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Samstag, 05.06.2010
An diesem Abend ist meine Oma gestorben. Mein kleines Omchen.
Eigentlich hat es sich über Jahre hingezogen, seit die Ärzte 2005 das erste Mal Krebs erwähnt haben. Da war ich noch acht. Erst acht Jahre alt und mein kleiner Bruder sechs. Wir haben es noch nicht richtig verstanden, was Krebs überhaupt heißt, wieso Mam und Pap so einen besorgten Eindruck gemacht haben. Von da an ist es losgegangen mit Chemos und Perücken und ständig diese große Sorge, wenn sie ins Krankenhaus gekommen ist: „Was ist los?“
Ich habe ein Foto von meiner Familie an meinem 12. Geburtstag, auf dem sie mit einem bunten Turban zu sehen ist. Da sah sie noch einigermaßen gesund aus, hat sogar noch gelächelt. Das ist danach viel seltener geworden.
Ab Januar 2010 war sie dann ununterbrochen in Krankenhäusern. Zuerst in einem Kreiskrankenhaus in einer größeren Stadt. Dort haben die Ärzte sie so mit Medikamenten vollgepumpt, dass sie uns gesagt hat, sie fühlt sich, als ob sie high wäre. Sie hat versucht, dass Vaterunser zu beten, aber hat die Worte nicht gefunden. Dann kamen die Schwestern, um sie zu wickeln. Wir sind raus auf den Gang und da bin ich dann auch geblieben. Das da drinnen in dem weißen Krankenhausbett war nicht meine Oma. Ich kannte diese Person nicht. Ich hab ne gute halbe Stunde geheult und mich danach mit meinem Buch auf die Treppe verzogen, wo ich zwei Stunden lang gelesen habe. Ich hab allen Ernstes „Saphirblau – Liebe geht durch alle Zeiten“ in zwei Stunden durchgelesen, ich wollte mich nur betäuben, wollte nicht an Oma denken, an gar nichts.
Dann war sie in einem kleinen Krankenhaus, in einer Kleinstadt. An einen Besuch kann ich mich leider noch ganz genau erinnern. Sie war echt nicht gut drauf, ziemlich verwirrt von den ganzen Medikamenten. Ich werd hier mal einen Tagebucheintrag von diesem Tag aptippen:

02.05.2010
Ich bin so wahnsinnig traurig. Gestern hat Oma im Krankenhaus einen Wutanfall auf mich gekriegt, weis Gott, warum. Sie haben mich rausgeschickt, während mein Bruder sich eingeschleimt hat! Das hat SOOOO wehgetan... hab danach auch nen Heulkrampf gekriegt. Ich konnte sie gar nich mehr anschauen. Bei Uroma war's ja auch so: die hat mama ja auch ne watsche gegeben und sie als Teufel beschimpft. Aber warum grad ich!? Zu Philipp (mein Bruder) war sie ja auch nett! Papa hat gesagt, ich soll's nich persöhnlich nehmen, sie is halt verwirrt, aber es is halt trotzdem schlimm, wenn die eigene Oma einen nicht mehr mag und anschreit, auch wenn sie bloß „verwirrt“ ist! Ihre Tage sind gezählt, so sieht's aus :(

Versteht irgendjemand, wie ich mich da gefühlt habe? Sie sah so zerbrechlich aus, sehr dünn und müde, einfach nur müde.

Nach ein paar Tagen gab es eine Debatte, ob sie in ein Altenheim in unseren Wohnort verlegt werden soll. Ihr Zustand hat sich so gebessert, dass sie sogar mit den Krankenschwestern Mensch-ärgere-dich-nicht gespielt hat. An den Vorfall bei unserem Besuch konnte sie sich zum Glück nicht erinnern, aber ich hab mich so komisch gefühlt, als sie mich angelächelt hat. Belogen.
Damals hat sie schon gewusst, dass sie stirbt. Sie ist doch nicht in das Heim gekommen. Bei einem unserer Besuche hat sie sich ziemlich lautstark beschwert, dass sie noch leben muss. Sie hätte gedacht, dass sie nach zwei Wochen hier sterben würde, und dass es sie nervt, dass es nicht so ist. Sie war schon immer sehr direkt... :)
Dann kam sie letztendlich auf die Palliativstation. Ich glaube, dort war sie das erste Mal wieder glücklich. So weit man glücklich sein kann, wenn man nicht genau weiß, ob man nicht schon morgen stirbt. Sie hat in aller Ruhe ihre Beerdigung geplant, was für Blumen sie haben wollte, was mit in ihren Sarg soll, dass sie eine Feuerbestattung haben will. Ich hab ihr einmal einen Zweig frisch blühenden und sehr duftenden Flieder mitgebracht. Sie hat sich so darüber gefreut, ich muss jetzt noch daran denken, wie sie sich immer wieder bedankt hat. Seitdem stehen für mich Flieder und Lavendel für meine Oma.
Lavendel haben wir auf ihr Grab gepflanzt, weil sie diesen Duft so geliebt hat :)
Dann ist der Samstag gekommen. Am Freitag waren wir noch in Weimar und haben uns alles angeschaut. Samstagvormittag war mein Pap noch bei ihr auf der Station, er hat mir danach erzählt, dass sie schon fast geschlafen hat, aber noch seine Hand gedrückt hat, als er ihr ihr Lieblingslied vorgesummt hat. Ich fand das so schön, als er dass erzählt hat.
Abends wollten wir grillen. Ich hab gerade die Teelichter aus dem Keller geholt und wollte die Laternen im Garten anzünden, da hat das Telefon geklingelt. Irgendwie hat jeder es gewusst. Es klingt komisch und übertrieben, aber ich bin echt auf der Treppe erstarrt.
Mir hat alles so wehgetan, ich konnte nicht einmal heulen oder so, hab bloß Pap in den Arm genommen und ihn gedrückt. Das war die schönste Umarmung, die ich je bekommen hab :)
Meine Eltern haben dann meinen Opa abgeholt und sind auf die Station gefahren, uns haben sie zu meiner Firmpatin gebracht. Sie und ihre Familie haben mit Nachbarn ein Grillfest gemacht, mir hat es persöhnlich geholfen, Bekannte um mich zu haben und ein wenig lachen zu können. Ich hab eine Sternschnuppe am Himmel gesehen, ich stelle mir gern vor, dass es meine Oma war :) und ich glaub, sie ist friedlich eingeschlafen.

Die Beerdigung war auch noch sehr bewegend, vor allem, weil es ja zwei gab. Eine Verabschiedung und ein Urnenbegräbnis. Während der Verabschiedung hat sich ein weißer Vogel in der Kapelle verirrt und hat ununterbrochen gezwitschert. Auch wieder Oma :)
Ihr Lieblingslied wurde auch gespielt, „Von guten Mächten“, ich weiß nicht, ob jemand das kennt, aber ich finde es sehr schön. Als dann der Leichenwagen davongefahren ist, hat mein Opa noch etwas sehr schönes gesagt: „Tschüss, Matzi!“ Matzi ist Opas Wort für alles, was klein und süß und beschützenswert ist. :)
Ich weiß, dass in ihren Sarg mehrere Dinge mit hineingelegt wurden und auch mit verbrannt wurden, ein Tuch von meiner Mam, eine Kuscheltier von meiner Kusine und ein Buch von mir, alles Dinge, die wir ihr in den letzten Monaten geschenkt haben und über die sie sich sehr gefreut hat.
Das Urnenbegräbnis war auch schön, ich hab auf meiner Querflöte das Lied gespielt, zusammen mit meinem Cousin, der mit der Klarinette mitgespielt hat.
Ich hoffe, dass sie es sich genauso gewünscht hat.
Leider war dass Wetter da so heiß, dass uns etliche ältere Tanten umgekippt sind...

Ein Lied hat mich während dieser Zeit begleitet, ich habe es immer wieder gehört und muss jetzt noch weinen, wenn ich es höre: „Happy“ von Leona Lewis.

DANKE, dass ich mir alles das jetzt mal von der Seele schreiben durfte, ich hoffe, es hilft Personen, die auch mal so etwas erlebt haben oder es gerade erleben.

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Tag der Veröffentlichung: 07.05.2011

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