Schwarze Federn
Ein groß gewachsener Mann, benebelte mit seinen Worten meine Sinne und zog mich langsam in seinen Bann. Er machte aus mir eine wehrlose Marionette, indem er seine Arme um mich schlang und mich mit seinem Körper berührte. Die Hitze die von ihm ausging, verbrannte mich an einigen Stellen, so dass ich schreiend zu Boden sank.
Und als ich gerade dachte, hier würde dieses grauenvolle Spiel enden, umfingen mich eiserne Ketten, gebadet in den Flammen der Unterwelt. Gefangen von einer Kreatur, die mir nicht wohl gesonnen war, ging ich qualvoll unter. Meine Schmerzen waren nicht in Worte zu fassen. Dunkelheit umfing mich und rettete mich aus diesen angsteinflößenden Vorstellungen.
Schweißgebadet erwachte ich. Es fiel mir schwer meine Atmung zu normalisieren. Mein Herz raste und drohte in meiner Brust zu zerspringen. Schon wieder ein Albtraum. Dieses Mal war es anders. Es wirkte alles so real!
»Guten Morgen mein Engel«, sagte meine Mutter und lehnte sich an den Türrahmen. Ich hatte ihr Eintreten nicht bemerkt und schaute nun verwundert zu ihr hinüber.
»Was ist denn los? «, fragte sie liebevoll und setzte sich auf meine Bettkante. Vorsichtig strich sie über meine Stirn.
»Du bist ja eiskalt«, stellte sie fest und deckte mich zu.
»Ich habe schlecht geträumt «, gestand ich ihr und richtete mich auf. Gähnend spielte ich die negative Stimmung herunter und kuschelte mich glücklich an sie. Ich konnte in ihren Augen eine gewisse Angst erkennen und rümpfte die Nase.
»Was ist? Kann ich nach unten kommen? Ist denn schon alles fertig? « Ich hoffte ich könnte sie durch mein Drängen ablenken. Sie sollte sich keine Sorgen machen, auch wenn das schon der dritte Albtraum in dieser Woche war.
Meine Mutter nickte und eilte die Treppe nach unten, um vor mir in der Küche anzukommen. Müde zog ich mir eine Strickjacke über und betrachtete meine Gänsehaut. Einen solchen Schrecken hatte mein Schlafverhalten schon lange nicht mehr ausgelöst. Mittlerweile wurde es von Tag zu Tag schlimmer und ich wusste einfach nicht, wie ich mit diesen Dingen umgehen sollte.
Nachdem ich meine Hausschuhe gefunden hatte, lief ich meiner Mutter nach. In der Küche angekommen, erwartete mich ein Schokoladenkuchen mit bunten Kerzen.
Eine tiefe Stimme begann mit singen.
»Weil heute dein Geburtstag ist, da haben wir gedacht,…«, summte es im Raum. Ich grinste zufrieden und machte mich sofort über den leckeren Kuchen her. Mit dem Zeigefinger stahl ich etwas Schokoglasur und ließ es mir schmecken. Mein Vater stoppte seinen Gesang und umarmte mich.
»16 Jahre, bist du mittlerweile alt. Du läufst gerade Wegs auf die 20 zu. Nicht dass du dein Leben aus den Augen verlierst«, sagte er und klopfte mir munter auf die Schulter. Sein kleines Bierbäuchlein spannte unter dem faltigen Hemd. Meine Mutter betrachtete ihn mit einem strafenden Blick, weil er weder das Hemd, noch seine Hose gebügelt hatte. Sie war ein regelrechter Ordnungsfreak.
»Puste deine Kerzen aus und wünsch dir was«, meinte sie und zupfte an Vaters Krawatte herum. Ich kicherte und warf mir meine dunklen Haare über die Schulter, damit sie nicht von den Flammen verschlungen werden konnten.
Innig betrachtete ich das Leuchten des Feuers und stockte augenblicklich den Atem. Das Bild der letzten Nacht war in meinen Gedanken und ich brauchte all meine Kraft, um die Szenen zu unterdrücken. Mit einem einzigen Versuch, pustete ich die Kerzen aus und ließ sämtliche Vorstellungen verschwinden.
»Any? «, hörte ich meine Mutter flüstern. Sie hatte meinen Vater losgelassen und musterte mich nervös.
»Dir scheint es heute nicht gut zu gehen, vielleicht bleibst du lieber zu Hause! «, rief mein Vater und krempelte seine Ärmel um. Das blonde Haar fiel ihm tief ins Gesicht und verbarg den Ansatz eines Bartes.
»Mir geht es gut. Ich habe mich bloß fest auf meinen Wunsch konzentriert«, entgegnete ich und stahl mir ein Stück Kuchen. Genüsslich leckte ich meinen Löffel ab und ging dann schmatzend auf meine Geschenke zu. Behutsam nahm ich ein winziges Päckchen in die Hand und öffnete es. Ein Medaillon war darin enthalten. Neugierig drückte ich auf einen Knopf am oberen Rand. Die Hülle mit den alten Verzierungen und Rosenbildern sprang auf und offenbarte ein Familienfoto. Letzten Sommer war es aufgenommen und seitdem innerhalb des Bekanntenkreises nie vorgezeigt wurden.
»Das ist toll. Vielen Dank! «, jubelte ich und fiel meinen Eltern um den Hals. Im nächsten Moment klingelte es an der Tür. Geschwind rutschte ich über das Parkett und spähte durch den Spion. Ein Mädchen mit goldenen Zöpfen stand am Eingang und hielt einige wundervolle Blumen in meine Richtung. Ich öffnete und sofort wurde ich gegen die Wand gedrückt. Fanny war erschienen. Ein Mädchen in meinem Alter, was ich durchaus als meine beste Freundin bezeichnen konnte. Ihre Locken reichten bis hinab zu ihrem Gesäß, weshalb sie sehr oft mit bösen Witzen konfrontiert wurde. Die blauen Pupillen verfolgten jede meiner Reaktionen und ihre Arme umschlangen mich, als sei ich das Objekt ihrer Begierde.
»Happy Birthday! «, trällerte sie in schrägen Tönen. Ich verzog eine Miene und lachte beherzt, als sie mir die Blumen reichte und mich in Richtung Ausgang zog.
»Bist du fertig? Du weißt, es ist schon spät. « Ich nickte. Sorgfältig setzte ich meine Blumen ins Wasser und verschanzte mich für einige Minuten im Bad. Ich kam der morgendlichen Hygiene nach, warf mir ein kurzes Kleid, besetzt mit alter Spitze, über und schlüpfte in meine hellblauen Ballerinas.
»Kann losgehen! «, rief ich ihr zu und krallte mir meinen Rucksack. Liebevoll hauchte ich meiner Mutter einen Kuss auf die Wange und verabschiedete mich von meinen Eltern.
»Wir kommen zu spät«, schrie Fanny und umklammerte mein Handgelenk. Gemeinsam legten wir einen Sprint der Extraklasse hin und kamen mit dem Stundenklingeln in der Schule an. Keuchend steckte sie ihre Haare hoch und ordnete die Strähnen, die aus dem Kunstwerk ihrer Frisur entkommen waren.
»Wir sehen uns in der Pause, okay? Wenn ich noch mal in Mathe zu spät komme, drückt mir Herr Bernt sicher eine mündliche vier rein. «
»Habe verstanden. « Fanny knöpfte ihre Bluse auf, welche sie am Bauch hochgekrempelt und verknotet hatte. Sie war der Inbegriff für ein Blondchen. Sie besaß die Schönheit, den Eigenwillen und das Mädchengetue, jedoch auch die Intelligenz war ihr gegeben. Die meisten Jungen dachten nicht daran, dass selbst eine Blondine Charakter beweisen könnte. Ja, Vorurteile wurden an unserer Schule groß geschrieben. Fanny drehte sich ein letztes Mal zu mir um und verschwand anschließend in ihrem Klassenzimmer. Genervt erblickte ich den Nebenraum, wo mich bereits eine gemeine Meute erwartete. Seid der 5. Klasse war ich ein begehrtes Ziel für Mobbingangriffe. Damals war ich mit Übergewicht auf das Gymnasium gekommen und sah in den Mitschülern zuweilen die guten Eigenschaften. Dass sie mich aber so kleinkariert beleidigen würden, konnte keiner ahnen. Ich holte tief Luft und drückte die Klinke hinab. Schon nach den ersten Schritten, die ich mich hineingewagt hatte, begannen meine Kameraden mit schweigen. Frech grinsend oder kichernd, betrachteten sie mich. Als der erste Papierball gegen meinen Kopf flog, seufzte ich und nahm auf meinem Stuhl in der vordersten Reihe Platz.
Wenige Sekunden später betrat meine Lehrerin Frau Heinze den Raum und ließ ihre Bücher schallend auf den Tisch fallen.
»Schlagt die Seite 56 auf und erzählt mir etwas über den zweiten Weltkrieg«, sagte sie laut und schob sich ihre Brille auf die Nase. Mit ihrem lockigen hellbraunen Haar, erinnerte sie mich oftmals an einen Hobbit aus `der Herr der Ringe` Welt. Lediglich ihre Größe wandte das Bild eines so lieben Gesellen ab. Ihr Charakter war alles andere als freundlich. Nur zu oft unterstützte sie meine Mitschüler dabei, mir das Leben zur Hölle zu machen. Dessen war ich mir sicher. Die Seite im Buch war schnell gefunden und obwohl ich mich auf das Thema einlassen wollte, verschwammen die Buchstaben vor meinem inneren Auge. In der ersten Stunde Geschichte zu haben, glich einer Qual. Und dann musste ich mich mit diesen Idioten in der letzten Reihe herumschlagen.
Immer wieder schaute ich auf die Uhr. Ich sehnte mich so sehr nach der Pause, dass ich anfangs gar nicht bemerkte wie ein Zettel herumgereicht wurde. Schließlich kam das besagte Stück Papier bei mir an. Darauf enthalten waren beleidigende Sätze und eine Zeichnung zu meinen früheren Maßen. Wie nett von ihnen an meinen Geburtstag zu denken. Sprüche wie `Auch einer Tonne muss man mal lieb gesonnen sein` oder `Lass dich feiern, Pottwal` versüßten mir nicht gerade den Vormittag. Mit dem Ende der ersten Stunde war meine Stimmung am Boden. Die Lehrerin nahm ihre Tasche und verschwand im Gang. Meine Mitschüler schlossen hinter ihr die Tür und der Spaß ihrerseits begann. Frustriert legte ich meinen Kopf auf den Tisch und deckte ihn durch meine Hände ab. Das hinderte Basti allerdings nicht daran mir an den Haaren zu ziehen und mich zu beschimpfen.
»Wäscht du dich eigentlich regelmäßig? Die hat so fettige Haare, da brauchen wir für die Pommes keine Fritteuse mehr. « Worte die sich in mein Herz gruben. Ich war ein Mensch, der alles auf eine Goldwaage legte und es nicht schaffte mit den Beleidigungen umzugehen. Wütend schlug ich seine Hand beiseite und befreite meine Strähnen aus seinem Griff.
»Lass mich in Ruhe! «, fauchte ich und schaute meinem Rucksack nach, der soeben im Mülleimer gelandet war. Fluchend säuberte ich mein Eigentum und zwängte mich auf den Flur hinaus. Freiheit. Ich konnte es förmlich riechen. Fürs erste würden sie mich sicher in Ruhe lassen. Missmutig warf ich meine Tasche in die nächste Ecke und schaute gelangweilt aus dem Fenster. Wo war ich hier gelandet? Diese Frage stellte ich mir seit meinem ersten Tag in diesem Irrenhaus. Regeln wurden beinahe jede Minute mit Füßen getreten und keinen interessierte es. Fanden sie aber ein passendes Opfer, verbündeten sie sich und stifteten Unheil. Man könnte das Verhalten der Schüler beinahe mit dem eines Rudels von Raptoren vergleichen. Fleischfresser, die in der Herde auftraten und wo stets der Schwächste geopfert wurde.
Wütend über so viel Gemeinheit, pustete ich mir eine Strähne aus dem Gesicht und suchte den Schulhof nach Fanny ab. Zwar hatten wir derzeit keine Frühstückspause, dennoch wusste ich wo ich sie finden würde.
In der Raucherecke hatte sich eine kleine Gruppe eingefunden. Die ungesunden Glücklichmacher hielt jeder zwischen seinen Fingern. Alle kamen sich besonders cool vor und genossen die Zigaretten.
Die Schüler starrten mich an, als wäre ich die neue Attraktion in einem Zoo. Ihre Freunde verunsicherten mich. Durch mein Auftauchen hatte ich ihre gesamte Aufmerksamkeit auf mich gezogen.
»Fanny, wie war der Unterricht? «, fragte ich sie mit bebender Stimme. Das Mädchen mit den goldenen Locken schmiegte sich an einen Jugendlichen, der mindestens zwei Jahre älter war als sie. Durch ihre Schönheit galt sie unter den Jungen als regelrechte Delikatesse, was sie mit ihrer Intelligenz allerdings stets zu Nichte machte.
»Ganz gut. Ich habe mich dank der letzten Arbeit gefangen. Mathe ist eben ein Kinderspiel, sobald man es versteht. « Damit hatte sie das passende Stichwort gegeben. Die Schüler stöhnten verachtend und brachten etwas Abstand zwischen Fanny und einander. »Schatz, du weißt dass ich es hasse, wenn dein süßes Mundwerk über die schlimmsten Fächer spricht«, hauchte ihr Freund und versiegelte ihre Lippen. Fanny rollte genervt mit den Augen.
»Du bist blond, also benimm dich so! «, stammelte er und drückte seine Zigarette an der Holzbank aus. Fanny ballte ihre Hand zur Faust, ließ sie jedoch sofort wieder sinken. Anschließend eilte sie zu mir hinüber und senkte missmutig ihren Kopf.
»Warum treffe ich immer auf solche Idioten? Da hatte ein Neandertaler ja mehr Grips! «, entgegnete sie und zerrte mich zurück in die Schule. Ihr neuer Lover blieb verwirrt zurück und wusste was das bedeutete. Der nächste Typ würde kommen und er selbst war nun abgeschrieben.
»Ach Fanny, warum können wir nicht auf eine normale Schule gehen, wo sich die Menschen respektieren? « Sie fuhr über ihre Nase, auf welcher hellbraune Sommersprossen zu sehen waren.
»Weil das Ende der Welt bevorsteht«, schnaubte sie ironisch und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Mal im Ernst, wenn es so wäre, würdest du dich sicher als Erste verstecken«, lachte ich und stupste sie behutsam in die Seite. Fanny räusperte sich und wollte gerade etwas einwerfen, als die Schulklingel uns erneut trennte.
»So ein Mist. Gut, lass uns in der nächsten Pause über deine bevorstehende Geburtstagsfeier sprechen. Ich kenne da ein paar Leute, die sicher gerne kommen würden. « Als ein vorbeigehender Lehrer beinahe in Fannys Bluse verschwand, bat ich sie einige Knöpfe zu schließen. Mit Grübchen auf den Wangen zwang sie sich zu einem Lächeln, denn der Umstand passte ihr überhaupt nicht.
»Du weißt genau, dass keiner kommen wird. Ich habe hier außer dir keine Freunde. Lass es gut sein. Feiern wir einfach allein. Ist immer noch besser, als eine Horde Affen in der Bude zu haben, die alles kurz und klein schlagen! « Fanny wollte etwas erwidern, als mich plötzlich eine Hand packte.
»Any, was machst du auf dem Gang? Es ist seit zwei Minuten Stunde! «, hörte ich Frau Heinze sagen. Verlegen zuckte ich mit den Schultern.
»Fanny, mach dass du in dein Klassenzimmer kommst! «, fügte sie hinzu. Ich wusste sie würde gegen meinen Verstoß vorgehen, schließlich hätte ich als nächstes bei ihr meine zweite Stunde.
»Du wirst mir helfen die Bücher aus dem anderen Raum zu holen, da du ja sowieso vergessen hast wo dein Platz ist. « Sollte das eine Drohung sein? Wütend fuhr sie mich an: »Ist ja kein Wunder, dass dich deine Klassenkameraden nicht mögen. « Am liebsten hätte ich sie für diese Antwort gehörig geohrfeigt. Sie war schließlich diejenige die kontinuierlich wegsah und mich im Stich ließ. Gerade von meinem Tutor hätte ich mehr erwartet.
»Na schön, wo sind denn diese Bücher? «, fragte ich leise und ordnete mich ihr unter. Frau Heinze schob die Brille zurück an den richtigen Platz und deutete auf eine Nebenkammer, die bereits offen stand. Ich nickte stumm und bewegte mich langsam darauf zu. Wenn ich eins nicht mochte, dann waren das hinterhältige Menschen, die einem viel zu oft gehässig in den Rücken fielen.
Alex, Billi, Rikka und Frau Heinze gehörten zu dieser Gruppe und zwangen mich mehr als einmal in die Knie.
Stöhnend hob ich einen Stapel für insgesamt 25 Schüler an und musste schnell feststellen, dass das Gewicht für mich nicht zu bewältigen war. Keuchend schob ich einige der Wälzer zur Seite und nahm mir eine ertragbare Menge. Als ich aus dem Zimmer stürmte, um meiner Lehrerin zu folgen, bemerkte ich, dass sich sämtliche Schüler von dem Flur entfernt hatten und ich völlig alleine war. Zielstrebig eilte ich auf mein Klassenzimmer zu, als mir plötzlich eine fremde Person den Weg versperrte. Verwundert schaute ich auf und senkte kurz die Bücher, weil sie mir die Sicht nahmen.
»Dürfte ich bitte vorbei? «, fragte ich nett und wagte mich auf ihn zu. Es handelte sich um einen Jugendlichen, der nicht älter war als ich. Sein dunkles Haar verdeckte Teile seines Gesichtes, da der Kopf gesenkt war und sein Blick eindringlich dem Boden galt. Eine abgetragene Jacke und ausgewaschene Jeans rundeten seine Erscheinung ab. Tiefe dunkle Augen durchbohrten mich, als er von mir endlich Notiz nahm. Seine Iris entlockte mir einen Seufzer, weil mich diese Farbe an das unendliche Meer erinnerte und ich nur zu gerne in Gedanken schweifte.
»Hast du mich verstanden? «, widerholte ich und wartete auf eine Reaktion. Der Fremde nickte stumm und kam in langsamen Schritten auf mich zu. Ein wenig verwirrt wich ich zurück, denn seine stille Art machte mir Angst. Er wirkte so steif, beinahe wie ein Zombie aus den Horrorfilmen die sich Fanny so gerne ansah.
»Was ist mit dir? «, drang es aus meinem Mund. Der Junge stoppte und ein breites Grinsen tauchte auf seinen Lippen auf. Sie umspielten seine gebräunte Haut in einer sonderbaren Weise und ließen die schneeweißen Zähne aufblitzen. Auf einmal sah ich das Bild von heute Morgen wieder direkt vor mir und es raubte mir den Atem. Mein Körper verkrampfte sich und ich fühlte wie meine Knie weich wurden und mit zittern begannen. Was hatte er an sich, dass ich so in Panik geriet? Nervös ließ ich die Bücher fallen und suchte bereits nach einem Fluchtweg. Man konnte mich durchaus als Paranoid bezeichnen, denn mein Instinkt sagte mir, dass hier etwas nicht stimmte. Seine Aura schien jegliche Zweifel zu bestätigen. Ein solch dunkler Schein umschloss seine fleischliche Hülle, dass es so wirkte, als würden ihn schwarze Wattefäden umgeben. Ein Schleier der von der Finsternis verschlungen wurde und mich scheinbar gerne mit sich gerissen hätte.
Urplötzlich schaute er auf und seine Gesichtszüge veränderten sich. Ein höhnisches Lachen durchfuhr ihn, er stoppte jedoch, als er meinen ängstlichen Blick bemerkte.
»Bist du es, Any? «, flüsterte er. Dem Kollaps nahe, schüttelte ich den Kopf und drückte mich gegen die Wand, die auf einmal in meinem Rücken aufgetaucht war. Er drängte mich mehr und mehr zurück. Das Spiel zwischen Raubtier und Opfer begann. Auf welcher Seite ich stand, war wohl klar. Winzige Schweißperlen bildeten sich auf meiner Haut. Immer wieder musterte ich ihn, vermochte aber aus irgendeinem Grund nichts Gutes in ihm zu erkennen.
»Woher kennst du meinen Namen? «, rief ich. Der Junge zögerte.
»Wir alle wissen wer du bist. Du kannst es nicht verbergen. Nun, da du das richtige Alter erreicht hast, ist die Jagdsaison eröffnet und du bist das beliebteste Ziel. « Mutig löste ich mich von dem kalten Gestein und stellte mich ihm gegenüber.
»Was soll das bedeuten? «, sagte ich eindringlich. Ich versuchte ihn zu verunsichern, denn seine Worte ergaben keinen Sinn. Der Fremde schnalzte mit der Zunge und klatschte munter in die Hände. Er tat das auf eine so laute Weise, dass ich vermutete, sogleich würde meine Lehrerin aus dem Zimmer stürmen.
»Schau dich an! Du leuchtest wie ein Heiligenschein. Glaubst du ernsthaft wir würden das übersehen? « Ich atmete auf. Mein Herzschlag normalisierte sich.
»Dir ist ja wohl klar, dass du ein bisschen verrückt bist. Sicher, dass es dir gut geht? «, scherzte ich. Der Jugendliche fauchte wie eine Katze und führte eine blitzschnelle Bewegung aus, indem er seine Arme um mich schlang und ich zu seiner Gefangenen wurde. Ich konnte deutlich seine Wärme spüren. Durch seinen Atem bäumten sich mir die winzigen Härchen im Nacken auf. Seine Lippen berührten beinahe meinen Hals, sodass ich für kurze Zeit an mir selbst zweifelte. Wer oder was stand mir hier gegenüber? Mein Instinkt hatte mich nicht getäuscht! Was sollte ich tun?
»Lass mich los! «, schrie ich. Sofort landeten seine Finger auf meinem Mund. Ich war völlig bewegungsunfähig und hing an ihm, wie eine Marionette in ihren Fäden. Verzweifelt trat ich mit meinen Füßen um mich und erwischte dabei ausversehen seinen Schuh. Ein Glückstreffer, der ihn kurz stöhnen ließ. Wütend befreite ich mich aus seinem Griff, machte kehrt und trat ihm mit geschlossenen Augen in die Weichteile. Fluchend hielt er sich an der Wand fest. Der Schmerz war ihm anzusehen. Verbissen fasste er an seine Hose und holte eisern Luft. Er schaffte es tatsächlich die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Respekt.
»Jetzt bist du gar nicht mehr so Angsteinflößend«, konterte ich. Der Junge setzte sich wieder in Bewegung und kam wie ein gefühlsloser Terminator auf mich zu. Erschrocken nahm ich die Beine in die Hand und rannte den Flur entlang. Nur zu gerne hätte ich mich in einem der Klassenzimmer versteckt, doch die meisten Türen in der untersten Etage gehörten zu den Chemie, Bio – oder Physikräumen und waren lediglich von innen zu öffnen. Panisch sprintete ich die Treppe nach oben und drückte die erst beste Klinge nach unten, die mir in den Sinn kam. Hektisch stolperte ich in den Raum hinein und presste sofort meinen Körper an die Tür. Ich quietschte vor Erleichterung.
Eine Lehrerin räusperte sich und sogleich wusste ich, dass hier gerade Unterricht praktiziert wurde.
»Und was genau wollen Sie mit diesem Auftritt erreichen? «, fragte sie verwundert und spielte mit ihrem langen schwarzen Haar. Verlegen lächelte ich und verharrte an Ort und Stelle.
»Kommt noch was? «, sagte sie und wendete sich ihrer Tafel zu.
»Da draußen ist so ein Irrer! «, platzte es aus mir heraus.
»In wie fern? «, erwiderte sie neugierig und stützte sich auf dem Tisch ab. Dabei konnten sämtliche Jungs in diesem Raum einen Blick auf ihren weiten Ausschnitt erhaschen. Typisch Referendaren, dachte ich.
»Er hat mich festgehalten und in die Enge gedrängt«, rief ich aufgebracht und fuchtelte mit den Armen.
»Wer?« Ihre Stimme hallte in meinen Gedanken.
»Woher soll ich das wissen. Ich geh da auf gar keinen Fall alleine raus. Der Typ ist verrückt! « Ich verschränkte die Arme, um mein Zittern zu unterdrücken. Die Lehrerin seufzte und kam auf mich zu. Ich ging beiseite und sie trat in den Flur hinaus. Sie sah sich um.
»Da draußen ist nichts«, meinte sie und bedeutete mir ihren Unterricht nicht weiter zu stören. Ich schüttelte mürrisch meinen Kopf und nahm in der ersten Reihe auf einem freien Stuhl Platz.
»Das ist nun aber wirklich albern«, sagte sie und verleiherte die Augen. Mir war egal was sie von mir dachte, der Junge hatte mir mehr als einen Schauer über den Rücken gejagt. Irgendetwas an ihm, löste in mir die schlimmsten Vermutungen aus.
Plötzlich weiteten sich ihre Augen. Ein dunkler Schleier direkt vor der Tür formte sich zu einem Abbild einer Person.
»Bitte gehen Sie endlich! «, knurrte sie immer noch an mich gewendet. Sie hatte das Erscheinen der fremden Gestalt nicht bemerkt. In ihrem Rücken lauerte die Gefahr, die übernatürlicher Art sein musste. Ohne es zu bemerken, wurde sie von dem merkwürdigen Geschöpf gepackt und mit einer unbeschreiblichen Kraft in den Gang hineingezogen aus dem Blickfeld der Schüler. Die Jugendlichen in den hinteren Reihen wurden unruhig und sprangen von ihren Plätzen auf, um nach der Referendarin zu sehen. Sogleich bewegte ich mich fort von dem Eingang und verschanzte mich unter einem Doppeltisch, der in den meisten Chemieräumen stand.
Betend vertrieb ich meine Angst und hoffte, dass das alles ein dummer Traum war. Ich befand mich in der Schule und wurde angegriffen von einem Irren!
Plötzlich gingen Schreie durch das Zimmer. Drei Schatten zeichneten sich auf dem Boden ab. Jene Personen die sich Eintritt verschafften, hatten sicher nichts Gutes im Sinn.
»Wo ist die Kleine? «, fragte ein Mädchen. Vorsichtig schaute ich auf und musterte sie eindringlich. Eine Schönheit, mit kurzem rotem Haar, in einem rockigen Schnitt, stand vor mir und lehnte sich an ihren Kameraden. Die blauen Augen suchten die Gegend ab und stachen besonders durch ihre Kleidung hervor. Ein schwarzer Lederminirock, der gerade einmal ihren Hintern bedeckte und so manchen Blick auf sich zog, schmiegte sich an ihre Talje. Außerdem befand sich ein zerrissenes Oberteil auf ihren Schultern, was ihren Bauch keines Wegs verdeckte. Mit einem breiten Grinsen strich sie sich eine Strähne aus dem Gesicht. Dabei erkannte ich ein schwarzes Tattoo auf ihrem linken Handgelenk. Ein verkehrt herumgedrehtes Kreuz mit einem Pentagramm in der Mitte, ließ mich erschrocken zurück weichen. Was war hier los?
»Such sie! «, befahl die Rothaarige und schubste ihren Begleiter unsanft auf die Schüler zu. Als diese jedoch versuchten ihnen zu entkommen, schossen weiße Fänge aus ihrem Oberkiefer heraus.
»Ein Vampir? «, wisperte ich kaum hörbar. Fassungslos starrte ich sie an. War sie tatsächlich eine mystische Gestalt, die ich nur aus Filmen und Büchern kannte und einst bewundert hatte?
Auf einmal spürte ich zwei starke Hände die sich um mein Bein legten und kräftig daran zogen. Mit einem Ruck wurde ich aus meinem Versteckt gerissen. Nun lag ich auf dem Rücken vor ihnen. Der Junge von vorhin beugte sich über mich, während er bereits ausholte um einen Gegenschlag zu wagen. Schutz fand ich hinter meinen Armen. Die Wucht seiner Wut traf dennoch meine Wange und ließ sie heiß glühen.
»Was soll das? «, jammerte ich. Ein weiterer Junge zerrte mich zurück auf die Beine und verdrehte meinen Arm auf eine grauenvolle Weiße, dass ich vor Schmerz aufschrie.
»Das ist sie? Sehr unbeeindruckend«, lästerte der dritte im Bunde. Seine dunklen, fast schwarzen kurzen Haare lenkten von der düsteren Iris ab, die mich zu verschlingen drohte. Selbst seine Haut war überzogen von Finsternis. Er wirkte wie ein wildes Tier in menschlicher Gestalt.
»Und du hast dich auch nicht geirrt? «, fragte das Mädchen erneut und umklammerte mein Kinn mit ihren eiskalten und blassen Fingern. Die Vampirzähne weckten noch immer meine gesamte Aufmerksamkeit.
»Wollt ihr mir ernsthaft weißmachen, dass ihr ihren Heiligenschein nicht seht? «, konterte der Junge von vorhin und trat wutentbrannt näher an mich heran. Ich zuckte zusammen. Das Mädchen hielt ihn fauchend zurück.
»Du weißt, du darfst sie nicht töten«, bemerkte sie ernst und starrte verbissen auf meine Kehle. Ich schluckte, schaffte es aber nicht meine Stimme zurück zu gewinnen. Der Fremde mit der düsteren Ausstrahlung lockerte seinen Griff und ich atmete auf.
»Any, Kleines, sag uns, wo du das Amulett des Friedens versteckt hälst! « Verwirrt wandte ich mich ihnen zu.
»Riecht ihr nicht, dass sie ein Mensch ist? Kathy woher soll sie das bitte wissen? «, fiel einer ihrer Kameraden ins Wort.
»Halt deine Klappe, Rick! «, konterte sie und gab ihm einen kleinen Klaps auf den Hinterkopf.
»Sag uns wo es sich befindet und wir verschwinden wieder aus deinem Leben«, mischte sich der mir unbekannte Junge ein.
»Ich weiß gar nichts! Ich habe keine Ahnung von was ihr überhaupt redet! «, schluchzte ich den Tränen nah. Ich sah in seinen Augen etwas aufblitzen und begann unweigerlich mit zittern.
»Vincent, lass sie in Ruhe. Wir bringen sie einfach zu unserem Meister. Der wird sie zum Reden zwingen. « Sein Name war also Vincent. Grausamer Mistkerl! Der Junge mit den stahl blauen Augen lächelte und umklammerte meinen Arm. Hilflos wurde ich herumgerissen und an ihn gedrückt. Die Jugendlichen in dem Klassenraum, drängte man wie eine Herde Vieh in die Ecke. Anschließend streckte Vincent seine Finger nach ihnen aus und eine merkwürdige dunkle Wolke, die wie ein Schleier aus Schwärze aussah, umfing die Schüler. Müde brachen sie zusammen und verfielen in einen tiefen Schlaf. Die Lehrerin auf dem Gang war wieder zu sich gekommen. Ihre Worte und Hilfeschreie erstarben durch Schwäche und Träume. Gähnend legte sie ihren Kopf auf den Boden und schloss ihre Lider.
»Nein! Was habt ihr getan! «, rief ich und wand mich unter seinem Griff. Vincent musterte mich und drehte sich sicherheitshalber zur Seite, damit es mir nicht möglich war, ihn erneut an einer brisanten Stelle zu erwischen.
»Kommt schon, lasst uns verschwinden! «, sagte Kathy und warf ihren Kameraden einen fragwürdigen Blick zu. Was waren das für Gestalten? Scheinbar besaßen sie magische Kräfte, wie man es meist von den Hexen aus der TV – Serie „Charmed“ kannte. Ein Vampir, ein Irrer und ein düsterer Geselle. Himmel, wo war ich hier gelandet?
»Lasst mich los! Ich werde mit euch nirgendwo hingehen«, meinte ich überzeugend. Wütend rutschte mir meine Hand aus und traf Vincent direkt im Gesicht. Fluchend schleuderte er mich gegen die nächste Wand. Unter meinem Gewicht brach dabei der Holztisch der Lehrerin zusammen. Zwischen all den Trümmern, fand ich auf einmal mein Blut und erstarrte innerlich. Der Schmerz jagte durch meine Schulter und als ich sie näher betrachtete, kroch das Entsetzen meine Glieder empor.
»Du Idiot! Sie sollte unversehrt zu ihm gebracht werden! «, zischte Kathy und kniete sich neben mich. Mein Kopf fühlte sich an, als würde ihn jemand als Trommel nutzen.
»Auuu…«, stöhnte ich. Geschockt fuhr ich über die Wunde an meiner Schulter. So viel Blut von einem Menschen, das raubte Kathy beinahe den Verstand. Begierig berührte sie mich. Ihre Fingerspitzen sammelten das Blut auf und führten es an ihre Lippen heran. Genüsslich schleckte sie es ab und jubelte vor Glück. Ihr Verlangen stieg, was besonders ihre Augen verrieten.
»Köstlich! «, nuschelte sie und kam mir verflucht nahe. Ihre Iris veränderte sich und glich nun einem bedrohlichen Rot. Die weißen Vampirfänge funkelten, als sie meinen Hals betrachtete.
»Kathy lass das Mädchen in Ruhe. Wir haben keine Zeit für diesen Unsinn. Bin ich etwa der einzige der einen kühlen Kopf bewahrt? «, erwiderte Rick. Sogleich warf er mich wie einen Kartoffelsack über die Schulter und achtete nicht weiter auf mein Wimmern, was den Raum erfüllte.
»Gehen wir! « Eindringlich schlängelte er sich an seinen Kameraden vorbei. Mit Fäusten hämmerte ich auf ihn ein. Sein Rücken war hart wie Stein, weshalb sich meine Haut in binnen von wenigen Minuten rötete. Mit Schmerzverzehrtem Gesicht sah ich meinem Schicksal entgegen. Was auch immer mit mir geschehen würde, mein Bauchgefühl sagte mir, dass mich nichts Gutes erwarten könnte.
In dem Moment zerriss ein Schuss die Ruhe. Nur schwach, konnte ich erkennen wie Kathy sich die Brust hielt und zu Boden sank. Was war geschehen? Aufgebracht stürzte Rick zurück in den Raum und legte mich auf einem kleinen Schrank neben dem Fenster ab.
»Was ist hier los? «, entfuhr es mir. Sofort landeten Vincents Finger auf meinem Mund und verboten mir etwas zu sagen. Die Umrisse eines Mannes, formten sich hinter dem milchigen Glas der Tür. Rick und Vincent starrten ihm angespannt entgegen und machten sich bereit weiteren Attacken auszuweichen. Na klasse, jetzt befand ich mich mitten in einem Kampf. Drei Leute die mich verletzen wollten reichten anscheinend nicht aus! Mit einem kräftigen Tritt, sprang die Tür auf und ein etwa Ende 20 jähriger Mann stand im Rahmen. In seinen Händen ruhten zwei größere Gewehre mit einem langen Lauf und seltsamen Symbolen. Durch das hellbraune, leicht gelockte Haar, erinnerte er mich ein bisschen an den Schauspieler Jensen Ackles. Lediglich sein kantiges Gesicht und das spitze Kinn lenkten von der Erscheinung ab. Eine dunkle Lederjacke schmiegte sich an seine Hüften, die von einem hellen Shirt verdeckt wurden. An den löchrigen Jeans befand sich ein Gürtel mit Klingen und einigem anderen Kram, der mir jedoch verborgen blieb.
»Ein Jäger! «, schrie Vincent und zog Kathy zurück auf die Beine. Keuchend presste sie sich an ihn. Ihre Miene war von Angst zerfressen.
»Jäger? «, hauchte ich kaum hörbar. War ich hier in einem Hollywoodfilm gelandet, oder was sollte der Unsinn?
»Du mieser kleiner Dämon! Verschwinde von dem Mädchen! «, schrie der Fremde und schoss ohne Vorwahrung auf Vincent. Der Junge rollte sich über den grauen Fußbodenbelag und gewährte seiner Freundin Schutz. Direkt über seinen Rippen brannte sich eine merkwürdige weiße Substanz in sein Fleisch und ließ ihn kreischen wie ein Kind.
»Steinsalz bekommt dir anscheinend nicht«, lachte der Jäger und strich durch seine Locken.
»Arroganter Bastard! «, zischte Vincent und hob Kathy in seine Arme.
»Wir müssen fliehen«, meinte Rick und zertrümmerte die Fensterscheibe in meinem Rücken. Erschrocken wich ich zurück. Als der Jugendliche seinen gierigen Blick auf mich richtete, verhinderte der Fremde meine bevorstehende Entführung. Die drei Übeltäter hatten keine Chance. Sie mussten ohne mich die Flucht ergreifen, um ihr eigenes Leben zu retten. Gekonnt sprangen sie in die Freiheit. Ihnen schien dabei völlig egal zu sein, dass sie sich im ersten Stock befanden und damit eine beachtliche Höhe vor ihnen lag.
Verwirrt richtete ich mich auf und schaute aus dem Fenster. Nichts. So unscheinbar und schnell wie sie gekommen waren, schien sie der Erdboden wieder verschluckt zu haben. Das Knirschen eines Schuhs holte mich zurück in die Realität. Zitternd suchte ich Abstand und hoffte innerlich, dass der Jäger nicht näher kommen würde. Er legte seine Waffen auf dem nächst bestem Tisch ab und musterte die schlafenden Schüler. Mitfühlend senkte er seinen Kopf und setzte dann ein falsches Lächeln auf, das mich wahrscheinlich beruhigen sollte.
»Sie werden bald wieder zu sich kommen«, sagte er und streckte seine Hand nach mir aus. Anscheinend glaubte er, ich würde sie ergreifen. Ich weigerte mich. Ich hielt ihm so lange stand, bis mich der Schmerz in meiner Schulter in die Knie zwang. Diese Situation hatte mir zu viel abverlangt. Vorsichtig ließ ich mich auf den kalten Belag sinken und sackte förmlich in mich zusammen. Der Mann stürzte zu mir hinüber und rüttelte an meinem geschwächten Körper.
»Klapp mir jetzt bloß nicht weg! «, keuchte er und hob mich in seine Arme. Nur am Rande dieser Bewegung bekam ich mit, dass einige der Schüler bereits erwachten. Danach umfing mich Schwärze und ich versank wieder in diesem merkwürdigen Traum, der mich bereits heute Morgen gequält hatte.
Müde erwachte ich und richtete mich überhastet auf. Dabei stieß ich mit meinem Kopf gegen die Decke eines flachen Wagens und rieb über meine Stirn.
»Auaaa! «, jammerte ich. Verwundert schaute ich mich um. Ich befand mich in einem roten Auto. Die Marke war mir nicht bekannt und erschreckender Weise, lag mir der Inhaber nicht auf der Zunge.
Vorsichtig öffnete ich die Tür und taumelte ins Freie. Passanten mussten mich für Sturz betrunken halten.
Eine warme Hand berührte meine Hüfte und eh ich mich versah, wurde ich von einer fremden Person zurück ins Auto gedrängt. Schreiend wehrte ich mich. Die Angst des Erlebten nagte nach wie vor an meinen Gliedern und ich war nicht bereit an meinem Geburtstag mein Leben beenden zu lassen! Gekonnt rammte ich meinem Angreifer den Fuß in den Bauch, bis dieser sich hustend vorn über beugte. Dabei rutschte ein dunkler Hut herab und entblößte die hellbraunen Haare des Jägers.
»Du? «, japste ich und holte tief Luft, um den Schreck zu verdauen.
»Wer denn sonst? Dachtest du etwa ich sei ein Vergewaltiger, oder warum behandelst du mich wie einen Fußabtreter? «, murmelte er und befreite seine Kleidung von dem Dreck meines Schuhs.
»Wer bist du und was willst du von mir? «, entkam es meinem Mund. Zwar wirkte er weniger gefährlich als diese Jugendlichen, dennoch jagte er mir einen Schauer über den Rücken.
»Ich habe mich um dich gekümmert, nachdem du das Bewusstsein verloren hast. Frauen! «, zischte er und setzte sich nach vorn hinter das Lenkrad.
»Was wird das? Entführst du mich etwa? « Meine Stimme überschlug sich beinahe bei dem Gedanken.
»Keine Sorge, wenn ich das wirklich vor hätte, wärst du längst an einem dunklen und verlassenen Ort. Nein, ich bringe dich nach Hause. Ich habe dich krank gemeldet und versprochen dich heil bei deinen Eltern abzuliefern. Anscheinend interessiert es deine Schule nicht, dass sich ein völlig Fremder um dich kümmert«, konterte er mit einem verschmitzten Grinsen. Wütend gab ich ihm einen Klapps und betrachtete anschließend die Wunde an meiner Schulter. Ein weißer Verband leuchtete mir entgegen und ich fragte mich langsam, was das für ein verrückter Tag war.
Der Jäger hielt sein Versprechen und brachte mich zurück nach Hause. Da er den Weg kannte ohne nachfragen zu müssen, glaubte ich ernsthaft daran, er wäre ein perverser Spanner mit einer Neigung zur Verrücktheit und Waffenliebe.
»Ähm, danke«, brachte ich hervor und betätigte die Klinke. Im selben Moment verschloss er den Wagen und ich verharrte als seine Gefangene auf dem Rücksitz.
»Any, bevor ich dich gehen lasse…«, begann er. Gespannt lauschte ich seinen Worten.
»…muss ich mit dir sprechen. Über dein Leben, deine Herkunft und darüber, wer du in Wahrheit bist! « Er drehte sich zu mir um und legte seinen Hut auf den Beifahrersitz.
»Mein Name ist Sit und ich bin ein Dämonenjäger. Vielleicht hast du bereits bemerkt, dass diese Jugendlichen keine Menschen sind. Sie haben diese Klasse durch ihre Gaben außer Gefecht gesetzt. Eine unendliche Macht, die übernatürlichen Wesen zu Teil wird. Nachher kann sich kein Mensch an das Geschehen erinnern und folgt einfach dem normalen Tagesablauf. Das ist auch der Grund warum ich dich krankgeschrieben habe. Ich musste mich absichern. Nicht, dass sie zurückkehren und ihr Ziel erreichen. « Ich verschränkte die Arme vor der Brust und musste einen stechenden Schmerz in Kauf nehmen.
»Dämonenjäger? Was für ein Ziel? Und wenn sie keine Menschen sind, was dann?« All diese Fragen drängten sich mir auf. Das Schwindelgefühl von vorhin machte sich erneut bemerkbar.
»Any Parker, die Wahrheit wird dir nicht gefallen. Ich weiß bloß so viel, dass mein Auftrag lautet dich vor dem Übernatürlichen zu beschützen, bis weitere Jäger eintreffen und wir dich versorgen können. Ich kenne die Jugendlichen. Der Jüngste nennt sich Vincent – Selth French und ist in meiner Welt schlechthin als Dämon bekannt. Das Mädchen mit dem roten Haar ist ein Vampir und hört auf den Namen Kathy Wyans und der dritte im Bunde ist ein Todesengel den sie Rick Gates nennen. Alle drei sind auf ihre Art und Weise gefährlich für Menschen und besonders für dich. Sie wurden von ihren Meistern geschickt um dich zu den Fürsten zu bringen, damit du ihnen dabei hilfst die Hölle auf Erden zu holen. « Mit großen Augen starrte ich ihn an. War er verrückt? Oder was sollten mir diese Dinge sagen? Klar, das Mädchen hatte spitze Zähne, die wie Vampirfänge wirkten. Wer sagte mir, dass diese Zähne nicht nur angeklebt waren?
»Sit, ich verstehe es nicht. Was hat das alles mit mir zu tun? « Der Jäger runzelte die Stirn.
»Any, du hast eine Vergangenheit und eine Aufgabe. Dein Schicksal ist unweigerlich mit diesen Wesen verbunden! « Er gestikulierte mit seinen Händen und erklärte was sich hinter seinen Worten verbarg. Ich hingegen, räusperte mich und unterbrach ihn.
»Hör auf so einen Unsinn zu behaupten. Es gibt weder Vampire noch etwas anderes! Und wenn du nicht innerhalb der nächsten Minute mit einer guten Begründung kommst, werde ich so laut schreien, dass dich jeder für einen Entführer hält! « Eine klare Ansage, dessen war ich mir sicher.
»Na schön, du willst es anscheinend nicht anders. Diese Menschen da drinnen, sind nicht deine leiblichen Eltern. Sie haben dich zwar aufgezogen, aber genau heute endet damit ihre Verpflichtung. Du mein Kind, bist ein Engel. Ein Geschöpf des Lichts, was von Gott verborgen auf die Welt geschickt wurde, um seinem Willen zu folgen. An deinem 16. Geburtstag entfachte sich deine Macht und der Schutzwall, der dich umgab, zerbrach. Ab heute wird sich dein Leben ändern. Jedes Wesen der Finsternis wird dich jagen und du kannst nur überleben, wenn du mir vertraust. « Der Jäger schob mir einen Zettel mit seiner Telefonnummer entgegen, danach öffnete er die Türen und entließ mich in meine Freiheit.
»Du hast wohl zu viele Horrorfilme gesehen«, scherzte ich und eilte auf mein zu Hause zu. Kurz bevor ich die Klingel nutzte, verbarg ich meine Verletzung unter der Jacke und sah Sit nach, der am Ende der Straße verschwand. Was für ein komischer Kauz. Er konnte unmöglich davon ausgehen, dass ich ihm diese Lügen abkaufe, oder?
Meine Mutter öffnete mir und ich trat erschöpft ein.
»Geht es dir gut? Die Sekretärin meinte, ein Freund würde dich nach Hause fahren. « Ich zwang mich zu einem Lächeln und nickte.
»Alles okay, ich befürchte ich habe mir etwas eingefangen. Am besten ich schlafe mich heute mal so richtig aus. « Meine Mutter willigte ein und verschwand sogleich in der Küche. Nach einer eiskalten Dusche, die mich eigentlich aufwecken sollte, kuschelte ich mich an meine Kissen und versank in Gedanken. Tausende Fragen drängten sich mir auf. Mein Kopf fühlte sich so unsagbar schwer an, dass ich meiner Kraftlosigkeit nachgab und meine Lider schloss.
Schnarchend versank ich in meinen Träumen…
Eine grüne Wiese, deren Geruch meine Sinne benebelte befand sich vor meinen Füßen. Die Gräser fuhren über meine Haut und fühlten sich dabei an, wie weiche Federn, deren Daunen man zumeist für die Kissenherstellung nutzte. Vorsichtig strich ich mein braunes Haar zurück und starrte gebannt auf das Spiel am Himmel. Die Wolken wechselten ihren Standort und verzauberten mich. Plötzlich drängte sich eine Finsternis in mein Abbild, was beinahe dem Paradies glich. Der Regen ließ nicht lange auf sich warten, doch statt einfachen Wassertropfen, fiel Blut auf die Erde. Das rote Elixier aller Lebewesen blieb auf meinem weißen Kleid hängen und verfärbte es. Die Blumen, Bäume und Tiere um mich herum verendeten. Ängstlich schaute ich mich um. Feuerbälle zerrissen den Boden unter meinen Füßen und ein tiefer Schlund tauchte vor mir auf. Ein Abgrund der Hölle, welcher bereits gierig die Finger nach mir ausstreckte. Ich auf der einen Seite und zwei Schatten auf der anderen. Erst als ich ihre Schreie vernahm, wusste ich, wer mir gegenüber stand. Meine Eltern winkten mir zu und erfreuten sich an meiner Erscheinung. In ihren Händen befanden sich Federn, wie ich sie nur von Engeln kannte. Weiße und schwarze Schwingen erhoben sich über unseren Köpfen. Der Spalt lockerte den Untergrund und eh ich mich versah, wurden jene die ich von ganzem Herzen liebte, von der Hölle verschlungen. Kreischend lehnte ich mich über den Abgrund und versuchte ihnen zu helfen. Eine Stimme brannte sich währenddessen in mein Herz.
„Glaube die Lügen nicht! Finde deine Bestimmung und erkenne an, wer du wirklich bist!“ Dabei ahnte ich jedoch noch nicht, was das zu bedeuten hatte. Denn als ich kehrt machte, der Verzweiflung nahe, umgab mich auf einmal ein helles Licht. Eine Macht durchströmte meinen Körper und zum ersten Mal seit langem fühlte ich mich, als könnte ich die Welt bezwingen. Bevor das Spektakel endete und sich mir mein Gegner für diese Schlacht zeigte, wurde ich von meiner Mutter aus den Träumen gerissen und erwachte.
Schwer atmend setzte ich mich auf. Es war wie am Morgen. Ein schreckliches Erlebnis, was in mir Zweifel weckte. Welche Lügen meinte mein Unterbewusstsein? Denn es war mir durchaus bekannt, dass man im Schlaf gewisse Dinge verarbeitet. Oft sollten uns Träume etwas offenbaren. Konnte es möglich sein, dass dieser Vincent das helle Licht als meinen Heiligenschein bezeichnete? War es ihm tatsächlich erlaubt, so etwas zu sehen?
Verwundert betrachtete mich meine Mutter und legte mir ihre Hand auf die Stirn.
»Du glühst ja förmlich und das ausgerechnet an deinem Geburtstag«, bemerkte sie und strich an meiner Wange entlang. Hatte Sit vielleicht Recht? Durfte ich meine Blutsverwandtschaft anzweifeln?
Erschüttert über meine eigenen Vorstellungen, ergriff ich den Zettel auf meinem Schränkchen.
»Mama, mir geht’s gut. Ich werde kurz den besagten Freund anrufen! «, antwortete ich ihr freundlich. Mit gemischten Gefühlen reichte sie mir eine Tasse Tee und verschwand im Flur.
Die Nummer war schnell eingegeben. Aber was erhoffte ich mir davon? Was genau würde ich von diesem Jäger, den ich nicht einmal seit einer Stunde kannte, erfahren? Egal, warum auch immer ich von dieser Sache so besessen war, mein Instinkt sagte mir, dass bald etwas Schreckliches auf mich zukommen würde.
Texte: Copyright by Marie-Luis Rönisch
Bildmaterialien: Cover by Casandra Krammer, Model: Toni Kretschel
Tag der Veröffentlichung: 03.08.2009
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Widmung:
Cover by Casandra Krammer