Mondschein
Das letzte Lächeln
Vorwort:
Ich, der Engel, lange gefangen im falschen Körper des Teufels.
Geboren in der falschen Haut des Wesens, das ich nie hatte sein wollen!
Werde die Lust, den Durst nie ganz verlieren,
denn nicht einmal der Tod wird mich befreien können.
Ich kann nicht.
Das was alle von mir erwarten – das kann ich nicht tun.
Das was alle von mir glauben – ist die Lüge.
Das was alle in mir sehen – das bin nicht ich.
Das was alle für mich fühlen – ist der größte Fehler
Denn es sind Gefühle - für mich.
Ich danke bereits im Voraus:
Meinem Geschichtslehrer, der mir seine Stunden zum Nachdenken und Aufschreiben schenkte, ohne es zu wissen oder zu merken.
Lital, die eigentlich immer da war während mir Ideen kamen, auch wenn sie es nicht mitbekommen hat.
Morten, der irgendwann gefragt hat ob ich etwas schreiben will, weshalb ich überhaupt anfing für Kaja zu schreiben.
Kaja, weil sie mich zu dieser Story animiert hat!
Melanie, Jana, Nicla, Katharina, so wie weiteren Freunden von mir, von denen ich einige Eigenschaften habe mit einfließen lassen!
Kapitel 1
Als ich erwachte pochte mein Kopf, es wummerte. Stöhnend hob ich meine Hand an die Stirn und erstarrte, etwas Warmes rann über meine Hände, es roch nach meinem Blut.
Mir wurde übel, trotzdem versuchte ich mich nicht zu übergeben. Vorsichtig begann ich meine Gegend zu ertasten. Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern wo ich war, was ich hier tat und was passiert war. Unter meinen Fingern ertastete ich Erde und Steine. Es roch modrig, nach alten Blättern und Bäumen. Ich musste in einem Wald sein, aber es war still – zu still. Ich schluckte, das ganze war mir unheimlich. Mein Herz raste. Langsam setzte ich mich auf, darauf hin wurde mir so schwindelig dass ich mich wieder fallen ließ. Der Aufschlag war hart und ich spürte wie mir das Blut bereits über das Gesicht lief. Dann wurde mir schwarz vor Augen.
Nach einer Weile erwachte ich erneut. Ich war immer noch alleine. Schleppend richtete ich mich auf und wartete bis sich meine Augen an die Dunkelheit in diesem Wald, oder was immer es sein mochte gewöhnt hatten. Ich probierte vergeblich mich ein wenig zu entspannen, anschließend unternahm ich einen Versuch aufzustehen. Unsicher stützte ich mich an einem Baumstumpf ab. Achtsam zog ich mich an irgendetwas hoch. Schwankend und unsicher stand ich da, mitten in einem Wald, ohne etwas zu Essen. Ich wusste nicht, was es war, das ein Gefühl weglaufen zu müssen in mir hervorrief. Plötzlich wurde mir wieder schummerig und ich spürte nur noch wie meine Knie nachgaben und ich weich auf etwas landete.
„Du scheinst ja ganz schön stur zu sein!“, tadelte mich eine unbekannte Stimme. Nur schleppend verschwand die Dunkelheit vor meinen Augen, ich öffnete sie und sah in dunkelbraune, fast schwarze Augen. Verschmitzt lächelten sie mir entgegen. Als ich bemerkte dass ich in den Armen eines Fremden lag, sprang ich hoch, konnte mich jedoch nicht auf den Beinen halten und fiel zurück.
Er lachte. Es war ein freundliches, offenes Lachen, trotzdem gefiel es mir nicht. „Ich bin nicht stur!“, protestierte ich. Er grinste unverschämt: „ Nein, natürlich nicht.“ Unsanft stellte er mich wieder auf und stützte mich. „Komm!“ und schon zog er mich irgendwo hin. Doch was hätte ich tun sollen? Es war dunkel, ich wusste nicht wo ich war und selbst wenn es diese Umstände nicht gegeben hätte, ich konnte mich nicht einmal alleine auf den Beinen halten.
Ich fasste mir mit der freien Hand, die nicht auf seiner Schulter lag, an die Schläfe und stellte fest, dass die Wunde nicht mehr blutete und verbunden war.
„Warst du das?“, fragte ich ihn erstaunt.
„Nein.“
„Wer dann?“
„Niemand.“
„Du willst wohl nicht mit mir reden?“
Schweigend ging er neben mir her und ich hatte den Eindruck, dass er mich mehr trug als dass ich ging. In seinem Blick lag etwas Ernstes, Besorgtes und ich schwor mir ihn später danach zu fragen.
Ohne Vorwarnung hob er mich plötzlich auf seinen Arm und rannte los. Völlig geschockt ließ ich alles mit mir geschehen.
Ich klammerte mich an seinen Hals um nicht herunterzufallen. So lief er eine Weile mit mir durch den Wald, bis wir an eine Höhle kamen. Er brachte mich tief hinein und setzte mich ab. Mit einem undeutlichen „Warte hier.“, hastete er davon. Absolut hilflos saß ich in der Grotte und konnte nur versuchen etwas zu erlauschen, was schwieriger war als gedacht.
Das Warten schien eine Ewigkeit zu dauern, doch plötzlich hörte ich ein Geräusch. Etwas Warmes, Feuchtes berührte meine Hand und ich schrie. Sofort presste ich mir die Hand auf den Mund, doch es war zu spät. Ich hörte einige Männer rufen, dann kamen sie in die Höhle und fanden mich. Sie redeten auf mich ein und trugen mich dann weg. Mir war es recht. Ich hätte keine Wahl gehabt.
Wenn ich gedacht hatte, es wäre dem Jungen von vorhin leicht gefallen mich zu tragen, dann tat dieser es wirklich ohne jegliche Anstrengung. „Wer seid ihr?“, fragte ich mit zitternder Stimme. Der große Junge, der mich trug und nun mit dunklen blauen Augen ansah, lächelte: „Wir haben dich vor ihm gerettet. Du scheinst nicht zu wissen, wer er ist!“
Ich senkte den Blick und nickte nur kurz. „Willst du es wissen?“, ohne auf eine Antwort zu warten, redete er schon weiter. „Er ist der, den wir jagen. Auch wenn er dir gegenüber sehr höflich und nett gewesen sein mag, er ist es nicht. Dieser Mensch ist ein Mörder, er ist gefährlich!“
Ich konnte nicht recht glauben, was ich da hörte. Es fiel mir schwer dem Redefluss des Jungen weiter zu folgen, meine Gedanken schweiften ab.
Wer sind diese Menschen? Wo werden sie mich hinbringen? Wie viele sind es? Ich sollte verschwinden, einfach irgendwohin rennen. Weit weg. Was würde ich hier entdecken?
Der Junge grinste mich an. Was hatte er gesagt? Hätte ich antworten sollen?
Er deutete mit der Hand in eine Richtung und ich konnte ein durchdringendes Licht erkennen – das Ende des Waldes. Ich seufzte. Endlich würde es wieder hell sein, ich würde wieder Licht sehen. Auch der Junge, dessen Namen ich noch immer nicht kannte, schien erfreut darüber zu sein. Seine pflaumenblauen Augen strahlten mir fröhlich entgegen. Erst jetzt fiel mir auf wie unverschämt gut er aussah! Seine karamellfarbenen Haare fielen ihm in die Stirn und er strich sie mit einer einzigen, eleganten Geste weg. Auch sein Gang hatte etwas Vornehmes und obwohl er klar machte, dass er das Sagen hatte, wirkte er höflich und nicht arrogant. Eigentlich schien es, als würde er von allen gemocht werden.
„So, Sonnenschein, wir sind fast da.“, erklärte er und zeigte auf ein großes Gebäude, das an ein Schloss erinnerte. „Dort wollen wir hin.“
Ich schluckte. Obwohl der Weg lang zu sein schien, fand ich, dass wir zu schnell ankamen. Trotz meines Hungers, wollte ich mich nicht zu fremden Leuten in ein Burgschloss gesellen.
Ein wenig misstrauisch hatte ich wohl geguckt denn nun lächelte der Junge aufmunternd und verständnisvoll: „Es ist weniger schlimm als es aussieht!“
Ich atmete einmal tief ein und schon bald standen wir vor dem Tor. Es war riesig, aus Holz und wurde mit starken Eisenscharnieren an der Burg gehalten.
Einer der Männer die uns begleiteten zischte einen seltsamen Wortlaut, den ich nicht verstand, woraufhin sich das Tor öffnete. Langsam traten wir ein. Wie ich es bereits in vielen Filmen gesehen hatte lag hinter der Mauer eine Art Kleinstadt. Ohne zu Zögern schaute ich mich um und musste feststellen, dass fast alle Menschen in der Umgebung mich anstarrten. Durchaus mit Respekt und Ehrfurcht, doch zum Teil auch misstrauisch und verächtlich.
Die Gruppe, zu der ich im Moment dazu zählte, ignorierte die Menschenmengen und lief weiter auf das Zentrum der Stadt zu, dort befand sich ein großes Anwesen. Eine edle, weiße Villa. Ohne zu Warten stieß der Junge die Tür auf und eilte hinein. „Sarmier! Alisha ist hier. Ich bitte dich, sie zu versorgen und einzukleiden!“
Sofort kam ein Mann im Frack und hob mich aus dem Arm des Jungen. Er ging mit mir durch einige schöne Räume, einer prachtvoller als der andere. Schließlich kamen wir in einen Raum mit einer großen Badewanne. Mittlerweile fühlte ich mich als wäre ich in einem Film aus dem Mittelalter gelandet.
Alles war modern eingerichtet, aber dennoch erinnerten die Decken, die Butler und die Tische, Stühle und Hocker daran. „Sie können sich hier auskleiden und waschen. Ich lasse Ihnen gleich neue, angemessene Kleidung bringen, Alisha“, erklärte mir der Mann mit dem Frack. „Äh, einen Moment, kann ich nicht meine Sachen anbehalten? Und woher kennen denn alle meinen Namen?“
So viele Fragen brannten mir im Kopf, aber ich konnte nicht alle auf einmal stellen. „Jeder hier weiß Ihren Namen, Alisha.“, erklärte Sarmier. „Sie sind hier eine Art Berühmtheit. Ihre Sachen… nun ja, ich weiß nicht wie ich es ausdrücken soll… ich denke sie sind, ein wenig, nun sagen wir sie sind wenig festlich.“ Ehe ich noch etwas erwidern konnte war er bereits aus dem Raum verschwunden. Zögernd zog ich mich aus, hängte meine Klamotten an einen Haken und legte mich in die Wanne. Ich schloss die Augen und dachte nach. Dachte nach darüber was in den letzten Stunden geschehen war. Vor mir sah ich ganz deutlich einen Jungen, der mich an jemanden erinnerte doch ich wusste nicht an wen. Das besondere an ihm war, dass er zwei verschieden farbige Augen hatte. Das eine wirkte fast schwarz, das andere dunkelblau. Diese Eigenschaft verlieh ihm etwas Besonderes. Erschrocken riss ich die Augen auf, ich wollte mich beeilen, schließlich wusste ich nicht, was ich nach dem Bad tun sollte und wollte nicht, dass Sarmier ohne mich losging. Also erhob ich mich aus dem warmen Wasser und legte mir ein Handtuch um. Ich hielt in der Bewegung inne. Auf dem Handtuch stand mein Name. In goldenen Lettern eingesIickt stand dort in geschwungener Schrift Alisha. Verwundert wickelte ich mich darin ein. Dann trat ich aus der Tür aus der auch Sarmier gegangen war.
Direkt vor mir stand eine junge Frau mit einem roten Abendkleid. Es war etwa Knielang und der Saum hing hinten ein wenig länger herunter. Oben herum war es gerafft und mit einzelnen Silberfäden bestickt.
Es war wunderschön. Sie lächelte als sie bemerkte, dass es mir gefiel. Ohne zu zögern nahm sie mir das Handtuch ab und begann mich anzuziehen.
Ich hatte das Gefühl, dass ich jetzt genau wusste wie Barbiepuppen sich fühlen mussten. „Das Kleid passt wunder‘übsch zu Ihren braunen Locken und den grünen Augen! C’est mignonne!“ Die Frau schien aus Frankreich zu kommen. Als ich das Kleid endlich angezogen hatte, nahm die Dame meine Haare und steckte sie so hoch, dass nur eine einzige lockige Strähne herausfiel.
„Das sieht toll aus! Danke!“ Sie legte mir noch eine elegante Kette um den Hals, dann trat sie diskret einen Schritt zurück und ließ mich zusammen mit den matten roten Schuhen den Raum verlassen.
Ich fühlte mich seltsam fremd – fremd in diesem großen Haus, fremd unter all den Unbekannten hier und fremd in den Kleidern.
Ich betrat einen wirklich riesenhaften Raum, dessen Decke, die an eine Kuppel erinnerte, mit goldenen Ranken bemalt war. Die Fenster waren so groß, wie die einer Kirche und der Kamin erinnerte an einen alten aus einem Horrorfilm.
Auf dem sandfarbenem Boden lag ein Roter Teppich, auf dem eine lange Tafel stand. Sie war gut gedeckt und direkt neben einem Stuhl stand der Junge, der mich zuvor durch den Wald getragen hatte, der mit den unglaublich blauen Augen. Er lächelte mir zu und zaghaft erwiderte ich es. Galant zog er den Stuhl nach hinten und half mir Platz zu nehmen. Auf dem Tisch standen jede Menge Speisen, die alle ziemlich gut aussahen.
Erst jetzt bemerkte ich einen Mann und eine Frau, die ich etwa auf das Alter von 40 Jahren schätzte. Beide blickten mich nur schweigend an.
Dezent räusperte sich der Junge mit den Träumer-Augen: „Mum und Dad, das ist Alisha. Ich bin im Übrigen Diero. Willkommen.“ Er kam zu mir und küsste meine Wange. Ich bemerkte sofort, ohne einen Spiegel zu benötigen, wie mir die Röte in die Wangen schoss.
„Ja, willkommen Alisha, ich freue mich sehr, dass wir dich endlich einmal kennen lernen. Natürlich finden wir, mein Mann und ich“, die Frau deutete auf den Mann neben sich „es großartig, dass Diero dich nun gefunden hat.“
Der Mann nickte. „ Es ist durchaus sehr erfreulich deine Bekanntschaft zu machen. Ich bin Markus und meine Frau heißt Annike.“
Ich schaute die beiden neugierig an und lächelte. Annike war unverkennbar die Mutter von Diero. Diese blauen Augen waren mir bereits so vertraut, sie waren einzigartig. Ihre blonden Haare waren in einer Flechtfrisur festgesteckt. Ihre Wangenknochen schienen recht ausgeprägt zu sein, sie hatte eine gerade Nase und ihr Mund war wunderschön geschwungen. Ihr schlanker Körper steckte in einem lavendelfarbenen Kleid, dass nur einen schrägen Träger über die Schulter hatte und ansonsten in einzelnen Wellen herabfloss.
Markus war mindestens ebenso hübsch anzusehen. Seine männlichen Gesichtszüge hatten etwas vertrautes an sich, doch seine Augen waren dunkelbraun. Auch seine Nase erinnerte mehr an eine Stupsnase, die man bei Diero unschwer wiedererkennen konnte.
Ich wurde vom begutachten abgelenkt, weil Sarmier, der Butler kam und das Essen aufdeckte, er füllt mir von jeder Platte ein wenig auf den Teller. Von den Speisen lief mir das Wasser im Mund zusammen. Jetzt fiel mir auf, wie hungrig ich gewesen war.
Kapitel 2
Als ich am nächsten Morgen erwachte, konnte ich mich an nichts mehr erinnern. Ich befand mich in einem wirklich großen, roten Himmelbett.
Unsicher setzte ich mich im Bett auf und sah mich um. Der Raum war ziemlich leer, direkt neben mir stand ein kleiner Tisch, mit einer goldenen Lampe darauf, ansonsten befand sich auf dem Boden noch ein langer, roter und flauschiger Teppich. An einer der Wände stand ein großes Ungetüm von Schrank, das mit lauter Schnörkeln verziert war. Alles wirkte, alt und verstaubt und ich kam mir immer noch vor, als wäre ich in einem Film gelandet.
Langsam streckte ich meine Beine aus und stieg aus dem Bett, ich schaute an mir herunter und musste feststellen, dass ich nicht mehr die Kleider von gestern Abend trug.
Irgendjemand musste mich umgezogen haben, bei dem Gedanken daran wurde mir unwohl. Nun trug ich ein Nachthemd, das aus Seide zu bestehen schien.
Ohne lange darüber nachzudenken bewegte ich mich zum Schrank und öffnete ihn. Beim Anblick der Kleider darin wurde ich überwältigt...
Ich drehte mich weg und lehnte mich gegen die Wand. Ich schloss die Augen und öffnete sie wieder, ging zum Schrank und schaute erneut hinein. Sie waren noch da. Unzählige Kleider, eines schöner als das andere. Bei dem Gedanken daran, dass ich mich wahrscheinlich gerade fühlte, wie Aschenputtel nachdem sie den Prinzen geheiratet hatte, musste ich laut loslachen.
Genau in dem Moment öffnete sich die Tür und Diero trat ein.
„Guten Morgen.“, begrüßte er mich vornehm und gab mir einen leichten Kuss auf die Wange.
Natürlich errötete ich auch diesmal. Dies wiederum war mir unangenehm und hätte eigentlich dazu führen müssen, dass ich noch ein wenig mehr rot wurde.
„Weißt du nicht was du anziehen sollst? Sind die Gewänder nicht in Ordnung? Entsprechen sie nicht deinem Geschmack? Ich lasse dir umgehend neue bringen, wenn sie dir nicht Recht sind!“, rechtfertigte er mein Lachen.
Ich schüttelte nur den Kopf. Der Junge war nicht mehr als ein Jahr älter als ich und sprach, als wäre er aus einer anderen Zeit.
„Was ist mit dem Jungen aus dem Wald?“, fragte ich, in der Hoffnung ihn so zu überraschen, dass ich eine Antwort bekommen würde. Seine Miene verdunkelte sich: „Wir sehen uns zum frühen Mahl.“ Er verließ das Zimmer, anscheinend hatte ich ihn verärgert.
Ich zog ein grünes Kleid mit goldenen Ranken aus dem Schrank und zog es über. Einen Spiegel fand ich nirgendwo und so beschloss ich, dass meine Haare wohl einigermaßen sitzen würden.
Die Tür knarrte, als ich sie öffnete und ich trat in einen lichtdurchfluteten Gang an dessen Seiten einige Männer standen. Sie erinnerten mich im ersten Moment ein wenig an Bodyguards und ich musste mir ein erneutes Lachen verkneifen.
Als sie mich bemerkten, verneigten sie sich. Es war mir unangenehm und so beeilte ich mich, möglichst schnell zum Speisesaal zu kommen.
Ich hätte mir denken können, dass ich ihn nicht finden würde, denn als ich die Tür zum vermeintlichen Speisesaal öffnete, starrte mir nur zwei fast schwarze, gut bekannte Augen aus einer dunklen Kammer entgegen.
„Du?!“, entfuhr es mir.
„Ja, ich. Nicht mehr lange.“, erklärte er beherrscht.
Ich hätte am liebsten die Augen geschlossen und einfach seiner Stimme gelauscht. Sie war mir so seltsam vertraut und ich mochte ihren klang.
„Was machst du hier?“, wollte ich wissen.
„GEH.“ Ich erschrak vor dem Klang seiner Worte, sie waren scharf und zurückweisend. Ich knallte die Tür zu und wollte sie im nächsten Moment schon wieder öffnen, doch jemand fasste mich an der Schulter. Es war Sarmier, der mich zum Speisesaal begleitete. Doch meine Gedanken waren ganz bei ihm – dem Jungen mit den beinahe schwarzen Augen.
Was tat er hier? Wieso war er in einer dunklen Kammer?
Der Butler hielt mir die Tür auf, doch es war nicht die Tür zum großen Saal, in dem wir gestern gesgessen hatten.
Der Raum war deutlich kleiner – was trotzdem reichlich groß war – und darin befand sich ein gemütlicher Tisch, der gedeckt und schön verziert war.
Diero trat ein und kam sofort zu mir um mir einen Platz anzubieten. Er schien immer noch ein wenig ungehalten zu sein, versuchte aber es sich nicht anmerken zu lassen. Während ich ihn ansah hob er seinen Blick und schaute mir direkt in die Augen. Ich war wie gebannt. Es war, als wenn seine Augen nicht nur blau waren, sie schienen schwarz zu schimmern, ich zwinkerte und schon war der Moment vorbei. Ich hatte es mir wohl nur eingebildet. Der Junge aus dem Wald musste irgendwas an sich haben, was mich ihn nicht vergessen ließ. Ich aß nicht viel, nach dem reichen Abendessen gestern, brachte ich einfach nichts mehr hinunter.
„Hast du Lust mit mir zum See zu kommen?“, fragte Diero unsicher und lächelte mich an.
Seine Lippen öffneten sich bei diesem freundlichen Ausdruck und man konnte seine weißen Zähne sehen. Seine Haare fielen ihm ins Gesicht und es fiel mir schwer sie nicht vorsichtig wegzustreifen.
„Ja, gern.“, flüsterte ich. Ich wollte seine Hand nehmen, doch genau in dem Augenblick drehte er sich um und ich ließ meine Hand unauffällig wieder sinken.
Was ist nur los mit mir? Ich konnte nicht begreifen, was ich gerade im Begriff war tun zu wollen. Da waren keine Gefühle für Diero, jedenfalls keine die ein solches Verhalten erklären würden. Er war nett und er sah wirklich gut aus, aber mehr war da nicht.
Er stand in der Tür und sah mich abwartend an. Ich grinste ihn kurz an und folgte ihm.
Der Weg zum See war nicht sehr weit, er lag am Waldrand und wirkte sehr geschützt vom Trubel der Burg.
Diero setzte sich auf einen dicken Stamm der direkt über dem Wasser hing. Ich setzte mich ein gutes Stück von ihm entfernt auf den selben Ast.
Er unterdrückte ein Lachen: „Nein, komm her.“ Behutsam streckte er die Hand nach mir aus. Ich zögerte ein wenig. „Ich werde dir nichts tun. Unter jedem Schwur ich werde nichts machen was du nicht möchtest.“, flüsterte er und schaute dabei auf den See.
Ich griff nach seiner Hand und er zog mich mühelos zu ihm heran.
„Du weißt nichts mehr von früher. Du kannst dich an nichts erinnern? Das alles – du weißt nichts mehr davon?“
„Wovon sprichst du?“, wollte ich wissen. Er war mir unheimlich. Wie er so da saß, sein Blick immer dunkler, immer wütender und trauriger wurde.
„Es ist nichts mehr da, stimmt's?“, in seiner Stimme schwang Enttäuschung mit. „Du hast das alles schon einmal erlebt, du warst doch schon hier. Du hast dich doch schon entschieden!“ Den letzten Satz schrie er. Ich erschrak, mein Herz pochte schneller und mein Atem wurde flach. Er blickte mich an, man konnte den Vorwurf in seinen Augen sehen.
Er nahm meinen Kopf in seine Hände und unsere Gesichter waren nicht mehr als ein paar Zentimeter von einander entfernt. „Bitte. Erinnere dich.“, bat er flüsternd.
Es fühlte sich an, als wenn mein Brustkorb zerdrückt würde, das atmen fiel mir schwer. Ich schloss meine Augen und atmete stockend weiter.
Sein Atem kroch über meine Wangen und mein Herz wummerte in meiner Brust als wenn es raus wollte. Ich schluckte schwer.
Plötzlich spürte ich Wärme, überall um mich herum. Und seine Lippen lagen auf meine. Ich spürte wie er mich küsste und sanft über mein Haar strich. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich in Dieros Armen lag. Ich versuchte mich loszumachen und er löste seine Lippen von meinen. Aufmerksam fragend schaute er mich an.
„Es fühlt sich falsch an. Nicht echt.“, wisperte ich leise und bedauernd. Und so fühlte ich mich bedauernd. Ich konnte es nicht erklären es war beklemmend und irgendwie unangenehm neben ihm zu sitzen, ihn zu riechen, zu fühlen und zu schmecken.
„Nein.“, hauchte er, die Tränen in den Augen „Was hat er gemacht. Was?!“ Sein Blick war hasserfüllt und angeekelt sah er mich an. „Das bist nicht du.“
Kapitel 3
Das bist nicht du. Was hatte er damit gemeint? Ich saß alleine an dem See, Diero war in den Wald gelaufen. Wie ein kleines Kind war er mir vorgekommen. Ich verstand nichts mehr. Niemand schien mir auch nur irgendetwas erklären zu wollen.
Was sollte ich tun? Hier sitzen bleiben? Bitte. Erinnere dich. Die Worte schwirrten in meinem Kopf umher. Der Kuss. Was war das? Es kam so unerwartet und trotzdem hatte ich mich weder erschrocken, noch hatte ich mich gewundert.
Ganz unvermutet hörte ich Schreie aus dem Wald. Keine normalen Schreie. Es waren Geräusche von Tieren – wilden Tieren. Zum Teil war es Fauchen und Brüllen. Ich bekam Panik und rannte los, in Richtung des Schlosses. Auf halber Strecke blieb ich stehen DIERO und rannte zurück in den Wald.
Ich versuchte zu erhören wo die Schreie herkamen, sah hektisch nach rechts und links. Mein Herz schlug so sehr, dass ich es noch in meinem Hals spüren konnte. Wenn ihm etwas geschah, wäre es meine Schuld. Das Gekreische kam näher. Oder nein. Ich kam dem Gekreische näher. Vorsichtig duckte ich mich hinter den Bäumen entlang. Mein Atem ging stoßweise. Ich spürte das feuchte Laub unter meinen Schuhen und hörte leise das Knacken der Äste. Der Wind fuhr mir durch das Haar und die Angst saß mir im Nacken. Ich spürte wie meine Hände anfingen schwitzig zu werden.
Ich hasste dieses Gefühl. Darauf bedacht möglichst kein Geräusch zu machen lief ich weiter.
Ich musste ihn finden. Ich zuckte zusammen als ein erschütterndes Schreien erklang und rannte noch schneller in die Richtung. Nach einer Zeit, die mir endlos lang vorkam erreichte ich einen Felsvorsprung. Man konnte die Silhouette von jemandem sehen, sie wandte sich blitzschnell ab und verschwand. Unter der Felsklippe verlief ein Bach und neben dem Bach lag ein leblos erscheinender Körper.
Ich rannte los. Meine Lungen brannten wie Feuer, aber ich zwang mich weiter zu laufen. Mein Brustkorb fühlte sich wieder an, wie kurz zuvor am See. Meine Beine versagten. Ich rappelte mich wieder hoch und brachte es irgendwie fertig bei dem Körper anzukommen.
„Diero! Bitte! Bleib bei mir. Bleib am Leben!“ Auf einmal kamen mir lauter Bilder in den Sinn – Ich und Diero auf einer Wiese, eng aneinander geschmiegt, ich lächle. Wir laufen Händchen haltend zu einem Wasserfall. Er küsst mich, wir lassen uns lachend auf das weiche Moos fallen. Ein Sonnenuntergang, eine Person am Waldrand – sie läuft davon. Der Mond, Diero schaut weg. Sieht mich nicht an – er rennt davon, ich hinterher. Ich stürze, schreie, weine und sterbe.
Nach Luft ringend erwachte ich aus dem Wirrwarr aus Bildern und Abläufen. Ich rüttelte Diero, der langsam seine Augen öffnete. Sie waren blutunterlaufen und er atmete seltsam rasselnd.
„Geh!“, fauchte er. Er fauchte nicht wie ein Mensch jemanden anzischte oder anraunzte, er fauchte wie ein Tier – wie eine Raubkatze. Ich zuckte ein Stück von ihm weg. Nur um im nächsten Moment noch näher zu ihm zu kommen. Die Nähe ließ neue Bilder in meinem Kopf erscheinen:
Ich hocke neben ihm und halte seine Hand. Beruhigend rede ich auf ihn ein. Es schüttelt ihn – er quält sich. Ich drücke seine Hand und sage ihm wie wichtig er mir ist. Ich bleibe bei ihm, obwohl er mich bittet zu gehen. Er sagt er will mich nicht verletzten. Ich solle bleiben wie ich bin.
Ich umarme ihn. Er stößt mich weg. Geht auf die Knie und wimmert – er krümmt sich und...
das Bild wurde schwarz.
„Ich bleibe.“, erklärte ich mit solch einer Festigkeit in der Stimme, dass er kurze Zeit nichts erwiderte. Wie in den Bildern quälte es ihn und er verkrampfte sich immer mehr. Ich drückte seine Hände.
„Alisha, ich habe Angst um dich. Bitte lass mich ...“, und wieder wurde er von einem Krampf zusammen gekrümmt, wimmernd lag er da und ich wusste nicht was ich tun sollte. Tränen stiegen mir in die Augen.
„Sag mir was ich tun soll!“, schrie ich ihn hilflos an. Er fasste meine Hand und legte sie auf seine linke Brust. „Denk an etwas schönes!“, befahl er. Ich schloss meine Augen und dachte daran, wie meine Eltern mir zu meinem dreizehnten Geburtstag endlich das lang ersehnte Pony geschenkt hatten – mittlerweile hasste ich Pferde. Ich wusste nicht wann ich aufhören sollte und ich wagte es nicht meine Augen zu öffnen und ihn anzuschauen. Der Anbick wie Diero da lag, sich quälte, wimmerte und mich anstarrte mit den blutunterlaufenen Augen. Ich konnte es nicht ertragen.
„Mach die Augen wieder auf.“, bat er mich. Langsam und bereit die Augen jeder Zeit wieder zukneifen zu können, öffnete ich sie. Er saß aufrecht und man sah ihm nichts mehr an von dem was ihm eben noch so Leid angetan hatte.
Ohne Zeit zu verlieren stand Diero auf und zog auch mich auf die Beine, aber mir fehlte die Kraft um alleine zu stehen. Schwungvoll hob er mich in seine Arme und obwohl es mir nicht recht war, hielt ich ihn nicht davon ab.
Der Weg bis zum Schloss kam mir viel zu lang vor. Wie konnte ich auch nur die Hälfte dieses Weges gerannt sein?
„Du stellst keine einzige Frage.“, stellte Diero trocken fest. Ich war überrascht, mir waren gerade jede Menge merkwürdiger Bilder durch den Kopf geschossen und er erwartete ein ausführliches Gespräch? „Ähm, nein, anscheinend nicht.“, antwortete ich nachdenklich.
„Doch. Woher kamen diese Bilder?“, erkundigte ich mich irritiert und legte die Stirn in Falten.
„Was für Bilder?“
„Du und ich auf einer Wiese, du läufst weg und ich sterbe. Du quälst dich, willst das ich gehe aber ich bleibe und du krümmst dich und...“, weiter kam ich nicht, denn Diero setzte mich auf einem kleinen Felsen ab.
„Du hast es gesehen? Du hast das gesehen...“, der zweite Satz klang verzweifelt, er wandte sich von mir ab und seufzte. „Ich kann dir nichts sagen, erinnere dich!“, ihm standen die Tränen in den Augen als er sich wieder mir zu wandte.
Wie er da stand und mich flehend ansah, wünschte ich mir nur es zu können. Mich endlich daran erinnern zu können, was immer es auch sein mochte. Ratlos schüttelte ich den Kopf.
Ganz behutsam nahm Diero mich in seine kräftigen Arme und ich spürte wie seine Muskeln sich spannten als er mich hochhob, trotzdem wirkten seine Bewegungen noch immer mühelos.
„Wer war das auf der Klippe?“, hörte ich mich selbst fragen. Zu erst schien er nicht antworten zu wollen, aber er tat es dennoch: „Kaja. Ich bin in den Wald gelaufen, um mich zu beruhigen und habe sie getroffen. Sie muss uns am See gesehen haben, ihre Eifersucht war so offensichtlich.“, er grinste, aber es wirkte nicht echt. „Wir haben uns gestritten und sie wollte mich stoßen als wir auf dem Felsvorsprung standen, genau in diesem Moment bin ich weggerutscht und schließlich gefallen. Das ist alles.“ Ich versuchte in seine Augen zu schauen, doch er wich meinem Blick gekonnt aus.
Wir erreichten das Burgschloss erst als es bereits dämmerte und ich war froh endlich ein heißes Bad nehmen zu können. Niemand schlug es mir ab und Sarmier brachte mich unverzüglich in die Badesäle. Es duftete wunderbar nach Lavendelöl und ich genoss das warme Bad auf meiner vom Matsch des Waldes verkrusteten Haut.
Ich schloss die Augen und dachte darüber nach was geschehen war. Die Bilder wollten einfach nicht aus meinen Gedanken weichen.
Wieder und wieder spielten sich die Szenen vor mir ab. Irgendwann hielt ich es nicht mehr aus und stieg aus der Wanne. Ich trocknete mich ab und schlüpfte in den nächstbesten Bademantel, den ich entdeckte.
Als ich aus dem Baderaum trat rutschte ich beinahe auf einem Briefumschlag aus, der auf dem Boden lag. Ich schaute mich vorsichtig um, da niemand dort war hob ich ihn auf. Im Ankleideraum zog ich mir das Kleid an, das mir zuerst in die Hände fiel. Anschließend verschwand ich in meinem Zimmer, doch auch dort fand ich kaum Ruhe, immer wieder flackerten die Bilder vor meinem inneren Auge auf.
Diero betrat das Zimmer und begleitete mich zum Speisesaal, wo ich nur wenig aß und nach kurzer Zeit mit einem gemurmelten „Mir geht’s nicht gut.“ wieder verschwand.
Kapitel 4
Ich legte mich auf das Himmelbett und öffnete den Brief.
Liebe Alisha,
ich habe dich heute im Wald gesehen – mit ihm.
Es ist furchtbar das mit anzusehen. Zu sehen wie er dich kaputt macht und dir nicht sagt was los ist. Er ist nicht gut für dich.
Folge ihr.
Der Brief warf mehr als tausend neue Fragen in meinem Kopf auf. Wer hatte das geschrieben? Vielleicht war es Kaja gewesen? Wenn sie doch tatsächlich etwas für Diero empfand, konnte es doch sein, dass sie wollte, dass ich mich von ihm fernhielt.
Folge ihr. Dieser Satz machte mir Angst. Wer war sie? Ich bemerkte das das Fenster offen stand, und die kühle Nachtluft ließ mich frösteln. Ich stand auf und wollte das Fenster schließen, ein Schatten huschte vorbei und ich presste mich an die Wand. Mein Atem wurde flach und mein Herz klopfte schneller. Es wummerte gegen das Fenster. Ich musste mich zusammen reißen um nicht laut los zuschreien. Das Fenster befand sich mindestens drei Meter über dem Boden, hier konnte niemand klopfen. Reiß dich zusammen, wies ich mich selbst zurecht. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Diero stand im Türrahmen. Sein Blick war wüten und seine Kiefer bissen so stark aufeinander, dass man die Knochen hervortreten sah. Sein Atem war wieder deutlich zu hören, es war wieder ein Rasseln, aber diesmal klang es nicht schwach, sondern agressiv.
In Panik sprang ich los, an Diero vorbei und in den Flur und rannte,so schnell ich konnte, nur weg – weit, weit weg!
Ich kam nicht weit. Mit ein paar Schritten hatte Diero mich eingeholt und packte mich am Arm. Er zerrte an mir so dass ich ihm in die Augen schauen musste.
Sie waren rot gerändert und starrten mich über deutlich an. Seine Stimme war tief und zorning: „Schau mich an und sag mir was du fühlst! Wer bin ich?“
Meine Stimme war zittrig und ich war unsicher. Ich war den Tränen nahe: „Ich weiß es nicht.“
„Du weißt es!“, brüllte er mich an. Ich schüttelte den Kopf und wollte mich wegdrehen, weil ich Angst hatte, er würde mich schlagen. Wo war der Diero hin, der am See bei mir gesessen hatte, der der mich geküsst hatte. Wo war der schwache Junge, dem ich am Bach geholfen hatte?
Er stieß mich weg, als wäre er angewidert. „Geh jetzt.“, seine Stimme war wieder ruhig und melodisch, wie ich sie kannte.
Ich schluckte und atmete auf. Langsam wandte ich mich ab und ging zurück zu meinem Zimmer.
Verzweifelt hockte ich mich auf mein Bett und fing an zu weinen. Ich ließ die Tränen kommen und ich ließ sie laufen. Nach einer Weile hatte ich mich wieder im Griff und öffnete den Schrank. Ich zog ein langes Kleid bestehend aus dünnem Stoff hervor und wickelte einige Kleider darin ein. Die übrigen Gewänder band ich zusammen und hängte sie aus dem Fenster um daran herunterzuklettern.
Wie Rapunzel, dachte ich. Ich hatte zu der Zeit wohl einen Hang zu Dramen. Misstrauisch beäugte ich mein neues Seil und verlor augenblicklich jegliches Vertrauen in diese Notlösung. Ich schloss die Augen und versuchte mich zu sammeln.
„Gib mir deine Hand“, zischte es. Ich zuckte zusammen und stolperte rückwärts. Vor Schreck biss ich mir so sehr auf die Lippen, dass es blutete.
Total verängstigt trat ich wieder ans Fenster und beugte mich leicht hinaus. Dort war niemand.
Ich hockte mich auf das Bett und betastete vorsichtig meine Lippe. Nach einiger Zeit hörte die Blutung auf und ich beschloss ein wenig zu schlafen und anschließend zu überdenken wie ich hier herauskommen würde. Kaum hatte ich das gedacht, fiel ich schon in einen leichten Schlaf.
Etwas strich ganz sanft über meine verletzte Lippe und hielt mir dann den Mund zu, um meinen Schrei zu ersticken. „Psst!“, mahnte der Unbekannte mich zur Ruhe. Es war zu dunkel, als dass ich etwas hätte erkennen können. Ich versuchte zu erhören was geschah und vermutlich nahm der Fremde gerade meine Kleider. Er packte mich und klemmte mich unsanft unter seinen Arm und sprang aus dem Fenster. So sehr ich mich bemühte es zu unterdrücken, ich schrie.
Sofort erhellte sich mein Zimmer und man hörte ein erbostes Brüllen.
„Halt dich fest.“,verlangte er.
Ich schlang meine Arme um seinen Bauch und spürte wie unter mir jede Faser seiner Muskeln arbeiteten. Die Anspannung war so stark, dass ich das Gefühl hatte ihn mit meinem Festhalten zu behindern. Ich konnte noch immer nichts sehen, aber ich spürte, dass er in Richtung Wald lief. Nein, er lief nicht er rannte oder sprang viel mehr.
So schnell wie wir uns vorwärts bewegten, war es ein wunder, dass er nicht einmal keuchte. Er schwitzte nicht einmal.
Unbewusst kaute ich auf meiner Unterlippe herum und plötzlich wurde mir schwindelig und ich hatte das Gefühl zu fallen. Das letzte was ich hörte war das Aufbrüllen von einem wilden Tier – weit weg.
Als ich wieder erwachte, lag ich auf einem merkwürdigen Blättergeflecht. Ich sah an mir herunter und musste feststellen, dass ich wirklich nicht gut aussah. Meine Arme und Beine waren zerkratzt und ich war wirklich sehr blass. Ich versuchte mich aufzusetzen, doch das Pochen in meinem Kopf ließ mich zurück sinken.
Zwei kräftige Arme hielten mich und etwas kitzelte mein Handgelenk ich schielte vorsichtig herüber und sah wie jemand darüber leckte. Geschockt schoss ich hoch, knallte gegen einen Baumstumpf und hielt mir die schmerzende Wunde.
„Verdammt!“, hörte ich jemanden fluchen und nahm dann nur noch ein rauschen wahr.
Nach dem ersten Schmerz sah ich mich nun achtsamer um und stellte fest, dass ich alleine war.
In einer Höhle.
Ich atmete tief durch. Wie brachte ich es nur fertig mich andauernd zu verletzten und an Orten aufzuwachen, die ich nicht kannte und höchst wahrscheinlich nicht einmal kennen wollte?
Entnervt ließ ich mich zurück auf das bequeme Geflecht sinken und wartete ab.
Er ließ mich nicht lange warten und kehrte bald zurück.
„Ach, du bist wach.“, erklärte er gespielt überrascht „Pass nur auf, dass du dir nicht beim Kratzen die Pulsadern aufritzt!“
Ich war schockiert. Was war denn das für eine Begrüßung? „Tu uns beiden den Gefallen und verletze dich nicht so häufig.“, bat er uns lächelte mich an. Erst jetzt hob er seinen Blick und ich starrte in wunderschöne, tiefe, fast schwarze Augen. Liebevoll strich er mir das Haar aus der Stirn. „Wie geht es dir?“
„Mein Kopf dröhnt, ich fühle mich schlapp und ich habe Hunger, aber sonst könnte ich nicht klagen.“, erklärte ich und grinste ihn herausfordernd an.
Ohne dass ich es auch nur mitbekam, bewegte er sich hinter mich und schlang seine Arme um mich.
„Schließe deine Augen. Entspann dich.“ Ich gehorchte.
Ganz behutsam schob er mir etwas in den Mund und ich kaute. Es schmeckte sogar ziemlich gut.
„Es schmeckt dir.“, stellte er erfreut fest. Ich war erstaunt. Woher wusste er das? „Woher...“, fing ich an, doch er antwortete schneller, als ich fragen konnte. „Woher ich das weiß? Ich kann es riechen.“
Ich lachte herzlich, doch als er nicht lachte sah ich ihn an und er schaute mir völlig ernst entgegen.
„Geht es dir jetzt besser?“ Langsam versuchte ich aufzustehen und war überrascht. Man merkte nichts mehr von dem Schwindel oder denk Kopfschmerzen.
Ich nickte nur kurz. Schon hob er mich hoch und rannte los. Ich fühlte mich sicher und ließ es willenlos geschehen.
Tag der Veröffentlichung: 07.07.2011
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