Liz streckte die Hand nach ihr aus, aber Carmen ergriff sie nicht. "Hör zu", flüsterte Carmen. "Ich lasse nicht zu, dass dieses Mädchen bei uns wohnt. Ich hasse sie." "Sag das nicht, immerhin seid ihr Schwestern", erwiderte Liz. "Liz, sie hat meinen Vater umgebracht!" "Es ist auch ihr Vater und sie wollte das nicht." "Achso, sie hat ihren Vater aus Versehen umgebracht? Na dann.. Meine Güte, wieso mischst du dich da überhaupt ein? Du hast alles nur noch schlimmer gemacht." "Dann werde ich jetzt gehen." "Tu das."
"Carmen?" "Ja?" "Es tut mir Leid. Wirst du mir je verzeihen können?", fragte Christa. "Ich glaube nicht, nein. Aber beantworte mir eine Frage." Sie setzte sich zu ihrer Schwester auf das Sofa. "Was ging in dir vor? War es wirklich nur der Neid auf mich, der dich dazu gebracht hat?" Christa nickte beschämt. "Gut, dann gehe ich jetzt schlafen. Und morgen suchen wir dir eine Wohnung. Ich komm mit dem Gedanken nicht klar, dass wir Geschwister sind, und noch weniger damit, dass du hier wohnst." Carmen wusste, dass das zu gemein gewesen war, aber sie konnte nicht anders, sie war so verletzlich geworden, und wütend. Und sie wollte all den schlimmen Menschen das zurückgeben, was sie ihrem Vater angetan hatten.
Das Schlafzimmer und der Waschraum, der als Kristall Gästezimmer diente, grenzten aneinander. Und beide Mädchen konnten nicht schlafen. Während Christa darüber nachgedachte, ob sie sich der Polizei stellen sollte oder nicht, saß Carmen auf dem Fensterbrett und rauchte. Sie hatte das letzte Mal mit 14 geraucht, vor vier Jahren also. Damals war ihre Mutter gestorben. Und jetzt auch noch ihr Vater. "Hi", sprach sie plötzlich eine Stimme an. Es war Timothy, der 13jährige Nachbar von nebenan, der ebenfalls am Fenster saß und rauchte, allerdings heimlich. "Tu das nicht, das schadet dir nur." "Aber du rauchst doch auch." "Ich habe Gründe, bei dir ist es nur der Drang, cool zu sein." Der Junge drückte die Zigarette aus und warf sie auf die Straße. "Was ist los?" "Ich habe viele Probleme…" "Welche?", fragte Timothy jetzt neugierig. "Lange Geschichte, Tim." "Ich steh auf lange Geschichten." Und so saß sie da und erzählte diesem Siebtklässler ihre Probleme und war erstaunt über seine ruhige Reaktion. "Erzähl es nicht der Polizei", sagte er. "Wieso nicht? Sie ist eine Kriminelle." "Aber sie ist auch deine Schwester. Und wenn sie dann eines Tages hinter Gitter sitzt, wirst du schreckliche Schuldgefühle haben." "Danke fürs Zuhören, Timothy. Gute Nacht", sagte Carmen und zog das Fenster zu.
Am nächsten Morgen, als Carmen die Augen öffnete, saß Christa an ihrem Bett. "Ich werde mich der Polizei stellen." "NEIN!", rief Carmen beinahe. Sie war hellwach. "Du bleibst noch eine Weile bei mir, bis der Trubel um Daddys Tod vergessen ist, und dann beginnst du ein neues Leben. Christa war überrascht, dass ihre Schwester ihr plötzlich helfen wollte. "Und jetzt essen wir was und dann muss ich zu Liz und mich entschuldigen."
Tag der Veröffentlichung: 10.09.2011
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