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Kapitel 1: Gemeinschaftsdenken



Was wenn dein Leben von vornherein bestimmt ist und das nur weil du als Fremde geboren wirst? Du schon von dem ersten Atemzug an kein Recht mehr besitzt Entscheidungen zu treffen und beginnst dein merkwürdiges Ich zu hassen?!
Genau das waren meine Gedanken und Gefühle. Denn als meine Mutter mit mir schwanger wurde, herrschte eine wochenlange Mondfinsternis, wie sie nur alle 350 Jahre auftrat. Durch dieses Naturspektakel wurde ich ausgewählt und zu einem Kind des Mondes gemacht. Seit dem Tag meiner Geburt schmückte mein Handgelenk der dreifache Mond, das Zeichen der Götter.
Schon immer hatte ich mich gefragt warum es eigentlich mich treffen musste? Schließlich war vor 16 Jahren ein sehr Kinderreiches Leben geplant. Trotz der ganzen Gesetze zur Erhaltung unserer Art, besaß ich keine Geschwister. Meine Eltern waren da eher einfach gestrickt und meinten mit einem gezeichneten Kind wäre ihr Leben bereits genug strapaziert.
Stets starrten mich alle im Dorf an, als sei ich die Göttin des Waldes persönlich. Nicht einer wagte es seinen Blick von mir abzuwenden, wenn ich über die große Wiese lief. Doch zum Glück gab es dort auch noch normale Menschen, wie meine beste Freundin Laine. Ohne Laine würde ich mein Leben schon bald in der nächsten Ecke begraben. Sie war immer für mich da und versuchte alles um mich auf meine mögliche Zukunft vorzubereiten.
Ein neuer Tag war angebrochen und ich hockte nach wie vor in meiner Hängematte, die aus uraltem Stoff gebaut war.
„Sana!“, kreischte eine hohe Stimme. Ich fuhr zusammen, richtete mich überhastet auf und plumpste natürlich sofort nach unten auf den kalten Boden. Traurig rieb ich mir meine Nase und schaute verbissen zu Laine nach oben.
„Was ist?“, fauchte ich übertrieben streng.
„Hast du es etwa vergessen? Heute ist doch wieder Jagdtag für die Kinder und Jugendlichen!“ Ich schluckte und stand vorsichtig auf.
„Ja stimmt, aber ich, als angehende Wildgöttin habe dazu echt keine Lust!“, brummte ich sauer. „Ach komm schon, wir gehen eh nur Fische fangen und ein paar von den anderen vertreiben! Du weißt schon, die Wesen von den angrenzenden Stämmen!“ Ich nickte und verschränkte in derselben Bewegung meine Arme vor der Brust.
„Eben und da könnten Unfälle passieren! Ich meine du weißt doch sicher, dass wir der meist gehasste Stamm unserer Erde sind!“ Ein Lächeln schob sich auf ihre Lippen.
„Du nimmst aber auch alles immer ernst!“, hauchte sie und packte mich sogleich am Arm.
„Hab doch mal etwas Spaß und begleite mich!“ Ich rümpfte die Nase und schaute dann erneut in ihre großen blauen Augen.
„Na schön, aber nur dieses eine Mal!“ Freudenschreie erfüllten unsere kleine Hütte und Laine hüpfte aufgeregt auf und ab. Ich runzelte die Stirn und überlegte mir derweil, ob diese Entscheidung auch richtig gewesen war.
In unserem Land Mukaevo gab es viele Gefahren die nur darauf warteten uns zu Fall zu bringen. Mal ganz davon abgesehen, dass sich kein einziger Stamm in unserer Nähe befand der uns nicht nach dem Leben trachtete. Man nannte uns sogar schon die Verstoßenen und mied die Ländereien um den Urwald herum. Ich hatte noch nie zuvor das Meer gesehen, oder ein paar große Berge die nur aus Stein bestanden. Lediglich aus Erzählungen wusste ich überhaupt von den fernen Orten. Einst hatten unsere Vorfahren einen schwerwiegenden Fehler begangen und so alle Menschenvölker verraten. Gott bestrafte uns dafür und zeichnete uns mit einem Symbol. Er nannte die Menschen von nun an Sonnenkinder und gab ihnen eine schwere Last zu tragen. Mit der Entwicklung in unserer Jugend kam auch die Entscheidung der Natur auf uns zurück. Denn nur die Pflanzen und Engel bestimmten, was einmal aus uns werden könnte. Entweder wir bleiben Menschen, oder wir wurden in Tiere verwandelt und mussten für den Rest unseres Lebens Pelz, oder lange Ohren tragen. Schon seit der Verbannung waren wir Vegetarier und ernährten uns nur von Pflanzen, Insekten und Fischen. Gott wollte uns nicht trennen und stellte sofort klar, dass Fische in seinen Augen keine richtigen Tiere seien. Die Angst einen Artgenossen zu verspeisen stieg. Doch mit der Zeit hatten sie sich daran gewöhnt und lernten auch die Sprache der Tiere. Also war es bei uns gar nicht so unüblich mit einem Huhn oder Esel zu reden, während dieser auf der Weide stand und fraß. Kein normaler Mensch von der anderen Seite betat gern unser Gebiet, denn es war der Wald der Flüche! Uns machte dieser Ausspruch natürlich keine Angst, denn wir waren ja schließlich damit aufgewachsen. Ich musste mich nicht einmal mit der Frage herum quälen, was einmal aus mir werden könnte. Denn mein Leben schien schon von Geburt an Vorherbestimmt. Ich war eine Auserwählte, die aufsteigen konnte und vielleicht zur Göttin wird, wenn sie alle Hürden meistern würde. Kurz gesagt, ich brauchte mich nicht zwischen der Tier und Menschengestalt zu entscheiden. Mein Herz sagte mir was ich gerade sein wollte.
Nervös zog Laine an meinem Arm herum. Sie brachte mich direkt zu dem Kreis der Jäger, wie wir sie immer nannten. Dabei handelte es sich aber nur um ein paar alte Männer die in ihrem Leben schon viel Erfahrung sammeln konnten und uns nun über die Gefahren unseres geliebten Waldes aufklärten.
„Geht niemals allein in eine Richtung die ihr nicht kennt. Tötet niemals ein Tier was euch begegnet, denn es könnte einer von unseren Freunden sein! Greift euch ein Wesen an, lauft davon, denn dann könnte es einer von den anderen unseres Stammes sein, die sich einst von uns getrennt haben!“ Nun wurde ich aufmerksamer und zupfte Laine am Shirt herum.
„Was meint er damit?“, hauchte ich leise, um ihn nicht zu unterbrechen.
„Naja du weißt doch, wie unser Stamm die Ilolis entstanden ist, oder?“ Ich nickte und hielt steif den Blickkontakt.
„Zu der Zeit gab es jene, die den Fehler der begangen wurde einsahen und wieder zu Gott beteten. Aus dem Grund beschenkte er uns auch mit dem Mondkind das alle 350 Jahre geboren wird. Doch die Anderen, uneinsichtigen Menschen, verließen unser Dorf und versteckten sich in den Wäldern. Wir wissen nicht viel über sie, nur dass sie vor nichts zurück schrecken würden und extrem gefährlich sind!“ Ich schluckte und verdrehte dann die Augen.
„Wieso weißt du einfach immer alles über unsere Geschichte?“ Nun wurde ihr Grinsen breiter und sie klopfte sich auf die Schulter.
„Im Gegensatz zu dir höre ich abends beim Lagerfeuer zu und schlafe nicht ein. Ganz ehrlich, ich wäre eine viel bessere Auserwählte, aber nein, ich musste ja als normales Sonnenkind geboren werden!“ Ja so war Laine eben. Immer wollte sie mir klar zu machen, wie sehr sich Gott dieses Mal geirrt hatte. Ich versuchte mir ein Lächeln zu verkneifen und folgte den Worten des Ältesten. Als er seine Ansprache schließlich beendet hatte, drückte er jedem von uns ein Messer und einen Stock in die Hand. Jetzt konnte das kleine Abenteuer für den Tag beginnen.

Die Kinder und Tiere stürmten in den Wald hinein, walzten kleine Pflanzen auf den Gehwegen um und machten auch sonst so viel Krach, dass uns jeder schon vorher hören konnte.
„Und was erhoffst du dir von diesen paar Stunden?“, fragte ich sarkastisch und befestigte den Dolch an meinem Bein.
„Mh, naja ich möchte einfach mal mehr von unserem Gebiet erkunden, du weißt doch dass wir es sonst nicht verlassen dürfen!“ Ich nickte gelassen und suchte mir ein passendes Plätzchen.
„Hey wollen wir mal da lang gehen?“, fragte ich leise, so dass es auch keiner außer uns Beiden hören konnte.
„Klar warum nicht?“ Vorsichtig wagten wir uns tiefer in den Urwald hinein. Wir kämpften uns durch Büsche, Ranken und Äste, immer weiter hinein in das unbekannte Gebiet. Mein Herz raste als über mir eine Spinne auftauchte und sich langsam abseilte. Ohne das Laine es mitbekam ließ ich das Tierchen auf meine Schulter krabbeln und unterhielt mich mit ihr.
„Und was machst du hier so allein? Ich weiß das du keiner von uns bist, aber ich spreche einfach so gerne mit normalen Wesen des Waldes!“ Ein Piepsen wurde mir entgegen geworfen und ich hielt augenblicklich den Atem an. Auch die Spinne zuckte zusammen und versuchte sich so klein wie möglich zu machen.
„Was ist?“, fragte ich heißer.
„Ich habe irgendetwas gehört!“, murmelte sie verlegen. Vorsichtig rutschten wir auf Zehenspitzen noch weiter nach vorn und hielten dann schließlich inne. Durch das dichte Blätterdach, konnte man nur wenig erkennen und wir mussten uns selbst einen Reim darauf machen. Urplötzlich packten mich zwei starke Hände, hoben mich in die Arme einer Person und verschleppten mich einige Meter weiter nach vorn. Auch Laine erging es so. Kreischend schauten wir in die Gesichter unserer Entführer und erstarrten. Wulf und Aiden hatten uns gefunden und trieben nun ihre Spielchen. Vor einem großen See blieben sie schließlich stehen, schauten uns lächelnd an und sprangen dann hinab. „Nein!“, schrie ich aufgebracht. Doch es half nichts. Eh ich mich versah landete mein Körper schon in dem kühlen Wasser und wirkte nun wie ein begossener Pudel. Schnaufend kämpfte ich mich nach oben. Meine dunklen Haare wirbelten durch mein Gesicht und versperrten mir jegliche Sicht. Doch unter Wasser war ich genauso schnell wie ein Fisch und so schwamm ich eifrig zu Wulf, packte seine Füße und zog ihn für die schändliche Gemeinheit nach unten. Ein Spaß aus Planschen und Tauchen begann. Kein Auge blieb trocken und am Ende mussten sich die Jungen geschlagen geben. Aiden und Wulf waren wie wir schon immer die besten Freunde. Stets trieben sie ihre Späßchen mit uns, spielten uns Streiche oder versuchten uns zu erschrecken wenn die Nacht angebrochen war. Ich atmete tief ein, als ich endlich an dem kleinen, von Kies bedeckten Strand ankam. Alle lachten und zupften sich ein paar Blätter aus den Haaren. Nur ich war still und schaute verbissen auf das Mahl an meinem Handgelenk. Gedanken schossen mir durch den Kopf und ließen meine Glieder zittern. Aus irgend einem Grund hatte ich das Gefühl, dass bald etwas schreckliches geschehen würde. Erst die kalte und nasse Hand von Wulf holte mich zurück auf den Boden der Tatsachen.
„Was ist los? Bist du mir etwa böse?“ Verlegen schüttelte ich mit dem Kopf und richtete mich dann auf. Erschrocken starrte mich Wulf an und drückte meinen Körper noch näher an den Seinen.
„Was soll das?“, fauchte ich, weil ich glaubte er hätte schon wieder eine blöde Eingebung gehabt. „Deine Augen!“, stammelte er und pfiff nach Laine und Aiden.
„Was?“, hustete ich und tastete mit meinen Fingern bis nach oben zu meinen Augenbrauen.
„Deine Pupillen haben sich verändert! Sie sind nicht mehr so dunkel wie früher!“ Ich schluckte und wurde langsam aber sicher nervös.
„Laine!“, schrie ich.
„Was meint er damit?“ Auch sie starrte mich etwas unbeholfen an, bevor sie ihre Stimme wiedererlangte.
„Naja aus deinem eher dunklen Braun ist ein merkwürdiges Silber geworden!“ Ich zuckte zusammen und wendete mich langsam von meinen Freunden ab.
„Was hat das zu bedeuten? Ist das so eine Mondkindsache?“, fragte Wulf zaghaft.
„Keine Ahnung, davon habe ich noch nie gehört!“, entgegnete Aiden.
„Damit beruhigt ihr mich ungemein!“, zischte ich. Nun hechtete Wulf zu mir hinüber und strich sanft durch mein dunkles Haar.
„Hey es wird schon nichts schlimmes sein, schließlich ist ein Mondkind ein Geschenk Gottes!“ Sein Lächeln vertrieb ein wenig den Schock in meinen Gliedern.
„Und was wollen wir jetzt machen?“, fragte Aiden ratlos.
„Ach, so etwas soll uns doch nicht den Spaß verderben!“, keuchte ich und zog mir noch ein Blatt aus den Haaren. Etwas Kribbeliges rutschte über meine Haut und beanspruchte meine gesamte Aufmerksamkeit. Sogar die kleine Spinne hatte wieder zu mir zurück gefunden. Ich lachte als ich ihr meinen Finger entgegenstreckte. Fluchend setzte sie sich wieder in Bewegung und verabschiedete sich von mir und den Anderen.
„Also, was jetzt?“, hörte ich Wulf fragen. Alle zuckten mit den Schultern. Doch dann begann Aiden schließlich mit rennen und zog Laine hinter sich her. Wulf und ich tauschten nur kurz Blicke aus, bis wir ihnen folgten. Gemeinsam vergasen wir den Tag der Jagd und begaben uns an den Lieblingsplatz der Jugendlichen. So gut wie alle die kurz vor ihrer Verwandlung standen kamen hier her um sich noch einmal so richtig auszutoben.
Der Ort war einfach perfekt. Er lag an einem kleinen Fluss, direkt hinter einem winzigen Hügel der die Sicht auf das Dorf verdeckte. Die Jungen hatten vor einiger Zeit Hütten in die Bäume gebaut. Nun schwangen sie sich wie kleine Affen mit Lianen von den Ästen und stürzten sich in das Wasser. Unser Leben schien einfach perfekt und war noch nie von übermäßig großen Regeln beherrscht worden. Doch genau das sollte sich ändern.

Als sie Sonne am Höchsten stand, erklang ein eher beunruhigender Ton der uns alle innerlich wachrüttelte. Sofort eilten wir zurück ins Dorf der Ilolis und versuchten uns alle zusammen zu finden.
„Was ist los?“, fragte ich meine Mutter die schon nervös ihren Bogen umfasste.
„Es wurde ein Kind entführt! Ein kleines Mädchen namens Lulu, die am Rande unseres Dorfes gespielt hat!“, hauchte mein Vater noch immer ungläubig.
„Aber von wem?“, drang es überhastet aus meinem Mund. Nun schaute mich mein Vater genauer an und stockte den Atem.
„Was zum Teufel ist mit deinen Augen los?“, schrie er aufgebracht und musste sich erst einmal hinsetzen. Verwirrt eilten meine Fingerspitzen hinauf zu meiner Schläfe.
„Ach nichts!“, entgegnete ich gelassen. Nun kam der Dorfälteste auf mich zu und betrachtete meine silbernen Pupillen.
„Das ist kein gutes Omen!“ Ich verleierte die Augen und wagte einige Schritte zurück.
„Es haben sich doch nur meine Pupillen verfärbt, ich meine was soll das schon aussagen?“, fauchte ich genervt, denn zu viel Aufmerksamkeit empfand ich als belastend.
„Wer wurde entführt?“, fragte nun Laine, die sich über meine Schulter gebeugt hatte.
„Laine, wir sollten nicht darüber....!“, begann mein Vater. Erst jetzt begriff ich, dass es sich um ihre kleine Schwester handelte. Laine schaute verwirrt um sich und erblickte schließlich ihre weinende Mutter. Erschrocken wollte sie zu ihr rennen, sie anschreien, dass es nicht wahr sein konnte, doch ich hielt sie zurück. Schluchzend brach Laine in meinen Armen zusammen. Ihre Tränen kullerten über meine weiche Haut und tropften dann zu Boden.
„Hey Süße, alles wird wieder gut, das verspreche ich dir!“, sagte ich sanft und strich dabei durch ihr zerwühltes Haar. Alle Anwesenden starrten mich nur fassungslos an. Keiner wusste was ich tun könnte, schließlich würde ich in Zukunft den Stamm leiten müssen.
„Wir werden nach dem Kind suchen. Alle Männer kommen mit mir und holen sich augenblicklich ihre Waffen. Die Hälfte von euch wird hier bleiben und die Frauen und Kinder schützen!“ Keiner schenkte mir mehr Beachtung. Nun rannten sie alle in unterschiedliche Richtungen und versuchten ihren Platz neben dem Anführer einzunehmen. Die Männer machten sich so schnell auf den Weg, dass ich mich nicht einmal von meinem Vater verabschieden konnte.
„Laine ich verspreche dir sie werden deine Schwester finden!“ Nun wischte sie sich die Tränen aus den Augen und klammerte sich an mein Oberteil.
„Die brauchen sicher zu lange. Bitte wir müssen es auch versuchen!“, hauchte sie schwach und verwirrt. Ich überlegte nicht lange und entschied mich dafür endlich meiner Bestimmung zu folgen. „Na schön, ich werde die Tiere des Waldes befragen! Aber dann musst du jetzt schnell mit mir kommen, bevor es noch einer bemerkt!“ Sie nickte und lief eisern hinter mir her. Ihre Füße hinterließen auf dem Boden kleine Abdrücke, konnten uns aber nicht verraten.

Als ob der Urwald wüsste, dass etwas nicht in Ordnung war, ließ er seine Stimmen in allen möglichen Lautstärken erklingen.
„Was ist denn mit den Tieren los?“, fragte Laine vorsichtig und kuschelte sich ängstlich an mich heran.
„Keine Ahnung, scheint so als ob sie etwas erschreckt hätte!“ Meine Stimme brach ab als ich vor mich deutete und ihr befahl endlich schneller zu laufen.
Mehr als eine Stunde eilten wir durch den Wald, vorbei an kleinen Flüssen und Tälern. Wir befragten die Tiere, suchten nach Wegen und blieben schließlich vor einem kleineren Berg mit einer Tropfsteinhöhle stehen.
„Hier ist es!“, hauchte ich leise um niemanden unser Versteck zu verraten.
„Warum sind die Anderen noch nicht hier?“, fragte Laine zitternd.
„Keine Ahnung, vielleicht sprechen sie nicht mit den Tieren?“, entgegnete ich. Nun hatte ich sie noch mehr verunsichert. Ihre Finger umklammerten zaghaft meinen Arm und blieben steif darum liegen.
„Lass mich los, ich möchte mich verwandeln und versuchen mehr als nur die Außenwand zu sehen!“ Nun starrte sie mich mit großen Augen an und schenkte mir ein paar Tränen.
„Du willst mich hier also ganz allein lassen?“, fauchte Laine. Ich nickte und zog derweil mein Oberteil aus. Sofort errötete ihr Gesicht und sie ließ mich los. Wenn ich mich in ein Tier verwandelte, verlor ich natürlich meine Kleidung, was schon immer ein Problem darstellte wenn ich wieder zu einem Menschen wurde. Laine drehte sich für einen winzigen Moment um und schon hatte sich mein Körper verändert und mich zu einer winzigen Maus gemacht. Erstaunt schaute sie hinab zu mir, hob mich vom Boden auf und drückte mir dann einen Abschiedskuss aufs Fell. Ich piepte und schlich langsam nach drinnen. Meine Augen hatten sich noch nicht wirklich an diese Finsternis gewöhnt, aber es musste jetzt einfach irgendwie gehen. Mein Herz raste mit jedem kleinen Schritt den ich wagte. Irgendwann loderten Fackeln und wiesen mir den Weg zu meinem Ziel. Stimmen erklangen und ich drückte mich automatisch weiter an die Wand. Das Sichtfeld einer Maus war extrem eingeschränkt, was das Ganze noch schwieriger gestaltete. Doch nach langem Suchen entdeckte ich endlich das kleine verstörte Mädchen in einem Käfig an der Wand. Zitternd rieb sie sich ihre Augen und befreite sie von den großen Kullertränen der schwierigen Zeit. Zaghaft hopste ich hinüber zu ihr und versuchte dann Ausschau zu halten, damit auch keiner kommen würde. Endlich waren die Stimmen verschwunden und nur noch das Wimmern von Laines Schwester erfüllte den Raum. Ein Gedanke und schon war ich wieder ein Mensch. Bei jeder Verwandlung die ich wagte hatte ich Schmerzen. Keine besonders großen, doch wenn die Zähne länger wurden oder das Gebiss sich ganz veränderte, könnte ich manchmal wirklich schreien. Nackt stand ich vor dem Kind, welches mich nun mit einem Lächeln bedachte und instinktiv keinen Mucks mehr von sich gab. Leise öffnete ich die Tür und holte Lulu heraus.
„Alles wird gut, deine Schwester wartet draußen!“, hauchte ich in ihr Ohr. Doch so einfach wollten sie uns nicht gehen lassen. Denn urplötzlich kamen Tiere und Menschen auf uns zu. Erschrocken wichen wir zurück.
„Was für ein hübsches Ding!“, schrie einer der Männer. Sofort wurde mir klar, dass ich nach wie vor nackt war und so verwandelte ich mich in einen Puma und ließ Lulu auf mir Platz nehmen. Ich fauchte und kratzte, als die Männer versuchten uns aufzuhalten.
„Sie ist ein Kind des Mondes, haltet sie auf!“, schrie einer von ihnen. Aber das Licht vom Ausgang kam immer näher und ihre Stimmen wurden schwächer. Die Hoffnung schimmerte in unseren Herzen. Doch als ich gerade den letzten fehlenden Sprung zur Freiheit wagen wollte, schlängelte sich etwas um meine Hinterfüße und ich glitt zu Boden. Lulu stürzte ebenfalls nach unten und begann mit weinen.
„Lauf Lulu!“, schrie ich und versuchte mich gleichzeitig von dem Seil zu befreien. Das Mädchen tat, was ich ihr gesagt hatte und rannte so schnell sie konnte. Ihre Schwester fing sie irgendwann ab und versteckte sie im Gebüsch. Meine scharfen Krallen zerschnitten die Fesseln und auch ich war für einen winzigen Moment frei. Ein Blick zur Seite zeigte mir eine beunruhigende Situation. Ein Tier schlich sich an Laine und ihre Schwester heran. Nun kam ich ins Spiel. Wie eine Verrückte hetzte ich zu dem Wesen hinüber und attackierte es. Viel zu spät bemerkte ich, dass es sich um einen Bären handelte, der mir seine Pranke entgegen schleuderte. Seine Krallen trafen mich hart an Bauch und Bein. Der Schmerz kroch eisern durch meine Glieder und ließ mich zu Boden gehen. Ich konnte Laines Stimme hören und rappelte mich sofort wieder auf. Doch der Bär hatte sich bereits vor mir aufgerichtet und sein Maul geöffnet.
„Verschwindet von hier!“, schrie ich und versuchte dem Wesen auszuweichen. Lulu zerrte an ihrer großen Schwester die mich nicht verlassen wollte. Ihr blieb einfach nichts anderes übrig. Nur noch einen Moment Vorsprung wollte ich ihnen gewähren, dann würde auch ich endlich fliehen. Ich atmete tief ein und setzte mich schnell in Bewegung. Weitere Wesen schossen aus der Höhle heraus und verfolgten mich. Zwar wurden es langsam aber sicher immer weniger, doch meine Angreifer waren noch in der Überzahl. Irgendwann sprang mir ein Löwe auf den Rücken und riss mich zu Boden. Seine Krallen bohrten sich in mein Fleisch und ich schrie. Erschrocken öffnete ich meine Augen und musste entsetzt feststellen, dass ich mich zurück verwandelt hatte und mein Körper völlig zerfetzt war. Langsam kroch ich über die kühle Erde und wollte mich irgendwo verstecken, doch ich schaffte es nicht. Schließlich stellte sich der Löwe direkt vor mich und begann mit Brüllen. Seine Zähne kamen zum Vorschein und seine Zunge leckte über mein Gesicht.
„Ahhh...!“, keuchte ich und stemmte meine Hände gegen dessen Bauch. Und als er gerade sein Werk vollenden und mir das Leben nehmen wollte, ertönte ein Schuss. Er war laut genug um in mir Erleichterung zu wecken und doch zu Merkwürdig, als dass er von meinen Leuten sein konnte. Zitternd sah ich mich um. Nur verschwommen konnte ich einen Jungen etwa in meinem Alter erkennen. Er war definitiv nicht von meinem Stamm und doch schien er harmlos zu sein. Nervös richtete ich mich auf und taumelte gegen einen Baum. Mein Atem war unregelmäßig und schwer. Ich schwitzte und verdeckte nur notdürftig was ich ihm von meinem nackten Körper nicht zeigen wollte. Ein lautes Keuchen ließ mich herum fahren. Der Bär war nun auch endlich erschienen und machte sich bereit mich erneut anzugreifen. Ich konnte mich kaum noch bewegen und schien nicht schnell genug zu sein, um von der Stelle zu kommen. Aber auf einmal war der merkwürdige Fremde wieder zur Stelle und schubste mich zur Seite. Der Bär verfehlte sein Ziel, drehte sich aber sofort wieder um. Drei Kugeln flogen in dem Moment bereits auf ihn zu. Ich konnte nicht einmal blinzeln, dann war es bereits zu spät und der einstige Mensch war tot. Erstaunt über so viel Schnelligkeit versuchte ich meinen Mund dennoch geschlossen zu halten. Suchend schaute ich mich um. Hier war keine Waffe, ich konnte keinen Schutz finden. Nun würde er mich sicher auch ermorden, denn ich wusste, dass er einer der Anderen war, die uns damals verbannt hatten. Mein Herz raste erneut als er näher kam. Ich rutschte hinüber zu einem der Bäume und kämpfte mich nach oben.
„Bleib weg!“, fauchte ich mit letzter Kraft.
„Schon gut ich werde dir nichts tun!“, sagte er sanft. Doch ich schüttelte nur erbost mit dem Kopf und musste dafür einen stechenden Schmerz in Kauf nehmen. Alles begann sich zu drehen und ich schaffte es nicht mehr mich auf den Beinen zu halten. Ruckartig sank ich zu Boden, wurde aber von ihm aufgefangen und vor einer noch schlimmeren Kopfverletzung bewahrt. Ich wollte mich noch wehren, ihn weg stoßen, aber ich schaffte es nicht. Mit wehmütigem Blick schaute er in meine silbernen Augen und legte mich sanft auf das Gras. Aus seiner Tasche kamen Verbände heraus die er sorgfältig um meinen zerschundenen Körper wickelte. Ich keuchte als er eine Stelle berührte die besonders schmerzte. Er verstand den Link und wurde vorsichtiger. Am Ende wickelte er mich in seine Jacke ein und hob mich erneut in seine Arme. Die gesamte Zeit über hatte ich gekämpft um wach zu bleiben, um zu sehen, was nun aus mir werden würde. Doch nun war die Müdigkeit in meinen Gliedern angekommen und versuchte mich ganz in ihren Bann zu ziehen. Ängstlich gab ich dem Empfinden nach und verspielte so jede Chance mehr über ihn zu erfahren. Ich wusste nicht was werden würde und doch schaffte ich es nicht mich wach zu halten. Meine Lider schlossen sich und das einzige was ich noch spürte, war seine warme Hand die auf meine Wunden presste und alles versuchte um mein Leben zu retten.

Kapitel 2: Der Fremde

( aus Sicht von Cas )



Schwach lag sie in meinen Armen. Ihr nackter Körper nur bedeckt von meiner dreckigen Jacke. Ihr Blut sickerte sogar noch durch die Verbände und färbte den Stoff in ein bedrohliches rot. Ich konnte ihre Angst vor mir nicht nachempfinden und versteckte meine Gefühle hinter Zweifeln. Wer war sie nur und warum war sie nackt als ich ihr das Leben rettete? Wieso sollte ihr jemand so etwas antun?
Zitternd drückte sie sich an meine Brust. Ihr dunkles Haar wehte anmutig im Wind und wickelte sich etwas um meinen Arm. Ihre Augen waren fest verschlossen und ließen mich keinen Blick mehr auf ihre silbernen Pupillen wagen. Ich musste sie von hier fortbringen! In eine Stadt nahe der Küste, vielleicht aber auch einfach nur in ein Dorf in der Nähe von Luron, dass würde sicher schon genügen.
Nach einigen Stunden Fußmarsch, setzte ich sie ab und versuchte ihr etwas Wasser einzuflößen. Als ich sie wieder berührte, musste ich entsetzt feststellen, dass sie bereits glühte und sich das Fieber zum ersten Mal bemerkbar machte. Die gesamte Zeit über hatte sie keinen Laut von sich gegeben oder ihre Augen geöffnet. Ich atmete tief durch und legte sie dann auf meinen Rücken. So konnte ich schneller laufen und ihr erbärmliches Leben vielleicht doch noch retten.
Die Nacht im Wald bei den angrenzenden Bergen wurde stürmisch. Ausgerechnet heute mussten die Engel ihre Gefühle spielen lassen. Dicke Regentropfen fielen auf die Erde. Die Angst in mir stieg das bezaubernde Geschöpf zu verlieren. Hastig baute ich ein kleines Dach aus Blättern, das uns trocken halten sollte, oder zumindest sie schützen würde. Als der Regen endlich an Stärke verloren hatte, setzte ich meine Reise fort. Mit dem Sonnenaufgang vom nächsten Tag kamen wir schließlich in einem kleinen Dorf an. Sofort wurden wir begrüßt und versorgt. Ein alter Mann brachte das Mädchen in sein Haus und verarztete zusammen mit seiner Frau ihre Wunden. Mich lud man auf einen Schnaps ein, denn ich jedoch dankend ablehnte. Nicht eine Sekunde wich ihr von der Seite. Immer wieder streichelte ich durch ihr Haar, versorgte neues Wasser und legte einen nassen Stofffetzen auf ihre Stirn. Irgendwann begann sie mit husten und wand sich unter den Schmerzen der Wunden. Wieso nur fesselte mich ihr Anblick so? Im Grunde schien sie ein ganz normales Mädchen zu sein, das durch Zufall in meinen Armen gelandet war. Ich zupfte an einer Haarsträhne und vertrieb diese aus ihrem vollkommenen Gesicht. Ihr gesamter Körper war unter Decken versteckt und ich würde es sicher auch nicht wagen, diese zu heben. Irgendwann löste mich die Hausherrin ab und ich lief ein wenig durch das Dorf. Meine Gedanken waren zerstreut, beherbergten nur sie. Was für absurde Worte lagen mir da auf der Zunge? Würde sie wieder zu sich kommen, hätte sie einen Casanova neben sich. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und fuhr mit meiner Hand durch mein schwarzes Haar. Noch hatte mich hier keiner erkannt und ich hoffte dass es auch so bleiben würde. Genau, darum sollte ich mir im Moment wirklich mehr Sorgen machen, als um eine Fremde. Ein Schrei ließ mich zusammenfahren und riss mich gleichzeitig aus allen Vorstellungen.
„Schnell komm her, das Mädchen ist endlich wach!“ Ich schluckte und eilte sofort hinüber zu dem besagten Haus. Die beiden älteren Menschen verließen das Zimmer und schlossen hinter sich die Tür. Nun war ich allein mit ihr und hatte vor Schreck meine Stimme verloren. Vorsichtig richtete sie sich auf und schaute sich um. Als sie mich erblickte zuckte sie zusammen und zog die Decke bis unters Kinn.
„Wer bist du?“, hauchte sie nervös und musterte mich langsam.
„Mein Name ist Castiel, `Cas`!“, sagte ich erfreut. Verdutzt glitt ihr Blick hinunter zu meiner Pistole und dann wieder hinauf zu meinen blauen Augen.
„Wo bin ich hier?“, fragte sie zaghaft und tastete sich sorgfältig mit den Fingern nach vorn. Als sie die dünne Vase auf dem kleinen Schränkchen neben ihr zu fassen bekam, atmete ich tief ein.
„Hey ich habe dir doch schon mal gesagt, dass ich dir niemals wehtun könnte.“ Wieder wurde ihr Blick finster und ihre Stimme rau.
„Wo bin ich?“, zischte sie genervt und verdrehte ihre wundervollen Augen.
„In einem kleinen Dorf in der Nähe von Luron!“ Urplötzlich riss sie ihren Mund weit auf und schüttelte mit dem Kopf.
„Was? Wo zum Geier ist das?“, rief sie heißer und versuchte mit viel Mühe ihre Stimme zurück zu bekommen. Verwirrt und zugleich überrascht zuckte ich mit den Schultern.
„Du hast ernsthaft keine Ahnung?“ Nun schien auch sie nicht auf Anhieb zu wissen, was sie antworten sollte. Ich begann mit lachen und wagte mich näher heran. Ich konnte genau beobachten wie sich ihr Griff um die Vase verstärkte.
„Wie ist dein Name?“, fragte ich dann mit sanfter Stimme.
„Ich bin Sana!“, antwortete sie mit einem leichten Grinsen. Irgendwie wirkte sie auf mich wie ein verstörtes Tier, das sich hier nicht zu Hause fühlte und am liebsten aus seinem Käfig geflohen wäre. „Was für ein schöner Name. Und jetzt nimm doch endlich diese dumme Vase weg, ich erschieß dich schon nicht, sonst wäre dieser ewige Fußmarsch sinnlos gewesen.“ Nach wie vor überzeugte mein Grinsen sie nicht im Geringsten. Ich seufzte und setzte mich neben sie. Endlich stellte sie das Gefäß wieder ganz auf das Schränkchen und kroch Richtung Wand.
„Wieso hast du solche Angst vor mir? Ich habe dich schließlich vor diesen Mistkerlen gerettet. Also wirklich diese Ilolis haben es meiner Meinung nach verdient von Gott bestraft zu werden!“ Nun weiteten sich ihre Augen und sie starrte mich eiskalt an.
„Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?“, schniefte ich und berührte dabei ihre Hand. Das war wohl eine falsche Entscheidung gewesen, denn nun schlug sie meine Finger zurück und rutschte noch weiter weg von mir.
„Ich finde den Stamm nicht so bedrohlich. Schließlich haben diese Menschen doch wieder zu ihrem Gott gebetet und dafür das Geschenk eines Mondkindes erhalten!“ Ihre Stimme brach ab und sie lauschte meinem Atem.
„Das stimmt natürlich, aber das besagte Mondkind, hat für den König der Zahama eine viel zu große Bedeutung. Hast du das denn noch nicht gehört? Er möchte das Kind versklaven und ihre Kräfte für sich beanspruchen!“ Nun wurde sie aufmerksamer und ließ mich langsam näher kommen. „Heißt dass er möchte die Auserwählte töten, nur weil sie so geboren wurde?“ Augenblicklich begannen ihre Hände mit zittern und ihre Lippen brachten keinen deutlichen Ton mehr zu Stande. Liebevoll legte ich meine Finger auf ihre Haut und begann damit sie zu streicheln. Eine winzige Unebenheit ließ mich erstarren. An ihrem Handgelenk befand sich etwas. Sorgfältig drehte ich es in meine Richtung und stockte den Atem.
„Du? Du bist die Auserwählte?“ Noch bevor ich ihr Nicken hätte sehen können, hechtete ich nach oben und richtete meine Waffe auf sie. Wieso war mir das nur vorher nicht aufgefallen? War ich wirklich so blind? Nein, sicher wurde das Zeichen durch den schweren Blutverlust dazu gezwungen sich zu verbergen! Nun war mein Atem unregelmäßig, ich keuchte beinahe. Auch meine Hände zitterten und der Lauf meiner Waffe wiegte sich in ihrem Takt. Kleine Schweißperlen liefen an meiner Haut hinunter. Was sollte ich nur tun?
Ihre silbernen Augen funkelten mich traurig an. Endlich verstand ich ihre Ängste und konnte nachempfinden warum sie sich im Wald lieber getötet hätte, als sich ausgerechnet von mir helfen zu lassen.
„Na los, drück ab!“, hauchte sie leise und richtete sich auf. Die Decken rutschten zu Boden und sie entblößte ein altes halbzerrissenes Hemd, dass ihr sicher die alte Frau umgelegt hatte. Ich spielte mit dem Gedanken unserem Anführer dieses Opfer zu bringen und ihr Leben zu beenden, oder sie gefesselt zu ihm zu schleppen. Doch alles in mir schrie, dass genau das der falsche Weg wäre und so löste ich meinen Griff und verstaute die Waffe wieder an meiner Hose.
„Ich kann es nicht, schließlich gab ich dir mein Versprechen!“, rief ich ernst und senkte dann meinen Kopf. Ich konnte hören wie ihre Füße den Boden berührten und sich langsam zu mir aufmachten, wie mich irgendwann ihre Hand streifte und über meine Brust hinauf bis zu meinem Kinn glitt. Sie stupste es nach oben und schaute mir tief in die Augen, doch ich glaube sie würde meine Seele einfangen.
„Danke!“, warf sie mir zu und drückte mich liebevoll. Ich zuckte zusammen und ließ sie gehen. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarren und schon war das Mädchen verschwunden. Ich wollte nicht an all die Ehre denken, die man mir für ihre Gefangenschaft hätte zukommen lassen. Doch etwas beunruhigte mich dennoch, sie war hier ganz allein und kannte sich nicht mit unseren Sitten aus. Hastig rannte ich nach draußen und hielt Ausschau nach Sana, der Auserwählten von dem anderen Stamm. Doch alles was ich zu Gesicht bekam war eine kleine zerzauste schwarze Katze mit silbernen Augen die um eine Ecke bog.
„Dummes Ding!“, brummte ich und lief ihr nach. Schon nach wenigen Metern hatte Sana einen großen Fehler begangen, der ihr fast das Leben gekostet hätte. Ein Straßenjunge hatte sie aufgegriffen und hielt das kreischende Tier nun über eine offene Flamme.
„Lass den Quatsch!“, schrie ich und krallte mir das Wesen.
„Ich habe aber Hunger!“, entgegnete der Junge und starrte mich wütend an. In dem Fall, warf ich dem Kind ein paar Münzen zu und entschuldigte mich für die Umstände. Der Junge bedachte mich mit einem Lächeln und wunderte sich dann zusehends über mein Verhalten. Das kleine Kätzchen sträubte sich, kratzte, fauchte und versuchte mich zu beißen.
„Schon gut!“, zischte ich und setzte sie auf den Boden. Sofort verwandelte sich Sana in einen Menschen zurück und zeigte mir ihren perfekt proportionierten Körper der einer Göttin gleich war. Errötet vor Scham verdeckte sie nur notdürftig gewisse Stellen.
„Was soll das? Esst ihr noch immer Tiere?“, keuchte sie leicht benommen. Hastig zog ich mein Oberteil aus und warf es ihr zu.
„Irgendwie begegnen wir uns nur wenn du nackt bist, schon komisch!“, scherzte ich. Doch auf ihren Lippen war kein Lächeln zu sehen.
„Ja, wir sind keine Vegetarier wie ihr!“, hauchte ich dann leise und stocherte mit meiner Zehenspitze im Boden herum.
„Wie kommt es dass du so viel über mich und meinen Stamm weißt?“ Auf diese Frage wollte ich nur ungern antworten, denn die Wahrheit wäre für sie sicher unerträglich gewesen. Also log ich. „Erzählt man sich so. Die Meisten fürchten euch, obwohl ich teilweise nicht verstehe warum. Dir würde ich gerne noch einmal im Wald begegnen!“ Endlich lockerte auch sie ihre Einstellung. Mit einem kurzen Lächeln zog sie sich mein Hemd über, welches gerade einmal bis unter ihr Gesäß reichte.
„Also, so lange du hier bist, solltest du dich an gewisse Dinge halten. Verwandle dich nicht in ein Tier, sonst könntest du irgendwo im Kochtopf landen! Verstecke das Zeichen an deinem Handgelenk und richte auf gar keinen Fall in irgend einer Weiße die Aufmerksamkeit der....!“ Ich stockte den Atem als jene kamen von denen ich eben sprach. Eifrig drückte ich Sana an die Wand und stellte mich vor sie.
„Was machst du da?“, zischte sie leicht erbost.
„Dich retten!“, keuchte ich und tippte mit meinem Zeigefinger auf ihre Lippen.
„Was geht hier vor sich?“, hörte ich eine tiefe Stimme fragen. Gelassen drehte ich mich um und schaute in die Gesichter von fünf Männern die stolz ihre Waffen mir entgegenstreckten.
„Oh, ich habe mich nur etwas mit meiner Freundin vergnügt!“, rief ich und zog Sana ein wenig überhastet an mich heran. Ich konnte ihre Angst spüren und versuchte so liebevoll und sanft wie möglich zu sein.
„Bitte nicht auf der Straße!“, sagte einer von ihnen und wendete sich dann wieder anderen Aufgaben zu. Nur der dickste von den Männern blieb stehen und betrachtete Sana ganz genau.
„Sag mal, ihr beiden seid nicht von hier oder?“ Ich schüttelte mit dem Kopf und hoffte dass er nicht nachfragen würde. Zielstrebig kam er näher und packte schließlich meine Begleitung an der Hand. Zum Glück war es gerade die Falsche und ich atmete für einen winzigen Moment auf.
„Mädchen, irgendwie kommst du mir verdächtig vor!“, zischte er und bog ihren Arm in eine merkwürdige Richtung. Ich funkelte ihn derweil böse an und versuchte einen unauffälligen Blick hinüber zu den anderen Kämpfern zu werfen.
„Ich schätze die Kleine müssen wir mitnehmen!“, sagte er schließlich und fesselte ihre Hände. Als sie sich gerade wehren wollte, schüttelte ich nur traurig mit dem Kopf und richtete mein Wort an den Soldaten.
„Weswegen wollen sie meine Freundin mitnehmen?“, stammelte ich verlegen.
„Zweifelst du etwa an meiner Entscheidung? Sie gehört nun mir und du hast dich damit abzufinden!“, sagte er und schleifte Sana mit sich. Solche dummen Soldaten! Mich nervten die Gesetze unseres Landes. Ich wusste schon jetzt, was er mit ihr, dem unberührten Geschöpf tun würde und es ekelte mich einfach nur an.
„Lass sie los!“, schrie ich aufgebracht und stellte mich direkt vor ihn. Verwirrt starrte mich Sana an. „Ich lasse nicht zu, dass ihr noch ein Mädchen schändet!“
Nun wurden die Soldaten angriffslustiger und kamen näher. Der dickere stand nicht länger allein. „Freundchen, du hast wohl vergessen dass wir hier mehr zu melden haben als du?!“ Ich runzelte die Stirn und verneinte anschließend seine Aussage.
„Nein habe ich nicht, es ist mir einfach nur egal!“ Eifrig zog ich einen kleinen Dolch unter meinem Hosenbein hervor und versuchte das Spiel zu einem Ende zu bringen. Doch die Männer unseres Landes waren Sturköpfe und ließen sich gewiss von mir nicht einschüchtern. Der Dicke rutschte nach hinten und versuchte sich mit Sana im Schlepptau aus dem Staub zu machen. Seine Freunde wollten mir derweil mal so richtig den Hintern versohlen! Einer von den Typen schlug zu und verfehlte mich nur knapp. Ich rammte ihm den Dolch in den Arm, denn dabei würde es sich gewiss nicht um eine schwere Verletzung handeln. Schließlich gehörten diese Menschen zu meinem Land, zu meinem Königreich. Ich stockte den Atem als ich ihre Schreie nicht mehr hören konnte. Lediglich das Keuchen von dem Soldaten mit der Wunde drang an meine Ohren heran. Mit einem gewieften Trick, schlängelte ich mich zwischen ihnen hindurch und nahm dann die Beine in die Hand. Ich musste ihn erreichen und Sana retten. Würde er das Zeichen entdecken, wäre sie so gut wie tot und schon bald in den Händen meines Vaters!

Ich wusste wo ich sie nun finden würde und begab mich auf die Suche nach dem Gefängnis des Dorfes. Ich selbst würde es lieber Kerker nennen, in dem so manch Unschuldiger misshandelt und getötet wurde. Schon seit mehreren Jahren waren wir die Zahama die Sünder! Uns hätte Gott bestrafen sollen und nicht die Ilolis nur weil sie einen dummen Fehler begangen hatten. Was bekommt man wenn man einem Menschen den freien Willen gibt? Eine Welt die in Zerstörung und Blut endet und alle mit sich reißt, die nicht mehr fliehen können. Genau das wollte er verhindern und jetzt kommt es wahrscheinlich dennoch zu einem der größten Kriege in unserer Geschichte! Das dümmste an der ganzen Sache war wohl, dass ausrechnet ich ein freidenkender Junge, der Sohn des Königs war und damit der offizielle Thronerbe von Zahama!
Vorsichtig schlich ich um die einzelnen Fenster herum. Es gab kein Glas wie bei noblen Schlössern, sondern nur Gitterstäbe die eine Flucht unmöglich machten. In keinem der Verließe konnte ich die kleine Wildkatze finden. Es zerriss mir innerlich mein Herz, wenn ich an ihren Zustand dachte. Was würde er mit ihr nur tun?
Wütend ballte ich meine Hand zur Faust und wagte mich in den Todestrakt hinein. Die Wachen waren recht schnell überwältigt und so konnte ich nach drinnen gehen. Schon so oft hatte ich ein Gefängnis von innen gesehen und den Daumen nach unten gehalten um das Schicksal von einigen Menschen zu besiegeln. Es blieb mir nicht viel Zeit um sie hier raus zu schaffen, bald würde Verstärkung kommen. Eine unscheinbare Treppe in der Ecke eines Raumes zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich zuckte zusammen als Schreie erklangen und mich direkt eine Etage weiter nach unten führten. Was für ein furchtbarer Ort hatte in diesem Dorf sein zu Hause gefunden? Dutzende Menschen lagen angekettet auf dem Boden, misshandelt wie Tiere und getötet wie Dreck. Ein leises Wimmern ließ mich erstarren. Da war sie. Durch Handschellen gefangen, durch ein Tuch sprachunfähig gemacht und durch die Peitsche gezähmt. Ihre silbernen Augen fast ganz geschlossen und von Blut verklebt. Als die Tür aufging und der Dicke hineinwalzte, begann sie mit zittern. Er berührte sie an allen möglichen Stellen, küsste und streichelte ihre Haut. Sie versuchte ihre letzten Reserven aufzubringen, ihn zu schlagen oder sich wenigstens etwas zu wehren, vergebens. Denn schon war seine Peitsche wieder gezuckt und er ließ sie seine Verachtung spüren. Ihre Schreie verblassten genau wie die Tränen die hilflos an ihrer Wange hinunterliefen. Wieso waren die Menschen nur so grausam geworden? Ich musste sie da rausholen, bevor er ihre Seele noch vollständig zerbrechen könnte!
Zielstrebig bahnte ich mir einen Weg zu der Zelle. Zu meiner Überraschung gab es zwei Eingänge, die auch noch beide bewacht wurden. Kein Zweifel, sie wussten nun wer sie war! Ich durfte nicht zögern und musste es so schnell wie möglich erledigen. Einer der Soldaten entdeckte mich und feuerte mit seiner Waffe in meine Richtung. Die Kugeln flogen durch die Luft und hinterließen einen merkwürdigen Ton der sich in meine Gedanken einbrannte. Eine streifte mich und ließ mich kurz die Zähne zusammen beißen. Dann hatte mich endlich meine Wut bepackt und ich feuerte ebenfalls blind durch die Menge. Einer nach dem Anderen sackte zu Boden und starb. Ich musste mich mehrmals hinter einigen Kisten verstecken, weil neue Leute kamen. Allein schien es fast unmöglich zu sein, sie alle auszuschalten, doch am Ende hatte ich es überstanden. Zwei Männer waren geflohen und wählten schlauer Weiße ihr Leben. Nur der Dicke wartete noch auf mich. Stille durchzog die Zelle als ich endlich einen Fuß hineinsetzte. Sana schien bewusstlos zu sein und hatte den Kopf gesenkt.
„Dummer Junge, du hast ja keine Ahnung was du anrichtest!“, zischte der Soldat und trat hinter der Tür hervor. Seine Waffe war direkt auf meinen Körper gerichtet.
„Und Ihr wisst nicht wer vor euch steht!“, fauchte ich benommen und machte gleichzeitig einen Schritt zurück. Nun wurde er stutzig und dachte nach, was ich damit meinen könnte. Als ich das Mädchen betrachtete, wurde mir klar, dass ich ihn niemals so davon kommen lassen dürfte!
Schwach baumelte sie an der Wand, gezeichnet von seinen Schlängen und dem Schmerz der durch uns Menschen hervorgerufen wurde! Nicht einen Millimeter konnte ich mich bewegen, sonst hätte er sofort abgedrückt.
„Jetzt weiß ich es, du bist der Sohn des Königs!“, zischte er wütend und senkte den Lauf des Gewähres.
„Woher?“, stammelte ich. Wie sollte ich mich auch verraten haben? Sicher nicht durch diese dumme Bemerkung.
„Naja sein Sohn ist schließlich weg und er sucht überall nach ihm. Castiel richtig?“, hauchte der Dicke und kam langsam näher. Sein Griff hatte sich nach wie vor nicht gelockert und er schien zu allem bereit, sollte ich mich nun aufspielen. Langsam aber sicher kam die Kleine wieder zu sich und hob mit feuchtem Blick ihren Kopf an.
„Wieso willst du das Mädchen bitte retten? Sie ist schließlich das Mondkind, was dein Vater verlangt! Warum musst du auch so stur sein und dich immer wieder gegen ihn richten?“, sagte er ernst. Wütend ballte ich meine Hände zu Fäusten und trat nach vorn.
„Du hast nicht das Recht mich zu belehren!“, zischte ich und schlug auf ihn ein. Erbost fuhr er herum und drückte mich gegen die Wand. Seine Waffe presste er auf meine Haut und drückte schließlich ab. Blutend rutschte ich zu Boden und hielt mir zitternd den Arm.
„Jetzt wirst du hoffentlich davon absehen das Mädchen zu retten! Schwachkopf, was glaubst du wird dein Vater erst mit dir anstellen?!“ Ich schwieg und verfolgte jeden seiner Schritte den er in ihre Richtung machte. Schlotternd betrachtete sie ihn und kniff die Augen zusammen als er erneut ausholte. Doch ich war zur Stelle! Ich besiegelte mein Schicksal, meine Zukunft und kämpfte um ihr zu helfen. Wir durften solch einen rapiden Fehler schließlich nicht zwei Mal begehen! Der dicke Mann taumelte gegen die Wand und rutschte langsam daran herunter. Ich hatte nicht einmal bemerkt wie meine Wut ihn tötete. Der Dolch glitt zu Boden und mit ihm ein kleiner Teil von Menschenblut. „Cas?“, hauchte sie schwach. Vorsichtig machte ich sie los und zog sie dann nach oben. Ich musste sie stützen, allein konnte sie nicht mehr stehen. Mit ihrer blutigen und dünnen Hand strich sie über meine Wange, ehe sie in meinen Armen zusammenbrach.
„Es tut mir alles so leid!“, flüsterte ich ihr entgegen. Jetzt war es überstanden und wir mussten nur noch fliehen. Wegrennen in ein anderes Land, das ich nicht kannte und mich sicher genauso verurteilte wie Sana!

Schlaff lag sie in meinen Armen. Dumm, dass es wie in der Ausgangssituation schien. Doch auch ich war angeschlagen und würde all meine Kräfte brauchen um uns beide weit weg von dem Tod zu bringen.
Zusammen mit ihr flüchtete ich in die Berge. Steile Geröllwände waren meine ersten Hindernisse die ich überschreiten musste. Jedes Mal raste mein Herz als der Weg enger wurde und der Abgrund langsam näher kam. Irgendwie wurde sie immer schwerer in meinen Händen und der Schweiß floss in Strömen. Ich durfte einfach nicht aufgeben und hetzte die letzten Meter nach oben. Die Sonne war bereits am unter gehen, als ich die verletzte Schönheit neben mich legte und verschnaufte. Mein Atem ging unregelmäßig und wurde einfach nicht mehr normal. Meine Gedanken schienen gefangen und spielten mit sich selbst. Was würde mein Vater nur alles in die Wege leiten um mich zu fassen und vor allem, wie würde er es anstellen? Hatte Sana etwas von dem Gespräch mit dem Soldaten mitbekommen? Ich schluckte und stolperte zu ihr hinüber. Behutsam streichelte ich durch ihr Haar, strich eine Strähne zur Seite und kuschelte mich an sie. Im Moment schien ich genauso schwach zu sein wie sie, alles strengte mich an und nichts half. Doch nur ihr zu Liebe wollte ich weiter gehen, meinen eigenen Schweinehund bezwingen.
Die Schritte wurden langsamer, das Bewusstsein schwacher und das rasende Herz schneller. Ich konnte kaum noch gehen und doch stolperte ich voran. In der Dunkelheit war mir ein Licht begegnet, fern ab gelegen auf dem Berg. Eine winzige Hütte, versteckt zwischen den Bäumen und Steinen wo sich gewiss niemals ein Mensch hinein wagen würde. Nur noch ein paar Schritte und es wäre vollbracht. Uns würde vielleicht eine Person begegnen, jemand der uns helfen könnte. Ich stieß mit meinem Fuß die Tür auf und brach augenblicklich zusammen. Ich konnte einfach nichts dagegen tun, denn meine Beine knickten weg wie dünne Streichhölzer. Sana rutschte ebenfalls zu Boden und gab ein merkwürdiges Stöhnen von sich. Das letzte was ich mit meinen zu Schlitzen zusammengepressten Augen noch sehen konnte, war eine alte Frau die sich über uns beugte. Dann wurde alles schwarz und meine Gedanken verloren sich im großen Nichts.

Impressum

Texte: Copyright by Marie-Luis Rönisch +Cover by jenniferblackdeath
Bildmaterialien: Karte by Casandra Krammer
Tag der Veröffentlichung: 04.12.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Dieses Buch ist meiner Freundin Jenniferblackdeath hier auf Bookrix gewidmet. Du bist klasse und machst tolle Cover! Ich hab dich lieb!!!

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