„Du kannst vor dem davonlaufen,
was hinter dir her ist, aber was in
dir ist, holt dich immer wieder ein.“
Unbekannt
1.
Ich schrecke auf. Hellwach sitze ich aufrecht und schweißgebadet in meinem Bett. Immer der gleiche Traum, der mich jede Nacht verfolgt.
Tag für Tag und Nacht für Nacht. Meine Vergangenheit holt mich wieder ein.
In meinem Traum laufe ich durch die, von Menschen gefüllte, Straße auf dem Weg zum Supermarkt. Dort sehe ich ihn das erste Mal. Angst erfüllt meine Glieder und lässt mein Herz rasen.
Ich drehe mich um. Ich weiß nicht ob er mich gesehen hat oder ob er es überhaupt ist, der der mein Leben zerstört hat. Aber meine Angst lässt mich glauben den richtigen gesehen zu haben.
Ich ändere ruckartig meinen Weg und meine Pläne, der Einkauf kann warten. Sollte ich rennen, hinter ihm her? Er würde mich sehen. Ist er vielleicht bewaffnet? Was hat er vor? Tausende Gedanken schießen mir durch den Kopf. Ich entschließe mich ihm zu folgen, langsam ohne aufzufallen. Mein Herz rast weiterhin, droht zu explodieren, die Angst lähmt meine Beine.
Ich folge ihm weiter. Bald biegt er rechts ab, hat mich immer noch nicht entdeckt, läuft weiter mit einem schnellen Schritt.
Er kommt meiner Wohnung immer näher. Will er mich zuhause überraschen und nun endlich umbringen, sich rächen? Meine Tochter, sie ist in der Wohnung und wartet auf mich. Würde sie die Tür öffnen? Ihn hineinlassen? Würde er überhaupt klingeln? Er biegt links ab. Die Angst fällt etwas von mir ab, zu meiner Wohnung geht es eine Straße weiter nach rechts.
Er bleibt stehen. Ich schrecke zurück, zügele mein Tempo und verstecke mich hinter einem Busch. Einige Sekunden vergehen, er steckt etwas zurück in seine Tasche, wahrscheinlich nur einen Zettel, dreht sich um und kommt mir hastig entgegen.
Die Straßen sind fast leer. Ich kauere in dem Busch als er an mir vorbeigeht, folge ihm weiter. Geradeaus, rechts, weiter, links in eine Hofeinfahrt, meine Hofeinfahrt. Mein Blut beginnt zu gefrieren, mein Herz pumpt. Er öffnet die Tür mit einem Schlüssel als würde er hier wohnen und betritt das Haus.
Einige Sekunden später beben die Treppenstufen unter meinen eilenden Füßen. Endlich an meiner Wohnung angekommen öffne ich die Tür, welche nur angelehnt ist und springe ins Wohnzimmer. Dort steht er mit meiner Tochter. Hält sie fest und entdeckt mich schließlich. Ein grinsen huscht über seine Lippen als er mich sieht. Er zieht eine Waffe aus seiner Jacke.
„Na da bist du ja endlich. Es wird Zeit das du fühlst was du mir angetan hast.“
Er richtet die Waffe, zielt. Dann ist es schwarz vor meinen Augen. Ein Schuss fällt. Ich wache auf.
Womit beginne ich? Meinen Traum kennt ihr jetzt. Er wird sich weiter durch mein Leben und meine Geschichte ziehen.
Ich will sie euch nicht gleich erzählen sondern euch erst etwas über mich erklären, worüber ich nachdenke, was mich prägt. Ich beginne mit der Hoffnung. Wir Menschen sind wie Roboter wir haben immer Hoffnung in jeder Situation, sie ist das was uns am Leben hält. In jeder Lage unseres Lebens hoffen wir. Ich hoffe, dass dieser Traum nur ein schlechter Albtraum ist, in einer Beziehung hofft man, dass diese und die Gefühle sich niemals ändern werden, dass es immer so weiter läuft. Aber ist das der Sinn? Man hofft immer, dass man seinen Job nicht verliert, dass man seine Familie ernähren kann, dass alles besser wird. Immer das gleiche, Hoffnung die uns am Leben hält und unserem Leben einen Sinn gibt an etwas zu glauben. Was hoffen wir wenn wir wissen dass wir sterben? Zum Beispiel wir fallen von einem Hochhaus, sehen das wir dies nicht überleben werden, auf die harte Straße knallen werden, hoffen wir auf weiche Kissen zu fallen und das alles wieder gut wird und so läuft wie vorher? Das bringt mich zu meinem zweiten Punkt. Ich musste viel erleben, wie ihr noch erfahren werdet, um soweit zu kommen, um so reden zu können. Passiert nicht alles mit einem Grund, dass wir daraus lernen. Nichts passiert einfach so. Auch mein Traum wird mich weiter lernen lassen, mich reifen lassen, mich lernen lassen wie es weiter geht. Das Leben ist ein Spiel, man bringt es so gut und glücklich wie möglich hinter sich und schnappt soviel auf wie geht, man lernt bis es vorbei ist, bis wir sterben und im Himmel landen oder wiedergeboren werden um den gleichen Mist weiter zu lernen. Man wird es lernen, es werden Situationen in unserer Leben treten, die uns eben das beweisen.
Vertrauen, wem können wir vertrauen? Wer meint es wirklich gut mit uns? Wer tut die Dinge nicht nur zu seinem Vorteil? Selbst das kann ich euch nicht beantworten, ich weiß es nicht, ich muss es noch lernen. Nur was ich euch sagen kann, der Mensch, dem man immer zu 100% Vertrauen kann ist man selbst. Man ist immer einsam im Leben. Selbst mit einem Partner. Ich zum Beispiel liebe meinen Tom und kann mir ein Leben ohne ihm nicht mehr vorstellen, trotzdem bin ich allein, ich gehe meinen Weg, er begleitet mich zwar aber trotzdem bin ich in meinen Entscheidungen die ich treffe, mit den Gedanken die mich quälen, einsam. Weil nur ich mein Leben bestimme, meine eigenen Entscheidungen treffe. Ich reife und gehe meinen Weg.
Nun wird es Zeit für meine Geschichte, die die ich euch erzählen will, die die mich noch überraschen wird. Ich weiß nicht wie es weiter geht. Ich stehe an meinem Traum, kenne die Zukunft nicht, so wie jeder hier auf dieser Erde. Stehe vor meinem ersten Konflikt. Tom kennt meinen Traum nicht, auch meine Vergangenheit kennt er nicht, ich belüge ihn weil ich meine Vergangenheit selbst vergessen muss.
„Schatz? Alles klar bei dir?“ höre ich Toms Stimme in der Dunkelheit.
Wieder diese Frage die mich quält, erzähle ich ihm von dem Traum?
„Ja alles klar habe nur schlecht geschlafen.“ Wieder bin ich froh dass es dunkel ist und dass er meine Augen nicht sieht, würde er sie sehen, würde er wissen dass es eine Lüge ist. Wie immer.
„Süße“, beginnt er und legt seine Hand auf mein Gesicht, „das muss aufhören, so geht das nicht weiter. Jeder Nacht rufst du im Schlaf, schreckst auf und erzählst mir, dass alles gut ist. Bitte lüge mich nicht an.“
Er merkt es, vielleicht kann ich es nicht weiter vor ihm verschweigen. Ich antworte wie immer.
„Vielleicht ist es das…“
Ich breche ab, beende den Satz nicht, er weiß was ich antworte, dass gleiche wie immer und wieder wird er fragen für wie dumm ich ihn halte. Es ist sinnlos also stehe ich auf und verlasse wortlos das gemeinsame Schlafzimmer. Er folgt mir nicht, kennt mich. Ich brauche Zeit für mich, für MEIN Leben. Am Balkon zünde ich mir eine Zigarette an und nehme einen tiefen zug. Durch die Scheibe sehe ich die Visitenkarte, des Menschen, der mich die letzten Jahre lange begleitet hat, der fast alles über mich weiß. Vielleicht sollte ich ihn wieder anrufen und eine Termin machen, vielleicht wird er mir helfen. Obwohl ich mir nicht sicher bin ob man mir überhaupt noch helfen kann, es sitzt zu tief und meine Vergangenheit kenne nur ich und kein anderer hier darf sie erfahren, keiner darf wissen wer ich wirklich bin. Jetzt bin ich Keyla, Keyla Smith die und keine andere mehr.
Ich lasse mich auf den Stuhl am Balkon sinken. Eins war klar so konnte es wirklich nicht weiter gehen. Schon die Zeit früher hätte ich fast nicht überstanden und jetzt scheint es wieder so zu werden aber ich habe die Zügel noch in der Hand, kann es ändern, glaube ich, hoffe ich. Außerdem muss ich an Grace denken, unsere Tochter, sie ist erst sieben und sollte mit einer Mutter aufwachsen.
Lange Zeit hatte ich das Rauchen aufgegeben, nur die jetzigen Umstände zwingen mich wieder zu dem glühenden Biest, es tut gut wie der warme Rauch durch die Lungen zieht, es beruhigt mich.
Schon einige Zeit sitze ich jetzt hier um 2 Uhr nachts am Balkon. In der Küche geht das Licht an und Tom zischt durch den Lichtkegel. Rauskommen würde er nicht, nicht MEINE Zeit stören, meine Gedanken. Trotzdem kommt es an die Scheibe der Balkontür, öffnet sie aber nicht sondern hält nur die Visitenkarte, die ich eben schon beobachtet habe, vor das Glas so das ich sie lesen kann. Ich nicke und er versteht mich auch ohne Worte, drückt seine Lippen an die Scheibe, grinst, dreht sich um und verlässt die Küche wieder.
Noch eine Weile sitze ich hier, atme die kalte Nachtluft ein und höre auf die Stimme meines Herzens. Nur das mein Verstand und mein Herz komplett verschiedene Wege gehen. Wenn ich auf mein Herz hören würde, würde ich Tom alles erzählen, meine Vergangenheit, meinen Traum alles. Nur dann würde ich mein Leben riskieren und nicht nur meins sondern auch seins und Graces. Mein Verstand ist Schäfer, Weißer und vor allem kälter, aber Richtig und sicherer.
Oft denke ich an meine Schwestern, sie kennen mein altes Ich mein altes Leben. Auch sie mussten lernen jemand neues zu sein. Keylen hat es nicht so schwer getroffen wie mich, oft bewundert sie mich aber eins weiß ich dadurch:
Die vergangenen Jahre haben mich geprägt,
sie sagt „Du bist stark....
Du schaffst das wenn Du das willst.“
Und ich, ich funktioniere, wie immer.
Obwohl ich müde bin, ausgelaugt, voller Sehnsucht
mich anzulehnen,
und ich stehe auf und gehe weiter,
mit lachendem Mund und leeren Augen.
Eins habe ich dabei gelernt ich vertraue nicht mehr so
schnell, denn der Schein kann oftmals trügen.
Es gibt Dinge die man besser nicht erfährt,
Sachen die einem besser nicht passieren
und Menschen die einem besser nicht begegnen,
Nur merkt man das alles erst,
wenn es schon zu spät ist. Doch genau an diesen Tagen,
in diesen Momenten, in solchen Situationen und
bei diesen Begegnungen, wächst man manchmal über sich selbst hinaus. Man lernt die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen und man merkt,
dass vieles im Leben nicht selbstverständlich ist,
dass man jeden Tag aufs Neue kämpfen muss. Dies weiß ich aber kann es noch nicht befolgen. Ich weiß wie klug es ist aber das kämpfen ist so schwer, ohne Kraft und ohne Energie. Aber gerade in dieser Zeit werde ich es lernen müssen, Grace und Tom zuliebe, kämpfen, so wie damals, nur das es diesmal nicht so leicht sein wird, weil die Kraft bereits aufgebraucht ist.
Morgen früh werde ich Dr. Fischer anrufen und einen Termin ausmachen, mit ihm sprechen. Ich zünde mir meine letzte Zigarette an, genieße die ruhe, die ruhe vor dem Sturm, so wie immer und gehe wieder ins Schlafzimmer.
Die Nacht schlafe ich schlecht, wie immer aber stehe morgens früh auf um Grace zur Schule zu bringen. Tom ist schon früh zur Arbeit gefahren um seinen Dienst im Krankenhaus anzutreten. Diese Woche arbeite ich nicht, ich habe mir Urlaub genommen um mich etwas zu beruhigen, mir weiter einzureden, dass alles gut ist und dass ich in Sicherheit bin. Lange Zeit hatte ich ruhe und dachte mein altes Leben verdrängt zu haben doch dieser Traum lässt mich nicht mehr los. Wie versprochen rufe ich vormittags Dr. Fischer an.
„Dr. Fischer, hallo hier ist Keyla Smith.“
„Keyla, ich habe lang nichts mehr von ihnen gehört, ist alles in Ordnung?“
„Ich brauche einen Termin bei ihnen, nichts ist in Ordnung, ich weiß nicht mit wem ich sprechen kann, meine Vergangenheit holt mich ein. Es ist dringend.“
„Ach Keyla… Das tut mir Leid, natürlich werde ich ihnen helfen. Wann würde es ihnen denn passen?“
Dr. Fischers Praxis lief im Moment nicht so gut und Zeit für mich hatte er immer also scheint einem schnellen Termin nichts im Wege zu stehen.
„So schnell wie möglich am besten noch diese Woche.“
Er war mein Vertrauter und einer der einzigen der ein bisschen über meine Vergangenheit wüsste und mir somit helfen konnte.
„Morgen habe ich einen Termin frei, 11:00 Uhr?“
„Super, danke, sie sind der beste, dann bis morgen.“
„Gerne, bis morgen.“
Ich lege auf und beende das Gespräch. Er war immer für mich da, der einzige Mensch der mich beurteilen konnte.
Den restlichen Vormittag verbringe ich, wie so oft in letzter Zeit, in meinen Gedanken. Mit Schreck schaue ich auf die Uhr, viel zu lang hatte ich die Zeit vertrödelt und beginne zu kochen. Schon kurze Zeit später klingelt es an der Tür, zuerst erschrecke ich dann erinnere ich mich wieder, dass meine Tochter Schulschluss hat.
Ich öffne die Tür und Grace betritt den Flur.
„Hallo Mama.“ begrüßt sie mich herzlich.
„Na meine Große, wie war die Schule?“
Lange sitzen wir am Tisch, essen, machen zusammen ihre Hausaufgaben und lernen schließlich für die bevorstehende Mathematikarbeit.
Wieder klingelt es an der Tür. Wer kann das nur sein?
Ich öffne und ein Junge steht vor meiner Tür.
„Frau Smith?“ fragt er mich. Er ist noch sehr jung, vielleicht vierzehn, gesehen habe ich ihn noch nie hier. Er entfernt ein blondes Haar von seiner Jacke und streicht diese gerade.
„Ja, wie kann ich dir helfen?“
„Ein Mann hat mir dieses Paket für sie gegeben, ich sollte es nur abgeben, hier.“
Er reicht mir die verpackte Schachtel. Ich nehme sie, bedanke mich und schließe die Tür wieder.
„Wer war das Mama?“ fragt Grace aus der Küche.
Kein Absender und die Schrift der Anschrift kommt mir sehr bekannt vor.
„Kleines, geh bitte hoch auf dein Zimmer und lerne allein weiter, ich komm dann nachher und frage dich ab, ok?“
Ohne ein Widerwort verlässt das kleine blonde Mädchen das Erdgeschoss und flitzt die Treppe nach oben. Behutsam stelle ich das Paket auf den Küchentisch. Bin ich jetzt völlig verrückt? Das kann nicht sein, ich versuche mir einzureden, dass ich mir das alles einbilde und dass viele Menschen diese oder eine ähnlich Handschrift besitzen.
In dem Paket ist nur ein Zettel in derselben Handschrift wie die der Anschrift.
Na Candy,
Ich denke du weißt sehr genau wer ich bin. Ich dachte ich grüße dich mal ganz lieb und sag deiner Tochter, dass sie sehr hübsch ist, muss wohl in der Familie liegen.
Wahrscheinlich werde ich dich mal besuchen kommen, du bist ja umgezogen wie ich gemerkt habe. Es war nicht leicht herauszufinden wer du jetzt bist, aber wie du siehst habe ich dich gefunden. Ich freue mich sehr dich bald wiederzusehen und dir ein Geschenk zu machen, eins was du verdient hast.
Dann bis bald …
Das konnte nur ein schlechter Traum sein, er konnte nicht wissen wo ich nun wohne. Er kennt Grace nicht, er will mir angst machen, woher kennt er sie, woher weiß er wo ich lebe? Die Angst kehrt wieder ein und lässt mich zittern. Das konnte nicht sein? Warum gerade jetzt? Er will sich rächen, so wie mein Traum es mir provezeit hat. Er wird kommen und das bekommen was er will. Schon immer bekam er seinen Willen und wenn es nicht so leicht war kämpfte er bis aufs Blut und so wird er es wieder machen, er wird nicht aufgeben, bis er bekommt was er will, mich, mein Leben.
Tom darf den Brief nicht finden, er muss verschwinden. Ich schnappe mir das Telefon und gehe ins Schlafzimmer, schließe ab und zünde mir eine Zigarette an, damit das Zittern aufhört.
Unter meiner Schublade hole ich ein Kästchen hervor. Das Kästchen meiner Vergangenheit, alles was davon übrig ist. Ein lächerlich kleines Kästchen mit Fotos, Berichten und der Telefonnummer, die ich gesucht hatte. Hastig tippe ich die vielen Zahlen in das Telefon ein und halte es schließlich ans Ohr.
„Bloom?“
„Hier ist Keyla. Er ist wieder da!“ flüstere ich in den Hörer.
„Keyla, hallo, beruhigen sie sich etwas, bitte, wer ist wieder da?“
„Er hat mir einen Brief geschickt, ein Junge hat ihn gebracht. Er kennt meine neue Identität, er will mich besuchen, sich rächen!“
Ich ziehe an der Zigarette und merke wie ich mich ein wenig beruhige.
„Keyla, kommen sie morgen früh vorbei, öffnen sie keinem die Tür, wir schicken eine Streife zu ihnen, die sie die Nacht bewacht, bleiben sie ruhig und machen sie nichts falsches. Bis morgen früh, 7:30 Uhr. In einer halben Stunde müssten die Kollegen da sein. Sie kennen ihre Geschichte nicht. Morgen bereden wir alles weitere.“
„Danke.“ entgegne ich kurz und lege auf.
Ich lösche die gewählte Nummer im Telefon und öffne das Fenster, damit der rauch nicht noch weiter das Schlafzimmer erfüllt.
Es geht wieder los. So wie ich es erwartet habe. Ich werde ihn Wiedersehen. Der Gedanke an ihn lässt meine Haut brennen. Feuerflammen streifen über meine Oberarme, über meine Beine und lassen ihren heißen Schleier über meinen Rücken gleiten. Wie soll ich wieder mit ihm fertig werden. Aber gerade jetzt ist es Zeit zu kämpfen, um ihm zu zeigen, dass ich die stärkere bin und das er in Gefahr ist, nicht ich oder meine Familie. Er wird das bekommen was er verdient, ich bin im Recht, er im Unrecht. Und der Gedanke er könnte meiner Familie etwas antun lässt das alte Feuer in mir brodeln.
Noch etwas Zeit habe ich um in meiner Vergangenheit zu schnüffeln.
Ich setze mich mit dem Kästchen, welches ich eben aus dem Unterboden der Schublade gequetscht habe, auf das Bett und beginne einige alte Bilder zu betrachten.
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„Candy, komm fang mich!“ rief meine große Schwester durch den Garten. Ich rannte hinter ihr her. Einige Runden um die Schaukel, welche in unserem Garten stand, und weiter durch die kleine Gasse zum Hof. Die heißen Steine brannten unter meinen nackten Füßen, aber ich genoss die Wärme der Sonne auf meinem ganzen Körper, auch an den Sohlen meiner Füße. Ich war zwölf Jahre und meine Schwester kaum zwei Jahre älter.
An der nächsten Ecke fasste ich sie, wir fielen zusammen zu Boden und rollten uns vor lachen auf die Wiese nebenan. Die warme Sonne brannte auf unserer Haut.
„Kinder kommt rein, essen ist fertig.“ hörten wir unsere Mutter von oben rufen.
Lachend krochen wir die Treppen unseres Hauses nach oben. Unsere kleine Schwester saß bereits in ihrem Hochstuhl und löffelte gierig ihren Brei. Unser Bruder saß mit seinen zarten acht Jahren am Kopfende des Tisches und klopfte nervös sein Besteck auf den Tisch.
„So Kinder, setzt euch, es gibt Spagetti.“
Wir waren eine Wilde Bande und machten Chaos in den neuen Haus, welches unsere Eltern vor kurzem gekauft hatten. Hier lebten wir nun, in einer schicken Vorstadt mitten im Grünen, mit vier Kindern und unseren Eltern.
Ben war diesmal der erste der den Löffel mit Tomatensoße füllte und die Ladung in mein Gesicht schoss. Ich lachte und füllte meinen Löffel ebenfalls. Unser Vater hatte die Küche kurz zuvor verlassen und unsere Mutter drehte uns den Rücken zu um die letzen Teller zu füllen. Noch bevor ich meine Ladung abschießen konnte lief ein neuer Klumpen Soße von meiner Stirn. Kate hatte sich eingemischt und auch die kleine Sophie warf nun mit ihrem Essen umher. Erst als eine lange Nudel unsere Mutter am Hinterkopf traf drehte sie sich um und entdeckte ihre mittlerweile komplett dreckigen Kinder grinsend. Ben hatte seinen Löffel schnell in den Mund gesteckt damit es aussähe als wenn er friedlich essen würde. Mutter begann zu lachen und nun platzte es auch aus uns heraus. Vater betrat die Küche gerade und begann ein Foto von seiner Familie zu schießen, die lachend um den Tisch versammelt war und denen die Tomatensoße aus den Haaren und von den Schultern tropfte.
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Langsam steigen Tränen in meinen Augen auf. Das Foto mit uns lachenden Kindern war das letzte Foto meiner Familie, bevor diese das erste Mal vom Schicksal getroffen wurde.
Ich war damals zwölf und glaubte noch an die schöne heile Welt und an glückliche Familien.
Nur zwei Tage nachdem das glückliche Bild entstanden war hatten meine Eltern einen schweren Autounfall. Ein LKW fiel auf der Autobahn um und zerdrückte das Auto meiner Eltern und das bis dahin so glückliche Leben der Familie. Dad war sofort tot und Mutter starb noch an der Unfallstelle als die Sanitäter sie aus dem Frack zogen.
Wir Kinder waren mit unserer Nanny allein zu Hause und erfuhren die Nachricht erst Stunden später als zwei Polizisten unser Haus aufsuchten.
Sophie war noch so klein gewesen mit zwei Jahren wurde sie, wie wir anderen Kinder auch Vollwaise, nur das sie unserer liebevollen Eltern kaum kennenlernen konnte. Eine Zeit lang lebten wir im Kinderheim, bis Kate volljährig wurde und ihre kleinen Geschwister, mich nun sechzehn jährige, Ben der nun zwölf wurde, und Sophie welcher erst sechs Jahre alt war zu sich holte. Ben schien die Situation nie richtig verkraftet zu haben und war kaum noch ansprechbar. Er zog sich komplett zurück, verkehrte mit komischen Freunden, die viel älter waren als er und schwörte Rache obwohl keiner Schuld trug, selbst der LKW Fahrer war schon wenige Tage nach dem Unfall an seinen Verletzungen im Krankenhaus verstorben.
Meine Tränen tropfen auf meine Beine und ich entschließe mich es für heute ruhen zu lassen. Die Schachtel verstaue ich wieder in meinem Versteck in einem Boden unter der Schublade und schließe das Fenster wieder. Vor dem Spiegel bleibe ich stehen und wische die Tränen aus meinem Gesicht dann verlasse ich das Schlafzimmer und schleiche in Graces rosa Kinderzimmer.
„Mama, was ist den los, bist du traurig?“ fragt meine Tochter mich besorgt als ich mich neben sie setze.
„Nein mein Kleines er ist alles in Ordnung, Mama ist nur müde. Soll ich dich abfragen?“
„Ok.“ antwortet sie, drückt mir ihr Heft in die Hand und setzt sich aufs Bett.
Einige Zeit frage ich sie die Aufgaben ab bis plötzlich die Tür aufgeht und Tom am Türrahmen wartet.
„Hallo ihr zwei. Schatz kann ich dich mal unter vier Augen sprechen?“
Ich schaue ihn verwirrt an stehe dann aber auf und folge ihm in den Flur.
Plötzlich wird er ernst und beginnt zornig zu sprechen: „Schatz, es ist eine Sache das du mir nichts von deinen Träumen nachts erzählst und mir viel verheimlichst aber kannst du mir jetzt bitte mal erklären warum mich unten zwei Polizisten nicht in mein Haus lassen wollten und ich mit ihnen diskutieren musste, dass ich hier wohne?!“
„Das ist alles nicht so leicht und ich würde dir gern alles erklären.“
„Na dann fang mal an.“
„Nein, bitte es ist der falsche Zeitpunkt ich kann dir das jetzt nicht erzählen.“
„Was muss denn noch passieren bis der –richtige- Zeitpunkt gekommen ist, ich finde es wird Zeit ich will wissen warum die Polizei unser Haus bewacht!“
„Bitte versteh doch ich kann es dir jetzt nicht erzählen. Es geht einfach nicht. Bitte vertrau mir einfach, dass ist das beste.“
„Keyla ich will jetzt sofort wissen was hier los ist!“
Er ist sauer, stinksauer und es ist sein gutes Recht aber ich kann es ihm noch nicht erzählen, es ist zu gefährlich und vor allem zu früh.
„Ich kann nicht, ok. Hab ein bisschen Geduld.“
beendete ich und laufe die Treppe nach unten.
„Keyla, bleib sofort stehen!“ ruft er wütend.
Ich drehe mich nicht um sondern laufe einfach weiter so als hätte ich ihn nicht gehört.
„Keyla!“ ruft er erneut, folgt mir eilig und packt mich schließlich fest am Oberarm. Nie ist er mir gegenüber handgreiflich geworden und nie packte er mich so fest an daher bin ich sehr überrascht, so kommen die anderen Gesichter der Menschen zu Vorschein, Angst.
Sie löst eine andere Seite in den Menschen aus, bringt sie zu Vorschein. Jeder Mensch hat drei Seiten, drei verschiedene Gesichter. Die erste Seite ist die die ich sehe, die zweite Seite siehst du und die dritte können wir beide nicht sehen, diese wird durch zum Beispiel Angst erst wach und kommt dann nach außen.
„Tom, ich kann es dir jetzt nicht erzählen, vertraue mir einfach!“ Langsam werde auch ich böse und lauter.
Tom lässt mich los und sinkt auf die Treppenstufe nieder.
„Kannst du mich nicht verstehen. Ich habe Angst um dich, uns und um Grace, Polizisten stehen vor dem Haus und lassen keinen hinein, ich will einfach nur wissen was los ist, ist das zu viel verlangt?“
„Natürlich verstehe ich dich aber ich kann mit dir darüber einfach nicht sprechen, im Moment nicht, ok? Ich werde es dir erzählen, irgendwann wenn die Zeit reif genug dafür ist. Morgen gehe ich zu Dr. Fischer, er wird mir helfen und es wird alles wieder gut, versprochen.“
Ich setze mich zu ihm und umarme ihn.
Tag der Veröffentlichung: 17.01.2011
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