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Prinzessin Elisse

Elisse setzte sich auf das große Fensterbrett und starrte hinaus. Nachtfrost war auf dem grünen Gras erkennbar. Ein paar Vögel hatten es sich auf den dürren Zweigen des großen Baumes, der direkt vor ihrem Fenster stand, gemütlich gemacht. „Hallo!“, sagte Elisse lächelnd.

Sie blinzelte der aufgehenden Sonne entgegen. Ihr Blick glitt über den riesigen Hof, der sich vor ihr erstreckte. Bald würde Schnee fallen und dies alles bedecken und Eiszapfen jedes Dach verzieren. Es würde die Zeit kommen, in der normale Mädchen ihren Alters hinausliefen mit ihren Schlitten um einen Abhang hinab zu schlittern.

Sie spürte den schnellen Fahrtwind, der ihr um die Ohren brauste, vernahm ihr eigenes übermütiges Kreischen, als sie immer schneller wurde und Acht geben musste, dass sie nicht fiel.

Ja, sie sah die Situation ganz lebendig vor sich, damals, als sie die Wachen ausgetrickst hatte und einen ganzen Tag in Freiheit verlebt hatte.

Ein herzhaftes Gähnen entfuhr ihr. Reflexartig schnellte ihre Hand zu ihrem Mund. Ihre Eltern sahen es nicht gern, wenn sie das tat.

Es war 7 Uhr. In einer halben Stunde würden die Frauen kommen um ihr Bett zu machen und ihr beim Anziehen zu helfen.

 

So war es dann auch. Auf die Minute genau wurde energisch an die Türe geklopft. Im nächsten Augenblick riss sie jemand auf und zu sehen war eine dürre, blasse Frau mit einem strengen Lächeln. Sie machte einen kleinen Knicks. „Prinzessin Elisse, Ich hoffe sehr, Sie haben gut geschlafen.“

Elisse nickte und lachte sie fröhlich an. Sie mochte Minna. Sie war die einzige Dienerin des Königshauses, das sie mit dem Vornamen ansprach, aber nur wenn sich niemand in der Nähe befand.

„Danke, Minna, ich habe sehr gut geschlafen. Und - ich hatte einen schönen Traum heute Nacht.“

Minna lächelte gutmütig. „Oh, Prinzessin, Sie erzählen mir ständig, dass sie einen herrlichen Traum gehabt haben!“

 

Elissa schüttelte den Kopf, ließ sich auf ihr Himmelbett fallen und schaute verträumt dabei zu wie Minna ihr ein Kleid für den heutigen Tag heraussuchte.

„Nein, diesmal war es etwas besonderes. Es war so real. Ich habe ihn so deutlich vor mir stehen sehen, wie ich nun dich hier sehe.“

Die fleißige Dienerin, die gerade mit dem Rücken zu der Prinzessin vor ihrem Schrank stand, hielt einen Moment lang inne, ließ beinahe den Schleier fallen, den sie gerade in die Hand genommen hatte.

Langsam drehte sie sich um und musterte Elisse. Diese grinste sie an und ihre Augen funkelten.

„Sag mir, mein Kind, von wem hast du geträumt?“, fragte sie und es war ein Ton in ihrer Stimme heraus zu hören, den man eher einer guten Freundin zugeordnet hätte, als einer Untertanin.

 

„Ich weiß es nicht!“, antwortete Elisse. „Ich konnte sein Gesicht nicht sehen, er hatte es bedeckt. Und trotzdem stand er vor mir und ich spürte seine Anwesenheit in jeder Pore meines Körpers.“

 

Minna schüttelte lachend den Kopf und schüttelte ihr Kissen aus.

 

„Eigentlich haben Sie gar keine Zeit in einer Traumwelt zu leben, meine Kleine!“, erinnerte sie die Prinzessin.

Traurig nickte Elisse. „Aber-“, wandte sie ein. „Ist es nicht gerade dann notwendig sich eine innere kleine Welt zu schaffen, wenn man in der richtigen, in der man sich Tag für Tag durchschlagen muss, nicht mehr zurecht kommt? Kann man mir das Träumen verbieten, Minna?“

 

„Aber Prinzessin..“

 

„Ich weiß die Antwort!“, rief Elisse triumphierend. „Nein, man kann es mir nicht verbieten. Wie sehr man mich auch versuchen wird zu ändern, zurecht zu biegen, wie sehr ich mich meinem Schicksal auch fügen muss, so bin ich doch in meiner Fantasie ein freier Mensch, wie jeder andere auch und über dieses innere Reich herrsche ich allein!“

Minnas Mund war einen Spalt weit geöffnet, die Offenheit Elisses hatte ihr wohl die Sprache verschlagen, trotz dem sie ansonsten über eine sehr spitze Zunge verfügte, wenn es darum ging die Prinzessin unter vier Augen zu maßregeln.

 

„Elisse, Elisse!“, ertönte eine aufgebrachte Stimme. Ihre Mutter steckte den Kopf ins Zimmer hinein. „Möchtest du denn bis zum Abendrot in deinen Gemächern verweilen, Kind?“, fragte sie und durchbohrte ihre Tochter mit einem langen Blick.

„Nein, Mutter!“, versicherte Elisse. Minna verbeugte sich. „Eure Hoheit!“

Manchmal hatte Elisse das Gefühl als könne ihre Mutter durch sie hindurch schauen. Sie liebte ihre Eltern sehr und doch hatte sie jeden Tag unter ihnen zu leiden.

 

Nachdem das Kleid, das sie heute tragen sollte, ausgesucht war, beschloss sie ein wenig über den Hof zu spazieren. Früher hatte sie sich immer einen Spaß daraus gemacht zu prüfen, wie aufmerksam die Wachen vor dem Königstor waren und ob sie es schaffen würde, unbemerkt an ihnen vorbei zu kommen. Doch bis auf das eine Mal, war es nie geglückt und sie hatte es nie wieder probiert.

Elisse zog sich eine dicke Jacke über. Oktober hatten sie und der Wind wurde von Tag zu Tag kälter.

 

Sie schritt durch den Palast, traf ein paar Damen, ein paar Wachen und traf auf ihren Vater. „Papa!“; rief Elisse freudig auf. Ihr Vater war ebenso streng wie ihre Mutter, doch oft konnte man ihm seinen weichen Kern sehr deutlich anmerken.

„Keine Zeit, mein Schatz!“, rief der König und eilte an ihr vorbei. „Unsere Gäste werden bald da sein! Ich hoffe du bist vorbereitet.“

Elisse bejahte dies brav und blieb traurig zurück. Heute sollte der Kaiser mit seinen Söhnen kommen. Ein riesiges Fest sollte stattfinden, ein toller Ball.

Sie mochte Bälle, denn wenn sie tanzte vergaß sie meist alles andere um sie herum. Doch für alles andere hatte sie nichts übrig. Hochnäsige Herrschaften, die jedes Wort auf die Goldwaage legten, nein, die hatte sie hier schon genug, die brauchte sie nicht auch noch zu Gast haben.

 

 

Der Abend rückte näher heran. Kutschen hielten vor dem Palast. Menschen in prächtigen Gewändern und Anzügen traten hinein und wurden von dem Königspaar herzlich in Empfang genommen.

Elisse beobachte alles von ihrem Zimmer aus. Zwei Männer waren dabei, die nicht viel älter sein dürften, als sie selber. Vielleicht 20 oder 21.

Der Eine hatte blondes kurzes Haar mit ein paar lustigen Locken und einem breiten Lachen auf dem Gesicht. Er erschien ihr sympathisch. Der junge Herr neben ihm hatte dunkelbraunes Haar, eine sehr stattliche Figur, sah allerdings nicht ganz so offen aus.

Elisse wandte sich ab und stellte sich vor ihren großen Spiegel. Aufmerksam betrachtete sie sich darin, drehte sich und musterte ihr Kleid. Es war sehr lang, die Farbe war ein sanftes Rot, nicht zu knallig, sondern zaghaft, aber dennoch auffallend – so wie sie selbst.

Ihre Schuhe waren aus prachtvollem Silber und leuchteten hell. Sie waren ihr etwas zu groß, doch sie hatte sie unbedingt anziehen wollen. Sie waren ein Geschenk ihrer Großmutter, die sie sehr lieb hatte.

Sie atmete einmal tief durch. So schlimm würde es schon nicht werden.

 

Eine halbe Stunde später verließ sie ihr Zimmer und ging die breiten Gänge entlang. Vor jeder Tür standen die Posten mit ihren ernsten Mienen, die nicht einmal mit der Wimper zuckten, wenn man ihnen mit der Hand vor dem Gesicht herum wedelte. Das hatte sie als Kind oft gemacht.

Auf einmal beschlich sie das Gefühl beobachtet zu werden. Seltsam, denn sie war es doch von klein auf gewöhnt, dass alle Augen auf sie gerichtet waren.

 

Sie hatte schon lange das Gespür dafür verloren, wann sie nun unter Beobachtung stand und wann nicht. Es fühlte sich nicht beklemmend an, nein viel mehr genoss sie dieses Gefühl das erste Mal seit langer Zeit. Ein Kribbeln durchlief ihren Bauch. Was passierte mit ihr? Wurde sie womöglich verrückt?

„Prinzessin Elisse!“, hörte sie plötzlich. Sie fuhr herum. Das Arbeitszimmer ihres Vaters. Einer der beiden Wachen, die vor der Tür standen, hatte sie angesprochen.

„Ja.“, brachte Elisse hervor.

„Ihre Schuhe sehen so aus, als wären sie Ihnen zu groß!“, bemerkte der Mann, der noch relativ jung schien.

„Ich..“, stammelte sie. Das erste Mal in ihrem Leben, das sie von einem Wachposten angesprochen wurde.

„Wie können Sie nur?“, rief der andere aufgeregt. „Sie haben die Prinzessin nicht einfach anzusprechen, außer Sie werden gefragt. Und bitte reden Sie sie richtig an.“

Elisse lächelte. „Ist schon gut!“, beschwichtigte sie.

Hatte sie diesen Wachposten schon einmal gesehen? Nein, sie war sich ganz sicher ihn noch niemals getroffen zu haben. Gesichter hatte sie sich schon immer gut einprägen können.

Er war sehr schlank, hatte rötliches kurzes Haar und braune Augen, die sehr tief aussahen.

„Nun, ich.. Ich hoffe Sie verzeihen, Hoheit!“, sagte er nun, kratzte sich am Kopf und verbeugte sich im nächsten Augenblick vor ihr.

 

Elisse nickte und lachte auf. Sie wusste nicht was sie sagen sollte, denn noch nie hatte sie so unbefangen mit dem Personal reden können.

„Ich..muss weiter!“, erklärte sie mit einem schüchternen Lächeln und strich sich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr.

Die Augen des Mannes formten einen stummen Abschiedsgruß.

 

 

Überall Menschen. Es erschien ihr mal wieder, als gäbe es in diesem Saal mehr Leute, als Fliesen.

Sie saß zwischen ihren Eltern, die gerade mit dem Herrn Kaiser redeten. Elisse gab sich Mühe interessiert auszusehen, doch sie fing nur hin und wieder einzelne Wortfetzen auf. An ihr gezwungenes Lächeln, das sie aufzusetzen hatte, hatte sie sich bereits gewöhnt. Nichts fiel ihr leichter als das. Stets freundlich auftreten, höflich nicken und ab und an ein paar Fragen beantworten, das hatte sie bereits ihr ganzes bisheriges Leben eingeübt.

 

„Prinzessin Elisse!“, rief der Kaiser irgendwann aus. „Ich freue mich sehr Ihnen meine Söhne vorzustellen. Prinz Nero und Prinz Alan.

Die zwei Männer, die sie vom Fenster aus gesehen hatte, traten an die Seite ihres Vaters und gaben Elisse nun die Hand. Beide lächelten, der eine offen und freundlich, bei dem anderen aber konnte sie Unsicherheit und Angst in den Augen erkennen.

„Ich freue mich sehr, Sie kennen zu lernen!“, sagte Elisse.

„Das Vergnügen ist ganz auf unserer Seite, Hoheit!“, entgegnete der Blonde und gab ihr einen Kuss auf die Hand.

Dann zeigte er auf sich selbst. „Mein Name ist Nero und mein Bruder hier heißt Alan.

Alan nicke Elisse zu.

 

Sie bemerkte wie Nero seine Bruder anstieß. Dieser trat hervor, verbeugte sich vor Elisse und fragte : „Darf ich um diesen Tanz bitten?“

„Aber sehr gerne!“, lachte Elisse.

 

Und so tanzten sie über den Boden und Elisse war wieder in ihrem Element. Sie vermied es dabei dem Prinzen in die Augen zu schauen, denn in seinem Gesicht spiegelte sich unaufhörlich eine tiefe Traurigkeit wieder.

Also lauschte sie der Musik und achtete auf jeden ihrer Schritte, schweifte in den Gedanken ab und auf einmal erschien vor ihrem inneren Auge der Wachposten, der sie angesprochen hatte.

Hatte sie sich deswegen so beobachtet gefühlt? Ob sie seine Blicke gespürt hatte? Wie auch immer es gewesen war, es hatte sich schön angefühlt.

Stimmen mischten sich in ihre Gedanken, die immer näher kamen, doch sie war innerlich weit weg, so wie sooft.

„Elisse! Elisse, hörst du denn nicht?“ Die Stimme ihrer Mutter. Nun stand sie direkt neben ihr. Ihr Tanzpartner hielt inne und starrte pikiert auf den Boden.

Irritiert folgte Elisse seinem Blick und schaute geradewegs auf ihren nackten rechten Fuß.

Ein kleiner Schrei entfuhr ihr. Nein, ihr Schuh! Sie hätte sie niemals anziehen dürfen, hätte sie doch erst noch herein wachsen müssen.

 

„Zieh dir augenblicklich deinen Schuh wieder an, aber ein bisschen Schnell!“, zischte ihre Mutter.

„Ja, Mutter!“, antwortete sie kleinlaut und hielt mit hochrotem Kopf Ausschau. Wo war er nur?

Oh, nein!

 

Plötzlich spürte sie eine schwere Hand auf ihrer Schulter. Als sie sich umdrehte sah sie den Herrn, von dem sie eben noch geträumt hatte.

Was machte er hier? Und warum grinste er sie so an? Was wollte er ihr sagen?

Es dauerte eine Weile bis ihr auffiel, dass er ihren Schuh in der Hand hielt.

„Möchten Sie ihn nicht wieder anziehen – Hoheit?“

 

„Doch!“, rief sie und entriss ihm den silbernen Schuh.

„Was machen Sie denn überhaupt hier, Herr Klaus Rebent?“, fragte Elisses Mutter.

Klaus, so hieß er also, dachte sie sich.

 

„Nun, offengestanden war ich neugierig und wollte einfach mal vorbeischauen. Auch wollte ich sehen, ob Ich Ihnen vielleicht irgendwie behilflich sein könnte, eure Hoheit!“

Elisse erwartete eine Strafpredigt ihrer Mutter, doch stattdessen seufzte diese einmal auf und lächelte schließlich verständnisvoll.

„Nun gut, aber momentan werden Sie hier nicht benötigt. Bitte kehren Sie innerhalb der nächsten Minuten wieder an den Ort zurück, den ich befohlen habe zu bewachen.

 

„Eure Hoheit!“, schrie auf einmal der andere Wachposten, der neben Klaus gestanden hatte, durch den Saal. Völlig außer Atem blieb er vor ihr stehen. Ein paar Köpfe der Herrschaften wandten sich dem Geschehen zu und wenige Tanzende wurden aufmerksam.

„Es tut mir so Leid, eure Hoheit, ich habe versucht ihn aufzuhalten, aber er..“

Die Königen schnaubte verärgert auf. „Genug Jetzt! Machen Sie, dass Sie wegkommen, Ihr Kollege ist neu hier, es ist in Ordnung wenn er sich ein wenig umsieht. Ich denke Sie werden auch ohne ihn in der Lage sein ihre Arbeit zu verrichten, scheren sie sich also wieder fort!“

 

„Jawohl, eure Hoheit!“

 

Elisse konnte nur nicht mehr an sich halten und begann zu kichern. Dafür erntete sie einen verärgerten Blick ihrer Mutter. „Benimm dich, Kind!“, raunte sie ihrer Tochter zu. „Und über die Sache mit deinen Schuhen sprechen wir noch!“

Mit diesen Worten wandte sie sich ab und ging zurück zum Tisch, wo der Kaiser gerade dabei war seinen Teller mit den herrlichen Speisen zu füllen.

 

Elisse schaute zu Klaus, dessen Augen sie freundlich anstrahlten. Elisse lächelte über ihr ganzes Gesicht und es tat gut dies einmal von ganzen Herzen tun zu können.

Klaus nahm ihre Hand und küsste sie. „Ich wäre sehr froh wenn ich mit Ihnen tanzen dürfte, Prinzessin!“

Elisse spürte wie ihr Herz einen großen Sprung machte. „Natürlich!“, entgegnete sie freudig. „Aber nur wenn Sie mich bei meinem Vornamen nennen.“

„Nun, da habe ich wohl keine andere Wahl!“, meinte er und zwinkerte ihr zu.

„Kommen Sie, Elisse. Und passen Sie auf, dass sie nicht wieder einen Schuh verlieren.“

 

Schwerelos fühlte sie sich, als sie mit Klaus durch den Saal tanzte. Er hatte sie so fest in seinem Arm und doch fühlte sie sich nicht eingeengt.

Seinem Blick konnte sie mühelos standhalten, ja es war sogar ein Vergnügen in seine Augen zu schauen, die so viel aussagten und doch so wirkten, als könnte man sie niemals ergründen.

 

Anfangs bemerkte sie die Verwirrung der Menschen um sie herum, die skeptischen Blicke ihrer Eltern und des Kaisers.

Wo war eigentlich Alan geblieben?

Doch nach einer Weile verschwanden diese Gedanken und Fragen und sie blendete ihre Umgebung beinahe vollständig aus.

 

Am Ende des Tanzes verbeugte er sich vor ihr, warf ihr noch einen letzten warmherzigen Blick zu und wandte sich schließlich zum Gehen.

„Bleib doch hier!“, wollte sie ihm hinterher rufen, doch Prinz Nero baute sich vor ihr auf, bevor sie auch nur ein Wort heraus bringen konnte.

„Prinzessin Elisse, ich habe überhaupt nicht gewusst, dass sie an Angestellten ihrer Eltern so viel Interesse haben, dass sie gleich mit ihnen tanzen.“

Elisse drängte sich an ihm vorbei, doch Klaus war schon in der Menge verschwunden. Er würde wieder zurück zu seinem Kollegen gehen.

Wahrscheinlich war es besser so, nicht, dass er ihretwegen noch in Schwierigkeiten geriet.

 

 

 

*

 

Der Tag neigte sich dem Ende zu, die Sonne färbte sich rot-orange. Wie jeden Abend saß Elisse auf ihrem Fensterbrett und beobachtete wie es draußen langsam dunkel wurde.

Ihre Mutter war nicht mehr gekommen um mit ihr über die heutigen Geschehnisse zu reden, Gott sei Dank.

Sie streckte sich und gähnte. Die Müdigkeit spürte sie nun in jedem einzelnen Knochen.

Was Klaus wohl gerade tat? Wo er wohl sein Zimmer hatte?

Doch all diese Fragen sollten wohl unbeantwortet bleiben.

 

Sie war gerade dabei sich ihr Nachthemd überzustreifen, als es an der Tür klopfte. Oh nein, sie konnte nun kein Gespräch mehr mit ihren Eltern ertragen. Konnten sie diese Sachen nicht einfach auf sich beruhen lassen, mussten sie alles wieder durchkauen?

„Ja!“, rief Elisse unwirsch.

Während sich die Tür langsam öffnete, überlegte Elisse ob es ihre Mutter oder ihr Vater sei.

Doch herein trat – kein anderer als Klaus.

 

Elisses Augen weiteten sich, sie schlang ihre Bettdecke um ihren Körper.

 

Klaus lächelte schüchtern. „So schlimm sieht ihr Nachthemd doch gar nicht aus!“, beruhigte er sie und wieder konnte sie das Zwinkern in seinen Augen ausmachen.

„Klaus. Was machen Sie denn hier?“

„Ich dachte ich schaue mal bei Ihnen vorbei – Ich, naja ich wollte Sie wiedersehen, Prinzessin Elisse.“

Elisse schluckte, dann lachte sie. „Bitte, lassen Sie das Prinzessin weg, und Siezen wollen wir uns auch nicht mehr!“

Erstaunt betrachtete Klaus sie. „Aber..Nun gut. Einer Prinzessin sollte man sich nicht widersetzen.“

Grinsend forderte sie ihn auf sich neben sie auf ihr Bett zu setzen.

 

„Wie lange arbeitest du schon im Palast?“, fragte sie.

„Seit ein paar Tagen. Ich habe mein Zimmer neben der Bibliothek. Mein Vater hat der Königin, deiner Mutter, einmal einen großen Dienst erwiesen und sie hat versprochen sich zu arrangieren, weswegen sie wahrscheinlich auch etwas nachsichtiger mit mir ist. Nun, mein Vater bat Sie mich als Wache im Königshaus einzustellen, wenn ich älter sein würde. Ich hielt nichts davon und kann mich immer noch nicht so recht damit anfreunden. Ständig still stehen, immer dieselbe Miene, ja nicht bewegen. Aber mein Vater fand, dass es genau das Richtige für mich wäre. Also versprach die Königin mich eines Tages in ihrem Palast einzustellen, sobald sie mehr Personal gebrauchen könnte. Ursprünglich bin ich ein gewöhnlicher Stadtmensch.“

„Ja, so wirkst du auch!“, erwiderte Elisse. „Und das meine ich positiv. Hier sind immer alle so schrecklich ernst und verstockt, du wirkst du lebendig und so voller Lebensmut.“

 

„Dasselbe lässt sich von dir sagen! Ich habe dich oft beobachtet, wenn du an mir vorbei geganen bist. Du hast etwas sehr liebes in deiner Art.“

Elisse errötete. Selten hatte sie von einem Mann ein ehrlich gemeintes Kompliment bekommen.

 

Um etwas zu sagen, deutete sie zum Fenster. „Ich würde so gerne raus und spazieren gehen. Nicht immer nur über diesen öden Hof, den ich schon mein ganzes Leben kenne. Sondern mal wieder richtig raus und durch den Wald stapfen oder so.“

„Was hindert dich daran?“

Elisse rollte mit den Augen. „Meine königlichen Pflichten!“, antwortete sie, den Tonfall ihres Vaters nachahmend.

 

Er nickte. „Natürlich. Als kleiner Junge habe ich immer geglaubt, man könnte als Thronfolger alles machen, was man will.“

Elisse machte große Augen. Sie hatte nicht gewusst, dass jemand so etwas annehmen könnte.

 

„Ich habe eine Idee!“, rief Klaus plötzlich aus.“Wie wäre es, wenn wir heute Nacht einen kleinen Nachtspaziergang unternehmen würden? Wäre das etwas für dich?“

Elisse starrte ihn an. Wollte er sie auf den Arm nehmen? Wenn ihre Eltern das mitbekämen, würde sie eine Strafe bekommen, die sich gewaschen hätte.

„Das geht unmöglich, auch wenn ich es gern täte, Klaus!“, sagte sie betrübt.

 

„Ach, es ist mehr möglich, als du dir vorstellen magst, meine kleine Prinzessin!“, frohlockte er und strich ihr über das Haar. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihrem Brustkorb aus.

 

„Du musst doch deine Zeit als eigenständiger Mensch noch ein wenig auskosten, bevor du die Frau von diesem Prinzen wirst. Wie heißt er nochmal? Alan glaube ich.“

 

Erschrocken sprang Elisse auf. Sie fühlte sich, als hätte ein Blitz in ihr Herz eingeschlagen. Entgeistert starrte sie Klaus an.

„Was sagst du da? Ich soll die Frau von – du musst dich irren. Davon weiß ich nichts.“

Sie schickte ein Gebet zum Himmel, er möge etwas falsch verstanden haben, doch sie spürte, dass sie gerade ihr künftiges Schicksal erfahren hatte.

Verwirrt kratzte sich Klaus am Kopf. „Ja, weißt du denn nicht..? Ich meine, jeder hier im Palast weiß es.“ „Nur ich nicht!“, wisperte Elisse. Sie hatte gewusst, dass dieser Tag irgendwann kommen würde, aber sie hatte nicht geahnt, dass es schon so bald so weit sein würde.

Sie begann bitterlich zu weinen und lehnte sich gegen Klaus, der etwas unbeholfen über ihre Hand streichelte. „Bitte hör auf zu weinen!“, bat er sie. „Ich sehe dich so gerne fröhlich. Dein Lächeln lässt mir immer ganz warm ums Herz werden.“

Doch es half nichts. Elisse weinte und weinte. Sie wollte keine Prinzessin sein, nein, ach wäre sie doch irgendwo anders geboren worden.

 

Lange saßen sie so und es fühlte sich gut an in seinen Armen geborgen zu sein. Viele Gedanken schossen ihr durch den Kopf, doch die meisten waren kaum greifbar.

Plötzlich packte sie der Trotz. Sie setzte sich auf und schaute Klaus fest in die Augen.

„Wir werden gehen!“, verkündete sie stolz. „Wohin denn?“, fragte er.

„Na spazieren!“, zwinkerte sie aufgeregt. „Oh, ja, meinen Spaß lasse ich mir nicht verbieten, von niemanden.“

Klaus lachte. „Großartig, so gefällst du mir. Ich werde auch dafür sorgen, dass niemand davon erfährt, das verspreche ich dir.“

Dankbar fiel sie Klaus um den Hals. „Ich bin froh dich kennen gelernt zu haben. Und gleich werden wir die Wachen so richtig schön austricksen!“, jauchzte sie übermütig.

 

„Naja, überlasse das ruhig mir!“, grinste er.

 

*

 

Es war kurz vor Mitternacht und die beiden Untertanen mussten sich zwingen die Augen offen zu halten. Es war alles andere als angenehm, aber nachts war die Gefahr, dass jemand in den Palast eindrang nun mal besonders groß. Horace gähnte. Schon die dritte Nacht hintereinander, das konnte doch nicht gesund sein. Er dachte an seine Tante, die ihm immer geraten hatte aus diesem Job auszutreten und noch einmal ganz wo anders anzufangen. Jetzt war einer dieser Momente, in denen er bereute nicht auf sie gehört zu haben.

Er spähte zu seinem Kollegen. Es war sehr dunkel, die entfernte Laterne ließ sein starr geradeaus gerichtetes Gesicht nicht erkennbar werden, aber er bildete sich ein, dass er die Augen geschlossen hatte.

Plötzlich vernahm er Schritte von hinten, auch der andere hatte es gehört und fuhr blitzschnell um.

Horace traute seinen Augen kaum. Der neue Wachposten, der vor kurzem eingestellt wurde war aus dem Palast hinaus gekommen und ging nun geradewegs auf sie, auf das Hoftor, zu – mit der Prinzessin! Und ihr Pferd hatte sie mit dabei.

„Eure Hoheit!“, brachte Horace hervor. Sein Nebenmann sagte etwas, das er nicht verstand.

„Die Prinzessin muss dem Kaiser einen nächtlichen Besuch abstatten!“, erklärte der Neue Untertane, als sie vor ihnen standen. „Es ist ein Notfall. Ich habe die Anordnung erhalten die Prinzessin zu begleiten, da sie nicht alleine durch die Dunkelheit reiten soll.“

Wortlos machten die beiden den Weg frei.

Als die Prinzessin und ihr Begleiter außer Sichtweite waren, wandte Horace sich zu seinem Kollegen. „Du, war das wirklich richtig, wie wir gehandelt haben? Mir kommt das sehr eigenartig vor.“

„Wir haben keine andere Wahl, wenn jemand einen Befehl von dem König erhält, müssen wir uns fügen.“

Horace schüttelte ungläubig den Kopf und starrte den beiden nach.

 

 

*

Elisse quiekte fröhlich auf, als sie mit Klaus auf ihrem Pferd saß und der frische Wind ihr durch ihr langes Haar blies. „Du bist einfach großartig, Klaus. Wir haben es geschafft!“

Klaus lachte.“Ich habe dir doch gesagt, dass sie keinen Verdacht schöpfen werden, wenn ein Wachposte dabei ist. Befehl ist schließlich Befehl!“

Sie ritten lange und ohne Pause durch den finsteren Wald. Irgendwann verlor Elisse die Orientierung. Hoffentlich würde Klaus zurückfinden.

An einer kleinen Lichtung blieben sie stehen. Klaus sprang ab und half der Prinzessin vom Pferd.

„Du bist ein erstklassiger Reiter!“, lobte sie ihn. Er lachte erfreut. „Ich reite seit meiner Kindheit, mein Vater hat es mir schon früh beigebracht. Es gibt nichts schöneres, als auf einem schönen Pferd zu sitzen und ganz weit weg zu reiten.“

Elisse nickte und stellte fest, dass sie sich ähnlich waren.

Sie setzten sich auf einen umgefallenen Baumstamm, Elisses Pferd fraß etwas Gras und genoss es sichtlich noch einmal draußen sein zu können.

„Für Blitz ist das auch ungewöhnlich, aber ein Abenteuer, mitten in der Nacht fort zu reiten!“, erzählte sie und betrachtete diesen liebevoll.

„Das glaube ich!“, lachte Klaus. „Wer weiß, vielleicht gestatten ihre Eltern es uns auch in Zukunft zusammen das Schloss zu verlassen – natürlich am Tage.“

Das klang wundervoll, aber Elisse wollte sich nicht in eine Illusion hinein steigern. Niemals würden sie das gestatten. Womöglich würden sie Klaus als Gefahr ansehen und ihnen den Kontakt verbieten wollen.

„Erzähl mir etwas von dir!“, forderte sie ihn eifrig auf. „Ich finde dich so interessant. Erzähl mir von deinem Leben, bitte.“

„Den Befehlen einer Prinzessin hat man zu folgen!“, witzelte Klaus schmunzelnd.

Er erzählte. Von seiner Kindheit, die er auf einem Bauernhof verlebt hatte, von dem Umzug in die Stadt und wie schwer es für ihn gewesen war die plötzliche Veränderung zu akzeptieren.

Dann berichtete er, wie sein Vater der Königin vor vielen Jahren das Leben gerettet hatte

Ihre Kutsche hatte einen Unfall, kam bei Unwetter von der Straße ab und prallte gegen einen Fels.

Elisse erinnerte sich. Als sie selber fünf Jahre alt gewesen war war, hatte ihre Mutter einen Unfall nur mit viel Glück überlebt, ein Fremder war zu Hilfe geeilt und hatte ihre Verletzung am Kopf versorgt.

„Und dieser Fremde war dein Vater?“

„Genau so ist es !“, bestätigte Klaus stolz. „ Er ist Arzt gewesen. Inzwischen lebt er leider nicht mehr. Ich denke oft an ihn und stelle mir vor, dass er eines Tages genauso stolz auf mich ist, wie ich es damals auf ihn war. Er wird von dort oben auf mich schauen und glücklich sein.“

Er deutete mit dem Zeigefinger an den Himmel, an dem tausende von Sternen funkelten.

Elisse lächelte und dachte nach. Wie es sich wohl anfühlen musste, wenn der eigene Vater oder die eigene Mutter tot waren? Sie litt oft unter der Strenge ihrer Eltern und doch würde sie keinen der Beiden jemals missen wollen.

Sie ergriff Klaus Hand und fuhr zärtlich über seine Finger. „Ich bin deinem Vater sehr dankbar, dass er meiner Mutter geholfen hat!“, flüsterte sie ihm ins Ohr. Klaus lächelte.

„Und ich bin fest davon überzeugt, dein Vater war schon immer stolz auf dich und darauf so einen tollen Sohn zu haben.“

Der Wind wurde kälter und Elisse fröstelte. Sie knöpfte ihre Jacke höher zu und kuschelte sich an Klaus. Elissa blinzelte den Mond an, der die kleine Waldlichtung erleuchtete, hörte noch das leise Wiehern Blitzes und das letzte was sie spürte waren Klaus wärmende Arme um ihrem Körper.

 

 

Verschlafen öffnete sie die Augen. Die Kälte hatte sie aufgeweckt. Zitternd tastete sie nach Klaus Händen. Wie spät war es? Sie erschrak, als ihre goldene Armbanduhr ihr verriet, dass es halb fünf war. Das war eine Katastrophe! Sie kannte noch nicht einmal den Weg nach Hause. Noch nie war sie so weit weggeritten.

Sie rüttelte Klaus sanft aus dem Schlaf. Dieser wusste scheinbar nicht wo er sich befand. Verwirrt blickte er sich um, bis er auf einmal entsetzt aufsprang. „Wir haben geschlafen!“, rief er. „Das hätte nicht passieren dürfen!“

Er ergriff ihre Hand, sie schnellten zu Blitz, der sich zur Ruhe gelegt hatte und etwas Zeit brauchte um hoch zu kommen. Klaus half Elisse aufs Pferd und stieg dann selber hoch. Und so ritten sie, noch schneller als sie hergekommen waren. Der Mond war etwas verblasst, man hörte die ersten Vögel, die ihr Lied anstimmten und unter normalen Umständen hätte Elisse den Ritt sehr genossen.

Doch die Angst saß ihr tief in den Gliedern. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was passieren würde, wenn jemand ihr Verschwinden bemerkt hatte. Womöglich würden sie Klaus aus dem Schloss verbannen. Und es wäre alles ihre Schuld, nur weil sie ihr Bedürfnis nach Freiheit nicht zurück stecken konnte.

Als sie ankamen, stiegen sie vom Pferd, gingen souverän an den Wachen vorbei, die sie mit skeptischen Blicken musterten und brachten Blitz zurück in den Stall.

 

„Am besten wir gehen getrennt zurück in den Palast, falls jemand wach ist sieht er uns nicht zusammen. Wir sollten so wenig wie möglich Verdacht erzeugen.“

Elisse nickte. „Wann sehen wir uns wieder?“, fragte sie. Sie musste einfach noch einmal Zeit mit diesem Menschen verbringen, zu dem sie sich so hingezogen fühlte.

„Warte darauf bis ich dir ein Zeichen gebe!“, entgegnete er mit einem Zwinkern in den Augen.

Er drückte sie an sich. Elisse wurde heiß, trotz der Kälte um sie herum. Klaus gab ihr einen sanften Kuss auf die Lippen und strahlte sie an.

„Bis nachher!“, flüsterte er und verschwand.

 

Ein Feuerwerk brach in ihrem Inneren aus. Ihr war, als explodierte sie und am liebsten hätte sie laut geschrien, doch stattdessen stieß sie nur ein gedämpftes Jauchzen hervor.

Elisse strich gedankenverloren über Blitz´ Mähne und verlor sich in den Augen des schönen Tieres.

Er hatte sie geküsst. Klaus hatte sie geküsst. Hieß das, dass er sie wirklich mochte?

Noch nie hatte ein Mann sie geküsst.

„Machs gut, mein Liebling!“, flüsterte sie Blitz zu und schlich sich hinaus.

 

Das Aufstehen stellte sich als wahren Horror heraus. Trotz der Stunden Schlaf im Wald fühlte sie sich wie gerädert als sie um halb acht von Minna geweckt wurde.

Ihr Kopf schmerzte und ihr Bauch fühlte sich seltsam an. Doch als sie an das dachte, was sie erlet hatte, glitt sogleich ein breites Lächeln über ihr Gesicht.

Minna bemerkte es. „Na, Prinzessin Elisse, haben Sie wieder einen schönen Traum gehabt, heute Nacht?“, fragte sie und sah ein wenig neugierig aus.

Elisse kicherte. „Ja, das kann man so sagen!“

 

Als sie die breiten Gänge entlang ging, hielt sie nach Klaus Ausschau. Er stand wieder vor dem Arbeitszimmer ihres Vaters. Er zwinkerte ihr zu, machte aber keine Bewegung. Das Kribbeln in Elisses Bauch verstärkte sich.

Als sie um die Ecke bog, prallte sie gegen jemanden. Prinz Alan.

„Guten Morgen – und Entschuldigung!“, grüßte Elisse höflich. Alan lachte sie an, doch es sah nicht ehrlich gemeint aus.

„Einen wunderschönen Morgen wünsche ich Ihnen ebenfalls, Prinzessin!“

„Sie sind noch hier?“, fragte sie.

„Ja, Ihre Eltern haben meinen Bruder und mich gebeten ein paar Tage zu bleiben. Zum besseren Kennenlernen.“

Und auf einmal waren die Fesseln um ihrem Herzen wieder deutlich zu spüren. Sie würden heiraten. Bald würde dieser Mann, den sie überhaupt nicht kannte, ihr Ehemann sein.

Sie schluckte, suchte nach passenden Worten, doch ihr wollten keine einfallen.

 

„Ich würde mich freuen wenn Sie nachher auf mein Zimmer kommen würden.“, meinte er und lächelte nun schüchtern. „Es gäbe da etwas zu besprechen.“

 

„Aber natürlich!“, antwortete Elisse.

Er nickte ihr zu und schob sich an ihr vorbei. Elisse schaute ihm hinterher.

Ob er genauso verzweifelt wegen der zukünftigen Hochzeit war, wie sie? Sie konnte sein Verhalten nicht recht deuten.

 

„Elisse, mein Kind, gut, dass ich dich sehe, ich möchte mit dir reden!“ Elisse fuhr herum und sah geradewegs ihrer Mutter ins Gesicht. Sie strahlte vor Freude, was man selten sah.

„Ich muss auch mit dir reden, Mutter!“, verkündete Elisse und gab sich Mühe mit einem festen Ton in der Stimme zu sprechen.

Doch als sie sich in dem großen Besprechungszimmer gegenübersaßen, wurde ihr mulmig zu Mute.

„Also, was hast du denn auf dem Herzen, meine Kleine?“, fragte sie und betrachtete ihre Tochter wohlwollend.

„Es geht um Prinz Alan!“, erklärte Elisse.

„Ja, der Prinz!“, wiederholte die Königin schwärmerisch. „Er ist ein so netter und intelligenter junger Mann. So wie du nett und intelligent bist.“

Elisse holte tief Luft. Es war nicht zu übersehen wie begeistert ihre Mutter von ihm war.

„Warum habt ihr mir nichts davon gesagt?“, fragte sie nun kühl.

„Wovon sprichst du, Schatz?“

„Ich soll Alan heiraten. Jeder hier im Schloß wusste es, außer ich.“

Ihre Mutter starrte Elisse einen Moment lang an, ohne ein Wort zu verlieren. Dann lächelte sie.

„Das ist genau das, was ich dir gerade mitteilen wollte. Ich hatte vor es dir erst zu sagen wenn du ihn kennen gelernt hast. Aber wie ich merke, ist mir da wohl jemand zuvor gekommen.“

Sie versuchte dem prüfenden Blick ihrer Mutter standzuhalten.

„Von wem hast du es denn erfahren?“, fragte sie.

„Das habe ich einfach mitbekommen. Ein paar Leute haben darüber getratscht. Es war ein reiner Zufall.“

Ihre Mutter nickte. „Na jedenfalls“, begann sie. „bin ich sehr froh darüber für dich den scheinbar perfekten Mann gefunden zu haben. Ich bin davon überzeugt, dass ihr euch...“

„Nein!“, fiel ihr Elisse ins Wort. Gleich darauf hielt sie sich erschrocken die Hand vor den Mund.

Stille herrschte. Wie sie es hasste, wenn sie sich anschwiegen. Denn meist war das Schweigen der Vorbote irgendetwas Schrecklichem. Meistens einer Strafe.

„Elisse, ich dachte wirklich ich hätte..“, die Stimme ihrer Mutter brach ab. Tränen stiegen in ihre Augen, es war ihr anzusehen, dass sie versuchte sich zusammen zu reißen.

Elisse knetete ihre Finger. Sie wollte ihre Familie nicht unglücklich machen. Aber sie selber hatte doch auch ein Recht darauf, selbstbestimmt zu leben, oder?

Mussten Thronfolger denn wirklich jedes Wort ihrer Eltern einfach so hinnehmen?

„Ich dachte wirklich dein Vater und ich, wir hätten dir die richtigen Werte vermittelt. Das Königshaus sollte dir eigentlich am wichtigsten sein. Du weiß genau, dass die Pflichten einer Prinzessin nun einmal dazu gehören.“

Elisse nickte stumm. „Denkst du denn meine Jugend war immer problemlos? Nein, das war sie keineswegs. Ich wäre viel lieber mit dem Zirkus herum gereist, als immer im Palast zu sitzen und zu allem Ja und Amen zu sagen.“

Nun konnte Elisse ihre Verwunderung nicht verstecken. Ihre pflichtbewusste Mutter hatte Interesse am Zirkus? Ob das ihr ernst war? Sie musste grinsen bei der Vorstellung wie sie vor den Menschenmengen von Trapetz zu Trapetz schwang.

„Aber irgendwann habe ich begriffen“, fuhr sie fort, „dass man als Prinzessin nunmal eine große Verantwortung für sein Volk trägt. Deswegen wünsche ich keine Diskussionen mehr, du wirst diesen Mann heiraten. Er ist der richtige für dich.“

„Wie kannst du das wissen?“ Die Wut suchte Elisse erneut auf. Woher wollte ihre Mutter wissen, was wahre Liebe war, wo sie doch bestimmt selbst keine großen Gefühle für ihren Vater gehabt hatte.

„Mein Kind, es ist alles gesagt.“

Elisse musste tief durchatmen um nicht etwas zu sagen, was ihr später Leid tun würde.

Wortlos stand sie auf und ging zur Tür. Die Königin machte keinerlei Anstalten sie zurück zu halten.

„Ach und Elisse?“, rief sie ihr hinterher, als diese die Hand schon auf der Klinke hatte.

„Was denn, Mutter?“, fragte sie ohne sich um zu drehen.

„Ich wünsche nicht, dass du mit unserem Personal privaten Kontakt pflegst oder sonstiges. Es schickt sich nicht als Prinzessin mit einer Wache zu tanzen.“

„Ja, Mutter.“

 

Der restliche Tag verlief eintönig wie immer. Sie hatte kaum Gelegenheit gehabt an Klaus vorbei zu gehen und ihm einen zärtlichen Blick zu zu werfen.

Eines war sicher: Niemand sollte sie davon abringen können sich mit ihm zu treffen. Sie sehnte sich nach ihm, nach seinen weichen Lippen und seinen sanften Armen, in denen sie sich so wohl gefühlt hatte.

Ach was würde sie dafür geben um einen ganzen Tag mit ihm zu verbringen.

Doch abends hieß es erstmal Alan einen Besuch abzustatten. Sein Zimmer hatte sie durch unauffälliges Nachfragen bei Minna heraus bekommen.

Um sieben Uhr stand sie bei ihm vor der Tür und klopfte. Einen Augenblick war es still, dann ertönte seine tiefe Stimme: „Komm herein!“

Schüchtern öffnete sie die Tür und lugte hinein. Es war eingerichtet wie in jedem Zimmer des Königshauses, alles blank geputzt und edel. Langweilig.

Alan saß an seinem Schreibsekretär und war gerade dabei etwas zu schreiben. Erst nachdem Elisse sich kurz räusperte, hielt er inne und wandte sich ihr zu.

„Hallo, Elisse!“, begrüßte er sie mit einem freundlichen Lächeln.

„Schön, dass du gekommen bist. Wie du weißt habe ich mit dir etwas zu besprechen. Setz dich doch!“ Er deutete ihr auf sein Bett.

Sie setzte sich. „Du möchtest sicher über die Hochzeit reden, stimmt´s?“

Er zog die Augenbrauen hoch und betrachtete sie ein wenig misstrauisch. „Ja. Ja, ehrlich gesagt hast du Recht.“ Er zögerte. Immer noch war diese Traurigkeit in seinen Augen erkennbar. Wenn sie ihm bloß helfen könnte. Elisse bedrückte es wenn Leute in ihrem Umfeld sichtlich niedergeschlagen waren.

„Ich kann es nicht.“, gestand er.

„Was?“, fragte Elisse begriffsstutzig.

„Ich kann dich nicht heiraten.“

Alan nahm ein Stück Papier von seinem Tisch und hielt es in die Luft. „Das ist ein Brief.“, erklärte er. „An meine Freundin.“

„Du hast eine Freundin? Aber als Prinz hast du doch die Pflicht...“

„Ich weiß!“, unterbrach er sie. „Und es tut mir auch sehr leid, dass ich dieser Pflicht nicht nachgehen kann. Mein Herz schlägt bereits für eine Frau.“

Elisse war verdutzt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Er war also genau so wenig begeistert darüber wie sie.

Sie lächelte. „Ich verstehe dich.“

„Tust du nicht.“, widersprach er. „Niemand kann nachvollziehen wie es ist unsterblich verliebt zu sein, aber es unmöglich zu sein scheint diese Liebe auszuleben.“

Das verstehe ich besser, als mir lieb ist, dachte Elisse, blieb aber stumm.

„Alan. Ich möchte diese Hochzeit auch nicht. Du bist sicherlich ein netter Mensch, aber ich fühle mich einfach nicht bereit dazu. Ich komme nicht damit klar, dass immerzu andere über mich bestimmen.“

Alans Augen weiteten sich. „Das heißt du möchtest mich gar nicht heiraten?“

Elisse kicherte. „Nun, ich kenne dich schließlich gar nicht. Aber ich fürchte um eine Hochzeit kommen wir nicht herum, es ist schließlich unsere Pflicht.“

 

Alan stöhnte und hielt sich die Stirn. „Ich vermisse sie jeden Tag mehr. Kennen gelernt habe ich sie in einer Dorfdisko.“ Er lachte schallend und es tat gut ihn mal fröhlich zu sehen. „Vor einem halben Jahr habe ich mich weggeschlichen. Vorher hatte ich mich verkleidet, damit man mich nicht erkennt. Dort bin ich ihr das erste Mal begegnet. Es ist schwierig normale Menschen zu treffen, die nicht mit einem zusammen sind weil man der Prinz ist. Aber als ich ihr meine wahre Identität preis gegeben habe war sie erschrocken. Es hat sie abgeschreckt. Doch wir sind trotzdem zusammen gekommen. Das erste Mal in meinem Leben glaube ich zu wissen wie sich Liebe anfühlt.“

Ein verträumtes Lächeln schlich über sein Gesicht.

„Das hört sich sehr schön an“, sagte Elisse und sie meinte es auch so. Niemals hätte sie ihm zugetraut so liebevoll über eine Frau zu sprechen. Auf einmal schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass Klaus vielleicht einer dieser Menschen sein könnte, der es nur darauf abgesehen hatte Thronfolger zu werden, doch diese Angst schüttelte sie schnell wieder ab. Niemand der so zärtlich und mitmenschlich war und niemand der sich so bemühte jemandem etwas gutes zu tun könnte eine solche Intention haben.

„Wenn ich dich aber heirate dann ist alles zerstört.“, erklärte er finster. „Meine Eltern würden niemals akzeptieren, dass ich eine normale Bürgerin zur Frau nehme.“

Elisse nickte. „Wir müssen doch etwas dagegen tun!“, rief sie aus.

„Darüber wollte ich mit dir reden.“, sagte Alan. „Wir werden uns beide weigern, was hälst du davon?“

„Wir werden sehen.“, stöhnte sie. Auf einmal spürte sie eine entsetzliche Welle der Ohnmacht über sich kommen. Was konnten sie schon ausrichten? Am Ende würde es sowieso darauf hinauslaufen, dass die Hochzeit stattfand. Doch sie hatte heute keine Kraft mehr darüber zu diskutieren.

„Ich würde jetzt gerne ins Bett gehen, ich bin müde!“, erklärte sie und richtete sich auf.

Über Alans verzerrtes Gesicht glitt nun ein mildes Lächeln. „Verzeih, ich wollte dich nicht lange aufhalten. Es war mir nur wichtig, dass du weißt wie ich zu dem Thema stehe. Gute Nacht!“

 

Kaum hatte Elisse das Zimmer verlassen, gähnte sie laut. Erst einmal wollte sie ins Bett und sich dort in ihre eigene Welt der Gedanken verkriechen. Das tat immer gut, wenn die Realität zu schwer erträglich war.

Als sie durch die breiten Gänge schritt, fiel ihr die Bibliothek ins Auge. Einen Raum weiter, das müsste Klaus´ Zimmer sein. Ihr Gesicht erhellte sich, sofort begannen in ihrem Bauch die zahlreichen Schmetterlinge zu tanzen. Ob sie ihm einen kleinen Besuch abstatten sollte, so wie er es bei ihr getan hatte? Er würde sich sicherlich freuen.

Mit pochendem Herzen schlich sie zu seiner Tür. Sie hielt kurz inne und lauschte.

Ob er bereits schlief? Nein, sie hörte seine Stimme. Erfreut wollte sie die Tür aufreißen und ihn überraschen, als sie die Verzweiflung in seiner Stimme registrierte.

„Aber was kann ich denn tun um ihr zu helfen?“, fragte er jemanden.

Stille.

„Sie muss sofort richtige Hilfe in Anspruch nehmen, ansonsten...“

 

Klaus telefonierte. Sicher hatte er viele Freunde, die wissen wollten wie es ihm erging, hier im Königshaus.

 

Sie hörte ihn traurig aufseufzen.

„Alles Klar. Ich werde mich melden. Und ich hoffe es ist dann nicht schon zu spät“, hörte sie ihn mit kühler Stimme sagen.

Er verabschiedete sich und Elisse hörte wie er den Hörer auflegte.

Unwillkürlich klopfte sie.

Es blieb still, Papier raschelte. „Ja, herein.“, rief Klaus schließlich und Elisse trat ein wenig scheu hinein.

„Elisse!“, rief er fassungslos aus. Die Beklemmung, die in all seinen Gesichtszügen erkennbar gewesen war, lockerte sich auf und er strahlte sie an.

Freudig ging er auf sie zu und umarmte sie lange und fest. „Ich bin ja so froh dich zu sehen!“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Elisse lächelte. „Ich dachte ich komme noch mal kurz vorbei. Eigentlich wolltest du dich ja melden, aber...“

„Du hast mir eine wundervolle Überraschung beschert!“, unterbrach er sie und blickte ihr tief in die Augen.

„Und ich bin froh bei dir zu sein!“, sagte sie und gab ihm einen zärtlichen, kurzen Kuss auf die Lippen.

 

Sie setzten sich auf seine Couch und blieben lange Arm in Arm sitzen und genossen die Nähe zu dem anderen. „Ich bin vorhin bei Alan gewesen.“, erzählte Elisse. „Er hat eine Freundin und ist über die bevorstehende Hochzeit ebenso unglücklich wie ich.“

„Das heißt er will dich gar nicht heiraten?“, fragte Klaus überrascht.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf und schmiegte sich an ihn. Nach einer kurzen Stille sagte sie: „ich würde so gerne mit dir davon reiten. Irgendwo hin, ganz weit weg. Wo uns keiner findet und wo wir uns nicht verstecken brauchen.“

Zärtlich strich Klaus mit seinem Finger über ihre Wange und starrte gedankenverloren auf den Boden. Ob er an das Telefonat dachte? Er hatte von jemandem geredet, der Hilfe bräuchte. Wer sollte das sein?

Sie wollte ihn fragen, doch etwas hielt sie zurück. Eine leise Stimme in ihrem Inneren sagte ihr, dass er nicht erfreut darüber wäre, wenn er erfahren würde, dass sie ihn belauscht hatte.

 

Sie schlang ihre Arme um Klaus, küsste ihn und streichelte ihn über sein rötliches Haar. Es war so schön ihm ganz nah zu sein, ihn zu spüren.

Irgendwann schliefen sie erschöpft ein und Elisse erwachte ein paar Stunden später. Doch sie dachete gar nicht daran ihn jetzt zu verlassen und kuschelte sich nur noch dichter an ihn heran. Sie wusste es, sie hatte sich in ihn verliebt. So konnte sich nur Liebe anfühlen.

Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch nie so etwas gefühlt hatte. Der Kontakt, den sie zu Jungen und Männer gehabt hatte, war immer sehr mager gewesen. Nie hatte sie jemand wirklich interessiert. Außer einmal, da war sie sechs Jahre alt gewesen und hatte immer mit einem Kaiserssohn zusammen Sandburgen gebaut. Den hatte sie gemocht. Doch davon abgesehen, hatte sie nie sonderlich romantische Erfahrungen mit Männern gehabt. Alle waren streng und spießig und hatten irgendwie wenig menschliches an sich. So hatte sie es zumindest immer empfunden.

 

Von nun an verbrachte sie jeden Tag mit Klaus. Es war ein aufregendes Gefühl, zu wissen, dass man sich nicht zusammen erwischen lassen durfte. Mal unternahmen sie nachts eine schöne Wanderung, mal trafen sie sich heimlich in seinem Zimmer und redeten. Es gab für Elisse nichts schöneres als sich in interessanten Gesprächen näher zu kommen und zu entdecken, wie ähnlich man sich doch war. Das Telefonat, dass sie mit an gehört hatte, war in die hinterste Schubalde ihres Gedächtnisses gerückt und die Gedanken an die Hochzeit mit Alan, verdrängte sie so gut es nur ging.

 

Eines Tages klopfte es an ihrer Zimmertür. Freudig strahlend eilte Elisse um Minna zu öffnen, doch was sie dann sah, erstaunte sie.

Vor ihr stand Nero. Er lächelte etwas schüchtern. „Hallo. Darf ich reinkommen?“, fragte er.

„Natürlich!“, entgegnte sie höflich, aber immer noch verwirrt. Was wollte er von ihr? In all der Zeit hatte er nie wirkliches Interesse am Königshaus gezeigt und sich meistens auf seinem Zimmer aufgehalten.

Er trat ein und sah sich mit einem wohlwollenden Blick um. „Hübsch eingerichtet hier. Es ist ein anderer Stil, als in den anderen Räumen des Palastes.“

„Ich bin anders.“, kicherte Elisse.

Nero nickte und setzte sich ohne Aufforderung auf den Drehstuhl vor Elisses Schreibtisch und ließ seine Blicke über ihre Papiere wandern. Es gefiel ihr nicht, doch sie hielt es für besser nichts zu sagen.

Irgendwann drehte er sich zu ihr um und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin hier, weil ich dir etwas sehr wichtiges sagen muss.“, begann er und runzelte die Stirn.

„Es geht um deinen – wie soll ich es nennen – Freund. Mir fällt sein Name gerade nicht ein, aber ich denke du weißt wen ich meine.“

Elisse erwiderte nichts.

Nero räusperte sich und kratzte sich am Kopf. Schweißperlen bildeten sich auf seiner Stirn.

„Ich weiß, dass du dich seit geraumer Zeit mit diesem angestellten Wachposten triffst. Frag nicht wieso, aber ich habe schon immer Dinge mitbekommen, die sonst keiner merkt.“

„Du weißt es.“, wiederholte Elisse ungläubig. „Aber du verrätst es sicher nicht meinen Eltern, oder?“

Er lachte. „Nein, selbstverständlich nicht. Darum geht es auch nicht, Elisse, es geht mir um dich.“

„Was meinst du?“

Kurz blieb es still, Nero kaute auf seiner Unterlippe herum und starrte nachdenklich an ihr vorbei.

Dann seufzte er.

„Es geht darum. Dieser Mann ist gefährlich. Du glaubst vielleicht, er hätte irgendwelche Gefühle für dich, aber in Wahrheit....“

Elisses Herz stockte. Sie wollte gar nicht hören, was er als Nächstes sagen würde, am liebsten hätte sie sich die Ohren zu gehalten und doch hing sie an seinen Lippen und wollte ihn auffordern endlich weiter zu sprechen.

„...in Wahrheit ist er nicht in der Lage dazu, für einen anderen Menschen etwas zu empfinden.“, vollendete er seinen Satz.

„Das ist doch Unsinn.“, wehrte Elisse ab. „Du kennst ihn doch überhaupt nicht. Machst du dich über mich lustig?“

„Ich kann dich nicht zwingen mir zu glauben.“, sagte er. „Aber ich möchte dich warnen. Es ist nicht alles Gold was glänzt.“

Tränen trieten Elisse in die Augen. Sie glaubte nicht was er sagte und doch konnte sie sich nicht gegen das wachsende Gefühl der Hilflosigkeit wehren.

„Dieser Mann ist bekannt dafür, dass er Frauen ausnutzt. Seine Auswahl richtet sich danach, wie viel Geld eine Frau besitzt, oder was für einen Status sie hat.“

Er zuckte die Achseln. „Manche Menschen brauchen sowas. Teils wegen dem Geld, teils um sich ihr eigenes Selbstbewusstsein aufzubessern. Liebe ist jedenfalls nicht der Grund.“

Elisse schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. „Wer hat dir so etwas erzählt?“, fragte sie tonlos.

Er lachte auf. „Ich habe es selbst mitbekommen. Eine Freundin von mir führte mal eine Beziehung mit ihm, ein halbes Jahr. Sie ist sehr reich, was allgemein bekannt ist. Für sie war er ihre große Liebe und er hat es perfekt verstanden ihr vorzumachen, als wäre es für sie ebenso. Letzendlich ist er dann mit einer beachtlichen Summe Geld verschwunden und sie hat ihn nie wieder gesehen.“

Er erzählte darüber, als ginge es um etwas alltägliches. Wieder seufzte er und schaute sie mitleidig an. „Ich möchte dich nur vor einer riesigen Enttäuschung bewahren. Falls es nicht schon zu spät ist. Dazu fühle ich mich verpflichtet.“

Elisse entgegnete nichts. Es war als wäre sie gerade aus einem langen Traum erwacht und würde sich wieder in der Realität wiederfinden. Erwacht aus einem Traum, der zu schön um wahr zu sein schien.

„Ich möchte jetzt, dass du gehst.“, sagte sie und merkte, wie ihre Stimme zitterte.

Er nickte verständnisvoll, erhob sich und ging zur Tür.

„Aber eines noch!“, rief Elisse ihm hinterher, als er schon beinahe draußen war. „Ich glaube dir kein einziges Wort.“

Nero erwiderte nichts, lächelte zum Abschied und kurz darauf fiel die Tür ins Schloss.

Aufgewühlt blieb Elisse alleine zurück.

 

Noch nie hatte sie sich so innerlich zerrissen gefühlt. Das erste mal in ihrem Leben war sie einem Menschen begegnet, der sie zu nehmen und zu mögen schien, wie sie nun einmal war. Er holte ihr die Sterne vom Himmel, war für sie da und verkörperte all dies, wonach sie sich immer schon gesehnt hatte. Sie hätte sich denken müssen, dass es irgendwo einen Haken geben müsste. Sie erinnerte sich daran, wie sie geglaubt hatte ihre Mutter wüsste nicht, was Liebe sei. Vielleicht konnte man das auch nicht wissen, weil es keine gab. Man redete es sich nur ein.

Ziellos schlenderte sie über den riesigen Königshof. Eigentlich hatte sie Klaus versprochen ihm am Abend einen Besuch abzustatten, doch das hatte sie nun nicht mehr vor. Sie musste nachdenken.

Die Sonne ging langsam unter, sie hörte einen Kuckuk und einzelne Vögel, die ihr Abendlied anstimmten. Es heiterte sie nicht auf, im Gegenteil, sie wünschte sich, sie würden aufhören und sie nicht in ihren Gedanken stören.

Vorhin noch hatte sie Nero voller Überzeugung entgegnet, sie würde ihm nicht glauben, doch jetzt war sie sich da nicht mehr sicher. Welchen Grund hätte er um sie anzulügen? Keinen. War er in sie verliebt und eifersüchtig auf Klaus? Nein, das war unmöglich, er kannte sie schließlich nicht.

 

Als sie das Schloß betrat und an Klaus vorbei ging, der starr wie auch der Wachposte neben ihm das Arbeitszimmer ihres Vaters bewachte und mit keiner Wimper zuckte, würdigte sie ihn nicht eines Blickes. Es versetzte ihr einen brutalen Stich in das Herz ihn nicht anzuschauen, sie würde so gerne, doch sie konnte nicht. Sie hatte Angst von ihren Gefühlen überwältigt zu werden.

Geradezu spüren konnte sie die stumme Bitte von ihm, ihre Augen doch auf ihn zu richten und sich so mit ihm zu verständigen. Doch heute ging das nicht.

Nachdem sie an ihm vorbeigegangen war, fühlte sie sich benebelt und gelähmt.

Ihr Vater kam ihr entgegen. „Elisse, mein Schatz“, rief er aus und umarmte seine Tochter. „Hallo, Papa!“

„Ich freue mich sehr dir zu sagen, dass die Vorbereitungen für die Hochzeit prima funktionieren. Alles läuft reibungslos.“

Elisse lächelte. „Mich auch!“, brachte sie hervor. Sie nahm sich vor, sich nun tatsächlich darauf zu freuen. Sie konnte an ihrem Schicksal nichts ändern, also was brachte es ihr zu jammern, wenn sie doch eh nicht ändern konnte, Alan zum Mann zu nehmen.

„Ich bin sehr müde, ich muss schlafen!“, unterbrach sie ihren Vater, als der ihr voller Vorfreude die Pläne für die Verlobungsfeier erläuterte.

 

Sie versuchte den restlichen Tag irgendwie zu überstehen. Gott sei Dank musste sie nicht noch einmal an Klaus vorbei gehen. Abends traf sie sich mit Alan und seiner Freundin. Er gab seine geliebte vor der Königin als eine gewöhnliche Bekannte aus.

Sie saßen zu dritt auf einer Bank vor dem großen Springbrunnen auf dem Hof. Seine Freundin hatte langes Haar, das ihr bis zu den Hüften ging und eisblaue Augen. Es war nicht zu übersehen, dass die beiden sich sehr liebten.

„Und du sollst also die Frau meines Freundes werden?“, fragte Betty mit einem gespielt bösen Ton in der Stimme.

Elisse lächelte bitter. „Ja, das wird sich leider nicht verhindern lassen.“

„Wir werden das nicht zu lassen!“, verkündete Betty entschlossen. „Nur über meine Leiche wird diese Hochzeit stattfinden. Elisse, du hast doch sicher auch schon einen Freund, den du magst.“

Eine kalte Hand griff um ihr Herz. Wie gern hätte sie Ja gesagt und ihnen von Klaus erzählt, doch sie konnte sich nicht länger selbst belügen.

„Nun ja. Es gibt da jemanden, den ich sehr nett finde, aber...“

„Elisse! Elisse!, hörte sie auf einmal rufen. Sie fuhr herum, die Blicke Alans und Bettys folgten den ihrem.

Klaus war aus dem Palast herausgetreten und lief nun direkt auf sie zu. Er trug keine Dienstkleidung, sondern war normal gekleidet, beinahe hatte sie ihn nicht erkannt.

Elisses Bauch kribbelte, eine Welle der Zuneigung durchfuhr sie und i konnte sie es noch gar nicht fassen, wie unverblühmt er ihren Namen rief.

Sie ließ das verwunderte Paar zurück und rannte ihm entgegen, blieb schließlich atemlos vor ihm stehen und wagte es ihm in die Augen zu sehen.

Verwunderung und Misstrauen lagen in seinem Blick. Sie wusste, dass er eine Antwort erwarten würde.

„Klaus...ich..“; stammelte sie. Am liebsten wäre sie ihm um die Arme gefallen und hätte ihn an sich

gedrückt, doch sie besann sich.

„Ist etwas passiert?“, fragte Klaus besorgt. „Ich habe auf dich gewartet, aber du kamst nicht. Und heute morgen warst du so komisch, du hast starr an mir vorbei geschaut.“

Sie nickte nur und ließ den Kopf sinken.

„Elisse, sag mir bitte was los ist.“, bat Klaus sie.

„Ich denke es ist besser, wir beenden es.“, brachte sie heiser hervor.

Stille. Nur den kalten Wind, der ihre Haare durcheinander brachte vernahm sie. Sie konnte spüren, wie Klaus fassungsloser Blick an ihr haftete, wie er nach Worten rang.

„Was ist los mit dir?“, fragte er noch einmal. „Ich möchte nur eine Erklärung hören.“

„Ich weiß von deiner Vergangenheit.“, sagte sie düster und sah wie eine Träne auf dem Boden aufkam und ihn dunkel verfärbte.

„Meine Vergangenheit? Hör auf in Rätseln zu sprechen, sondern sag was du meinst.“

„Nero hat mir alles erzählt. Dass du bei Frauen nur auf das Geld aus bist und auf den Status. Du hast einmal eine Beziehung mit einer Frau geführt, die sehr viel besaß und hast sie für deine Zwecke ausgenutzt.“

Entsetzt starrte Klaus sie an. Er machte den Mund auf um etwas zu sagen, schloss ihn dann wieder.

Er räusperte sich und blickte sich hilflos um.

Dann wandte er sich wieder zu Elisse und sagte: „Wenn es das ist, was du glaubst, dann ist es tatsächlich besser, wir haben nicht mehr viel miteinander zu tun.“

Die Worte trafen Elisses Herz wie spitze Pfeile.

„Ich wünsche dir trotzdem alles gute, und dass du mit Alan so glücklich wirst, wie es dir möglich ist.“

Damit drehte er sich um und verschwand.

 

Sie wollte ihm nachlaufen, doch sie hielt sich zurück. Es ging nicht mehr. Sie wusste nicht mehr wem sie glauben sollte. Selbst wenn Nero gelogen hatte, woher sollte sie das je erfahren, sie würde für immer mit einem schlechten Gefühl in der Beziehung leben. Und auf Unsicherheit konnte man keine Liebe aufbauen. Es war besser so, versuchte sie sich einzu reden und doch sehnte sie sich so sehr danach in Klaus Arme zu fallen, dass es ihr Schmerzen bereitete.

 

 

Mechanisch schritt sie zum Stall um Blitz zu besuchen. Langsam streichelte sie über seine volle Mähne, legte ihren Kopf schließlich sanft auf seinen und weinte leise.

„Wir reiten jetzt davon!“, flüsterte sie in das Ohr des Pferdes.

Skeptisch blickten ihr die beiden Wächter entgegen als sie, die Zügel in der Hand haltend mit Blitz an ihrer Seite, auf das Hoftor zusteuerte.

„Wo wollen Sie denn hin, Prinzessin?“, fragte der eine.

„Das ist nicht wichtig.“, entgegnete Elisse patzig.

„Oh doch, denn wir haben die Anweisung erhalten Sie heute nirgendwo mehr hinreiten zu lassen, außer es ist ein Notfall.“

„Ihre Anweisungen interessieren mich herzlich wenig!“, antwortete Elisse mit herausgestreckter Zunge und ohne eine Reaktion ab zu warten, schwang sie sich auf´s Pferd und ritt an den verdutzten Wachen vorbei.

Sie hörte noch die entrüsteten Schreie, doch sie lachte nur und ließ sich den Wind um die Ohren pfeifen.

 

Und so ritt sie am Schloss vorbei, in den Wald, innerhalb kürzester Zeit wurde es dunkler. Unheimliches Knacken vernahm sie aus jeder Ecke, doch es machte ihr nichts aus. Sie erinnerte sich, wie sie zusammen mit Klaus hier entlang geritten war und fühlte sich ihm ganz nahe.

„Langsamer, mein Junge!“, rief sie, als sie realisierte, dass sie kaum noch die Hand vor Augen sah. Bestimmt würde es ewig dauern bis sie den Weg nah Hause fand, doch auch das interessierte sie nicht. Von ihrem zu Hause hatte sie erstmal genug.

Dichter Neben verbreitete sich. Auch das noch. Sie brachte Blitz zum Stehen und stieg ab.

Nach einer Weile entdeckte sie eine Lichtung, die ähnlich ausssah wie die, an der sie gemeinsam mit Klaus gesessen hatte.

Erschöpft ließ sie sich auf den Boden sinken und lehnte sich an einen Baumstamm, während Blitz in einigen Metern Entfernung ein wenig Gras frass.

Sie wusste nicht, wie lange sie einfach dort saß, nach oben schaute und versuchte am bedeckten Himmel einzelne Sterne auszumachen.

Sie hatte noch nicht einmal eine Uhr, die ihr verriet wie spät es war. Sicherlich hatten ihre Eltern oder Minna schon von ihrem Verschwinden Wind bekommen.

Es wurde zunehmend kälter. Fröstelnd knöpfte sie ihren Mantel bis oben hin zu.

 

Sie erwachte. Ihr Arm fühlte sich taub an, sie hatte sich verlegen und außerdem war es eisigkalt. Am ganzen Körper zitternd hielt sie nach Blitz Ausschau. Es dauerte eine Weile bis ihre Augen wieder richtig aufnahmefähig waren. Wo war Blitz? Er war nirgends zu sehen. Entsetzt sprang Elisse auf. „Blitz!“, rief sie mit matter Stimme, dann noch einmal lauter. Ihr geliebter Blitz, wo war er nur.

Sie lief die Strecke, die sie gekommen waren, ab, doch keine Spur von ihrem Liebling. War das überhaupt der Weg, den sie genommen hatten?

Verzweifelt rief sie immer lauter, doch sie wusste, dass es wenig Sinn hatte. Atemlos blieb sie stehen und lauschte. Vielleicht hörte sie in der Nähe sein leises Wiehern, seine Schritte? Doch es war still. Totenstill.

 

 

*

 

„Was, Elisse ist weg?“, rief Klaus fassungslos aus. Alan nickte bedrückt. „Ihre Eltern lassen gerade nach ihr suchen, doch keiner weiß wo sie stecken könnte, an den Wachen ist sie einfach vorbei geritten.

Klaus blickte auf seine Uhr. Halb eins in der Nacht. Wo konnte sie nur stecken? Es passte doch nicht zu ihr solange alleine weg zu bleiben. Er spürte wie die nackte Angst ihn ergriff, alles in ihm war erfüllt von der Sorge um Elisse.

„Ich werde sie finden!“, murmelte er und verschwand in sein Zimmer um sich Reiterkleidung anzuziehen.

 

Als er schließlich durch den Palast auf dem Weg nach draußen war, traf er auf die Königin. Ohne ihr sonderlich viel Beachtung zu schenken, ging er an ihr vorbei.

„Bitte warten Sie einen Augenblick!“, rief sie ihm hinterher. Klaus blieb stehen und wandte sich zu Elisses Mutter.

„Ja, eure Hoheit?“

„Meine Tochter, sie ist davon geritten. Wissen Sie wo sie sich aufhalten könnte?“ Ihr Gesicht war in eine erschreckende Blässe eingetaucht und in ihren Augen erkannte er Tränen.

„Nein.“, gab er zurück. „Aber ich verspreche Ihnen, ich werde alles daran setzen sie zu finden.“

Die Königin sah ihn lange an, dann versteckte sie ihr Gesicht in den Händen und fing an zu beben. Sie weinte.

„Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde ihre Tochter heil nach Hause bringen!“, versuchte er sie zu beruhigen.

Die Königin nickte nur und fummelte ein Taschentuch aus ihrem Kleid.

Klaus machte sich auf den Weg.

 

Auf seinem weißen Schimmel ritt er durch die Nacht und betete, dass er Elisse gesund und munter finden würde. Wenn ihr irgendetwas passiert war, dann würde er sich das niemals verzeihen.

Er hätte sie nicht alleine lassen dürfen. Sie war doch die Frau, die er liebte.

 

*

 

 

„Blitz, wo steckst du nur?“, fragte Elisse, sprach es aber nicht aus, sondern formte die Worte stumm in ihren Gedanken.

Wäre Klaus doch jetzt bei ihr, dann würde sie viel positiver denken. Vor ihrem inneren Auge erschien Klaus mit seinem warmherzigen Lächeln und seinen zärtlichen, warmen Armen, die er weit ausgebreitet hatte um Elisse mit ihnen umschließen zu können.

Plötzlich drang aus weiter Ferne etwas zu ihr hindurch. Ein Geräusch, sie konnte es nicht einordnen und dennoch kam es ihr bekannt vor.

Ein Pferd schnaubte. Ja, nun hörte sie es laut und deutlich. Blitz! Oder Klaus, der angeritten kam, weil er sich sorgte. Ein freudiges Strahlen glitt über ihr Gesicht und sie eilte dem Geklapper der Hufen nun entgegen.

Es kam näher, näher und... da kamen zwei Pferde in voller Lebensgröße um die Ecke. Erstaunt blieb Elisse stehen. Auf dem einen, das schwarz mit einem weißen Strich auf der Mähe war, saß Prinz Nero, Alans jüngerer Bruder. Auf dem zweiten saß Betty, Alans Freundin. Sie war am ganzen Körper gefesselt, konnte sich noch mit Mühe und Not so auf dem Rücken des Pferdes aufstützen, damit sie nicht fiel. Nero ritt neben ihr her und ein hämisches Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

Sie hatten sie noch nicht entdeckt. Geistesgegenwärtig huschte Elisse hinter einen Baum. Sie hörte das klägliche Weinen von Betty. Was passierte dort nur?

Ein eiskalter Schauer überkam sie. Was hatte das zu bedeuten? Nero entführte Betty. Sie musste irgendetwas unternehmen. Doch was konnte sie tun? Sie stand ganz alleine im Wald und wusste weder ein noch aus.

Auf einmal spürte sie, wie etwas ihren Kopf berührte. Mit einem leisen Aufschrei fuhr sie herum. Blitz! Ein Kichern entfuhr ihr und sie legte zärtlich die Arme um ihren treuen Begleiter. „Ich wusste, dass du zurückkommst!“, flüsterte sie. „Aber mach das nicht noch einmal, hast du gehört?“

Blitz hob seinen anmutigen Kopf, um ihn gleich darauf wieder zu senken. Es sah aus als würde er nicken.

Kurz entschlossen sprang Elisse auf Blitz Rücken und ritt Neros Stimme hinterher. Sie hörte wie er Betty etwas erzählte. Gemein und unberechenbar klang er. Vielleicht wäre es besser, sie würde zum Königshaus reiten und Hilfe holen?

Nein, sie musste hier und jetzt handeln.

In sicherem Abstand verfolgte sie die beiden. Bei jedem Ast, der unter den kräftigen Hufen von Blitz knackte, zuckte sie zusammen,doch weder Nero noch Betty schienen etwas zu bemerken.

Mittlerweile ging die Sonne auf und flutete den Wald in ein lieblich rötliches Licht. Sie musste vorsichtig sein um nicht entdeckt zu werden.

Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, in der nichts geschah. Irgendwann brachte Nero sein eigenes und das Pferd von Betty zum Stehen.

Er half ihr beim Absteigen, holte gleich darauf eine Pistole aus seiner Jackentasche und hielt die Öffnung direkt auf Bettys Stirn gerichtet. Diese sah leichenblass aus und hatte sichtlich Mühe nicht in Tränen auszubrechen.

„Lass mich gehen!“, brachte sie hervor, doch Nero lachte nur.

 

Elisse saß in einem dichten Gebüsch versteckt und beobachtete die Szene. Blitz hatte sie etwas weiter hinter ihr an einen Baum gebunden. „Bleib schön hier, mein Liebling und sei leise!“, hatte sie ihm ins Ohr gesprochen. „Damit du uns nicht verrätst.“

 

Nun überlegte sie fieberhaft was zu tun war. Die beiden standen vor einer kleinen Hütte, die sehr heruntergekommen aussah. Es mussten Jahre vergangen sein, dass ein Mensch sie betreten hatte.

Das Dach war teilweise eingebrochen und die kahlen Wände waren mit Moos bewachsen.

Nero, der immer noch die Pistole an Bettys Stirn drückte, stieß die Tür auf, die laut knarrte und stieß sie unsanft hinein. Gleich darauf fiel sie wieder ins Schloss.

Elisse wartete ein paar Sekunden, bis sie vorsichtig heran schlich und sich an die Hauswand drückte. Sie befand sich nun direkt unter einem der Fenster. Die Scheibe war zur Hälfte eingebrochen, weswegen sie jedes Wort von dem was Nero sagte, verstehen konnte.

Vorsichtig erhob sie sich ein wenig und lugte hinein.

„Setz dich doch und fühle dich ganz wie zu Hause!“, säuselte Nero mit einem abfälligen Ton in der Stimme. Er zwang die immer noch gefesselte Betty sich auf einen Stuhl, der mitten im Raum stand, zu setzen. Sicherheitshalber verband er ihre Füße nun ebenfalls mit noch stärkeren Seilen.

„Du Schuft!“, schrie sie. „Du hast alle belogen. Wie kannst du nur so hinterhältig sein? Du verdienst es überhaupt nicht in eine Königsfamilie zu gehören!“

Nero holte aus und verpasste Betty eine knallende Ohrfeige. Elisse zuckte zusammen. Nero. Das durfte doch nicht wahr sein, warum tat er das bloß?

„Wenn dir deine Unversehrtheit noch irgendetwas wert ist, dann rate ich dir dringend dazu deine vorlaute Klappe zu halten!“

Er beugte sich zu ihr hinunter. Der Abstand zwischen ihren Gesichtern betrat jetzt nur noch wenige Millimeter. Betty liefen nun Tränen hinab und ihre Wange glühte.

„Halte gefälligst Abstand!“, rief Betty voller Wut und trat nach ihm. Nero wich aus, holte erneut aus und schlug diesmal ihre andere Wange.

Man sah ihr an, wie sie versuchte einen lauten Schrei zu unterdrücken. „Du redest mir eindeutig zu dummes Zeug!“, stellte Nero fest, ging zu einem kleinen, vermoderten Schrank und kramte Klebeband heraus.

Hilflos musste Elisse zusehen wie Betty nun auch noch der Mund verklebt wurde.

„Du hättest es auch viel schöner haben können!“, erklärte Nero mit gespielter Enttäuschung. „Irgendwo hätten wir gemeinsam ein Haus haben können und drei Kinder hätten wir ebenfalls bekommen und aufgezogen.“

Er umkreiste Betty und ließ den Blick nicht von ihr. „Aber da du dich ja von meinem Bruder nicht trennen wolltest – hast du dein Schicksal besiegelt.“

Betty schloss die Augen und atmete unruhig.

„Ich werde jetzt gehen um noch etwas zu erledigen. Wenn ich wiederkomme, werde ich mich noch etwas eingehender mit dir beschäftigen.“

Damit wandte er sich zum Gehen. Hastig huschte Elisse um die Ecke des Hauses und horchte. Er riss die Tür auf, schloss sie wieder und entfernte sich. Erst als sie keine Schritte mehr auf dem sandigen Boden hörte, wagte sie sich wieder hervor. Wo waren eigentlich die Pferde?

Er musste sie in der Nähe abgestellt haben.

Elisse öffnete die Tür, die so morsch war, dass sie ihr beinahe entgegen fiel und trat ein.

Bettys Augen weiteten sich und unter dem Klebeband konnte sie freudiges Jubeln hören.

Sie legte lächelnd einen Finger auf die Lippen und beeilte sich die arme Betty von ihren Fesseln zu befreien. Mit wehleidigem Gesicht rieb sie sich ihre Arme, die mit roten Striemen geschmückt waren. „Woher wusstest du..?“, brachte sie immer noch fassungslos hervor.

„Ich bin doch gestern Abend davon geritten!“, flüsterte Elisse. „Ich habe nicht zurück gefunden und die Nacht unterwegs im Wald verbracht. Dann hab ich euch gesehen und bin euch nach geritten.“

„Ich danke dir so sehr!“, rief Betty aus und umarmte Elisse.

Nun mussten nur noch die Fußfesseln ab. Dies stellte sich als gar nicht so leicht heraus. Elisse sprang auf und durchwühlte alle Schubladen. Sekundenkleber, Büroklammern und verstaubte Bilderrahmen waren darin enthalten, doch nichts was ihr weiterhelfen könnte.

„Beeile dich!“, drängelte Betty ängstlich. „Wer weiß, wann Nero wieder kommt!“

Endlich. Auf einem an der Wand hängenden Brett lagen ein paar Dinge verstreut, unter anderem ein Messer. Sie ergriff es, pustete die dicke Staubschicht weg und eilte zu Betty. Die Stricke waren fest und nach kurzer Zeit schon schmerzte ihre Hand. Sie gingen einfach nicht durch.

„Warum klappt es denn nicht?“, jammerte Betty verzweifelt.

Elisse schnitt weiter. Jetzt. Es fühlte sich so an, als ob es fast durch wäre. Noch ein kleines Bisschen.

„Sag mal, Elisse. Wo ist eigentlich Blitz?“, fragte Betty.

Elisse fühlte die Müdigkeit in all ihren Knochen. Es dauerte etwas bis sie ihre Frage registriert hatte. Blitz. Sie schreckte auf und ließ das Messer fallen. „Was hast du?“

„Ich hab Blitz in weniger Entfernung von hier angeleint. Wenn Nero ihn gesehen hat, als er gegangen ist, dann..“

Das Blut in den Adern gefror ihr. Wieso hatte sie daran nicht gedacht? Hektisch bohrte sie das Messer wieder in die Seile. Sie durften keine Zeit verlieren, irgendetwas sagte ihr, dass die Gefahr noch lange nicht vorbei war.

Plötzlich hörte sie einen lauten Aufprall. Als sie herumwirbelte sah sie die eingetretene Tür, die aus den Angeln gefallen war. Im Eingang stand Nero.

 

„Soso, Prinzessin Elisse, du also auch hier!“, rief er aus. Sein Gesicht war knallrot, seine Augen traten hervor. Er richtete seine Pistole auf die beiden.

Teuflisch grinsend kam er näher. „Es ist reizend von dir, dass du uns Gesellschaft leisten möchtest, aber dass du meine Pläne durchkreuzen willst, finde ich gar nicht gut.“

Elisse fühlte sich wie gelähmt vor Panik. „Achso und falls du dich wunderst : Dein alter Gaul hat dich verraten. Sei froh, dass ich das Tier nicht erschossen habe.“ Elisse wollte sich bewegen, irgendetwas machen, doch sie war wie in einer Schockstarre gefangen.

Dann überschlugen sich die Geschehnisse. Urplötzlich bekam Nero von hinten einen Tritt und fiel der Länge nach auf den Boden. Klaus stürmte hinein, entriss ihm die Waffe und stellte ein Bein auf seinen Rücken. „Jetzt drehen wir den Spieß mal um!“, rief er triumphierend.

„K-laus!“ Elisse konnte es kaum fassen. Tränen der Erleichterung strömten über ihre Wangen. Ihr Klaus!

 

Es war ein schöner Moment als die Polizei Nero in ein Auto verfrachtete und sie selber sich in Klaus Armen befand. Alan wurde verständigt, er kam so schnell es ihm möglich war und hielt seine Betty ganz fest. „Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist!“, flüsterte er, als er seine Nase in ihr dichtes Haar grub.

„Du hast uns das Leben gerettet, Klaus!“ Sanft streichelte Elisse über das Gesicht ihres Liebsten. Es war egal, was andere sagten, was sie ihr glaubhaft machen wollten. Ihr Klaus war ein Mann mit Herz, niemals konnte es stimmen, was Nero ihr erzählt hatte.

Sie wandten sich an Betty und Alan.

„Warum hat Nero das gemacht?“, fragte Elisse.

Alan schaute betreten zu Boden, knetete seine Unterlippe mit den Zähnen. Er tauschte Blicke mit seiner Freundin.

„Er hatte sich in Betty verliebt.“, erzählte er. „Unsere Beziehung war ihm ein Dorn im Auge. Da kam es ihm natürlich gerade recht, dass ich mit dir, Elisse, verheiratet werden sollte. Aber er hat gemerkt, dass wir uns weiterhin getroffen haben und unsere Liebe immer noch vorhanden war. Liebeserklärungen hat Betty ignoriert.“

„Und dann..“, fuhr Betty fort. „hat er mich gestern Nacht als ich nach Hause geritten bin verfolgt und in seine Gewalt gebracht. Seine Eifersucht und seine Enttäuschung, dass ich ihn zurück gewiesen habe, haben ihn außer Kontrolle werden lassen. Er wollte sich das nicht gefallen lassen und sich anscheinend rächen.“

Bedrücktes Schweigen. „Deswegen hat er mir wahrscheinlich auch die Lügengeschichten über Klaus erzählt“, dachte Elisse laut. „Er wollte einen Keil zwischen uns treiben, damit die Hochzeit mit Alan nicht dadurch gefährdet wird, dass ich einen anderen liebe.“

„Genau, denn wenn du Alan heiratest, ist Betty ja frei für ihn“, ergänzte Klaus. „Das war zumindest sein Plan.“

 

 

„Elisse, mein Schatz!“

Die Königskutsche fuhr heran und Elisses Mutter stieg aus und eilte herbei, während sie sich noch die letzte Träne trocknete.

„Wir haben uns solche Sorgen um dich gemacht!“, rief sie immer wieder, als sie ihre Tochter schließlich im Arm hatte.

„Ich weiß, Mama. Aber Klaus hat Betty und mich gerettet. Ich will mir nicht vorstellen, was ohne ihn passiert wäre.“

 

Ihre Mutter blickte auf und betrachtete Klaus von oben bis unten. Dann lächelte sie und umarmte auch ihn.

„Wissen Sie, junger Mann, Sie sind genau so ein Held, wie ihr Vater es war. Sie haben meinem Kind das Leben gerettet. Er wäre sicher sehr stolz auf sie.“

Klaus Augen leuchteten vor Freude. Elisse lächelte und dachte daran, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen war.

 

Wenig später befanden sie sich alle wieder im Palast. Nero befand sich derzeit wohl schon im Gefängnis. Er würde so bald keinem mehr Schaden zufügen können.

Elisse war erst einmal ins Bett gefallen und hatte den versäumten Schlaf nach geholt.

Klaus hatte neben ihr gelegen und die ganze Zeit über den Arm um sie gelegt. Ihre Mutter wusste von seiner Anwesenheit und hatte nicht ein Wort dagegen gesagt. Auch ihr Vater nicht. Sie war ihnen so dankbar dafür.

Am Nachmittag wurde ein Fest auf dem Hof veranstaltet, für den edlen Helden Klaus. Alan und Betty waren herzlich eingeladen. Überall waren fröhliche Menschen, die tanzten und Wein tranken.

Elisse saß mit Klaus auf einer Bank und hatte ihren Kopf an seine Schulter gelehnt.

„Es tut mir so Leid, dass ich dir nicht geglaubt habe!“, flüsterte sie wehmütig.

Liebevoll küsste er ihre Stirn. „Das habe ich schon längst vergessen. Mach dir bitte keine Sorgen, denn ich weiß was du für mich fühlst.“

Lächelnd griff sie nach seiner Hand und streckte sich genüsslich in der rötlichen Sonne.

Auf einmal tauchte vor ihnen ein Schatten auf.

Sie drehten sich um. Elisses Eltern. Ihre Mutter schaute sie gutmütig an, ihr Vater zwinkerte ihr zu.

„Nun, Elisse. Dein Vater und ich haben eine wichtige Entscheidung getroffen.“ Sie seufzte.

„Weißt du, die königlichen Pflichten sind eines der wichtigsten Dinge überhaupt. Und das meine ich in vollem Ernst. Aber – am wichtigsten ist uns immer noch, dass du glücklich bist. Wir werden dich nicht dazu zwingen Alan zu heiraten. Darüber sollst du nun alleine entscheiden. Und wenn der Erwählte Klaus sein sollte, dann wollen wir dem nicht mehr im Wege stehen.“

Elisses Augen weiteten sich. Hatte sie das gerade wirklich gesagt? Sie wusste nicht was sie sagen sollte, fiel ihren Eltern einfach stumm um den Hals. Klaus lächelte und bedankte sich.

„Aber bedenke, mein Kind!“, ermahnte ihr Vater. „Dass es als Prinzessin deine Pflicht ist zu heiraten. Ihr werdet eure Beziehung also in jedem Fall zu einer Ehe werden lassen.“

Elisse nickte. „Tausend Dank, Mutter und Vater!!“

 

Es sollte der schönste Tag in ihrem Leben sein. Niemals hätte sie geglaubt einmal so glücklich zu werden. Ihre Eltern hatten ihr erlaubt den Mann heiraten zu können, den sie wirklich liebte. Alan und Betty wurde selbstverständlich dasselbe gestattet nachdem die Königin noch einmal mit Alans Vater, dem Kaiser gesprochen hatte und schon waren ihre Hochzeitsvorbereitungen im vollem Gange. Klaus und Elisse waren eingeladen, das freute Elisse sehr.

Doch Klaus freute sich nicht, oder er zeigte es nicht. Er war den Rest des Abends schweigsam und wich Gesprächen aus. „Klaus, was hast du denn?“, stellte sie ihren Freund zur Rede, als sie sich später auf ihrem Zimmer befanden. „Ich dachte du bist genau so glücklich wie ich drüber, dass unsere Liebe endlich akzeptiert wird.“

Er ergriff ihre Hände und drückte sie sanft. In seinen Augen erkannte sie nun diese Traurigkeit, die sie vor einiger Zeit noch in denen von Alan gesehen hatte.

„Du kannst mir glauben“, begann er. „dass ich nichts lieber täte als dich zu meiner Frau zu nehmen.“ Er seufzte. „Aber ich kann nicht bleiben.“

Entsetzt starrte Elisse ihn an und ließ ihn los. „Wie meinst du das, Klaus?“

„Meine Mutter ist schwer krank. Sie ist ans Bett gefesselt und wird vielleicht nie wieder gesund werden. Professionelle Hilfe kann sie nicht in Anspruch nehmen, sie könnte es niemals bezahlen.“

Verwirrt ließ sich Elisse auf einen Stuhl sinken. „Deine Mutter? Warum hast du mir denn nie von ihr erzählt?“

„Ich habe seit dem Tod meines Vaters keinen Kontakt mehr zu ihr. Sie hat es nicht verkraftet, dass er nicht mehr bei ihr war und hat sich in Alkohol geflüchtet. Irgendwann ist sie dann in eine andere Stadt gezogen. In eine Stadt, die weit, weit weg von hier ist. Sie wollte irgendwo hin, wo sie nichts mehr an meinen Vater erinnert. Meine Tante hat mich angerufen und ich habe hin und wieder telefonischen Kontakt mit ihr. Sie hat mir von der Krankheit meiner Mutter erzählt.“

Plötzlich erinnerte sich Elisse an das Telefongespräch, das sie zufällig mitbekommen hatte, als sie vor seiner Tür gestanden hatte.

Klaus hatte davon geredet, wie man ihr bloß helfen könnte und gehofft, dass es nicht bald zu spät sein würde. Seine Mutter war also gemeint gewesen.

Elisses Stirn brannte, ihre Kehle schmerzte. Sie musste sich Mühe geben, nicht zu weinen. Hatte sie ihren Freund doch gerade erst so richtig gewonnen, so musste sie ihn jetzt schon wieder verlieren, denn sie ahnte worauf er hinaus wollte.

„Meine Tante schafft es nicht alleine sich um meine Mutter zu kümmern.“, erzählte Klaus weiter. „Sie hat noch zwei Kinder um die sie sich kümmern muss und ist selber Witwe. Ich, als ihr Sohn muss ihr nun zur Seite stehen.“

Elisse nickte, fühlte sich aber nicht in der Lage etwas zu erwidern. Lange Zeit saßen sie nebeneinander und schwiegen. Klaus küsste sie immer wieder und drückte sie so fest an sich, dass ihr die Luft wegblieb.

„Klaus, ich akzeptiere deinen Entschluss. Und ich finde es gut, dass du dich um deine Mutter kümmern willst. Du bist immerhin ihr Sohn.“ Es fiel ihr nicht leicht diese Worte zu sprechen und doch waren sie sehr ehrlich gemeint. Denn wen man liebte, durfte man nicht einsperren.

 

 

*

 

Eine Woche später. Die Königskutsche stand bereit um Klaus zum Bahnhof zu bringen. In wenigen Minuten würde sie ihn gehen lassen müssen und das für eine sehr, sehr lange Zeit, denn Klaus wusste nicht, wann er wiederkommen würde.

„Aber eines verspreche ich dir!“, sagte er und hob ihr Kinn, damit sie ihm in die Augen schaute.

„Ich werde wiederkommen. Auch wenn ich noch nicht sagen kann wann – ich werde wiederkommen. Das verspreche ich dir.“

Elisse konnte die Tränen nicht bei sich halten. Sie wusste, dass Klaus Verständnis dafür hatte, dass sie sich vor ihm nicht in Acht nehmen musste.

„Kommen Sie nun bitte, Herr Rebent, Ihr Zug wird nicht auf Sie warten.“, rief ihm ein Diener in Erinnerung, der vor der Kutsche stand und die Tür aufhielt.

„Klaus!“, rief Elisse schluchzend. „Ich muss dir noch etwas sagen. In einer Nacht, es war genau eine Nacht, bevor ich dich kennen gelernt habe, da hatte ich einen Traum.“

Sie wischte sich die Tränen weg. Klaus hielt sie fest, so dass ihre weichen Beine nicht unter ihr nachgeben konnten.

„Ich habe von einem Mann geträumt, der in mir ein unbeschreiblich schönes Gefühl ausgelöst hat. Leider konnte ich ihn nicht erkennen, denn er hatte sein Gesicht verdeckt. Heute weiß ich, dass es nur du gewesen sein konntest!“

Klaus blickte ihr in die Augen und sie bildete sich ein, dass in ihnen etwas schimmerte.

Er schluckte und drückte Elisse schließlich fest an sich.

 

„Bitte!“, flüsterte er. „Bitte vergiss nicht, dass ich dich liebe. Ich verspreche dir, dass ich wieder kommen werde.“

Sie nickte. Ja, sie glaubte ihm. In sich spürte sie eine tiefe Sicherheit, die keinen Platz für Zweifel ließ. „Und ich verspreche dir, dass ich auf dich warten werde!“

Einen letzten, innigen Kuss gaben sie sich und Elisse fühlte sich ihm in diesen Sekunden so verbunden, wie sie es noch nie gefühlt hatte. Alles andere um sie herum verlor an Bedeutung.

Es war sehr seltsam, als sie sich schließlich voneinander lösten, als Klaus ihre Hand losließ und in die Kutsche einstieg. Einen dumpfen Schmerz verspürte sie als diese sich entfernte, den Königshof verließ und schließlich zu einem kleinen Punkt in der Ferne wurde, der allmählich verschwand.

 

Elisse ging nicht fort. Minna war gekommen um nach ihr zu schauen, sie wollte sie hinein holen, doch Elisse wehrte sanft ab. Sie blieb stehen und schaute in die Ferne. Nun würde wohl kein Morgen vergehen, an dem sie nicht mit den Augen an der Arbeitszimmertür ihres Vaters hängen blieb um kurz darauf fest zu stellen, dass Klaus nicht davor stand.

Doch das machte nichts. Und ebenso wenig sollte ihr die dumpfe Traurigkeit, die sie verspürte, etwas ausmachen, denn sie wusste : Eines Tages würde er wiederkommen. Und sie, Elisse, würde warten.

 

 

THE END

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 22.04.2013

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