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Völlig benommen taumelte er auf das riesige Tor zu. Er griff danach und verharrte einen Moment um zu verschnaufen, da ertöne ganz nah ein ohrenbetäubendes Jaulen. Panisch packte Ian die Gitterstäbe und riss daran. Welch ein Glück! Knarzend ließ es sich öffnen. Er schlüpfte schnell hindurch und schloss es wieder rasch hinter sich. Da verließen ihn die Kräfte und er sackte zusammen. Die Welt begann sich zu drehen, ein leises Stöhnen entrann Ians Lippen. Die Türme und Zinnen des gewaltigen Schlosses, dass da über ihm aufragte, schienen um ihn herum zu tanzen. Aus ganz weiter Ferne hörte er noch leise Schritte durch die angenehme Schwärze die ihn endlich einhülle und dann sank er endlich in die lang ersehnte Bewusstlosigkeit.

Eine sanfte Stimme drang in Ians Bewusstsein und holte ihn langsam in die Wirklichkeit zurück. Sie summte eine wunderschone Melodie.
Flackernd öffnete er seine Augen. Das erste was Ian sah war ein paar smaraktgrüner Augen, dass ihn liebevoll ansah. Die liebliche Melodie war verstummt, doch die sanfte Stimme sprach nun zu ihm: „Hier trink das.“
Ein Becher Wasser wurde ihm in die Hand gedrückt. Ian setzte sich vorsichtig auf und trank so hastig, dass er sich verschluckte. „Vorsichtig.“, erklang die Stimme fürsorglich neben ihm. Ian sah die junge Frau an, sie sah so zart und lieblich aus wie ihre Stimme klang. Ihr Haar war schwarz und fiel ihr in Tausenden Korkenzieherlocken über die nackten Schultern. Ihre Augen leuteten im schönsten smaragdgrün und ihre Lippen waren voll und zart.
„Wo bin ich?“, fragte Ian mit noch kratziger Stimme. „Du bist in dem Schloss vor dem du-“ „Oh mein Gott!“, unterbrach Ian die junge Frau und wich panisch auf dem Bett zurück, sodass er sich den Kopf an der Wand anstieß. „Du, du bist-!“, stammelte er und starrte mit aufgerissenen Augen auf die langen Eckzähne der Frau vor ihm, diese sah ihn etwas betroffen an. Ian packte sich, noch immer völlig entsetzt, an seinen Hals und suchte ihn hektisch nach eventuellen Wunden ab.
Die junge Frau nahm seine Hand zur Beruhigung in ihre. „Dir ist nichts geschehen, ich habe dich gerettet und über dich gewacht. Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, niemand wird dir etwas tun.“ Endlich beruhigte er sich ein wenig. „Aber du bist-!“ “In Wirklichkeit bin ich auch nicht viel anders wie du!“ Sie gab seine Hand wieder frei und schenke ihm erneut Wasser ein.
Ian beobachtete sie dabei ganz genau. Ein Vampir! Ein wahrhaftiger Vampir saß da und kümmerte sich um ihn! Es schien absurd, er hatte ein völlig anderes Bild von diesen Wesen gehabt, hässliche und brutale Blutsauger, so hatte er sie sich vorgestellt, nicht so lieblich und anmutig wie diese junge Frau da vor ihm.
Sie reichte ihm erneut den Becher. Ian zögerte einen Moment doch dann griff er zu, trank allerdings nicht sondern hielt den Becher mit beiden Händen umklammert vor seiner Brust.
„Du wohnst alleine in diesem großen Schloss?“, wagte er es schließlich zu fragen. Sie lachte amüsiert, ein glockenhelles Lachen. „Glaubst du das wirklich?“, fragte sie. Ihre Augen strahlten ihn an. „Nein, das ist das Schloss meines Vaters. Hier leben Einige.“ Sie wurde wieder ernst.
„Und gibt es hier noch mehr -“, Ian zögerte einen Moment. „Menschen?“,fragte er dann. Sie schüttelte leicht den Kopf. „Nein, du bist der Einzige. Und du darfst hier auch nur sein weil ich meinen Vater darum angefleht habe.“
Ian trank einen Schluck Wasser und stellte den Becher dann weg. „Aber wieso? Wieso hast du das getan?“ Sie sah ihn etwas verlegen an und knetete nervös ihre Hände in ihrem Schoß. „Ich weis nicht genau. Ich schätze ich habe Gefallen an dir gefunden.“ Er war verblüfft. Plötzlich sah sie ihm in die Augen und ergriff wieder seine Hand. „Du wirst doch hier bei mir bleiben, nicht wahr?“, fragte sie bestürzt. Ian sah sie etwas erschrocken an. Sein blick wanderte ohne dass er es bemerkte hinab zu ihrem Ausschnitt. Ihre runden Brüste drückten sich bei jedem Atemzug gegen die dunkelrote Korsage welche sie über ihrem Kleid trug.
„Ich, ähm-“, stammelte er. „Ich weis nicht so recht!“ „Bitte!“, flehte sie ihn an und kam ihm noch näher. Ians Blick haftete noch immer an ihrem Dekolleté. „Ich bitte dich, es kann hier so schön sein, das wirst du sehen! Bitte bleib bei mir! Keiner wird dir etwas tun!“ Völlig hypnotisiert nickte Ian einfach.
„Großartig!“, jauchzte sie in jugendlicher Begeisterung und sprang auf. Ian schüttelte kurz den Kopf, als sei er plötzlich aus einer Art Trance gerissen worden und sah der jungen Frau nach, die sich umgedreht hatte und auf die Tür zuging. „Ich werde es gleich meinem Vater sagen!“, frohlockte sie. „Warte!“, rief er ihr hinterher. Die Hand auf die Türklinke gelegt blieb sie stehen und drehte sich mit einem bestürzten Blick zu ihm um. Einen Moment dachte Ian daran ihr zu sagen, dass er nicht bei ihr bleiben würde, doch dieses liebliche Gesicht!
„Wie heißt du?“, rettete er sich schließlich aus der Situation. Der bestürzte Ausdruck im Gessicht der jungen Frau wich einem sanften Lächeln. „Anna.“, sagte sie nur und verschwand durch die Tür.
Einen Moment starrte Ian noch auf die massive Holztüre. Der Drang einfach aufzuspringen und zu flüchten verschwand allmählich, irgendwie hatte er plötzlich das Gefühl, dass ihn hier etwas großes erwartete. Es war wohl sein Schicksal gewesen, dass er hier gelandet war.

Anna lief durch die gewaltigen Gänge, die nur von Kerzen erleuchtet waren.
Als sie an einer Tür vorbeikam blieb sie stehen. Die Tür führte auf einen der unzähligen Balkone und da stand ein hochgewachsener Mann, schlank mit schmalen Hüften. Er trug feine Stoffe am Körper und eine lederne Hose. Sein Haar war silbrig blond und von Strähnen in den verschiedensten Graunuancen durchzogen, es war lang und er trug es wie immer im Nacken zu einem Zopf gebunden. Sein Gesicht war zum Vollmond gewand, der am sternklaren Himmel thronte.
Anna lehnte sich an den Rahmen der offenstehenden Tür und verschränkte die Arme vor der Brust. „Träumst du schon wieder, Bruder?!“, sagte sie neckend und nahezu vorwurfsvoll. Er sah sie über sie Schulter mit den selben smaraktfarbenen Augen an, wie ihre Eigenen. „Was willst du?“ Sie warf die Locken über die Schulter und trat ebenfalls auf den Balkon hinaus in die frische Nachtluft. „Ich habe ihn so weit, Gabriel!“ Es schien ihn nicht weiter zu interessieren und er sah wieder hinauf.
„Er fängt an mir zu vertrauen.“ Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen das steinerne Balkongeländer neben ihrem Bruder. „Ich werde warten, bis er sich völlig in mich verliebt hat und sich mir freiwillig hingibt!“ Sie hob die rechte Hand und fuhr sich mit dem Finger genüsslich über ihre Lippen. „Sein Blut wird dann so schmackhaft sein, dass ich es kaum ertragen werde! Und ich werde es auskosten, es bis zum letzten Tropfen genießen, wenn sein Herz dann aufhört zu schlagen.“, sie lachte hämisch.
„Wieso erzählst du mir das, Anna?! Du weist genau, dass ich dein Tun abscheulich finde! Du bist so niderträchtig!“ Anna grinste und sah ihn an. „Ganz genau deshalb erzähle ich es dir, Gabriel! Weil du so ein zartes Seelchen bist!“
Plötzlich fuhr Gabriel herum, packte sie am Kragen ihres Kapuzenumhangs und zeigte wütend seine Zähne. In seinen Augen blitzte der Zorn, doch Anna lachte nur über ihn. „Wage es nicht noch einmal so etwas zu behaupten!“, zischte er wütend zwischen seinen gefletschten Zähnen hervor. Doch Anna lachte nur weiter. „Du hast deine Emotionen nicht im Griff, Bruderherz!“, sagte sie mit einem hämischen Grinsen und sah ihm dabei tief in die Augen.
Gabriel stieß sie angewidert von sich. „Geh mir aus den Augen, verrücktes Weib!“

Ian schlug die Augen auf, wilde Träume hatten ihn geplagt, doch er konnte sich nicht mehr an deren Inhalt erinnern.
Er sah zur Seite, da saß sie wieder und sah ihn liebevoll an. „Anna.“, sagte er noch etwas verwirrt. „Hast du schlechte geträumt?“, fragte sie bessorgt und legte ihm sacht die Hand auf die Stirn. Ian ergriff ihre Hand und führte sie an eine Lippen. „Jetzt ist es wieder besser.“, sagte er und sah ihr in die Augen. Sie sah verlegen zu Boden und zog schüchtern ihre Hand zurück. Einen Moment verharrte sie so, doch dann schien sie sich wieder zu fassen. „Du bist sicher neugierig, soll ich dir das Schloss zeigen?“ Ian sagte nichts, er stand einfach auf. Anna erhob dich ebenfalls. Sie stand ganz nahe an ihm und sah zu ihm hinauf. Er versank in ihren Augen, war wie verzaubert von diesen funkelnden Juwelen. Sie zog ihn einfach in ihren Bann.
Dann ergriff sie seine Hand und zog ihn sanft zur Tür.

Das Schloss war gewaltig! Es war zwar dunkel, doch das veränderte nichts an seiner Schönheit und Pracht.
Die Wände schienen in die Unendlichkeit hinauf zu ragen, mit verzierten Fenstern. Überall standen steinerne Figuren, Wasserspeier grinsten von oben auf Ian hinunter als wüssten sie irgendetwas, dass sie auf eine grausame Art und Weise erheiterte.
Die Eindrücke prasselten nur so auf Ian nieder, sodass er überhaupt nicht im Stande war sie alle fest zu halten. Es gab so viel zu sehen. Und Anna zeigte ihm alles.
Auch außerhalb des Schlosses gab es Unmengen zu sehen, die Höfe waren mindestens ebenso gewaltig wie das Schoss selbst, verlassene, kleine Häuser, riesige Gärten, die sich in die Dunkelheit erstreckten.
Dann führte sie ihn zu einem kleinen See, umringt von unzähligen Bäumen, die ihre Kronen gen Himmel streckten. Und hier verharrte sie endlich.
„Gefällt es dir?“, fragte sie ihn lächelnd. Ian, noch ganz überwältigt ließ seinen Lippen einen angenehmen Seufzer entgleiten. „Es ist unglaublich!“ Sie lächelte ihn an, dann griff sie in den Stoff seines Hemdes und lehnte liebevoll ihren Kopf an seiner Brust an. „Es ist so schön, endlich, nach all der Zeit jemanden an meiner Seite zu haben.“, seufzte sie. Ian hob seine Arme und schlang sie um ihre zarten Schultern.
Da fiel ihm plötzlich eine Gestalt ins Auge. Da stand ein Mann, den Rücken an einen der Bäume gelehnt. Er war groß und schlank, trug prächtige Kleidung. Sein langes Haar schimmerte im Mondlicht.
„Wer ist das?“, fragte Ian leise. Anna hob den Kopf und folgte seinem Blick. „Das ist mein Bruder, Gabriel!“, sagte sie plötzlich in einem ganz anderen Tonfall. Ian blickte zu ihr hinab und sah sie an. „Du scheinst kein so gutes Verhältnis zu ihm zu haben.“ „Nein, dass ist aber auch nicht so wichtig.“, sagte sie und nahm ihn wieder bei der Hand. „Komm, lass uns wieder rein gehen, mir wird langsam kalt.“
Sie traten wieder in das Zimmer und setzten sich nebeneinander auf das Bett. Anna ergriff nun auch seine andere Hand und sah ihm tief in die Augen. „Du bist so lieb zu mir. Ich bin so glücklich, jetzt wo du bei mir bist.“ Sie beugte sich näher zu ihm. „Obwohl ich dich gar nicht richtig kenne, machst du irgendetwas mit mir, du löst ein komisches, aber angenehmes Gefühl in mir aus, wenn du mir nahe bist. Ich fühle mich so wohl bei dir.“
Plötzlich packte Ian das Verlangen diese zarten Lippen zu küssen aus denen diese lieblichen Worte gehaucht wurden. Seine Ängste waren nun völlig vergessen, hatten sich einfach in Luft aufgelöst. Und er neigte den Kopf um ihre weichen Lippen mit den seinen zu liebkosen.
Ein süßes Seufzen entwich ihr. Doch dann entzog sie sich ihm und stand auf. Sie legte die Finger auf ihre Lippen, als könnte sie nicht recht glauben was da gerade geschehen war. Dann drehte sie sich hastig um und eile zur Tür hinaus.
Ian blieb zurück. Hatte er zu überstürzt gehandelt?
Er stand wieder auf und beschloss sie zu suchen um sich bei ihr zu entschuldigen.

Gabriel stand noch immer an den Baum gelehnt und sah auf die tanzende Spiegelung des Mondes auf dem unruhigen Wasser. Er dachte über seine boshafte Schwester nach. Selbst für einen noch so skrupellosen Vampir sollte die Liebe das heiligste Gut auf Erden sein, dass es zu achten galt. Nein, mit der Liebe spielte man nicht, nicht um den noch so berauschendsten Geschmack, des einzigen was ihnen noch geblieben war vom Leben.
Ein Windstoß ließ die Blätter der Bäume rascheln. Gabriel sog die klare Nachtluft genüsslich in sich auf, als ihn plötzlich ein unglaublich süßer Duft in der Luft auffiel. Er sah zur Seite und da sah er ihn. Diesen sterblichen, den Anna angeschleppt hatte. Er sah sich suchend um. Sein Haar war etwas kürzer als schulterlang und braun. Er war schlank, doch sein Körper spiegelte trotz alledem das Ergebnis langer harter Arbeit wieder. Der süße Duft seines Blutes drang sich Gabriel mehr und mehr auf.
Er hatte ihn bemerkt und kam auf ihn zu. Gabriel versuchte ihn zu ignorieren, doch es schien ihn nicht zu stören, er kam einfach näher, bis er schließlich neben ihm stand. Der Duft war nun so intensiv, dass er Gabriel beinahe seiner anderen Sinne beraubte. Doch vermutlich schien es ihm nur so stark, da er schon länger kein Blut mehr getrunken hatte und sein Körper sich danach verzehrte.
„Du bist Gabriel, nicht wahr?“ Gabriel fand wieder in die Wirklichkeit zurück.
„Der bin ich und du solltest hier besser verschwinden, du hast hier nichts zu suchen, dass ist kein guter Ort für dich!“, sagte er mit gleichgültigem Ton in der Stimme. Dann sah er ihn an. Seine Augen waren dunkelblau, wie das tiefe Meer, dass nur dazu einlud darin zu versinken.
Doch er schien nicht zu verstehen, was Gabriel ihm hatte sagen wollen. „Hast du deine Schwester hier irgendwo gesehen?“, fragte er nur.
„Verstehst du denn nicht, was ich dir sage?!“, sagte Gabriel wütend und packte ihn an den Schultern. Doch das war ein Fehler gewesen. Er zog die Hände schnell zurück und drehte sich, überwältigt von seinen plötzlichen Gefühlen, hastig um. „Ich habe sie nicht gesehen! Und nun verschwinde!“, sagte er schroff.
„Stimmt mit dir irgendetwas nicht?“, fragte der Mann. „Ich habe gesagt du sollst verschwinden! Lass mich in Ruhe!“ Gabriel zitterte.
Endlich drehte sich der Mann um und ging zurück. Gabriel sah zurück und beobachtete ihn einen Moment, bis er im Nebel der Nacht verschwand.
Doch sein Lieblicher Duft blieb noch einige Sekunden länger in der kühlen Nachtluft hängen und Gabriel sog ihn genüsslich in sich auf. Noch immer starrte er auf die Stelle wo der Mann verschwunden war.
Was war da gerade nur mit ihm geschehen?

Ian rannte auf den kleinen See zu, da stand noch immer dieser Mann. Irgendetwas sagte ihm, dass er unbedingt zu ihm gehen musste. Er rief seinen Namen, doch er schien ihn nicht zu hören. Ian war schon fast am See angelangt, als ihn plötzlich jemand an der Hand packte und zurück zog.
Anna stand da hinter ihm. Und plötzlich schoss ihr Kopf nach vorne und ihre Zähne gruben sich in sein Fleisch. Ian schrie voller Pein auf.
Von seinem eigenen Schrei geweckt, fiel Ian beinahe aus dem Bett. Doch zwei Hände hielten ihn davon ab. „Meine Güte, Ian!“ Er sah zur Seite und sah direkt in Annas vor entsetzen aufgerissene Augen. „Das muss ja ein unglaublich schrecklicher Alptraum gewesen sein!“, sagte sie und setzte sich zu ihm ans Bett.
Ian atmete gehetzt ein und aus, sein Herz raste noch immer. Als er sich endlich beruhigt und realisiert hatte, dass es nur ein Traum gewesen war ergriff er Annas Hand. „Du scheinst immer über meinen Schlaf zu wachen.“, sagte er, nicht wissend ob er das als gut oder schlecht empfand.
Da knurrte es plötzlich laut. Anna lachte auf. „Na kein Wunder, dass dich Alpträume plagen!“, sagte sie amüsiert. „Du hast Hunger!“

Ian saß an dem Gewaltigen Tisch im Speisesaal. Gab es in diesem Schloss denn nichts in normaler Größe? Offensichtlich nicht. Selbst das Essen das ihm Anna kurz darauf brachte war ein wahres Festmahl, so viel dass er sich sicherlich fünf Mal daran hätte sattessen können! Er griff dankbar zu und füllte sich den leeren Magen. Anna saß nur daneben und sah ihm aufmerksam dabei zu. „Willst du nicht auch etwas essen?“, fragte Ian sie. Sie öffnete einen Moment lang den Mund, als wolle sie etwas sagen, doch dann schloss sie ihn wieder und schüttelte leicht den Kopf. Sie sah ihn mit einem leicht gequälten Lächeln an. „Ich glaube das sollte ich lieber nicht hier machen...!“, sagte sie schließlich leise.
Einen Moment musste Ian über den Sinn ihrer Worte nachdenken, bis es ihm plötzlich und schmerzlich wieder einfiel. Er legte die Gabel am Rand des Tellers ab und schluckte den letzten Bissen mühevoll hinunter. Ihm wurde plötzlich schlecht.
„Stimmt mit dir etwas nicht?“, fragte Anna besorgt und wollte ihm die Hand auf die Schulter legen, doch Ian sprang auf. „Ich brauche frische Luft! Ich habe wohl zu viel gegessen!“ Mit diesen Worten eilte er aus dem Speisesaal und ließ Anna dort alleine zurück. Er eilte durch den Gang auf der Suche nach dem nächsten Balkon um frische Luft zu schnappen.
Da prallte er plötzlich mit jemandem zusammen. „E-Entschuldigung!“, stammelte Ian und sah hinauf, da stand Annas Bruder vor ihm. Sein Gesichtsausdruck war im ersten Moment genauso überrascht wie Ians, doch sofort wich die Überraschung Zorn. Seine grünen Augen blitzten auf. Er stieß Ian gegen die Wand und hielt ihn dort fest. „Habe ich nicht zu dir gesagt, dass du verschwinden sollst?!“ Ian kniff die Augen zusammen in Erwartung eines weiteren Ausbruchs, doch der blieb aus. Gabriels Griff in dem Stoff von Ians Hemd löste sich. Einen Moment glitten seine Finger darüber und dann entfernten sie sich wieder. Vorsichtig öffnete Ian die Augen. Er stand noch immer vor ihm und starrte ihm mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck auf die Brust. Ians Herz raste. Da sah in Gabriel plötzlich in die Augen, doch seine Gedanken schienen noch immer irgendwo anders zu sein. Sein Gesicht schien wie aus Elfenbein geschnitzt, blass und ebenmäßig. Er hatte seine Lippen leicht geöffnet und atmete schwer, als würden ihn seine Gedanken ziemlich zu schaffen machen.
Plötzlich riss er sich von Ians Augen los und sah zur Seite. „Du solltest nicht bei meiner Schwester bleiben!“, sagte er nur und ging. Ian blieb den Rücken an die Wand gepresst stehen und sah ihm nach. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Mann. Er verhielt sich ausgesprochen seltsam. Doch auch Ian war ordentlich verwirrt. Und so verharrte er noch ein paar Minuten so bevor er sich zu seinem eigentlichen Ziel, dem Balkon, begab.
Die kühle Nachtluft vertrieb all seine wirren Gedanken. Er atmete dankbar tief ein und aus. Dann lehnte er sich auf das Balkongeländer und sah hinab. In der Dunkelheit sah er einige Gestalten, das mussten die anderen Vampire sein von denen Anna gesprochen hatte. Bis jetzt hatte er noch keinen von ihnen zu Gesicht bekommen.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter. Ian erschrak und fuhr herum. Anna sah ihn etwas beklommen an. „Entschuldigung, wenn ich dich erschreckt habe.“, sagte sie schüchtern. „Ist schon in Ordnung.“, entgegnete er knapp. Anna sah ihn von unten hinauf an. „Hasst du mich jetzt?“ Sie schien den Tränen nahe. „Nein.“, sagte Ian nun etwas herzlicher und schloss sie in seine Arme. Sie sank mit einem erleichterten Seufzten in seine Umarmung.
Nach einer Weile löste Ian die Umarmung und sah zu den Sternen hinauf. „Die Nacht ist wunderschön!“, sagte er träumerisch. „Das ist sie!“, sagte Anna und sah ebenfalls hinauf.
Da fiel ihm wieder die Begegnung vor kurzem ein. „Dein Bruder verhält sich sehr eigenartig.“, sagte er. Anna sog scharf die Luft ein. „Hast du dich etwa mir ihm unterhalten?“, fragte sie etwas forsch. Ian sah sie wieder an, sie schien ganz und gar nicht davon begeistert zu sein. Dann wandte sie ihren Blick wieder der Ferne zu. „Du solltest ihm besser aus dem Weg gehen. Gabriel ist nicht gerade davon begeistert, dass ich mich mit einem Sterblichen abgebe! Er hat sicherlich schon so etwas erwähnt, nicht wahr?!“ Ian nickte in Gedanken versunken. „Es ist sicherlich auch nicht das Allerbeste...“, sagte er leise. Anna schlang ihre Arme um seinen Körper.
„Sag so etwas nicht!“

Gabriel saß auf einem Stuhl vor einem großen Spiegel und starrte auf sein nicht vorhandenes Spiegelbild.
Plötzlich wurde krachend die Türe aufgestoßen das Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Er sah Anna rasend vor Wut auf ihn zugestürmt kommen. Zornig zeigte sie ihre Zähne.
„Was mischt du dich in meine Angelegenheiten ein du dreckiger Bastard!?“ Sie packte ihn mit gewaltiger Kraft am Kragen und riss ihn vom Stuhl in die Höhe. Er sagte nichts, sah sie nichteinmal an. Sie schüttelte ihn Grob. „Hör mir gefälligst zu!“ Er wandte ihr das Gesicht zu, erwiderte jedoch noch immer nichts. Anna schien etwas verwirrt. Plötzlich ließ sie ihn los und trat einen Schritt zurück. Sie sah ihn ungläubig an und schüttelte fassungslos den Kopf. „Oh nein. Ich weis was da vor sich geht! Schlag dir das mal sofort aus dem Kopf!“ Sie fuchtelte wild mit den Händen in der Luft herum. „Vergiss das sofort wieder!“, schrie sie ihn an. „Denk nicht mal daran!“ Sie atmete fassungslos ein und aus. Dann packte sie ihn wieder am Kragen und schüttelte ihn. „Wage es ja nicht noch einmal dich in irgendeiner Weise einzumischen, hast du mich verstanden?!“ Er antwortete noch immer nicht. Mit einem wütendem Aufschrei stieß sie ihm von sich, stürmte noch immer rasend vor Wut aus dem Raum und schlug mit einem gewaltigem Krachen die Tür ins Schloss.
„Wage es ja nicht!“, schrie sie im Gang noch mal. Dann entfernten sich ihre Schritte von der Tür.

Gabriel packte die schreiende, junge Frau am Arm und riss sie an sich. Sie wehrte sich panisch und versuchte seinem eisernen Griff zu entkommen. Er grub seine Zähne in ihren Hals und begann ihren Lebenssaft aus ihrem zitternden Körper zu saugen. Gabriel schluckte, doch es schien bitter zu schmecken, er wollte ihr Blut nicht. So ließ er wieder von ihr ab und drehte sie zu sich um. Den letzten Schluck ihres Blutes spuckte er aus und wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen.
Er sah dem Mädchen in die angsterfüllten Augen. „Du solltest Nachts nicht alleine herumlaufen.“ Mit diesen Worten stieß er sie von sich und sah ihr hinterher wie sie Hals über Kopf davon rannte.
Was war nur mit ihm los? Gabriel war völlig unzufrieden, nichts schien dagegen zu helfen. Er hatte nun schon mehr als zwei Wochen kein Blut mehr getrunken und er wollte es auch nicht. Obwohl er vor Durst fast verrückt wurde, war er nicht befriedigt wenn er trank.
Völlig in Gedanken versunken trugen ihn seine Füße zum Schloss zurück.

Ian kam gerade aus dem Baderaum heraus sein Haar war von dem Bad welches er gerade genommen hatte noch feucht und er hatte es im Nacken zurück gebunden. Anna hatte ihn gebeten nach dem Bad zu ihr zu kommen, sie wollte ihm offenbar irgendetwas sagen. Und so lief er durch die Gänge in Richtung ihrer Gemächer.
Als er um die Ecke bog fiel ihm jemand ins Auge. Da war ein Mann, er lehnte sich schwer atmend an die Wand. Das weisblonde Haar war offen und lang und fiel ihm wild über die Schultern. Ian ging näher heran und erkannte dass es Gabriel war. Was war nur mit ihm los? So hatte er ihn noch nie gesehen. Ian machte sich Sorgen und so ging er weiter auf ihn zu. Bei Gabriel angekommen legte er ihm vorsichtig die Hand auf die Schulter.
„Stimmt etwas nicht?“ Da packte Gabriel plötzlich Ians Handgelenk und riss ihn herum, drückte ihn gegen die kalte Wand. Er presste beide Handgelenke hart gegen den Stein. „Gabriel!“, stieß Ian erschrocken und etwas beängstigt hervor. Doch der sah nur schwer atmend zu Boden. Das lange Haar hing herab. Beide schwiegen. Nur Gabriels schwerer Atem war zu hören. Sein Körper bebte bei jedem Atemzug. Sein Griff um Ians Handgelenke wurde immer stärker und stärker, bis Ian es fast nicht mehr aushielt. „Gabriel, ich-“, da sah Gabriel plötzlich auf. Ian erschrak, als er seine Augen sah. Sie waren blutrot! Sein Mund war leicht geöffnet, sodass Ian seine langen Eckzähne sehen konnte. „Ian!“, stieß er noch immer schwer atmend zwischen seinen zusammengepressten Zähnen hervor. Dann kam er ihm näher. Er legte seinen Kopf zur Seite und führte seine Lippen so nahe an Ians Hals, dass sie ihn beinahe berührten. Ein eigenartiges Gefühl durchfuhr Ians Körper, er begann zu zittern und sein Herz pumpte sein Blut wie verrückt durch seine Adern. Gabriel sog seinen Geruch in sich auf. Was ging hier nur vor sich? Ian konnte sich nicht bewegen, er war starr. Vor Angst?
Da öffnete Gabriel seinen Mund, sein Kopf neigte sich noch ein Stück weiter. Mit der Zungenspitze fuhr er über die Haut. Ians Ganzer Körper erbebte.
Als die Spitzen seiner scharfen Zähne seine Haut berührten fand Ian endlich die Kontrolle über seinen Körper wieder. Er versuchte sich aus dem Griff zu befreien, doch er war eisern. „Nein.“, hauchte er leise und kniff die Augen zusammen. Er konnte nichts ausrichten. Da hielt Gabriel plötzlich inne. Ian spürte seinen Atem auf der Haut
Dann lockerte er seinen Griff und zog sich von Ians Hals zurück. Er sah ihm in die Augen. Das Rot war aus seinen Augen gewichen und sie strahlten wieder in smaragdgrün.
„Verzeih mir!“, sagte er und ließ Ians Handgelenke entgültig los. Einen Moment lang standen sie noch da und sahen sich einfach nur an. Dann wandte sich Gabriel ab und verschwand.
Ian stand da und rieb sich die Handgelenke. War das gerade wirklich geschehen? Seine Gedanken waren wirr und er konnte sie nicht sammeln. Völlig verwirrt stand er einfach da und starrte auf die Stelle wo Gabriel in der Dunkelheit verschwunden war.
„Ian?“, hallte eine Stimme durch den Gang. Wessen Stimme war das? „Ian?“, da war sie wieder. Er drehte sich um und sah eine Frau auf sich zu kommen. Die schwarzen Locken wippten bei jedem Schritt auf und ab. Sie hatte die selben Augen wie er.
„Ian, stimmt etwas nicht?“, fragte sie. Da fiel es ihm alles wieder ein und er fasste sich an den Kopf. Er war noch immer etwas benommen. „Ich habe mir sorgen gemacht weil du so lange gebraucht hast. Geht es dir nicht gut?“ Ian schüttelte leicht den Kopf. „Ich glaube ich habe nur etwas zu heiß gebadet, Entschuldigung.“ Mit einem sanften Lächeln nahm Anna ihn beim Arm und brachte ihn zu ihren Gemächern.
„Leg dich doch noch etwas hin.“, bat Anna ihn, doch Ian war nicht danach zu mute. Es ging im wieder besser und er hatte noch auf dem weg beschlossen nicht mehr über das was geschehen war nachzudenken. Also setzte er sich auf die Bettkante und sah Anna in die Augen. Sie lächelte ihn wieder warmherzig an. „Du lächelst immer, nicht wahr?“ Sie lächelte nur weiter und legte ihren Kopf auf seinen Schoß. Ian strich ihr sanft sie Strähnen aus ihrem Gesicht. Er wollte ihre Augen sehen. Anna genoss es einen Moment, dann begann sie zu sprechen: „Mein Vater gibt morgen einen Ball!“ Sie nahm seine Hand und streichelte sie vorsichtig. „Alle kommen. Gehst du mit mir dort hin?“ Sie sah ihm in die Augen. „Alle kommen?“, fragte Ian leise. „Ja.“, sagte Anna und runzelte leicht die Stirn. Ian verstand selbst nicht warum er das gefragt hatte. „Natürlich werde ich mit dir hingehen!“ Er nahm ihre Hand und küsste sie sanft.

„Du wirst kommen!“
Die Tür wurde vor Gabriels Nase zugeschlagen. Er hatte keine Wahl. Er hatte seinen Vater gebeten nicht auf den Ball kommen zu müssen, doch es hatte keinen Sinn gehabt. Gabriel wollte nicht ansehen müssen wie seine Schwester ihren widerlichen Plan in die Tat unsetzen würde. Wenn er sie schon nicht davon abhalten konnte, wollte er es nicht auch noch ertragen müssen. Doch sein Vater war eisern, der Ball war Tradition und so war sein Bitten von vornherein ohne Sinn gewesen.
Gabriel ging in seine Gemächer und begann damit sich einzukleiden. Für ihn schien es kein freudiger Ball mit Tanz und Gesang zu sein, es glich ihm mehr einer grausamen Hinrichtung.
Was war nur mit ihm los, sonst war er doch auch nicht so.
Da erinnerte sich Gabriel an die letzte Nacht, als er Ian begegnet war. Wie hatte das nur geschehen können? Normalerweise konnte er sich doch beherrschen was seinen Blutdurst anging, aber als Ian plötzlich gekommen war, da hatte er plötzlich die Kontrolle verloren. Hatte er wirklich nur sein Blut gewollt?
Da klopfte es an die Tür. „Gabriel, euer Vater schickt mich um euch zum Ball zu bringen.“, drang eine Stimme von außen herein. Was? War es denn schon so spät? Wie lange war er denn so dagesessen und hatte nachgedacht?
„Ich komme!“ Er stand auf und ging zur Tür. Es hatte ja sowieso keinen Sinn mehr sich über all das Gedanken zu machen. Mit diesem Mann war es eh bald vorbei.

Ian sah sich um. Der Ballsaal war gewaltig und wunderschön. Überall standen Leute in den schönsten Gewändern auch Kinder, doch rannten diese nicht umher und spielten lachend, so wie es bei den Menschen gewesen wäre, sondern sie standen bei den anderen und unterhielten sich angeregt. Ein seltsames Bild wenn Kinder wie Erwachsene behandelt wurden, doch sie waren natürlich schon lange keine Kinder mehr, sie waren nur für immer in einem Kinderkörper gefangen. Ein schaudern überkam Ian. Er fühlte sich nicht wirklich wohl in seiner Haut, die Blicke welche die Vampire ihm von der Seite zuwarfen waren eindeutig.
„Stimmt etwas nicht, Ian?“, fragte Anna neben ihm. Ian schluckte schwer. „Ich bin hier nicht willkommen.“, sagte er leise. „Ach was.“, warf Anna ein und nahm ihn am Arm. „Das bildest du dir nur ein.“ Vielleicht hatte sie ja sogar recht, vielleicht machte er sich nur selbst Panik.
Sie zog ihn weiter . Ians Blick wanderte suchend umher. Wonach suchte er nur? Auch wenn er die Antwort kannte wagte er es nicht es sich einzugestehen.
Da betrat Gabriel die Halle, sein Haar hatte er wieder im Nacken mit einem Band zusammen gebunden. Am Oberkörper trug er feine Stoffe in mehreren Grautönen, dazu eine lederne Hose und Stiefel. Das alles schmeichelte seinem Körper so sehr. Ian konnte seinen Blick nicht von diesem anmutigen Mann abwenden. Auf eine seltsame Art und Weise zog er ihn an. Was war das nur? Ian benahm sich in seiner Gegenwart immer so seltsam.
Da sah Gabriel in seine Richtung für einen Moment blieben ihre Blicke aneinander Haften, doch dann wandte Gabriel sich ab und verschwand in der Menge.

Gabriel lehnte sich an die Wand. Er konnte Ian durch die Menge hindurch beobachten. Als sie sich für einen Moment angesehen hatten hatte ein seltsames Gefühl seinen Körper erbeben lassen.
Doch jetzt wo er zusah wie er sich mit Anna unterhielt, wie sie lachten und seine Schwester ihn umarmte, da nahm ein anderes Gefühl von seinem Körper Besitz. War das Eifersucht? Nein, das konnte doch nicht sein. Er war sicher nur wütend, weil seine Schwester so niederträchtig mit diesem Menschen umging. Und doch, warum störte es ihn überhaupt so sehr was sie tat?

Die Musik begann zu spielen, Ian war begeistert. Es war eine Musik wie er sie noch nie zuvor gehört hatte, doch sie zog ihn in ihren Bann. Er sah den Tanzenden Vampiren zu. Es war ein unglaublicher Anblick! Sie bewegten sich so anmutig, geschmeidig und doch rhythmisch. Es war ein Tanz wie er ihn noch nie gesehen hatte.
„Du solltest dich glücklich schätzen, Ian.“, sagte Anna und riss ihn so aus seinem Trance ähnlichen zustand. „Nicht viele Menschen können so etwas miterleben.“ Sie sah ihn lächelnd an. „Bist du glücklich?“ „Natürlich bin ich das, es ist atemberaubend!“ Ian wandte seinen Blick wieder auf das Geschehen auf der Tanzfläche. Anna nahm ihn am Arm und drehte ihn wieder zu sich. „Bist du mit mir glücklich, Ian?“ Seltsamer Weise fühlte sich Ian plötzlich überhaupt nicht mehr gut. Er fühlte sich wie in die Enge getrieben.
„Ich- ich denke schon.“, gab er als Antwort. Anna lächelte glücklich und seine Bedenken verschwanden wieder. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und lehnte sich an ihn. „Ich möchte für immer mit dir zusammen sein, Ian! Ich kann an nichts anderes mehr denken.“ Sie stellte sich wieder aufrecht hin und sah ihm in die Augen. „Das ist mein größter Wunsch.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn. Wieder kam ein seltsames Gefühl in ihm auf. Der Kuss war schön, ihre Lippen waren weich und zart, doch es befriedigte ihn nicht wirklich. Das war es nicht was er wirklich wollte.
Sie ließ wieder von seinen Lippen ab. Ian spürte dass er beobachtet wurde, er konnte die Blicke im Nacken fühlen. Anna sah ihn an, sie sah ihn mit ihren schönen, smaragdgrünen Augen an.
„Ich liebe dich, Ian“, sagte sie leise. Doch aus ihrem Munde klang das irgendwie falsch. Sie hob die Hand und streichelte ihm über die Wange, doch Ian konnte ihre Fingernägel spüren. Irgendetwas war hier nicht richtig.
„Du liebst mich doch auch, oder Ian?“ Irgendetwas hatte sich in ihrem Blick verändert.
„Ich- ähm“, Ian rang nach Luft. Ihm war unwohl. Die Blicke in seinem Nacken schienen immer mehr zu werden. Liebte er sie? Vor einigen Tagen hätte er sicherlich noch ohne zu zögern ja gesagt, doch jetzt? Da war etwas in seinem Inneren, dass ihn davon abzuhalten versuchte. Etwas nagte da an ihm. Und plötzlich wurde es ihm klar.
„Nein, Anna. Ich liebe dich nicht!“ Ian war unglaublich erleichtert.
„Du- was?!“ Annas Stimme war schrill. Ihr Gesicht war wutverzehrt. Ian wich einen Schritt zurück. Was ging hier vor sich? Sie zeigte ihre Zähne und das Grün ihrer Augen wich einem leuchtenden, bedrohlichen Rot. Erst jetzt bemerkte Ian, dass die Musik aufgehört hatte zu spielen. Er wollte wegrennen, doch er konnte weder seinen Körper bewegen noch seinen Blick von ihren wutentbrannten Augen nehmen. Sie packte ihn am Hals.
„Wozu habe ich mir all die Mühe gemacht du kleines Stück Dreck?!“ Sie grub ihre Fingernägel in sein Fleisch. Ian konnte nichts tun, er konnte nichteinmal seinen Schmerz herausschreien. „Ich werde dich zerfetzen! Du bist es nicht wert, dass ich dein dreckiges Blut trinke!“ Ians Herz raste vor Angst, er konnte nichts tun. Er war dem Tode geweiht, er war es schon von anfang an gewesen!
Da packte ihn plötzlich jemand am Arm und riss ihn mit. Sobald der Augenkontakt abgebrochen war erlangte Ian seine Körperbeherrschung wieder. Anna schrie voller Hass auf, sodass ihre langen, erschreckenden Eckzähne völlig entblößt wurden.
„Gabriel! Ich bring dich um du Schwein!“, schrie sie hysterisch und wollte gerade hinterher rennen, als ihr eigener Vater sie an der Schulter packte und zurückhielt.
Ian sah nach vorne. Es war tatsächlich Gabriel der ihn gerettet hatte. Er rannte schnell und zog ihn hinter sich her, aus dem Ballsaal, aus dem Schloss und weit in den Wald hinein.
Nach einer Ewigkeit so schien es Ian blieb er endlich stehen. Er sah ihn nicht an. „Gabriel!“, sagte Ian noch völlig außer Atem. „Wieso?“ Gabriel, der noch immer sein Handgelenk umklammert hielt drehte sich um und drückte ihn gegen einen Baum. Ian schnaubte leicht belustigt aus. Aus irgendeinem Grund endeten sie immer in dieser Position.
„Hör zu.“, begann Gabriel und sah zu Boden. Seine Hände zitterten. „Es klingt vielleicht komisch, aber ich kann es auch nicht ändern!“ Ians Herz klopfte noch schneller als es es sowieso schon von der Anstrengung tat. „Ich konnte nicht zulassen, dass sie dir etwas antut, weil- weil ich-“ Er atmete tief ein. „Ich möchte noch mehr über dich erfahren, ich will dich kennen lernen, Ian. Ich glaube ich habe mich in dich verliebt.“ Ein kleines Lächeln umspielte Ians Lippen. „Ich-“, begann er, doch Gabriel unterbrach ihn. „Du musst nichts dazu sagen, wenn du nicht willst kannst du gehen.“ Doch widersprüchlich zu seinen Worten hielt er ihn weiterhin fest.
„Ich möchte nicht gehen. Mir geht es genauso!“ Gabriel sah auf. Seine atemberaubenden Augen glänzten. „Wirklich?“, fragte er ungläubig. Ian befreite sich aus seinem Griff und legte seine Hand auf Gabriels Kinn. Er zog ihn zu sich und küsste ihn. Ja, so war es richtig. Das war worauf er die ganze Zeit gewartet hatte.
Gabriel legte seine Arme um ihn und zog ihn auf den Boden. Er stützte sich über ihn. Dann ließ er von seinen Lippen ab und leckte ihm leidenschaftlich das Blut von seinem Hals. Ian stöhnte leise. Er hatte einen Entschluss gefasst. „Ich will bis in alle Ewigkeit mit dir zusammen bleiben, Gabriel.“ Er zog ihn an sich und küsste ihn innig, schmeckte den metallenen Geschmack seines eigenen Blutes. „Bist du dir sicher?“, fragte Gabriel. Ian nickte nur und legte seinen Kopf zur Seite. Gabriel beugte sich hinab. Als seine Zähne ihn ihn eindrangen stöhnte Ian leise und sein Körper bäumte sich vor Verlangen auf.
„Ich liebe dich Gabriel.“

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Tag der Veröffentlichung: 20.09.2009

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