Was war passiert? Dieser Mann…Hat er mich verletzt? Ich weiß es nicht, spüre nichts. Ich setze
mich auf und sehe eine Menschenmenge um mich herum, darunter meine geliebte Irma. Sie ist in
den letzten Jahren meine ständige Begleitung auf meinen Reisen gewesen. Doch das Einzige, was mir
in diesem Augenblich über die Lippen kommt, ist: „Was ist denn jetzt mit mir geschehen?“ Danach
verschlingt mich wieder die Schwärze und dennoch höre ich noch Irma, die meinen Namen schreit,
oder vielmehr meinen Titel: Majestät!
Wie ich diesen Titel hasse, und das schon seit ich verheiratet bin. Mein ganzes Leben habe ich gehasst, habe es gehasst wie nichts anderes auf dieser Welt. Warum wollte Franz mich und nicht Néné? Er sagte, er liebe meine Unbefangenheit, meine Wildheit, und nun? Er selbst hat sie mir ausgetrieben, mit seiner Mutter und seinem Protokoll.
Der einzige Lichtblick meines Lebens ist meine Valérie. Sie war der einzige Grund, warum ich mich IHM nicht hingegeben hatte. Ich musste doch für sie da sein. Aber jetzt? Nein, sie braucht mich nicht mehr, hat ihren Mann und ihre unzähligen Kinder. Sie braucht mich jetzt, gewiss, nicht mehr.
Ich spüre, wie sich die Schatten mehr und mehr um mich legen, spüre, dass ER nicht mehr weit ist. Ich bin bereit, bereit mich IHM endlich hinzugeben.
Dieser Mann, ich muss ihm danken. Er erlöst mich von meinem Leben. Meinem traurigen, nichtsnutzigen Leben. Was hat mein Existenz den Menschen gebracht? Ich bin Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn, doch was war der Sinn meines Lebens gewesen? Ich weiß es nicht und werde es wahrscheinlich nie wissen. Genauso wenig, wie es die „Zukunftsseelen“ je wissen werden. Dennoch, ich hoffe, dass sie mich besser verstehen werden, meine Taten und meinen Wunsch nach Freiheit.
Ich sehe IHN auf mich zukommen. ER lächelt, ist froh mich endlich holen zu dürfen. „Jetzt bist du endlich mein, meine Schwarze Möwe“, sagt ER, während ER mir zärtlich durch das Haar streicht. Ich sehe ihm tief in die Augen, in die tiefblauen Augen, die ich schon seit meinem 14. Lebensjahr kenne. ER hat mich immer getröstet und verstanden, wenn andere mich links liegen ließen und kränkten. Es ist IHM egal gewesen, dass ich alterte und hässlich wurde. Mein unmögliches Benehmen ist IHM ebenso egal gewesen und meine Zurückweisungen vergaß ER immer aufs Neue. Und das alles nur, weil ER mich liebt. Und ich liebe IHN auch, jetzt mehr als je zuvor.
ER kommt meinen Lippen immer näher, bis ER sie berührt. Ich weiß nicht wieso, aber eine kleine Welle des Trotzes überkommt mich, ich bäume mich ein letztes Mal gegen IHN auf. Doch es ist zu spät, meine Lebensgeister schwinden. Ich bin müde, so entsetzlich müde. Möchte endlich schlafen und nie mehr erwachen…
Tag der Veröffentlichung: 11.07.2011
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