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Ich rette dich

Bernie schlurfte die Treppen hoch. Das Apartmenthaus in dem er wohnte, hatte 6 Stockwerke und seine 1-Zimmerwohnung lag direkt unter dem Dach. Der Fahrstuhl funktionierte wieder mal nicht. Bernie hatte es aufgegeben zu reklamieren. Mister Eloy, der Hausmeister der ständig eine Zigarre im Mundwinkel hängen hatte, wurde zusehends unfreundlicher mit jeder Beschwerde. Bernie fehlte auch der Mut permanent auf seine Interessen zu pochen oder durchzusetzen.

Auf dem Weg nach oben traf er noch weitere Probleme, die ihm das Leben in diesem Haus schwer machten. Mister Kesselhoff lief an ihm vorbei, natürlich ohne zu grüßen. Er hatte es wieder mal eilig. Die Kesselhoffs lebten ein Stockwerk unter ihm und Bernie musste oft die Ehestreitigkeiten des Paares mit anhören, die oft auch in Gewalttätigkeiten endeten. Dann flogen irgendwelche Gegenstände an die Wände und Mrs Kesselhoff begann dann mit schriller Stimme zu schreien.

Im dritten Stockwerk lebte eine ältere Dame, die ihm auf dem Geist geht. Bernie versuchte zwar so leise wie möglich an ihrer Tür vorbeizuschleichen, doch jedes mal riss die alte Schachtel die Tür auf und begann auf ihn einzuschimpfen. Dabei wollte Bernie ihr nur einmal freundlich helfen die Einkaufstaschen nach oben zu tragen und diese kleine gebückte  harmlos aussehende Frau  hatte sich in einen feuerspeienden Drachen verwandelt, der anstatt Feuer hässliche Schimpfwörter ausspuckte. Auch dieses Mal wurde Bernie nicht verschont.

Dann gab es noch die Familie mit den vielen Kindern, die regelmäßig Fußball in der Wohnung spielten oder der Nachbar der sich entschlossen hatte das Trompetenspielen zu lernen und dabei eine ziemliche Ausdauer an den Tag legte. Die Liste von Ärgernissen war lang und Bernies Kraft das alles zu ertragen, schwand von Tag zu Tag.

Der einzige Lichtblick war die junge Studentin, die kürzlich auf seinem Stockwerk eingezogen war. Sie besaß so eine frische fröhliche Art und lächelte so verschmitzt, wenn er ihr begegnete. Aber bisher fehlte ihm der Mut sie einmal anzusprechen. Vielleicht lag es auch an den Kopfhörern, die stets in ihren Ohren steckten.

Bernie war endlich oben angelangt und öffnete die Tür. Als die Tür ins Schloss fiel, verschwand all das Böse in der Welt und Bernie war in seinem Reich angekommen. Die saubere nach Lavendel riechende Wohnung hieß ihn willkommen. Alles in diesem kleinen Apartment hatte seinen Platz und so landeten seine Schuhe in dem Schuhschrank und seine Jacke wurde ordentlich in den Schrank gehängt. Für den Rucksack gab es eine Aufhängung im Flur. Die Sachen die Bernie eingekauft hatte, wurden sofort von ihm ausgeräumt und die zuständigen Orte weiterverteilt. Später würde er noch eine Kleinigkeit kochen, aber zuerst wollte er die Nachrichten in dem neuen Kennlernforum checken, dass er kürzlich entdeckt hatte. Die Aufmachung hatte ihm sehr gut gefallen und so hatte er sich angemeldet. Das schwierigste war die vielen Fragen über sich zu beantworten. Unendlich viele Seiten mit Fragen gab es zu bewältigen und Bernie musste tief in sich gehen und sich erforschen und beim Beantworten der Fragen so ehrlich wie möglich sein. Nur so konnte sichergestellt werden, die passenden Persönlichkeiten für ihn herauszufiltern.

Die Fragen waren wirklich ausgeklügelt gewesen. Wie er über die Mondlandung dachte, wie er sich in verschiedenen Situationen verhalten würde, seine Schwächen und seine Stärken wurden ausgelotet und wie seine Traumfrau beschaffen sein sollte. Merkwürdigerweise dachte er beim Ausfüllen der Fragen an die schöne Studentin auf seinem Stockwerk.

Das Ausfüllen der Fragen hatte viel Zeit in Anspruch genommen und Bernie saß gestern noch bis spät in die Nacht vor dem Pc. Heute der lange Tag im Büro. Die ganze Zeit musste an seine Traumfrau denken und er war sehr gespannt auf die Vorschläge, die ihm vielleicht heute schon ins Haus flatterten.

Die Maske des Online-Portals öffnete sich. In dem Reiter Vorschläge leuchtete eine rote 3. Aufgeregt klickte er darauf. Die Seite mit den Vorschlägen erschien. Drei Fotos waren zu sehen. Bernies Augen sprangen zu jeden der Profilfotos und saugten den ersten Eindruck auf. Alle drei waren Blondinen mit langen lockigen Haaren. So liebte es Bernie und so hatte er es ja bestellt. Bernie war überrascht, dass es anscheinend genau die Frauen gab, die in seiner Phantasie schon so oft Gestalt angenommen hatten. Alle drei Gesichter gefielen ihm auf Anhieb. Ein wohliges Gefühl flammte in ihm auf. Es war gut gewesen sich hier anzumelden. Über die monatliche Gebühr konnte man auch nicht meckern.

Ein Chatfenster poppte mit einem angenehmen Laut auf. Bernie erschrak im ersten Augenblick. Es war als würde jemand direkt in seine Wohnung blicken. Das Bild von Nr.3 war verkleinert zu sehen. Darunter ihr Nickname: Black Sonja 35. Die Nachricht bestand nur aus einem Wort

 

Hi

 

Das ging ja alles sehr schnell. Einen Moment lang dachte Bernie zu kneifen und nicht zu antworten. Aber wie würde das denn aussehen? Nein, er muss jetzt loslegen und die Chance ergreifen.

 

 

Oh, Hallo

 

Wie klang das denn? Das war doch eine ziemlich blöde Antwort. Mehr fiel ihm aber nicht ein.

 

Möchtest du reden?

 

Na klar wollte er reden. Er hoffte nur sie meinte weiterhin das Schreiben. Ein Videogespräch wäre ihm doch etwas zu schnell vorgekommen.

 

Ist schreiben fürs Erste okay?

 

Der Kursor blinkte genauso nervös, wie er sich fühlte.

 

Klar doch

 

Hoppla, jetzt war der Ball bei ihm. Wie sollte er jetzt beginnen? Was sollte er nur schreiben? Ein plumpes "Wie gehts"?, oder wie ist dein Name? Wahrscheinlich Sonja. Aber was bedeutet das Black? Die Haarfarbe kann es ja nicht sein.

 

Hallo Sonja. Richtig? Freut mich dich kennenzulernen. Mein Name ist Bernie

 

Sein Name war in seinem gewählten Nickname nicht erkennbar. Sein Chatname lautete BigBear 85.

 

Hallo Bernie. Freut mich auch

 

Das war doch gar nicht so schwer. Bisher lief es doch ganz gut. Er musste erst mal in Schwung kommen.

 

Von wo aus chattest du?

 

Er hatte ja noch keine Zeit ihr Profil genau zu studieren. Um nicht schon zu Anfang die Auswahl stark einzuschränken, hatte er ganz USA angeben. Hoffentlich war sie nicht all zu weit entfernt.

 

Ich werde das Ende in Boston erleben und Du?

 

Bernie starrte auf den Satz und las ihn mehrere Male. Was meinte sie mit dem Ende? Sollte er darauf eingehen oder es für den Anfang einfach ignorieren?

 

Was meinst du mit Ende? Ich chatte aus Louisville.

 

Wie weit war Boston von Louisville entfernt? Bernie wusste es nicht genau. Ziemlich weit.

 

Ich meine natürlich das Ende der Welt

 

Das Ende der Welt? Wovon redet sie da? Ist der erste Kontakt gleich eine Spinnerin?

 

Sorry, verstehe nicht ganz. Soll das ein Witz sein??

 

Sorry, Witz deinerseits? In zwei Stunden ist alles vorbei. Bist du noch in der Leugnungsphase?

 

???...hab echt keine Ahnung wovon du redest.

 

In zwei Stunden ist unser Planet nur noch Staub und Asche. Hör zu, ich brauche jemand zum Reden und kein Ignorierer...

 

Bin kein Ignorierer. Weiß bloß nichts von einem Ende der Welt. Hier bei uns ist alles in Ordnung.

 

Hörst du keine Nachrichten. Alles ist voll davon. Seit Monaten wird über nichts anderes berichtet. Der Komet der uns treffen wird...hallo..Nie gehört?

 

Sie muss verrückt sein. Verfolgungswahn, oder so etwas Ähnliches. Sollte er abbrechen? Schluss machen. Eine Nachricht erscheint. Der User Black Sonja 35 lädt Dich zum Videochat ein. Annehmen-Ja-Nein? Hm, Bernie war am Überlegen. Er klickte auf Ja. Die Frau auf dem Foto saß jetzt vor ihm. Sie hatte einen hellblauen Jogginganzug an und ihre blonden Haare waren zu einem Zopf gebunden. Bernie erschrak über ihren Gesichtsausdruck. Pure Angst spiegelte sich darin wider. Diese Frau war in Panik. Tränen kullerten ihre Wangen hinunter. Sie wischte sie weg. Im Hintergrund hörte man lautes Geschrei und waren das Schüsse? Bernie wusste nicht was er machen sollte. Er starrte einfach nur entsetzt auf das Bild vor ihm.

 

Bitte, können wir einfach nur reden

 

Sie schluchzte und ihre Stimme zitterte.

 

Was passiert da?

 

Konnte sie seine Stimme auch hören. Er war sich nicht sicher, es war das Videogespräch für ihn.

 

Die Menschen spielen verrückt. Es gibt Plünderungen, Vergewaltigungen und Menschen schießen einfach wild um sich. Ich hätte das nicht für möglich gehalten. Ich dachte die Menschen würden sich gegenseitig trösten und helfen. Aber sie verhalten sich wie Tiere. Bekommst du davon alles nichts mit?

 

Bernie war wie elektrisiert. Es war einfach unglaublich.

 

Nein, bei mir ist alles in Ordnung. Kannst du es mir zeigen?

 

Sie wischte sich die Tränen weg und griff nach der Kamera. Das Bild verwackelte und Bernie bekam andere Blickwinkel  vom Zimmer zu sehen. Sie hatte so eine Art Blockade vor ihrer Wohnungstür errichtet. Ein Schrank oder Kommode war davor geschoben. Oben auf der Kommode stand zusätzlich ein Kühlschrank. Wie hatte sie nur den Kühlschrank dort herauf bekommen? Bernie sah die seitliche Wand mit einer Blumentapete und einem Riss in der Wand? Das sah merkwürdig aus. Aber dann war das Bild schon wieder ein anderes. Jetzt sah Bernie das Fenster. Sonja schlich sich mit der Kamera dort hin. Bernie sah ein Haus auf der anderen Straßenseite in Flammen. Menschen sprangen aus den Fenstern auf die Straße herunter. Mein Gott. Sonja richtete die Kamera auf die Straße. Leute rannten in Panik umher. Dann waren wieder Schreie zu hören. Sie kamen aber nicht von der Straße, sondern waren ganz nah. Die Kamera fuhr herum. Jetzt war wieder die Eingangstür zu sehen.

 

Oh nein, bitte nicht

 

Bernie begriff die Situation nicht

 

Was ist denn da los?

 

Stimmen, Gegröle war zu hören und dann wieder Schreie.

 

Sie sind hier auf der Etage. Sie werden auch zu mir kommen.

 

Die Kamera wich in die Ecke zurück

 

Wer kommt?. Wer ist das?

 

Bernie packte das Entsetzen. Er spürte die Angst von Sonja die mit zitternder Hand noch immer die Kamera auf die Tür gerichtet hielt. Sonja sagte nichts mehr sondern schluchzte ungehemmt. Das Bild verwackelte wieder. Sie stellte die Kamera irgendwo ab. Die Blumentapete kam wieder ins Bild und der Riss in der Wand. Bernie konnte ihn nun klar sehen. Es sah aus als hätte jemand mit einem heißen Messer durch die Tapete gefahren. Wie eine Krallenspur.

 

Sonja, was ist das für ein Riss in der Wand?

 

Das Stimmenwirrwarr auf dem Flur schwoll an. Sie kamen näher. Eine Tür wurde eingetreten und wieder Schreie.

 

Was meinst du?

 

Rechts von dir an der Wand. Ein merkwürdiger Riss.

 

Ich sehe nichts.

 

Geh zur Wand. Ungefähr in der Mitte.

 

Warum?

 

Bitte mach es. Ich hab so eine Ahnung.

 

Nach einem kurzen Moment erschien Sonja im Bild. Sie ging auf die Blumentapete zu. Immer wieder schaute sie auch ängstlich zur Tür und zu den schrecklichen Geräuschen dahinter.

 

Jetzt bist du ganz nahe. Taste dich an der Wand lang. Etwas links von dir.

 

Ihre Hand fuhr auf der Tapete entlang. Dann berührte sie den Riss und zog ihre Hand erschrocken zurück.

 

Autsch

 

Es war als hätte sie einen elektrischen Schock bekommen.

 

Hör zu Sonja. Was ich die jetzt sage hört sich bestimmt verrückt an, aber ich glaube ich weiß was hier passiert ist. Unsere Welt ist nicht gleich. Du musst in einer Art Parallelwelt leben. Neben meinem Universum sozusagen. Der Komet oder Asteroid oder was es auch ist, rast auf eure Erde zu und macht dieses Phänomen möglich, dass wir miteinander reden können. Ich glaube, das ist möglich durch den Riss. Versuch mal deine Hand durchzustecken.

 

Er hörte sich selber die Worte sprechen und das war einfach nur verrückt. Sonja dachte das wahrscheinlich auch, denn ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.

 

Das klingt crazy

 

Bitte versuch es. Stell dir eine Wand aus Papier vor und einem kleinen Einriss. Schlag mit der Faust durch das Loch.

 

Sie ballte die rechte Faust, sah aber noch etwas unschlüssig aus. Sie zuckte zusammen. Etwas donnerte gegen ihre Tür.

 

Sonja, mach es.

 

Sie schaute zur Tür, dann wieder zur Wand. Sie ballte wieder ihre Faust und mit Schwung schlug sie auf die Stelle an der Wand. Sie schrie auf und die Faust verschwand in der Wand. Es gab einen Knall direkt hinter Bernies Kopf, als wäre ein Feuerwerkskörper explodiert. Bernie zuckte zusammen und drehte sich um. Mitten in der Luft war eine Hand zu sehen. Sonjas Hand. Sie öffnete die Faust und die Finger fuhren aus. Instinktiv warf sich Bernie nach vorne und ergriff die Hand. Sie stöhnte auf und gab einen Laut der Erleichterung auf, oder war es Überraschung? Jemand trat  mit aller Gewalt gegen die Tür. Sie kamen. Die Kommode sprang ein Stück zurück. Sie würden gleich hier hereinbrechen.

 

Halt mich fest. Bitte Bernie halt mich fest

 

Bernie zog mit aller Kraft an Sonjas Hand. Ihr Arm erschien. Meine Güte. Bernie konnte nicht begreifen was hier geschah. Alles was er tat, geschah aus Intuition. Die Luft schlug Wellen und es knisterte. Sonjas Kopf schlüpfte hindurch und sie japste nach Luft. Sie schoss durch die Öffnung, als würde sie an die Wasseroberfläche kommen und endlich wieder Luft in die Lungen bekommen. Mit aller Kraft die er besaß, zog Bernie an ihr. Stück für Stück kam sie wie aus einem Schlammloch hervor. Als wäre sie dort eingesunken und schmatzend und ächzend entwand sie sich aus dem Tode. Dann plumpste sie heraus und Bernie fiel mit ihr auf den Zimmerboden. Die Tür brach auf und Männer stürmten hinein. Sie hielten Macheten in der Hand, von denen Blut heruntertropfte. Sie befanden sich im Blutrausch. Dieses Rudel durchsuchten das Zimmer, schauten im Kleiderschrank nach, unter dem Bett und in jede Ecke. Sie fauchten enttäuscht, weil sie keine Beute fanden und stürmten wieder aus dem Zimmer.

Sonja keuchte und klammerte sich mit festem Griff an Bernie. Ihr ganzer Körper zitterte.

 

Danke Bernie, danke. 

 

Bernie wischte ihr die schweißnassen Haare aus dem Gesicht

 

Gern geschehen, freut mich dich kennenzulernen.....

 

 

                                   Ende

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 20.08.2017

Alle Rechte vorbehalten

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