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Willi


Acht vermummte, schwer bewaffnete, Gestalten fielen über ihn her, als er aus dem Auto stieg und warfen ihn zu Boden. Die Arme wurden ihm auf den Rücken gerissen und Handschellen angelegt.

„Warum hast du dich nicht gewehrt, du Schwein? Dann hätten wir dich fertig machen können.“ Nun, sanft waren sie auch so nicht mit ihm umgesprungen und so hatte es schon einige Blessuren gegeben.

„Was ist los? Was wollt ihr von mir?“ fragt Willi völlig verwirrt. „Halt's Maul du Sau!“ ist die Antwort. „Das weißt du ganz genau.“

Aber Willi weiß es nicht und als er in einem der Fahrzeuge sitzt erklärt es ihm einer der Beamten, der nicht vermummt ist. Seine Exfrau hat ihn angezeigt. Er soll sie vergewaltigt und sich an der gemeinsamen Tochter vergangen haben. „Wann soll das gewesen sein?“ Willi ist völlig verwirrt. Aber der Beamte kann ihm darüber auch keine Auskunft geben.

Man steckt ihn ins Gefängnis. Er fühlt sich erniedrigt, als er nackt vor den Beamten stehen muss und einer ihm den After untersucht. Er versteht die Welt nicht. Seine Sachen werden verwahrt. Sein blaues Buch darf er behalten, nachdem sie es kurz durchgeblättert haben.

Der Pflichtanwalt, der kommt, hat nicht viel Zeit. Beruhigt ihn, es wird schon alles gut gehen. Er soll möglichst nichts sagen.

Er wird zu einem Mörder in die Zelle gesteckt. Als dieser herausbekommt weshalb er angeklagt wurde, packt er ihn, schlägt ihn zusammen und ist dabei Willi mit dem Gürtel an den Fenstergittern aufzuhängen, als der Wärter ihn noch rechtzeitig entdeckt. Allerdings lässt er sich Zeit damit, einzugreifen.

Willi ist fertig. Fix und fertig. Sein Buch, sein blaues Buch, hat er gerettet. Zwei Monate muss er so durchhalten, dann ist die Verhandlung.

Die Verhandlung findet in München statt. Er hat nie einen Fluchtversuch unternommen, wird aber mit Hand- und Fußfesseln an einem Verbindungsstück kurzgeschlossen. Damit kann er nur gekrümmt und in kleinen Schritten laufen. Mit solchen Tätern weiß man eben, wie man umzugehen hat. So wird er in den Gerichtssaal gebracht. Die Beamten „vergessen“ ihm die Fesseln abzunehmen. Der Richter kommt und macht auf die Fesseln aufmerksam. Man habe die Schlüssel vergessen, ist die Antwort.

Der Richter, anscheinend ein gerechter Richter, fordert sie auf den Schlüssel zu holen, andernfalls er einen Schlosser kommen lässt. - Plötzlich werden die Schlüssel gefunden.

Die Verhandlung ist einseitig. Willi schweigt. Sein Anwalt hat ihm ja geboten zu schweigen. Allerdings schweigt der Anwalt ebenfalls. So hat der Staatsanwalt freie Fahrt. Die Aussage der Exfrau ist vernichtend. Er fordert siebeneinhalb Jahre. Der Anwalt steht auf und bittet die Richter um Milde. Das ist sein ganzes Plädoyer. Der Richter blickt zu Willi. Will Willi noch etwas selbst sagen?

Willi steht auf. Er umklammert sein blaues Buch, dass er die ganze Zeit nicht losgelassen hat. Er fragt, ob er dem Richter etwas zeigen dürfe. Der Richter scheint weder Angst noch Abscheu vor ihm zu haben und nickt. Willi geht zum Richter, schlägt sein blaues Buch auf und weist auf eine Stelle. Der Richter liest, stutzt, und prüft das Buch dann genau. Dann wendet er sich an die anderen Richter. Sie tuscheln miteinander. Nun wendet sich der Richter mit blitzenden Augen an den Staatsanwalt und den Verteidiger: „Und das haben Sie nicht überprüft, meine Herren?“ donnert er. „Dies ist das Arbeitsbuch des Herrn Willi W. In diesem wird bescheinigt, dass er zum Zeitpunkt der angeblichen Tat Chefkoch auf einem Kreuzfahrtschiff war. Es ist für mich schwer nachzuvollziehen, wie er vom Atlantik aus rasch nach Passau gereist sein soll um diese Tat zu begehen und anschließend wieder das Menü auf dem Schiff zu gestalten.“

Willi wird frei gesprochen. Der Richter blickt ihn an, sieht einige Blessuren. Fragt, ob er bereit wäre sein Hemd auszuziehen. Lässt den Amtsarzt holen, der die Verletzungen attestieren soll.

Willi erhielt für die zwei Monate Untersuchungshaft nicht ganz 150 Euro Haftentschädigung. Wie das berechnet wurde weiß ich nicht. Seinen Arbeitsplatz hat er verloren. Kein Schiff kann warten und diese Stellung ist begehrt. Seine Exfrau wurde wegen Falschaussage zu anderthalb Jahren Haft verurteilt, die sie nicht antreten musste.

Impressum

Texte: Ric Gregor W.G. Brack Verlag Courage
Tag der Veröffentlichung: 24.02.2013

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