

„Danke Kate. Aber eine Frage hätte ich noch. Wie fühlst du dich, wenn du Jason siehst? Wie fühlt es sich an, richtig verliebt zu sein?“

„Was fühlst du denn wenn du Sarah siehst? Oder was hast du gefühlt, als du sie geküsst hast?“, stellte ich eine Gegenfrage.

„Naja, wenn ich sie sehe, werde ich immer ganz nervös und wenn sie mich anlächelt beschleunigt sich mein Herzschlag. Und als ich sie damals geküsst habe, kribbelte alles und ich hätte sie am liebsten noch lange so weiter geküsst. Mir war heiss und kalt zugleich und.. Oh gott! Ich klinge ja so richtig schwul!“

„Nein, du klingst nur richtig verliebt. So richtig verschossen", lächelte ich. Er fuhr sich durch seine Haare und legte die Hände wieder auf seine Knie. Sein Gesicht war von verschiedenen Emotionen gezeichnet. Auf der einen Seite konnte ich sehen, dass er verträumt war, auf der anderen Seite sah ich, dass er unglücklich verliebt war.

„Verliebt sein ist Kacke! Wie habt nur Jason und du das so schnell hingekriegt? Ihr scheint echt keine Probleme zu haben!“
Wenn er nur wüsste. Sagen tat ich es aber nicht. So winkte es ich es nur ab und stand langsam auf. Den Dreck von meiner Hose klopfend schaute ich Jan an.

„Willst du nicht wieder hinein kommen? So warm, dass man hier übernachten könnte, ist es nun wirklich nicht.“

„Ja, hast wahrscheinlich recht. Aber ich kann sie einfach nicht mehr mit diesem Typen zusammen sehen.“

„Glaub mir, das wirst du auch nicht mehr. Und sonst, komm einfach zu Jason und mir. Jason langweilt sich bestimmt schon alleine auf dem Sofa“, zwinkerte ich ihm zu.
Jan nahm meine dargebotene Hand an und stand auf. Wir fanden den Weg zurück zum Sofa und unterwegs holten wir uns neue Getränke. Einige Meter vor dem Sofa sah ich Jason mit einem anderen Mädchen unterhalten, dass heftig mit ihm flirtete. Das erkannte ich an ihrem künstlichen Lachen und das Zwirbeln der Haarsträhnen.

„Wie kannst du so ruhig sein? Ich wäre so eifersüchtig, wenn ich Sarah so mit einem anderen Jungen sehen würde und würde ihn wahrscheinlich verprügeln. Wie kannst du dann also bei deinem Freund so ruhig blieben und ihr nicht die Augen auskratzen?“ Verständnislos schaute Jan mich an.

„Jason sollte wissen, bei wem er ist und wenn er es nicht weiss, dann wars das mit uns gewesen. Ausserdem vertraute ich ihn. Immerhin sind wir verlobt.“ Der letzte Satzt rutschte mir einfach so aus und ich stockte, genau wie Jan.

„Verlobt?“, schrie er und just in diesem Moment war die Musik gewechselt worden, sodass jeder Anwesende es gehört hatte. Schnell setzte die Musik wieder ein und die gaffenden Blicke wendeten sich teilweise ab. Um es möglichst unscheinbar wirken zu lassen, wendete ich das Gespräch ein wenig.

„Ja, Nicky Minaj soll verlobt sein. Das habe ich jedenfall so mitbekommen. Wieso bist du aber deswegen so schockiert? Hast du die beiden als Pärchen nicht gern gehabt?“ Jan warf mir wiedermal einen Blick zu, so als wäre ich nicht mehr ganz dicht. Nun unter diesen Umständen war es vollkommen berechtigt. Niemand redet von seinem Freund und dann plötzlich von einem Promi. Langsam musste ich wirklich aufpassen, was ich sagte. Aber weil dies eine Party war und Jan mein Gesprächspartner war, sorgte ich mich heute nicht so sehr. Die anderen Gäste haben jedenfalls das Interesse an uns verloren und beschäftigten sich anderweitig. Erleichtert atmete ich aus. Puh, noch einmal gut ausgeganen. Aber dann spürte ich es. Drei Augenpaare schauten mich an. Jan zu meiner Linken, Jason auf dem Sofa und dann war da noch dieser Blick. Suchend glitten meine Augen über die Partygäste. Da traf ich ihn, dessen Blick auf mir brannte. Nämlich der von Taylor.

 

Kapitel 23

Dieser Blick. Eine Gänsehaut überzog mich und ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab. Seine stechend grünen Augen lagen auf mir. Gierig, fordernd, verlangend. Ob sie wegen dem Alkohol so glasig wirkten oder wegen dem Verlangen konnte ich nicht sagen. Ich konnte den Blickkontakt einfach nicht abbrechen, auch wenn ich es wollte. Ich wollte mich abwenden, aber konnte es nicht. Panik stieg in mir auf und ich konnte es auch nicht unterdrücken. Denn er fing an, auf mich zu zukommen und dabei leckte er sich über die Lippen, als wäre er der Jäger und sähe seine Beute schon vor sich. Doch zum Glück zog mich just in diesem Moment jemand an der Schulter und der Blickkontakt brach ab.

„Hey Kate, alles in Ordnung? Du bist ja ganz blass im Gesicht.“ Jan stellte sich vor mir und verhinderte, dass ich ihn sah.

„Ja, ja. Ich hatte nur kurz.. Spielt auch keine Rolle“ Damit schlenderten wir weiter und mein Blick ging suchend umher, in der Angst, dass er mich finden würde. Doch zum Glück kamen wir schließlich ohne irgendwelche Zwischenfälle bei den Sofas an. Dort ließ ich mich neben Jason nieder, der mich zu sich zog und einen Kuss aufdrückte.

„Wolltest du denn der ganzen Welt mitteilen, dass wir verlobt sind?“ fragte er in mein Ohr. Wegen der lauten Musik musste er nicht einmal flüstern und trotzdem würde niemand uns hören.

„Was? Nein! Es ist mir nur kurz ausgerutscht, aber ich konnte das klären, also mach dir keine Sorgen.“ Ob ich ihn damit beruhigte, konnte ich nicht sagen. Denn mein Blick glitt immer noch suchend über die tanzende Menge. Aber ich konnte Taylor nicht ausmachen und hörte auf, mir Gedanken über ihn zu machen. Laut atmete ich aus und drehte mich zu Jason um. Aber er schien schon mit Jan in einem Gespräch verwickelt zu sein.

Irgendwie verbrachte ich den restlichen Abend ohne jegliche Zwischenfälle. Ich konnte nur von Glück reden, dass sich Taylor und meine Wege sich nicht gekreuzt haben. Ich wollte mir gar nicht erst vorstellen, was dann geschehen wäre. Wäre mir jemand zur Hilfe geeilt, wenn ich geschrien hätte? Hätte es überhaupt jemand mitgekriegt, wenn etwas geschehen wäre? Immerhin war das eine Party, die Musik war dermassen laut, dass man beinahe Gehörschäden erhalten konnte und die Leute tanzten wild und ausgelassen und kümmerten sich nicht um andere Angelegenheiten. Ausserdem hatte ich den starken Verdacht, dass auch Drogen mit im Spiel waren. Die Leute waren einfach nicht mehr sie selbst. Deshalb klammerte ich umso mehr an meine Cola, die ich seit dem Anfang hatte. Zur Sicherheit hatte ich noch eine kleine Wasserflasche mitgenommen. Wer weiss, worin die was alles reintun.

Irgendwann wurde es Zeit und so hievte ich auch Jason hoch, der einfach nicht gehen wollte. Als ich das Mädchen neben ihm sah, konnte ich die Eifersucht nicht unterdrücken.

„Du amüsierst dich ja prächtig. Dann wirst du bestimmt ohne mich klar kommen“. Damit drehte ich mich einfach um und ging Jan und Sarah suchen. Vielleicht fuhr mich Jan ja nach Hause, und ansonsten musste ich wohl laufen. Als ich schon überall im Haus gesucht und keinen Jan gefunden habe, ging ich hinaus und sah ihn auch schon. Er sass, wie auch vorher an der Wand gelehnt, verzweifelt die Haare raufend. Sarah konnte ich hinten ausmachen, doch sie machte keine Anstalten, sich zu bewegen, ihn zu trösten oder auch nur mit ihm zu reden.

„Hey Jan. Na, wollen wir nach Hause gehen?“, fragte ich und durchbrach seine Gedanken.

„Was? Ja, klar. Kannst du Sarah Bescheid sagen? Ich hole schon mal Jason.“ Und damit verschwand er auch schon, bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte. Sarah bewegte sich langsam auf mich zu.

„Na, wollen wir los?“, fragte sie, als wäre sie nicht schon die ganze Zeit da gestanden.

„Ernsthaft Sarah?! Hältst du mich für so dumm?“ Meine Augenbrauen hoben sich automatisch, während ich die Arme vor der Brust verschränkte. Ihre Schauspielerei fiel und ich sah, wie aufgewühlt sie wirklich war.

„Was soll ich bloss tun? Er hat ja zugegeben, dass er in mich verliebt ist und nicht nur das eine von mir will. Nur weiss er ja nicht, dass ich alles mitgehört habe. Oh gosh! Wie habt Jason und du das nur so schnell hingekriegt?“
Scheinen wir für die Welt wirklich das kleine perfekte Paar abzugeben? Sah es Jason etwa auch so? War es nur für mich anders? Empfand nur ich, dass unsere Beziehung seltsam war? Ich wusste auch nicht so genau, was es war. Aber irgendetwas war anders, etwas störte mich. Aber nun war nicht meine Beziehung im Mittelpunkt sondern die von Sarah und Jan. Noch bevor ich ihr antworten konnte, ging die Tür auf und Jan und Jason trotteten hinaus.

„Wir besprechen das noch!“, ermahnte ich im Flüsterton, bevor wir alle zum Auto gingen und einstiegen. Während der Fahrt war es sehr merkwürdig. Ich würdigte Jason keinen Blick, da ich immer noch sauer war, dass er das Mädchen mir vorgezogen hatte. Ja, ich sagte immer, ich wäre nicht eifersüchtig. Doch ernsthaft, konnte man mir das verübeln, wenn mein Verlobter, die Betonung liegt auf Verlobter, sich mit einem anderen hübschen Mädchen prächtig amüsiert, während ich, seine Verlobte nebenan sitze? Und dann wollte er auch noch länger bleiben, um mit dieser Tussi noch länger zu reden. Dabei sah man doch genau, wie sie auf Jason abfuhr. Zwischen Jan und Sarah herrschte auch Schweigen. Ab und zu warf Jan einen Blick durch den Rückspiegel auf Sarah, die es nicht zu bemerken schien. Genau wie die Blicke, die Sarah Jan zuwarf, während er sich auf die Strasse konzentrierte. Einmal erwischte ich sie sogar, wie sie sich gleichzeitig anschauten. Sofort widmete Sarah sich dem Fenster zu und Jan schaute wieder auf die Strasse. Ein Schmunzeln konnte ich nicht unterdrücken und kopfschüttelnd widmete ich meinen Gedanken. Irgendwann kamen wir dann bei mir an und ich stieg aus. Auch Jason stieg aus und nahm seine Krücken in die Hand. Wir bedankten uns beide bei Jan und wünschten den beiden eine gute Nacht. Wie sie wohl die restliche Fahrt überstehen wollten, war mir ein Rätsel. Jedenfalls begleitete mich Jason bis zur Türe. Als ich mit einem Gute Nacht abwenden wollte, hielt er mich an der Hand fest.

„Kate, es tut mir Leid. Es war nicht so gemeint. Und ich weiss auch nicht was los war. Ich habe nur während der Party keine Schmerzen mehr gespürt und na ja, wenn ich zuhause bin, habe ich das Gefühl, als würde mir der Dach über den Kopf brechen. Es tut mir wirklich Leid.“ Sein reuevolles Gesicht entlockte mir ein Seufzen und irgendwie konnte ich ihm einfach nicht böse sein.

„Schon okay. Ich war nur sauer, dass du dich mit dieser Tussi besser amüsiert hast, während ich daneben sass und nicht ein Wort mit dir gewechselt habe. Da konnte ich halt einfach nicht mehr ruhig bleiben.“

„Meinst du etwa Gina? Wir haben doch nur geredet. Sie war gekommen, als du kurz nach draussen gegangen bist und hat ein Gespräch angefangen. Aber ich wollte gar nicht wegen ihr länger bleiben. Sie war nur nett und..“

„Okay, ich will auch gar nicht darüber streiten.“

„Ist also alles wieder okay zwischen uns?“, fragte er mit einem entschuldigendem Blick. Da konnte doch niemand nein sagen. Das war echt fies. Ich beantwortete seine Frage mit einem Kuss.

„Gute Nacht, Jason! Komm gut nach Hause!“

„Gute Nacht, meine Süsse! Träum was Schönes!“ Damit drehte ich mich zur Türe und Jason stöckelte mit seinen Krücken davon.

 

Während der Party hatte ich reichlich Zeit nachzudenken und ein wenig Ordnung in meine Gedankenwelt zu bringen. So war ich auch zum Schluss gekommen, dass es allerhöchste Zeit war, den Spuren meines Vaters zu folgen. Es konnte doch nicht sein, dass er fast schon ein Jahr weg war, und er angeblich auf Geschäftsreise war. Ich konnte auch nicht sagen, ob er uns vielleicht für eine andere verlassen hatte. Aber ich konnte mir das einfach nicht vorstellen. Und das aller seltsamste war, wir hatten kein einziges Familienfoto. Kein einziges hing an irgendeinem Wand. Hatte Mum alle Fotos einfach abgehängt? Oder waren wir letztendlich doch keine schöne Vorzeigefamilie? Jedenfalls wusste ich nun, wo anfangen mit Suchen und ich musste nur die Zeit abwarten, damit es Mum nicht mitbekam. Sie würde mich niemals weiterforschen lassen. So kam es, dass ich am Dienstag schnell die Hausaufgaben machte und abwartete, bis Mum und Isa weg waren. Ich wusste, sie würden erst spät nachhause kommen und wollte die Gelegenheit nutzen. Fünf Minuten nach dem das Auto weg war, rannte ich die Stufen hinunter und suchte das Zimmer auf. Ich drückte die Klinke hinunter und, sie war verschlossen. Natürlich. Mum liess doch das nicht einfach so geöffnet. Ihr war der Unfall mit meinem „Teil Gedächtnisverlust“ wohl richtig gut in die Hände gefallen. Sie hatte überhaupt keine Anstalten gemacht, mir nur auch ein kleines Detail von Dad zu erzählen. Da konnte doch einfach etwas nicht stimmen. Mit meinen Fingern tastete ich den Türrahmen ab und suchte nach einem Schlüssel. Doch ohne Erfolg. Also überlegte ich, wo sie ihn versteckt halten könnte und ging in die Küche. Das war ihr Gebiet. Ich durchforstete alle Schubladen und Schränke und schliesslich fand ich einen Schlüssel, versteckt in einem Topf. Echt Mum?! Da ich nun den Schlüssel hatte, ging ich wieder in den Flur und stand wieder vor dem Zimmer. Was mich drinnen wohl erwartete? Die Holztür verriet nichts über den Inhalt des Raumes und so öffnete ich die Türe mit einem tiefen Atemzug.

Keine Ahnung was ich erwartet hatte. Aber es war ein schlichtes Bürozimmer. Das Zimmer war nicht muffig oder stickig. Im Gegenteil. Alles war schön aufgeräumt und es roch sogar ein wenig blumig. Nicht nur blumig, es roch nach einem Parfum. Einem Parfum, das mir bekannt vorkam. Nur woher? Es lag keine dicke Staubschicht auf dem Boden oder auf dem riesigen Bürotisch. Das Zimmer konnte unmöglich fast ein Jahr unberührt gewesen sein. Ich schloss die Tür hinter mir und setzte mich auf den Stuhl hinter dem Tisch. Dabei liess ich meinen Blick schweifen und nahm alles auf. Seitlich des Tisches gab es ein grosses Fenster. Die weissen Vorhänge waren offen und zeugten davon, dass jemand regelmässig hier her kam. Gegenüber davon stand ein riesiger Schrank aus Holz, gefüllt mit grossen Ordnern und dicken Wälzern. Doch zwischen all dem konnte ich auch ein Bild finden. Gelegen in einem schlichten Bilderrahmen durchbrach es dieses strenge Aussehen des Büros. Mit dem Bild wollte ich mich später beschäftigen. Mein Blick glitt weiter im Zimmer umher. Die Wände waren in einem hellen Beige gehalten. Die dunklen Möbel bildeten einen Gegensatz zu dem. Doch es hatte stil. Es war schlicht und doch konnte man klar erkennen, dass es sich um ein Büro handelte. Auf dem Schreibtisch lagen eine dünne und eine etwas dickere Stapel Papiere. Vorsichtig nahm ich eines davon in die Hand und schaute es mir an. Es war alles rein geschäftlich. Also zumindest da hatte Mum wohl die Wahrheit gesagt. Mein Vater war Geschäftsmann. Ich griff nach einem anderen Blatt und schaute mir diesen an. Doch auch alle weiteren Blätter, die ich durchschaute, enthielten keine Information, die mir nützlich waren. Es waren nur Zahlen und Rechnungen. Die Zahlen gingen nicht gerade in die Milliardenbereiche. Auch nicht Millionen sondern nur in mehrere hunderttausenden Bereichen. Daraus schloss ich, dass er zu einer Mittleren Unternehmen gehörte. Und dann fiel mir die Schrift auf. Die Schrift kam mir sehr bekannt vor. Aber nur in den neuesten Blätter war diese Schrift zu finden. Nach dem Datum her, stammen diese nach dem Verschwinden meines Vaters. Und da traf mich der Blitz. Mum! Mum steckte hinter all dem. Es war auch ihr Parfum, das ich gerochen habe. Sie kam täglich her, lüftete das Zimmer und sorgte für Ordnung. Sowohl im Zimmer als auch im Geschäft. Sie musste nun das Oberhaupt des Unternehmens sein. Aber weshalb? Wo war Dad? Er konnte unmöglich mit einer anderen verschwinden und sein Geschäft zurücklassen? Wurde er vielleicht in ein anderes Land versetzt, von wo er alles koordinierte und Mum sagte, was sie von hier aus tun sollte? Es erschien mir alles so unreal. Weshalb sollte Mum sowas mir nicht sagen wollen? Das war doch nicht so schlimm, kein Weltuntergang. Oder war ich früher mit Dad so eng gewesen, das ein Abschied mich zerbrochen hätte? Das konnte doch nicht sein. Weshalb sonst, hatte ich absolut keine Erinnerungen an Dad? Und vorallem seine Erinnerungen fehlten. Diese waren am meisten verblasst, im Gegensatz zu jedem anderen. Bei vielen Dingen habe ich in letzter Zeit diese Flashbacks erhalten. Bei Freunden, bei Oma, bei Isa und öfters bei Jason. Aber von Dad und mir, solch eine Szene hatte ich nie als Flashback. Da war doch etwas faul.

Ich widmete mich wieder der Realität und registrierte den Namen des Unternehmens: Bebook. Ich griff nach einem Notizblatt und einem Stift und notierte mir den Namen und die Adresse. Ich musste später gründlich recherchieren. Die Blätter legte ich alle wieder zurück an ihre Plätze. Danach durchforstete ich die Schubladen. Es waren nur die üblichen Sachen. Beim untersten angekommen sah ich aber zu meiner Überraschung eine Agenda. Schon hielt ich es in den Händen und blätterte es im Schnelllauf durch. Es war das Agenda vom letzten Jahr und somit hoffte ich auf irgendetwas von Dad zu finden. Doch nichts Auffälliges zu sehen. Ich blätterte zum Tag des Maskenballs. Zu meiner Verwunderung hatte er seit zwei Tagen davor nichts mehr geschrieben. Das war wirklich ungewöhnlich. Ich blätterte bis zum Schluss und hoffte irgendetwas, egal was zu finden. Gerade als ich enttäuscht das Buch schliessen wollte, sah ich es. Ganz in Eile war etwas auf dem letzten Blatt gekritzelt worden. Ein Name und eine Nummer. Ich konnte es als Patrick Freeman entziffern und notierte mir auch diesen Namen und die Nummer auf meinem kleinen Zettel. Schnell schaute ich auf die Zeit um mich zu versichern, dass ich nicht von Mum erwischt werde. Ich hatte wirklich viel Zeit verloren. In einer viertel Stunde würde Mum wieder kommen. Also stellte ich alle Dinge an ihre Plätze und hinterliess das Büro so ordentlich, wie es bei meiner Ankunft gewesen ist. Der Schlüssel landete wieder in seinem Topf und ich entschied mich, schnell etwas zu kochen. So stellte ich einen Topf mit Wasser auf dem Herd und holte die Fusillipasta aus dem Küchenschrank. Während das Wasser vor sich hin blubberte, bereitete ich schon mal die Sauce vor. Dafür schnitt ich frische Tomaten klein und nahm einige Kräuter aus dem Schrank. Beides mischte ich mit Butter und Rahm in eine Pfanne und schüttete die Fusilli in das Wasser. Ich drehte den Herd zurück, achtete auf beidem. Da hörte ich auch schon die Schlüsseln klimpern und die Haustüre ging auf. Isa erzählte Mum gerade, was in ihrem Training vorgefallen war. Doch ich konnte mich nicht weiter darauf konzentrieren, da meine Fusilli al dente waren. Schnell siebte ich sie ab und mischte sie in die Sauce. Reibkäse durfte nicht fehlen und bald darauf war das Essen auch schon fertig.

„Mmh, das riecht ja gut. Du kochst?“, fragte Mum teils überrascht. Da war auch ein anderer Zug auf ihrem Gesicht, denn ich nicht deuten konnte. Isa kam rein gestürmt und umarmte mich sofort.

„Was ist denn mit ihr los?“, stellte ich eine Gegenfrage an Mum. Sie zuckte nur die Schultern und ging ihre Jacke aufhängen.

„Du bist die Beste Kate. Ich habe einen Bärenhunger. Und wenn du nicht gekocht hättest, wäre ich wahrscheinlich verhungert, bis Mum fertig gekocht hätte.“ Sie liess mich los und wollte schon nach der Pfanne greifen, als ich sie davon fernhielt.

„Zuerst wird Hände gewaschen. Und der Tisch muss auch gedeckt werden. Erst danach gibt es Essen.“ Die Augen verdrehend wusch sie sich schnell die Hände und platzierte einen Teller auf ihrem Platz und mit einer Gabel setzte sie sich an den Tisch. Auffordernd blickte sie mich an.

„Isst denn nur du? Den Tisch deckt man für alle und nicht nur für sich selbst.“ Tadelnd korrigierte ich ihren Fehler und stellte alles bereit für unser Abendessen. Gerade als ich die Pfanne auf den Topflappen stellte, kam Mum hinein. Während wir uns hinsetzten, schöpfte Isa schon reichlich Pasta auf ihrem Teller und leckte sich hungrig über die Lippen. Kurz kam mir die Szene, wo Taylor das gleiche getan hatte in den Sinn. Doch schnell verwischte ich diesen Gedanken. Isa stopfte sich ihren Mund voll, während ich noch nichts auf dem Teller hatte. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. Als sie mich ansah, konnte ihr fragendes Was direkt in ihrem Gesicht ablesen. Eine Antwort erhielt sie dennoch nicht.

„Und wie war dein Training?“ Damit begann eine lange Geschichte, die so dramatisch erzählt wurde, als handle es sich um eine Realityshow und nicht ein bedeutungsloser Trainingsabend. Ja, so war Isa halt.

 

Im Zimmer angekommen, holte ich schnell mein Handy und setzte mich auf das Bett. Den Notizzettel hielt ich in der anderen Hand und wählte die Nummer. Nach wenigem Tuten nahm ein Herr ab.

„Freemann hier.“

„Ja, hallo. Ehm, ich bin Kate, Kate Blake. Ehm... Ich habe Ihre Nummer gefunden und wollte mal mit Ihnen über meinen Vater reden“, begann ich zögerlich. Ich Dummerchen hatte mir vorher natürlich nicht überlegt, was ich sagen würde. Im Nachhinein beschimpfte ich meine Dummheit.

„Ah, Kate. Ja, ich erinnere mich. Dein Vater? Okay. Was willst du denn genau wissen?“ Das sich seine Stimme verändert hatte, bemerkte ich nur zu gut. Was war nur geschehen, dass sogar er anders sprach, sobald es um meinen Vater ging? Und weshalb kannte er mich?

„Also ja. Können wir uns einmal treffen und das dann besprechen? Ich glaube das Gespräch würde per Telefon zulange dauern.“

„Ja, klar. Können wir auch so machen. Nun, ich denke unter der Woche wird es wohl nicht klappen, da ich arbeiten muss und du musst bestimmt zur Schule musst. Wie wäre es mit Samstag, so gegen zwei Uhr? Beim Café Corner?“

„Super. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für mich nehmen.“

„Kein Problem. Mache ich doch gerne für die Tochter meines Freundes. Also, man sieht sich. Tschau“

„Vielen Dank und auf wiederhören.“ Okay. Das war mal jetzt geregelt. Nun folgte die nächste Notiz. Bebook. Eigentlich ein sehr seltsamer Name. "Sei Buch" würde es übersetzt heissen. Ich gab es mal in Google ein. Ich fand nicht sehr viel Nützliches. Doch mit einem Treffer konnte ich sicher sein. Das Logo. Dieses habe ich auch schon auf den Papieren gesehen. Dieses sah im Gegensatz zum Namen nicht schlecht aus. In einem geöffnetem Buch war gross mit geschwungener Schrift ein B abgebildet. Ich folgte diesem Treffer und fand mich auf der offiziellen Website wieder. Das Logo war oben rechts in der Ecke abgebildet. Der Hintergrund war schlicht mit einem Farbverlauf gehalten. Ein dünner Strich zierte das Ganze, als wäre es ein dünner Band. In der Mitte fand ich die Seiten und Informationen. Ich las sie mir in Ruhe durch und fand heraus, dass mein Vater der Geschäftsführer eines Verlages war. Sie druckten viele Romane aber auch gebündelte Kurzgeschichten und literarische Texte. Ich war schon überrascht. Das hätte ich nicht erwartet. Also allgemein hätte ich nicht erwartet, dass Dad der Geschäftsführer eines Verlags wäre. Als Mum am Anfang sagte, er wäre geschäftlich unterwegs, dachte ich eher an einem Lastwagenfahrer oder so etwas Ähnliches wie Dean und Nina es machten. Ich habe mir keinen Vater in Anzug mit Krawatte vorgestellt. Okay, vielleicht trug er auch keinen Anzug. Ich wusste es nicht. Da musste ich wohl bis Samstag abwarten. Darauf freute ich mich schon.

 

„Oh my gosh! Du wirst mir nicht glauben was am Samstag noch passiert ist, nachdem du und Jason weg ward.“ Sarah textete mich zu während wir beide unterwegs in die nächste Stunde waren.

„Als Jan vor meiner Haustür angehalten hat, habe ich mich zu ihm umgedreht und ihm für das Nachhausefahren bedankt. Aus einem Instinkt heraus habe ich ihn auf die Backe geküsst. Das tat man doch öfters so in den Filmen. Und na ja. Danach ging alles so schnell. Bevor ich weggehen konnte, hatte er mich am Arm gezogen und mich einfach geküsst. Völlig perplex hatte ich das natürlich zugelassen. Schliesslich konnte ich auch nicht widerstehen und musste den Kuss erwidern. Na ja, am Schluss sind wir halt atemlos auseinander gegangen. Ich wusste einfach nicht was sagen. Ich konnte unmöglich sagen, dass ich solange auf solch einen Kuss gewartete hätte. Also habe ich stumm in seine Augen geschaut. Und er mir. Und dann haben wir uns wieder geküsst. Kannst du dir das vorstellen? Vor meinem Haus sassen wir in seinem Auto und küssten uns einfach für sehr lange Zeit, ohne ein Wort zu verlieren. Na ja, danach hatte ich Panik gekriegt und habe ihm gesagt, dass ich jetzt hinein müsste und bin ins Haus geflüchtet.“ Bevor Sarah noch weiter reden konnte, kam Frau Tanner ins Zimmer und unterbrach jegliche Gespräche.

Als wir schliesslich in die Cafeteria gingen, setzten wir uns an einem Eckplatz. Ich war gerade mit Leila am reden, als ich Jason und Jan kommen sah. Jason lächelte mir nur zu. Jan dagegen grinste über beide Ohren. Als ich neben mir sah, wusste ich auch wieso. Auch Sarah hatte diesen verliebten Blick und lächelte unbewusst. Am Tisch angekommen küsste Jan Sarah ausgiebig. Ein lautes Woohoo ertönte an unserem Tisch und die Turteltäubchen liessen voneinander ab.

„Jan, du Hengst. Wie hast du denn Sarah klar gemacht?“, fragte Ryan und klatschte Jan ab. Sarah sah das Ganze mit gekniffenen Augen zu und schickte einen unheilvollen Blick zu Jan. Dieser bemerkte es und seufzte auf.

„Ich habe sie nicht klar gemacht. Wir sind halt irgendwie zusammengekommen.“

„Wurde ja aber auch Zeit. Viel länger hätte ich euch beiden nicht zusehen können. Solange ineinander verliebt, aber nicht fähig, zusammen zu kommen. Soll einer das verstehen.“ Sarah und Jan warfen sich verständislose Blicke zu.

„Ach kommt. Sagt nicht, ihr habt nicht gecheckt, das der jeweils andere auf euch stand. So blind könnt ihr doch auch nicht gewesen sein?!“ Jan runzelte die Stirn und Sarah senkte den Kopf. Ich wusste, dass sie es tat, weil sie es geahnt und doch nichts unternommen hatte. Und nicht weil sie, wie alle anderen am Tisch dachten, verlegen war.

„Echt jetzt?! Ich glaubs ja nicht. Man seid ihr blind. Sogar wir anderen habens alle gecheckt, dass ihr verliebte Vögel ward. Ey, das ist echt unglaublich!“ Ryan entlockte mir ein Schmunzeln mit seinen Kommentaren.

„Ach Ryan, lass die beiden doch in Ruhe. Du wirst das irgendwann auch mal verstehen, wenn du verliebt bist. Dann mein Lieber, wirst du nicht viel anders sein.“ Mit meinem Löffel deutete ich auf ihn.

„Pff. Bestimmt nicht. Bei mir würde der Prozess wesentlich schneller gehen. Glaub mir. Schliesslich bin ich Ryan!“ Dabei zog er einmal an sein T-shirt und tat einen auf Obercool.

„Warts nur ab. Wir werden es ja sehen“, meinte ich nur und widmete mich meinem Essen.

 

Nach der Schule ging ich direkt nach Hause, jegliches Anbetteln von Sarah ablehnend. Ich wusste, sie brauchte jemanden zum Reden, jemanden der sie verstand. Leider konnte ich heute einfach nicht. Deshalb vertröstete ich sie auf ein anderes mal und liess sie mit Jan allein. Was die beiden wohl anstellten. Solange der eine den anderen nicht auffrass oder umbrachte, war ja alles in Ordnung. Zuhause machte ich die Hausaufgaben, bis Kevin kam.

„Hey, du konzentrierst dich ja gar nicht!“, beschwerte er sich bei mir.

„Tut mir Leid. Bin aber jetzt voll und ganz da“, antwortete ich.

„Ja genau. Das hast du auch die letzten fünf Male gesagt. Was ist los? Streit mit deinem Freund?“ Sein Gesicht zeigte wirkliche Sorge und ein tiefer Seufzer entfuhr mir. Er würde mich sowieso nicht in Ruhe lassen.

„Na ja, es geht um meinen Dad. Ich mache mir Sorgen um ihn.“

„Weshalb denn? Ist er krank? Oder in etwas Gefährlichem verwickelt?“ Wow, das kam aber schnell.

„Nein, keines von beidem. Glaube ich jedenfalls. Ich weiss nicht, wo er ist. Und na ja, jetzt habe ich halt einen Freund von ihm angerufen und gebeten, sich mit mir zu treffen. Ich kann es kaum erwarten. Ich will endlich wissen, was mit ihm los ist.“

„Glaubst du etwa, dass er euch wegen eine andere verlassen hat?“ Als ich nichts sagte und einfach nur die Schultern zuckte, schüttelte er den Kopf.

„Glaub mir Kate. Dein Dad würde niemals so etwas tun. Er liebt euch dafür viel zu sehr.“ Weiter kam er gar nicht, da ich ihn unterbrach.

„Du kennst ihn? Woher?“ Er runzelte zuerst die Stirn, bevor es ihm klar wurde.

„Stimmt, du hast ja zum Teil deine Erinnerungen verloren. Ich vergesse das immer.“ Das letzte murmelte er eher zu sich selbst. Sein Blick fiel auf die Uhr und seine Augen weiteten sich.

„Tut mir Leid, Kate. Ich muss jetzt aber los. Ich sollte noch eine Arbeit fertig schreiben, sonst bringt mich mein Partner noch um.“ Damit warf er sich schnell seine Tasche über, eilte die Treppen hinab und zog sich seine Schuhe und Jacke an.

„Tschüss Kate, auf Wiedersehen Mrs. Blake.“ Damit war er auch schon durch die Türe verschwunden. Na toll. Gerade habe ich jemanden gefunden, der mir vielleicht zumindest bei diesem Rätsel behilflich sein konnte und der verschwand auch noch.

Zurück an meinem Tisch, fiel mir der Anhänger von Kevin auf. Er hatte es auf meinem Tisch vergessen. Schnell rannte ich die Treppen hinunter und riss die Tür auf. Er beeilte sich nach Hause zu kommen. Da er noch in der Hörweite war, rief ich nach ihm. Er drehte sich um und ich rannte in Socken zu ihm.

„Du hast deinen Anhänger liegen gelassen.“ Ich überreichte ihm das Metallstück, als ich die Welt um mich herum plötzlich anders wahrnahm.

Es war nicht mehr dunkel sondern taghell. Wir waren beide in einem Park. In der Hand hielt ich dasselbe Metallstück. Nur waren meine Hände kleiner. Vor mir stand eine jüngere Version von Kevin. Er hatte blonde Haare, die im Sonnenlicht noch heller wirkten. Seine hellen blauen Augen lagen auf dem Anhänger in meiner Hand.

„Es ist dir beim Spielen runtergefallen“, hörte ich mich in einer hohen Stimme sagen. Ich musste wirklich sehr klein gewesen sein. Der Junge nahm den Anhänger und bedankte sich bei mir mit einem Lächeln. Ich lächelte zurück. Dann rannte er auch schon davon.

Genau wie damals auch, nahm er mir das Metallstück ab und bedankte sich bei mir. Dann lief er auch schon davon. Ich kehrte wieder zum Haus zurück und schmiss meine Socken sofort in die Wäsche. Gedanklich war ich jedoch immer noch bei meinem Flashback. Das war defintiv Kevin gewesen, den ich in meinem Flashback gesehen habe. Kannten wir uns etwa schon früher? Weshalb hat er dann kein Wort davon verloren? Er hätte doch mich zumindest fragen können, ob ich ihn wirklich nicht erkannte oder sowas. Oder sind wir doch nur einmal zufällig in der Kindheit uns begegnet? Wer war Kevin wirklich?

Kapitel 24

Gespannt erwartete ich den Samstag und letztendlich kam er auch. Meine Mutter sollte glauben, dass ich zu Jason ging. Ihm habe ich auch nicht Bescheid gegeben. Aber meine Mutter vertraute mir und es fiel mir auch schwer dieses Vertrauen zu missbrauchen. Doch nur auf diese Weise konnte ich die Wahrheit herausfinden. Oder hoffte es zumindest. Ich packte meine Tasche und verliess das Haus. Ich nahm den Bus und lief den restlichen Weg bis hin zum CaféCorner. Dort liess ich mich in einer hinteren Ecke nieder, damit wir möglichst ungestört bleiben könnten. Da ich überpünktlich war, bestellte ich mir schon mal einen Iced Latte Macchiato. Während ich auf die Bedienung wartete, kündigte das kleine Glöckchen über der Tür einen neuen Gast an. Sofort schaute ich natürlich auf die Türe. Doch es war Fehlalarm. Es war nur eine Frau und ihre kleine Tochter. Erst jetzt dachte ich darüber nach, wie Mr Freemann mich wohl finden würde. Oder wie ich ihn finden sollte. Vielleicht war er ja schon da. Ich sah mich im Café um. Die meisten Tische waren noch leer. Einige Damen waren an einem Tisch versammelt. Dahinter sah ich einen Herren, der einen Laptop bei sich hatte und fleissig darauf herum tippte. Ob es wohl bei ihm, sich um Mr Freemann handelte? Ein Kaffee stand schon neben dem Laptop, was mir zeigte, dass er schon eine Weile hier sein musste. Konnte es sich dann wirklich um Mr Freemann handeln? Bevor ich weiter ins Grübeln geriet, kam die Bedienung und stellte eine Tasse bei mir ab.

„Danke“, lächelte ich freundlich zurück. Genau da erklang das Glöckchen wieder und ich schaute wieder auf. Ein Herr kam herein und blickte suchend umher. Als er mich sah, kam er lächelnd auf mich zu.

„Hallo Kate, ich hoffe, ich bin nicht zu spät.“ Er reichte mir die Hand, die ich freundlich lächelnd schüttelte.

„Guten Tag, Mr Freemann. Danke, dass Sie gekommen sind.“

„Das ist doch selbstverständlich.“ Er streckte die Hand hoch, und winkte die Bedienung her.

„Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, dass ich mir schon etwas bestellt habe.“

„Kein Problem, Kate. Duz mich ruhig. Ich bin Patrick. Immerhin sind wir ja alte Bekannte. Auch wenn du es kaum weisst. Ich habe von deinem Gedächtnisverlust gehört. Ich denke, fast die ganze Stadt weiss es inzwischen. Also ich bin da, frag mich was du willst.“ In der Zeit kam die Bedienung und Mr Freemann bestellte sich Kaffee und Kuchen.

„Woher kennen Sie meinen Vater?“, stellte ich ihm die Frage, die mir am meisten auf der Zunge brannte. Natürlich aber erst, nach dem die Bedienung weg war.

„Also gut. Wo soll ich anfangen? Dein Vater und ich trafen uns zum ersten Mal während des Studiums. Sein Mitbewohner war gerade ausgezogen und ich kam neu in das Unileben. Nun ja, du weisst sicherlich, dass es diese Websiten gibt, in der Studenten günstig Wohnung finden konnten. Dein Vater hat sich auch dort angemeldet gehabt und so kam es, dass wir zusammen einzogen. Ralph war wirklich sehr nett zu mir und half mir schon beim Einzug. Unser Verhältnis war nicht angespannt und relativ locker. Jeder hatte seine Ruhe und seine Privatsphäre. Am ersten Tag half er mir sogar, mich in der Uni zurecht zu finden. Ich war ihm wirklich dankbar, dass ich nicht wie ein Bekloppter durch die Gänge irren musste. Als Neuankömmlich war es immer eine dumme Situation, weil du niemanden kennst und keine Ahnung hast, wohin du gehen musst. Aber wie gesagt, half mir dein Vater da ohne grosse Probleme durchzukommen. Er zeigte mir die Räume und erst da merkten wir, dass wir beide dasselbe studierten. Nur halt vertauscht. Er hatte Banking and Finance als Hauptfach und Wirtschaftsinformatik im Nebenfach und ich genau umgekehrt, also Wirtschaftsinformatik als Hauptfach und Banking and Finance als Nebenfach. Jedoch war er schon im zweiten Jahr im Gegensatz zu mir. Nun jedenfall konnten wir uns auf diese Weise gegenseitig helfen. Er half mir manchmal bei meinen Projekten und Prüfungen und sah es stets als gute Repetition. Für die Semesterprüfungen war das natürlich sehr hilfreich gewesen und er schnitt stets sehr gut ab. Ich konnte mithilfe von seinem Wissen mehr Punkte erzielen, da die anderen meist nicht soweit Informationen erhielten. Dein Vater war mir wirklich eine grosse Hilfe. Und oftmals habe ich bezweifelt, dass ich ohne ihn das Studium geschafft hätte. Aber nicht so er. Er beteurte stets, dass alles nur von mir selbst gekommen war und er mir nur eine kleine Starthilfe gegeben hätte.“
Seine Augen blickten in die Ferne und ein Lächeln zierte seine Lippen. Wahrscheinlich war er gedanklich wieder ein Student und mein Vater stand neben ihm und sagte genau diese Worte. So über meinen Vater zu hören, rüttelte an meinen Annahmen. Er klang viel zu nett und so hilfsbereit. Meine Annahmen, dass er uns womöglich verlassen hätte, wurde heftig gerüttelt und geschüttelt und ich schaute hoffnungsvoll wieder auf, wartete auf mehr von Mr Freemann.

„Jedenfalls haben wir beide unsere Studien erfolgreich abgeschlossen und suchten Arbeitsstellen. Dein Dad hatte schon während dem Studium nebenan noch gearbeitet und sich etwas dazuverdient. Er war in einem anderen Geschäft als Buchmacher angestellt gewesen und hat damals schon viel vom Geschäft aufgeschnappt. So hat er auch deine Mutter kennengelernt, da sie ja dort angestellt gewesen war. Aber diese Geschichte kennst du ja sicherlich.“

Das „Nein“, lag mir schon auf der Zunge, doch im letzten Moment konnte ich mich noch zurückhalten. Das Verhältnis zwischen Mum und mir, das seit einigen Wochen, um genau zu sein seit der Bekanntgabe der Verlobung noch schlechter war, und ganz zu Schweigen von unserern Gesprächen über Dad, musste Mr Freemann nicht erfahren, egal wie freundlich und nett er auch war. So tat ich das, was ich inzwischen am besten konnte: Lügen.

„Ja natürlich. Mum hat es mir schon sooft erzählt, dass ich es kaum noch hören kann.“ Oh Mist! Jetzt habe ich jegliche Chance die Geschichte zu hören vermasselt. Ich könnte mich echt selbst ohrfeigen. Ich überlegte auch nie, bevor ich etwas sage.

„Dann ist ja gut. Also eben. Für einige Jahre hatte er bei dieser Firma gearbeitet, bevor er sich entschieden hatte, selbst einen Verlag zu gründen. Wir waren stets in Kontakt geblieben, wodurch ich dies und jenes von ihm noch erfahren hatte. Er war schon in seinen jungen Jahren sehr in Bücher interessiert.

„Bücher sind Zeugen der Geschichte. Aber nur ein guter Verlag kann sie auch gross hinüber bringen. Egal wie gut ein Buch auch ist. Wenn der Verlag selbst schlecht ist, hat das Buch kaum Chancen von vielen Leuten gelesen zu werden. Es erhält nicht die Aufmerksamkeit, die es verdient.“

Das waren seine Worte gewesen. Und er war überzeugt davon ein Verlag zu gründen und auch den Autoren eine Chance zu geben, die von Grossverlegern abgewiesen wurden. Woher er das Geld für den Startkapital hatte, weiss ich leider nicht. Aber es war schon eine Menge gewesen. Aber um sein Unternehmen auch Halt zu geben und Mitarbeiter anzuwerben brauchte er Hilfe. Er kontaktierte mich und fragte mich an, ob ich bei ihm arbeiten wollte. Sein Jobangebot wollte ich nur ungern ablehnen. Er war für mich wirklich da gewesen, als ich ihn gebraucht habe und hat mir immer aus der Patsche geholfen. Und mein damaliger Arbeitsgeber war auch nicht gerade die Höhe gewesen. Also habe ich ihm zugestimmt, nachdem er mir alles erklärt hatte. Es war genauso in einem Lokal gewesen, wo wir uns getroffen und uns über die Details unterhalten haben. Zusammen haben wir dann andere Mitarbeiter angeworben und haben ein kleines Unternehmen gegründet. Du musst wissen dein Vater wollte nie als alleiniger Gründer da stehen. Er sagte immer alleine hätte er es nicht geschafft. Aber er war derjenige gewesen, der die Grundsteine gelegt hat. Er hat es immer verweigert zu akzeptieren. So war er nunmal.”
Lächelnd schaute er auf. Zwischenzeitlich war das Gebäck und das Getränk schon angekommen und sogar zur Hälfte verschlungen. In Ruhe ass er weiter seinen Kuchen auf und ich schlürfte an meinem Kaffee. Also zusammengefasst war mein Vater nicht nur nett und hilfsbereit gewesen, er hatte auch ein grosses Herz gehabt und war dazu noch bescheiden gewesen. Wahrscheinlich war er auch noch liebevoll gewesen, wenn ich mal so an Mum dachte. Was hatte ihn dazu dann gebracht einfach so zu verschwinden?

„Hatte er den irgendwelche Feinde?“ Verwundert blickte Mr Freemann mich an.

„Wie kommst du denn darauf?“ Seine Stirn runzelnd schaute er mich fragend an.

„Nun in einem Unternehmen gibt es doch sicherlich auch Konkurenten und es haben sicher nicht alle ihn gemocht, oder?“ Schön umschrieb ich das starke Wort Feinde und hoffte, dass er keinen Verdacht schöpfen würde, was ich genau versuchte heraus zu finden.

„Nun am Anfang war der Verlag noch recht klein und nur schleppend ging es vorwärts. Aber mit der Zeit sprach sich herum, dass es nun einen neuen Verlag gab, der bereit war, fast alle Bücher zu drucken. Und ab dann boomte es plötzlich. Viele Jugendautoren schickten ihre Manuskripte zu uns und hofften auf einen positiven Entscheid. Und so wurde der Verlag auch berühmter und wir verdienten nicht schlecht. Die Bücher wurden oftmals gut verkauft und wir zogen positive Bilanzen. Wir expandierten unser Unternehmen es lief auch alles gut. Aber wie es in der Geschäftswelt üblich war, zogen wir damit auch Konkurenz an und neidvolle Blicke waren da nicht eine Seltenheit. Dein Vater musste sich hart durchkämpfen. Aber so wie er war, schaffte er auch das. Manchmal ging es auch nur bergab. Aber trotz allem bemühte er, allen gerecht zu werden und war wirklich gütig gewesen. Du kannst wirklich stolz auf deinen Vater sein. Die Mitarbeiter haben ihn wirklich gemocht. Und auch die meisten Bürger haben ihn nicht als einen arroganten Geschäftsmann angesehen. Er war allen gegenüber höflich gewesen. Einige der Konkurenzfirma ging das natürlich auf die Nerven. Aber mit anderen waren er sogar befreundet gewesen. Also „Feinde“ sowie du es sagst, gab es keine.“
Zufrieden lehnte er sich zurück. Ich verarbeitete das Gesagte und speicherte es in meinem Gehirn ab. Ich könnte wetten, dass ich diese Informationen später brauchen werde.

„Jetzt hätte ich aber eine Frage an dich.“ Verwirrt schaute ich ihn an und überlegte, was er mich wohl fragen könnte. „Weshalb fragst du das alles mich und nicht deiner Mutter?“
Die Hände auf den Tisch gelegt, sass er leicht nach vorne gebeugt und musterte mich. Jetzt sass ich ja richtig ertappt da. Wie zum Teufel wollte ich ihm etwas erklären, dass ich mir selbst nicht erklären konnte? Schnell überlegte ich mir eine Ausrede.

„Naja, Sie wissen ja, dass ich diesen Gedächtnisverlust hatte. Und da Dad ja nicht anwesend ist, konnte ich ihn schlecht fragen. Von Mum habe ich schon vieles erfahren. Aber ich wollte auch die Geschichten von anderen Perspektiven heraus hören. Ich meine, Mum erzählt mir nur wie lieb und toll er war und solches Zeug halt. Sie ist nicht sehr objektiv. Und ich will mir nicht schon eine vorgefertigte Meinung anhören sondern mir selbst eine bilden. Und mit Mums Erzählung kann ich dies nie erreichen. Also unterhalte ich mich mit vielen und versuche ein möglichst genaues Bild von Dad zu erhalten.“
Wow, das klang wirklich überzeugend und da steckte sogar mehr Wahrheit drin, als es mir lieb gewesen wäre. Auch Mr Freemann sah überzeugt aus und still tranken wir unsere Getränke zu Ende. In meiner Aussage habe ich sogar erwähnt, dass mein Vater verschwunden war und in seinem Gesicht war kein Zeichen von Überraschung oder Verwirrtheit zu sehen gewesen. Das musste bedeuten, dass er etwas davon wusste. Von dem Verbleib von meinem Vater. Aber ich konnte ihn auch nicht gerade beim ersten Treffen ausfragen.

„Vielen Dank Mr Freemann.“

„Ach, das ist doch nichts Kate. Ich bin deinem Vater viel mehr Dank schuldig. Und nenn mich Patrick. Mr Freeman klingt nach diesem Schauspieler“, zwinkerte er mir zu. Ich ging auf die Kasse zu und bezahlte auch Patricks Bestellung.

„Was? Nein! Ich bezahle meine Sachen selbst!“, empörte er sich auf.

„Nein, Patrick. Du hast dich schon die Zeit für mich genommen. Da ist es das Mindeste, was ich tun kann.“ Mit einem Lächeln nahm ich das Wechselgeld an und gemeinsam verliessen wir das Café.

„Nun, falls du weitere Fragen hast, scheu dich nicht mich anzurufen.“ Ja, das werde ich sicherlich machen, dachte ich mir, sprach es aber nicht laut aus.

„Vielen Dank nocheinmal. Ich wünsche dir noch ein schönes Wochenende.“

„Danke, dir auch.“ Damit lief er auch schon weg. Grübelnd schlug auch ich meinen Weg an. Diesmal lief ich nach Hause, weil ich einfach mal eine kurze Zeit für mich brauchte und ein Spaziergang mir sicher gut täte.

 

Tief in Gedanken beachtete ich meine Umwelt kaum noch. Doch ich registrierte, dass ein Fussball meinen Weg kreuzte. Aus Reflex stoppte ich ihn und schaute auf die Seite, von wo er herkam. Da sah ich meine Studentenfreunde.

„Warte, ich kick ihn herüber“, schrie ich und setzte an, den Ball zu schiessen. Mein Fuss traf den Ball und im Gegensatz zu früher kam er sogar an sein vorgesehenes Ziel an. Mason grinste breit, genauso wie ich. Kein Wunder. Immerhin hatten wir uns schon lange nicht mehr gesehen.

„Spielst du mit?“ Ich überlegte kurz. Ich habe zuhause eh nichts besseres zu tun und einmal den Kopf frei kriegen, würde mir nicht schaden. Also stimmte ich zu und lief zu den Jungs.
In der letzten Zeit haben wir uns öfters gesehen und sie haben mir auch das Fussballspielen beigebracht. Sie konnten wirklich sehr stolz auf sich sein. Denn ich war nicht nur besser geworden, im Sportunterricht gehörte ich sogar zu den Besseren. Und das will dann schon etwas heissen. Durch Kevin war ich auch vermehrt bei den Jungs gewesen. Er schrieb mir manchmal, wann sie am Spielen waren und lud mich ein dazuzustossen. Sie waren mir wirklich ans Herz gewachsen. Alle, nicht nur Kevin oder Mason, der mein Mentor war.

„Was grinst du denn vor dich hin?“, fragte genau jener mich in dem Moment.

„Ich habe darber nachgedacht, wie ich vor einigen Monaten gespielt habe und was du mir alles beigebracht hast.“

„Jep, du warst wirklich grauenhaft. Du konntest nicht einmal direkt passen. Hast den Ball direkt in das Gebüsch gekickt. Ich habe mich schon gefragt, wie das überhaupt geht.“
Er lachte lauthals los, als ihm diese Szene wieder in Erinnerung kam. Spielerisch erbost schlug ich ihm auf den Arm.

„Hey! So mies war ich nun auch wieder nicht!“

„Doch! Und wie! Ich habe noch niemanden dermassen schlecht Fussball spielen sehen. Und das obwohl ich kleine Cousins habe, die gerade gelernt haben zu laufen. Sogar die spielen besser!“
Er hielt sich den Bauch, während er mich immer noch auslachte. Na, der konnte was erleben. Ich stürzte mich auf ihn und wir kullerten auf den Boden. Da er um vieles stärker war, fiel es ihm nicht schwer mich abzuwehren. Jedoch war er immernoch mit Lachen beschäftigt und so rangelten wir beide auf dem Boden herum. Fünf Minuten später fielen wir beide erschöpft auf den Rasen. Ich war wirklich aus der Puste. Auch Mason atmete schwer, jedoch vom Lachen und nicht vom Rangeln. Als könnte ihm so ein Federchen wie ich weh tun.

„Na, seid ihr beiden fertig?“, wehte die Stimme von Luca zu uns.

„Komm, spielen wir noch eine Runde, bevor deine Lachdrüsen endgültig versagen.“
Grinsend streckte ich ihm meine Hand entgegen und zog ihn hoch. Okay, was heisst schon ich zog ihn hoch. Er stand eigentlich von sich selbst aus auf. Mit meiner mickrigen Kraft würde ich höchstens Isa hochziehen können. Keinen Mann von Schrank mit solchen Muskeln. Gemütlich schlenderten wir die wenigen Meter zu den anderen und sie teilten mich einfach einer Mannschaft zu. Erst da fiel mir auf, dass Kevin fehlte. Mit ihm wollte ich noch reden, aber jener war gar nicht da.

„Hey, wo ist eigentlich Kevin?“ Nocheinmal liess ich meinen Blick umherwandern. Doch meine Augen haben sich nicht getäuscht. Er war wirklich nicht da.

„Der konnte heute nicht. Hat irgendwas von Familie und Lernen geschwafelt. Ich frage mich, ob er eine Freundin hat. So oft wie er uns absagt und immer wieder mit einer anderen Ausrede.“ Masons Stirn legte sich in Falten.

„Ja genau, als würde Kev eine Freundin haben. Die wäre dann sicher genau so eine Streberin. Ich wette, sie trägt eine Brille und verbessert jeden Fehler in einem Satz.“ Die ganze Meute fing an los zu prusten und ich konnte einen Lacher auch nicht unterdrücken. Das war wirklich eine zu lustige Vorstellung. Nachdem wir uns alle wieder etwas eingekriegt hatten, spielten wir weiter, und zu jedermanns Verwunderung erzielte ich sogar die meisten Torschüsse.

„Hey, hast du etwa heimlich geübt oder was?“, fragte mich Luca. Auch die anderen Jungs, schauten mich interessiert an.

„Nein, wahrscheinlich habe ich heute einfach einen Glückstag“, antwortete ich zufrieden.

„Von wegen Glückstag. Jeder Schuss trifft das Tor. Und vor einem Monat hast du noch nicht mal passen können und hast dich und den Ball ins Gebüsch befördert. Das nennst du einen Glückstag?! So einen Glückstag will ich auch mal haben. Am besten in der Uni, wenn wir wiedermal eine Prüfung schreiben oder so.“
Ein Kichern konnte ich nicht unterdrücken. Denn es entsprach nicht ganz der Wahrheit, was ich gesagt habe. In der Schule haben wir eben öfters Fussball gespielt und auch ansonsten haben manchmal meine Freunde und ich draussen den Ball hin und her gekickt. Da lernte ich halt meine Treffsicherheit zu erhöhen. Aber ja, das sagte ich alles nicht den Jungs. Keine Ahnung weshalb. Aber es war lustiger so. Zumindest hatte ich etwas zu lachen.

„Na gut, ich gebe auf. Wir haben eh keine Chance mehr. Die kleine Miss hat ja heute ihren „Glückstag“ und daher seh ich keine Chance mehr zu gewinnen. Na, wollen wir ein Eis essen gehen? Das Verliererteam zahlt auch?“, kapitulierte Austin.
Grinsend nickte ich. Ein Eis ging immer. Und vor allem wenn dieser noch dazu spendiert wurde. So machten wir uns auf den Weg ein Eis zu kaufen. Wir wollten nicht in die Stadt gehen, also kauften wir uns einfach beim nächsten Kiosk ein Eis. Magnum almond. Meine Lieblingsssorte. Die anderen nahmen auch ein Eis und Austin zahlte das Ganze. Danach teilten sie den Betrag untereinander auf, damit es auch fair war. Wie eine Gang liefen wir auf der Strasse umher. Schrankähnliche muskelbepackte Jungs und ich mitten drin. Aber mit dem Eis in der Hand wirkten wir eher wie kleine Kinder, die auf dem Weg herumalberten, als wie eine gefährliche Gang, die irgendetwas vorhatte oder so. Wir liefen zurück zu unserer Wiese und liessen uns am Rande nieder. Eis essend redeten die Jungs miteinander über irgendetwas von der Uni. Ich schaute einfach in der Gegend umher und liess wiedermal meinen Gedanken freien Lauf. Die Gedanken zu sortieren war doch wirklich etwas vom Schwierigsten. In den Büchern und Filmen sah es immer viel einfacher aus. Ich liess den Tag Revue passieren und dachte darüber nach, was Mr Freemann gesagt hatte. Er hatte viel von Dad und seinem Studentenleben erzählt. Nun war ich auch endlich im Bilde, was Dad gemacht hatte. Doch was nun mit ihm los war, wo er jetzt war, davon hatte er nichts erzählt. Weder war ich jetzt schlauer, noch hatte ich irgendeine Spur, die ich weiter verfolgen konnte. Was sollte ich nur bloss machen? Meiner Mum konnte ich und wollte ich auch gar nicht fragen. Immer wenn es um Dad ging, blockte sie ab. Versteh einer warum. Jedenfalls konnte ich auch die Jungs nicht mit hinein ziehen. Die hatten genug Probleme in der Uni. Jason wusste auch nur die Hälfte und irgendetwas hinderte mich daran, ihm alles zu sagen. Ich wusste auch nicht was es war, oder warum ich es nicht konnte. Immerhin war er mein Freund und ich sollte ihm vertrauen können. Und eigentlich tat ich es ja auch. Nur bei dieser Sache… ich hatte nicht so ein gutes Gefühl.

Erschrocken quiekte ich auf, als jemand mich an der Seite kitzelte. Als ich aufblickte sah ich in die neugierigen, aber zum Teil auch sorgenvollen Gesichter der Jungs.

„Du warst so tief in deinen Gedanken, dass du sogar nach etlichen Malen rufen nicht reagiert hast. Keine Ahnung wie du es dennoch geschafft hast, dein Eis fertig zu essen“, amüsierte sich Mason. Tatsächlich hatte ich es geschafft, mein Eis fertig zu essen und spielte mit dem Stiel herum.

„Tut mir Leid, ich gelobe mich der Besserung“, antwortete ich leicht lächelnd zurück. Normalerweise waren die Jungs schnell wieder in ihre Gespräche eingetaucht. Doch heute konnte ich noch vereinzelte sorgenvolle Blicke auffangen. Nicht nur das, ich sah, dass Mason nicht einmal überzeugend war und wie sonst auch schmunzelnd sich anderen Themen widmete. Ihre Gesichter waren alle total ernst.

„Was ist los?“, fragte ich deshalb auch nach. Schnell warfen sie sich gegenseitig Blicke zu und kamen scheinbar zum gleichen Punkt. Denn schnell lächelten sie wieder und Austin meinte, es sei nichts. Ich konnte aber sehen, dass das Lächeln nur gefakt war und ob sie mich öfters so angelogen haben. Irgendwie verletzte es mich, dass sie mich direkt ins Gesicht anlogen und mit der Sache nicht rausrücken wollten. Deshalb stand ich auch beleidigt auf und und nahm meine Tasche.

„Also ich verschwinde mal. Dann könnt ihr in Ruhe und ganz offen über euer Problem sprechen. Nur vor mir müsst ihr ja so geheimnistuerisch sein. Also gehe ich jetzt auch.“
Beleidigt drehte ich mich einfach um und ging los. Innerlich habe ich ja gehofft, dass sie mich aufhalten und sagen würden, dass es nicht so wäre und erklärt hätten, was Sache war. Doch ich war doch nicht in einem billigen Kitschfilm. Kein Zurückrufen, noch mehr Geheimnisse und ich, ganz verzweifelt mittendrin. Deprimiert kam ich zuhause an und warf mich aufs Bett. Bevor ich wieder ins Grübeln geraten konnte, verschwand ich ins Bad. Dort zog ich alles rasch aus. Zuerst die Hose, dann das T-shirt und schliesslich die Unterwäsche. Alles pfefferte ich in den Wäschekorb und stieg unter die Dusche. Schön warmes Wasser floss mir Körper hinab und ich stand einfach für einige Minuten da und genoss das warme Wasser auf meiner Haut. Langsam begann ich dann mich einzuseifen. Meine Gedanken wollten wieder zurück zu einem ungeliebtem Thema. Deshalb zwang ich mich an etwas anderes zu denken und summte ein Lied, das ich letztens mal gehört habe. Keine Ahnung mehr, wie es hiess oder von wem es war. Was interessierte es mich auch. Ich war echt keine begnadete Sängerin. Ich hatte auch keine schöne Singstimme. Eigentlich nichts besonderes. Aber es machte mir Spass, also tat ich es auch. Meine Haare erhielten auch ihre Spülung und bald darauf war schon das ganze Badezimmer mit dem Duft meines Shampoos ertränkt. Das Fenster und die Spiegel waren etwas vom Wasserdampf angeschlagen. Normalerweise duschte ich ja nicht so heiss, dass ich in einer Dampfwolke stand. Aber heute musste es einfach sein. Zumindest so hatte ich das Gefühl Wärme zu erhalten. Nach etwa einer halben Stunde, ja ich weiss, mega Wasserverschwendung, stieg ich schliesslich aus der Dusche und trocknete mich ab. Mit meiner Crème verwöhnte ich meine Haut und versuchte dann so gut wie möglich mit dem Handtuch meine Haare zu trocknen. Am Ende waren sie immer noch etwas feucht, aber zumindest tropften sie nicht den Boden voll. Gerade wollte ich mich anziehen, als ich meinen Fehler bemerkte. Ich hatte gar keine Kleidung mitgenommen. Seufzend nahm ich das Handtuch und wickelte es um meinen Körper. Da es wirklich nur ein Handtuch war, bedeckte es gerade das Nötigste. Aber war ja auch nicht weiter schlimm. Immerhin grenzte das Bad an meinem Zimmer und ausserdem war eh niemand da. Bevor ich noch wegging, machte ich kurz das Fenster auf, damit der Dampfschwaden verschwinden konnte. Halb bedeckt öffnete ich die Türe und lief in mein Zimmer hinein. Als ich gerade mal mitten im Raum stand, öffnete sich meine Zimmertüre. Erschrocken drehte ich mich um und sah meinen Verlobten hinein spazieren.

„Jason, was machst du denn hier?“ Falls das eine Überraschung war, war ihm das allemal gelungen.

„Wow, Kate. Ich habe dir ja geschrieben, dass ich komme. Aber dass du mich gerade so begrüsst, hätte ich jetzt echt nicht erwartet.“ Sein Grinsen wuchs und sein Blick verklärte sich. Er hat mir geschrieben? Muss wohl gewesen sein, als ich noch unter der Dusche war.

„Ich komme gleich, muss mich nur kurz anziehen. Würdest du bitte also rausgehen?“

„Wieso denn? Ich bin doch dein Verlobter und da hast du doch nichts vor mir zu verbergen oder?“ Ob er das jetzt rein physisch oder auch psychisch meinte, konnte ich nicht sagen. Aber wie ein Raubtier kam er mir näher und mit jedem Schritt ging ich auch eins rückwärts.

„Jason, komm, hör auf mit den Spielchen. Ich brauche auch wirklich nur eine Minute.“ Doch er schien mich gar nicht zu hören. Seine Augen wanderten meinen Körper hinab und dann wieder hinauf. Gierig leckte er sich über die Lippen. Das Holzgestell, das gegen meine Beine drückte, vermittelte mir, dass ich nicht mehr weiter zurück konnte. Jason war mir schon so nah. Er machte noch ein Schritt vorwärts und ich versuchte mich zu setzen. Mit einem Knappen Handtuch erwies sich das jedoch als sehr schwierig. Mit der einen Hand versuchte ich alles an Ort und Stelle zu halten. Mit der anderen wollte ich Jason stoppen, aber schon für mein erstes Vorhaben brauchte ich beide Hände. Und dann beugte sich Jason einfach hinunter und küsste mich.

Kapitel 25

Jason P.o.V.

Ich küsste sie so innig und leidenschaftlich wie es nur ging. Meine Gefühle schwappten gerade über. Sie konnte doch nicht in einem knappen Handtuch vor mir stehen und von mir dann noch erwarten, dass ich einfach ruhig sein könnte. Ich war auch nur ein Mann. Und Kate war meine Frau. Und was für eine. Ich drückte sie auf das Bett und gezwungener Weise musste sie auch liegen bleiben. Meine Hände fassten ihren Kopf, zogen es zu mir und verkrallten sich in ihr Haar. Ihre Hände lagen auf meiner Brust und übten einen sanften Widerstand, den ich aber kaum bemerkte. Als ihre nackte Haut meine Beine streifte, konnte ich ein Stöhnen nicht unterdrücken. Durch meinen T-shirt konnte ich ihre Wärme spüren, und das machte es auch nicht besser. Meine Schuhe kickte ich irgendwie von meinen Füssen. Ihre Beine legte ich seitlich, sodass sie am Schluss ganz auf dem Bett lag. Doch schon nur der kurze Hautkontakt brachte mich erneut zum Stöhnen. Ich wollte mehr. Ich wollte mehr von ihrer Haut spüren, sie kosten, sie ganz fühlen. Also legte ich mich über sie und mit meinen Unterarmen stütze ich mich ab, sodass ich sie nicht erdrückte. Mit ihrem Beinen zappelte sie. Ja, genau. Sie konnte es wohl auch kaum erwarten. Ihre Hände lagen immer noch auf meiner Brust und verstärkten ihren Widerstand. Ah, sie war eine kleine Wildkatze. Ihre Lippen waren so weich, und um die Anspannung bei zu behalten presste sie diese wohl zusammen und meine Zunge streifte nur ihre Lippen. Ihren Kopf versuchte sie auf die Seite zu drehen. Was, war sie sosehr schon in diesem süssen Qual gefangen? Na das wollte ich doch mal austesten. Meine Lippen strichen eine Spur hinab, ihre Wange entlang zum Hals und von dort weiter abwärts. Je weiter ich mich dem Knoten des Handtuches näherte, deste mehr regte sich mein kleiner Freund da unten.

„Jason, hör auf“, hörte ich ihre süsse Stimme. Oh, ich sollte weiter machen. Na gerne doch. Meine Lippen kamen zum Knoten. Und spielerisch fuhr ich mit der Nase den Tuch entlang. Der Ansatz ihrer Brüste machte mich schier verrückt. Erneut hörte ich ihre Stimme, die meinen Namen rief, diesmal etwas lauter. Doch ich konnte jetzt nicht auf das achten. Meine Lippen fanden wieder den Knoten und mit den Zähnen versuchte ich diese aufzubekommen. Und gerade als ich es geschafft habe, verhinderten zwei zarte Hände, dass das Tuch aufflatterte.

„Jason!“ rief sie gleichzeitig, aber ihre Stimme war nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Sie war schroff und nicht heiser vor Erregung. Rasch blickte ich auf und sah in ihr Gesicht.

„Hör auf, ich will das nicht.“ Immernoch suchte ich nach Anzeichen, die mir verrieten, dass sie genau das Gegenteil meinte. Doch davon fehlte jede Spur. Ihre Augen leuchteten nicht warm und freundlich. Sie blickten mich ängstlich und fremd an. Verwirrt liess ich mich auf der Seite nieder und sofort setzte sie sich auf.

„Ich will, dass du jetzt aus meinem Zimmer verschwindest. Sofort!“ meinte sie mit Nachdruck. Ihr Finger wies Richtung Tür, während die andere Hand verkrampft versuchte, das Handtuch festzuhalten. Ungläubig schaute ich sie an. Meinte sie das etwa ernst? Doch ein Blick in ihr Gesicht zeigte mir, wie ernst sie es wirklich meinte. Immernoch ungläubig stand ich langsam auf und lief zur Türe. Sobald ich die Türschwelle übertreten habe, knallte sie die Tür hinter mir zu. Was war das denn? Wir waren gerade auf dem besten Weg gewesen miteinander zu schlafen und plötzlich unterbricht sie mich und wirft mich hinaus? Sie wollte es doch genauso sehr wie ich. Machte sie das etwa an? Mein kleiner Freund verschwand auch nur langsam, und ich stieg die Treppen hinunter und begab mich ins Wohnzimmer. Isa und Mikayla waren auch nicht da. Ich war nämlich gerade gekommen, als sie auch schon gehen wollten. Aber ich verstand immer noch nicht, was da genau zwischen Kate und mir passiert war. Ich meine, sie wollte es doch auch. Immerhin stand sie im knappen Handtuch vor mir. Welcher Mann konnte da schon nein sagen. Und das wusste doch auch jede Frau. Deshalb bekleideten sich die Frauen doch nur mit Fetzen und hofften auf einen Mann, der ihnen eine schöne Nacht schenken würde. Sie wollten doch alle nur die Aufmerksamkeit erlangen.
Tapsende Schritte unterbrachen meinen Gedankengang und gänzlich angezogen kam Kate ins Wohnzimmer. Sie trug eine Jogginghose und ein T-shirt.

„Was war das, Jason?!“ Sie klang wütend. Aber was für einen Grund hatte sie wütend zu sein? Ich war derjenige der wütend sein musste. Immerhin hatte sie mich mittendrin unterbrochen.

„Das fragst du mich? Das sollte wohl eher ich dich fragen!“, blaffte ich zurück.

„Mich? Du stehst plötzlich im Zimmer, küsst mich einfach, reagierst nicht einmal auf meine Rufe und fragst dann noch mich, was das soll?“

„Ich habe nicht auf deine Rufe reagiert?! Weshalb bin ich wohl weiter gegangen? Erst stehst du im Handtuch da, dann zeigst du mit deiner Hand an meiner Brust, dass du mehr willst und schliesslich rufst du mir zu weiter zu machen, verlangst mehr und wirfst mir jetzt vor, dass ich das alles ohne deine Zustimmung gemacht habe?! Du hast ja eindeutige Signale gesendet und jetzt soll ich der Schuldige sein?!“ Ihr erschrockener Blick gibt mir meine Zustimmung. Ja, als hätte ich ihre Erregung nicht bemerkt. Das hatte sie doch nicht einmal versteckt, und jetzt tat sie so erschrocken.

„Jason, ist dir überhaupt klar, was du da sagst? Ich habe gesagt du sollst aufhören und das habe ich ernst gemeint. Das war keine Aufforderung weiter zu machen, kein Verlangen nach Mehr. Die Hand an deiner Brust war nicht um dich anzumachen. Ich habe versucht dich runter zu stossen, doch du warst viel zu schwer. Und ich wusste nicht einmal, dass du kommen würdest. Ich war eine halbe Stunde unter der Dusche gewesen und habe deine Nachricht nicht einmal gelesen. Ich hatte eben keine Kleidung mitgenommen und kam ins Zimmer um mich gerade anzuziehen, als du plötzlich in mein Zimmer hinein geplatzt warst.“ Das Gesagte sickerte erst langsam zu mir durch und dennoch konnte ich es kaum glauben.

„Du meinst, wir haben uns einfach missverstanden?“ Ganz leicht nickte sie, so als wäre sie davon nicht ganz so überzeugt.

„Weisst du noch was ich damals nach Dwains Party zu dir gesagt habe?“ Seine Party war schon eine Weile her und deshalb brauchte ich eine Weile, bis ich mich wieder daran erinnerte. An den kleinen Vorfall und an das, was zwischen uns passiert war. Was hatte sie damals gesagt?

„Ok, aber falls dies eine Wiederholung erhalten sollte, werde ich sofort weg sein.“

Schockiert weiteten sich meine Augen. Meinte sie das etwa ernst? Wollte sie etwa jetzt mit mir Schluss machen? Aber wir waren doch verlobt und ausserdem, war gar nichts geschehen. Durfte man heute nicht einmal seine Verlobte anfassen?

„Willst du jetzt ernsthaft mit mir Schluss machen? Das war doch ein Missverständnis gewesen. Ausserdem sind wir schon verlobt. Willst du jetzt sogar die Verlobung auflösen? Das kannst du doch nicht machen?! Ich liebe dich doch! Bitte verlass mich nicht. Tu mir das nicht noch einmal an Kate.“ Ich flehte sie an. Das konnte sie doch nicht machen?!

„Was soll ich denn tun, Jason? Was verlangst du von mir? Ich kann dein Verhalten nicht einfach so hinnehmen. Vielleicht waren die anderem Mädchen ja so gewesen, dass du mit ihnen einfach schlafen konntest, wann du es auch immer wolltest. Aber ich bin nicht so wie die. Ich kann nicht einfach so mit dir auf einmal schlafen. Und du musst mir auch eine gewisse Privatsphäre lassen. Ich kann dir nicht mein Leben offen da legen, nur weil wir zusammen sind. Und heute bist du definitiv zu weit gegangen. Ich meine, ich liebe dich ja auch...“

„Weshalb willst du dann Schluss machen? Du würdest uns beiden damit nur Schmerzen zufügen. Lass uns doch diesen kleinen Vorfall vergessen und so weitermachen wie bisher?“, fiel ich ihr ins Wort. Ich wusste nicht, ob sie die Verzweiflung heraushörte. Und normalerweise würde es mir auch sehr peinlich sein. Aber es war Kate. Es ging um unsere Beziehung. Da gab es für mich einfach keine Grenzen. Ich würde alles tun, damit das zwischen uns auch wirklich funktionieren würde. Wirklich alles. Alles, damit sie mir gehörte, und nur mir. Sie war meine Frau.

„Ausserdem, was wäre schon schlimm miteinander zu schlafen? Wir sind beide erwachsen genug und auch schon verlobt. Ich meine, es ist ja nicht so, als würde ich weg sein, sobald ich mit dir geschlafen habe. So bin ich nicht mehr. Und das weisst du auch. Seit diesem einen Tag habe ich kein anderes Mädchen mehr berührt. Nicht einmal angeschaut. Ich werde dir bis zum Lebensende treu sein. Ich liebe dich. Willst du das alles einfach so wegwerfen? Nur wegen diesem kleinen Vorfall? Und wenn schon, was wäre schlimm daran? Liebst du mich etwa nicht?“

„Nein, Jason. Ich liebe dich nach wie vor. Nur bin ich einfach nicht bereit, mit dir zu schlafen.“ Ein Schnauben entwich mir. Meine Wut war immer noch nicht versiegt.

„Du willst mich doch nur an der Angel haben, damit du zu mir zurück kommen kannst, wenn dein kleiner Studentenfreund dich abweist. Nicht wahr? Für ihn würdest du bestimmt auch schnell die Beine breit machen, ohne auch nur zu zögern und ...“

Klatsch. Sie hatte mir eine schallende Ohrfeige verpasst. Meine Hand fuhr ruckartig zu meiner Wange. Sicherlich würde es einen Abdruck ihrer Hand geben. Ungläubig schaute ich sie an. Sie hatte mich tatsächlich geschlagen. Ihre Augen loderten vor Wut. Ich sah kein bisschen von der Wärme und Liebe in ihren Augen. Nur Wut und Enttäuschung.

„Raus!“, sprach sie leise, aber bestimmend. „Verschwinde Jason. Verschwinde aus unserem Haus!“ Wie schon vorher im Zimmer, wies sie auf die Tür. Nun, wenn das so war. Schnell schnappte ich mir meine Jacke vom Sofa und ging mit langen Schritten aus dem Haus. Die Tür knallte ich zu und kümmerte mich wenig, ob sie noch heile war. Blind vor Wut lief ich einfach weg, wahrscheinlich würden mich meine Füsse schon nach Hause tragen.

Sie hatte mir ernsthaft eine geknallt und mich aus dem Haus geschmissen. Klar, hatte ich ihr auch zu Unrecht solche Dinge an den Kopf vorgeworfen. Aber ich war auch einfach so wütend gewesen und was sollte ich auch sonst denken. Ich meine, sie war mit mir verlobt und liebte mich, aber konnte nicht mit mir schlafen? Die anderen Mädchen würden alles tun, um mit mir einmal gesehen zu werden, geschweige denn mit mir zu schlafen. Was war nur los mit ihr? Was war aus uns geworden? Hatten wir uns jetzt sogar ernsthaft gestritten? War das ein Vorgeschmack auf eine spätere Ehekrise? War das ein Test, ob wir die Beziehung durchstehen würden, und es würdig waren zu heiraten? Natürlich bereute ich jetzt im Nachhinein meine Worte. Aber just in diesem Moment waren die Wörter aus mir herausgeflossen, ohne nachgedacht zu haben. Es war wirklich nicht richtig, sie so anzuschnauzen. Und so drehte ich mich wieder um und stand wieder vor der Haustüre von Kate. Langsam drückte ich die Klingel, bevor mich der Mut wieder verliess. Der Mut, ihr in die Augen zu sehen, nach all dem Vorwurf, den ich ihr gemacht habe. Lange Zeit geschah nichts und ich befürchtete schon, dass sie es vielleicht nicht gehört hätte. Also klingelte ich noch einmal. Doch auch diesmal geschah nichts. Kein Wunder war sie wütend auf mich. Aber was sollte ich nun machen? Weggehen war keine Option. Ich wollte mit ihr reden und das Problem beseitigen. Ansonsten konnte ich heute gar nicht schlafen. Soviel war sicher. Also setzte ich mich auf die Stufen. Das hiess wohl warten, warten bis Mikayla und Isa zurück kamen.

 

Eine gefühlte Ewigkeit später kamen zwei kleine Füsse vor mir zum Stehen. Ich blickte auf und sah in das neugierige Gesicht von meiner Schwägerin in spe. Wow, wie das klang. Dieses Energiebündel würde meine Schwägerin sein. Nun ja, aber zurück zu meinem Problem.

„Was machst du denn hier, Jason?“, fragte sie mich sogleich auch mit ihrer hohen Stimme. Ganz so hoch wie sie es anfangs gewesen war, war sie nun auch nicht mehr. Da merkte man wohl auch schon, dass sie älter wurde.

„Na, ich warte auf euch“, antwortete ich mit einem gespielten Lächeln. Sie sollte mein Elend und meine Reue nicht erkennen. In ihrem Alter sollte sie die Wahrheit noch nicht kennen.

„Wieso gehst du nicht zu Kate? Hat sie dir nicht aufgemacht?“ Oh, nein. Was sollte ich ihr jetzt nur antworten?

„Ehm... Weisst du, ich habe einmal geklinelt und da niemand die Türe aufgemacht hat und euer Auto nicht da war, dachte ich, ihr seid alle weggefahren. Vielleicht war sie einfach zu der Zeit im Bad gewesen.“ Ok, das klang wenig überzeugend, aber eine bessere Ausrede, die ich einem Kind auftischen könnte, fiel mir auch nicht ein.

„Und weshalb hast du ihr nicht angerufen oder ihr geschrieben und gefragt, wann wir wieder kommen würden?“

„Um ehrlich zu sein, habe ich gar nicht daran gedacht.“

„Hallo Jason, willst du noch reinkommen?“, unterbrach Mikayla da schon unser Gespräch. Zum Glück! Keine Ahnung, wie lange ich noch mit Isa hätte ein Gespräch führen müsen. Sie schloss die Türe auf und Isa sprang hinein und informierte Kate mit einem Schrei, dass sie wieder da waren. Langsam zog ich meine Schuhe aus und stieg die Treppen hinauf. Da stand ich wieder. Vor ihrer Türe. Meine Hand hob sich und senkte sich wieder. Mann, woher hatten all die Leute nur den Mut, um solche Gespräche zu führen? Mit einem tiefen Luftzug klopfte ich bedachte an die Türe. Kein Geräusch erklang. Wusste sie etwa schon, dass ich da draussen stand? Noch einmal klopfte ich sachte, diesmal etwas lauter, um sicher zu gehen, dass sie mich auch hörte. Diesmal hörte ich ein leises Rascheln und dann ihre Schritte. Und schon öffnete sich ihre Türe einen Spalt breit.

„Hau ab!“, schrie sie mir entgegen und wollte schon die Türe zuknallen. Doch schnell stellte ich meinen Fuss dazwischen und verschaffte mir damit selbst Zugang zu ihrem Zimmer. Sobald ich hinein geschlüpft war, schloss ich die Tür hinter mir wieder. Ich denke, unseren Streit werden die beiden unten auch sonst mitbekommen. Da muss die Türe jetzt wirklich nicht auch noch offen stehen.

„Bitte, Kate. Es tut mir wirklich furchtbar Leid, was ich gesagt habe. Es war nicht so gemeint. In der Hitze des Gefechts sind mir die Wörter einfach rausgerutscht. Ich habe gar nicht nachgedacht, bevor ich gesprochen habe.“ Voller Reue blickte ich sie an. Ihre Augen waren schon rot umrandet. Sie hatte wohl sehr viel geweint. Oh nein. Und dafür war wirklich nur ich Schuld. Ich ging auf sie zu und wollte sie umarmen. Doch sie wich zurück und diesmal verstand ich die Zeichen auch deutlich. Also blieb ich stehen und senkte reumütig den Kopf. Ihr liefen stille Tränen die Wangen hinunter und ich könnte mich am liebsten selbst K.O. schlagen, dafür, dass ich sie zum Weinen gebracht habe.

„Es tut mir wirklich Leid, Kate. Ich war einfach nur wütend, dass du mehr Zeit mit ihnen verbracht hast als mit mir. Das kannst du mir doch auch nicht verdenken. Oder? In letzter Zeit haben wir so wenig unternommen. Und ich vermisse dich halt. Bitte, verzeih mir. Ich will nicht ohne dich leben.“ Ich konnte nicht anders. Ich brauchte ihre Nähe und wagte wieder einen Schritt nach vorne. Wieder ging sie einen Schritt rückwärts, jedoch war dieser etwas kleiner. Das war doch ein gutes Zeichen, oder?

„Bitte, Kate. Hör auf zu weinen. Ich kann mir das nicht mit ansehen. Es tut mir furchtbar Leid. Und dich so weinen zu sehen, bereitet mir nur noch mehr Schmerzen. Bitte.“ Mein Flehen war in ein Flüstern übergangen. Und dann blickte sie endlich auf. In ihren braunen Augen glänzten die Tränen. Ich wollte sie umarmen, sie trösten, ihr sagen, dass alles gut werden würde, dass sie sich keine Sorgen machen müsste, solange ich bei ihr war. Doch genau das konnte ich ja nicht machen. In meiner Gegenwart war es ihr so schlecht ergangen. War ich ein so schlechter Freund, nein Verlobter? Oder war das normal in einer Beziehung, dass man ab und zu sich stritt? Musste man in einer Beziehung mit ansehen, wie die Geliebte soviele Tränen vergoss?

„Jason, so kann das nicht weitergehen. Diese Art von Beziehung ist für uns beiden nicht gut. Ich denke, das wars mit uns.“

Kapitel 26

Murrend lief ich die Strasse entlang. Und da war auch schon die Stelle, an der Kate und ich damals geknutscht hatten und ich ihr gesagt habe, was ein richtiger Kuss war. Man, war das ein Kuss gewesen. Aber jetzt, soll das vorbei sein. Alles vorbei. Okay, meine Aussage stimmte nicht ganz. Sie wollte etwas Abstand haben und brauchte Zeit, über gewisse Dinge klar zu werden. Dass dies auch uns betraf, wurde mir leider zu spät bewusst. Seit diesem Tag, an der wir unseren ersten richtigen Streit hatten, war nun inzwischen eine ganze Woche vergangen. Eine ganze Woche, in der wir uns nicht mehr regelmässig trafen. Ich sah sie nur noch kurz in den Schulfluren, nach der Schule und manchmal in der Mittagspause. Leider war mir nicht einmal diese Zeit gegönnt, mit ihr zu sein, weil wir meist nicht einmal zusammen essen konnten. Immer kam irgendetwas dazwischen. Entweder muss sie irgendwohin, oder ich werde von irgendjemanden aufgehalten und so lebten wir quasi aneinander vorbei. Die Gerüchteküche brodelte zum Glück nocht nicht so fest, weil wir noch nicht allzu getrennt lebten. Hier und da gab es also immer noch einen Schmatzer auf die Backe oder einen richtigen Kuss. Doch leider sind diese viel zu selten geworden. Zu gern würde ich sie in meine Arme ziehen, sie festhalten und sie um den Verstand küssen. Einfach sie bei mir wissen und vor all dem Bösen beschützen. Doch leider lebten wir nicht mehr in alten Zeiten, wo ein Mann noch Sicherheit bedeutete und wie Gentlemen die Ladies beschützen musste. Sie wusste sich selbst zu verteidigen und zog alleine los. Das mag ich auch an sie. Das Selbstbewusstsein und die Unabhängigkeit. Doch anderenteils ist genau dies der Grund, weshalb ich nicht immer an ihrer Seite sein konnte. Jetzt sollte das alles vorbei sein. Auch wenn sie sagte, nur für eine Weile, fühlte es sich so leer an. Es sollte nur eine Auszeit sein. Aber was, wenn sie in dieser Zeit einen anderen finden würde? Was wenn sie jemanden besseren kennen lernen würde? Einen, der nicht so verkorkst war wie ich? Einen, der keine schlechte Vergangenheit hatte? Die Zweifel liessen mich einfach nicht los. Auch wenn sie meinen Antrag angenommen hatte, überkamen mich immer wieder Zweifel. Ich meine, warum sonst hätten wir die Hochzeit verschieben sollen? Mir wäre es viel lieber, wenn wir noch in diesem Jahr heiraten und vor allem, wenn sie den Verlobungsring endlich tragen würde. Doch das könnte eh nicht geschehen, wenn ich ihn immer noch hatte.

Die Gedanken forttreibend konzentrierte ich mich wieder auf den Weg. Ich war unterwegs zur Polizei. Sie mussten noch meine Aussage bezüglich des Unfalls aufnehmen und da ich in den letzten Tagen noch nicht ganz fit und munter war, haben sie es auf heute verschoben. Ich war zwar immer noch nicht ganz gesund, aber ich konnte problemlos eine Aussage machen. Am Präsidium erwartete mich schon ein Polizist und führte mich in ein Zimmer hinein. Es war nicht das typische Verhörraum, sondern etwas anders. Es gab keine Spiegelwand. Stattdessen waren dort mehrere Stühle an einer kleinen Tischgruppe zu finden. Es war wie ein Pausenraum, nur der Kaffeeautomat fehlte noch. Ich setzte mich hin und wartete darauf, endlich meine Aussage machen zu können. Nach einigen Minuten kam eine andere Polizistin und gab mir auch einen Becher Kaffee. Sie setzte sich mir schräg gegenüber und sah mich auffordernd an.

„Also, Mr. Collins. Fangen Sie doch mal dasmit an, was Sie noch vom Unfall wissen. Schildern Sie mir alle Ereignisse, die Ihnen verdächtig vorgekommen waren.“

„Nun, ich hatte gerade eine lange Woche hinter mir und habe sehr viel Stress gehabt. Denn wissen sie, ich musste da etwas für meine Freundin vorbereiten. An diesem Tag hatten wir unser drittes Date gehabt. Ich habe sie wie üblich abgeholt und zusammen sind wir zum Wald gefahren. Dort sind wir dann ausgestiegen und sind durch den Wald gelaufen. Es war wunderschön gewesen. Wir haben über alles reden können. Egal welche Probleme wir auch hatten, alles konnten wir uns gegenseitig erzählen und hatten keine Geheimnisse voreinander. Später sind wir am See angekommen. Naja, das war unser Ort, sozusagen. Sie müssen wissen, meine Freundin hatte einen Unfall gehabt und ihr Gedächtnis verloren. Und da wir so viele Dinge am See erlebt hatten, dachte ich, dass sie vielleicht dadurch einige Erinnerungen wieder zurück bekommen würde. So waren wir eben am See angekommen. Dort habe ich schon ein Picknick vorbereitet gehabt und wir haben das Essen genossen. Und wieder haben wir weiter geredet und es war alles ganz in Ordnung. Da hatte sie diese Häschen gesehen und meinte, sie müsse sich verändern. Da habe ich ihr eben erklärt, dass sie sich nicht verändern müsse und perfekt ist. Naja, es ist zu einer Art Liebeserklärung gekommen und am Schluss hatte ich ihr einen Heiratsantrag gemacht.“
Während dem ganzen Gespräch hatte ich sie im Auge behalten. Bisher hatte sie nicht viele Notizen gemacht. Vielleicht dachte sie, dass es nicht für den Fall relevant wäre. Doch als ich den Heiratsantrag erwähnt habe, hatte sie ihre Augen für einen kurzen Moment weit aufgerissen. Ich war mir sicher, dass sie überrascht war, aber sie hatte es wirklich gut versteckt. Die Frage, weshalb sie so überrascht war, konnte ich mir schenken. Für einen kurzen Moment hatte sie mich auch einfach nur angestarrt, bevor sie eilig einige Wörter aufs Blatt gekritzelt hatte. Ich fuhr fort mit meiner Erzählung.

„Entgegen meiner Hoffnung hat sie aber nein gesagt und etwas von wir sind zu jung und dass es nicht geht gesagt. Das wäre ja für mich, nicht so schlimm gewesen. Aber am Schluss meinte sie doch tatsächlich, dass sie mich gar nicht kennen würde, dass wir uns nicht kennen würden. Das war der Todesstoss gewesen.“ Ich senkte meinen Blick auf den Tisch. Auch wenn es schon lange vorbei war, tat es dennoch weh, daran wieder denken zu müssen. Ihre Augen voller Tränen und einfach diese Verzweiflung darin. Ich konnte ihr nicht einmal helfen. Nein, sie wollte mich nicht einmal ihr helfen lassen. Das war das allerschlimmste gewesen.

„Naja, danach ist sie weinend weggerannt. Ich war so verzweifelt und wütend gewesen, dass ich einfach wild darauf los gelaufen bin und schliesslich am Auto ankam. Dass die Picknickdecke und das gesamte Zeug noch am See war, war mir in diesem Moment völlig egal gewesen. Nur den Ring hatte ich mir in meine Hosentasche gesteckt und mitgenommen. Ich weiss, eigentlich sollte ich das nicht tun, aber durch die ganze Wut habe ich das Gaspedal durchgedrückt und bin irgendwie sogar bis zur Hauptstrasse gelangt. Naja, bis dahin hatte ich mich wieder etwas beruhigt und habe das Tempo wieder abgedrosselt. Eigentlich sogar rechtzeitig, denn genau da kam ich an der Kreuzung an. Jetzt wo ich darüber nachdenke... Ich könnte schwören, dass die Ampel grün war. Das Letzte, was ich wahrgenommen habe, war das Scheinwerferlicht des Gegnerautos, das in mich hineingefahren war. Das laute Hupen habe ich leider etwas zu spät wahrgenommen. Naja, nachdem das Auto in mich gefahren ist, hat sich meines einige Male gedreht, irgendwo hineingefahren, ein Baum, wie ich es später erfahren habe und schliesslich in die Tiefe gestürzt.“
Meine Hände lagen ineinander verschränkt auf dem Tisch und emotionslos schaute ich die Polizistin vor mir an. Sie machte sich noch letzte Notizen, bevor sie die Beine überkreuzte und mich anschaute.

„Nun Mr. Collins, ihre Aussage stimmt mit den Aussagen der Augenzeugen überein. Wir können uns selbst auch nicht erklären, was genau da geschehen ist. Das andere Auto beging Fahrerflucht und wir konnten den Täter immernoch nicht erwischen. Ich habe aber noch einige Fagen an Sie. Hat eigentlich jemand gewusst, dass Sie um diese Zeit dort unterwegs sein würden?“ Fragend schaute sie mich an.

„Naja, Kate wusste es natürlich und... ausser sie wusste es keiner. Nein.“ Ich schüttelte den Kopf, um meine Aussage zu bekräftigen.

„Gut, und kennen Sie vielleicht jemanden, der Sie nicht so gerne hat? Der vielleicht etwas gegen Sie haben könnte?“, fragte sie mich, während sie sich noch Notizen machte.

„Nein, eigentlich nicht, abgesehen von all den Mädchen, die ich nach einer Nacht verlassen habe. Aber wieso fragen Sie?“ Ehrlich gesagt hat mich die Fragerei schon ein wenig neugierig gemacht.

„Wir können nicht ganz ausschliessen, dass das Ganze geplant war. Deshalb müssen wir jeder Spur nachgehen. Die Verkehrskameras zeigen nicht das Gesicht des Täters und auch das Nummernschild konnten wir nicht identifizieren. Wir haben zwar herausgefunden, dass es sich um einen schwarzen Audi A3 handelt, aber genau dieses Model ist ziemlich weit verbreitet und bei den Leuten sehr beliebt. Deshalb haben wir bisher überhaupt keinen Verdächtigen. Also, wenn Sie irgendetwas wissen, irgendeine Ahnung haben, wären wir sehr dankbar darüber. Und keine Angst, Sie können sich nicht selbst belasten. Die Videokameras zeigen, dass sie nicht falsch gefahren sind. Sie haben auch das Tempolimit nicht überschritten und sind bei grün vorbeigefahren. Also der Fehler liegt beim anderen Fahrer. Haben Sie irgendeinen Verdacht, wer es vielleicht gewesen sein könnte?“ Fragend blickte sie mich an. Hmmm.. Jemand, der vielleicht etwas gegen mich hätte, sodass er mich sogar vielleicht tot sehen woltle? Da fällt mir wirklich keiner ein. Ausser...Oh mein Gott! Mit weit aufgerissenen Augen schaute ich die Polizistin vor mir an.

„Es gibt da jemanden, der vielleicht etwas gegen mich hätte. Aber mich töten wäre selbst für ihn viel zu übertrieben.“

„Das spielt keine Rolle. Vielleicht hatte diese Person auch etwas anderes vorgehabt. Aber wir müssen wirklich jeder Spur nachgehen. Sie müssen nur den Namen verraten. Um den Rest kümmern wir uns dann.“ Sie hat sich etwas vorgebeugt und erwartete interessiert meine Antwort.

„Nun, wenn das so ist. Letztlich war ich ja schon mal verhaftet worden wegen dem Dealen und dem Ganzen. Und da habe ich alle verpfiffen. Und Sie wissen bestimmt wie streng das in diesem Gebiet zugeht und dass man normalerweise stillschweigt und nichts verrät. Aber ich hatte soviel Stress um die Ohren und wollte eigentlich nichts lieber als damit aufzuhören, sodass ich hier alles verraten habe. Nun der Kopf des Gangs war Taylor. Ryan und ich waren hier gewesen und haben unsere Aussage gemacht. Einige Tag später wurde er verprügelt. Er meint heute noch, dass es einfach nur irgendwelchen kampflustigen Jugendlichen gewesen waren. Aber in Wahrheit waren es Taylors Leute gewesen. Da bin ich mir ganz sicher. Bei Ryan war das nur eine Warnung gewesen. Er war ja an diesem Tag zum ersten Mal da gewesen und hat noch nicht viel vom Geschäft mitbekommen. Ich hingegen war schon ein richtiges Mitglied gewesen und habe alle verraten. Von den Dealern, den Kunden bishin zu den Herstellern. Für mich hätte er definitiv etwas anderes geplant als nur eine Prügelei. Da war ich mir sicher gewesen.

„Oh mein Gott, es erklärt alles. Der Fahrer, den Sie nicht identifizieren können. Glauben Sie mir, wenn Taylor es nicht möchte, dann können Sie ihn auch nicht finden. Sie können ihn nicht identifizieren. Ich könnte sogar wetten, dass das Auto entweder geklaut war, oder von einem Schrotthaufen für diesen einen Zweck benutzt worden war. Oh verdammt, wenn das Taylors Werk war, bin ich nicht mehr sicher. Er will mich töten und er wird es auch schaffen. Nicht umsonst hat niemand sonst eine Aussage gegen ihn gemacht. Und wenn dann waren sie spurlos verschwunden. Ich bin ein toter Mann.“
Hektisch lief ich hin und her. Währenddessen versuchte die Polizistin mich zu beruhigen. Erfolglos. Wie auch. Ich würde schon bald sterben, wie könnte man mit diesem Wissen noch ruhig bleiben. Meine Gedanken rasten in Lichtgeschwindigkeit. Ich führte sogar schon Selbstgespräche mit mir. Denn ich murmelte vor mich hin. Dass die Polizistin aus dem Zimmer verschwunden war, bemerkte ich nicht einmal. Erst als die Tür wieder geöffnet wurde, schaute ich auf und sah,  dass sie mit einem anderen Polizisten kam, und in der Hand einen Becher hatte. Es war der Polizist, der schon damals Ryans und meine Aussage aufgenommen hatte. Den Becher legte die Polizistin vor mir auf den Tisch und schiebte es zu mir hinüber.

„Trinken Sie, beruhigt Ihre Nerven.“ Weshalb sie mich siezte war mir unklar. Langsam nahm ich den Becher in die Hand und pustete über die Brühe. Die Wärme tat mir sehr gut und mit jedem weitern kleinen Schluck, den ich genehmigte, merkte ich, wie ich mich mehr und mehr entspannte.

„Nun, da du dich wieder beruhigt hast, können wir ja normal reden. Du hast damals gegen Taylor ausgesagt. Und meine Kollegin hier hat mir gerade berichtet, dass dein Freund danach verprügelt wurde. Kannst du mir Details nennen, was genau geschehen war? Ich bin der leitende Detective der Ermittlung von Taylor und seiner Gang. Also was war genau geschehen?“ Ruhig schaute er mich an und leicht verzweifelt schloss ich meine Augen. Was war geschehen?

Ryan und ich liefen die Strasse entlang, auf dem Heimweg. Er war natürlich überglücklich, dass wir nicht eingebuchtet worden waren und hat übers ganze Gesicht gegrinst. Ich wusste, dass Taylor nicht still sitzend Däumchen drehen würde und habe mir bei jedem kleinsten Geräusch mich umgesehen. Ich war wahrlich paranoid, aber auch begründet. Als wir schon in der Nähe unserer Viertel waren trennten sich unsere Wege und ich bog nach links ab, Ryan hingegen rechts. Wir verabschiedeten uns und als ich schon einige Meter gelaufen war, hörte ich seltsame Geräusche. Also drehte ich wieder um und ging zu der Kreuzung, an der wir uns getrennt hatten. Ryan lag da am Boden und einige Jugendliche in schwarzen Kapuzenjacken schlugen auf ihn ein. Anfangs waren nur Fäuste im Spiel und später kickten sie auf ihn ein, als wäre er nur eine Puppe. Ich ging schon auf sie zu, als die drei Jungs sich zu mir umdrehten und mich erblickten. Ich dachte, meine letzte Stunde hätte auch schon geschlagen, aber sie rannten nur weg. Schnell habe ich den Notarzt gerufen und diese kamen dann auch schon bald. Die Nacht über habe ich dann bei Ryan verbracht, weil ich zum Teil Schuld an seiner Lage war. Er hatte eine gebrochene Rippe und viele Blutergüsse. Innere Blutung wurde auch diagnostiziert und eiligst haben die Ärzte ihn behandelt. Zum Glück ging das Ganze noch gut aus und es waren nicht schwerwiegende Verletzungen gewesen. Anhand des T-shirts erkannte man die Verbände nicht und nur ein blaues Auge war sichtbar gewesen. Ich war danach so fertig, dass ich einfach nur noch in mein Bett fiel und einschlief, nachdem seine Eltern bei ihm eingetroffen waren.

Was in dieser Nacht in Wirklichkeit geschehen war, wusste niemand. Seinen Eltern sowie allen anderen erzählten wir die Geschichte einer Jugendgang, die einfach auf ihn eingeschlagen haben. Auch er selbst glaubt daran. Doch nur ich wusste, dass es Taylors Leute gewesen waren. Und glauben Sie mir, es waren seine Leute. Keine Frage. Damit es nicht verdächtig aussah, mussten die drei Jungs „flüchten“ als ich eingreifen wollte. Und jetzt verstehe ich auch, weshalb sie mich nicht verprügelt hatten. Taylor hatte viel schlimmeres für mich geplant gehabt. Und beinahe wäre es ihm auch gelungen mich zu töten. Aber zum Glück waren die Ärzte schnell an Ort und konnten mich wieder zusammen flicken.“
Mein Becher war vollständig malträtiert. Ich habe einfach etwas zum Kneten gebraucht und das war gerade mein Becher gewesen. Vielleicht sollte ich wieder diese Knetbälle dabei haben, wie der Arzt es mir empfohlen hatte. Die Polizisten schauten sich gegenseitig an und kamen wohl zu einem Entschluss.

„Nun, vielen Dank Mr. Collins. Sie waren uns eine grosse Hilfe gewesen. Wir werden uns wieder melden, sobald wir irgendwelche Fortschritte haben und weiter Fragen auftauchen würden. Ich wünsche Ihnen noch eine angenehme Zeit“, meinte die Polizistin.

„Aber... Sie wollen nichts gegen Taylor unternehmen? Er wird mich töten!“ Das ich aufgebracht war, war doch wohl gerechtfertigt. Sie konnten doch unmöglich erwarten, dass alles in Ordnung war?!

„Junge, wir tun unser Bestes. Wir wissen, dass du Angst hast, dass dir oder deinen Freunden etwas geschehen könnte. Aber dir wird nichts passieren. Wir haben erhöhte Sicherheitskontrollen und führen öfters Streifzüge durch. Also mach dir keine Gedanken. Es wird alles wieder gut werden.“ Damit begleitete er mich auch hinaus und liess mir gar nicht zu Wort kommen. Da hatte ich wohl keine Wahl. Ab da würde mich wohl die Todesangst überall verfolgen. Jetzt, da ich wusste, dass Taylor hinter all dem steckte, würde ich noch mehr aufpassen müssen. Die Angst, dass etwas geschehen könnte würde mein treuster Begleiter werden. Treuer als mein eigener Schatten.

Kapitel 27

Einige weitere Tage vergingen, doch von Kate hörte ich nichts. In der Schule war es wohl am schlimmsten. Ich sah sie lachen und sich mit den anderen amüsieren. All dies ohne mich. Denn ich musste ja gezwungener massen wieder zu meiner Jungsgruppe zurückgehen, um ihr den versprochenen Freiraum zu geben. Es war anstrengend einfach ihnen zuzusehen, ohne selbst bei ihr sein zu dürfen. Nahezu immer beobachtete ich sie und manchmal drehte sie sich sogar um und lächelte mir zu. Schon zu oft habe ich mir ausgemalt, wie sie auf mich zukommt und mich einfach küssen würde. Doch es war und blieb wohl nur ein Wunschdenken. Dass der Ring an ihrem Finger fehlte, wusste ich auch so, da dieser bei mir zuhause auf dem Nachttisch neben meinen Tabletten lag. Schwer seufzend nahm ich meine Französischbücher aus meinem Kästchen und lief in das Klassenzimmer. Kate sass bereits da mit ihren Freunden und lachte gerade über irgendeinen Witz den Ryan wohl gemacht hatte. Dieser Kerl war mir schon von Anfang an nicht recht. Ich konnte nichts dagegen unternehmen, dass die Eifersucht in mir hochkam. Bereits als wir noch zusammen waren, hat er Kate angemacht und ständig mit ihr geflirtet. Nun hat Kate ihnen sicherlich gesagt, wie es gerade zwischen uns stand und dieser Mistkerl will nun seine Chance nutzten. Als Kate noch ihre Hand auf seinen Arm legte und er ihr ein Lächeln zuwarf, war es dahin mit meiner Beherrschung. Dass Ryan mit ihr flirtete, konnte ich ja nicht verdenken. Kate war ja auch eine Hammerfrau. Aber dass sie auch noch auf seine Flirtversuche einging, war mir dann einfach zu viel. Ich wollte schon auf die Truppe zustürmen, als der Lehrer hinein kam und Dwain mich auf meinen Platz zog. Ich musste zugeben, in den letzten Tagen war mir Dwain wirklich ein sehr guter Freund geworden. Klar, waren wir schon früher gut befreundet gewesen. Aber in den letzten Wochen, in meiner schwierigen Zeit, stand mir Dwain immer bei, so als würde er mich verstehen, ohne auch nur ein Wort über das Ereignis verloren zu haben. Als wir uns hinsetzten, warf er mir noch einen mitleidigen Blick zu. Doch das steigerte meine Wut nur um so mehr an. Ich wollte kein Mitleid, ich wollte nur Kate wieder zurück. Still holte ich meine Sachen heraus und legte sie auf den Tisch. Da fing Mr. Ferguson auch schon mit seinem Unterricht an. Was er da von sich gab, verstand ich nur halbwegs, da ich in Gedanken irgendwo völlig anders war, nämlich bei Kate.

Es machte mich unglaublich wütend, dass sie von mir verlangte, dass ich sie für eine Weile in Ruhe lassen sollte, sie aber herzlich mit den Nächstbesten herumflirtete. Wie soll ich da bitteschön ruhig bleiben?! Vielleicht war unsere Beziehung wirklich von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Ich meine zuerst ihr Gedächtnisverlust, da wir davor auf dem besten Weg gewesen waren zusammen zu kommen. Dann das, bei Dwains Party, bei der ich wohl zu weit gegangen war. Danach das mit Taylor, der Heiratsantrag, mein Unfall und zuletzt nun unser Streit. Wir waren nicht wirklich gänzlich zusammen gewesen, da hatten sich die Probleme schon auf uns gestürzt. Hiess das nicht im Endeffekt, dass irgendwer da oben nicht mit uns beiden zusammen einverstanden war? Aber natürlich durfte ich auch die schönen Momente nicht vergessen. All die wunderschönen Momente, unsere gemeinsamen Erlebnisse, all die süssen Küsse, die wir miteinander getauscht haben, die zarten Berührungen. War das alles einfach so gewesen?

So tief in Gedanken versunken, bemerkte ich überhaupt nicht, was in der Realität los war. Erst als mir Dwain einen Ellenbogen in die Rippen stiess, kehrte ich aus meiner eigenen Welt zurück. Mr Ferguson stand vor mir und streckte mir einige Zettel hin. Als logische Schlussfolgerung darauf zog ich einen und faltete ihn auseinander. Die Zahl 15 stand darauf. Okay?! Mr Ferguson ging weiter und verteilte jedem einen Zettel. Leise flüsternd wollte ich Dwain fragen, was das alles soll, als Mr Ferguson auch schon anfing alles zu erklären.

„Alors, tout le monde a tiré un nombre et deux personnes ont le même nombre. Ces-ci sont votre partenaire. Vous écrivez deux pages de votre sujet en ensemble et devriez le présenter plus tard. Bien, quels sont les groups?“ 
Wir mussten unseren Partner suchen, der die gleiche Nummer hatte und dann mit demjenigen einen Vortrag schreiben und ihn dann gemeinsam präsentieren?

Ich schielte auf Dwains Zettel. Doch zu meiner Enttäuschung stand dort leider eine 10. Also gut. Ich schaute mich in der Klasse um und sah, dass viele sich schon gefunden hatten und zu zweit nach vorne gingen, um auch ihre Themen abzuholen. Da sah ich wie Kate auch sich umblickte und wir beide blickten uns an. Sie drehte ihren Zettel gleichzeitig wie ich und da stand nichts anderes als eine 15. Zusammen liefen wir dann nach vorne, wobei es aussah, als wäre es ihr nicht ganz so wohl und auch ich spürte ein nervöses Kribbeln im Magen. Was war das? Ich meine, nicht einmal bei dem Heiratsantrag oder sonst wann hatte ich dieses Kribbeln gespürt.

„Ah, le couple célèbre. Alors quel est votre sujet?“

Kate zog einen Zettel und öffnete ihn.

« Paris, la ville d’amour », las sie ziemlich akzentfrei vor.

„Ah, ça va bien pour vous deux." Damit entliess er uns auch schon und ich ging zurück an meinen Platz. Wow, ich musste jetzt ein ganzes Projekt mit Kate zusammen machen. Und das noch über die Stadt der Liebe. Wenn das mal gut ging. Ein Seufzen konnte ich leider nicht unterdrücken, da ich Kates Blick auf mir spürte. Na, das konnte ja heiter werden.

 

Der restliche Tag sollte eigentlich ohne Probleme ablaufen, da ich keine weiteren Stunden mehr mit ihr hatte. Doch das war wohl ein Wunschdenken gewesen. Ich sass gerade in der Pause am Tisch mit meinen Jungs, als alle Gespräche leiser wurden und verwundert blickte ich auf. Irgendwie waren sie alle plötzlich sehr interessiert an ihren Essen und nur Dwain versuchte mir etwas klar zu machen. Doch das war wohl gar nicht mehr nötig, da sich hinter mir eine schöne weibliche Stimme sich räusperte. Schon als ich mich umdrehte, wusste ich, dass es sich um Kate handelte. Oh mann! Was wohl jetzt noch kam?

„Hey Jason, können wir kurz mal reden? Wegen dem Franzprojekt“, sagte sie noch mit einem Blick auf die Jungs. War ihr denn überhaupt nicht klar, dass alle schon sich lange fragten, was zwischen uns los war? Hatte sie wirklich noch das Gefühl, dass alles beim Alten war und wir das totale Vorzeigepärchen waren? Dennoch nickte ich, packte meine Tasche, verabschiedete mich mit einem Tschau von den Jungs und trottete wie ein Scheissköter hinter ihr her.

Sie lief direkt aus der Mensa ganz nach draussen zum grossen Baum. Genau an diesem Baum waren wir damals zusammengekommen. Was wohl heute dort passieren würde? Leise setzte ich mich neben ihr hin und schaute sie an.

„Nun, wegen unserem Franzvortrag, wie wollen wir es aufteilen?  Dann können wir am Schluss alles zusammentragen und...“

„Ist das dein Ernst?!“, unterbrach ich sie. „Du schaffst es nicht einmal mehr mit mir zusammen zu arbeiten und möchtest die Arbeit aufteilen? Kate, ich habe alles getan, was du verlangt hast. Ich habe dich in Ruhe gelassen, Zeit gegeben alles zu verarbeiten und dennoch beharrst du darauf, getrennt von mir zu sein. Wenn du nicht mehr mit mir zusammen sein willst, sag es mir direkt. Mach bitte nicht so ein grosses Drama. Bisher habe ich dir immer Zeit gelassen. Doch irgendwann ist auch mit meiner Geduld Schluss.“

„Jason, ich habe mein komplettes Leben verloren und du kommst jetzt mit so etwas?“

„Ach, komm. Hör auf Kate. Dein Gedächtnisverlust ist auch Ausrede für alles, oder?! Wird mal endlich darüber klar, dass dein Gedächtnisverlust absolut keine Rolle hierfür spielt.“ Mittlerweile war ich auch schon aufgestanden und schnappte mir meine Tasche. „Ach ja, du kannst gerne die Bedeutung der Liebe und der Stadt heraussuchen. Vielleicht findest du es ja auch in deinem Leben wieder!“
Damit liess ich sie einfach sitzen und stürmte davon. Ich war so wütend und diesmal war es mir auch egal, ob ich sie verletzt hatte oder nicht. Zu einer Beziehung gehörten immer zwei Leute und es würde nie klappen, wenn immer nur ich bei ihr angekrochen kam und sie kein bisschen an unserer Beziehung arbeitete. Ich ging direkt ins Schulzimmer, da die Pause jede Minute enden würde. Ich setzte mich an den Platz hin, nahm die Sachen heraus und starrte finster vor mich hin. Ich wusste, dass der heutige Tag schlecht werden würde. Aber so schlecht? Ich hätte doch lieber im Bett bleiben sollen!

 

Nach der Schule machte ich noch mit den Jungs ab. Schon viel zu lange, hatte ich nichts mehr mit ihnen unternommen, da ich nur Kate hinterher gerannt war. Wir wollten uns gegen sieben im 'The Hellsbar' treffen. Mit einem Abklatschen verabschiedeten wir uns und jeder ging unsere eigenen Wege. Auf dem Heimweg kickte ich gedankenverloren einen Stein vor mir her. Kate ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Zuhause angekommen liess ich alles einfach stehen und schmiss mich aufs Bett. Ich schnappte mir mein Handy und surfte ein wenig herum, verpasste mir ein Update mit den neuesten Dingen und schaute kurz in den Social Media apps nach, was gerade so los war. Und schon war die Zeit dahin geflogen. Es war bereits halb sieben und in einer halben Stunde musste ich dort sein. Also raffte ich mich mühselig auf und schleppte mich unter die Dusche. Unter dem Wasser vergass ich für eine kurze Weile sogar all meine Sorgen und genoss das Wasser einfach. Schnell trocknete ich mich ab und lief noch mit halb nassen Haaren ins Zimmer. Verwundert öffnete ich die Türe, da ich mir ziemlich sicher war, die Türe offen gelassen zu haben. Schon strömten mir alle Gedanken durch den Kopf, da mich Kate aus meinem Zimmer entgegen blickte. Was machte sie denn hier in meinem Zimmer? Sie setzte gerade an etwas zu sagen, als ihr Blick auf meine nackte Brust fiel und dort einen Wassertropfen hinab folgte. Wie sehr ich es auch begehrte, dass sie mich bewunderte, aber sie war sicherlich nicht hierher gekommen, um meinen nackten Oberkörper zu bewundern und ich musste auch noch langsam los, wenn ich noch pünktlich zu unserem Treffen wollte.

„Was willst du hier?“, fragte ich sie emotionslos und unterbrach damit ihre Bewunderung. Schon viel zu lange hatte ich die Wut unterdrückt und deshalb wollte ich heute nicht nachgeben. Ihr Anblick minderte zwar die hoch kommende Wut, aber es verpuffte nicht gänzlich, wie all die anderen Male zuvor.

„Ehm, ja“, räusperte sie sich und zwang sich sichtbar mühevoll den Blick auf mein Gesicht zu lenken.

„Ehm, ich wollte...ehm, eigentlich...“, stotterte sie herum und ihr Blick flog ständig wieder zu meinem Oberkörper. „Ehm, könntest du dir bitte etwas überziehen?“, fragte sie schliesslich mit erröteten Wangen, was meiner Wut einen weiteren kleinen Dämpfer verpasste, da sie einfach zu süss aussah.

Da sie mitten im Raum stand, musste ich zwangsweise an ihr vorbeilaufen, um an den Schrank zu gelangen. Sie bewegte sich kein Stück und als ich an ihr vorbeilief, hörte ich wie sie scharf die Luft einzog. Schnell schnappte ich mir ein schwarzes Shirt und zog es mir über. Mit der Jeans und Boxershorts in der Hand verschwand ich kurz im Bad, wo ich mich vom Handtuch befreite und die Kleider anzog. Die Haare trocken rubbelnd lief ich wieder ins Zimmer. Diesmal sass Kate etwas unsicher auf meinem Bett. Ich schloss die Türe und liess mich auch auf dem Bett ihr gegenüber nieder.

„Also, was wolltest du mit mir besprechen?“ Gespannt wartete ich auf ihre Antwort.

„Na ja, ich habe darüber nachgedacht, was du zu mir gesagt hast. Und ich wollte dir... Recht geben. Ich habe vielleicht voreilig gehandelt. Ich weiss auch deine Mühe zu schätzen und wollte dir mitteilen, dass ich über diesen kleinen Zwischenfall hinweg bin. Also, bist du mir noch sauer?“ Bei einem solchen Gesicht zerbröckelte die Wand langsam dahin. Seufzend nahm ich ihre Hand in meine.

„Kate, ich bin nicht böse auf dich. Ich dachte nur unsere Beziehung würde jede Minute zugrunde gehen, obwohl ich dafür sosehr gekämpft habe. Und du hast dir nicht einmal Mühe gegeben und hast einfach mit Ryan geflirtet. Das hat mich so wütend gemacht.“

„Ich weiss, mein Verhalten war wirklich daneben und vielleicht habe ich sogar mit Ryan geflirtet. Das war wirklich eine ziemlich miese Nummer gewesen. Aber ich hatte einfach nur Angst, dass du mich verlassen könntest und ich dann mit einem gebrochenen Herzen da stehe.“

„Süsse, ich würde dich doch nie verlassen. Hast du den Heiratsantrag etwa vergessen? Weisst du was man sich am Altar verspricht? Willst du sie zu deiner Ehefrau nehmen und sie in guten sowie in schlechten Zeiten lieben bis der Tod euch scheidet? Und meine Antwort würde ja sein, und zwar immer. Kate, ich liebe dich! Hörst du, ich liebe dich!“ Ich hielt ihr Kinn und sah ihr ernst in die Augen.

„Und ich liebe dich, Jason!“, antwortete Kate und ich gab ihr einen sanften Kuss.

„Leider muss ich jetzt los. Ich habe mit den Jungs abgemacht und schon viel zu lange nichts mehr mit ihnen unternommen.“

„Ja, natürlich. Tut mir Leid, dass ich einfach so hinein geplatzt war. Ich wollte die Sache einfach nur geklärt haben“, entschuldigte sie sich eilig und stand schon auf.

„Okay, danke. Und das soll nicht heissen, dass ich nicht zu dir möchte oder so. Also bitte sei morgen nicht wieder so abweisend zu mir.“ Wieder stand ich dicht vor ihr.

„Nein, Jason. Ich werde morgen zu dir kommen“, antwortete sie mir lächelnd. Wieder küssten wir uns sanft und liebevoll.

„Ich würde ja gerne noch länger bleiben, aber ich muss wirklich los“, sagte ich mit tiefer Stimme. Mit meiner Stirn lehnte ich an ihre.

„Geh ruhig. Ich werde dich nicht aufhalten.“ Langsam entfernte ich mich von ihr, nahm meine Schlüssel und ging schliesslich los.

 

Der Abend mit den Jungs war wirklich gemütlich gewesen. Leicht betrunken lief ich nun wieder nach hause. Ich hatte nach langem Zeit wieder Spass mit den Jungs gehabt und die hatten heute Nacht wahrscheinlich noch mehr Spass. Nur Dwain grub keine Mädels an und wimmelte sie auch dezent ab. Er war einer von den Guten und anständigen Jungs. Der Gentleman, der eben auf die Richtige wartete. Das hiess aber nicht, dass er überhaupt nichts mit den Mädels hatte. Ab und zu hatte er auch mal seinen Spass, aber er war eben nicht so ein Player, wie ich es mal gewesen war. Inzwischen war ich am Haus angekommen, suchte meinen Schlüssel und schloss die Tür auf. Innen zog ich meine Schuhe und Jacke aus und verräumte sie in der Garderobe. Danach ging ich in mein Zimmer und verwundert blieb ich an der Türschwelle stehen, weil Kate noch immer da stand.

„Kate, warst du etwa die ganze Zeit hier gewesen?“, fragte ich sie verwundert und ging auf sie zu. Erschrocken blickte sie mich an. Scheinbar hatte sie mich nicht gehört.

„Jason! Du bist da!“ Damit kam sie auf mich zu und umarmte mich. Verwundert erwiderte ich die Umarmung, löste mich aber von ihr, um zu erfahren, was los war.

„Kate, was ist los? Ist was passiert?“ Besorgt schaute ich sie an und suchte sie nach Verletzungen ab, doch sie war unverletzt. Erleichtert darüber stieß ich die angehaltene Luft aus.

„Nachdem du gegangen bist, wollte ich mich auf dem Weg machen. Zufällig habe ich gerade aus dem Fenster gesehen und diesen Typen von damals, wie hieß der nochmal, Taylor, glaube ich, gesehen. Er stand da, rauchte eine Zigarette und schien auf etwas zu warten. Natürlich habe ich schnell das Licht ausgemacht und ging wieder zum Fenster. Aber er stand immer noch da und ließ sich durch nichts beirren. Und nach deinen Erzählungen wollte ich das Haus lieber nicht verlassen und warte seitdem auf dich. Ich dachte schon, er würde dir etwas antun. Und...“

„Okay, beruhig dich erstmal. Tief durchatmen.“ Ich lotste sie zu meinem Bett und drückte sie nieder. Vor ihr ging ich in die Knie und schaute sie an. „Es gibt nichts zu befürchten, okay. Taylor ist weg und wird dich nicht mehr belästigen.“
Sie blickte auf ihre Hände hinab, die auf ihrem Schoss lagen.

„Kann ich heute bei dir schlafen?“ fragte sie mit leiser Stimme. Überrascht weiteten sich meine Augen.

„Na klar, kannst du bei mir schlafen“, antwortete ich etwas überrumpelt. „Weiß denn Mikayla Bescheid, dass du hier bist?“, fragte ich sie, als mir das Gespräch von damals wieder in den Sinn kam.
Sachte schüttelte sie mit dem Kopf. „Okay, dann rufst du sie mal an und sagst ihr, wo du bist. Ich gehe unterdessen mich umziehen und bettfertig machen.“ Wieder nickte sie und ich ging ins Badezimmer, nicht ohne ihr noch einen Blick zuzuwerfen.

Im Badezimmer zog ich mich um und putzte mir die Zähne. Wow, Kate würde tatsächlich bei mir übernachten. Vielleicht könnte es ja doch noch mit uns beiden klappen. Wie ein kleiner Junge freute ich mich und konnte es kaum erwarten, wieder in mein Zimmer zurückzukehren. Deshalb fiel meine Hygiene etwas schneller aus als normalerweise. Als ich zurück ins Zimmer kam, saß Kate immer noch auf meinem Bett, jedoch hatte sie das Handy in der Hand, sodass ich wusste, dass sie ihre Mum schon angerufen hatte.

„Jason, ehm... kann ich, vielleicht etwas von dir zum Schlafen zum überziehen bekommen? Ich habe nichts dabei und möchte nur ungern in diesen unbequemen Klamotten schlafen.“ Schnell hatte ich ein Shirt und eine Trainerhose von mir gefunden und überreichte es ihr. Sie verschwand ins Bad und ich legte mich schon mal hin. Bald darauf war auch Kate wieder im Zimmer und sie sah so süß aus in meinem Kleidern. Schnell hatte sie sich auch zu mir gelegt. Ich schaltete das Licht aus und schweigend betrachteten wir uns in der Dunkelheit.

„Danke“, flüsterte sie dann irgendwann.

„Weshalb denn?“, fragte ich sie verwirrt.

„Für alles. Dass du mir beistehst, mir das mit heute Morgen nicht übel nimmst und auch dafür dass du immer für mich da bist.“

„Immer Kate. Ich werde immer für dich da sein.“ Damit zog ich sie in meine Arme und gemeinsam schliefen wir schnell ein.

Kapitel 28

Kate P.o.V 

Ein warmer Atem im Nacken weckte mich auf. Ich spürte einen Arm um meinen Bauch und einen harten Körper hinter mir. Noch halb im Schlaf blinzelte ich dem Licht entgegen. Langsam kamen mir die Ereignisse des letzten Tages wieder in den Sinn und mir wurde endlich bewusst, wer da hinter mir lag. Umständlich drehte ich mich in dieser Umarmung, sodass ich den schlafenden Jason betrachten konnte. Seine Haare fielen ihm in die Stirn und sanft strich ich sie ihm weg. Als meine Hand an seiner Wange angelangt war, schmiegte er sich im Schlaf an ihr. Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Mein Blick ging hinab und blieb an seinem Oberkörper hängen, der nicht von der Decke bedeckt war. Das T-shirt lag locker und doch wusste ich genau was darunter lag. Als ich ihn gestern so halbnackt gesehen habe, war mir einfach nur heiss gewesen. Ich konnte mich nicht bewegen und hatte keinen vernünftigen Satz zustande gebracht. Was mich aber am allermeisten gewundert hatte, war dass er keinen Spruch abgelassen hatte und auch nicht auf mein Verhalten eingegangen war, sondern wirklich ernst blieb und bezüglich meines Auftauchens Fragen gestellt hatte. Und auch am Abend war kein Kommentar gekommen. Er hatte sich wirklich sehr geändert. Und was er gesagt hatte, stimmte wirklich. Seit wir uns näher gekommen waren, hatte ich ihn mit keinem Mädchen mehr gesehen. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie eifersüchtig ich gewesen wäre, falls ich ihn mit einer anderen gesehen hätte. Aber ich habe sogar noch mit Ryan geflirtet. Keine Ahnung, was mit mir los war, aber ich habe Jason wirklich Unrecht getan. Meine Hand lag immernoch auf seiner Wange. Zögerlich beugte ich mich zu ihm hinunter und küsste ihn sanft. Langsam regte er sich und intensivierte auch schon den Kuss. Sofort wich die Müdigkeit aus meinen Knochen und wieder rannen mir heisse Schauer durch den Körper. Ich legte mich halb auf ihn und auch er zog mich enger an sich, obwohl es gar nicht mehr ging. Meine Hände strichen über seine Brust, fuhren in seine Haare, verwuschelten sie noch mehr, strichen wieder hinab und gingen schliesslich unter seinem T-shirt auf Erkundungstour. Die Berührung auf nackte Haut entlockte ihm ein Stöhnen und ich bekam Gänsehaut davon. Ich wanderte immer höher mit den Händen und zog sein T-shirt mit. Eine schnelle Bewegung  und schon lag ich auf dem Rücken und Jason über mir auf seine Arme stützend. Er blickte mir tief in die Augen und heftig atmend blickte ich zurück.

„Guten Morgen”, sagte er mit tiefer Stimme. Erneut fuhr mir ein heisser Schauer. Nicht nur wegen seiner sexy Stimme oder seiner ganzen Ernscheinung, sondern auch wegen seiner Hand, die unablässig meine Taille streichelte. Waren dies etwa Zeichen, dass ich schlussendlich bereit war, mit ihm zu schlafen? Ich entschied mich für ja und zog mich hoch um ihn zu küssen, als er sich auch schon abrollte und neben mir zum Liegen kam. Verwundert stützte ich mich seitlich ab und schaute ihn an. Das war wirklich ungewöhnlich. Normalerweise würde er doch die Chance ergreifen. Und jetzt, endlich war ich dazu bereit und er hörte auf.

„Willst du frühstücken? Leider kann ich dir keine Pfannkuchen anbieten, da ich absolut nicht kochen kann. Croissants?”, fragte er mich. Der Typ war doch so süss, wie konnte ich nur so gemein zu ihm sein? Er stieg aus dem Bett und hielt mir die Hand hin. Ich ergriff sie und folgte ihm hinab in die Küche.
Geräusche drangen an mein Ohr und stirnrunzelnd tapste ich in die Küche. Als ich gestern noch ankam, war das Haus verlassen gewesen. Ich war auch nur durch Glück hineingekommen, weil die Tür nicht verschlossen gewesen war. Plötzlich sah ich Nina in der Küche herumwerken. Es roch leicht verbrannt und hektisch lief sie hin und her.

„Mum, was machst du denn hier?”, fragte Jason sie. Nina drehte sich um und als sie mich sah, weiteten sich ihre Augen. Ihr Lächeln, welches daraufhin folgte, sagte schon ihre Gedanken. Ok, was sollte sie auch sonst anderes denken, wenn der Sohn in Boxershorts und T-shirt, und seine Freundin in seinen Klamotten und mit verstrubbelten Haaren in der Küche auftauchen? Ich errötete leicht und strich meine Haare glatt.

„Ich bin deine Mutter, ich wohne hier, schon vergessen?”, meinte sie nur belustigt.

„Nein, aber hast du nicht gesagt ihr seid die ganze Woche nicht da, weil ihr auswärts irgendwo einen Termin habt?”

„Keine Angst, ich werde ja auch verschwinden. Ich habe nur die Dokumente vergessen und musste sie noch holen. Da dachte ich, ich mache dir Frühstück. Aber im Stress ist alles irgendwie schief gelaufen. Nun ja, jetzt hast du ja Kate. Sie kann dir sicher mehr helfen. Also ich muss dann auch schon los. Ich will euch nicht stören. Ciao und stellt keinen Unfug an!” Schon war sie mit einem Lächeln verschwunden.

„Du musst sie entschuldigen. Normalerweise ist sie nicht so.“ Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf. Lachend winkte ich ab.

„Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen. Ich meine ganz ehrlich, was sollte sie auch anderes denken, wenn ich so mit dir hier auftauche?“
Schulterzuckend betrachtete er das Werk seiner Mutter. Nichts davon schien essbar zu sein.

„Komm, setz dich hin und ich mach dir Frühstück.“ Ich umrandete den Tisch und ging zum Herd. Aber auf dem halben Weg wurde ich von Jason am Arm gezogen und ein sanfter Kuss folgte.

„Danke“, raunte er nahe an meiner Lippe und ich konnte mich nur schwer konzentrieren. Als er mich losliess und sich hinsetzte, fühlte sich meine Seite so leer an. Man, ich war ja richtig abhängig geworden.

Schnell hatte ich das Frühstück hergezaubert und in aller Ruhe assen wir. Dann sprach er das Thema an, weswegen ich überhaupt hier war.

„Ich weiss, Taylor kommt dir sehr suspekt vor und du hast Angst vor ihm. Und deshalb bitte ich dich, sobald du ihn nächstes mal siehst mich sofort anzurufen. Okay?“

„Ja. Aber ich habe auch noch eine kleine Bitte an dich. Kann ich für einige Tage bei dir schlafen? Auf der einen Seite ist da die Sache mit Taylor. Und andererseits habe ich mich mit Mum gestritten und brauche einfach ein wenig Zeit, getrennt von ihr.“

Dass er der Grund für unseren Streit war, musste er ja nicht wissen. Mum war immernoch der Meinung, dass er nicht gut für mich war. Dass ich mich von ihm fernhalten sollte und dass ich ihn vorallem nicht heiraten sollte. Es war so seltsam, weil unsere Familien sich schon ewigs kannten und wir uns so nahe waren. Und trotz allem, war sie nicht mit uns beiden einverstanden. Aber das auch nicht so lange. Sie versucht ständig mich mit Kevin oder einen der anderen Jungs zu verkuppeln. Sie verstand einfach nicht, dass ich Jason liebte. Dass ich mich bei ihm sicher und geborgen fühlte, und vor allem mich geliebt fühlte. Ich konnte ihm vertrauen und mich bei ihm einfach fallen lassen. Er würde mich immer auffangen. Das sah auch ich endlich ein. Deshalb war ich auch bereit für den nächsten Schritt.

„Natürlich. Wie gesagt, meine Eltern sind diese Woche ja nicht zuhause und daher würde es niemanden stören.“ Er wusch gerade den letzten Teller ab und legte es zum trocknen auf die Ablage.

„Also, ich ziehe mich kurz um, du kannst es dir hier bequem machen.“ Damit verschwand er in sein Zimmer. Stirnrunzelnd folgte ich ihm. Was war nur los mit ihm? Irgendetwas stimmte doch nicht. Das fühlte ich doch. Erst in seinem Zimmer angekommen, konnte ich ihn am Arm greifen und drehte ihn zu mir herum.

„Was ist los, Jason? Was verheimlichst du mir? Weshalb bist du so abweisend zu mir?“ Besorgt schaute ich ihn an. Ich machte mir wirklich Sorgen um ihn.

„Nichts ist los. Ich verheimliche dir doch nichts und wieso sollte ich abweisend zu dir sein?“ Sein Lächeln hätte mich vielleicht gettäuscht. Doch in seinem Blick konnte ich ablesen, dass er mir nicht die Wahrheit sagte.

„Ok, vielleicht habe ich es auch verdient, nachdem ich dich so schlecht behandelt hatte“, murmelte ich eher zu mir selbst. Jason kam zu mir und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und seine Hand blieb an der Wange liegen.

„Hey, du hast vielleicht einen Fehler gemacht. Aber jeder macht Fehler, also nichts weiter Schlimmes.“

„Warum kannst du mir dann nicht sagen, was los ist?“, fragte ich ihn und legte meine Hände über seine. Er seufzte ergeben.

„Weisst du, bisher war es immer so, dass wenn es mal in unserer Beziehung kriselte, dass ich dir hinterher rennen musste. Egal ob du den Fehler gemacht hast, oder ob ich derjenige war. Ich war es einfach Leid, dass ich als einziger in unserer Beziehung mir Mühe gab. Ich habe fast die Hoffnung an uns verloren. Doch als du gestern dann noch einmal mit dem ganzen Zeug kamst und vor meinen Augen mit Ryan geflirtet hast, da habe ich meine Hoffnung ganz aufgegeben. Deshalb war ich auch so angepisst. Und als du am Abend zu mir kamst, dachte ich, dass es nun offiziell ganz aus wäre.“

„Oh gotth, Jason. Es tut mir so Leid. Ich habe überhaupt keine Ahnung gehabt, dass ich dir so weh tue. Ich war so egoistisch und habe nur über mich selbst nachgedacht. Es tut mir so  Leid. Wie kann ich das nur wieder gut machen?“ Diesmal war ich diejenige, die seinen Kopf in den Händen hielt. Sanft zog ich ihn zu mir und gab ihm einen Kuss.

„Hilft das vielleicht?“, fragte ich ihn lächelnd.

„Vielleicht ein ganz wenig.“ Wieder küsste ich ihn lächelnd. Und sofort vertiefte er den Kuss indem er den Kopf anwinkelte. Ich wollte ihn schon weiter antreiben, als er sich langsam von mir entfernte.

„Wir sollten uns für die Schule fertig machen“, unterbrach er den Kuss. Seit wann war er nur so vernünftig geworden? Als er sich auf dem Weg zum Schrank sein Shirt über den Kopf zog, konnte ich nunmal nicht anders und fuhr mit der Hand über die starken Muskelstränge. Diese bewegten sich unter meiner Berührung und ein scharfes Einatmen erklang. Schnell hatte er sich herumgedreht und fasste meine Hand, die jetzt auf seinen Bauchmuskeln lag.

„Nicht Kate, sonst kommen wir nie aus dem Haus und ich möchte einmal vernünftig bleiben. Zieh dich jetzt schnell um. Wir sind genug spät dran.“
Mit einem Nicken drehte ich mich um, nahm meine gestrige Kleidung und verschwand im Bad. Dort klatschte ich mir erst einmal kaltes Wasser ins Gesicht, um die Bilder loszuwerden, wie ich seine Muskelstränge einzeln erforschte. Wieder wallte die Hitze in mir hoch. Weiteres kaltes Wasser landete in meinem Gesicht. Schnell wechselte ich meine Kleidung, um nicht zu spät in die Schule zu kommen.

 

Obwohl wir in die Schule gerannt waren, waren wir dennoch zu spät angekommen. Ärger gab es deshalb aber nicht, weil der Lehrer einige Sekunden später in das Zimmer gerauscht kam. Dafür gab es genügend verwunderte Blicke, weil wir beide zusammen zu spät aufgetaucht waren. Das Getuschel hatte sich noch recht in Grenzen gehalten. Über diese eine Sache war ich in unserer Stadt wirklich froh. Es gab nicht allzuviel Klassifizierungen untereinander und niemand wurde dermassen gemobbt oder hoch angepriesen. Somit entstanden nicht allzuviele unwahre Gerüchte, die sich wie Lauffeuer verbreiten würden. 
Nach der Schule bin ich direkt bei mir vorbei gegangen, um einige wenige Dinge abzuholen. Mum war nicht da und somit konnte ich Konfrontationen entgehen. Ich war immer noch nicht gut auf sie zu sprechen. Immerhin weigerte sie sich strikt dagegen mich und Jason als Paar anzusehen. Ich verstand es einfach überhaupt nicht. Jason wartete währenddessen im Wohnzimmer auf mich. Ich schnappte mir einige wenige Kleidung, Hygieneartikel, mein Schulzeug und ging wieder hinab. Meine Sporttasche über meiner Schulter hängend verschwand ich kurz in der Küche, schnappte mir zwei Energieriegel und holte im Wohnzimmer Jason ab. Die Riegel essend gingen wir zu Jason. Einige der Kinder, die draussen herum spielten winkten uns zu, als sie uns sahen. Bei Jason zuhause angekommen folgte ich ihm ins Zimmer.

„Ähm, also, wenn du ja einige Tage hier bleibst, sollte ich vielleicht ein Gästezimmer zurechtmachen. Im Schrank müsste auch neues Bettzeug sein“, meinte er im selbigen Schrank wühlend.

„Also, wenn es dir nichts ausmacht... dann.. würde ich gerne bei dir im Zimmer bleiben.“
Ruckartig zog er seinen Kopf heraus und stiess ihn dabei am obigeren Tablar an. Schnell war ich bei ihm und rieb jene Stelle.

„Geht es? Tut es sehr weh?“

Jason winkte ab: „Nicht der Rede wert. Aber... also.. wenn du darauf bestehst, kannst du gerne bei mir im Zimmer bleiben.“
Lächelnd nickte ich und ging zurück in sein Zimmer und stellte meine Sporttasche in eine Ecke. Die Schultasche gesellte sich zu ihm, nachdem ich meine Hausaufgaben herausgenommen habe. Auch Jason nahm es hervor und gemeinsam fingen wir an, die Hausaufgaben zu lösen.

Nach einer ganzen Stunde wurden wir fertig. Die Algebraaufgaben waren auch echt nicht leicht. Und dann war da noch unsere Französischpräsentation gewesen. Für die hatten wir auch noch recherchieren müssen. Jetzt hatten wir schon mal eine Grundlage und ein Konzept erstellt. In der Zwischenzeit war bei mir eine SMS von den Jungs eingegangen. Sie fragten, ob ich heute dabei war. Ich fragte das auch Jason. Immerhin lebte ich nun unter seinem Dach und da fand ich es schon etwas seltsam, wenn ich jetzt einfach verschwand und später wieder auftauchte.

„Geh nur hin“, murmelte er, tief über sein Heft gebeugt. Glücklich gab ich ihm einen Schmatzer auf die Wange und verliess mit dem Handy in der Hand das Haus. Dabei bemerkte ich weder Jasons eifersüchtigen Tonfall, noch einen starrenden Blick, der mich bis zum Fussballplatz begleitete.

 

„Hey Jungs“, begrüsste ich die Studenten, als ich endlich am Platz ankam. Eine Antwort erhielt ich nicht direkt, da sie mitten in einem Spiel waren. Nur Luke sass am Spielrand und winkte mir zu. Ich liess mich neben ihn nieder und schaute dem Spiel zu.

„Na, wie geht’s dir? Lange nicht mehr gesehen“, meinte Luke.

„Ja, mir gehts gut. Nur ein wenig Krach mit meiner Mum. Und wie läuft’s bei dir so?“  So fingen wir einen Smalltalk an. Nach nur ein paar Minuten kamen die Jungs ausser Puste zu uns, begrüssten mich und tranken gierig aus ihrer Trinkflasche. Danach spielten wir gemeinsam ein wenig. Ich stand gerade vor dem Tor, als Mason mir eine Flanke schoss und ich mein Bein ausstreckte. Der Ball prallte an meinem Schienbein ab und landete knapp ins Tor. Jublend kamen Mason und Austin auf mich zu. Wir hatten gewonnen. Ich wurde umarmt und von den anderen erhielt ich ein Schulterklopfen.

„Gut gespielt“, antwortete ich denen zurück.
Wir setzten uns wieder und ich trank gierig aus Masons Flasche. Leider habe ich vergessen, meine mitzunehmen. Umso mehr war ich erfreut, dass Mason mir seine angeboten hatte. Die anderen unterhielten sich über einige Mädels, die sie einladen wollten zu so einer Studentenparty.

„Na, Lust mitzukommen?“, fragte mich Mason.

„Gerne, wann ist der denn?“

„In zwei Wochen, Freitagabend. Genauere Details kann ich dir später noch senden.“

„Oh nein, tut mir Leid Mason. Aber an diesem Tag ist auch der Maskenball bei uns. Es ist schon fast Pflicht, dort aufzutauchen.“

„Kein Problem Kate. Vielleicht ja ein anderes mal. Wie geht es dir eigentlich so? Habe dich ja schon lange nicht gesehen.“

„Ich habe Krach mit meiner Mum. Sie treibt mich in den Wahnsinn. Ich meine, am Anfang hatte sie ja auch nichts gegen ihn gehabt. Sie hat ihn sogar zu Weihnachten zu uns eingeladen, weil er sonst alleine gewesen wäre. Der Antrag hat sie anfangs noch etwas schockiert, aber danach hat sie ja auch ja gesagt. Was ist eigentlich jetzt ihr Problem?“, regte ich mich auf.

„Ah, es geht um Jason. Kate, ich bin mir sicher, sie macht sich nur Sorgen um dich. Immerhin bist du ja erwachsen und nach der Hochzeit wirst du völlig deine eigenen Wege gehen. Das kann jeder Mutter ein Schock sein. Und die instinktive Reaktion ist natürlich den Störenfried entfernen, und in deinem Fall ist es Jason.“

„Warte, woher weisst du eigentlich von dem Antrag und allem? Ich habe es dir doch gerade erst erzählt und du wirkst nicht im Mindesten schockiert oder dergleichen?“ Misstrauisch schaute ich ihn an. Das war jetzt wirklich wunderlich.

„Der Antrag?.. Ah, der Antrag. Du hast mir mal darüber erzählt, weisst du es nicht mehr?“, fragte mich Mason, leicht stotternd und den Blick abwendend. Stirn runzelnd dachte ich nach. Mir fiel es einfach nicht ein, dass ich dies in seiner Gegenwart einmal erwähnt hatte. Immerhin habe ich es auch nicht meinen anderen Freunden gesagt. Aber Mason war auch inzwischen zu meinem sozusagen besten Freund geworden, aber da er auch nicht in meiner Schule war, konnte es vielleicht sogar stimmen. Jedenfalls vertrieb ich die Gedanken und kam zum Wesentlichen zurück.

„Ich weiss auch nicht. Es ist ja nicht der Antrag selbst, über den sie sich beklagt. Es ist allgemein Jason. Sie will einfach nicht wahrhaben, dass wir ein Pärchen sind und versucht ihn sogar aus meinem Leben zu löschen. Stattdessen möchte sie, dass ich lieber mit einem von euch zusammen sein soll. Keine Ahnung, was sie für einen Narren an euch gefressen hat, aber es macht mich wahnsinnig. Immer wieder das selbe Thema:

„Du und Jason passt doch überhaupt nicht zusammen. Jason ist schlecht für dich. Es gibt doch viele andere Jungs. Zum Beispiel die, mit denen du Fussball spielst. Sie haben zumindest auch etwas anderes ausser Flausen im Kopf. Sonst würden sie ja auch nicht die Universität besuchen. Zum Beispiel Kevin, er ist ja sowieso öfters hier oder Mason, der dir das Fussball beigebracht hat. Du hast ihnen sowieso viel zu verdanken und mit einem von ihnen zusammen zu kommen würde doch nur Vorteile mit sich bringen.“

Jedesmal ist sie so verzückt über diese Idee und schwafelt einfach weiter. Sie kann unsere Beziehung einfach nicht akzeptieren.“
Eine Zeit lang blieb es still.

„Tut mir Leid. Ich musste es einfach irgendwo los werden. Aber das hat mir etwas geholfen. Jetzt bin ich den ganzen Frust jedenfalls losgeworden.“ Ich schnitt eine Grimasse.

„Hast du denn Jason nichts davon erzählt?“, fragte er mich. Ich schüttelte den Kopf.

„Ich wollte ihn nicht auch noch damit belasten. Ausserdem „wohne“ ich jetzt einige Tage bei ihm und er weiss nur, dass ich Krach mit meiner Mum habe. Aber dass er der Grund dafür ist, habe ich ihm verschwiegen. Ich meine, er würde doch nur wollen, dass ich das mit meiner Mum kläre und ansonsten würde er persönlich wahrscheinlich auch noch selbst dahin gehen und mit meiner Mum diskutieren. Und das möchte ich nicht, also habe ich es ihm verschwiegen.“ Ich schlang meine Arme um meine Beine.

„Danke!“

„Wofür denn?“, fragte Mason mich verwundert.

„Na dafür, dass du da bist und mir zuhörst. Nicht alle würden das machen.“

„Aber dafür sind doch Freunde da.“

„Du bist nicht nur ein Freund, Mason. Du bist mein bester Freund.“

Ich lehnte meinen Kopf an seiner Schulter und hörte den anderen zu. Deshalb sah ich auch nicht, wie Mason sich leicht versteifte und seinen Gesicht schmerzlich verzog. Ich schaute nur zu den anderen. Sie waren jetzt schon zu einem anderen Thema übergegangen und waren im Gespräch vertieft, sodass sie uns nicht hören konnten. Leider bemerkte ich dabei nicht, wie sie uns, nein besser gesagt mir verstohlen besorgte Blicke zuwarfen.

„Kate, da ist noch etwas, das ich dir sagen muss, dass wir dir sagen müssen.“ Und die Gespräche um uns herum verstummten auch zur selben Zeit. Ich hob meinen Kopf und merkte wie alle mich ansahen.

„Was ist denn los? Weshalb seid ihr alle so ernst?“, sprach ich meine Gedanken laut aus. Da erklang die Kirchenglocke in der Ferne und sie schlug halb neun Uhr. Oh nein, schon so spät?

„Oh sorry, Jungs. Ich habe die Zeit absolut nicht gemerkt. Aber es ist schon spät und ich sollte nach Hause gehen. Ihr wolltet doch noch etwas sagen? Kann das aufs nächste Mal warten? Ja, ok. Hab euch lieb, Tschau!“
Damit zischte ich auch schon ab. Ich wusste echt nicht, was Jason sagen würde. Bei meiner Mum war das ja in Ordnung gewesen, von ihr sogar erwünscht. Aber bei Jason war das etwas anderes. Ich joggte zu Jason und kam halb aus der Puste dort an. Ja, ich spielte zwar mit den Jungs Fussball, aber ich war absolut nicht sportlich. Bei Jason angekommen klingelte ich, da ich ja keinen Schlüssel hatte. Jason machte mir die Tür auf und verschwand mit dem Smartphone am Ohr wieder hinein. Leise schloss ich die Tür, um sein Telefonat nicht zu stören und ging hoch in sein Zimmer. Dort zog ich mich schon mal um und ging hinab in die Küche. Eine Fertigpizza stand schon da, halb aufgegessen. Da ich vermutete, dass der Rest für mich war, nahm ich einen Teller und schaufelte mir zwei Stücke darauf. Sie war noch recht warm und ich genoss wie die Käse auf meiner Zunge verlief. Insgeheim stellte ich mir die Frage, mit wem wohl Jason sich gerade unterhielt. Danach stand noch die Frage, weshalb er schon vor mir zu essen angefangen hatte. Wahrscheinlich hatte er bereits Hunger gehabt. Immerhin war es schon halb neun und somit recht spät für das Abendessen. Das Telefonat beendend kam er in die Küche.

„Ah, gut, du hast die Pizza gefunden. Du kannst den Rest haben. Ich habe schon gegessen.“
Er nahm sich ein Glas Wasser und trank daraus, während er mich beim Essen beobachtete. Auf seinem Gesicht konnte ich absolut nichts lesen, keine Emotionen, egal ob Wut oder Freude. Schliesslich stellte er das Glas in die Spüle und verschwand wieder. Ich ass zu Ende, trank Wasser und ging dann auch hinauf. Sein Verhalten war mir immer wieder ein Rätsel. Stirnrunzelnd folgte ich ihm ins Zimmer und schloss die Türe hinter mir zu.

„Jason, was ist los?“ Er entliess ein Schnauben und drehte sich zu mir um.

„Ernsthaft? Spielst du immer die Unschuldige?“ Die Furchen auf meiner Stirn vertieften sich.

„Worüber sprichst du überhaupt?“

„Ich verstehe dich überhaupt nicht. Zuerst streiten wir uns, dann entschuldigst du dich bei mir, übernachtest bei mir und möchtest auch noch für einige Tage bei mir bleiben und am Schluss gehst du wieder zu deinen Studentenfreuden. Bin ich eigentlich nur dein Ersatz, der dir immer zur Seite steht, wenn du Probleme hast? Der Köder, den du immer am Angel hast?“ Verwirrt runzelte ich die Stirn. Weshalb sprach er jetzt plötzlich vom Angeln?

„Jason, es tut mir ja wirklich Leid. Ich wollte eigentlich gar nicht solange bleiben. Nur habe ich dann die Zeit vergessen und deshalb komme ich so spät. Wirklich.“
Immer noch misstrauisch schaute er mich an. Ich ging zu ihm und küsste ihn.

„Ich meine es wirklich ernst mit dir. Ich liebe dich und das weisst du auch. Ausserdem werden wir heiraten. Ich habe dir schon zugesagt. Also wovor fürchtest du dich noch? Weshalb hast du so Angst?“

„Ich habe Angst, dass du erkennst, was für ein schlechter Mann ich bin und dass du jemanden besseren findest. Dass du mich dann verlassen würdest und ich mit gebrochenem Herzen da stehe“, flüsterte er schliesslich, ganz der unsichere kleine Junge.

„Ich werde dich nicht verlassen. Ich liebe dich, hörst du? ICH. LIEBE. DICH!“

Wieder küsste ich ihn, und hoffte, mit diesem Kuss meine Liebe zu ihm ausdrücken zu können. Zuerst stand er nur da. Als ich aber nicht aufhörte, intensivierte er ihn wie immer und brachte mich um den Verstand. Zusammen taumelten wir dem Bett entgegen und er fiel aufs Bett, zog mich dabei mit sich. Mit den Händen fuhr ich unter sein Shirt und spürte seine Muskeln. Ich setzte mich rittlings auf ihn auf. Schnell zog ich ihm das Shirt über den Kopf. Für eine Sekunde wurde unser Kuss dadurch unterbrochen. Aber schon ging es stürmisch weiter. Während ich seine Muskeln erforschte, küsste er meinen Kinn entlang bis zu meinem Hals. Ich legte meinen Kopf geniesserisch in den Nacken. Zuerst biss er ganz sanft in meinem Hals und saugte dann daran. Ich krallte mich an seinen Schultern und unterdrückte ein Stöhnen. Als er fertig war, küsste er sich einen Weg hinab und kam bei meinem Ausschnitt zum Schluss. Ich fuhr mit meinen Händen unterdessen seinen Rücken entlang und spürte wie sich die Muskeln unter meinen Fingern bewegten. Sein Griff um meine Hüfte wurde stärker und drückte mich fest gegen sich. Leicht fuhr ich mit meinen Nägeln über seinen Rücken, und spürte, wie er unterdrückt stöhnte. Seine Hände verliessen nun meine Hüfte und fuhren unter mein Tshirt, strichen zuerst über meinen Bauch und danach weiter hinauf, bis er an meinem BH-bügel stiess. Diesmal konnte ich ein Stöhnen nicht unterdrücken und meine Nägel kratzten fester auf den weichen Untergrund. Schnell landete auch mein Shirt auf den Boden und unterbrach wieder unseren Kuss. Tief schauten wir uns in die Augen und ich konnte nicht sagen, was er in meinem Augen las. Ich liess mich davon jedoch nicht beirren und küsste ihn wieder. Seine Hände, die auf meiner Taille lagen, blieben dort und nur sein Daumen streichelte meine Haut. Als er auf einmal wie zufällig über meine Brust strich, verkrallte ich mich wiedermal in seine weiche Haut und sog scharf die Luft ein. Für einen Moment verharrte er so, als hätte er Angst etwas Falsches gemacht zu haben. Aber da ich wollte, dass er weitermachte, strich ich über seine Brust und zeigte ihm, dass es mir gefiel. Nun küsste er meinen Hals entlang hinab und kam bishin zu meinen Brustansätzen. Ich konnte nichts Weiteres tun als meinen Kopf in den Nacken zu legen und einfach zu stöhnen. Es fühlte sich einfach so gut an. Ich bog meinen Oberkörper durch, um meine Brüste ihm näher zu bringen. Eine Regung zwischen seinen Beinen, der sich gegen meine Mitte drückte, half mir nicht im Mindesten, klar im Kopf zu bleiben. Jason stand auf und ich klammerte mich an ihn, die Beine um seine Hüfte geschlungen. Sanft legte er mich im Bett ab und wollte wieder aufstehen. Doch ich zog ihn wieder zu mir und er landete auf mich drauf. Wild küsste ich ihn, von allen Sinnen verlassen. Immer wieder strich er über meinen Oberkörper, doch machte keine Anstalten meinen BH aufzumachen. Ich wollte ihm diese Arbeit schon abnehmen, als er meine Hände über meinen Kopf festhielt und mit der anderen Hand von meiner Lippe bishin zu meinem Hosenbund hinab strich. Seine Lippen folgten seinen Finger und ich wand mich unter ihm in süsser Qual. Bei meinem Bauchnabel angekommen liess er meine Hände los und fuhr wieder mit seinen Lippen hinauf zu meinem Busen. Wieder machte ich Anstalten den störenden Stoff auszuziehen, als er wieder sanft meine Hände festhielt und auch seine Lippen sich von meinem Körper entfernten.

„Kate, ich werde heute nicht mit dir schlafen“, sagte er einfach schlicht, als wäre es nichts. Damit rollte er sich von mir ab und legte sich neben mir nieder. Ich wollte schon losquengeln, wieso er es nicht wollte. Nur langsam kam ich aus meinem benebeltem Zustand wieder zurück in die Wirklichkeit. Immernoch verstand ich nichts. Ich war auf dem besten Weg gewesen, Sex mit ihm zu haben und er tat das einfach so ab. Und der ausgebeulten Hose nach, konnte ich genau sagen, dass er mir nicht abgeneigt war. Ohne ein weiteres Wort nahm er mich in die Arme, vergrub seinen Kopf in meine Haare und legte sich damit schlafen. Völlig verwirrt wollte ich mich umdrehen, doch mit seinem festen Griff, verhinderte er es.

„Glaub mir, es ist besser so. Und nun schlaf, meine Schöne“, raunte er in mein Ohr. Wie kann er nur so vernünftig sein. Ich als Jungfrau war schon dermassen aufgewühlt und konnte mit dem abrupten Ende nicht klarkommen. Ich war immer noch erregt und nur sehr langsam klang es ab. Wie war es dann ihm nur möglich, der solange schon keinen Sex mehr gehabt hatte, einfach aufzuhören und noch so vernünftig dabei zu sein? Und sein Freundchen da unten wäre sicherlich auch meiner Meinung. Es musste doch sicher sehr schmerzhaft für ihn sein. Doch je mehr ich darüber nachdachte, desto wärmer wurde es mir ums Herz. Jason war so wundervoll. Er liebte mich wirklich, tat so vieles für mich und ich Dummerchen habe ihn ständig wieder verletzt. Immer wieder falsch beschuldigt und noch dazu an ihm gezweifelt. Diese Aktion war doch ein klarer Liebesbeweis seinerseits. Nie wieder sollte ich an ihm zweifeln. Mit diesem Gedanken und seinem Arm um mich, den ich wiederum festhielt, schlief ich ein.

Kapitel 29

Irgendwie schafften wir es täglich mindestens eine Knutscherei zu haben. Entweder war es mitten am Tag einmal, oder wir beendeten unseren Tag damit. Manche Male schafften wir es sogar bis auf die Unterwäsche nackt zu sein. Dennoch ging Jason danach keinen einzigen Schritt mehr weiter. Dieser Typ hatte wirklich Nerven aus Stahl und eine Selbstbeherrschung, die nur bewundernswert war. In der Schule lief es momentan auch nicht schlecht. Immerhin stand der Maskenball bald bevor und die ganze Schule war in heller Aufregung. Überall wurden Flyer aufgehängt und die Komitee, die für den Ball zuständig war, war sehr schwer beschäftigt. Da sie Hilfsleute benötigten, hatten sich einige gemeldet. Darunter war Sarah eine, die auch noch unsere ganze Clique mit angemeldet hatte. So standen wir nun in der Halle und folgten den Anweisungen der Komiteevorstehenden. Jason und ich wurden dazu verdonnert die Deko herzuholen. Hin und herlaufen. Und da wir noch dazu herumalberten, dauerte die ganze Aktion noch länger. Aber nicht nur bei uns war dies der Fall. Sarah und Jan mussten die Lichterkette aufhängen und auch die waren nicht ganz bei der Sache. Denn Jan sah dies als seine Chance und hob ständig Sarah hoch, damit sie an die entsprechenden Stellen ankam, oder berührte sie wie zufällig an gewissen Stellen, die sie erröten liess. Doch mit einem gespielt bösen Blick und einem Lächeln quittierte sie das Ganze auch schon. Weil das Ganze während unserer Freizeit stattfand (die Schulleitung wollte uns nicht dafür freistellen), waren wir nicht ganz seriös. Schon einige Male wurden wir darauf hingewiesen effizienter zu arbeiten, um auch schneller fertig zu werden. Ich versuchte es auch immer wieder. Aber Jason hatte immer wieder andere Pläne. Ständig zog er mich zu sich und küsste mich, wenn wir mal alleine waren. Jedesmal verlor ich meine Konzentration und vergass, dass wir in der Schule waren. 

 

Am Mittwochabend, eine Woche vor dem Ball, ging ich mit meinen Mädels shoppen. Immerhin brauchten wir ja schöne Kleider für den Ball. Da wir ausschliesslich auf Kleidersuche waren, gingen wir nur in Kleidergeschäfte und verbummelten keine Zeit mit ansehen von allen anderen Dingen. Somit war es nicht weiter verwunderlich, als wir beim zweiten Laden schon einen längeren Halt machten. Es gab wirklich wunderschöne Kleider. Alle mögliche Arten von Stoffen waren dort zu finden und auch alle mögliche Arten von Kleidern: Cocktailkleider, A-linie Kleider, Vintage Kleider und und und. Leila hielt ein wunderschönes blaues Kleid in der Hand und betrachtete es skeptisch. Schliesslich nahm sie es mit in die Kabine und probierte ihn an. Eine wunderschöne junge Dame trat heraus und verzauberte uns alle. Sie selbst verzog jedoch nur ihr Gesicht und drehte sich unsicher vor dem Spiegel hin und her.

„Überleg nicht so lange und nimm es einfach. Es ist wunderschön und das blau bringt deine Augen richtig in Geltung!“, kommentierte ich den Anblick. Es war ein dunkelblauer bodenlanger Chiffonkleid, das direkt unter der Brust von einem Art Band umhüllt war. Eigentlich hatte es einen herzförmigen Ausschnitt, jedoch wurde das ganze mit blauem Netzstoff überdeckt, sodass es in einem Boot-Ausschnitt endete. Dieser blaue Netzteil war mit schönen Strasssteinen und Perlen verziert, die bei jeder Bewegung durch die Beleuchtung das Licht reflektierten. Das Königsblau, das nicht zu grell, gleichzeitig aber auch nicht zu metallisch wirkte, brachte nicht nur ihre Augen zur Geltung, sondern auch ihre blonden Haare liess es golden erscheinen. Wenn sie schon mit einem Messydutt und ungeschminkt so aussah, dann wusste ich echt nicht, wie die Jungs ihr zu Füsse fallen werden, wenn sie erst am Maskenball auftauchen wird, geschminkt und voll gestylt.

Auch Mina hatte ein Kleid gefunden und probierte ihn mal an. Schnell wechselte sie wieder und tat ihn auf den Haufen, den wir nicht wollten. Sarah versuchte diverse Kleider, einfach nur so zum Spass. Schliesslich wurde Mina fündig: ein knöchellanges Kleid, das in einem champagnergold gehalten war. Es war schulterfrei und bis zur Brust war mit silbernen Perlen ein Muster darauf gestickt worden. Ab der Taille fiel es locker hinunter und das Polyesterkleid war mit einem Chiffon-Tüll umhüllt. Es betonte ihre dünne Taille und die schwarzen Haare taten ihr übriges. Ich würde wetten, am Maskenball würde sie wie eine ägyptische Königin wirken, mit ihrer dunklen Haut, auch wenn sie von Indien stammte. Wir nickten alle begeistert und schliesslich nahm sie auch das Kleid. Ich hatte mich umgesehen, aber keines der Kleider gefiel mir wirklich. Ausserdem fand ich sie schon etwas zu teuer, um sie nur für einen Tag anzuziehen. Da Sarah wohl auch nichts erblickte, kauften wir die beiden Kleider und gingen weiter. Im nächsten Laden suchten die beiden nach schönen Masken, die zu ihren Kleidern passte. Ich schaute mich auch einfach mal um und es gab viele schöne Masken. Jede davon war mit einem schwarzen Band verknüpft und das Bild von weissen Rosen und einer Karte mitdemselben schwarzen Band schoss mir durch den Kopf. Ich erinnerte mich wieder an die Rosen, die ich erhalten hatte. Damals hatte ich noch geglaubt gehabt, dass es von Jason gewesen war. Aber er hat so eifersüchtig darauf reagiert, als ich es angesprochen habe, dass ich die Theorie wieder verwarf. Wer es gewesen war, hatte ich immernoch nicht herausgefunden. Aber seit Monaten hatte ich auch meine Ruhe von diesem mysteriösen Zettelschreiber. Hier und da, habe ich mal wieder ein Sugus erhalten, aber diese Häufigkeit hat sich auch schon gesenkt. Zettel habe ich schon seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr erhalten. Deshalb habe ich mir auch keine Gedanken mehr darüber gemacht. Aber jetzt, als ich all die Bänder sah, kam es mir wieder in den Sinn. Jetzt wusste ich auch, woher mir das Band so bekannt vorkam. Es war dasjenige meiner Maske, die ich am letzten Ball verloren hatte. Oder jedenfalls verloren geglaubt hatte. Jemand musste es gestohlen haben. Anders konnte ich mir dessen Verbleib und das Auftauchen des Bandes nicht erklären.

„Hey, alles in Ordnung?“, fragte mich Leila und aus meinen Gedanken gerissen, zuckte ich kurz zusammen. Beruhigend legte sie mir eine Hand auf die Schulter.

„Ja, alles gut. War nur in Gedanken“, tat ich es ab.

„Und, hast du schon eine Maske gefunden?“, lenkte ich sie ab. Zum Glück ging sie auch darauf ein.

„Nein, aber ich dachte, du könntest mir vielleicht dabei behilflich sein, eines auszuwählen.“ Lächelnd stimmte ich ihr zu und gemeinsam suchten wir nach einer Maske.

 

Der Tag des Balles rückte immer näher und alle wurden ganz schön aufgeregt. Schliesslich war er da und ich machte mich bei Jason bereit. Das Kleid hatte er mir geschenkt und ich war so überwältigt gewesen, dass ich fast in Tränen ausgebrochen war. Es war so wunderschön und ich konnte es einfach nicht glauben, dass er mir das Kleid gekauft hatte. Naja, wie zu erwarten, hat es schliesslich in einer Knutscherei geendet und zum Fast-Sex geführt. Nun stand ich in seinem Zimmer und lockte gerade meine Haarspitzen, als ich unten die Türe hörte. Etwas überrascht war ich da schon, weil es niemand der Clique sein konnte, da wir abgemacht hatte, vor der Schule uns zu treffen. Ich machte mir einen Wasserfallzopf und liess die restlichen Haare über meine Schulter fallen, als ich auch schon Ninas Stimme hörte. Wahrscheinlich waren sie wiedermal zurückgekehrt. Da ich nichts ausser meinem Handy mitnehmen wollte, entschied ich mich gegen eine Handtasche. Ich schlüpfte in meine Pumps und kontrollierte noch einmal im Spiegel mein Aussehen, bevor ich losstöckelte. Mit der Maske in der Hand, stieg ich die Treppen hinab und konnte Stimmen aus dem Wohnzimmer wahrnehmen. Folglich ging ich dorthin und sah Nina und Dean, die sich erschöpft auf dem Sofa niedergelassen hatten. Die Handkoffern standen noch im Flur herum. Jason sass in seinem Anzug auf dem Sessel. Er trug ein graues Hemd und darüber ein lässiges schwarzes Jackett. Dazu hatte er schwarze Jeans an mit schwarzen Conversen. Ich meine, man musste ja nicht gerade übertreiben mit schwarzen Lackschuhen und so. Er fuhr sich gerade durch die Haare und blickte zu mir herüber und wiedermal war ich von seinem guten Aussehen überwältigt. Auch er blieb mit offenem Mund sitzen. Das Kleid, das er mir geschenkt und ich nun an hatte, war schulterfrei. Oben war es mit silbernen Pailletten besetzt und der weisse Chiffonstoff berührte den Boden. Eine kleine Pinselschleppe stiess gegen meine Füsse und bei jedem Schritt schwangen die weissen Chiffonstoffe auf und schwarze Seide kam darunter zum Vorschein. Der silberne Bustier war noch mit schwarzen Linien verziert. Also alles in allem kurz zusammen gefasst, das Kleid war wunderschön. Dazu hatte ich meine Augen mit silbernem Lidschatten und einem Lidstrich verschönert. Zusätzlich habe ich mir noch falsche Wimpern aufgeklebt, um den Fokus auf die Augen zu verstärken. Dunkelroter matter Lippenstift bedeckte meine Lippen. Die Haare hatte ich wie gesagt zu einem Wasserfallzopf geflochten und die Spitzen ein wenig gelockt, damit sie nicht flach hinabfielen. Meine Maske war auch wunderschön. Sie war völlig schwarz und mit einigen silbernen Linien verziert. Jasons Maske war genau das Gegenteil: Silbriggrau und mit schwarzen Linien verziert. Beides waren venezianische Masken, wobei sie nur die Augenpartie verdeckten, und wir uns somit ungehindert küssen konnten. Er stand gerade auf, als sich auch die Köpfe seiner Eltern zu mir wandten. Jasons kam auf mich zu und küsste mich innig. Ich konnte es nur erwidern.

„Du siehst wunderschön aus. Einfach nur atemberaubend“, sagter er mit rauer Stimme und liess von mir ab.

„Danke, du auch.“
Nina und Dean standen auch auf und begrüssten mich und gaben uns Komplimente.

„Ihr seht so wundervoll aus. Wartet, ich schiess schnell noch ein Foto!“ Schon machte es klick und der Blitz liess meine Augen zukneifen. Lächelnd verabschiedeten wir uns von ihnen und gingen in den Flur unsere Schuhe anziehen. Ich holte meine silbernen Pumps heraus und wollte sie anziehen.

„Warte, ich helfe dir“, meinte Jason und nahm mir die Schuhe aus der Hand. Er nahm meinen Fuss in die Hand und half mir in die Schuhe zu schlüpfen. Dabei kniete er vor mich hin und ich hielt mich an seinen Schultern fest.

„Wow, heute fühle ich mich wirklich wie Aschenputtel“, lachte ich nur halb im Scherz. Was er da für mich tat, war ich wirklich nicht gewohnt und es blieb wahrscheinlich auch nur bei dieser einen Nacht. Also war es überhaupt nicht falsch, mich mit Aschenputtel zu vergleichen.

„Du bist ja auch einer Prinzessin gleich. Da kannst du dich ruhig so fühlen.“ Seine Antwort entlockte meinem Körper ein Schaudern. Schon stand er fertig vor mir und schaute mich an.

„Gehen wir, bevor wir zu spät sind.“ Draussen stiegen wir in sein Auto und fuhren in die Schule. Ich war gespannt, wie die anderen und vor allem die Schule nach all der Dekoration aussah. Nach fünf Minuten waren wir dort angekommen und Jason parkte das Auto in der Nähe. Bevor wir ausstiegen, hielt er mich noch am Handgelenk fest.

„Ich habe noch eine Überraschung für dich. Nach dem Ball. Ich hoffe, sie gefällt dir.“ Ein scheues Lächlen huschte über seine Lippen.

„Ich habe auch eine Überraschung für dich. Auch später“, antwortete ich ihm zurück. Denn ich hatte vor mit ihm heute zu schlafen. Nach all der Zeit war ich nun definitv bereit für Sex mit meinem Verlobten und leise Vorfreude darauf zeigte sich durch ein Kribbeln in meinem Bauch. Ich wollte auch Jason damit eine Freude bereiten und, da wir genau vor einem Jahr zusammen gekommen waren, fand ich es nur passend, heute diesen Schritt zu wagen und unsere Beziehung in eine neue Phase zu bringen.
Vor der Schule angekommen warteten wir auf die anderen. Ich umarmte Jason seitlich, während er mich an der Taille festhielt und einen Kuss aufs Haar drückte.

Hand in Hand kamen Sarah und Jan daher. Sarah trug ein türkisenes Oneshoulder Kleid. Es war aus Organza und war mit einem Pfauenfeder bestickt. Ihre Augen hatte sie mit einem Farbverlauf geschminkt. Die Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden, aus der sie eine vordere Sträne heraus hängen gelassen hatte. Sie sah richtig toll aus. Aber es war nicht nur das. Sie sah richtig glücklich aus. Ihre Augen strahlten ja richtig.

„Uhh, du siehst richtig schön aus!“, quickte sie auch schon drauf los.

„Und du erst“, antwortete ich in der Umarmung zurück. 

„Ich muss dir sovieles erzählen“, meinte sie noch, als auch schon Mina und Leila kamen. Wie schon beim Kleiderkauf waren sie wunderschön. Während Leila wie eine griechische Göttin daherkam, sah Mina wie eine ägyptische Gottheit aus. Mit einer herzlichen Umarmung begrüssten wir uns gegenseitig, bevor wir hinein gingen. Die Turnhalle war nicht mehr wiederzuerkennen. Die Wände waren mit Stoffbahnen abgedeckt, Lametta war überall aufgehängt, und soviele bunte Ballone waren verteilt worden. Auf der Bühne spielte die Schulband ihre Lieder und einige Leute waren schon am Tanzen. Am Rande war eine Theke aufgebaut worden, an der Getränke und kleine Gebäcke serviert wurden. Es war wirklich herrlich. Gerade wurde ein langsames Lied angespielt und ich zog Jason mit zur Tanzfläche. Die Hände hinter seinem Nacken zusammengeführt, lehnte ich mich an ihn und wir bewegten uns im Takt.

„Es ist wirklich schön hier, mit dir“, redete ich leise mit ihm.

„Ja, es ist wirklich unglaublich, was aus unserer Turnhalle entstanden ist.“ Mit einem Seufzer lehnte ich auch meinen Kopf an seine Schulter.

„Geht es dir eigentlich gut? Kommen dir irgendwelche Erinnerungen hoch, nachdem dein Gedächtnisverlust ja jetzt genau ein Jahr her ist?“ Ich blickte ihn an und zuckte nur die Schulten.

„Bisher ist mir noch nichts aufgefallen und ich kann es mir wirklich nicht erklären, was wohl geschehen sein muss, dass ich einen Gedächtnisverlust erleide.“ Ich bemerkte nicht, wie er sich für einen kurzen Augenblick versteifte, stattdessen beugte ich mich vor und küsste ihn.

„Aber ich denke, das spielt auch keine Rolle mehr. Inzwischen habe ich mir neue Erinnerungen geschaffen und die sind wunderbar. Und das beste ist, in all denen kommst du auch vor.“
Das Lied endete, und während dem Applaus verliessen wir die Tanzfläche und begaben uns zur Theke. Mit einem Becher Cola in der Hand betrachtete ich das Tanzgetümmel. Genau vor einem Jahr stand ich auch hier und habe mir überlegt, wer diese Leute sind und was mit mir geschehen war. Und nun stand ich hier und wusste immer noch nicht, was mit mir geschehen war. Jedoch konnte ich mit Sicherheit sagen, wer diese Leute waren. Unglaublich wie schnell mir all die Leute ans Herz gewachsen waren.

„Woran denkst du?“, raunte mir Jason ins Ohr.

„Nichts wichtiges“, tat ich meine Gedanken ab.

„Ach, und deshalb lächelst du so?“

„Na ja, es ging darum, wie schnell ihr mein Herz erobert habt, wie schnell du mein Herz erobert hast.“ Ich drehte mich um und gab ihm einen kurzen Kuss. Sarah kam auf mich zugestürmt, packte mich am Arm und zerrte mich auch schon hinaus. Überrascht liess ich mich mitziehen und fand mich in der Toilette wieder. Sie schaute kurz unter allen Kabinen nach und vergewisserte sich, dass niemand dort drinnen war.

„Sarah, was soll das? Was ist denn los mit-“

„Ich habe mit Jan geschlafen“, unterbrach sie mich auch schon. Ich war sprachlos.

„Wow, ähm.. das ist doch toll, oder etwa nicht?“, fragte ich sie zögernd.

„Ja, nein, ich weiss es nicht. Ich meine es war toll, es war wirklich wunderbar. Er war so zärtlich mit mir und oh mein Gott, Kate, ich hatte wirklich Sex mit Jan! Dem Jan, der mir damals Wasser in die Schuhe gekippt hat, einfach nur um mich zu ärgern. Der Jan, der allen immer Streiche gespielt hat, aber nie Ärger bekam.“

„Und dem Jan, der schon solange in dich verliebt ist, dich zum Neujahr geküsst hatte und eifersüchtig war, weil du vor seinen Augen mit einem anderen geflirtet hast. Sarah, was ist in Wirklichkeit los?“

„Ich glaube, ich habe einfach überreagiert, nicht?“ Durch ihre Fingern hindurch schaute sie mich an. Ich nahm ihre Hände herunter und hielt sie fest.

„Sarah, es ist doch nichts Schlimmes geschehen. Weisst du, wie du heute angekommen bist? Du bist mit Jan hergekommen und du hast richtig gestrahlt, übers ganze Gesicht gestrahlt. Weshalb machst du dir soviele Sorgen, wenn du dermassen glücklich bist?“

„Ich habe Angst. Was wenn er nur Sex von mir wollte und mich nun verlässt?“ Angsterfüllt blickte sie mich an.

„Schätzchen, Jan wird dich nicht verlassen. Er liebt dich. Aber falls er dich trotzdem verlässt, werde ich ihn zurechtstutzen und du wirst ihm eine verpassen. Alles klar?“ Mit einem Lächeln umarmte ich sie und hoffte ihre Sorgen wegzunehmen. Die Tür öffnete sich und wir verschwanden wieder in die Turnhalle. Ich sah Jason mit Jan am Rande stehen und gesellte mich mit Sarah zu ihnen. Irgendwann kamen auch Mina, Ryan und Leila zu uns. Unsere Unterhaltung vertiefte sich und getanzt wurde nicht mehr viel. Meine Gedanken flogen jedoch zum letzten Jahr und ich erhoffte mir einige Flashbacks. Jedoch erhielt ich keine Gedankenblitze und es machte mir zu schaffen, dass ich keinen Schritt weiter gekommen bin, was meiner Geschichte anbelangt. Eine Hand an meiner Taille holte mich wieder in die Gegenwart zurück.

„Na, woran denkst du jetzt schon wieder?“ Seine Nase vergrub sich in meinen Haaren.

„Mhmm.. wie gerne ich jetzt mit dir alleine wäre“, meinte ich lächelnd.

„Dann lass uns doch verschwinden.“ Seine tiefe Stimme hallte in meinem Magen wider und ein nervösese Kribbeln machte sich in mir breit. Gerade habe ich noch mit Sarah darüber geredet und nun war es bei mir auch schon so weit. Ich konnte es nicht länger hinauszögern. Ich schaute auf in die Runde. Sie waren in einem Gespräch verwickelt. Klammheimlich fortzuschleichen wäre unhöflich. Folglich verabschiedeten wir uns von den anderen und wünschten ihnen noch eine schönen Abend.

Kapitel 30

In seinem blauen Audi fuhr er durch die fast leeren Strassen.

„Wo gehen wir denn genau hin?“, fragte ich Jason, da wir nicht zu mir oder zu ihm fuhren.

„Wirst du schon sehen“, meinte er nur spitzbübisch grinsend. Mit einem Lächeln wandte ich mich der Landschaft zu. Er hielt an einem Waldrand an und überrascht stieg ich aus. Wollte er wirklich wieder zu...

„Warte, nimm meine Jacke, du zitterst ja schon.“ Damit legte er mir seine Jacke über meine Schultern und während ich es anzog, schnupperte ich daran, da es so gut roch. Mit meinen Highheels war es ein wenig schwierig durch den Wald zu laufen, aber ich vertraute Jason, dass er mich vor einem Fall bewahren würde. Und dann standen wir auch schon da. Auf dem Hügel und unter uns glitzerte unser See im Mondlicht. Wieder konnte ich eine Picknickdecke ausmachen und sprachlos sah ich mir das Ganze an.

„Mund zu“, raunte mir Jason zu, bevor er mich an der Hand den Hügel hinunter zog. Ich lief ihm immer noch baff hinterher. An der Decke angekommen sah ich wieder ein Picknickskorb, aber auch Badetücher. Oh, nein, wollte er wirklich...

„Ich dachte mir, vielleicht gönnen wir uns ein Nachtbad, so unseren alten Zeiten willen.“ Wieder hatte er seinen Schuljungen Blick drauf und niemand konnte diesem Blick widerstehen. Ich beugte mich vor und küsste ihn.

„Danke. Danke, dass du mir aus einem schönen Abend einen so wundervollen Abend gezaubert hast.“

„Wollen wir zuerst ins Wasser und danach uns aufwärmen und essen?“
Als Antwort fing ich an mich auszuziehen. Als seine Jacke auf dem Boden ankam, fing er auch an, sich auszuziehen. Zuerst die Krawatte, dann das Hemd und die Hose. Ich zog mir das Kleid aus und legte es vorsichtig auf den Boden. Die Schuhe folgten auch unseren Kleidungen und schliesslich standen wir in Unterwäsche gegenüber. Hand in Hand sprangen wir schliesslich zum See und wateten ins Wasser. Gegenseitig spritzten wir uns nass und lachten uns schlapp. Ich tauchte Jason ins Wasser und er liess es zu. Plötzlich spürte ich, wie er meine Beine packte und dann sass ich auch schon auf seinen Schultern, als er sich erhob. Ich war der kalten Luft ausgesetzt und kreischte lachend.

„Jason, lass mich runter!“

„Du willst runter? Kannst du haben.“ So abrupt liess er mich los und gab mir einen kleinen Schubs, dass ich rückwärts ins Wasser fiel. Nach Luft schnappend tauchte ich wieder auf und schaute ihn mit verengten Augen an.

„Na warte, das gibt Rache.“ Damit begann eine wilde Verfolgungsjagd. Gerade als er nur noch eine Armeslänge entfernt war, drehte er sich zu mir um und ich fiel auf ihn. Instinktiv hielten wir uns fest und ich machte die Augen auf, auch wenn es vom ganzen Wasser etwas brannte. Dieser Blick, dieser Blick, den er nur mir zuwarf, und dann küssten wir uns auch schon. Ich merkte kaum, dass der Sauerstoff mich langsam verliess und schon gar nicht, wie Jason uns wieder ins Senkrechte lotete. So standen wir schliesslich im See, um Mitternacht und ich erlebte mein perfektes Kusserlebnis.

„Komm, wärmen wir uns auf, du wirst sonst noch krank“, fllüsterte er in die Stille. Dass mir überhaupt nicht kalt war, konnte er nicht wissen. Denn meine Endorphine durchfluteten meinen Körper und seine Berührungen schenkten mir Wärme. Mir kam der Gedanke den Kuss fortzuführen, als auch schon wieder das nervöse Kribbeln im Magend sich breit machte. Jason zog mich aus dem Wasser und schnappte sich ein grosses Badetuch, bevor er mir diesem umlegte.

„Du bist wunderschön, weisst du das?“ Meine Stirn legte sich in Falten.

„Jason, ich bin völlig nass und meine Schminke ist verlaufen. Und du willst mir weis machen, ich wäre schön?“

„Kate, du bist immer schön. Für mich bist und bleibst du die schönste Frau auf der Welt.“ Er strich mir eine Strähne hinters Ohr, bevor er sich ein Badetuch schnappte und sich selbst abtrocknete. In einem Badetuch umhüllt setzte ich mich auf die Picknickdecke. Wir fingen mit dem Essen an und anerkennend nickte ich ihm zu.

„Schmeckt wirklich gut. Hat Nina dir wieder geholfen?“

„Alleine hätte ich das nie geschafft.“ Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf.

„Du bist so süss.“

„Ich bin nicht süss. Kerle sind nicht süss“, ereiferte er sich. Jedoch unterbrach ich ihn mit einem Kuss.

„Das war ein Kompliment. Nimm es doch einfach an.“ Mit einem Lächeln taten wir das ab. Voll von unserem Mitternachtssnack lehnte ich mich zurück und schaute den klaren Nachthimmel an. Die Sterne leuchteten hell wie Diamanten und Rihannas Lied Diamonds kam mir in den Sinn.

„Es ist wunderschön hier.“

„Da kann ich dir nur zustimmen“, flüsterte Jason, wobei er aber mich anschaute. Er beugte sich langsam vor und küsste mich. Der Kuss war so intensiv, dass ich erschauderte und eine Gänsehaut bekam. Jedoch wurde das von Jason missverstanden und besorgt unterbrach er unseren Kuss.

„Dir ist ja ganz kalt. Warte kurz. Ich hole uns eine Decke aus dem Auto.“
Dann war er auch schon auf den Füssen und davon. Mir war ganz und gar nicht kalt. Im Gegenteil, mir war warm, wenn nicht sogar heiss. Immerhin wollte ich den nächsten Schritt wagen und mein ganzer Körper summte schon vor Aufregung. Ich konnte mir schon vorstellen, wie wir die Nacht hier gemeinsam verbrachten, an unserem Jahrestag. Ein warmes Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit.

„Da freut sich ja aber jemand“, schnitt eine Stimme die schöne Stille. Mein Lächeln erfror auf meinem Gesicht und fast schon panisch blickte ich mich um mich. Wo war er? Und was zum Teufel machte er hier? Woher wusste er überhaupt wo wir waren? Die Hände in der Manteltasche gesteckt, kam er lässig hinter einem Baum hervor. Als ich ihn nun direkt anschaute, kam die Panik in mir hoch. Endorphine wichen dem Adrenalin und innerlich hoffte ich, dass Jason schleunigst wieder hier wäre und mich vor diesem Typen rettete.

„Na, hattest du einen schönen Abend?“, fragte er mich, als wolle er Smalltalk betreiben.

„Was willst du hier Taylor?“, fragte ich ihn direkt heraus. Ich wollte hier die Sache nicht in die Länge ziehen, auch wenn das bedeutete, dass ich Jason weniger Zeit liess. Da ich immer noch im Badetuch gehüllt lag, versuchte ich mich so hinzusetzten, dass man möglichst wenig Haut von mir zu sehen bekam. Aufzustehen getraute ich mich nicht.

„Ah, du willst wohl direkt zum Punkt kommen. Tja, wir können die Sache klar verschnellern, aber wo bleibt da denn der Spass?“ Mit einem hinterlistigen Lächeln nahm er sich eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. Im Feuerlicht konnte ich in seinen Augen ein Glitzern erkennen. Was hatte dieser Typ nur vor?!

„Weisst du Kate, ich beobachte dich nun schon eine Weile.“ Er unterbrach sich selbst, um den Rauch auszublasen.

„Du bist recht interessant. Du bist nämlich mit Jason zusammen, tschuldigung, ich korrigiere mich, verlobt, triffst dich aber immer noch mit anderen Jungs.“ Meine Überraschung konnte ich leider nicht verstecken und Taylor schien es gesehen zu haben.

„Ah, du fragst dich, woher ich weiss, dass ihr verlobt seid? Nun, am Anfang konnte ich ja nicht einmal glauben, dass Jason tatsächlich eine Freundin hatte. Deshalb fing ich an, dich zu beobachten. Aber dann auf der Party, hast du es ja regelrecht herausgeschrien, dass ihr verlobt seid. Und dein Ablenkungsversuch war süss, aber leider erfolgslos.“ Er lehnte sich am Baum, während er mit ruhiger Stimme weitererzählte.

„Ich dachte mir, vielleicht hat ja Jason es tatsächlich geschafft eine anständige Freundin anzulachen. Doch das mit der anständigen Freundin ist so eine lustige Sache.“ Er lachte über seine eigene Gedanken und am liebsten wollte ich die Polizei anrufen, um diesen Psycho zu melden. Leider war aber mein Natel in Jasons Jacketttasche, die etwas weiter entfernt im Gras lag. Ich konnte unmöglich unbemerkt sein Jackett holen. Ich betete zu Gott, dass Jason doch endlich zurückkommen mag.

„Ich meine, wie anständig könntest du denn sein, wenn du, obwohl du mit Jason verlobt bist, noch mit Ryan flirtest und...“ Ich riss überrascht die Augen auf. Woher kannte er Ryan?

„Du fragst dich jetzt bestimmt, woher ich Ryan kenne, stimmts?“ Zufrieden über sich selbst, grinste er spitzbübisch.

„Jason scheint dir aber gar nichts von uns erzählt zu haben.“ Kopfschüttelnd aschte er ab.

„Ich glaube, du weisst gar nicht, dass ich in illegalen Sachen verwickelt bin. Vielleicht weisst du auch nicht, dass Jason auch lange in diesem Geschäft beteiligt war, bis du kamst und alles versauen musstest.“ Seine Stimme erhob sich und ich konnte die Wut heraushören.

„Jason war einer meiner besten Leute, und du hast ihn dazu überzeugt aufzuhören.“ Er schaute mich wütend an und ich befürchtete wirklich, dass er nun auf mich loskommen und mir irgendetwas antun würde.

„Aber, lassen wir das mal beiseite.“ Seine Stimme wurde wieder ruhig und er erzählte als wäre nichts gewesen. So ein Psycho.

„Nun, Ryan wollte auch gerne sich etwas dazu verdienen und ich bot ihm eine Gelegenheit an. So machten wir uns alle auf dem Weg, doch während dem Deal kamen die Bullen und wir verschwanden alle. Na ja, fast alle. Natürlich musste der dumme Kerl sich gefangen nehmen und Jason wurde mitverhaftet.“ Scharf zog ich die Luft ein, schockiert über diese Tatsache. Jason hatte mir gar nichts davon erzählt.

„Ich entnehme deiner Reaktion, dass er dir darüber auch nichts erzählt hatte. Nun ja, die beiden wurden verhaftet und Ryan, der Idiot hat alles ausgeplaudert. Seine Bezahlung dafür hatte er schon erhalten.“ Grinsend blies er wieder den Rauch aus. Siedend heiss fiel mir der Tag ein, an dem Ryan mit einem Veilchen und einigen anderen blauen Flecken in die Schule gekommen war. Davor hatte er für einige Tage sich krank gemeldet gehabt. Nun ergab alles einen Sinn. Taylor und seine Leute hatten ihn verprügelt und mit all den Blessuren, hätte er unmöglich in die Schule kommen können, ohne uns einen guten Grund nennen zu können. Oh mein Gott! All das war geschehen und ich war einfach wie ein blindes Huhn herumgelaufen.

„Weiter im Text. Jason hatte seine Abreibung noch nicht bekommen. Und du bist zwar seine Verlobte, aber du bist auch ein kleines Flittchen. Ich meine immerhin hast du ja auch mit anderen Jungs Spass. Da wollte ich mich auch mal mit dir vergnügen. Wenn das dein Freund, sorry, dein Verlobter sieht, wird es ihm das Herz brechen. Er würde irgendeine Dummheit machen und schlussendlich im Gefängnis landen. Dann habe ich mich auch noch an ihm gerächt und es würde mir auch noch einen höllischen Spass machen. Ich meine, du hast einen geilen Körper, auch wenn oben D-Grösse mir lieber gewesen wäre. Aber was solls. Ich kann mich auch mit dem zufrieden geben. Wie du meinen Namen stöhnst, während dein Verlobter dabei uns zusieht.“ Er trat seine Zigarette aus und kam mit einem dreckigen Grinsen auf mich zu. Seine Augen waren lustverhangen, und trotzdem glitzerte etwas gefährliches und psychoartiges darin. Er zog seinen Mantel schon aus und stand in T-Shirt und Jeans da, als ich endlich Jason hinter ihm kommen sah. In der Hand hatte er die Decke und lächelte erfreut, bis er aufblickte und mich da am Boden und Taylor vor mir erblickte. Panisch rannte er auf uns zu. Trotz meinem festen Griff, schaffte es Taylor mir das Badetuch zu entziehen und weit hinter sich zu werfen. Entblösst lag ich vor ihm, während er sich gierig über die Lippen leckte. Jason kam immer näher, ich hoffte nur, er würde schnell genug sein.

„Taylor, nimm sofort deine Hände von ihr!“, erklang es auch schon hinter dem Genannten. Ein Lächeln breitete sich auf Taylors Lippen aus, als er langsam von mir abliess und sich umdrehte.

„Jason, mein Freund. Da bist du ja. Ich dachte schon, du würdest die Show verpassen. Aber du kommst ja noch rechtzeitig.“ Er wendete sich völlig von mir ab, sodass ich aufstand und mich hinter Jason versteckte. Ich habe immer gedacht, ich würde zu den toughen Mädels gehören, die sich wehren könnten und sich zu verteidigen wussten. Nie hätte ich gedacht, dass ich dermassen schockgefroren sein würde, dass ich mich nicht ein bisschen zu wehren wusste. Dass ich mich ängstlich hinter meinem Freund verstecken würde.

„Was willst du hier Taylor? Was willst du von Kate?“ Seine Stimme war nur noch ein wütendes Zischen.

„Ganz ehrlich? Ich will sie ficken.“ Sein Blick lag auf mir und seine Pupillen waren riesig. Er zog mich regelrecht aus. Und erst da sickerte es zu mir durch, was er da gerade gesagt hatte. Er wollte was?!

„Du kommst nicht in ihrer Nähe, kapiert?!“

„Ach komm, Jason. Hast du denn nie gelernt zu teilen? Haben dir die Eltern das nie beigebracht?“, provozierte er ihn weiter. Kopfschüttelnd machte er einen Schritt nach vorne, was Jason zwang mich völlig hinter sich zu schieben.

„Halt deine Fresse und verschwinde!“, zischte Jason wieder mit unterdrückter Wut.

„Ach Jason. Sei doch nicht so sturr. Sie ist ein Flittchen. Schau sie dir mal an. Und jetzt einer mehr oder nicht macht doch auch keinen Unterschied mehr.“ Seine Stimme war ruhig, aber in seinen Augen konnte ich immernoch das Glitzern entdecken. Wieder leckte er sich gierig über die Lippen.

„Du wirst sie nicht anrühren, klar? Ich bin und werde der einzige sein, der sie jemals fickt!“ Nun bekam ich es mit der Angst zu tun. Auch wenn Jason mich verteidigen wollte, wurde mir das langsam zu viel.

„Als ob du dazu fähig wärst. Du hast es bisher auch nicht geschafft, es mit ihr zu treiben. Du kannst ihr das Gehirn nicht herausvögeln. Du bist nicht fähig ihr es wirklich zu besorgen. Gib es doch zu!“ Er provozierte Jason und dieser ging sogar darauf ein.

„Ach ja? Dann pass mal auf!“ Bevor ich irgendetwas tun konnte, hatte Jason mich schon auf den Boden geschubst. Ich hörte, wie er die Gürtelschnalle öffnete, und versuchte aufzustehen, um wegzurennen. Jedoch drückte er mich wieder auf den Boden und befreite gleichzeitig Schwanz von seiner Unterhose. Schon hatte er meinen Slip heruntergezogen, drückte meine Beine auseinander und stiess sich in mir hinein. Ich schlug mit meinen Händen auf ihn ein und zappelte wild unter ihm. Jedoch drückte er mich mit seinem ganzen Gewicht hinunter und mit der einen Hand hielt er meine Hände über meinem Kopf fest. Mit der anderen öffnete er meinen BH und knetete gierig meine rechte Brust. Harsch küsste er mich auf den Mund, bevor seine Lippen den Weg hinab folgten und auf meiner linken Brust zu liegen kamen. Dort knabberte er an meinen Nippeln. Die Tränen liefen mir unaufhörlich aus den Augenwinkeln und benetzen meine Haare. Er zog seinen Schwanz hinaus und stiess wieder hart in mich hinein. Jeder Stoss tat mir noch mehr weh. Niemals hätte ich gedacht, dass Jason mir physisch sowie psychisch dermassen weh tun könnte. Ich schaute auf, in Jasons Gesicht. Seine Augen waren glasig und unbändige Gier war darin zu sehen. Er sah mich gar nicht direkt an. Er war ganz woanders. Auf der Seite konnte ich Taylors Gestalt ausmachen. Er hielt gerade ein Handy am Ohr und redete mit jemanden. Ich hörte nicht, was er sagte. Er packte dann sein Handy weg und blickte mich direkt an. Es turnte ihn wirklich an, dass ich entblösst vor ihm lag und Jason mich vergewaltigte. Denn genau das war es. Vergewaltigung. Beschämt kniff ich meine Augen zusammen. Auch wenn ich am Anfang des Abends noch mit ihm schlafen wollte, habe ich mir das nicht so vorgestellt. Das was er mir antat, war wirklich Vergewaltigung. Und Taylor war sogar Zeuge davon. Laute Schluchzer drangen aus mir heraus. Doch was halfen die mir. Ich wollte nichts mehr fühlen. Das war nichts ausser tiefer Demütigung. Und ich wollte diese Schänderei nicht mehr fühlen. Nicht mehr spüren. Die Hände, die mich mal liebgekost hatten, strichen nun rau über meinen Körper. Der Mund, der mich so zärtlich geküsst hatte, drückte nun harsch einen Kuss auf. Ich erkannte meinen Jason nicht mehr. Unter Schluchzer kullerten heisse Tränen aus meinen Augen. Nicht einmal die Kraft zum Schreien hatte ich. In der Ferne hörte ich Sirenen. Waren sie tatsächlich in der Nähe? Jason hörte immer noch nicht auf und schien seinem Höhpunkt zu nahen. Unaufhörlich stiess er in mich ein und drang immer tiefer. Plötzlich hörte ich Schritte nähern. Und Taylor redete mit irgendwelchen Leuten. Ich zwang mich die Augen zu öffnen und blinzelte die Tränen weg. Polizisten näherten sich uns. Jason schien nichts davon mitzukriegen. Langsam hörte ich auch, was Taylor zu ihnen sagte.

„Er vergewaltigt meine Freundin. Ich hätte gerne eingegriffen. Aber er hat einen Messer neben sich und ich wusste nicht was er ihr oder mir antun würde. Deshalb habe ich die Polizei angerufen.“ Sorge, Wut und Furcht waren zu gleicher Zeit in seiner Stimme zu hören. Natürlich war alles nur gespielt. Denn er war nicht mein Freund. Mit Verspätung realisierte ich, was er gerade gesagt hatte.

Ein Messer neben sich. Ich drehte mich um und entdeckte tatsächlich das Messer, das er zum Schneiden des Kuchens benutzt hatte. Hätte ich tatsächlich den Mut, Jason damit weh zu tun? Aber es schien gar nicht nötig zu sein. Gerade als Jason sich aus mir herauszog, um wieder hart in mich hineinzustossen, wurde er am Arm gepackt und von mir weggezogen. Sofort zog ich mich zu einer Fötusstellung zusammen. Eine Polizistin kam und legte mir eine Decke über, in die ich mich schnell einwickelte.

„Lasst mich los. Das ist meine Freundin. Ich habe ihr nichts angetan!“

„Sie haben sie vergewaltigt und werden deswegen festgenommen.“ Die Stimme des Polizisten war ruhig. Taylor eilte zu mir und kniete sich neben mir nieder. Egal was auch Taylor getan hatte, in diesem Moment war ich ihm dankbar, dass er diese Qual beendet hatte. Als er mir eine Hand auf die Schultern legen wollte, war mir aber das zuviel. Ich zuckte zurück und die Polizistin nahm mich schützend in ihre Arme. Ich liess es zu, und schluchzte weiterhin in ihren Armen.

„Ihr verhaftet ernsthaft mich, aber ihn nicht?“ Jason schien ausser sich zu sein und zeigte wild in unsere Richtung. Genauer gesagt auf Taylor.

„Wisst ihr denn nicht, wer er ist und was er getan hat? Das ist Taylor Saunders. Er ist ein Drogendealer, hat etliche Leute verprügelt und beklaut.“ Er entfernte sich immer wie mehr von uns, und doch hörte ich das Nächste, als stünde er direkt neben mir.

„Und er hat Ralph Blake, Kates Vater umgebracht.“ Scharf zog ich die Luft ein und krallte mich an der Polizistin. Mein Vater wurde ermordet und das von diesem Typen, der gerade neben mir sass und sich als mein Freund ausgab. Und dann sah ich ein Bild vor Augen. Bevor ich es auch nur genauer anschauen konnte, flog schon das nächste Bild auf mir zu. Tausende Bilder schossen mir durch den Kopf und voller Schmerzen stöhnte ich auf. Die Bilder verschwammen alle bis mir schwindlig war. Plötzlich hörte es auf. Ich blinzelte erstaunt. Ich hatte meine Erinnerungen zurück. Und dann wurde es schwarz.

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Texte: Alle Rechte liegen bei mir
Tag der Veröffentlichung: 05.02.2014

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