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Sie gehörte nicht mehr in diese Welt. Sie gehörte zu den Engel.

Die Wellen prallten mit einer gewaltigen Kraft gegen die Felsen.Das kleine schwarzhaarige Mädchen konnte von ihrem, auf dem höchsten Felsen gebauten, Haus niemanden am Strand ausmachen. Seit Tagen trieb sich dort niemand mehr rum.

Nur nachts, wenn alles still wurde und nur noch die Wellen an den Felsen brachen, hörte sie in der Ferne, wahrscheinlich auf den Klippen, Gesang aufsteigen, der ihr mysteriöserweise bekannt vorkam.Das kleine Mädchen trat an das große Panoramafenster und starrte in die Nacht hinaus.

Der Vollmond spiegelte sich in jener Nacht in ihren kalten schwarzen Augen.

,,Komm zurück!“ , sie wollte es in den Sand am Meer schreiben. In die brechenden Wellen schreien und weinend auf dem Boden vor diesen zusammenbrechen.

Aber das Einzige, was sie konnte, war an ihrem Fenster zu stehen und in die Nacht zu schauen.

Wie sollte sie bloß aus diesem Gefängnis rauskommen?

Sie war nicht wie ihre Mutter, sie war nicht so. Aber er sah das nicht so.Er schloss sie ein, als wäre sie ein Gegenstand. Irgendetwas, was er besäße. Aber er brauchte sie nicht zu beschützen. Niemand würde ihr etwas tun.Er wurde verrückt. Unfassbar verrückt. Seit sie gegangen war, schloss er alles ab, ließ sie nicht ohne seine Aufsicht nach draußen und hielt sie von jeglichem Kontakt fern.

Vielleicht war es auch sie selbst, die verrückt wurde. Vielleicht bildete sie sich das einfach auch alles ein und wollte nur einen Schuldigen suchen, der ihrer Mutter das antat, was sie selbst zu verschulden hatte.

Sie lief zur Tür, suchte nach dem Schlüssel, der sie von der Freiheit trennte, aber nichts. Nein, sie war nicht verrückt. Sie war nur einsam. Abgeschottet von der Welt, die sie so gefühlskalt hat werden lassen.

Ganz plötzlich fing sie an zu lachen. Einfach so, ohne jeglichen Grund. Drehte der Fensterscheibe den Rücken zu und ließ sich hinuntergleiten. Sie lehnte ihren Kopf an die kühle Scheibe und dachte über die letzten 5 Jahre nach, die sie in dieser Gefangenschaft verbrachte.

Sie verlor ihre Mutter, ihren besten Freund und all die Menschen, die ihr etwas bedeuteten, und das alles war die Schuld von ihrem Vater.

Obwohl, es war die Schuld seiner Krankheit.

Ein neun Jahre altes Mädchen sollte doch draußen spielen, sich die Hörner draußen in der Welt abstoßen und Erfahrungen machen, die sonst niemand für sie machen konnte, doch anstatt das zu tun, wurde sie nach dem Freitod ihrer Mutter, auf den Klippen, in diesem riesigen Zimmer eingesperrt.

Er kauft ihr alles, was sie brauchte. Doch das war sie wirklich wollte, das konnte er ihr schon lange nicht mehr geben. Sie vermisste einfach ihre Mutter, sie vermisste das Gefühl der Freiheit auf den Klippen und die Wärme ihres besten Freundes hinter ihr.

Das kleine Mädchen verfiel in einen kurzen Schlaf und sie träumte von früher.

,,Violett, möchtest du mit zu den Klippen?“, meine Mutter stand unten am Treppenansatz und schaute mich mit meinen schwarzen Augen an. Okay, es waren nicht meine, sondern ich schaute sie eher mit ihren an. Ich nickte vor Freude strahlend, rannte die Treppe hinab zur Haustür und lief dabei fast meinen besten Freund um.

,,Oh, hallo David , möchtest du auch mit zu den Klippen?“, Mama schaute von mir zu David und wieder zurück. Er hatte bereits seine Hände auf meine Schultern gelegt und sein Kinn auf meinem Kopf platziert. So standen wir immer da, wenn meine Eltern mit einem von uns redeten. Obwohl, nur meine Mutter redete mit ihm. Vater verließ immer wortlos den Raum, in dem wir uns befanden.

David schaute meine Mutter an und lächelte, auch sie lächelt, jedoch war ihr Lächeln eher betrübt als fröhlich.

Der Weg zu den Klippen war weder anstrengend noch sehr weit, aber David trug mich dennoch immer wieder huckepack nach ganz oben. Er meinte, kleine Mädchen, wie ich, könnten selbst so einen kurzen Weg nicht alleine schaffen.Meine Mutter kannte den Weg in und auswendig, deswegen konnte sie sich immer wieder zu uns umdrehen.

Immer, wenn wir dort oben waren, saßen wir an dem Rand der Klippe, ließen unsere Füße hinunterbaumeln und wenn manche Wellen, die hoch genug waren, an diesen Felsen brachen, wurden unsere Füße nass und wir grinsten uns an.

Auf dem Heimweg verabschiedete sich David, da er im Inneren des Dorfes lebte und von den Klippen war es nicht weit bis zu ihm. Mama und ich liefen dann immer Hand in Hand zurück wohl wissen, was uns oder eher gesagt ihr gleich blühen wird.

Wir kamen am Haus an und mein Vater stand mit verschränkten Armen in der Wohnzimmertür und starrte uns beide, die vor Freude grinsten, argwöhnisch an.

,,Na, war es schön mit diesem Schmarotzer rumzulaufen?“ Ich schaute meinen Vater an, ließ die Hand meiner Mutter los und sagte:,, Ich geh mir etwas zu trinken holen.“ Doch als ich an meinem Vater vorbei gehen wollte, hielt er mich am Handgelenk fest, schubste mich zu Mama zurück und schaute mich hasserfüllt an. Dann ging er einen Schritt auf mich zu, griff nach meiner Hand und zog mich wie jedes Mal nach oben in mein Zimmer, schmiss mich geradewegs hinein, knallte die Tür zu und verschloss sie. Mittlerweile hatte ich aufgehört, immer wenn er das tat, anfangen zu heulen, zu kreischen und gegen die Tür zu hämmern. Er würde so oder so nicht aufschließen.

Ich hörte, wie er nach unten ging. Meine Mutter saß wahrscheinlich bereits im Wohnzimmer und wartete, dass mein Vater anfing wieder herumzuschreien, so wie er es immer tat.

Ich hatte einen Grund, warum ich mir das Nörgeln abgewöhnt habe. Eine kleine Luke im Dach, wo ich mein Zimmer habe, eröffnete mir einen Ausgang zu einer ganz anderen Welt.

Über meine Spielzeugkiste kam ich, an die hinter der Tapete versteckte, Dachluke heran und konnte so einfach dem Geschrei meines Vaters entfliehen und wurde von der Stille und der Dunkelheit verschluckt.

Das war der letzte Tag, an dem ich mit einer Mutter und David an den Klippen war, denn genau in dieser Nacht hörte ich zum ersten Mal diesen Gesang und in dieser Nacht sprang meine Mutter, wahrscheinlich von Kummer getrieben, von der Klippe.

Schweißgebadet wachte Violett auf und wieder einmal hörte sie diesen Gesang, doch diesmal wusste sie, wie sie aus diesem Gefängnis, was einmal ihr zu Hause war, entkommen konnte.

Ich blieb noch einige Minuten still, um zu hören, ob sie ihren Vater irgendwo hörte, und machte sich dann daran, ihre alte Spielzeugkiste aus einer Ecke zu dem Punkt der Luke zu ziehen, die Tapete ein Stück abzukratzen und herunterzuziehen, um dann die Dachluke aufzuklappen, sich mit aller Kraft nach oben zu ziehen und dann mit vorsichtigen Schritten über das Dach zu der alten Feuerleiter zu laufen.

Langsam und mit bedächtig leisen Schritten kletterte sie die langsam rostende Leiter hinunter und kletterte, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte über die verdorrte Hecke, um dann im Sprint den kleinen Pfad zu den Klippen hinauf zu rennen.

Eigentlich wollte Violett noch ins Dorf laufen, um zu sehen, ob es David gut geht und wie es den Leuten in all den Jahren ergangen ist, aber dieser Druck, der noch immer auf ihr lastete, trieb sie immer weiter in Richtung der großen Klippe.

Oben angekommen stoppte sie abrupt in ihrer Bewegung und kniete sich an einen großen Stein.

Ihre Augen hatten sich bereits vor Jahren an die Nacht gewohnt, sodass sie ohne Probleme die Innschrift des Steines lesen konnte.

Mit goldener Farbe standen dort 2 Namen und 2 Daten.

Rebekka Selone – † 16. Mai 2009

David Melbourn – † 26. Juni 2012

Sie wählten den Freitod, weil sie ihren Liebsten näher sein wollten.

Violet schaute diese beiden Namen an und runzelte die Stirn über den Spruch.

Und dann merkte sie, wie ihr eine Träne die Wange hinunterlief. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass David, ihr bester Freund, sich umgebracht hatte, sie wusste gar nichts mehr von der Außenwelt und ganz plötzlich hatte sie dieses Gefühl gar nicht mehr in diese Welt zu gehören.

Sie gehörte in die Nacht. Zu den Sternen, zu den Engeln, zu ihren Liebsten, denn all diese warteten bereits dort oben auf sie, bloß sie begriff es erst jetzt.

Sie trat leichten Schrittes zum Rand der Klippe.

Schaute noch ein letztes Mal zum Horizont. Fing an zu lächeln und das Lied, welches sie jahrelang von den Klippen hörte zu summen und mit einem Mal wusste sie, was das Meer für eine Bedeutung für ihre Mutter hatte.

Es fing die Verlorenen der Welt auf. Diejenigen, die nicht mehr wissen, wohin sie gehören.

Und so jemand war die Mutter von Violett, war ihr bester Freund. So jemand war sie selbst.

Und mit einem so leichten Gefühl, welches sie schon seit Jahren nicht mehr hatte, drehte sie dem Horizont und dem tosenden Meer den Rücken zu, breitete ihr Arme aus und ließ sich vom Meer unter ihr auffangen.

Ihr letzter Gedanke galt ihrem Vater, von dem sie hoffte, dass der die richtige Entscheidung für sein Leben treffen wird.

Und dann wurde alles schwarz.

 

Nachts, wenn alles still ist,

sehe ich in die Unendlichkeit.

Und stelle mir vor,

Genau jetzt, zur gleichen Zeit

Blickst du nach oben,

zu meinem Stern,

und denkst an mich.

 

Ich irrte durch die Welt.

Und du bist in irgendeinem Punk

tin deinem Leben falsch abgebogen.

Wir sind verlorenen im Wirbel der Stürme.

Mit Sehnsucht im Herzen,

Eine offene Wunde

Die sich niemals schließt.

Rache ist eine Art wilde Gerechtigkeit

Ein Leben, so wie ich es führte, war nicht leicht. 

Es war nicht einfach allein Fuß in einer völlig fremden Stadt zu fassen, aber ich hatte es versucht.

 Obwohl so völlig fremd war mir diese Stadt doch nicht. 

Ich bin hier als Kind aufgewachsen, man müsste meinen ein Kind, das in einer Stadt namens Sweet Amoris aufgewachsen ist sollte ein erfülltes Leben haben, aber dem ist nicht so. Es war irgendwie melancholisch wieder hier herzukommen, an dem Ort wo mein Verderben geschrieben wurde.

Ich wusste, dass er noch hier lebte. Wusste, dass er sich ein wunderbares Leben aufgebaut hatte, ohne seine Schwestern, ohne seine Eltern. Wirklich melancholisch.

Ich stand in genau diesem Moment, als ich ihn sah, vor meinem damaligen Elternhaus oder eher gesagt vor den Trümmern meines damaligen Elternhauses.

Ich hatte mir geschworen zurückzukommen, aber warum ich es tatsächlich tat, wusste ich bislang eigentlich gar nicht. Eigentlich hatte ich ein Stechen in der Brust erwartet, dort wo früher mal mein Herz schlug, welches sich zu Stein gewandelt hatte, aber dort war nichts. Ich spürte kein Schmerz, keine Trauer. Nicht einmal Hass und Verabscheuung. Also das meinten alle, die mir sagten, ich sei herzlos und eiskalt. Ob ich aus Rache an ihn wieder hergekommen war, um ihn ein Leben in der Hölle zu bescheren oder einfach nur, um zu sehen, wie es ihn quält, ich weiß es nicht. Langsam und mit ruhigen Schritten lief ich die Treppen hinunter zum Ansatz des Bürgersteiges. Und dort stand er, mein großer Bruder. Mein Bruder Castiel. Ich stand direkt vor ihm und schaute ihm in sein Gesicht. Und ihm konnte man den Schock, mich wiederzusehen, in den Augen ablesen. 

„Violet.“, vorsichtig sprach er meinen Namen aus, so als könnte es sein, wenn er ihn sagen würde, dass ich sofort verschwinde. Castiel streckte die Hand nach meinem Gesicht aus, aber ich wich zurück und spuckte ihm förmlich ins Gesicht.

„Pfoten weg, du... Wenn du es auch nur wagst, mich anzufassen, dann gnade dir Gott!“ Ich versuchte mich zuberuhigen, was auch einigermaßen möglich war, aber ich war immer noch auf 180.

„Ich weiß, du bist nicht hier, weil du mich vermisst hast, aber ich...“ „Was du? Du hast es nicht gewollt, dass das Haus in Flammen aufgeht. Du hast es nicht gewollt, dass Mum und Dad und Hanna in dem Feuer verbrennen. Du dachtest nicht, dass du mich jemals wiedersehen wirst, BRUDERHERZ? Du hast nicht nachgedacht, was du tust? Du konntest die Situation nicht einschätzen? Willst du mir das sagen?“

Ich schnaubte verächtlich und in mir fachte eine so große Wut auf, sodass ich nicht wusste, ob ich ihn nicht sofort köpfen sollte oder ihn irgendwo den Hunden zum Fraß zuwerfen sollte.

„Du kannst vom Glück reden, Castiel, dass du noch am Leben bist. Du kannst mir danken, dass ich dich nicht sofort irgendwo lebendig begraben habe. Du hast sie nicht gesehen, wie sie unter einem der brennenden Holzbalken liegen und dich anflehen deine Schwester zu retten. Du warst nicht dabei. Du hast keine Ahnung was ich durch machen musste.Aber glaube mir ,Bruder, solange ich am Leben bin, hast du keine ruhige Minute mehr, du wirst genau wie ich, alles verlieren.“

Mit diesen Worten schubste ich ihn zur Seite und lief mit erhobenem Kopf die Straßen entlang.

Man könnte mich für verrückt halten, vielleicht war ich das sogar, aber es war mir egal, ich wollte, dass er litt, sowie ich gelitten hatte.Und somit hatte ich mir sein Unglück zur Lebensaufgabe gemacht.

Was sagte ein alter Freund mal zu mir: „Alles, Alles rächt sich erst nachträglich! Deshalb glauben so Viele, daß sie fein raus sind, obzwar sie zehn Jahre später unfein darin sind!

Ich hätte sie aufhalte können, irgendwie.

Kassette 1: Seite A

Hallo zusammen. Hier spricht Hannah Baker.

Live und in Stereo.Keine Wiederkehr. Keine Zugabe.

Und diesmal auch absolut keine Forderungen.

Ich hoffe, ihr seid bereit, denn ich will euch die Geschichte meines Lebens erzählen. Genauer gesagt, warum mein Leben ein Ende fand. Und wenn ihr diese Kassetten hört, dann seid ihr einer der Gründe dafür.

Ich werde nicht verraten, welche Kassette wem von euch ins Spiel bringt. Aber keine Sorge, wer diese hübsche kleine Schachtel bekommen hat, dessen Name wird irgendwann auftauchen – versprochen!

Tote Mädchen lügen nicht!

Ihr lacht ja gar nicht. Sollte ein Scherz sein. 

 

Mittlerweile stand ich schon 5 Minuten vor der Garage von Clay. Ich wollte ihn eigentlich fragen ob er mit mir und einigen anderen ins Kino kommen will, aber als ich die Stimme von Hannah, meine verstorbenen besten Freundin hörte, verging mir die Freude aufs Kino. 

Ich hörte Clays Mam und er log sie an. Geschichtsprojekt für einen Freund. Natürlich.  Na kurzer Zeit fiel die Tür wieder ins Schloss und kurz darauf kam wieder die Stimme von Hannah, zwar ein wenig gedämpft, anscheinend hat er die Lautstärke heruntergedreht, aber trotzdem war es verständlich.

Es gibt zwei Regeln und die sind ganz einfach. Regel Nummer eins: Ihr hört zu. Nummer zwei: Ihr schickt die Kassetten weiter. Hoffentlich wird euch beides schwerfallen.

Hannah hatte Selbstmord begangen und nicht einmal ich habe sie davon abhalten können. Als sie mir von ihrem Plan erzählt wurde mir schon schlecht und schwindelig. Ihre letzten Worte werde ich nie wieder vergessen können.

,, Mach dir nicht so viele Sorgen Mary. Nach ein paar Monaten wirst du das alles wieder vergessen haben. Und du wirst mich vergessen können, aber alle anderen, die diese kleinen wertvollen Kassetten in den Händen halten werden, werden hoffentlich ihr Leben lang damit zu kämpfen haben mich zu vergessen.“ Ich kämpfte mit den Tränen, vor Hannah wollte ich keine Schwäche zeigen. Ich hatte schon Wochen vorher versucht ihr ganzes Vorhaben auszureden, aber nichts funktionierte. Nicht flehen, nicht drohen, auch nicht anschreien. Hannah blieb stets bei ihrer Entscheidung. Ich glaube nicht mal wenn ich sie irgendwo gefesselt und eingesperrt hätte, dass sie dann nicht versucht hätte sich dennoch zu töten.  Auch wenn man es nicht mitbekam, sie war verzweifelt und verletzt. 

,,Ich soll mir keine Sorgen machen, Hannah? Keine Sorgen machen? Hannah, weißt du was du von mir verlangst? Du bist meine beste Freundin, meine beste Freundin, die sich umbringen will. Und da soll ich mir keine Sorgen machen? Weißt du wie fertig mich das eigentlich macht, dich zu verlieren? Das weißt du nicht, du hast doch schon längst damit abgeschlossen.“ Mit diesen Worten drehte ich mich auf meinen Hacken um und verließ das Zimmer von Hannah. Und das sollte auch der letzte Tag sein an dem wir und stritten und sahen.

 Als ich mich wieder auf Hannahs Stimme in der Garage von Clay konzentrierte, hörte ich auch noch das schwere Atmen von Clay und wie unruhig er sich bewegte. 

Solltet ihr versucht sein, die Regeln zu brechen, so versichere ich euch, dass es von allen Kassetten Kopien gibt. Und diese Kopien werden in der Öffentlichkeit für ziemlichen Wirbel sorgen, wenn das Paket nicht jeden von euch erreicht. Das war keine spontane Entscheidung.

Glaubt nie wieder, ihr könntet euch bei mir sicher sein.

Ihr werdet beobachtet.

 

Und wie Clay beobachtet wird. Tony besitzt die Kopien der Kassetten. Tony Ligner.

 Aber natürlich weiß ich wer auf der Liste steht. Obwohl, wie Hannah auch sagte, ein einziger nicht auf diese Liste gehört, aber trotzdem erwähnt werden sollte.

Ich weiß, wer der erste und der letzte ist und auch wer sich sein Leben lang damit beschäftigen wird, Hannah aus seinem Kopf zu verbannen.

Ich habe mir, nachdem Hannah sie aufgenommen hatte, alle angehört bis zur letzten.  Und meiner Meinung nach ist die letzte die aller schlimmste.  Auf das Letzte Treffen hatte sie eine Hoffnung gelegt und alles was sie bekam, war eine für sie indirekte Zustimmung, dass das alles keinen Sinn mehr hat. 

Je länger ich in meinen Gedanken bleibe, desto weniger bekomme ich von der Kassette und von Clays Reaktionen mit. 

Oder vielleicht doch. Ich weiß nicht, wie die ganze Sache mit dem Tod funktioniert. Wer weiß, vielleicht stehe ich ja in diesem Augenblick hinter euch und schaue euch über die Schulter. 

Tut mir leid. Das ist nicht fair.

Sind sie bereit, Mr Foley.

Justin. Justin Foley. Hannahs erster Kuss. Jemand, der sie nicht verdient hatte. Er spielte gern mit Mädchen, und eigentlich hatte er nur Interesse an Hannah, weil sie ganz oben auf so einer total dämlichen Liste stand, wer denn wohl die heißeste in der Klasse wär.

Wie lange ich jetzt schon hier stand und Hannahs Stimme lauschte, weiß ich nicht, aber irgendwann musste Clay rausgekommen sein, denn als ich zusammengekauert vor der Garage hockte und versuchte meine Tränen und die Erinnerungen fernzuhalten, standen urplötzlich zwei Schuhe vor mir und ich hörte Clay.

,,Mary? Was machst du denn hier?“ Ich zitterte obwohl es Hochsommer war. Aber genau, was mache ich eigentlich hier.

,,Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du mit ins Kino kommen möchtest, aber dann habe ich Hannahs Stimme gehört und dann… Clay, i-ich halte das nicht mehr aus.“

Langsam, aber sich hatten die Tränen gesiegt und liefen meinen Wangen herunter, bis sie auf den steinigen Boden landeten. Ich hätte damit gerechnet, dass Clay mich hier jetzt sitzen lässt, aber dem war nicht so. Er hielt mir eine Hand hin, die ich ergriff und dann zog er mich hoch in seine Arme. Nein, ich und Clay waren nicht zusammen, wir waren nicht mal wirklich befreundet, aber er war nett. Er zog mich mit ins Haus und ich wischte mir mit meiner freien Hand die Tränen von den Wangen.

,,Mary, was für eine Überraschung. Schön dich mal wieder zu sehen.“

Ich setzte ein falsches Lächeln auf und schaute die Mutter von Clay an.

,,Hallo Mrs Jensen. Freut mich sie auch wieder zu sehen. Ich soll ihnen noch einen schönen Gruß von meiner Mam bestellen und ob sie ihr vielleicht das Rezept für diesen wundervollen Schokoladenkuchen geben könnten.“

Als sie dies bejahte, unterbrach Clay unser kleines Gespräch, entschuldigte sich und zog mich leicht am Handgelenk die Treppe hoch zu seinem Zimmer. Als er die Tür hinter uns schloss, riss ich mich letztendlich los. ,, Fass mich nie wieder an meinem Handgelenk an, verstanden!“, fauchte ich und er nickte nur. Clay ging um mich herum, bis er sich seufzend auf seinem Sofa fallen ließ. Ich drehte mich um und schaute ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

,, Was meintest du damit, du kannst nicht mehr?“ , ich schüttelte den Kopf, ich wollte keine Erinnerungen mehr an Hannah haben.

,, Mary, rede mit mir. Sei nicht so wie Hannah. Du weißt, was passiert ist, erzähl es mir.“ Ich setzte mich zu ihm.

,, Ich hätte sie aufhalten können, Clay. Aber das habe ich nicht. Ich…“ Ich kam nicht weiter, Clay unterbrach mich. ,, Du hättest sie nicht aufhalten können, dass hätte niemand können. Aber Mary, du kennst diese Kassetten richtig?“ Ich nickte. ,, Was habe ich damit zu tun? Ich kannte sie doch noch nicht mal.“

,,Du hast nichts damit zu tun, Clay. Du wärst einer gewesen, wenn du sie richtig gekannt hättest, der sie hätte aufhalten können. Sie hätte dir vertraut, wenn ihr euch vorher hättet kennengelernt. Sie hatte aber noch Hoffnungen. Vielleicht weißt du, dass Hannah einmal bei Mr. Porter war. Sie hat ihm von ihren Plänen erzählt, aber hat nichts getan. Rein gar nichts. Er meinte, sie sollte damit leben, es vergessen was passiert ist, was die Gerüchte angeht.“

Mir liefen wieder Tränen die Wangen herunter. Wahrscheinlich sah ich so mitleidserregend aus, dass Clay sein Arm um mich legte, mich zu sich herumzog und beruhigend über meinen Arm strich. Und ich? Ich legte meinen Kopf in die Mulde zwischen seinem Gesicht und seinem Hals.

,, Ist gut. Mary, es ist in Ordnung. Es wird wieder alles gut. Wir werden einfach zusammenhalten. Es wird alles gut werden. Wir werden irgendwann vergessen können.“ Clay flüsterte die Worte so sanft und ruhig, dass ich mich doch irgendwie beruhigte und langsam verklang auch mein Schluchzen. ,,Danke.“, flüsterte ich. Und das war nicht nur dafür, dass er mich beruhigte, sondern auch dafür, dass er mich zuhörte und mich nicht sofort verurteilte. Clay hatte seinen Arm immer noch nicht weggenommen, aber ich wollte das auch nicht, irgendwie fühlte ich mich sicher bei ihm. Wahrscheinlich, weil er mich verstand.

Weil er wusste wie es ist jemanden geliebten zu verlieren und nichts dagegen tun zu können.

Seine Zimmertür ging auf und Mrs Jensen kam herein und wollte etwas sagen, doch als sie uns so sah, mich mit angezogenen Beinen und Clays Arm um mich geschlungen, verschlug es ihr anscheinend die Sprache und sie stellte stumm das Tablett mit der Limonade und den zwei Gläsern ab.

,, Danke, Mam.“, sagte Clay und schon verließ seine Mutter das Zimmer. Wie lange wir so saßen und redeten weiß ich nicht mehr, aber irgendwann hat Clay es geschafft mich zum Lachen zu bringen.

In der ganzen Zeit, wo die Kassetten noch weitergeschickt wurden, hatte Clay immer wieder fast Angstanfälle, dass irgendjemand die Kassetten verschwinden lassen würde, auch wenn er ja nichts damit zu tun hat.

Und auf mir lag auch eine unerklärliche Spannung, jedoch verbrachten Clay und ich sehr viel Zeit miteinander, was uns beiden ziemlich gut tat.

Sechs Monate nach dem Tod von Hannah erinnere ich mich zwar immer noch zu oft an die Zeit mit ihr, aber es geht wieder aufwärts.

Ich habe mehr Freunde als vorher. Und ich bin glücklich.

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Tag der Veröffentlichung: 04.07.2014

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