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Blutschnee

Der Van bewegte sich in Zeitlupe und fügte sich wie ein Puzzlestück in eine Reihe parkender Wagen.

Glück gehabt, dachte Ben Rogers, der das Einparken beobachtet hatte. Der einzige freie Parkplatz weit und breit. Ben hatte die Straße gut in Blick vom Dachgeschoßfenster seines Hauses. Zum Glück war er Raucher und hatte deshalb das Fenster geöffnet. So hatte er alles gesehen. Er war wahrscheinlich der einzige Zeuge. Perfekt. Wo blieb nur die Presse? Jemand stieg aus dem Van aus. Auf der Beifahrerseite. Er steckte sich eine weitere Zigarette an und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. Sie war fast leer getrunken, aber er spürte den Alkohol nicht eine Spur.

Da, der erste Pressewagen. Das Logo des Senders prangte in großen Lettern auf der Seite. Er fuhr direkt vor zu dem Absperrband der Bullen. Ein Polizist in Arktisausrüstung kam heran. Die Scheibe der Pressefuzzis fuhr herunter. Ein Typ mit Bart ließ sich blicken. Der Bulle redete mit ihm und hob immer wieder seinen Arm. Das sollte wohl bedeuten er soll sich vom Acker machen.

Beim Van tat sich was. Der Typ kletterte auf das Dach des Vans und er hatte eine Videokamera in der Hand.

Der Van hatte  einen Dachträger mit verbauten Holzlatten, vermutete Ben. Es war nicht genau zu erkennen, weil Schnee darauf lag. Raffiniert. Der Typ stand jetzt auf dem Dach und machte Aufnahmen. Wahrscheinlich freie Presseleute, die kleine Filmchen drehten und sie an die Sender verkauften. Gute Leute, sie waren zuerst da. Der andere Pressewagen fuhr rückwärts wieder die Straße hinunter, bog in eine Seitenstraße. Dort gab es zwar auch keine Parkplätze, aber dort kratzte es keine Sau, wenn sie den Wagen einfach abstellten.

So langsam wurde es Zeit aktiv zu werden. Er leerte die Flasche und schloß das Fenster, nahm eine weitere Whiskeyflasche aus dem Schrank, verließ das Zimmer und ging die Treppe hinunter. Unten angekommen, schnappte er sich seine Winterjacke und verstaute dort die Flasche in der Seitentasche. Einen dicken Pullover hatte er sich ja schon übergezogen. Die Handschuhe, der Schal, die Mütze folgten. Es war ja minus 15 Grad. Er ging hinaus in die Kälte. Der Weg führte um das Haus herum und er gelangte zur Straße. Er hatte sich entschieden. Er würde die Leute aus dem Van ansprechen. Sie schienen ihm alternativ. Vielleicht verrückt oder verzweifelt genug um auf seine Story anzuspringen. 

Der Fahrer war mittlerweile aus dem Van ausgestiegen. Er sah aus wie einer aus der Band ZZ Top. Der klassische Rauschebart klebte ihm im Gesicht, aber anstatt Sonnenbrille trug er eine Skibrille und eine selbstgestrickte bunte Pudelmütze vervollständigte den skurilen Eindruck. Um die Schulter trug er einen Cassettenrekorder an dem ein Mikro baumelte.

Also wenn das nicht alternativ war. Der mit der Kamera kam an seine Seite. Er sah unglücklich aus. Bestimmt nicht sein Traumjob. Wahrscheinlich ein Kerl, der seinem verrücktem Freund eine Nacht aushalf.

"Hey", rief Ben ihnen zu und schritt auf sie zu. Sie beachteten ihn nicht und machten sich auf dem Weg zum Ort des Geschehens. ZZ Top voran mit Mikro im Anschlag. Sein Kameramann filmte fleissig. 

"Hey Leute, ich hab alles gesehen" Das waren die Zauberworte. ZZ blieb auf der Stelle stehen und blickte ihn an.

"Tom, halte auf ihn darauf" Tom schwenkte die Kamera auf den ankommenden Mann.

Ben blieb stehen, winkte in die Kamera und sagte "Hi, ich bin Ben, ich wohne hier und hab alles von meinem Dachfenster beobachtet. Er drehte sich zu seinem Haus und zeigte auf das Fenster.

"Wie heissen sie Sir?" ZZ betonte das Sir.

"Mein Name ist Ben Rogers" Er lächelte und wartete die nächste Frage ab.

Ben, sie standen am Fenster und haben gesehen was passiert ist? Ist das richtig?"

"Ganz genau, ich ging an mein Fenster um eine Zigarette zu rauchen, das heißt ich öffnete das Fenster um zu rauchen, schaute hinaus und sah dann das Schreckliche, das geschah." Er nickte dazu und verdammt, er war aufgeregt.

"Können Sie unseren Zuschauern genau schildern was sich abgespielt hat?" ZZ betonte genau. Das soll er bekommen. Aber zuerst musste er noch nachfüllen. Vor laufender Kamera genehmigte er sich einen kräftigen Schluck. ZZ interessierte das anscheinend nicht und nahm es hin.

"Ich sah wie Kurt Miller und seine Frau die Straße hinunter liefen. Ich schaute ihnen nach, denn es gab nichts anderes zu sehen. Kurt blieb auf einmal stehen und seine Frau schaute ihn besorgt an. Kurt griff sich an die Brust, so als würde er einen Herzinfarkt haben. Mit der anderen Hand fasste er sich an den Hals. Er bekam wohl keine Luft. Dann ging er in die Knie und stützte sich mit der einen Hand auf den Boden und dann... ja dann explodierte er" Hier machte Ben eine Pause. Das wirkte bestimmt sehr gut.

"Ben, sie sagen er explodierte. Unsere Zuschauer fragen sich bestimmt was sie damit meinen. Ein Mensch explodiert ja nicht so ohne weiteres. Haben sie dafür eine Erklärung?" ZZ hielt ihm wieder das Mikro entgegen. Sein Freund filmte um sein Leben.

"Tja, schwer für mich zu sagen. Also er hat keine Handgranate geschluckt. Er explodierte in sämtliche Einzelteile und seine Frau schrie vor lauter Entsetzen. Sie blieb von der Explosion unberührt, also ausser dass sie von oben bis unten mit ihrem Mann bedeckt war und seine Teile sind überall hin geflogen, der Schnee war überall rot besprenkelt. Er ist ziemlich intensiv explodiert. Man kann sich darunter nicht vorstellen, dass große Teile weggeschleudert worden sind. Es sah eher so aus als wäre er auf zellularer Ebene kleinmolekular zerfetzt worden." Ein Hochgefühl durchstömte ihn. Das hatte er nahezu perfekt beschrieben. Er strahlte über das ganze Gesicht. Das musste die Zuschauer noch mehr irritieren. Sie würden gebannt vor dem Fernseher sitzen und nicht mehr wegschauen können. Er hoffte ZZ würde jetzt nicht unterbrechen sondern den besonderen Moment natürlich einfangen.

ZZ sah aus als hätte er einen Engel erblickt. Entrückt und belebt von der unglaublichen Story improvisierte er sein Meisterstück.

"Ben würden sie uns zu dem Ort des Geschehens begleiten und den Zuschauern dieses Unbegreifliche versuchen noch näher zu bringen."

"Gerne, kommen Sie" Ben ging voran, ZZ an seiner Seite. Dem Kameramann gingen hoffentlich nicht die Batterien zur Neige.

Ein Krankenwagen mit Blaulicht fuhr vorbei. Wahrscheinlich für Eve Miller. Nach ihrem Schreianfall war sie ohnmächtig zusammengebrochen. Danach strömten dann die aufgeschreckten Nachbarn von überall die Straße. Viele waren immer noch da und unterhielten sich in Grüppchen und versuchten irgendwelche Neuigkeiten zu erfahren.

Ben gelangte ans Absperrband. Er geriet in den Ton eines Touristenführers.

"Hier sehen sie die Stelle wo er explodierte" Ben zeigte auf den blutigen Schnee.

"Sie sehen praktisch überall seine Überreste. In ihm muss sich eine gewaltige Energie zusammengeballt haben und seine Körperzellen kamen damit nicht klar und dann bahnte sich die Energie sozusagen einen Ausgang und es zeriss ihn."

"Ben, die Zuschauer fragen sich was das für eine Energie sein soll, von der sie sprechen?"

"Vom Fenster aus sah es wie ein Energieball aus" Ben nahm wieder einen Schluck aus der Pulle.

"Sie sahen einen Energieball?" ZZ überschlug sich fast

"Wissen Sie, im Moment der Explosion flog ja nicht nur Kurt in die Luft, sondern auch das was in ihm drin steckte"

" Sie haben es gesehen?"

"Nun, im ersten Moment nicht, aber aus dem Augenwinkel nahm ich war wie etwas in den Schneebergen landete" Ben deutete auf die aufgetürmten Schneemassen, die die Anwohner im Laufe der letzten Wochen, nach den heftigen Schneefällen, zu großen Bergen aufgeschaufelt hatten.

"Und es glich einem Energieball, so haben sie es beschrieben?"

"Nun, ich sah ein großes Loch im Schnee und es sah für mich so aus, als wäre ein heisser Ball in den Schnee gefallen und hätte den Schnee dort an der Stelle weggeschmelzt"

"Können sie uns die Stelle zeigen?"

"Na klar, kommen sie" Auf dem Weg dorthin nahm er wieder einen Schluck. Er führte sie zu einer Stelle wo man einen einen Ausgang aus dem Schneeberg sehen konnte. Viele Menschen wurden auf das Interview aufmerksam und folgten ihnen.

Ben blieb vor dem Ausgang stehen.

"Hier kam es raus" sagte er knapp. Die Leute tuschelten wild durcheinander. Jemand rief "Ben du alter Säufer, du siehst schon Gespenster!!" Einige lachten.

"Dort ist es hingeschleudert worden" Er zeigte in die Richtung.

"Es war im Schnee auf dem Grund geschmolzen, nahm dann die Richtung zur Straße und kam an dieser Stelle heraus"

"Und wohin ist es dann?"

Ben schaute auf den Boden und zeigte auf ihn.

"Hier kann man es deutlich sehen. Sehen sie die Spur durch die frische Schicht Schnee?" Zzs Kameramann schwenkte die Einstellung auf die Spur im Schnee. Sie führte die Straße hinunter. 

"Kommen Sie" Ben ging voran, ZZ an seiner Seite. Der Pulk folgte

"Handelt es sich ihrer Meinung nach um ein lebendes Wesen"

"Ja, das glaube ich, ein Wesen aus einem anderem Universum, vielleicht zufällig in unseres geraten. Gestrandet in einer für sie fremden Welt. Einer kalten Welt. Es sucht Zuflucht und findet Kurt und versteckt sich vor der Kälte in ihm. Es hilft, aber nur kurz. Der Körper von Kurt kommt mit dem Wesen nicht klar und explodiert.

"Woher wissen sie dass es ein intelligentes Wesen ist?" fragte ZZ. Kurt liess sich mit der Antwort Zeit, nahm erst seinen Alkohol zu sich.

" Weil es auf dem Weg angehalten hat"

"Und dann?"

"Ja, dann hat es mich angeschaut, es hat mich angesehen. Nicht mit irgend welchen Augen. Aber ich wusste in den Moment, es schaut mich an." Er machte eine Pause und zog die Flasche aus der Tasche.

"oder besser gesagt, es hat dies hier gesehen" Er schüttelte die Flasche.

"Sie meinen es brauchte den Alkohol?"

" Nein, es brauchte einen Körper der unter Alkoholeinfluss stand. Das waren Bedingungen für ihn, die nicht zu einer Explosion führen, verstehen Sie? sagte Ben und nahm wieder einen kräftigen Schluck...

 

 

                                                                                    Ende

 

 

 

 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 25.09.2020

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