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Zitternd drückte ich mich gegen meine Zimmertür.
Mein Atem ging hektisch. Unter der Wucht der Schläge meines Bruders erzitterte die Tür. Ich schluckte. Dieses Mal würde ich nicht lebend davon kommen!
Was sollte ich bloß machen? Die Tür würde nicht mehr lange durch halten.
Plötzlich gab sie unter den Schlägen nach. Schwach fiel ich auf den Boden. Seit dem mein Vater gestorben war, spielte er den großen Mann im Hause. Meine Mutter bekam dies natürlich nie mit, aber dafür ich. Ängstlich sah ich ihn an und robbte weiter Rückwerts. Ich wollte nur weg von ihm.
Er hatte sich verändert. Früher hatten wir uns so gut verstanden und jetzt war davon nichts mehr übrig geblieben. Es ging schon seit ein paar Monaten.
Seit dem besaß mein Körper unzählige Blutergüsse und Prellungen. Meistens hatte er mich so stark verprügelt, besonders im Gesicht, da musste ich zu Hause bleiben und durfte nicht zur Schule. Wie oft hatte ich unserer Mom davon berichtet, dass er mich schlug, aber sie wollte das nie hören. Chase war ja ihr Lieblingskind. Sowas würde er ja nie tun. Ich hasste ihn seit dem Augenblick an, als mein Vater starb.
Mein Bruder stand jetzt über mir gebeugt. Hinter ihm lehnten seine Freunde lässig an der Tür. Vor ihnen spielte er natürlich sehr gerne den großen Macker.
Wieder schlug er mich. Tränen füllten sich in meinen Augen. Eine konnte ich nicht unterdrücken und diese lief meine Wange herunter.
Er zog an meinen Haaren und schleuderte mich vor den Füßen seiner besten Freunde. Früher hatte ich auch sie gemocht, aber mit der Zeit in der sich auch Chase verändert hatte, taten sie es ihm gleich.
Mein Bruder zog mich an meiner Bluse hoch, so dass ich kniend vor ihnen saß.
Der eine von ihnen hieß Tyler und kam näher auf mich zu. Ich schluckte und hatte Angst, was als nächstes passieren würde.
Hinter mir hörte ich Chase lachen und Tyler grinste mich hämisch an.
Plötzlich spürte ich seine Finger auf meiner Haut. Dieser dreckige Kerl knöpfte meine Bluse auf und fing an mich zu streicheln. Ich schluckte und wehrte mich, doch der feste Griff von Chase ließ es nicht zu.
Er strich sie von meiner Schulter runter. Dann wanderten seine Hände zu meinem BH, zu dem Verschluss. Erschrocken zuckte ich zusammen und wehrte mich wieder, doch es war vergebens. Tränen rannten meine Wangen herunter.
Ich fing an zu zittern. Dann machte er ihn auf. In seinen Augen erblickte ich die Gier nach mehr.
Er fing an meine Brüste zu kneten. Ich spürte, dass die Jungs ihre ganze Aufmerksamkeit meiner oberen Nacktheit widmeten. Als dann auch noch Tylers Hände weiter nach unten wanderten, schlug ich ihm mit einer geballten Faust in seine Weichteile. Tyler japste nach Luft. Chase knallte mir eine Ohrfeige. Schnell schnappte ich mir meinen BH und die Bluse, wich Chase und seinem anderen Freunden aus und rannte aus meinem Zimmer. Ich war sehr viel kleiner als Chase und daher war ich auch etwas geschickter als er. Beim Laufen zog ich mir meine Sachen über. Den BH anzuziehen, war ziemlich schwer, da man noch drauf achten musste, wo man hinlief. Schließlich wollte ich nicht gegen die Wand laufen, da gerade mein Fluchtplan so schön geklappt hatte. Wenn ich dies nicht getan hätte, dann wäre ich von ihnen vergewaltigt worden.
Hektisch öffnete ich die Haustür und rannte in die Nacht hinaus.
Heute hatte unsere Mutter Nachtschicht im Krankenhaus. Sie war eine sehr hochangesehene Doktorin dort. War klar, dass Chase sich ausgerechnet heute für die versuchte Vergewaltigung entschieden hatte, immer wenn sie nicht da war.
Beim Laufen knöpfte ich mir meine Bluse zu. Ich fühlte mich so schmutzig.
Wo sollte ich bloß heute Nacht hin? Zu meiner besten Freundin? Nein, das ging nicht. Ich wollte sie nicht unnötig in Gefahr bringen, da mein Bruder sie kannte. Jemand den er nicht kannte, aber wen? Chase wusste schon immer Bescheid über mich, was ich machte, mit wem ich befreundet war, wen ich liebte!
Damals hatte er mich ausgelacht, weil ich in seinen besten Kumpel verliebt war.
Er hieß Taylor. Es dauerte einige Zeit bis ich mit ihm zusammen kam. Mein Bruder wollte es natürlich nicht, doch Taylor empfand das Selbe für mich wie ich für ihn.
Mit ihm hatte ich auch mein erstes Mal. Er war einfach anders und das schätzte ich sehr an ihm, doch mein Bruder zerstörte unsere Liebe mit Intrigen.
Taylor zog dann in eine andere Stadt um dort an die Uni zu gehen und von da an verloren wir uns aus den Augen.
Ich war 17 und ließ mich von meinem Bruder immer noch herum kommandieren. Jedes mal, wenn ich mich ihm widersetzte, prangte ein weiterer Bluterguss auf meiner Haut. Ich hatte es so satt.
Mittlerweile war meine Theorie so, dass Chase es darauf anlegte, dass ich niemanden hatte. Niemanden, der mir glaubte oder Schutz gab. Er wollte mich vernichten, das spürte ich irgendwie.
Heute Nacht war es besonders schlimm mit ihm, da auch noch seine Kumpels dabei waren.
Hinter mir hörte ich ihre Schritte. Kurz blickte ich über meine Schulter. Sie waren mir dicht auf den Fersen.
Ich wusste nicht, wie lange ich schon um mein Leben rannte, doch dann ging mir die Puste aus. Seitenstiche hatten sich gebildet und ich lief langsamer.
Plötzlich packte man mich an der Schulter und zerrte mich in eine Seitengasse.
Erschrocken sah ich auf. Sie hatten mich eingeholt und wollten es hier und jetzt machen.
„Nein! Bitte nicht“, flüsterte ich flehend.
Sie lachten mich aus und kamen immer näher zu mir.
Mit meinem Rücken erreichte ich etwas Kühles. Es war die Mauer. Weiter zurück konnte ich nicht mehr. Den einzigen Weg hier raus, versperrten sie mir.
„Chase, was ist bloß mit dir passiert?!“, fragte ich verzweifelt und wollte diese Situation hier ein wenig heraus zögern. Um Hilfe zu schreien, lohnte es sich eh nicht. Ich musste selber einen Ausweg finden.
Chase stand jetzt direkt vor mir und wollte meine Wange liebevoll streicheln, doch ich drehte meinen Kopf weg.
„Ach, Süße. Mach es dir doch nicht unnötig schwer!“, sagte er fürsorglich.
Hysterisch lachte ich kurz auf.
Wütend sah er mich an. „Du solltest lieber auf deinen Bruder hören!“
Ich seufzte. „Du bist schon längst nicht mehr mein Bruder!“
Für diese Worte bekam ich mal wieder eine Ohrfeige geklatscht.
Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen.
Schluchzend blickte ich ihn an. In seinen Augen lag der pure Hass.
„Was ist nur aus dir geworden?“, schniefte ich und kassierte mir noch eine weitere Ohrfeige.
Seine Kraft hatte mich zu Boden sinken lassen. Schwach versuchte ich mich hoch zu stemmen, doch ich bekam einen Tritt in die Magengrube.
Mein Kopf prallte auf die Straße. Es war wie eine Explosion, so stark war der Schmerz. Ich fasste mir an die Stirn und spürte etwas Klebriges, Warmes und Feuchtes.
Erschrocken sah ich meine Finger an. Blut! Angst stieg in mir hoch.
Was er wohl Mom sagen würde, wenn ich tot sei?
„Du bist vollkommen irre!“, schrie ich Chase an.
„Und wenn schon“, entgegnete er gelassen.
Chase packte mich wieder bei meinen Haaren, zog mich zu sich und hielt mir plötzlich ein Messer an die Kehle. Ich keuchte auf, als ich dieses an meinem Hals spürte. „Was…?!“
„Hör mir genau zu. Du wirst alles tun, was ich dir sage!“, drohte er mir und wartete auf eine Antwort von mir ab.
„Haben wir uns verstanden?“ Er drückte das Messer noch stärker an meine Kehle. Als ich auf einmal Schmerz verspürte und eine Flüssigkeit meinen Hals hinunter rann, nickte ich schnell.
„Lasst sie los!“, rief jemand. „Man bedroht keine jungen Mädchen!“ Diese unbekannte Stimme ließ es in meinem Bauch kribbeln.
„Misch dich da nicht ein!“, zischte Chase und drückte mich noch näher an sich.
Er war angespannt. Jede Faser seiner Muskeln.
Chase war schon immer ein Mädchenschwarm gewesen und war auf der Schule einer der beliebtesten Typen. Mein Bruder spielte im Footballteam und zu dem war er auch noch sitzen geblieben. Mit seinen 19 Jahren war er jetzt ein Jahrgang über mir.
Er besaß braune, kurz geschnittene Haare, hatte ein sehr markantes Gesicht und laut der Mädchen, die von ihm schwärmten, hatte er die wunderschönsten braunen Augen, die sie je gesehen hatten, aber dieser Typ, der mich gerade versuchte aus dieser Lage zu retten, sah unglaublich gut aus, sogar besser als Chase. Ich konnte den Mädchen nie nach empfinden, was sie an ihm so toll fanden. Wenn sie erst einmal sein Zimmer gesehen hätten, dann würden sie wissen was ich meinte und früher war mein Bruder von seinem Charakter her immer freundlich, doch das hatte sich geändert, aber die Mädchen liebten ihn immer noch, egal wie er sie behandelte.
„Na wen haben wir denn da? Chase Bennett“, sagte dieser Typ sarkastisch und musterte meinen Bruder und dann mich. Unsere Blicke trafen sich. Ich schluckte. Er hatte wunderschöne blaue Augen und dazu mittellange, gestylte, blonde Haare. Ausgerechnet jetzt musste er mich in diesem Zustand sehen. Ich sah bestimmt scheußlich aus mit diesen Verletzungen. Irgendwie schämte ich mich!
„Tyson Black.“ In Chase‘ Stimme lag etwas, als er den Namen von diesem Typen sagte, was ich nicht deuten konnte. Verachtung? Anscheinend mochten sie sich gegenseitig nicht. Und diesen Tyson hatte ich noch nie in meinem Leben zuvor gesehen.
„Lass das Messer fallen, Bennett“, forderte er ihn auf.
Chase dachte nicht dran, es zu tun. Ich lag still in seinen Armen und beobachtete den mysteriösen Tyson. Er sah unglaublich gut aus.
Wie mein Bruder hatte auch er einen muskulösen Körperbau.
Tyson kam immer näher auf uns zu. Mit einer unglaublich schnellen Bewegung riss er mich von Chase fort und schlug ihm mit der Faust ins Gesicht.
„Lauf!“, schrie er mich an und knöpfte sich meinen Bruder vor.
Wie angewurzelt stand ich da und sah dem Geschehen zu.
Erst als ich Tysons Worte realisierte, bewegte ich mich.
Ich drehte mich um und plötzlich stand Tyler vor mir.
Erschrocken schrie ich auf.
Er packte mich an meiner Hand und zerrte mich aus der Gasse raus.
„Lass mich los!“, schrie ich und stemmte mich gegen seine Kraft, doch er zog mich einfach weiter. Fast wäre ich gestolpert, wenn ich mich nicht wieder gefangen hätte.
Plötzlich schlangen sich zwei starke Arme um meine Taille.
Ich erschrak mich fast zu Tode, als ich diese fremden Arme an meinem Körper spürte. An meinem Ohr fühlte ich seinen warmen Atem.
Es musste Tyson sein, denn ich fühlte mich geborgen und sicher.
Mit einem Ruck löste er Tylers Hand von meinem Handgelenk. Es schmerzte ein wenig.
Tyler drehte sich um und kassierte einen Faustschlag von Tyson. Bewusstlos glitt er zu Boden.
Mein Körper zitterte vor Schock. Wie gelähmt sah ich Tyson an. Im Mondschein sah er aus wie ein Racheengel.
„Danke!“, stotterte ich.
„Halte dich von denen fern, besonders von Chase“, sagte er mit seiner rauen Stimme.
Ich seufzte. „Ich fürchte, das wird nicht gehen. Er ist mein Bruder.“
Seine Kinnlade fiel nach unten. „Oh, Shit.“
Schweigen hüllte uns ein. Er raufte sich seine Haare. Anscheinend versuchte er eine Lösung zu finden.
Plötzlich packte er mich an meinem Handgelenk und zerrte mich mit.
Tyson machte große Schritte, dass es mir schwer fiel mitzuhalten.
Ich musste fast joggen.
„Wohin gehen wir?“, fragte ich verzweifelt, doch er gab mir keine Antwort.
Nach einer Weile des Schweigens sprach er endlich: „Ich nehme dich mit zu mir. Fürs erste!“
Verwirrt sah ich ihn an.
„Woher kennst du meinen Bruder?“
Wieder gab er mir keine Antwort.
Langsam hatte ich es satt nie eine Antwort auf meine Fragen zu bekommen.
Nach gefühlten Stunden standen wir vor einer Tür.
Tyson suchte seinen Schlüssel und ließ mich dabei nicht los. Sein Griff war nicht so fest wie der von Tyler.
In diesem Haus lebten mehrere Familien.
Auf einmal räusperte sich jemand. Verwirrt sah ich ihn an.
„Was?“, fragte ich.
„Könntest du vielleicht den Schlüssel aus meiner rechten Brusttasche nehmen. In der Innenseite der Jacke ist ein kleines Fach dafür und ich komme nun mit der rechten Hand nicht dran“, sagte er lächelnd. Er brachte mich irgendwie um den Verstand. Zögernd nickte ich und holte ihn mit nervösen Fingern raus. Dabei waren wir uns so nahe. Ich hielt die Luft an, aber warum wusste ich nicht. Seinen Blick spürte ich auf mir. Es war unangenehm. Dann war da noch sein unwiderstehlicher Geruch. Dieser vernebelte einem den Verstand. Die ganze Zeit über verharrte er regungslos.
„Hier“, flüsterte ich und gab ihm den Schlüssel. Ich verstand nicht, warum er mich nicht los ließ.
Als er aufgeschlossen hatte, schob er mich in den Eingangsbereich. Bevor er die Tür schloss, blickte er kurz noch nach Draußen.
Danach wandte er sich mir wieder zu und schob mich in Richtung der Treppen.
Wir liefen bis zum zweiten Stock die Treppen hoch und verschwanden in seiner Wohnung.
Staunend sah ich mich um. Es war riesig und sauber. Nach diesem Anblick zu urteilen, konnten Jungs auch ordentlich sein.
Grinsend sah er mich an, nahm wieder meine Hand und zog mich in einen anderen Raum. Hier stand ein großes Bett, ein Kleiderschrank, ein Regal, ein Schreibtisch. Auf diesem befand sich ein Laptop. Wie der Eingangsbereich der Wohnung war auch dieses Zimmer ordentlich.
Er befahl mir auf seinem Bett Platz zunehmen. Ich nickte.
Währenddessen verschwand er in einem anderen Raum, der an sein Zimmer angrenzte.
Sofort kam er wieder. In seiner Hand befanden sich Desinfizierungsmittel und Verbände.
Tyson musterte mich. Vorsichtig tupfte er mit dem Wattestäbchen über meine kleinen Wunden. Bei der Kopfverletzung legte er einen Verband um.
„Du meintest, du würdest mich fürs erste mit zu dir nehmen, aber was ist mit meiner Mom?“, fragte ich verzweifelt. „Ich kenne dich nicht und sie macht sich bestimmt schon Sorgen!“
Er hielt inne in seinem Vorhaben und musterte mich eine Weile. „Du kannst nicht zurück.“
Diese Wörter kamen so ruhig und gelassen aus seinem Mund heraus, dass ich ihn fassungslos anstarrte. „Das kannst du nicht von mir verlangen!“
„Wenn ich dir nicht geholfen hätte, dann wärst du schon längst vergewaltigt worden oder schlimmeres!“, entgegnete er.
Wütend funkelte ich ihn an. Tyson hatte Recht. Wäre er nicht gewesen, dann…
Nur daran zu denken, ließ mich würgen.
Verzweifelt stand ich auf und lief zum Fenster. Nachdenklich schaute ich in die Dunkelheit.
Mein Stolz ließ es nicht zu ihm Recht zu geben.
Ich könnte heulen vor Verzweiflung. Was sollte ich denn jetzt bloß tun?!
Chase hatte meiner Mom schon bestimmt schreckliche Dinge über mich erzählt.
Wahrscheinlich sagte er ihr, dass ich von Zuhause weggelaufen sei.
Wenn ich wieder zurückkehre nach Hause, dann müsste ich damit rechnen, dass Chase noch aggressiver war als vorher.
Nein, Tyson hatte Recht. Ich konnte nicht nach Hause, aber ich konnte auch nicht hier bleiben.
Schließlich kannte ich Tyson nicht einmal, aber Chase. Woher kannten die beiden sich? Vorhin waren sie sehr feindselig zueinander.
„Woher kennst du ihn?“, fragte ich in die Stille. Meine Arme verschränkte ich vor der Brust und starrte weiterhin nach draußen.
„Wen?“
„Meinen Bruder.“
Ich hörte wie Tyson scharf die Luft einzog.
Mal wieder gab er mir keine Antwort. Hätte ich mir ja denken können.
„Wieso kriege ich nie eine Antwort?“ Empört drehte ich mich zu ihm um und funkelte ihn wütend an.
Er seufzte. „Chase kenne ich schon sehr lange.“
„Wenn ihr euch sehr lange kennt, dann müsste ich dich doch auch kennen?“
„Bis eben hatte ich nicht gewusst, dass Bennett eine Schwester hat.“
„Bis eben wusste ich auch noch nichts von dir.“
Er verdrehte die Augen und stöhnte genervt.
Auf einmal stand er auf und verschwand mit einem Knallen der Tür aus dem Raum.
Was hatte ich falsch gemacht?
Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit. Ich versuchte es zu unterdrücken.
Eigentlich wäre jetzt die optimale Chance von hier zu fliehen.
Fliehen, wie sich das anhörte. Er hatte mich ja nicht entführt.
Aber irgendwas hielt mich hier.
Neugierig sah ich mich in diesem Zimmer um.
Dieser Tyson war ein recht ordentlicher Mensch im Gegensatz zu meinem Bruder.
Ich setzte mich auf sein riesiges Bett. Unentschlossen was ich als nächstes machen sollte, saß ich eine Weile still und dachte nach.
Irgendwann wurden meine Augenlider schwerer und die Müdigkeit überfiel mich. Wie in Trance rollte ich mich auf dem Bett zusammen und schlief ein.
Im Unterbewusstsein spürte ich wie sich jemand liebevoll um mich kümmerte.
Ein paar Haarsträhnen wurden aus meinem Gesicht hinter mein Ohr gestrichen.
Wohl und geborgen schlief ich sehr fest bis zum Morgen.

Am nächsten Morgen weckten mich ein paar warme Sonnenstrahlen.
Schwer seufzend setzte ich mich auf. Wieso lag die Bettdecke über mir?
Seltsam. Ich konnte mich noch daran erinnern, dass ich auf ihr lag und nicht sie auf mir.
Gerade wollte ich aufstehen, da bemerkte ich, dass ich meine Sachen nicht mehr anhatte. Mein Körper trug noch meine Unterwäsche, aber an mir lag ein großes Hemd, was zugeknöpft war und mir bis zu meinen Knien reichte.
Suchend nach meinen Sachen sah ich mich in Tysons Zimmer um, doch nirgends konnte ich sie entdecken.
Ein wenig wütend darüber, dass er mich einfach umgezogen hatte, rannte ich aus seinem Zimmer.
Als ich auf den Flur trat, roch es sehr lecker nach Essen. Der Geruch kam aus der Küche.
Neugierig tapste ich Barfuß zur Küche.
Die Tür war angelehnt und ich hörte Stimmen.
Ich drückte die Tür auf und sah Tyson beim kochen und einen Unbekannten, der sich gerade eine Gurkenscheibe in den Mund schob.
„Oh“, sagte der unbekannte Typ und verschluckte sich. „Hey! Ist das die Kleine?“
Tyson drehte sich um und erblickte mich. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen.
Zögernd erwiderte ich es und dann fiel mir ein, dass ich nur spärlich bekleidet war.
Sofort stieg mir die Schamesröte ins Gesicht.
„Ja“, beantwortete Tyson die Frage und wandte sich wieder dem Herd zu.
„Setz dich“, forderte der unbekannte Typ mich auf.
Unentschlossen setzte ich mich auf den Stuhl.
„Ich bin Sean und du?“
„Christy.“
„Schöner Name.“
„Danke.“
Schweigend saßen wir in der Küche. Nur das zischen der Bratpfanne war zu hören.
Nervös fummelte ich an dem Saum meines Hemdes rum.
Nach einer Weile des Schweigens kam Tyson mit einem Teller, auf dem viele Pfannkuchen lagen. Es roch so lecker und mein Magen fing an zuknurren.
Tyson legte jedem von uns einen auf den Teller.
Ich beschmierte ihn noch mit Nutella, bevor ich ihn aß.
„Jo, Tyson. Schmeckt mal wieder sau lecker!“, sprach Sean mit vollem Mund.
Schüchtern lächelte ich ihn an, dass er erwiderte.
„Was ist eigentlich mit der Schule?“, fragte ich nach einer Weile, als ich zu Ende auf gegessen hatte.
Sofort verkrampfte sich Tyson und wechselte mit Sean einen Blick aus.
„Im Moment sind ja eh Ferien und danach werden wir weiter sehen“, sagte er gelassen.
Ich nickte nur, was anderes konnte ich nicht machen.
„Du bist damit einverstanden?“, fragte er ungläubig.
„Nein, aber du wirst es eh nicht anders zulassen!“, sagte ich eiskalt, stand auf und verschwand in seinem Zimmer.
Mit einem lauten Knall schloss ich die Tür und sank davor zusammen.
Ein paar Tränen fanden den Weg aus meinen Augen heraus.
Nach ein paar Minuten klopfte es leise an der Tür.
Ich reagierte nicht darauf, sondern blieb stumpf davor sitzen.
„Christy? Es tut mir Leid“, flüsterte er. „Aber es geht nicht anders.“
Könnte ich nie wieder ein normales Leben führen?
„Christy! Bitte antworte mir!“, flehte Tyson weiter.
Mein Kiefer zitterte. Ich konnte gerade so eben noch die Tränen zurück halten.
Irgendwann gab ich auf und öffnete die Tür. Sofort nahm er mich in die Arme und die Tränen flossen nur davon.
Tyson zog mich zum Bett und hielt mich ganz fest. Irgendwie war das total lieb von ihm, sich solche Sorgen um mich zu machen. Schließlich kannten wir uns noch nicht mal einen Tag.
„Es wird wieder alles gut“, flüsterte er mir in mein Haar und küsste dieses.
Mit verheulten Augen sah ich ihn an. „Es ist alles gut! Lass mich bitte gehen! Meine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen!“
„Christy. Du musst das verstehen. Dein Bruder ist gefährlich!“, versuchte er mir zu erklären, doch ich wollte es nicht verstehen. Meine Mutter lebte mit ihm unter einem Dach. Oh, Gott! Hoffentlich tat er ihr nichts!
„Du kannst mich aber nicht ewig hier einsperren!“
„Ich sperre dich gar nicht ein. Es ist nur zu deiner eigenen Sicherheit!“
„Du widersprichst dir!“
„Ich habe jetzt keine Lust mich mit dir zu streiten“, beendete er dieses Gespräch und verschwand aus dem Raum.
Ungläubig sah ich ihm hinter her.
So ein eingebildeter Schnösel. Er lief auch immer nur davon.
Der glaubte doch wohl nicht in allem Ernst, dass ich hier bleiben werde.
Leise machte ich mich auf die Suche nach meinen Kleidungsstücken.
Ich fand sie auf einem seiner Stühle. Wieso hatte ich meine Sachen vorhin nicht gesehen? Merkwürdig.
Schnell tauschte ich das zu große Hemd mit meinen bequemen Sachen aus.
Danach band ich mir meine Haare zu einem Zopf zusammen.
Der Verband an meinem Kopf nervte mich tierisch. Darunter war es so warm.
Zögernd nahm ich ihn ab und schmiss ihn in den Mülleimer.
Im Spiegel sah ich eine kleine Platzwunde, die langsam verheilte.
Damit die beiden Jungs mein Vorhaben nicht durchkreuzten, stellte ich einen Stuhl unter den Türgriff.
Schnell lief ich zum Fenster und öffnete dieses. Die Wohnung lag im zweiten Stock. Es war schon ein bisschen tief. Panik stieg in mir hoch.
Hilfesuchend sah ich mich wieder in seinem Zimmer um und mein Blick fiel auf das Bett.
Ich zog die Bettdecke vom Bett und band sie am Fenster fest.
Es reichte gerade so eben, dass ich den letzten Meter runter springen konnte auf den Balkon irgendeines Nachbarn.
Vorsichtig stieg ich aus dem Fenster und klammerte mich am Bettzeug fest.
Ich schluckte. Hoffentlich löste es sich nicht!
Ein Rütteln holte mich aus meinen Gedanken.
Die Türklinke bewegte sich und ich hörte meinen Namen rufen. Schnell rutschte ich am Laken runter und musste den letzten Meter springen.
Ein lauter Aufprall auf dem Boden war zu hören.
Meine Füße taten ein wenig weh, aber das war jetzt nebensächlich.
Ein Stockwerk über mir hörte ich ein Krachen und sah Tysons Gesicht. Unsere Blicke trafen sich.
Wie in Trance blieb ich einfach stehen. Schnell schüttelte ich meinen Kopf und sprang vom Balkon auf den Rasen. Was war das denn gerade eben?
Hatte er versucht mich zu hypnotisieren?
Ich rannte so schnell ich konnte den Garten entlang, doch auf einmal packte mich jemand von hinten an mein T-Shirt.
Erschrocken schrie ich auf und prompt legte sich eine Hand auf meinen Mund um meinen Schrei zu dämpfen.
Plötzlich fing es auch noch an zu regnen.
„Lass mich los!“, zischte ich.
Es musste Tyson sein, der mich festhielt und mich wieder in seine Wohnung brachte.
Er war stärker als ich und somit hatte ich keine Chance mehr abzuhauen.
„Hey!“, rief ein unbekannter Typ in unsere Richtung. Tyson hatte gerade mit mir das Gebäude erreicht, als ein junger Mann auf uns zu rannte.
„Lass das Mädchen los. Du siehst doch, dass sie es nicht will!“, rief der Mann wütend.
Irritiert sah Tyson zu ihm. Ich nutzte meine Chance und biss ihm in die Hand.
Erschrocken schrie er auf und ließ mich los.
Danach rannte ich drauf los. Bedankte mich aber noch bei diesem unbekannten Typen.
Wenn ich Tyson noch einmal wieder treffen würde, müsste ich mich entschuldigen. Mir tat der Biss leid. Wieso hatte ich jetzt Schuldgefühle? Ich kannte ihn nicht und ich wollte ihn auch nicht wieder sehen, doch etwas in mir wollte ihn wieder sehen!
Innerlich könnte ich mich köpfen über diese Gefühle.
Eben hatte es wirklich nach einer Entführung ausgesehen und ich hatte Gefühle für ihn. Kopfschüttelnd lief ich die Hauptstraße entlang.
Plötzlich sah ich von weiten ein paar Gestalten, drei Gestalten. Sie hatten die Selben Silhouetten wie die von meinem Bruder und von seinen Kumpels.
Schnell versteckte ich mich hinter einem großen Baum und wartete ab.
Meine Vermutung war goldrichtig. Sie waren es, aber die drei hatten mich noch nicht erblickt.
Ich verstand kaum ein Wort worüber sie redeten, doch ich vernahm meinen Namen, mehr aber auch nicht.
Nachdenklich blickte ich ihnen hinter her, bevor ich mich auf den Weg nach Hause machte.
Als ich dort ankam, zögerte ich. Sollte ich wirklich reingehen? Mein Bruder war nicht zu Hause, das war ein Vorteil, aber er könnte jeder Zeit wieder kommen.
Das Auto meiner Mom stand auf der Einfahrt.
Mit einem schlechten Gewissen steckte ich den Schlüssel ins Schloss und schloss auf.
Zögernd betrat ich das Haus.
„Chase? Christy?“, rief meine Mom aus der Küche.
„Mom, ich bin’s“, antwortete ich ihr.
Überglücklich kam sie aus der Küche heraus. Sie hatte eine Kochschürze an.
Seit wann kochte meine Mutter? Ich hatte sie nicht wirklich je kochen sehen, aber wenn wir gerade vom kochen sprachen, roch es außerirdisch gut!
„Mom? Seit wann kochst du?“, fragte ich ungläubig.
Wenn sie kochte, mussten wir uns immer opfern. Als meine Mom es gemerkt hatte, dass es doch nicht schmeckte, da es angebrannt war, bestellten wir uns Pizza. Aber dieses Mal war es anderes. Es roch echt lecker.
Sie lächelte mich an und nahm mich in die Arme.
„Wo warst du?“, fragte sie besorgt. „Dein Bruder hat erzählt, dass du entführt wurdest!“
„Er hat was?“, fragte ich empört zurück. „Ich wurde nicht entführt. Wie konnte er bloß nur solche Lügen erzählen?!“
Meine Mom zog mich mit in die Küche. „Chase hat sich Sorgen um dich gemacht!“
„Mir geht es aber gut!“
„Das sehe ich. Wie ist das mit deinem Kopf passiert?“
„Lange Geschichte, die du mir eh nicht glauben wirst!“
„Wie kannst du sowas sagen?“, fragte sie empört und stemmte ihre Hände an die Hüften.
„Weil es zufälligerweise die Wahrheit ist!“, entgegnete ich und setzte mich an den Tisch.
„Hast du Streit mit deinem Bruder?“, fragte sie wieder besorgt und holte zwei Teller raus.
„So konnte man das nicht nennen!“, sagte ich schnippisch.
„Ich mache mir nur Sorgen, Christy.“
Genervt nickte ich und verschwand in meinem Zimmer.
Als ich den Raum betrat, kamen die ganzen Erinnerungen an gestern hoch.
Bedrückt ging ich zu meinem Schrank und holte neue Kleidung raus.
Endlich etwas Frisches zum anziehen.
Ich zog mir ein T-Shirt mit einer Jacke und eine Röhren-Jeans an.
Gerade wollte ich wieder aus dem Zimmer gehen um nach unten zu laufen. Da hörte ich die Haustür knallen.
„Mom“, hörte ich seine Stimme nach unserer Mutter rufen. „Bin wieder da.“
Angst stieg in mir hoch und ich verharrte am Türrahmen.
Was passierte wohl, wenn er mich sah?
„Was gibt’s denn leckeres?“, hörte ich ihn fragen, doch plötzlich hielt er inne.
„Woher wusstest du, dass ich nach Hause komme? Da stehen zwei Teller“, sagte er misstrauisch.
Meine Mutter hingegen, entgegnete fröhlich: „Christy ist da. Sie wurde doch nicht entführt. Ich bin so glücklich, sie wieder hier zu haben!“
Ich erstarrte. Zu keiner Regung war ich mehr fähig.
„Wo ist sie?“, fragte Chase nach.
„Oben“, vernahm ich meine Mutter sagen.
Das Poltern des Stuhles war zu hören. Dann sah ich ihn auch schon am Treppenansatz unten. Er hatte mich auch erblickt.
Wütend sah er mich an und kam hoch gelaufen.
Plötzlich stellte sich ein Schatten vor mir.
Dieser Schatten, das war die Silhouette von Tyson. Was machte er denn hier?
„Black. Wie oft noch? Misch dich nicht in andere Angelegenheiten ein. Das ist eine Sache zwischen meiner Schwester und mir!“, zischte Chase wütend, doch Tyson lachte nur. Er lachte? Tyson war vollkommen irre, aber auch irgendwie süß. Schließlich versuchte er gerade mich zu retten. Wie war er überhaupt in unser Haus gekommen?
„Eure Angelegenheit?“, fragte Tyson sarkastisch nach.
Chase fing anzuknurren. Okay? Er knurrte. Das war auch mal was Neues.
„H-m. Wenn das eure Angelegenheit ist, glaube ich wohl kaum, dass Christy sich mit dir unterhalten möchte“, sagte er gespielt lächelnd höflich.
„Halt dich da raus. Verschwinde!“, rief Chase wütend.
„Christy, Chase. Ich bin dann mal wieder Weg zur Arbeit!“, rief meine Mutter von unten.
„Ist gut, Mom“, sagte Chase und ließ Tyson nicht aus seinen Augen.
Ich hörte wie unsere Mom die Haustür schloss und der Motor ihres Wagens brummte.
„Jetzt kann es los gehen“, sagte mein Bruder und stürzte sich auf Tyson.
Erschrocken schrie ich auf.
Sie wälzten sich auf dem Boden. Irgendwie musste ich ihm helfen.
Gerade schlug Chase ihm mit der Faust ins Gesicht.
Die Beiden waren gefährlich nahe am Treppenabsatz und dann rollten sie die Stufen runter.
Es war einfach zum verrückt werden.
Eine Vase geriet in mein Blickfeld. Diese war Moms Lieblingsvase.
Ich würde sehr viel Ärger bekommen, wenn ich sie kaputt machte.
Zögernd nahm ich sie in meine Hände und lief die Treppen runter.
Chase rammte Tyson an die Wand und verpasste ihm immer wieder einen Faustschlag.
Entschlossen schlich ich mich an die Beiden ran, hob die Vase hoch und schlug sie meinem Bruder auf den Kopf.
Dieser fiel bewusstlos zu Boden. Übermannt von meinen Gefühlen ging ich in die Hocke und begutachtete seinen Kopf. Blut quoll an einer Seite seines Hinterkopfes raus.
Oh mein Gott. „Das wollte ich nicht!“, flüsterte ich verzweifelt.
Tyson beobachtete mich. „Du hast das Richtige getan.“
Mit verheulten Augen sah ich ihn an. Er kam auf mich zu und nahm mich mitfühlend in die Arme.
„Los, lass uns von hier verschwinden“, sagte er.
„Wir können ihn doch nicht einfach hier liegen lassen. Er ist mein Bruder!“, sagte ich verzweifelt.
Suchend sah er sich um und stürmte zum Telefon. „Glaubst du wirklich, er würde dies auch für dich machen, den Notarzt anrufen?“
Traurig sah ich ihn an. „Wahrscheinlich nicht“, flüsterte ich, sonst hätte er nicht versucht mich zu vergewaltigen.
Trotzdem nahm er den Telefonhörer und rief den Notarzt an. Erstaunt sah ich ihn an. Ich hätte damit nicht gerechnet, dass er es doch noch machte.
Danach schnappte er meine Hand und rannte mit mir durch den Hintereingang.
Wir liefen durch unseren riesigen Garten. Mom liebte ihn. Wenn sie mal Zeit hatte, pflegte sie ihn und pflanzte weitere Blumen ein. Sonst verrichtete unser Gärtner diese Arbeit.
Ich holte tief Luft. So viel Gedanken schlichen durch meinen Kopf und mit ihnen machten sich auch noch Schuldgefühle breit. Ich hätte niemals gedacht, dass ich meinen Bruder niederschlage und dass mit Moms Lieblingsvase, die war um einiges wert. Und dann hatte ich auch noch Tyson in die Hand gebissen! Was tut er? Er rettete mich auch noch, obwohl ihm ein Biss von mir auf seiner Hand prangte.
„Tyson!“, rief ich seinen Namen und war außer Puste. Er verlangsamte das Tempo nicht. „Es tut mir Leid – wegen dem Biss!“
Im Laufen drehte er sich zu mir um. „Schon gut“, antwortete er und lief weiter.
Wieder machten sich Seitenstiche breit. So gut es ging, versuchte ich sie zu ignorieren.
Meine Mom war in Sicherheit. Ich glaubte, dass er sie nicht anrühren würde! Selbst er würde dies nie tun!
Völlig aus der Puste kamen wir vor der Eingangstür an. Tyson war nicht außer Atem. Nur ich hechelte wie ein Hund. Ich hasste Sport. Früher mochte ich es als wir klein waren. Aber jetzt war es der absolute Horror. Turnen war schrecklich. Und die Ballspiele gingen so einigermaßen. Wenn man nicht das Pech hatte und ihn ins Gesicht bekam, wie ich letztens. Beim Fußball spielen wurde mir der Ball ins Gesicht geschossen von einem Jungen. Und die Jungs schossen immer etwas härter als wir Mädchen! Aber nein, der Lehrer wollte nie getrennte Mannschaften machen. Jungs gegen Jungs und Mädchen gegen Mädchen! Das gab es nicht bei ihm. Furchtbar!
Tyson fuchtelte in seiner Hosentasche rum und schloss endlich die Tür auf. Durchnässt traten wir in das Treppenhaus. Wieder wie gestern Nacht sah er sich draußen nochmal um, ob uns jemand gefolgt war. Dann schloss er die Tür und zog mich die Treppen hoch. Wir tropften alles voll.
Und ihm schien es nicht zu stören. Er hatte nicht mal eine Jacke angehabt. Tyson trug nur einen durch den Regen anliegenden Pullover. In seinen Haaren befanden sich noch lauter kleiner Wasserperlen, die durch das schwache Treppenhaus-Licht beleuchtet wurden.
Aber bei mir sah es nicht anders auch. Ich hatte nur eine Reißverschluss-Pullover Jacke an und darunter ein T-Shirt. Beides war durchnässt vom Regen. Man konnte sogar meinen BH sehen, der die Farbe Schwarz trug.
Tyson legte den Schlüssel auf die Kommode, die neben der Tür stand und lief in Richtung seines Bades. Zögernd folgte ich ihm. Wir beide hinterließen kleine Pfützen auf dem Laminat.
Als er hinaustrat, reichte er mir ein großes Handtuch. Dankbar lächelte ich ihn an und trocknete mein Gesicht. Er sagte gar nichts. Es war absolut leise. Anscheinend war er sauer auf mich.
„Du kannst als erstes duschen“, sagte er irgendwann und nickte mit seinem Kopf in Richtung Bad.
Zögernd nickte ich und im Bad befreite ich mich von meinen durchnässten Klamotten. Es war schwer, die nassen Sachen auszuziehen. Ich ließ sie auch einfach auf den Boden fallen.
Dann ließ ich das Wasser an und stieg unter die Dusche. Das Wasser tat gut auf meiner kalten Haut.
Ich lehnte mich gegen die kühle Wand und dachte über alles nach.
Chase fehlte mir. Der alte Chase vor Dads Tod fehlte mir. Mein Vater fehlte mir. Und meine Mom bekam nicht einmal mit von unseren Problemen, beziehungsweise von meinen Problemen. Ich konnte es nicht fassen. Mein Bruder hätte mich gestern mit seinen Freunden fast vergewaltigt. Welcher Bruder tat das schon? – Keiner!
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Wie sollte es bloß weiter gehen? Ich lebte bei einem Unbekannten Typen, der mir ständig aus unangenehmen Situationen half.
Wieso half er mir andauernd? Er kannte mich nicht – ich kannte ihn nicht.
Zu viele Fragen, die meinen Kopf explodieren ließen.
Nach einer Viertelstunde stellte ich das Wasser ab und wickelte ein großes Handtuch um meinen Körper.
Meine nassen Sachen legte ich auf den Rand der Badewanne. Das schadete ihr schon nicht.
Seufzend betrachte ich mich im Spiegel. Ich sah erschöpft und blass aus. Meine nassen blonden Haare klebten auf meiner Haut. Was sollte ich jetzt bloß anziehen?
Entschlossen verließ ich das Bad und machte mich auf die Suche nach Tyson, den ich wiederrum mit Sean zusammen im Wohnzimmer fand. Sein Freund musterte mich eine Weile, als er bemerkte, dass ich im Türrahmen stand und halbnackt war.
Mein Gesicht lief rot an vor Scham. Es glühte und es war mir total unangenehm.
Als Tyson bemerkte, warum Sean auf einmal so still war, drehte er sich um und erblickte mich.
Er blickte mir nur ins Gesicht und machte keine Führung mit seinen Augen über meinen Körper.
Tyson stupste Sean ein wenig an, der sofort seine Augen von mir nahm.
Nervös biss ich mir auf die Unterlippe. „Ich habe nichts zum Anziehen“, stotterte ich und sah zu Boden.
Er nickte und führte mich in sein Zimmer. „Sorry. Mein Kumpel hat kein Benehmen“, entschuldigte er sich und durchforstete seinen Schrank. „Leider habe ich keine Frauensachen zur Verfügung. Dir macht es wohl nichts aus ein paar von meinen Klamotten anzuziehen?“, fragte er amüsiert und hielt mir eine Boxershort und ein Langes Hemd hin.
„Nein“, flüsterte ich und nahm die Kleidungsstücke entgegen. Tyson wollte sich auf den Weg machen wieder ins Wohnzimmer zu gehen, doch ich packte sein Handgelenk und flüsterte schüchtern: „Warte!“
Genervt drehte er sich zu mir um. „Was?“
„Es tut mir Leid! Ich wollte dich wirklich nicht beißen!“ Ich ließ seine Hand nicht los.
Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er veränderte sich von Genervt zu Liebevoll.
„Schon gut“, sagte er und verließ sein Zimmer. Tyson war immer noch sauer.
Ich konnte es ihm nicht verübeln.
Betrübt setzte ich mich auf sein Bett und starrte eine Weile vor mich hin. Nach gefühlten Jahren zog ich mir die Shorts an und das Hemd, was die Boxershort verdeckte. Man könnte glatt denken, ich hätte unten herum nichts an. Aber seine Sachen rochen unwiderstehlich nach ihm.
Dann lief ich mit dem Handtuch in der Hand zurück in das Badezimmer und föhnte mir meine Haare trocken. Meine langen blonden Haare flossen in sanften Wellen meinen Rücken hinab.
Auf einmal übermannte mich die Müdigkeit und ich verschwand wieder in Tysons Zimmer.


Mich weckte das Klingeln der Haustür. Jemand drückte energisch immer wieder auf den Knopf.
Mit Kopfschmerzen stand ich auf und verließ das Zimmer. Dabei knöpfte ich mir die restlichen Knöpfe seines Hemdes zu. Als ich aufsah, erblickte ich ein geschocktes Mädchen vor der Haustür.
„Das ist nicht dein Ernst, Tyson!“, schrie sie ihn an.
Verwirrt runzelte ich die Stirn und tapste mit meinen nackten Füßen weiter.
„Lisa! Verschwinde“, zischte er und wollte nicht, dass ich diesen Konflikt mit bekam.
„Hi. Habt ihr irgendwie ein Problem?“, fragte ich verwirrt und rieb mir meine Stirn. Die Schmerzen wurden unerträglich stark. Niemand beachtete mich oder meine gestellte Frage.
„Ich fasse es nicht! Du machst mit mir Schluss und steigst dann mit dem nächst bestem Mädchen ins Bett!“, warf sie ihm an den Kopf.
Oh. Das war seine Freundin. Es bereitete mir einen Stich im Herzen. Eigentlich hätte ich doch damit rechnen müssen, dass er eine Freundin hatte bei seinem guten Aussehen!
„Das geht dich nichts an, Lisa“, zischte er. Tyson verneinte nicht einmal, dass das Mädchen dachte, wir hätten miteinander geschlafen.
Immer wieder wollte ich etwas sagen, aber mein Mund blieb geschlossen. Ich würde ihn zur Rede stellen. Wieso war ich plötzlich so eifersüchtig? Verdammt! Ich kannte ihn nicht! Er kannte mich nicht! Warum fühlte ich mich dann so zu ihm hingezogen? Warum hatte ich Schuldgefühle? Warum?
„Du nervst, Lisa!“, sagte er genervt und raufte sich seine Haare. Diese Geste ließ ihn unheimlich sexy aussehen.
Ich betrachtete das Mädchen genauer. Sie war schön – wunderschön. Mich wunderte es nicht, warum ein Sexgott wie er mit so einem Mädchen zusammen sein konnte, dass einem Model glich.
Sie hatte lange braune Haare, die ihr lockig über die Schulter fielen. Ihr Gesicht war leicht geschminkt. Ohne Schminke würde sie auch wunderschön aussehen im Gegensatz zu mir.
Neben ihr sah ich wie eine Leiche aus!
Selbst Taylor, mein Ex, würde das Wasser im Mund zusammen laufen. Was hatte er eigentlich an mir gefunden?
Dieses Mädchen war tausend Mal hübscher als ich. Sie hatte Style, Klasse, sah gut aus!
Und ich war eine graue Maus.
„Tyson. Du kannst mich nicht verlassen!“, schluchzte sie und er schlug ihr einfach die Tür vor der Nase zu.
Fassungslos sah ich ihn an. Er hatte ihr einen deutlichen Korb gegeben.
„Wie geht’s dir?“, fragte er besorgt nach.
Verwirrt über diesen Stimmungswechsel musterte ich ihn.
„Ich…ich habe starke Kopfschmerzen“, stotterte ich und versuchte seinen Augen nicht zu begegnen.
Er nahm meine Hand und führte mich in die Küche. Dort stellte er mir ein Glas mit Wasser und eine Aspirin auf den Tisch. Dankbar schluckte ich die Tablette mit Hilfe des Wassers herunter. Jetzt musste sie nur noch ihre Wirkung entfalten.
„Irgendwie war mir die Situation von eben ein wenig unangenehm“, sagte Tyson und kratzte sich am Hinterkopf.
„Wieso sollte es?“
„Du hast meine Ex kennen gelernt und sie hat gedacht, dass wir beide…“
„Aber auch nur, weil ich nicht wirklich viel an habe. Du hast es nicht einmal verneint“, entgegnete ich gelassen, aber man konnte schon aus meiner Stimme eine leichte Empörung heraushören.
„Sorry. Jetzt sind wir Quitt. Du hast mich gebissen und du hast mir indirekt geholfen Lisa los zu werden!“, sagte er lachend.
Männer! Sie spielten mit den Gefühlen der Frauen.
„Wann hast du denn mit ihr Schluss gemacht?“, fragte ich neugierig nach.
„Gestern Nacht“, antwortete er gelassen und zuckte mit den Schultern.
Gestern Nacht?! Kein Wunder, warum das Mädchen sagte, dass er mit der nächst besten ins Bett geht!
Aber in meinem Herzen machte sich ein kleines Fünkchen Hoffnung breit bei ihm eine Chance zu bekommen! Was machte mein Herz?! Er hatte mich indirekt entführt und wollte mich für den Rest meines Lebens vor Chase hier einsperren! Nicht für den Rest meines Lebens, aber doch schon eine ganze Weile! Ich müsste ihn hassen!
Seufzend schloss ich meine Augen und drückte mit meinen kühlen Fingerspitzen gegen meine Stirn.
Die Kopfschmerzen wurden ein wenig schwächer!
„Wie lange willst du mich hier einsperren?“, fragte ich erschöpft und sah ihn an.
„Ich sperre dich nicht ein! Normalerweise müsstest du das Land verlassen um vor Bennett in Sicherheit zu sein!“, antwortete er bissig und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich gehe dir doch bestimmt auf die Nerven“, versuchte ich es weiter. Aber insgeheim wollte ich auch irgendwie nicht mehr von hier weg.
Plötzlich kam Sean in die Küche reingeplatzt. „Na, ihr zwei Hübschen“, kam er freudestrahlend herein und gab mir einen Kuss auf die Wange. Sofort wurde ich knallrot im Gesicht.
„Wofür habe ich den denn verdient?“, fragte ich immer noch überrascht.
Er ließ sich neben mir auf den Stuhl fallen und legte einen Arm um mich.
Sean hatte ein Big-Smile im Gesicht.
Als mein Blick Tyson streifte, sah ich, wie angespannt er war. Unter dem Tisch musste er wohl seine Hände zu Fäusten ballen, denn seine Unterarme zeigten seine Muskeln intensiver als sonst.
„Einfach nur so“, lächelte Sean. „Na, haste Lisa überlebt?“
Tyson brummte vor sich hin und Sean fing laut anzulachen.
„Ich habe dir doch gleich gesagt, sie ist die nervigste Person von allen!“, lachte er weiter. „Kaum zu glauben, dass du es so lange mit ihr ausgehalten hast!“
Plötzlich zog mich Sean an seine Brust.
Wie in Trance hielt ich den Atem an. Mein Gesicht glühte. Und wie Tyson uns böse ansah. Ich schluckte. Sean hatte seinen Gesichtsausdruck nicht gesehen. Er verpuffte nach einer Sekunde sofort.
Und plötzlich stand er auf und schmiss fast den Stuhl auf den Boden. Erschrocken blickte ich ihm hinter her.
Was hatte er? Andauernd machte ich irgendetwas falsch!
Ich wollte ihm folgen, doch Sean hielt mich am Arm fest.
Fragend sah ich ihn an.
„Nicht. Er hat seine Tage, da solltest du ihn in Ruhe lassen“, sagte er und drückte mich wieder in den Stuhl. „Und du bist Chase‘ kleine Schwester?“
Schüchtern nickte ich. Wollte er mich jetzt etwa verhören?
„Du kennst ihn?“, fragte ich überrascht nach.
„Klar. Wer kennt ihn nicht?!“, sagte er lachend, doch es war nur ein halbherziges Lachen. „Hat er dir oft weh getan? Ich meine, Tyson hat erzählt, Bennett wollte dich zusammen mit seinen Kumpels vergewaltigen!“
Nervös rutschte ich auf meinem Platz hin und her. Mir war es unangenehm über diese Situation zu sprechen. Sie haben über mich gesprochen.
„Er…er hat mich oft geschlagen, so dass ich meistens nicht zur Schule konnte“, stotterte ich und wich seinem fürsorglichen Blick aus. Aus den Augenwinkeln betrachte ich ihn. Seine schwarzen, kurzen Haare standen Sean wirr von allen Seiten ab. Er hatte den Selben Körperbau wie Tyson und er sah auch verdammt sexy aus.
„Dieses Arsch, der kriegt das zurück!“, drohte er und ballte seine Hände zu Fäusten.
„Nein!“, rief ich. „Nein! Er ist mein Bruder. Und ja, ich weiß, was er mir alles angetan hat, aber ich glaube daran, dass er sich ändern kann!“
„Du bist nicht mehr ganz dicht!“, sagte er fassungslos und schüttelte mit dem Kopf. „Wenn du so denkst, kannst du ja gleich wieder zu ihm gehen!“
Sean hielt seinen Arm hoch in Richtung Tür. Er ließ mir die Wahl, ob ich gehen soll oder nicht.
Das war meine Chance! Ich konnte wieder selbstständig entscheiden, wenn ich ging!
Nervös kaute ich auf meiner Lippe rum. Nach einer Weile stand ich auf und machte wirklich Anstalten zu gehen!
„Es tut mir Leid“, entschuldigte ich mich dafür, dass ich mich fürs Gehen entschieden hatte. „Danke für alles!“, murmelte ich vor mir hin und ging ins Badezimmer. Dort waren mittlerweile meine Sachen getrocknet. Schnell wechselte ich sie gegen das Hemd und die Boxershort aus. Kurz atmete ich noch Tysons Geruch ein und verließ das Bad. Gerade machte ich mich auf den Weg zur Tür, da versperrte mir Tyson den Weg.
„Lass mich durch, bitte“, flüsterte ich. Meine Stimme war kaum zu hören.
„Ich kann nicht. Soll ich etwa zulassen, dass dein Bruder irgendetwas Schlimmes mit dir macht?“, rief er wütend.
„Du kannst nicht über mein Leben entscheiden. Wir kennen uns nicht mal richtig und du entscheidest für mich!“, warf ich ihm an den Kopf und wollte an ihm vorbei gehen, doch er packte mich und drückte mich gegen die Wand.
Wir standen uns so nahe. Sein warmer Atem streifte meine Wange. Seine Augen funkelten Verletzlichkeit und Traurigkeit wieder, aber auch ein bisschen Wut. Und nach einer Sekunde hatte er wieder einen undurchdringlichen Ausdruck angenommen. Aus ihm wurde man nicht schlau!
Automatisch hielt ich die Luft an. Ich war überrascht und verwirrt über seine Reaktion.
„Wir kennen uns nicht“, flüsterte ich und wich seinem Blick aus.
„Lass sie gehen, Tyson“, rief Sean erschöpft, der lässig am Türrahmen der Küche stand. Sein Gesicht zierten tiefe Augenringe, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte, da ich von seiner Schönheit geblendet wurde wie die von Tyson.
„Was?“, zischte er. „Danke für deine Unterstützung. Sie stürzt sich selber in den Tod!“
„Wenn sie es so will“, gab er schulterzuckend zurück. „Wir können ihre Entscheidungen nicht abnehmen und außerdem Tyson – sie ist nicht Bridget!“
Wer war Bridget? Und als er ihren Namen hörte, zuckte er zusammen! Tyson ließ mich los und ich konnte durch die Tür verschwinden.
Dort lehnte ich mich erst einmal an und atmete tief durch.
Ich musste nochmals versuchen mit meiner Mom zu sprechen. Sie musste mir einfach glauben!

Im Krankenhaus liefen Krankenschwestern, Pfleger und Ärzte durcheinander. Es war das reinste Chaos.
Das sie sich dabei noch zu recht fanden, war ein wahrliches Wunder.
Ich lief zu dem Tresen und fragte eine Schwester höflich: „Ist meine Mom, Ms. Bennett zu sprechen?“
„Oh. Im Moment nicht. Sie ist gerade in einer zehnstündigen OP. Soll ich ihr ausrichten, dass Sie da waren?“, fragte sie mich und lächelte traurig. Beim Lachen mussten in ihrem Gesicht Grübchen auftreten. Sie war schlank, klein und sehr zierlich. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie zu einem Dutt festgesteckt und trug wie jede Krankenschwester hier die Selbe Uniform.
„Ich warte dort auf den Stühlen“, sagte ich und begab mich dorthin.
Es liefen viele kranke Patienten durch die Gänge. Ein alter Mann verirrte sich und ein Pfleger lief ihm die ganze Zeit hinter her um ihn wieder in sein Zimmer zu bringen.
Um den Arm eines kleinen Mädchens befand sich ein langer, weißer Gips. Sie saß neben mir und spielte mit ihrem Kuscheltier. Es war ein kleiner Affe.
Ein Lächeln huschte über meine Lippen als ich die Kleine beobachtete. Ihre Mutter sprach währenddessen mit dem behandelnden Arzt, der sehr gestresst aus sah. Er wollte sie abwimmeln, doch die Frau gab nicht nach. Sie wollte ein paar Informationen von ihm.
Dem Mädchen war ihr Kuscheltier auf den Boden gefallen. Schnell hob ich es auf und gab es ihr. Daraufhin strahlte sie mich wie ein Honigkuchenpferd an.
Ich wartete Stunden auf meine Mom. Die Patienten gingen ein und aus. Langsam ging es schon zum Abend hin und irgendwann musste ich wohl eingeschlafen sein, denn plötzlich rüttelte jemand ganz sanft an meinem Arm. Ich schreckte aus meinem Traum hoch und blickte in die braunen Augen von meiner Mom. Ich sah ihr nicht wirklich ähnlich, dafür eher meinem Vater.
Sie hatte braune, lange Haare, die sie sich hochgesteckt hatte.
Mit verschlafenen Augen sah ich auf mich herab. Auf mir lag eine Decke. Daran konnte ich mich nicht mehr erinnern. Wahrscheinlich hatte eine von den Schwestern mich zugedeckt.
„Schätzchen, was machst du denn noch um diese Zeit hier?“, fragte sie mich besorgt und strich mir liebevoll über die Wange.
„Mom, ich muss mit dir reden“, sagte ich ernst. Sie nickte und führte mich in ihr Büro.
Es war sehr klein. Dort standen auch nur ein Schreibtisch mit vollgepackten Akten, ein Regal mit sehr vielen Medizinbüchern und zwei Stühle. Meine Mom ließ sich auf den Drehstuhl nieder, der hinter ihrem Schreibtisch stand.
Hinter mir schloss ich die Tür und setzte mich erschöpft auf den Stuhl, der für Patienten hier stand.
„Worüber müssen wir denn reden?“, fragte sie mich neugierig und faltete ihre Hände.
„Mom, du musst mir glauben, dass Chase mich verprügelt! Er hat sich verändert seit Papas Tod. Letzte Nacht wollte er mich sogar mit seinen Freunden vergewaltigen, wenn mir nicht jemand geholfen hätte!“, sprudelte die Wahrheit aus meinem Mund. Hilflos blickte ich in ihre braunen Augen.
„Schatz. Chase tut solche absurden Dinge nicht!“, verteidigte sie ihn.
„Mom, das ist nicht dein Ernst? Du glaubst mir nicht!“, schrie ich sie an und stand von meinem Stuhl auf.
„Chase ist mein Sohn. Wohl kaum, dass er so etwas machen würde?!“, entgegnete sie. Ich konnte es nicht fassen. Meine Mutter verteidigte ihren Sohn, so wie sie es gesagt hatte.
„Aber ich bin auch deine Tochter!“, schrie ich mit Tränen in den Augen.
„Natürlich bist du das. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass er so etwas tut!“, sagte sie erschöpft.
Er war ihr Lieblingskind. Natürlich konnte sie es nicht glauben, dass er zu etwas in der Lage war!
Entrüstet schnaubte ich. Das war alles ein total schlechter Scherz.
„Mom! Bitte glaube mir!“, sagte ich verzweifelt.
Meine Mutter schüttelte ihren Kopf. Fassungslos starrte ich sie an. Ich schluckte.
„Dann habe ich zu Hause nichts mehr zu verlieren!“, sagte ich und wollte aus der Tür verschwinden.
„Du willst mit deinen siebzehn Jahren ausziehen?“, fragte sie ungläubig.
„Wonach sieht es denn aus?“, gab ich bissig zurück und verschwand aus ihrem Büro.
Was sollte ich denn jetzt machen? Sie hielt mich nicht einmal zurück. Da merkte ich, wie viel ich ihr bedeutete.
Vom Krankenhaus aus schlenderte ich lustlos und traurig die Straßen entlang zu mir nach Hause. Mir war es egal, ob Chase dort war oder nicht. Mich schockte nur, dass ich meiner Mom egal war.
Schlimmer konnte es also nicht werden.
Nach einer Viertelstunde kam ich bei unserem Haus an. Mit zittrigen Händen schloss ich die Eingangstür auf und betrat das Gebäude.
Es war dunkel, unheimlich dunkel. Ich schluckte und hielt meinen Atem an.
Plötzlich schlug mir jemand auf den Hinterkopf und ich fiel bewusstlos zu Boden.


Mit pochenden Schmerzen wurde ich unsanft geweckt. Ich blickte geradewegs in Chase‘ braune Augen, die jedes Mädchen anhimmelten. Er grinste mich süffisant an.
„Was?“, schrie ich und rüttelte an den Handschellen, die an meinem Bett angekettet waren.
Chase lachte. „Gleich Kommen wir zur Sache bei der wir letztens ja gestört worden waren!“
Hinter ihm hörte ich ein weiteres Lachen. Es hörte sich eher nach einem Grunzen an.
„Du bist irre!“, warf ich ihm an den Kopf.
„Schade das dein Freund nicht hier ist um dich zu beschützen“, sagte er neckisch und ironisch.
Plötzlich ging die Tür auf und Tyler kam herein. Er sah mich wütend und leicht hämisch lächelnd an. Ich hatte ihm ja vor kurzem noch in seine Weichteile gehauen und Chase’ hatte ich eine Vase über seinen Kopf gezogen, wo jetzt ein dicker Verband prangte.
Warum war ich nicht bei Tyson geblieben? Warum musste ich bloß so sturköpfig sein und keine fremde Hilfe annehmen?! Typisch Christy! Immer musste ich in solche unangenehmen Situationen kommen!
„Ich habe Mom erzählt, was du tust“, zischte ich und wich bis zum Bettgestell vor ihm zurück.
Chase lachte. „Und hat sie dir geglaubt?“, fragte er gelangweilt. In meinem Blick musste er wohl gesehen haben, dass sie es nicht getan hatte, denn er sagte: „Hab ich mir schon gedacht!“
Er machte einen Wink und gab Tyler zu verstehen meinem Bett näher zu kommen.
„Sie gehört dir für heute Nacht“, hörte ich die amüsierte Stimme von meinem Bruder.
„Was hat er dir gegeben, damit er das macht?“, hakte ich nach. Ich wollte es noch ein bisschen heraus zögern. In Tylers Augen konnte ich die Gier aufblitzen sehen.
Chase antwortete mir nicht mal und blieb lässig an der Tür stehen.
Tylers ekelige Finger machten sich schon auf den Weg mich zu entkleiden. Langsam um es mir noch qualvoller zu machen zog er mir meinen Pulli aus. Danach folgte mein T-Shirt. Jetzt lag ich nur im BH und in meiner Jeans vor ihnen.
Ich brauchte mich nicht anfangen zu wehren, es nützte eh nichts. Er war zu stark für mich.
Stumm ließ ich alles über mich ergehen.
Gerade nestelte er an meiner Jeans herum. Ich hatte meine Augen geschlossen und ein paar Tränen liefen meine Wange hinab.
Dieser ekelige Kerl berührte mich überall. Und als das Hindernis mit der Jeans vorüber war, lag ich nur noch in meiner Unterwäsche auf dem Bett. Ich wollte nur noch, dass es schnell vorbei ging.
Seine Lippen spürte ich auf meiner Haut. Er küsste meinen Hals, mein Schlüsselbein, mein Dekolleté und meinen Bauch. Es war ekelerregend seine feuchten Lippen auf meiner Haut zu spüren.
Tyler nestelte gerade an dem Verschluss meines BHs rum, als er plötzlich von mir runter gezerrt wurde. Erschrocken wich ich wieder in meine Ecke zurück und sah eine dunkle Silhouette.
Mein Retter schaffte es irgendwie meinen Bruder und seine Freunde aus meinem Zimmer zu werfen. Diesen Überraschungsmoment hatte er auf seiner Seite. Und als sie raus waren, schloss er hinter sich ab.
Dann erblickte ich ihn. Tyson! Mit offenem Mund sah ich ihn ungläubig an. Er war wütend und das zu Recht. Ich hätte auf ihn hören sollen!
Ein paar Sekunden verharrte er und blickte mir wütend in die Augen. Dann kam er zu mir und schloss die Handschellen auf. Als Tyson sie entfernt hatte, rieb ich mir meine Handgelenke. Sie waren ein wenig wund.
Ohne ein Wort mit mir zu reden ging er zu meinem Schrank und packte mir das Nötigste in meinen Rucksack.
Währenddessen zog ich mir schnell meine Klamotten wieder an. Ich zitterte wie Espenlaub.
Tyson sprach immer noch nicht mit mir. Wortlos schnappte er meine Hand und schob mich zum Fenster. Immer wieder hämmerten mein Bruder und seine Freunde auf meine Tür ein. Unter der Wucht ihrer Schläge erzitterte sie. Und dann war sie auf einmal geöffnet.
Erschrocken schrie ich auf. Tyson reagierte sofort und verpasste Tyler einen Kinnhacken.
Chase‘ anderer Kumpel Alec, so musste er heißen, wollte gerade auf Tyson einschlagen, der im richtigen Moment sich geduckt hatte und ihm seine Faust in den Bauch rammte.
Mein Bruder umfasste seinen Kopf und rammte Tyson gegen die Wand.
Tyler und Alec lagen auf dem Boden und krümmten sich vor Schmerzen. Weicheier!
Tyson hingegen, schlug gerade auf Chase ein, der beinahe bewusstlos wurde.
„Hör auf!“, schrie ich ihn an. Ich konnte nicht zu lassen, dass er meinen Bruder ins Koma prügelt. Auch wenn Chase für mich so etwas nie tun würde, aber er war mein Bruder und ich wusste, dass er sich irgendwann ändert! Vielleicht! Einen kleinen Funken Hoffnung hatte ich.
Tyson schüttelte nur mit dem Kopf, schnappte sich meinen Rucksack und mein Handgelenk. Gemeinsam rannten wir aus dem Haus.
Ob meine Mom mich vermissen würde? – Bestimmt nicht! Sie hatte mir nicht einmal geglaubt. Kein bisschen! Das Universum hatte sich gegen mich gerichtet. Alles lief im Moment schief. Ich machte falsche Entscheidungen. Und Tyson war sauer auf mich! Wieso hatte ich ihm gegenüber Schuldgefühle? Verdammt, Christy! Du kanntest ihn jetzt erst über einen Tag! Mein Verstand hatte sich eingeschaltet und hielt mir eine Predigt.
Das nächste Mal würde mich Tyson nicht mehr gehen lassen. Er führte sich auf, als wäre er mein Bruder, der sich um mich wenigstens Sorgen machte.
Als wir bei seiner Wohnung ankamen, sprach er immer noch nicht mit mir. Wieso verlangte ich, dass er mit mir sprach? Damit ich seine traumhaft schöne Stimme hören konnte?! Ich war nicht mehr ganz dicht!
Meinen Rucksack stellte er neben der Eingangstür ab.
Anscheinend musste Sean hier mit ihm zusammen wohnen, denn er kam besorgt aus einem anderen Zimmer nur mit einer Boxershort bekleidet. Seine Haare lagen zerzaust in allen Richtungen.
Er umarmte mich. „Haben sie ihr etwas angetan?“, fragte er besorgt und sprach über mich, als wäre ich gar nicht im Raum.
„Nein. Ich habe es noch rechtzeitig verhindert“, sagte Tyson mit einem Unterton, den ich nicht deuten konnte. Ich konnte wirklich verstehen, wenn er auf mich sauer war. Aber irgendwann musste es doch gut sein, oder nicht?
Traurig sah ich ihm hinter her. Tyson knallte seine Zimmertür hinter sich zu. Automatisch zuckte ich zusammen.
„Ist dir kalt?“, fragte Sean mich und sah mir intensiv in meine Augen.
Kopfschüttelnd sagte ich: „Ich möchte nur noch schlafen!“
Verständnisvoll nickte er und führte mich ins Wohnzimmer. Überhaupt nicht Gentleman-Like. Ich durfte auf der Couch schlafen. Aber immerhin etwas!
Fürsorglich deckte Sean mich noch zu, bevor er ging. „Wer ist Bridget?“, fragte ich ihn gerade rechtzeitig bevor die Tür hinter sich geschlossen hatte.
„Das solltest du ihn lieber fragen anstatt mich!“, sagte er ausdruckslos. „Gute Nacht!“ Er knallte die Tür hinter sich zu.
Wieso waren alle so angespannt, wenn man den Namen Bridget erwähnte? War das noch so eine Ex-Freundin von Tyson? So ein Macho!
Ich hatte keine Lust mich zu waschen oder sonst etwas was mit Hygiene zu tun hatte. Mich hüllte auch sofort der Schlaf ein, als ich meine Augen schloss.


Am nächsten Morgen weckten mich ein paar Sonnenstrahlen. Ich seufzte und reckte mich.
Muskelkater am Nacken war unschön. Mit meinen Händen versuchte ich ihn ein wenig zu massieren.
Ganz leise wurde die Tür aufgemacht.
„Oh. Du bist ja schon wach. Ich wollte dich gerade wecken“, sagte Sean freudestrahlend. „Hast du gut geschlafen?“ Er war wieder freundlicher, als gestern Abend. Dieses Mädchen musste den Beiden wirklich etwas bedeuten. Wenn sie so reagierten?
„Ja, aber ich habe Nackenschmerzen“, antwortete ich und erwiderte sein Lächeln.
„Zeig mal her“, forderte er mich auf und schob seine Ärmel des Pullis hoch.
Seine nackten, warmen Hände berührten meine Haut am Nacken und massierten ihn sanft. Es tat gut. Er konnte es besser als ich.
„Du hast magische Hände“, lachte ich.
Plötzlich ging wieder die Tür auf. Erschrocken drehte ich mich um und erblickte Tyson, der uns sofort wütend musterte. Dabei zog er eine Augenbraue hoch.
„Jo, Tyson“, begrüßte Sean seinen Freund und stand auf. „Sie hatte ein wenig Nackenprobleme.“
Nervös biss ich mir auf die Lippe. Er dachte, dass wir was miteinander hätten!
Ein Klingeln rettete mich aus dieser unangenehmen Situation. Dieses Klingeln kam mir bekannt vor.
Es war mein Handy! Schnell stand ich auf und lief in Richtung meines Rucksackes.
Ich wühlte alles heraus bis ich es ganz unten gefunden hatte.
Auf dem Display stand eine unbekannte Nummer. Verwirrt nahm ich das Gespräch an.
„Hallo?“, fragte ich neugierig.
„Hey, Christy! Ich bin’s Taylor“, sagte eine männliche Stimme, die meinem Ex-Freund gehörte.
„Taylor?“, murmelte ich ungläubig. Irgendwie war ich froh eine mir all zu bekannte Stimme zu hören.
„Was…wieso rufst du an? Ich dachte…“
Taylor ließ mich gar nicht erst ausreden. „Ich wollte mal wieder deine Stimme hören“, sagte er schüchtern am anderen Ende der Leitung. „Seit unserer Trennung vor einem Jahr denke ich nur noch an dich! Es war falsch mich von dir zu trennen.“
„Chase war daran Schuld! Aber es ändert jetzt nichts mehr“, sagte ich und lehnte mich gegen die Haustür. Am Türrahmen standen Sean und Tyson, die mich neugierig musterten.
„Morgen bin ich wieder in Kalifornien und ich wollte fragen, ob du mal mit mir ausgehst?!“
Mein Herz klopfte wie wild in meinem Brustkorb. Taylor war wieder in Kalifornien! Ich konnte es kaum fassen! Wie es sich anhörte, hatte er noch Gefühle für mich! Aber fühlte ich auch noch etwas für ihn? Freundschaftlich – ja, aber sonst? Verwirrt schüttelte ich den Kopf.
„Im Moment ist es schlecht“, sagte ich betrübt.
Ich hörte an seiner Stimme, dass er niedergeschlagen war: „Okay. Vielleicht ein anderes Mal! Wie geht’s Chase?“
„Ich denke gut!“
„Bist du gerade nicht bei ihm, oder wie?“, fragte er misstrauisch nach. Nervös biss ich mir auf die Lippe. In letzter Zeit machte ich dies häufiger. Was sollte ich jetzt bloß sagen, dass ich jetzt bei fremden Leuten wohnte? – Nein, auf keinen Fall! Er sollte sich keine unnötigen Sorgen machen.
„Du, ich muss jetzt auflegen! Wir sehen uns!“, verabschiedete ich mich und ohne ein „Tschüss“ von ihm zu hören, legte ich einfach auf.
Seufzend lehnte ich meinen Kopf gegen die Tür. Ausgerechnet jetzt kam Taylor zurück! Das war der unpassendste Moment, den es je gab!
„Was ist los?“, fragte Sean misstrauisch. Beide Jungs hatten ihre Arme vor der Brust verschränkt und sahen mich erwartungsvoll an.
„Das war mein Ex-Freund“, seufzte ich und lief an ihnen vorbei.
„Dein Ex? Was wollte der denn?“, fragte Tyson ungläubig und ein wenig eifersüchtig nach. Das war das erste Mal, dass er seit gestern wieder ein Wort mit mir wechselte.
„Nichts Besonderes. Mit mir quatschen, sonst nichts!“, log ich und machte mich an ihrer Kaffeemaschine zu schaffen.
Bloß nicht umdrehen und in ihre Gesichter sehen, denn dann konnten die Beiden erkennen, dass ich wie gedruckt log.
Der Kaffee kochte vor sich hin. Die Jungs gaben auf irgendetwas aus mir heraus zukriegen und machten sich an das Frühstück ran.
Ich trank selten Kaffee, aber heute brauchte ich ihn. Mit sehr viel Milch und Zucker vermischte ich das Ganze, sonst schmeckte es nicht.
Wir hatten einen verdammt kalten Frühling dieses Jahr! Auch wenn schon die Sonne ein wenig am Himmel schien, war der Wind eiskalt. Und Sean hatte auch noch die Balkontür weit aufgemacht und verließ die Küche. Zitternd und mit klappernden Zähnen setzte ich mich auf einen Stuhl. Meine Hände wärmten sich an der Kaffetasse auf.
Tyson musste mich die ganze Zeit wohl beobachtet haben, denn plötzlich zog er seinen Pullover aus und hielt ihn mir hin. Fragend sah ich ihn an. Oben herum hatte er nur noch ein T-Shirt an. War das für ihn nicht kalt?
Dankbar nahm ich den Pulli entgegen und streifte ihn mir über. Sofort strömte mir sein unwiderstehlicher Geruch in die Nase. Wie konnte man bloß so gut riechen? Unauffällig sog ich ihn ein.
„Bist du noch sauer?“, fragte ich verlegen nach und schlürfte von meinem heißen Kaffe. Und prompt verbrannte ich mir auch schon meine Zunge.
„Du bist stur wie ein Esel“, antwortete er stattdessen und überging meine Frage.
„Ich weiß, dass ich einige Fehler gemacht habe, aber wenn du in meiner Situation wärst, hättest du das bestimmt auch getan oder nicht?“
„Nein“, sagte er selbstsicher.
Kopfschüttelnd startete ich einen neuen Versuch meinem Kaffe zu trinken. Dieses Mal verbrannte ich mir nicht meine Zunge.
„Wer ist Bridget?“, fragte ich in die Stille hinein.
Sofort verkrampfte er sich. Wer war bloß dieses Mädchen? Sie musste ihm anscheinend viel bedeuten. Wahrscheinlich war sie eine seiner Geliebten.
„Meine Schwester“, antwortete er seufzend und raufte sich die Haare.
Seine Schwester. Deswegen bedeutete sie ihnen so viel. Sean war zwar nicht mit Tyson und Bridget verwandt. Aber gehörte sozusagen zur Familie.
„Und wieso meinte Sean gestern, dass ich nicht so wie sie sei?“, hakte ich weiter nach.
Er antwortete mir nicht. Fassungslos sah ich ihn an und ich hatte keine Lust mehr mit Tyson eine Diskussion anzufangen. Dafür war ich noch viel zu müde und erschöpft.
„Vielleicht wäre es am besten, wenn ich zu einer Freundin oder einem Freund ziehe. Dann seid ihr mich los und müsste euch nicht mit mir herumschlagen“, sagte ich ein wenig verlegen. „Schließlich kennen wir uns nicht einmal richtig!“ Dann würde ich auch nicht mehr mit seiner Schwester verglichen werden.
„Habe ich das richtig gehört, du willst uns verlassen?“, fragte Sean empört und ließ sich neben mir auf den freien Stuhl fallen. Er musterte mich komisch von oben nach unten. Ja, ich trug Tysons Pullover! Das hatte er auch bemerkt, sagte aber nichts dazu.
„Das wäre für uns das beste!“, versuchte ich es weiter. „Ich werde euch doch nur zur Last fallen!“
„Was ist mit deinem Bruder?“, fragte Tyson. „Du kannst dich ja nicht einmal gegen ihn wehren. Eine Ohrfeige könntest du ihm schon verpassen, aber mehr könntest du gegen ihn auch nicht ausrichten!“
Seufzend trank ich meine Tasse leer. „Ich weiß, aber bei meinen Freunden bin ich sicher! Ihr hättet ja auch Psychopathen sein können!“
Entrüstet schnaubten beide Jungs verächtlich über meine Worte.
„’Tschuldigung!“, entschuldigte ich mich verlegen. Aber das war die Wahrheit! Sie hätten sonst wer sein können!
„Können wir dich wirklich nicht mehr umstimmen?“, fragte Sean traurig. Tyson sagte gar nichts mehr.
„Nein“, sagte ich und schüttelte dabei noch meinen Kopf um bei meinem Entschluss zu bleiben.
Ellie nahm mich bestimmt gerne auf. Außerdem würde Mom auch keine Vermisstenanzeige aufgeben, wenn ich ihr überhaupt etwas bedeutete!
„Es ist deine Entscheidung“, sagte Tyson nur und verstummte wieder. Er war damit einverstanden, dass ich ging. Ein wenig ungläubig sah ich ihn an. Wurde sein Stolz verletzt, oder was? Wieso tat er auf einmal so, als wäre ich ihm vollkommen egal? Er war immer derjenige, der den Held spielen musste und jetzt auf einmal durfte ich gehen? Gestern hieß es noch, dass ich um keinen Preis das Haus verlassen durfte! Und ganz offensichtlich hatte seine Schwester auch was mit mir zu tun, wo von ich nicht im Geringsten etwas wusste!
„Bevor ich gehe, darf ich vielleicht noch duschen?“, fragte ich schüchtern.
Beide nickten und ich stand auf um ins Bad zu gehen. Mein Rucksack stand nicht mehr neben dem Eingangsbereich.
Suchend nach ihm fand ich ihn in Tysons Zimmer. Verwirrt ging ich auf ihn zu. Wieso befand sich mein Rucksack in seinem Zimmer? Merkwürdig!
Ich holte ein paar Sachen und stellte mich unter die Dusche. Mein verspannter Nacken tat das warme Wasser richtig gut. Aber Sean hatte auch ganze Arbeit geleistet. Er hatte echt magische Hände! Frisch fühlte ich mich jetzt auch. Das war auch kein Wunder, wenn ich gestern nichts für meine Hygiene gemacht hatte.
Meine Haare massierte ich mit meinem Lieblingsshampoo ein und spülte es mit dem Wasser wieder aus. Unter der Dusche fühlte ich mich immer so befreit und lebendig. Hier konnte man seinen Gedanken freien Lauf lassen.
Seufzend lehnte ich mich gegen die kühle Wand. Das Wasser prasselte auf mich herab.
Ich mochte Tyson. Ich mochte Sean. Ich mochte Taylor. Drei Jungs und ein Mädchen, das ging irgendwie nicht gut. Und eine zweite versuchte Vergewaltigung, der ich knapp entronnen war.
Nach einer ausgiebigen Dusche stellte ich das Wasser ab und wickelte ein Handtuch um meinen zierlichen Körper.
Ich schob den Duschvorhang zur Seite und erschrak mich beinahe zu Tode.
Tyson saß verlegen auf dem Rand der Badewanne.
Meine nassen Haare tropften.
„Was machst du hier?“, fragte ich verwirrt. Mein Herz klopfte drei Mal so laut wie vorher. Ein zu hoher Blutdruck! Aber wenn ich ihn sah, klopfte mein Herz immer etwas lauter als sonst. Ich war auch sehr aufgeregt und nervös in seiner Nähe. Verflucht! Was machte er bloß mit mir?
„Ist es wirklich dein Entschluss zu gehen?“, fragte er nach. „Hier bist du wenigstens in Sicherheit und ich kann dich beschützen!“
Er klang so verletzt.
Wieso wollte er mich beschützen? Wie oft noch wir kannten uns nicht?
„Wieso willst du eine Fremde beschützen?“, fragte ich neugierig nach. Wenn ich mich nicht langsam abtrocknete, wurde bald das Bad zum See. Einige Pfützen hatten sich schon gebildet.
Er stand von seinem Platz auf und war mir auf einmal so gefährlich nahe. Erschrocken hielt ich die Luft an. Sein Geruch vernebelte meinen Verstand. Ich konnte kaum klar denken in seiner Nähe, besonders nicht in dieser Situation. Und mein Körper reagierte zu sehr auf ihn!
Tyson legte seine Hände auf meine Hüfte. Mit einem intensiven Blick durchbohrten mich seine Augen sanft. Ein Kribbeln entstand bei seiner Berührung überall.
„Ich weiß es nicht“, beantwortete er meine Frage. „Du bringst mich um den Verstand!“ Seine Stimme war kaum zu verstehen, so leise flüsterte er.
Und vor Aufregung pochte mein Herz noch lauter. Meine Ohren hörten ein seltsames Rauschen.
Unsere Lippen waren nur noch ein paar Millimeter voneinander entfernt. Ich spürte seinen warmen Atem in meinem Gesicht. Niemand unterbrach diesen intensiven Blickkontakt.
Ganz langsam näherte er sich und presste seine Lippen fordernd, aber doch sehr sanft auf meine.
Automatisch schloss ich meine Augen und gab mich dem Kuss voll und ganz hin. Ich ließ es zu, dass er mich in seine Arme zog. Seine Zunge spielte wie verrückt mit meiner.
In seinen Armen hing ich schlaff wie eine Puppe.
Und dann holte mich mein Verstand in die Wirklichkeit zurück.
Ich öffnete meine Augen, hob meine Hand, holte aus und knallte ihm eine Ohrfeige.
Erschrocken, Frustriert, Traurig, Wütend und Verzweifelt blickte er mich an.
Nach Atem ringend hielt ich mein Handtuch fest, damit es nicht runterrutschen konnte.
Ohne ein Wort rauschte er aus dem Bad. Ich hörte wie die Eingangstür knallte.
Plötzlich klopfte es an der Tür. „Ist alles in Ordnung?“, hörte ich Seans fragende Stimme gedämpft durch das Holz.
„Ja“, stotterte ich und fing an mich abzutrocknen. Wie in Trance zog ich mir frische Sachen an, putzte meine Zähne lange und ausgiebig, föhnte meine Haare und packte meine Tasche fertig.
Danach verließ ich das Bad und verabschiedete mich von Sean. Dieser zog mich in eine vertraute Umarmung, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Er küsste mich auf die Stirn und ich verließ, ohne mich von Tyson verabschiedet zu haben, die Wohnung.
Mein Rucksack baumelte an der vertrauten Stelle zwischen meinen Schulterblättern.
Mit den Fingerspitzen berührte ich meine Lippen. Ich konnte immer noch den Druck auf ihnen spüren. Der Kuss war wirklich schön. Seufzend lief ich die Straße entlang.
Ich machte mich auf den Weg zu Ellie. Sie und ihre Eltern hatten bestimmt Verständnis für mich.
Ihr Haus war wie mein zweites Zuhause.
Nach einer halben Stunde zu Fuß laufen, kam ich bei Ellie an. Zwei Mal klingelte ich hinter einander. Meine beste Freundin wusste dann sofort, dass ich es war.
Freudestrahlend öffnete sie mir schon die Tür. Stürmisch umarmte ich sie.
„Hey! Was ist passiert?“, fragte sie auch schon sofort besorgt. „Komm erst einmal rein!“
Ellie zog mich an der Hand in die Wohnung. Wir setzten uns in das Wohnzimmer.
„Meine Eltern sind nicht da, also können wir in Ruhe reden!“
„Mein Bruder hat mich letztens versucht zu vergewaltigen mit seinen Freunden!“, sprudelte auch schon die Wahrheit aus mir heraus. „Und meine Mom glaubt mir mal wieder nicht!“ Tränen liefen meine Wange hinab und benetzten sie.
„Wie meinst du das, sie hatten es versucht?“
„Naja“, zögerte ich. Sollte ich ihr wirklich von Tyson erzählen? Ich entschied mich für die Wahrheit. „Mir hat jemand geholfen. Ein sehr gut aussehender Junge namens Tyson.“
Die Augen meiner besten Freundin glitzerten vor Aufregung. „Erzähl weiter!“, forderte sie mich auf.
„Er verprügelte sie und nahm mich mit zu sich. Am nächsten Tag wollte ich zu meiner Mom und als ich dann wieder Zuhause war, kam auch schon Chase. Und wieder einmal rettete Tyson mich. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht einmal, wie er überhaupt in das Haus kam. Jedenfalls schlug ich dann meinem Bruder die Vase auf den Kopf. Aber er lebt noch! Tyson war total sauer auf mich. Sean zeigte Verständnis. Er ist Tysons bester Freund. Dann bin ich am selben Tag noch zum Krankenhaus gegangen um mit meiner Mom zu reden. Sie glaubte mir nicht. Als ich dann Zuhause ankam, hatte mir jemand etwas auf den Kopf geschlagen, sodass ich bewusstlos wurde. Als ich wieder aufwachte, wäre ich beinahe von ihnen wieder vergewaltigt worden, wenn Tyson mir nicht geholfen hätte. Er war immer noch sauer auf mich. Und heute Morgen habe ich mich dafür entschieden zu dir zukommen. Schließlich kann ich nicht für immer bei Fremden wohnen. Und dann hatte mich Tyson geküsst!“, erzählte ich ohne Punkt und Komma.
Bei dem letzten Satz bekam Ellie ganz große Augen. „Läuft was zwischen diesem mysteriösen Typen und dir ?“
„Ich weiß es nicht!“, sagte ich schulterzuckend und fuhr mir nervös mit den Fingern durch die Haare.
„Wie war denn der Kuss?“, hakte sie weiter nach.
„Atemberaubend schön“, seufzte ich und lehnte meinen Kopf auf die Lehne. „Kann ich vielleicht ein paar Tage hier bleiben?“
„Klar. Meine Eltern werden bestimmt nichts dagegen haben!“, antwortete sie freudestrahlend. Zögernd lächelte ich.
„Aber in wenigen Minuten müsste Luca vorbeikommen!“, sagte sie nervös.
Luca war Ellies fester Freund. Seit drei Jahren waren die Beiden schon zusammen. Genau wie mein Bruder spielte er im Footballteam. Jedoch hatte er mit Chase nicht viel zu tun.
Luca war ein Jahr älter als Ellie. Er war achtzehn Jahre alt.
Und dann klingelte es auch schon passend an der Tür.
Meine beste Freundin stürmte dorthin und warf sich ihm in die Arme. Leidenschaftlich küssten sie sich. Die Beiden waren ein süßes paar.

Ihr Freund lächelte mich an, als er sich auf den Sessel niederließ auf dem Ellie zuvor gesessen hatte. Sie saß auf seinem Schoß.
Für einen Footballspieler war es genau wie bei ihm, groß, schlank und muskulös. Er besaß blonde, kurze Haare, die durch den Regen nass waren.
„Luca. Warte kurz, ich bringe Christy ins Gästezimmer!“, sagte Ellie und schnappte sich meine Hand.
Schnell griff ich noch nach meinem Rucksack und wir stiegen die Treppe hoch um ins obere Stockwerk zu gelangen.
„Ich konnte dir ansehen, dass du müde bist! Ruh dich aus. Luca und ich sind im Wohnzimmer!“, lächelte sie mich an und verließ wieder das Gästezimmer.
Sie hatte Recht. Ich fühlte mich total k.o. Erschöpft legte ich mich unter die Bettdecke und schlief auch sofort ein.


„Hallo?“, rief ich in die Nacht hinein. Ich befand mich einem kleinem Wald, der mit Bäumen und Pflanzen dicht besudelt war. Moos, Wurzeln und Laub lagen auf dem Waldboden.
Plötzlich raschelte es hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um. Mein Herz klopfte wie wild in meinem Brustkorb.
„Chase?!“, fragte ich ängstlich. Und er war es. Arrogant und selbstgefällig löste sich seine Silhouette aus der Dunkelheit. Er kam immer näher. Hinter ihm waren seine zwei besten Freunde.
„Lass sie in Ruhe, Bennett!“, hörte ich eine sehr bekannte, tiefe Stimme, die ein Kribbeln in meinem Bauch verursachte.
Mein Bruder lachte verächtlich und machte Anstalten weiter auf mich zu zugehen.
Ich spürte, dass Tyson ganz dich hinter mir stand. Sein warmer Atem strich mir über meinen Nacken und hinterließ eine Gänsehaut. Bei ihm fühlte ich mich geborgen und sicher. Und jetzt war es nicht anders, obwohl eine Gefahr drohte, die von meinem Bruder und seinen Freunden ausging.
Tysons Hände hatten sich auf meine Hüfte gelegt und er zog mich besitzergreifend in seine Arme.
Auf einmal zog Chase eine Pistole aus seiner Tasche. Erschrocken schrie ich kurz auf. Tyson hielt mich ganz fest und dann schoss mein Bruder.

Schweißgebadet wachte ich mitten in der Nacht auf. Es war nur ein Traum. Er fühlte sich aber so echt an. Ich konnte den Duft von Tyson aufnehmen. Das Rascheln der Blätter. Es wirkte so real.
Mit meinen Fingern fuhr ich mir durch die Haare. Nicht all zu lange war es her, als ich meinen letzten Alptraum erlebt hatte. Nachts träumte ich oft von Chase, wie er…wie er mich umbrachte.
Jede Nacht mit einem unguten Gefühl aufzuwachen war nicht gerade pralle. Ich könnte heulen, so beschissen war mein Leben. Und dieser Traum war etwas Besonderes. Dieses Mal kam Tyson drin vor, was mich stark wunderte.
Ich legte mich auf die Seite und bettete meinen Kopf auf das Kissen. Seufzend schloss ich die Augen. Weiter zu schlafen war sinnlos. Jetzt bekam ich kein Auge zu. Unruhig wälzte ich mich im Bett und stand dann schließlich nach einer unendlich langen Stunde auf.
Gegenüber dem Bett hang an der Wand ein Spiegel. Als ich mich betrachtete, erschrak ich. Unter meinen Augen zierten tiefe Augenringe. Meine Haut war leichenblass, stärker als sonst. Mit zittrigen Händen betastete ich mein Gesicht. Ich brauchte dringend Ruhe. Unentschlossen ob ich doch wieder ins Bett gehen sollte oder nicht, kaute ich auf meiner Lippe rum.
Dieses kuschelige, warme Bett war so verlockend. Aber ich brauchte frische Luft – Jetzt!
Ich schlich leise die Treppen runter, schnappte mir meine Jacke und verließ das Haus meiner besten Freundin. Der Ersatzschlüssel lag unter dem Blumentopf. Meine Hände steckte ich in die Jackentasche, da es doch recht kühl war.
Ein Tippen auf meiner rechten Schulter ließ mich zusammen zucken. Es war schwer einen Schrei herunter zu schlucken.
Ängstlich und mit einem wild pochenden Herzen drehte ich mich um. Direkt sah ich zwei wunderschöne braune Augen.
„Sean?“, fragte ich ungläubig und kniff die Augen zusammen.
„Hey. Was machst du denn noch um diese Uhrzeit hier draußen?“, fragte er ein wenig verärgert. „Kleine Mädchen sollten sich nicht nachts alleine herumtreiben!“ Das war der alte Sean. Er lachte.
„Ich treibe mich nicht herum, sondern ich brauchte frische Luft – Alptraum!“, erklärte ich ihm und sah zu Boden.
„Oh“, sagte er und nahm mich in die Arme. Der Wind wehte ihm die Haare ins Gesicht. Irgendwie fand ich ihn süß. In seiner Umarmung zu liegen war schön. Er strahlte sowie Tyson Geborgenheit und Sicherheit aus.
„Und ähm Tyson?“, fragte ich stotternd nach. Ich spürte wie sich Seans Muskeln anspannten bei seinem Namen.
„Was soll mit ihm sein?“
„Ich weiß nicht. Ist er noch sauer?“
„Ja, deswegen brauchte ich auch mal frische Luft“, erklärte er mir.
„Hm.“ Schweigend standen wir voreinander. „Ich sollte wieder reingehen!“
Wir verabschiedeten uns von einander. Und Tyson ging mir nicht mehr aus dem Kopf raus.
Nachdenklich lief ich die Treppen hoch und prallte gegen etwas Warmes.
Überrascht sah ich hoch, als ich Luca erkannte.
„Was hast du draußen gemacht?“, fragte er misstrauisch nach. Verwirrt starrte ich ihn an.
„Ich brauchte frische Luft“, stotterte ich und lief an ihm vorbei.
Schnell schlüpfte ich unter die Bettdecke und versuchte einzuschlafen.


Am nächsten Morgen erwachte ich total müde. Erschöpft blieb ich liegen.
Ich hatte keine Lust aufzustehen. Es fühlte sich so an, als ob ich die ganze Nacht durch gefeiert hätte.
Die letzten Tage waren einfach nur stressig gewesen. Und jetzt, wenn ich meine Ruhe hatte, überfiel mich die Müdigkeit. Mit steifen Gliedern versuchte ich mich aufzusetzen und fuhr mir mit den Fingern durch meine Haare. Immer wieder entfuhr mir ein Seufzer. Heute hatte ich echt keine Lust irgendetwas zu machen. Gut, dass wir keine Schule hatten – sondern Ferien!
Ich durchsuchte meinen Rucksack, der neben dem großen Bett stand. Dort fand ich mein Handy.
Drei entgangene Anrufe wurden auf dem Display angezeigt. Zwei waren von meiner Mom und der Dritte von Chase. Was wollte er denn?
Ich entschied mich dafür meine Mom anzurufen. Auch wenn ich ihr nicht so wichtig war, hatte ich ein gewisses Pflichtgefühl es ihr zu sagen, wo ich mich aufhielt – bevor sie noch auf die Ideen kam die Polizei anzurufen um mich vermisst zu melden.
Kopfschüttelnd drückte ich auf den grünen Hörer und hörte das Freizeichen.
Nach drei Mal klingeln ging meine Mom dran.
„Hi, Mom. Ich bin’s!“, sagte ich erschöpft in das Mobiltelefon.
„Oh, Schatz. Wo bist du? Ich mache mir solche Sorgen um dich!“ Ihre Stimme klang ehrlich besorgt.
„Ich bin bei Ellie und werde noch ein paar Tage bei ihr bleiben“, erzählte ich und fügte noch hinzu: „Da ich nicht vorhabe mit meinem Vergewaltiger in einem Haus zu leben!“
„Christy!“, zischte sie empört. „Dein Bruder würde so etwas wirklich nie tun!“
„Ja, klar“, pure Ironie war zu hören. Ich konnte mir gut vorstellen wie meine Mom ihre Augen verdrehte.
„Bleib ein paar Tage bei Ellie“, seufzte sie genervt. „Damit du glücklich wirst!“
„Danke! Ich muss jetzt auch wieder auflegen, Mom“, verabschiedete ich mich und legte schnell auf ohne ein „Tschüss“ ihrerseits abzuwarten.
Gerade als ich aufgelegt hatte, klingelte mein Handy erneut. Eine unbekannte Nummer zeigte das Display an. Neugierig ging ich dran und meldete mich mit einem: „Hallo?“
„Hey, Christy! Ich bin’s Taylor!“, sagte die gut gelaunte Stimme von Taylor.
„Hey! Und schon in der Heimatsstadt angelangt?“, fragte ich neckisch.
„Klar, deswegen rufe ich auch an. Ich war gerade bei dir Zuhause und deine Mom sagte, dass du nicht da seist!“
Er wusste ja noch gar nichts! „Können wir uns treffen?“, fragte ich ernst.
„Ja“, antwortete er verwirrt.
„Wir treffen uns am Strand – jetzt! Bis gleich“, verabschiedete ich mich von ihm und legte wieder sehr schnell auf.
Und urplötzlich war ich gar nicht mehr so müde. In mir herrschte wieder Leben.
Im Badezimmer wusch ich mich und suchte mir frische Kleidungsstücke heraus.
Als ich fertig war, erzählte ich Ellie und Luca, wo ich hinwollte und machte mich schnurstracks auf den Weg zum Strand.
Eine Viertelstunde später betrat ich mit meinen nackten Füßen den warmen Sand. Die Schuhe hatte ich ausgezogen und baumelten in meinen Händen.
Ich lief ein wenig am Strand entlang und machte in der Ferne eine große, dunkle Gestalt aus. Konnte dieser Taylor sein? Ich hatte ihn schon sehr, sehr lange nicht mehr gesehen. Bestimmt oder mit Sicherheit hatte er sich verändert!
Zögernd ging ich auf die Gestalt zu. Der Wind wehte mir die Haare durcheinander.
Immer wieder strich ich sie mit meinen Fingern hinter meine Ohren. Ich hätte sie mir besser zu einem Zopf binden sollen!
Als ich bei der Gestalt ankam, erkannte ich ihn. Taylor! Ein unbeschreibliches Gefühl durch lief meinen Körper. Es war schön ihn wieder zu sehen. Und das zeigte ich ihm auch. Ich sprang in seine Arme.
„Taylor!“, rief ich glücklich. „Ich habe dich so vermisst!“
„Jetzt bin ich doch noch zu meinem Date gekommen“, sagte er lachend. „Da du mich ja bei meinem ersten Anruf abgewiesen hattest!“ Er nahm es mit Leichtigkeit.
Schüchtern und überglücklich lächelte ich ihn an.
„Und jetzt klär mich bitte auf, wieso du nicht mehr bei dir Zuhause lebst!“ Er klang ein wenig verärgert. Aber es war süß von ihm sich um mich Sorgen zu machen. So war Taylor und das hatte ich an ihm geschätzt.
Seufzend setzte ich mich auf den Sand. Taylor tat es mir gleich. Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er mich erwartungsvoll an. Mein Blick war die Zeit über, als ich sprach auf von der Sonne glitzerndem Meer gerichtet.
Ich erzählte ihm alles. Natürlich ließ ich ein paar Details aus. Er brauchte nicht wissen, dass ich für einen Unbekannten Jungen wahrscheinlich Gefühle hegte. In seinen Augen sich in einen fremden Typen zu verlieben, den man nicht kannte, war nicht gerade gut.
Taylor fand es ja jetzt schon ungläubig und leichtsinnig von mir einem Fremden zu vertrauen – dazu waren es auch noch zwei Jungs.
Auch wenn ich Sean und Tyson als sehr sympathische Jungs einstufte, konnte ich trotzdem nicht sehr viel über sie sagen. Sie könnten auch Psychopathen seien und gaben sich als nett und freundlich aus. Und im Hinterkopf schmiedeten sie ihre geheimen Pläne.
Mein Ex-Freund hörte mir aufmerksam zu und unterbrach mich kein einziges Mal. Aber ab und zu bemerkte ich im Augenwinkel, wie er sich anspannte. Das hätte er auch nicht gedacht, dass Chase soweit ging. Zwar hatte mein Bruder mit Intrigen versucht unsere Beziehung zu zerstören, was nicht viel gebracht hatte, war es schon ein wenig unglaubhaft, dass er zu einer versuchten Vergewaltigung in der Lage war. Damals hatten Taylor und ich uns eigentlich nur getrennt, als er umziehen musste um zur Uni zu gehen. Aber ein paar Intrigen von meinem Bruder hatten es bis zu einer gewissen Grenze schon geschafft.
Seufzend spielte ich mit dem Sand. Das Wasser rauschte und der Salzgeruch wurde zu uns herüber geweht. Ich liebte diesen Geruch. Dieser Strand hier in Kalifornien war einer der schönsten Strände.
Ich liebte einfach das Meer. Man fühlte sich so befreit – man konnte es kaum in Worte fassen!
Eine Weile saßen wir schweigend auf dem Sand.
Mitfühlend nahm Taylor meine Hand und drücke sie fest.
Schüchtern lächelte ich ihn an und strich mir ein paar Strähnen hinter mein Ohr, da der Wind sie immer wieder in mein Gesicht wehte.
„Es ist einiges passiert in meiner Abwesenheit!“, sagte er irgendwann. „Wenn ich hier geblieben wäre, hätte ich dich beschützen können - vor ihm!“
„Die Vergangenheit lässt sich jetzt eh nicht mehr ändern!“, erwiderte ich.
Taylor ballte seine Hände zu Fäusten und nahm mich in seine Arme. Verzweifelt krallte ich mich an seinem Hemd fest. Ein paar Tränen fanden ihren Weg aus meinen Augen und kullerten meine Wange hinab. Sie sickerten in den Sand.
Er flüsterte ein paar tröstende Worte in mein Haar und küsste dieses. Diese Umarmung war so vertraut wie in alten Zeiten. Als er weggezogen war, hatte ich sehr viel geweint und es war schwer ihn zu vergessen. Aber jetzt konnte ich ihn loslassen. Ich empfand eigentlich nur noch Freundschaft für ihn – ob es bei ihm auch so war?
Langsam löste ich mich von ihm und starrte wieder auf das Meer.
„Zeig doch deinen Bruder an und seine Freunde gleich dazu?!“, schlug Taylor vor.
Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Sollte ich es wirklich wagen? Konnte ich es überhaupt über mein Herz bringen? Ich liebte meinen Bruder, aber er war…so grausam!
„Vielleicht hast du Recht“, stimmte ich zögernd zu. „Wie lange bleibst du hier?“
Ich hatte keine Lust mehr über Chase zu reden. Ein Themenwechsel würde mir gut tun.
„Wenn die Ferien zu Ende sind, muss ich wieder zurück!“, antwortete er traurig. „Und jetzt genieße ich die Zeit mit dir zusammen!“
Er schmeichelte mir immer. Sollte ich davon ausgehen, dass er immer noch Gefühle für mich hegte?
Bei unserem ersten Telefongespräch meinte er ja, dass er die ganze Zeit über nur an mich gedacht hätte. Wahrscheinlich musste ich davon ausgehen, dass er Gefühle für mich hatte. Oh, Gott! Er tat mir so Leid. Ich empfand nur freundschaftlich etwas für ihn. Mein Herz gehörte schon jemand anderem. Taylor würde mich köpfen, wenn ich ihm erzählte, dass ich mich in einen Fremden verliebt hatte. Es war wirklich verdammt leichtsinnig von mir! Ich steigerte mich in etwas hinein und vielleicht empfand Tyson ja auch nur freundschaftlich etwas für mich, so wie ich für Taylor.
Zwickmühle! Ich hatte auch nicht vor für so was meine Zeit zu verschwenden. Ich musste mich auf das Wesentliche konzentrieren. Wie konnte ich Chase und seine Kumpels von mir am besten fernhalten? – Nur die Polizei könnte mir helfen. Aber ich hatte keine Beweise. Mein einziger Zeuge war halt eben Tyson. Und Chase könnte uns als Lügner abstempeln lassen. Ich wusste ja nicht, wozu mein Bruder noch fähig war. Es war alles verdammt kompliziert. Wäre mein Vater nicht gestorben, müsste Chase sich nicht so aufspielen. Und ich sollte Tyson vergessen. Vielleicht, wenn er wüsste, dass ich etwas für ihn empfand, würde er nur mit meinen Gefühlen spielen? Das konnten Jungs schon immer gut.
„Begleitest du mich zur Polizei?“, fragte ich Taylor uns sah ihn erwartungsvoll an.


Taylor und ich standen vor dem Polizeipräsidium.
Ich spielte mit dem Gedanken wieder umzukehren. Es war doch nicht so gut gewesen hierher zukommen. Aber Taylor ergriff die Initiative und zerrte mich in das Gebäude herein.
Eine sehr junge Frau lächelte uns an, als wir vor ihr standen.
„Was kann ich für euch tun?“, fragte sie höflich und legte ihren Kugelschreiber zur Seite. Sie hatte ihre Haare fein nach hinten zusammengesteckt. Ihr Pony fiel ihr ins Gesicht.
„Wir möchten gerne eine Anzeige erstatten“, ergriff Taylor das Wort für mich.
Die Frau nickte und gab etwas in ihrem Computer ein. Auf ihrer linken Brustseite befand sich ein kleines Schildchen auf dem Blazer. Dort stand ihr Name drauf. Ich konnte sie mit dem Namen Ms. Hawks identifizieren.
„Wen wollen Sie denn anzeigen?“, begann sie das Verhör.
„Es geht um ihren Bruder Chase Bennett und seine Kumpels Tyler Hilton und Alec Firestone wegen des Öfteren Versuches einer Vergewaltigung!“, beantwortete Taylor die Fragen der Frau.


Als der ganze schriftliche Papierkram fertig gemacht wurde, konnten wir nach einer Ewigkeit gehen. Seufzend ließ ich mich auf eine der Bänke fallen, die im Park überall standen.
„Was wohl meine Mom sagen wird?“, flüsterte ich.
„Dann sieht sie wenigstens, dass du es dir nicht nur eingebildet hast“, entgegnete er.
„Ich bin so froh, dass du hier bist!“, seufzte ich und nahm ihn in die Arme.
Taylor schien ein wenig überrascht, doch dann schlang er seine muskulösen Arme um meine Taille und zog mich fester an sich.
Wir verharrten lange in dieser Position bis ich mich langsam von ihm löste.
„Ich muss zu Ellie. Sie macht sich bestimmt Sorgen, wo ich bleibe!“ Meine Stimme zitterte beim reden. Seit dem Besuch bei der Polizei war ich nervös und total aufgeregt.
„In Ordnung. Ich bringe dich zu ihr!“, schlug er vor und machte Anstalten mich zu ihr nach Hause zu begleiten.
„Das brauchst du nicht! Du hast schon so vieles für mich getan. Ich muss jetzt erst einmal meine Gedanken ordnen!“, wehrte ich ab und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke für alles!“
Ich umarmte ihn schnell und machte mich auf den Weg zu Ellie.
Meine Gedanken waren so wirr. Vor allem hatte ich Angst, was als nächstes geschah!
Wie reagierten Chase und seine Freunde auf die Anzeige? Würde er mich hassen?
Musste ich Angst davor haben, dass er mir weiterhin weh tun würde?
Würde mir meine Mom jetzt endlich glauben? Chase war ein verlogenes Machoarschloch.
Aber ich liebte ihn. Er war mein Bruder. Aber ich hasste ihn auch dafür, was er mir angetan hatte.
Ich war so in Gedanken versunken, dass ich nicht bemerkte wie ich über die Straße lief.
Ein nervenerregendes Hupen ließ mich zusammen zucken und Aufsehen.
Wie erstarrt, blieb ich an Ort und Stelle stehen. Gleich würde ich Matsche sein.
Oh, Gott. Ich wollte wegrennen, doch der Schock saß. Mein Köper bewegte sich keinen Zentimeter.
Vorschreck geweiteten Augen sah ich dem rasendem Auto entgegen.
Als hätte mein Körper urplötzlich darauf gewartet, den Tod zu finden oder mein Verstand, da Chase mich zu einem emotionalen Wrack gemacht hatte.
Plötzlich wurde ich zur Seite geschubst, rollte über den Asphalt und blieb unter einer unbekannten Person liegen. Ich fühlte, dass etwas Warmes an meinem Auge hinablief. Meine Glieder schmerzten. Diese unbekannte Person, der ich mein Leben verdankte, war nicht gerade leicht. Er zerquetschte mich beinahe. Ich bekam auch kaum Luft. Auf einmal räkelte sich dieser Typ und sah mir tief in die Augen. Ich schluckte. Die schönsten Augen, die ich je in meinem Leben gesehen hatte und sie kamen mir so verdammt vertraut vor. Dieses wunderschöne Blau erinnerte mich an das Meer, was ich so liebte und in ihnen spiegelte es sich wieder.
Dann erst realisierte ich, wer auf mir lag.
„Tyson!“, flüsterte ich und hielt automatisch den Atem an. Ich war so gebannt von seinem Aussehen und seinem plötzlichen Auftauchens. Er wurde zu meinen persönlichen Schutzengel.
„Alles in Ordnung?“, fragte er mich besorgt und musterte meine Stirn.
Zur Bestätigung nickte ich. „Nur ein kleiner Schock!“
Tyson hielt mir seine Hand hin und dankbar nahm ich sie an. Er zog mich hoch, als wäre ich eine Feder. Ich stand ganz nah bei ihm und konnte seinen Geruch riechen. Er roch unwiderstehlich gut.
„Danke!“, flüsterte ich und nahm ihn in den Arm. Von meiner Umarmung reagierte er eher überrascht, aber letzten Endes erwiderte er sie, dann schob er mich von sich und begutachtete meine Wunde, aber Tyson hielt mich immer noch fest.
„Das muss behandelt werden!“, sagte er besorgt.
„Es geht schon!“, wehrte ich ab und wollte mich umdrehen, doch dann knicksten mir meine Beine weg. Muskulöse Arme schlangen sich um meine Taille und bewahrten mich vor meinen Sturz.
„Danke!“, flüsterte ich wieder. Er drehte mich zu sich um und sah mir tief in die Augen.
Tyson strich mir ein paar Strähnen hinter mein Ohr und sah mich liebevoll an.
Ich schluckte. Anscheinend war er doch nicht mehr sauer auf mich. Und es war auch kein passender Moment ihn danach zu fragen oder nach Bridget auszufragen.
Mit den Fingerspitzen fuhr ich über meine Platzwunde am Kopf. Blut klebte an ihnen.
„Du bist lebensmüde!“, flüsterte Tyson erschöpft und lehnte seine Stirn an meine, aber darauf bedacht nicht meine Wunde zu streifen.
Seine meeresblauen Augen brannten sich in meine. Wenn er mich nicht festgehalten hätte, wäre ich glatt zu Boden gefallen.
Was machte er mit mir? Vor allem mit meinem Verstand, Körper und Herzen?
„Ich geh dann mal“, flüsterte ich. Ich war immer noch so verdammt von ihm gebannt.
„Ich begleite dich“, sagte er schnell und wir liefen auf den Straßen nebeneinander her. Währenddessen tupfte ich mit einem Taschentuch über meine Wunde.
„Ich habe heute meinen Bruder und seine Freunde angezeigt“, erzählte ich ihm.
Sofort versteifte er sich bei diesem Thema.
„Das ist gut“, antwortete er knapp.
„Sagst du mir heute, was es mit deiner Schwester auf sich hat?“, fragte ich ein wenig genervt.
Plötzlich blieb er stehen und nahm meine kleine, zierliche Hand in seine.
„Chase hat sie vor gut einem Jahr ausgenutzt und dann vergewaltigt“, erzählte er mir und presste dabei seine Kiefer angespannt aufeinander.
Erschrocken schlug ich mir meine Hand vor dem Mund.
„Und deswegen möchte ich immer in Gewissheit leben, dass es dir gut geht!“, fügte er noch hinzu.
Das konnte nicht sein! Ich war also nicht das erste Opfer von ihm.
Fassungslos starrte ich auf unsere umschlungenen Hände.
Ich war vollkommen sprachlos und die Gedanken blieben aus.
Mein Kopf war wie leer gefegt.
„Aber ich bin nicht deine Schwester. Ich kann ganz gut auf mich selber aufpassen“, beharrte ich.
Zynisch lachte er auf und raufte sich seine Haare. „Bridget sitzt jetzt in New York zusammen mit ihrem Freund und leidet unter Berührungsängsten. Er ist ein anständiger Kerl und lässt ihr Zeit, die sie braucht. Solche Jungs gibt es nicht häufig!“
Ich schluckte und fuhr mit meiner Zunge über meine getrockneten Lippen.
„Das tut mir Leid, aber mir wird das schon nicht passieren!“, beharrte ich weiter darauf.
„Hat man ja gesehen. Ich hätte dich echt nicht retten sollen, dann hättest du nur um Hilfe gebettelt“, zischte er verächtlich.
„Okay. Ich gebe zu in den Situationen hätte ich wirklich gut Hilfe gebrauchen können, aber du warst da!“
„Du kannst dich nicht immer auf mich verlassen! Ich werde nicht immer da sein um auf dich aufzupassen!“
Er hatte mal wieder Recht. Aber in letzter Zeit war er immer da. Tyson wurde zu meinem persönlichen Schutzengel.
Schweigend liefen wir weiter.
Zwei Blocks weiter kamen wir auch schon bei Ellies Haus an.
Es war schon längst wieder abends. Taylor und ich hatten zu lange im Polizeipräsidium gesessen.
„Tschüss“, flüsterte ich in die Stille und wollte zur Tür laufen, doch Tyson packte mich am Handgelenk und zog mich zu sich. Ich wurde an seine muskulöse Brust gepresst.
„Tu bitte nichts Waghalsiges“, bat er mich. Unsere Lippen waren nur ein paar Millimeter von einander entfernt. Ich konnte gerade nur ein Nicken zustande bringen. Meine Augen starrten die ganze Zeit über seine Lippen an.
Zögernd presste er sie dann auf meine. Und wieder ein sehr leidenschaftlicher Kuss, den ich erwiderte.
Meine Finger legte ich sanft auf seine Wange und zog ihn näher zu mir.
Was tat ich hier? Ich knutschte mit einem wildfremden Jungen rum! Okay, ich kannte ihn jetzt seit über drei Tagen, aber dann küsste man sich doch noch gar nicht.
Schnell löste ich mich von ihm und biss auf meine Unterlippe rum.
Ich konnte in seinen Augen eine leichte Frustration erkennen. Schon wieder hatte ich ihn verletzt!
„Gute Nacht“, sagte er ausdruckslos und verschwand in der Dunkelheit.
Verzweifelt blickte ich ihm hinter her und seufzte. Ich wollte ihm hinter herrufen, doch dazu hatte mich der Mut verlassen.
Frustriert klingelte ich. Eigentlich hätte ich den Schlüssel unter dem Blumentopf nehmen können, doch dazu war es zu spät. Ellie öffnete mir die Tür und ließ mich herein.
„Wo warst du?“, fragte sie mich besorgt.
„Ich habe mich mit Taylor getroffen“, sagte ich knapp und wollte hoch ins Gästezimmer gehen, doch sie packte mich am Arm und hielt mich zurück.
„Was ist passiert?“
„Ich war mit Taylor bei der Polizei und habe eine Anzeige aufnehmen lassen. Und gerade hatte ich einen Autounfall“, erzählte ich ihr die kurze Version.
„Du hattest einen Autounfall? Seit wann ist denn Taylor wieder hier in Kalifornien?“, sprudelten eine Menge an Fragen aus ihrem Mund.
„Seit heute ist er wieder hier, aber auch nur bis zum Ende der Ferien“, antwortete ich gestresst und überging die Autounfall Frage.
„Christy!“, rief sie mir hinter her, doch ich hatte schon die Tür des Gästezimmers zu geknallt.
„Christy“, hörte ich meinen Namen durch die Tür geflüstert.
„Es ist alles in Ordnung, Ellie. Ich erzähle dir morgen alles. Nur ich bin jetzt müde, sei bitte nicht sauer“, rief ich erschöpft und ließ mich auf das große bequeme Bett sinken.
„Okay“, hörte ich ihre leise Stimme und ihre Schritte entfernten sich von der Tür.
Hilflos saß ich auf dem Bett und starrte die Deckean.
Ob meine Mom und mein Bruder schon erfahren haben, dass ich ihn angezeigt habe?
Ein Klopfen an der Fensterscheibe ließ mich zusammen zucken.
Mit gemischten Gefühlen ging ich langsam zum Fenster und sah hinaus. Auf dem Rasen stand Sean.
Freudenstrahlend öffnete ich das Fenster und lehnte mich heraus.
„Was machst du hier?“, rief ich kichernd nach unten.
„Darf ich hochkommen?“, rief er hoch. Nickend ging ich vom Fenster zurück.
Ich hörte ihn an der Leiter hochklettern, die an dem Haus an gehämmert wurde zur Zierde.
Seine Finger umgriffen den Rahmen und er zog seinen ganzen Körper hoch bis er mit beiden Füßen auf dem Boden stand.
„Was machst du hier?“, fragte ich wieder und nahm ihn in die Arme.
„Ich wollte dich sehen“, flüsterte er mir in mein Haar. Sein Gesicht versteckte er in meiner Halsbeuge. Ich spürte, wie er meinen Geruch in die Nase einzog.
Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in mir breit, besonders als ich die vier Wörter gehört hatte.
Er hob seinen Kopf um wieder auf der Selben Höhe unserer Augen zu liegen. Liebevoll legte er seine warme Hand an meine Wange. Ich schmiegte mich an diese und schloss wohlig meine Augen.
Zärtlich streichelte er meine Haut. Sein Blick lag die ganze Zeit über auf mir.
Als ich meine Augen öffnete, waren unsere Lippen nur noch ein paar Zentimeter voneinander entfernt. Sein Atem streifte meine Haut. Ich konnte nicht widerstehen und küsste ihn zärtlich.
Seine Finger krallten sich in mein Haar und er drückte mich gegen die Wand. Mein Verstand hatte sich vollkommen ausgeschaltet. Ich gab mich dem Kuss wohlig hin. Seine Zunge spielte wie verrückt mit meiner. Ihm entfuhr ein tiefes Stöhnen und er zog mich näher an sich.
Überrascht von seiner überwältigenden Begierde löste ich mich von ihm.
Ich schlug mir die Hand vor den Mund, da mir die Konsequenzen gerade erst bewusst worden sind! Ich hatte Sean geküsst, den besten Freund von Tyson! Wie konnte ich ihm das nur antun?
Unschlüssig und verzweifelt tigerte ich im Raum auf und ab. Und die Abweisung, die ich Sean gerade erteilt habe, machte es nicht leichter. Er tat mir Leid. In seinen Augen konnte ich Frustration und Trauer erkennen.
Traurig blickte ich in an.
„Es tut mir Leid“, flüsterte ich.
„Du liebst ihn, habe ich Recht?“, fragte er mich und ich spürte, dass er sauer war.
Zögernd, aber entschlossen nickte ich.
„Er mag dich auch“, entgegnete er. Langsam schritt er auf mich zu und berührte meine kleine Platzwunde am Kopf. Es hatte sich schon längst eine Kruste gebildet.
„Er ist Krank vor Sorge um dich“, erzählte Sean weiter.
„Wir kennen uns nicht einmal!“, entgegnete ich.
„Hat er dir das mit Bridget erzählt?“
„Ja! Aber trotzdem, ich bin kein kleines Kind mehr. Ich kann ganz gut auf mich selber aufpassen!“
„Du bist so stur!“, sagte Sean erschöpft und raufte sich die Haare. „Genau wie Tyson!“
Genervt verdrehte ich die Augen.
„Außerdem möchte ich nicht sofort mit ihm eine Beziehung anfangen. Ich kenne ihn noch nicht so lange und deshalb werde ich warten. Und dann gibt es noch Taylor und dich! Ich mag euch alle drei!“
„Taylor?“
„Mein Ex.“
„Hast du etwa auch Gefühle für mich?“ Sean war erstaunt.
„Ich weiß es nicht. Aber für Tyson empfinde ich ein bisschen mehr! Ich muss mir über meine Gefühle Klarheit verschaffen! Und bitte sag ihm nichts von unserem Kuss!“
Nachdenklich nickte er.
Irgendwie war ich mir nicht so sicher, ob er unser kleines Geheimnis für sich behält.
Als Sean nach einer halben Stunde gegangen war, war ich mich mit meinen Gedanken wieder allein – und es war schrecklich!


Zwei Monate später



Mein Leben hatte sich einigermaßen wieder regeneriert. Die Anzeige gegen Chase und seine Kumpels wurde angenommen. Sie waren auf Bewährung und mussten Sozialstunden leisten. Außerdem durften mein Bruder und seine Freunde nicht mehr in meine Nähe. Das hieß, er lebte nicht mehr Zuhause. Vor Gericht hatte er die Wahrheit gesagt und gestanden, was er versucht hatte mir anzutun. Bridget wurde überhaupt nicht erwähnt, was mich damals schwer verwunderte. Vielleicht hatten sie schon den Fall mit Tysons jüngerer Schwester abgeschlossen?
Ich war glücklich darüber, dass ich mit Taylor zusammen zur Polizei gegangen war. Denn jetzt konnte ich wieder normal leben. Ich wohnte wieder bei meiner Mom, die mir mittlerweile glaubte.
Sie war sehr erschüttert darüber gewesen. Chase war halt ihr Lieblingskind. Ab und zu besuchte sie ihn. Aber in meiner Gegenwart erwähnte sie ihn nicht. Für eine hochangesehene Doktorin musste das doch ein wenig peinlich sein? Ich meine, sie gehörte zur oberen Liga und dann macht der Sohn solche schlimmen Dinge. Das wurde doch nicht gerne gesehen!
Ich war überglücklich mein altes Leben zurück zu haben. Und Taylor kam oft am Wochenende nach Kalifornien um nach mir zu sehen, ob alles in Ordnung sei.
Mich wunderte es, dass er sich so um mich kümmerte. Es war total lieb von ihm, aber insgeheim dachte ich schon, dass er wirklich Gefühle für mich hegte! Damals war das nur eine Vermutung, aber jetzt…jetzt war er total erpicht davon mich zu beschützen!
Aber seit zwei Monaten hatte ich Tyson und Sean nicht mehr gesehen. Tyson fehlte mir. Oft dachte ich an ihn. Besonders wenn ich mit meinen Gedanken alleine war. Er hatte immer einen Platz in meinem Herzen. Nach der Gerichtsverhandlung war er spurlos verschwunden.
Am nächsten Tag war ich auch zu ihm nach Hause gegangen. Tausend mal hatte ich geklingelt, aber niemand machte auf. Und dann irgendwann hatte ich es aufgegeben. Er war weg und das musste ich akzeptieren. Tyson war wie mein persönlicher Schutzengel. Und Sean mochte ich sehr gerne. Ich vermisste sie so sehr – alle Beide!
Vor ein paar Tagen fing wieder die Schule an. Alle Schüler wussten von meiner versuchten Vergewaltigung. Ich wurde sehr oft von ihnen mitleidig angeschaut und getröstet.
Ellie hatte mir besonders Verständnis gezeigt. Auch sie hatte vor dem Gericht ausgesagt.
Ich hoffte inständig, ich würde Chase nie wieder sehen. Oder er hatte sich verändert und ich könnte ihm eine zweite Chance geben. Schließlich sollte man Menschen immer eine zweite Chance geben!


Seufzend saß ich auf meinem Stuhl. Gerade hatten wir Spanisch. Eigentlich liebte ich dieses Fach, doch heute war diese verdammte Sehnsucht nach Tyson besonders schlimm. Wo steckte er bloß?
Ich machte mir solche Sorgen um ihn. Plötzlich tippte Ellie mich an.
Meine Spanischlehrerin hatte mich angesprochen.
„Was?“, fragte ich automatisch.
Tadelnd sah mich Miss Sánches an. „Ms. Bennett, ich möchte Sie nach dem Unterricht kurz sprechen!“
Miss Sánches kam aus Spanien und sprach fließend Englisch ohne Akzent.
„Natürlich“, sagte ich einverstanden. Ich war immer eine gute Schülerin. Nur in letzter Zeit war ich geistlich ein wenig abwesend gewesen. Meine Gedanken kreisten sich nur noch um Tyson oder um Chase. Meine größte Befürchtung war, dass mein Bruder doch nicht der Alte wurde und mir irgendwann heimlich auf lauerte.
Nach der Stunde sollte ich zu Miss Sánches. Sie hatte ihre Arme vor der Brust verschränkt und musterte mich streng. Meine Klassenkameraden hatten schon längst den Raum verlassen. Wer wollte das nicht? Für heute war es die letzte Stunde gewesen. Da wollte jeder schnellst möglichst nach Hause oder mit seinen Freunden etwas unternehmen. Ellie brauchte nicht auf mich warten, da ich noch in den Supermarkt musste um mir etwas zu Essen zu kaufen. Wie gesagt, meine Mutter war eine hochangesehene Doktorin und das hieß, sie war nicht oft Zuhause. Ich war eigentlich die meiste Zeit alleine. Und wenn ich alleine war, verriegelte ich alle Türen und Fenster. Zusammengekauert saß ich immer auf dem Sofa und versuchte mein Herz zu beruhigen. Wahrscheinlich litt ich unter Verfolgungsangst.
„Miss Bennett“, sagte sie. „Wenn Sie irgendwelche Probleme haben, dann können Sie jederzeit zu mir kommen!“ Ich war erstaunt über ihre Worte. Damit hätte ich nicht gerechnet.
„Äh!“, stotterte ich. „Natürlich!“ Kräftig nickte ich zur Bestätigung. Klar, die Lehrer hatten Angst, dass meine Noten sinken würden, da ich beinahe Vergewaltigt wurde. Sie machten sich nur Sorgen.
Da dies vielleicht eine Auswirkung auf meine Leistungen sein könnte.
„In Ordnung!“, sagte sie und damit konnte ich endlich gehen.
Als ich den Schulhof betrat, prallte die warme Sonne auf meine ungeschützte, weiße Haut.
Endlich war es richtig schön warm! Zwar wurde ich eh nie wirklich braun, aber dafür liebte ich den Sommer, der bald vor der Tür stand.
Ich machte mich auf den Weg zum Supermarkt. Mein Magen fing schon an zu knurren. Deswegen musste ich mich beeilen. Ich starb vor Hunger!
Mit dem Rucksack auf dem Rücken ging es in den Laden. Ich durchsuchte Regale und sah bei den Tiefkühltruhen nach um etwas zu finden. Eigentlich hatte ich keine Lust mehr auf Ofenpizza.
Das hatte ich schon zu oft gegessen, da es regelrecht schnell ging.
Mein Magen musste sich noch ein wenig gedulden.
Ich entschied mich für Reis und Fisch, mein Lieblingsessen!
Mit den Packungen in meinen Armen marschierte ich zur Kasse. Doch bevor ich dort überhaupt ankam, musste mir natürlich noch ein Missgeschick passieren. Ich knallte gegen etwas, wohl eher gegen etwas Hartes und Warmes.
Als ich aufblickte, erstarrte ich. Ich sah in das breit grinsende Gesicht von Chase! Ein flaues Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit.
Schnell wich ich von ihm weg und sammelte die Packungen wieder ein, die mir mit einem lauten Knall auf den Boden gefallen waren.
Er machte ein paar Schritte auf mich zu und umfasste mit seiner riesigen Hand meinen Arm. Zwei Monate hatte ich meine Ruhe und jetzt…jetzt war es vorbei mit der schönen Ruhe.
Ich hatte schreckliche Angst. Die Menschen im Supermarkt interessierten sich nicht um meine Situation. Sie wussten ja nicht, dass er ein Schwerverbrecher war. Okay, Schwerverbrecher war übertrieben. Schließlich hatte er ja keine Bank ausgeraubt, aber trotzdem! Eigentlich gehörte er hinter Gittern.
„Fass mich nicht an!“, zischte ich und schüttelte seine Hand von meinem Arm. „Was willst du?“
„Darf ich meine kleine Schwester nicht mal begrüßen!“
„Du darfst dich nicht in meiner Nähe aufhalten!“
„Und was dann? Willst du mich etwas an der Polizei verpetzen! Du wirst noch dein blaues Wunder erleben!“, zischte er mir entgegen und verschwand in den nächsten Gängen.
Zitternd zwang ich mich ruhig und gelassen zur Kasse zugehen.
Er hatte sich keinen Deut gebessert. Chase hatte mir sogar gedroht.
Wie in Trance bezahlte ich das Essen und machte mich auf den Weg nach Hause. Das Treffen mit ihm hatte in mir gemischte Gefühle ausgelöst. Chase hatte kürzere Haare und war noch kräftiger geworden als vorher. Ich hatte Angst.


Ein paar Tage waren vergangen seit dem Zusammentreffen zwischen Chase und mir. Meine Angst wurde immer größer. Ich wurde fast wahnsinnig. Und er hatte es geschafft mich verrückt zu machen. Ich achtete jetzt verstärkt darauf, wenn ich alleine war, dass alle Türen und Fenster geschlossen und verriegelt waren. Wenn ich ins Haus ging, sah ich mich auf der Straße noch um.
Langsam wurde ich paranoid. Und einmal hatte ich sogar geglaubt, dass ich am anderen Ende der Straße Tyson gesehen hätte.
Morgen würde Taylor wieder zu Besuch kommen. Sollte ich ihm von der Drohung von Chase erzählen? – Lieber nicht! Er machte sich so schon genug Sorgen um mich. Und wenn er hören würde, dass ich meinen Bruder getroffen hatte, würde er rot sehen!
Mal wieder war ich alleine. Meine Mom arbeitete in letzter Zeit durch gehend. Sie kam eigentlich nur noch zum schlafen hierher. Ihr machte es übel zu schaffen, dass ihr Lieblingskind zu solchen Taten fähig war.
Hinter mir schloss ich die Tür und schaltete das Licht ein.
Erschrocken schrie ich auf. Meine Augen hatten sich ein Stück vergrößert. Das konnte nicht wahr sein!
„Wie bist du hier reingekommen?“, fragte ich fassungslos und blieb wie erstarrt an Ort und Stelle stehen. Ich müsste schreiend weglaufen, doch mein Körper versagte mir den Dienst.
Mit voller Wucht drückte er mich gegen die Eingangstür. Mein Kopf prallte gegen das Holz.
Für eine kurze Zeit sah ich Sterne kreise laufen.
Seine Finger streiften meinen Hals. Angewidert drehte ich meinen Kopf zur Seite.
Grinsend blickte er mich an. Eine Spur von Gier blitzte in seinen Augen auf.
„Mit meinem Schlüssel“, säuselte er und strich mir meine Haare aus dem Gesicht.
„Du bist so widerlich“, zischte ich und wollte ihn von mir wegschubsen, doch er war zu stark für mich. Ich musste zugeben, dass ich in den letzten zwei Monaten stark abgenommen hatte und eine Menge an Kraft verloren hatte, die ich zwar vorher nicht hatte, aber ich fühlte mich umso schwächer.
Die Verfolgungsjagd nagte zu sehr an mir.
„Chase! Bitte! Werde vernünftig!“, flehte ich und in meinen Augenwinkeln bildeten sich schon Tränen.
„Du hättest mich einfach nicht anzeigen sollen!“, sagte er gefährlich ruhig.
„Du hast mir keine andere Wahl gelassen!“, entgegnete ich und kassierte dafür eine Ohrfeige. Der Schlag hatte gesessen! Wahrscheinlich hatte sich ein großer, roter Fleck auf meiner Wange abgebildet. Sie brannte höllisch. Eine kleine, salzige Träne verließ meinen Augenwinkel und fiel auf den Boden.
„Ich bin dein Bruder, den zeigt man nicht an!“, zischte er. Chase machte mir höllische Angst. Aber ich musste Stark bleiben! Dieses Mal konnte mir keiner helfen. Ich musste einen Ausweg aus dieser Lage finden – nur, es gab keinen!
Ich saß wie ein Kaninchen in der Falle.
„Was willst du?“, fragte ich ihn.
„Meiner Familie einen kleinen Besuch abstatten!“, entgegnete er ruhig und ließ von mir ab.
Meine Beine drohten mich nach unten zu ziehen. Mit letzter Kraft schaffte ich mich aufrecht zu halten.
„Mom wird dir nicht verzeihen, was du getan hast“, entgegnete ich. „Verschwinde! Und lass uns in Ruhe!“
Verächtlich lachte er auf. „Was kannst du schon gegen mich ausrichten? Ich war schon immer der Stärkere von uns beiden gewesen!“
„Tyson wird dich aufhalten“, sagte ich ausdruckslos. Ich versuchte es ein wenig gefährlicher klingen zu lassen, aber bei meiner verängstigten und piepsenden Stimme hörte sich das nicht allzu glaubwürdig an. Es war eine verdammt dicke Lüge, die ich ihm auftischte.
„Ich sehe ihn aber nicht“, lachte er herausfordernd.
Wieso hatte ich bloß angefangen mit dem Lügen?!
„Du irrst dich“, schoss es aus meinem Mund. Shit. Das war eine total dumme Antwort gewesen.
„Ach ja?“, fragte er und zog eine Augenbraue erwartungsvoll in die Höhe. Dabei hob er seinen Hände.
„Ja!“, bekräftigte ich meine Lüge. Ich bin so ein dummes Schaf! Dümmer ging’s nicht mehr!
„Hm“, summte er und trat wieder einen Schritt auf mich zu. Chase drängte mich gegen die Tür.
„Ich sehe ihn immer noch nicht. Lügst du mich etwa an, kleine Schwester?“
„Nein!“, log ich weiter. Jeder Blinde merkte doch, dass ich log. Selbst er hatte es bemerkt.
Leise lachte er auf und umrandete mit seinen Fingern meine Lippen.
Wieder fing ich an zu zittern. Ich hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle.
„Lass mich doch einfach in Ruhe!“, flehte ich noch einmal.
Er ging auf mein Flehen nicht ein. Stattdessen knöpfte er meine Bluse auf.
„Bitte! Lass das! Hör auf!“, flehte ich weiter und versuchte ihn kraftlos wegzuschubsen, was mir nicht gelang, sondern es spornte ihn nur weiter an.
Chase streifte mir meine Bluse von der Schulter. Und plötzlich waren seine Hände weg.
Überrascht und mit verheulten Augen sah ich auf. Ein paar Mal musste ich blinzeln um überhaupt eine klare Sicht zu bekommen.
Ich konnte eine dunkle Gestalt erkennen, die Chase eine Faust ins Gesicht schlug.
Meine Beine konnten mein Gewicht nicht mehr tragen und ich sank zu Boden. Meine Finger umklammerten meine Bluse und hielten sie schützend vor meine Brust.
Etwas ging zu Bruch und als nächstes konnte ich jemanden sehen, der sich vor mir hingehockt hatte.
Liebevoll strich dieser mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. Unter seiner Berührung zuckte ich zusammen.
„Es wird alles gut“, flüsterte mir jemand beruhigend ins Ohr. Die Stimme klang sehr vertraut in meinen Ohren, doch in meinem Schockzustand konnte ich sie nicht identifizieren.
Die unbekannte Person hob mich auf seine Arme und brachte mich in mein Zimmer.
Verstört lag ich auf meinem Bett und kauerte mich zusammen.
Es musste eine männliche Gestalt sein, die sich über mich beugte und alles daran setzte, dass es mir gut ging.


Die Nacht über hatte ich schlecht geschlafen. Andauernd suchte mich ein schrecklicher Alptraum heim und ließ mich nie aufwachen. Aber dann spürte ich immer eine beschützende Hand auf meiner Haut und sofort beruhigte ich mich wieder.
Aber heute Morgen schrie ich wie verrückt und wachte schweißgebadet auf.
„Hey, hey! Es ist alles in Ordnung! Du bist in Sicherheit!“, versuchte mich jemand zu beruhigen.
Und als ich in die blauen Augen meines Helfers sah, erkannte ich Tyson.
„Du bist hier?“, flüsterte ich ungläubig.
„Ich werde nicht mehr von deiner Seite weichen! - Versprochen!“, versprach er mir.
Sofort stiegen mir die Tränen in die Augen und ich umarmte ihn ganz fest.
„Lass mich nie wieder los!“, sagte ich bittend an seine Brust.
Liebevoll streichelte er mir über mein Haar.
„Wo ist Chase und meine Mom?“, fragte ich verzweifelt und schlang meine Arme um meinen zitternden Körper. „Und was machst du hier? Ich dachte, du wärst weg!“
„Ich habe die Polizei gerufen. Dein Bruder sitzt in Haft und deine Mom ist krank vor Sorge. Sie ist bei ihm. Und ich musste dich einfach wieder sehen!“
„Wo ist Sean?“, fragte ich weiter. Aber sofort bemerkte ich, dass es falsch war diese Frage zu stellen. Er spannte sich an und bekam ein ausdrucksloses Gesicht.
„Habt ihr Streit?“, hackte ich weiter nach.
„Könnte man so nennen“, sagte er knapp.
Angespannt nahm er meine Hand. Bei seiner Berührung zuckte ich zusammen.
„Du hättest damals auf mich hören sollen. Selbst wenn ich dich berühre, zuckst du schon zusammen“, tadelte er mich besorgt.
Seufzend rückte ich an das Bettgestell und die Wand hielt mich.
„Wo warst du?“, flüsterte ich nach einer Runde schweigen.
„Ich habe meine Schwester besucht. Da ich wusste, dass du in Sicherheit warst, konnte ich mit einem beruhigten Gewissen nach New York fliegen“, antwortete er mir wahrheitsgemäß und hielt immer noch meine Hand. „Ich hätte hier bleiben sollen!“
Meine Mom war mal wieder bei meinem Bruder. Wieso war sie nicht hier bei mir? Ich war das Opfer und er der „Bösewicht“. Ich verstand die Welt nicht mehr. Hatte ich ihr überhaupt jemals etwas bedeutet? All die Jahre hatte sie immer nur Chase bevorzugt. Und jetzt, obwohl er Mist gebaut hatte, stand sie auf seiner Seite. Ich konnte es kaum fassen.
„Du kannst die Vergangenheit nicht ändern“, seufzte ich und stand auf. Unbedingt musste ich mich um ziehen. Und eine heiße Dusche wäre jetzt perfekt.
Plötzlich klingelte das Telefon. Auf dem Weg zu meinem Kleiderschrank erschrak ich heftig. Was hatte Chase nur aus mir gemacht? Hatte ich jetzt vor allem Angst oder war schreckhaft?
Kopfschüttelnd lief ich aus meinem Zimmer raus, die Treppe runter und erwischte im letzten Moment noch den Anrufer.
„Hallo?“, fragte ich schwer atmend in den Hörer.
„Christy!“, schrie mir meine beste Freundin fröhlich in mein Ohr. Damit mein Trommelfell nicht platzte, hielt ich das Telefon weit entfernt von mir bis sie sich wieder beruhigt hatte.
„Ich habe total Lust heute Abend feiern zu gehen, kommst du mit? Es wird ein reiner Mädelsabend“, lud sie mich ein. Vielleicht konnte ich mich damit ablenken und die negativen Gedanken verscheuchen.
„Klar“, stimmte ich mit brüchiger Stimme zu.
„Okay. Bis dann“, verabschiedete sie sich und legte auf.
„Bis dann“, flüsterte ich und stellte das Telefon in seine Station zurück.
Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und atmete tief durch.
Oder wäre es besser für mich Zuhause zu bleiben? Schließlich wusste ich nicht wie ich auf die ganzen Berührungen reagierte, da die Clubs immer ziemlich voll waren.
Tyson stand oben auf dem Treppenabsatz. Seine Arme waren vor seiner Brust verschrenkt.
„Was ist?“, fragte ich zu barsch, obwohl ich es nicht beabsichtigt hatte.
„Du wirst nicht heute Abend in irgendwelchen Clubs gehen“, befahl er mir.
Entrüstet schnaubte ich. „Woher weißt du überhaupt davon?“
„Deine Freundin hat so laut ins Telefon geschrien, das könnte sogar ein Schwerhöriger meilenweit hören!“, gab er sarkastisch zurück.
„Tja. Ich kann machen was ich will“, zischte ich zickig zurück und stampfte an ihm mit wackeligen Beinen vorbei. Um nicht fast mein Gleichgewicht zu verlieren, musste ich mich an der Wand abstützen.
Zwei starke Arme legten sich um meine Taille und gaben mir einen zusätzlichen Halt.
Wenn ich mich jetzt umgedreht hätte, dann hätten wir uns geküsst.
Schnell machte ich mich von ihm los und verschwand ins Badezimmer.
Seine Berührungen machten mir nichts mehr aus.
Ich schlüpfte aus meine Kleidungsstücke und stieg unter die Dusche.
Das Wasser tat wie immer gut. Alle Sorgen fielen von mir ab.
Als ich mit dem Duschen fertig war, wickelte ich ein Handtuch um meinen Körper und stieg aus der Dusche raus. Mir fiel ein, dass meine Sachen noch in meinem Zimmer lagen. Ich machte die Tür einen spaltbreit auf. Tyson war nirgends zu sehen. Gut. Mit nackten Füßen tapste ich auf dem Laminat zu meinem Zimmer. Als ich den Raum betrat, war Tyson nicht drin.
Bevor meine Augen den Schrank erblickten, weckte etwas anderes meinen Blick.
Auf meinem Schreibtisch stand ein altes Foto. Seufzend nahm ich es in die Hände.
Das Bild war schon ein paar Jahre alt. Es zeigte meinen Bruder wie er mich in eine Umarmung gezogen hatte und wir wie ein Honigkuchenpferd in die Kamera lächelten.
Da war Chase noch ein ganz anderer Mensch. Das Foto wurde gemacht, da lebte noch mein Vater.
Zusammen hatten wir eine glückliche Kindheit bis er sich veränderte.
Plötzlich spürte ich, dass ich nicht mehr allein in meinem Zimmer war. Ich drehte meinen Kopf und erblickte Tyson, der mich nachdenklich musterte.
Das Bild stellte ich wieder zurück auf seinen alten Platz und suchte mir etwas zum anziehen aus dem Kleiderschrank. Mein Entschluss stand immer noch fest. Ich würde mit meiner besten Freundin auf eine Party gehen. Meine Mom brauchte ich nicht um Erlaubnis zu fragen. Sie interessierte sich für mich eh nicht. Also brauchte sie erst gar nicht erfahren, wo ich abgeblieben war. Mom machte sich nur Sorgen um Chase.
Stunden verbrachte ich vor meinem Schrank. Es konnte doch nicht sein, dass ich nichts Passendes fand!
Kopfschüttelnd durchsuchte ich ihn zum zehnten Mal. Mit der anderen Hand hielt ich mein Handtuch fest, damit es nicht runterrutschte und Tyson große Augen bekommen würde.
Ich kniete mich auf den Boden und durchforstete die Kleidungsstücke die auf dem Boden des Schrankes lagen. Ein trägerloses Kleid erweckte Interesse bei mir. Ich zog es aus dem Gewühl heraus und betrachtete es staunend. Ein lila-Farbendes, bis zu den Knien kurzes Kleid. Das hatte ich schon lange nicht mehr an gehabt.
Behutsam legte ich es auf mein Bett, damit es nicht noch mehr Falten bekam.
„Du willst also wirklich auf eine Party gehen?“, fragte er mich, doch es klang eher nach einer Feststellung.
„Ich muss mich ablenken!“, entgegnete ich.
„Und wenn dir etwas passiert?“
„Ich kann auf mich selbst aufpassen!“ Mein Standardsatz. Ich hörte wie Tyson genervt stöhnte.
Ich war siebzehn, fast vergewaltigt worden und wollte doch einfach nur ein normales Leben führen!
Konnte ich das überhaupt noch?
„Du kannst nichts an meinem Entschluss ändern!“, sagte ich noch. „Und außerdem ich bin siebzehn und möchte ein normales Leben führen können!“
Tyson schüttelte den Kopf und drehte sich abrupt um.
„Wohin gehst du?“, rief ich ihm hinter her.
„Weg“, antwortete er knapp und ich hörte wie er die Haustür zuknallte.
Seufzend setzte ich mich auf mein Bett und hielt das Kleid ganz fest an meinen Körper gepresst.
Tyson führte sich auf, als wären wir ein Paar.
Ein Klingeln holte mich aus meinen tiefen Gedanken heraus.
Ich stand auf und wollte zur Tür gehen. Doch dann fiel mir auf, dass ich nur mit einem Handtuch bekleidet war. Schnell zog ich mir ein großes T-Shirt und eine graue Jogginghose an. Immer wieder klingelte es. Derjenige war ziemlich ungeduldig.
Ich stolperte die Treppen runter und riss die Tür weit auf.
„Taylor!“, rief ich freudig und sprang in seine Arme.
Taylor nahm mich ganz fest in die Arme.
„Was ist passiert?“, fragte er besorgt.
„Woher weißt du, dass etwas passiert ist?“, fragte ich geschockt.
Er ging nicht auf meine Frage ein, sondern wiederholte seine Frage.
„Chase hatte wieder versucht…“ Ich brauchte nicht mal meinen Satz zu Ende führen, da ballte er schon vor Wut seine Hände zu Fäusten.
„Wann?“
„Gestern.“
„Hat er…?“
„Nein. Mir hat jemand geholfen“, sagte ich schüchtern.
„Gut.“
„Aber ich möchte daran nicht mehr denken“, wehrte ich ab und zog ihn das Haus hinein. „Möchtest du etwas trinken?“
Taylor nickte und er folgte mir in die Küche. Ich gab ihm ein Glas Wasser.
„Ich verstehe einfach nicht, wieso meine Mutter sich um ihn Sorgen macht und nicht um mich“, kopfschüttelnd lehnte ich mich an den Schrank. „Sie ist gerade bei ihm. Wahrscheinlich muss man davon ausgehen, wenn er in das Gefängnis gesteckt wird, dass unsere Mom seine Kaution auch noch bezahlt!“
Vor Wut ballte ich meine Hände zu Fäusten. Wenn sie das machte, dann war ich überhaupt nicht mehr sicher vor meinem Bruder. Ich könnte mir sogar denken, dass sie ihm anbietet wieder hierher zu ziehen, obwohl Chase mir nicht zu nahe treten darf.
„Und um mich abzulenken, gehe ich heute Abend mit Ellie in einen Club“, sagte ich seufzend. Eigentlich hatte ich irgendwie keine Lust darauf, aber ich wollte keine weitere Sekunde daran denken, dass Chase womöglich auf freiem Fuß war. Und ich sollte auch mal wieder etwas mit meiner besten Freundin unternehmen. In den letzten zwei Monaten war ich gern allein…
„Bist du sicher? Ich meine, was Chase dir angetan hatte und dann auch noch sofort in einem Club zu gehen, wo so viele Menschen sind“, versuchte Taylor es mir auszureden. Aber er machte sich genauso wie Tyson Sorgen um mich.
„Du bist wie Tyson“, flüsterte ich leise vor mir hin.
„Was?“
„Nichts“, log ich. Er kannte Tyson nicht und das war auch gut so. „Ach, Ellie und ich machen einen Mädelsabend.“
„Dann muss ich wohl hier bleiben“, seufzte Taylor. Richtige Einstellung. Kichernd lief ich die Treppe hoch zu meinem Zimmer. Dort zog ich mir das lila-Farbende Kleid an mit einer Leggins.
Ich legte noch ein wenig Schminke auf und meine Haare glättete ich.
Als ich nach einer halben Stunde fertig war, zeigte ich Taylor wie ich aussah.
Einen kurzen Moment konnte ich etwas in seinen Augen aufblitzen sehen. War das etwa Liebe?
Oh, nein! Mir war zwar schon vorher aufgefallen, dass es Anzeichen gab, dass er vielleicht wieder auf mich stand. Aber so sicher war ich mir nicht dabei.
Er nahm meine Hand und drehte mich um meine eigene Achse.
Sollte ich ihn darauf ansprechen? Ob er mir dann auch die Wahrheit sagte? Aber ich wollte Klarheit! Ich möchte nicht, dass er sich in etwas verrennt, dass keine Zukunftsaussicht hatte.
„Was ist los?“, fragte er sanft und legte seine warme, große Hand auf mein Gesicht.
„Liebst du mich noch?“, kam ich sofort auf den Punkt und nahm seine Hand von meiner Wange.
Wütend entzog er sich mir. Taylor stellte sich vor ein Fenster und starrte in die Abenddämmerung.
Schweigen hüllte den Raum ein. Erst hatte ich gedacht, er antwortete mir nicht, aber dann sagte er ein kräftiges: „Ja, Christy. Ich liebe Dich immer noch!“ Als er dies sagte, drehte er sich zu mir um und sah mich ernst dabei an. Seine Arme waren vor der Brust verschränkt.
Geschockt blickte ich ihn an. Dann war meine Vermutung richtig. Er liebte mich noch! Das konnte nicht wahr sein. Nein! Nein! Nein!
Mein Schweigen ließ ihn wütender machen. Er ballte seine Hände so heftig zu Fäusten, dass sich seine Fingernägel ganz tief in seine Haut gruben. Blut tropfte auf das Laminat.
„Taylor“, fing ich an, doch ich wusste nicht recht, was ich sagen sollte.
„Du willst nur befreundet mit mir sein! Habe ich Recht?“, fragte er niedergeschlagen.
Zögernd nickte ich. „Taylor! Bitte!“
„Es gibt einen anderen?“
„Ja“, beantwortete ich seine Frage mit einer brüchigen Stimme.
„Wen?“
„Du willst ihm doch nicht etwas antun?!“, hackte ich geschockt nach. „Dann bist du genau wie Chase – einfach nur grausam!“
Verächtlich schnaubte er. „Christy, ich will nicht, dass jemand dich nur ausnutzt!“
„Er nutzt mich nicht aus – außer Chase natürlich.“
Verzweifelt raufte sich Taylor die Haare.
„Du bist vollkommen irre“, warf ich ihm an den Kopf. „Raus!“ Ich streckte meinen Arm zur Tür und zeigte mit dem Zeigefinger darauf. „Raus!“
„Christy!“
„Nichts Christy! Ich bin es Leid. Ich kann nichts dafür, wenn ich nur Freundschaftlich etwas für dich empfinde! Und wenn du das nicht akzeptieren willst, dann geh!“, sagte ich ernst und knirschte dabei mit den Zähnen.
Und was machte Taylor? Er entschied sich dafür zu gehen. Ungläubig starrte ich ihm hinter her.
Er konnte es nicht akzeptieren, dass ich einen Anderen liebte.
Meine Augen füllten sich mit Tränen, die ich kläglich zu unterdrücken versuchte.
Wie in Trance wischte ich mit einem Papiertuch den Blutfleck auf dem Laminat weg.
Erschöpft ließ ich mich auf dem Sofa nieder. Mein Leben war kompliziert.
Eine Weile saß ich wie erstarrt auf der Couch bis mich ein Klingeln aus meinen Gedanken riss.
Mit steifen Gliedern lief ich zur Tür und öffnete diese. Ellie begrüßte mich freudenstrahlend.
„Taylor liebt mich noch immer!“, begrüßte ich sie.
„Was? Und was hast du gesagt?“, fragte sie geschockt nach.
„Er weiß, dass es einen Anderen gibt“, erklärte ich seufzend.
„Oh, oh“, sagte Ellie nur und schubste mich in das Haus zurück. „Und wie hat Taylor darauf reagiert?“
„Wie wohl, wenn seine große Liebe ihm einen Korb gibt?!“, fragte ich sarkastisch. „Wütend. Er wollte wissen, wer er ist!“
„Glaubst du, wenn er wüsste, wer er ist, würde Taylor ihm etwas antun?“
„Wahrscheinlich schon!“
„Wieso wolltest du eigentlich heute einen Mädelsabend machen?“, fragte ich neugierig um auf ein anderes Thema umzulenken.
„Ach, Luca guckt mit seinen Kumpels Fußball und ihr bester Freund ist der Alkohol“, winkte sie ab. „Möchtest du denn noch in den Club, oder willst du hier bleiben?“
„Lass uns gehen“, entschied ich mich und zog sie mit nach draußen.


Der Club war voll, überfüllt voll. Es war überhaupt noch ein Wunder, dass weitere Menschen in den Club gelassen wurden.
Die Tanzfläche war auch überfüllt. Betrunkene Menschen machten miteinander in den hintersten Ecken des Gebäudes rum. Ekelhaft. Jeder Dritte hier rauchte eine Zigarette.
Auf dem Gang zu den Toiletten saßen betrunkene Junkies mit einem Joint auf dem Boden.
Ellie zog mich mit auf die Tanzfläche. Sie nahm meine Hände und wirbelte mich um meine Achse. Lachend ließen wir unsere Hüften im Takt der Musik kreisen.
Wir standen nicht mal eine Minute auf der Tanzfläche, da baggerten uns schon die nächst besten Typen an. Einer von ihnen legte seine großen, muskulösen Hände auf meine Taille.
Ellie wimmelte den Typen geschickt ab.
Aber während wir uns in diesem schlecht belüfteten Club aufhielten, wussten wir nicht, was da draußen passierte. Ich würde es erst in ein paar Stunden erfahren.

Meine Mom bezahlte die Kaution von meinem Bruder. Er wurde noch am selben Tag entlassen. Und richtete einen riesen großen Schaden an. Auf dem Highway bedrängte er einen Jungen in einem schwarzen, sehr teuren Porsche. Chase fuhr immer wieder auf das Auto drauf. Es war wie eine Hetzjagd um Leben und Tod, die Tyson versuchte zu gewinnen.
Mein Bruder holte ihn ein und fuhr direkt neben ihn. Und plötzlich riss er das Lenkrad nach rechts und stieß Tyson von der Straße, der verzweifelt versuchte seinen Wagen wieder unter Kontrolle zu bekommen, doch bei der hohen Geschwindigkeit war das schier unmöglich.
Er prallte mit seinem Auto gegen einen Baum.

„Ellie!“, rief ich nach meiner besten Freundin. „Ellie!“ Wo war sie bloß?
Der Club war so verdammt voll gewesen. Die Menschenmasse ließ mich nicht durch. Man musste sich regelrecht durch boxen.
Bei den Toiletten angekommen, wich ich den Junkies, die auf dem Boden saßen, aus.
Angewidert verschwand ich in der Damentoilette. Dort fand ich Ellie mit einem Typen rumknutschen. Wie konnte das denn passieren?! Sie hatte doch Luca!
„Ellie“, rief ich nach ihrem Namen, doch sie reagierte nicht.
Sie musste betrunken sein, aber vielleicht hatte dieser Typ ihr etwas ins Getränk gemischt.
Wütend riss ich meine beste Freundin von diesem Kerl los.
Überrascht blickte sie mich an.
„Ellie! Was hast du getan?“, fragte ich fassungslos. „Hau ab!“, schrie ich den Typen an, der sich auch sofort verzog.
„Ach, Christy. Lass mich doch ein wenig Spaß haben“, säuselte sie betrunken.
„Ellie! Wie kannst du nur deinen Freund betrügen?!“
„Welchen Freund?“
Genervt verdrehte ich die Augen. Der Typ hatte ihr etwas unter gemischt.
Kopfschüttelnd zerrte ich sie aus dem Club raus in die kalte Dunkelheit.
Ellie quatschte mich mit wirrem Zeug zu.
Als wir uns ein paar Ecken vom Club entfernt hatten, kippte mir meine beste Freundin auf der Straße um.
Verdammt! Kraftlos zerrte ich sie wieder hoch. Ich legte ihren Arm um meinen Nacken und schleppte sie in Richtung nach Hause.

Bei mir angekommen, legte ich sie in mein Bett und ich sank erschöpft auf mein Sofa, das in meinem Zimmer stand.
Wir beide schliefen auch schon sofort ein.
Während wir schliefen, bekamen wir nicht mit wie andauernd mein Handy klingelte.
Ich war einfach zu müde um aufzuwachen.

Ein paar Sonnenstrahlen weckten mich am nächsten Morgen. Ich trank nie wieder so viel Alkohol wie gestern Abend. Mein Kopf drohte zu explodieren.
Ellie schlief immer noch tief und fest auf meinem Bett.
Mit steifen Gliedern stand ich auf und reckte mich gähnend. Danach wackelte ich zu ihr und versuchte sie aufzuwecken. Vergebens!
Meine beste Freundin brauchte eine Abkühlung.
Also holte ich einen Eimer voller kaltem Wasser und schüttete es auf sie.
Verblüfft stand ich mit dem Eimer in der Hand vor meinem Bett. Sie schlief immer noch.
„Okay! Ellie!“, schrie ich und rüttelte an sie, bis sie endlich aufwachte.
„Was ist denn los?“, fragte sie mich verschlafen. „Und wieso ist das Bett nass?“
„Ellie sag mal, kannst du dich noch an den gestrigen Abend erinnern?“, fragte ich ein wenig wütend und brachte den Eimer wieder ins Badezimmer.
„Klar. Wir haben beide gefeiert“, antwortete sie mit einem vor Schmerz verzerrtem Gesicht. Sie drückte ihre Fingerspitzen gegen ihre Stirn.
„Kannst du dich an sonst nichts anderes erinnern?“, hackte ich weiter nach.
Nachdenklich schüttelte sie ihren Kopf. Dann hatte der Typ ihr wirklich etwas in ihr Getränk gemischt, als sie abgelenkt gewesen sein musste.
„Du hast mit einem fremden Typen rumgeknutscht“, sagte ich. „Und ich glaube, er hatte dir etwas in dein Getränk getan, weil ich weiß, dass du niemals Luca betrügen würdest!“
„Was habe ich getan? Das stimmt nicht!“, sagte sie wütend.
„Du solltest Luca davon berichten und meine Vermutung. Selbst er weiß, dass du zu so etwas nicht fähig bist!“
„Er wird mit mir Schluss machen!“, sagte sie verzweifelt und tigerte in meinem Zimmer auf und ab.
„Wird er nicht“, beharrte ich sanft und suchte mir etwas Frisches aus meinem Schrank.
Es war doch keine gute Idee gewesen mit Ellie auszugehen. Aber einerseits konnte ich mich ablenken. Den ganzen Abend hatte ich kein einziges Mal an Chase, seine Freunde und Tyson gedacht.
„Ich gehe duschen“, sagte ich zu meiner besten Freundin, an der Schuldgefühle nagten.
Das warme Wasser prasselte auf meinem Körper. Ich war froh endlich aus den Sachen raus zu sein.
Sie stanken fürchterlich nach Rauch.
Meine Haare shampoonierte ich tausend Mal bis ich endlich zufrieden war, dass der Rauchgestank raus war.
Dann erst wickelte ich mir ein Handtuch um meinen zierlichen Körper und trocknete mich ab.
Gerade war ich fertig mit Anziehen, da schrie Ellie nach mir.
„Was ist los?“, rief ich und rannte in mein Zimmer.
Dort sah ich wie Ellie mein Handy in der Hand hatte.
„Was ist?“, wiederholte ich, doch sie gab mir verstört mein Mobiltelefon.
Auf dem Display standen zwölf entgangene Anrufe und eine SMS.
Sean hatte mir eine SMS geschrieben. In der stand, dass Tyson schwer verletzt im Krankenhaus lag.
„Oh mein Gott“, flüsterte ich. „Ellie, du bleibst hier. Ich muss ins Krankenhaus!“
Hoffentlich lebte Tyson noch! Ich wollte nicht zerstritten mit ihm auseinander gehen.
Mit Moms‘ Wagen machte ich mich auf den Weg zu ihrer Arbeitsstelle. Sie fuhr meistens mit einem Arbeitskollegen.
Ich startete den Motor, legte den Gang ein und brauste mit einer hohen Geschwindigkeit von der Einfahrt. Tyson durfte einfach nicht sterben!
Sean hatte mich über die Nacht versucht anzurufen, doch ich hatte die ganze Zeit wie ein Murmeltier tief und fest geschlafen.
Wütend auf mich selbst schlug ich auf das Lenkrad.
Ich überfuhr ein paar rote Ampeln und sehr viele laute Hupgeräusche folgten mir auf den Weg zum Krankenhaus.
Dort angekommen, parkte ich Moms Wagen auf dem Parkplatz und rannte in die Eingangshalle.
Mich begrüßte eine andere Krankenschwester, die zurzeit an der Rezeption stand.
„Hallo“, sagte ich schnell zurück. „Liegt hier ein Tyson Black?“
„Ähm, ja“, antwortete die Frau und sah in den Unterlagen nach. „Er liegt auf der Intensivstation. Gehören sie zur Familie?“
Oh, oh. Natürlich gehörte ich nicht zur Familie und das wusste die Krankenschwester. Jeder Angestellte kannte die Kinder von der sehr hochangesehenen Doktorin Bennett.
„Ja“, sagte ich schnell und suchte fieberhaft nach einer Ausrede. „Ich bin seine Verlobte!“
Was sagte ich da?! Mein Mund war einfach schneller gewesen als mein Verstand.
Und mit siebzehn Jahren schon verlobt zu sein, war total irre. Zum Glück war das nur eine Ausrede und nicht die Realität. Aber bei dem Gedanken seine Verlobte zu sein, löste in meinem Bauch ein wohliges Kribbeln aus. Trotzdem so jung zu heiraten, das war einfach nicht mein Ding.
Mit einer hochgezogenen Augenbraue musterte mich die Krankenschwester eingehend. Gut, dass meine Hände in den Hosentaschen steckten um mein zittern zu verbergen und den nicht vorhandenen Verlobungsring.
Doch dann nickte die Frau an der Rezeption und brachte mich zur Intensivstation. Auf den Weg zu Tyson erzählte sie mir, dass er drei gebrochene Rippen hätte, eine Gehirnerschütterung und lauter kleine Blutergüsse und Verletzungen. Momentan würde er noch schlafen.
Da seine Eltern nicht erreichbar waren, konnte das Krankenhaus noch keinen über Tysons Unfall informieren. Vielleicht sollte ich seine Schwester anrufen. Aber leider hatte ich keine Telefonnummer. Er hatte auch nie erwähnt, ob seine Eltern noch leben würden oder nicht.
Tyson Black war ein Rätsel, das schwer zu knacken war.
„Ein Freund von ihm wollte ihn auch besuchen, aber da er nicht zur Familie gehörte, konnte ich ihn nicht zu Mr. Black lassen“, erzählte sie weiter. Das musste Sean gewesen sein.
Die ganze Zeit über war ich tief in meinen Gedanken versunken und hörte mir das so ebene gesagte still an und dachte darüber nach.
Wieso hatte er einen Unfall? Die Schwester sagte, er habe einen Autounfall gehabt. Jemand hatte ihn von der Fahrbahn gestoßen, sodass er gegen einen Baum fuhr.
Chase! Ich konnte mir gut vorstellen, dass mein Bruder dahinter steckte. Aber der war doch hinter Gittern. Oder meine Mom hatte seine Kaution wirklich bezahlt!
Shit! Und jetzt? Beweisen konnte ich es nicht und ich brauchte Fakten!
Die Krankenschwester stieß die Tür zur Intensivstation auf. Viele Betten mit Gardinen unterteilt, standen in dem großen Raum. Und auf einen von diesen Betten lag Tyson.
Sofort füllten sich meine Augen mit Tränen.
Eine Weile beobachtete mich die Krankenschwester noch, bevor sie ging.
Ein beklemmendes Gefühl machte sich in meinem Brustkorb breit. Es fühlte sich wie ein Knoten an mit ziemlich viel Druck darauf.
Ich nahm seine große Hand in meine und drückte sie fest.
Tief durchatmen, zwang ich mich in Gedanken. Tyson lebte und das war ein gutes Zeichen.
„Es tut mir so Leid“, flüsterte ich und legte meinen Kopf auf sein Bett.
Ein paar Tränen rannen meine Wange hinab.
Wenn wir uns nie getroffen hätten, wäre das Ganze nie passiert! Es wäre nur grausam für mich ausgegangen.
Hoffentlich wachte er bald auf.


Etwas streichelte meinen Kopf. Diese Bewegung ließ mich aufwachen. Anscheinend musste ich eingeschlafen sein.
Die Müdigkeit versuchte ich aus meinen Augen weg zu blinzeln.
Tyson, er war wach!
„Du solltest dich nicht viel bewegen!“, rief ich besorgt zu ihm.
Unter Schmerzen setzte er sich ein wenig auf.
Seine Hand lag auf seinem Brustkorb.
„Du hast drei gebrochene Rippen!“, erzählte ich ihm.
Mit einem schmerzverzerrten Gesicht blickte er mir intensiv in die Augen.
Seinen Blick konnte ich kaum erwidern. Ich sah regelrecht auf den Boden.
„Die Krankenschwester meinte, dass du einen Autounfall hattest“, sagte ich schüchtern.
Er sagte nichts. War er sauer? Hatte er seine Stimme verloren?
„Wieso antwortest du mir nicht?“ Verzweifelt blickte ich in seine Augen. „Du bist doch nicht etwa sauer auf mich?“
„Dein Bruder ist Schuld daran, dass ich einen Autounfall hatte!“, regte er sich auf und fasste sich wieder an die Brust.
Besorgt nahm ich seine Hand. „Das hatte ich mir schon gedacht! Ich denke, dass meine Mom seine Kaution bezahlt hat!“
Seufzend drückte er meine Hand. „Lass uns von hier verschwinden!“
„Was? Das geht doch nicht! Meine Mom, meine Freunde und die Schule!“
„Die Schule kannst du woanders beenden und deine Mom macht sich doch eh keine Sorgen um dich!“ Das war ein Schlag gegen die Gürtellinie. Ich hatte mir zwar schon eingestanden, dass meiner Mom nicht sehr viel an mir lag, aber dass aus seinem Mund vorgehalten zu bekommen, traf mich mit so einer ungeheuren Wucht. Traurig wandte ich mein Gesicht von ihm ab und unterdrückte die Tränen. Ich biss mir in meine Lippe und hörte erst auf, als ich mein Blut schmecken konnte.
Doch plötzlich fühlte ich seine Finger an meinem Kinn und er drehte mein Gesicht wieder zu sich.
Als er aufgewacht war, da hatten seine Augen nicht diesen Ausdruck. Ich hatte nicht oft gesehen, dass er seinen weichen Kern durchließ. Seine Augen glänzten förmlich vor Glück. Sie sahen mich so liebevoll und verständnisvoll an. Ich kriegte schon beinahe Angst. Sonst machte er immer auf den harten Kerl.
Sanft strich er über meine Wange und zog mein Gesicht ganz langsam zu seinem.
Ich schluckte und hielt automatisch die Luft an. Auf meiner Zunge konnte ich noch dem leichten Geschmack von metallischem Blut schmecken. Unsere Lippen waren nur noch ein paar Millimeter voneinander entfernt. Ich spürte seinen Atem auf meinem Gesicht.
„Christy?“, rief die Stimmer meiner Mom und zerstörte diesen sehr romantischen Moment. „Was machst du denn noch um diese Uhrzeit hier?“
„Mom?!“, rief ich fassungslos zu ihr und drehte mich um.
„Die Besucherzeit ist schon längst um und du bist nicht mit diesem jungen Mann verwandt. Du dürftest überhaupt nicht hier sein!“
Tyson sah mich nur mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
Er wollte bestimmt wissen, was ich der Krankenschwester für einen Unsinn erzählt hatte.
Nur weil ich ihn unbedingt sehen wollte, war mir diese blöde Ausrede rausgerutscht. Es war nur ein Ausrutscher. Ich konnte meinen Mund nicht stoppen und dann waren auch schon diese Wörter draußen.
Meine Mom sah mich immer noch abwartend an. Und ich konnte förmlich spüren, wie neugierig Tyson auf meine Ausrede war.
„Äh, ja, Mom“, sagte ich stotternd und kratzte mich an meinen Hals. Oh, Gott, wie nervös ich war!
Was sollte ich bloß sagen? Diese Situation war so unangenehm für mich und für Tyson war es ziemlich amüsant.
„Christy, komm“, forderte sie mich auf.
„Ich komme Morgen wieder“, verabschiedete ich mich von ihm und folgte meiner Mom aus der Intensivstation.
Ich wusste jetzt, was auf mich zu kam. Mom würde mich ausfragen, wie ich es geschafft hatte jemanden zu besuchen, der auf der Intensivstation lag und ich nicht mal mit ihm verwandt war.
Doch es kam meiner Mom jemand zuvor. Sean kam auf mich zu gelaufen.
„Die Besuchszeit ist schon längst um“, wiederholte meine Mom, was sie mir schon vor wenigen Minuten gesagt hatte.
Sean beachtete sie gar nicht und nahm mich in den Arm.
Zusammen verließen wir das Krankenhaus. Meine Mom war nicht mehr dazu gekommen mich auszufragen.
„Wie bist du zu ihm durchgekommen?“, fragte er neugierig nach. „Mich haben die regelrecht wieder rausgeschmissen – Nein, Spaß“, lachte er und wir gingen zu dem Wagen meiner Mom.
„Ich – ähm – ich“, stotterte ich vor mich hin. „Ich habe mich als seine Verlobte ausgegeben. Dann gehört man ja praktisch zur Familie!“
Sean fing wieder an zu lachen. „Du hast das nicht wirklich gesagt, oder?“
„Doch“, sagte ich zögernd und schloss das Auto auf.
Sean schwang sich elegant auf den Beifahrersitz.
„Das muss ich Tyson erzählen!“, lachte er weiter.
„Nein! Tu das bitte nicht. Es ist mir total peinlich“, gab ich zu und startete den Motor.
„Ich finde es irgendwie süß. Würdest du das auch mal für mich tun?“, fragte er ernst nach.
Meine Finger krallten sich an das Lenkrad fest.
„Sean, ich…“, fing ich an, doch ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich konnte es nicht über mein Herz bringen, ihm zu sagen, dass ich es für ihn wahrscheinlich nicht machen würde.
Aber wie sollte man ihm das verständlich machen? Ich mochte Sean und ich wollte ihn unter keinen Umständen verletzen.
In letzter Zeit hatte ich mich schon oft in solchen verzwickten Zwickmühlen befunden.
Seufzend entspannte ich mich ein wenig.
„Du würdest es nicht machen, oder?“, fragte er niedergeschlagen.
„Wahrscheinlich eher nicht“, gab ich zu und bremste. Unsere Körper wurden nach vorne geschleudert.
„Alter, ich fahre nie wieder mit dir Auto“, sagte er lachend.
Kichernd schüttelte ich meinen Kopf.
Mit Vollgas fuhr ich um die Ecke. „Sag nichts falsches“, drohte ich lachend.
„War das etwa eine Drohung, Lady? Du hast keine Chance gegen mich!“, sagte er gespielt ernst.
„Soll ich dich zu eurer Wohnung bringen?“, fragte ich um das Thema zu wechseln.
„Klar, wäre nett!“
Nach wenigen Minuten parkte ich mit Moms Wagen vor Tysons und Seans Wohnung.
Nervös tippte ich auf dem Lenkrad rum.
Eigentlich müsste er doch jetzt aussteigen und wieso tat er es nicht, sondern musterte mich eindringlich?!
Ich drehte mich zu ihm um und seine Lippen drückten sich sofort auf meine. Erschrocken zuckte ich zusammen. Am Anfang war der Kuss sanft und dann wurde er fordernder. Und ich dumme Gans erwiderte ihn noch. Wie konnte ich nur?
Ich würde ihn mehr denn je verletzen. Vorsichtig legte ich meine Hände auf seine Brust und schubste ihn weg.
„Wir sollten das nicht tun“, flüsterte ich mit brüchiger Stimme. „Bitte, geh!“
„Ich liebe Dich, Christy vom ersten Moment an, als wir uns trafen“, gestand er mir und streichelte mir über meine Wange.
Genau wie Taylor verletzte ich ihn. Aber ich empfand nur für Tyson etwas und wir bekamen es irgendwie nicht auf die Reihe überhaupt eine Beziehung anzufangen. Vor zwei Monaten war meine Ausrede noch gewesen, dass wir uns nicht kannten und jetzt wusste ich nicht, was ich wollte.
Taylor und Sean halfen mir nicht viel dabei. Sie verstärkten diesen Druck, den ich des Öfteren in meinem Brustkorb als Knoten verspürte. Sie hatten sich beide bis in beide Ohren in mich verliebt.
Und bisher vermutete ich immer noch, dass Tyson etwas für mich empfand, aber sicher war ich mir nicht. Dieses Gefühl verstärkte sich später noch.
Sean sah mich ein weiteres Mal eindringlich an und wartete ab, dass ich etwas zu seinem Liebesgeständnis sagen sollte, aber ich konnte nicht.
Niedergeschlagen stieg er aus und lief angespannt zur Wohnung. Ich blickte ihm hinter her und fuhr dann mit schwerem Herzen nach Hause.
Unkontrolliert liefen Tränen meine Wangen hinab, die meine Hände immer wieder kläglich versuchten abzuwischen.
Dieser Druck wurde immer größer und lastete wie ein böser Fluch auf mir.
Als ich Zuhause ankam, nahm ich den Schlüssel an mich und lehnte mich seufzend gegen den Sitz.
Ich schluckte. Was sollte ich bloß unternehmen um wieder alles richtig zu stellen?
Plötzlich legte sich etwas Kühles und Scharfes an meinen Hals. Sofort wurde mein Körper stocksteif und mich ergriff die Panik innerlich. Äußerlich war ich die Ruhe selbst.
„Was willst du?“, fragte ich gelassen. „Anscheinend bist du immer noch unzufrieden? Unsere Mom hat dir deine Kaution bezahlt! Also, was willst du noch?“
Chase musste die ganze Fahrt über im Wagen gewesen sein. Sean und ich hatten es nicht einmal bemerkt.
„Du sollst dafür bezahlen, dass du mich in den Knast gebracht hast, genau wie Tyson!“, zischte er und drückte das Messer stärker gegen meinen Hals. Es durchschnitt meine dünne Haut. Mein Blut lief in mein Dekolleté.
„Starte den Motor“, wies er mich an. Verwirrt über seine Worte runzelte ich die Stirn und sah ihn in den Rückspiegel an.
„Was hast du vor?“
„Los, mach schon!“
Ich kam seiner Anforderung nach und startete den Motor. Langsam fuhr ich die Auffahrt wieder runter.
„Chase? Was hast du vor?“
„Klappe!“ Erschrocken über seine grobe Art zuckte ich zusammen. „Fahr zum Strand!“
Was hatte er vor? Nachts an den Strand, dass wollte ich schon immer mit meinem durchgeknallten Bruder. Ich verdrehte die Augen über diesen sarkastischen Gedanken.
„Chase! Komm bitte wieder zur Vernunft!“, versuchte ich ihn wieder zu meinem normalen Bruder zu überreden. Meine Stimme klang so verdammt verzweifelt. „Du bist komplett irre und Mom wird das irgendwann auch einsehen müssen!“
„Irgendwann, aber jetzt steht sie immer noch auf meiner Seite“, sagte er mit einem süffisanten Lächeln. „Gib mehr Gas!“
Mittlerweile hatte mein Bruder auch sogar eine Pistole hervorgezogen und hielt sie mir gegen die Stirn.
„Das ist strafbar – lebenslänglich“, versuchte ich es weiter. Ich wusste, was er vor hatte, oder ich glaubte es zu mindestens zu wissen.
Daraufhin lachte er nur verächtlich.
Er wollte mich im Meer erschießen.


Unbeholfen stieg ich aus dem Wagen. Naja, ich war noch nie mit einer Pistole am Kopf ausgestiegen. Wer machte das schon? Es war nicht alltäglich.
Die Pistole befand sich jetzt zwischen meinen Schulterblättern und das Messer an meinem Hals.
Sicherer konnte er sich eigentlich nicht sein?!
Mit einer geraden, lässigen Haltung schlenderte ich auf dem Sand zum Wasser.
Er hatte es wirklich vor. Er wollte mich erschießen und meine Leiche im Wasser herum treiben lassen.
Tief durchgeatmet versuchte ich meine Angst zu überspielen, die in meinem Inneren tobte.
Es war eine Qual, den Sand zu überqueren, das Wasser zu betreten und dann, wenn eine Kugel deinen Körper durchschoss, dein Körper in das Wasser sank und irgendwo hintrieb. Und so hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Chase schubste mich in das Wasser. Mit den Händen voran fiel ich in das kühle Nass. Nachts war es umso kälter, da die Sonne das Meer nicht bestrahlte mit ihrer Wärme.
Ich stand auf und lief Rückwerts – um weit weg zu kommen von ihm. Das Wasser verhinderte meinen Lauf nach hinten.
„Chase, bitte!“, flehte ich ihn an. Ich wollte noch nicht sterben. Ich hatte noch mein ganzes Leben vor mir. Ich war doch erst siebzehn! Aber wenn ich mal sterben sollte, dann wollte ich einen schnellen Tod. Aber was Chase hier machte, war ein sehr qualvoller Tod, den er mir geben würde.
Mein Bruder richtete die Pistole auf mich. Seine Finger wanderten ganz langsam zum Abzug.
Qualvoller ging es nicht mehr.
Und dann drückte er drauf. Ohne mit der Wimper zu zucken, schoss die Kugel so schnell auf mich zu und durch bohrte meinen Körper.
„Chase“, rief ich noch und es war das einzige Wort, was ich sagte bevor ich in das Wasser fiel.
Ich hätte niemals gedacht, dass ausgerechnet mein Bruder mich umbrachte.
In dem Moment als mich die Kugel traf, fühlte ich gar nichts. Meine Gedanken schwanken von Chase zu Tyson über. Selbst in meinem Sterbemoment dachte ich an den Idioten, dem ich mein Herz geschenkt hatte.
Mein Körper wurde eiskalt und trieb in dem Gewässer herum. Ich schwebte darüber wie ein leichter Vogel bis mich mein schwerer Körper in die Tiefe zog. Mein Rachen füllte sich mit eiskaltem Wasser.
Ich verschluckte mich daran und bekam keine Luft mehr. Immer mehr Wasser drang in meinen Mund. Meine Arme streckte ich zur Oberfläche und meine Augen erblickten noch das Strahlen des Mondes. Das Letzte, was ich sah.


Hatte mich nicht das Wasser in die Tiefe gezogen, oder war ich jetzt im Himmel?
Jemand drückte mir auf meinen Brustkorb und als ich meine Augen ein Stück öffnete, wollte diese Person Mund zu Mund Beatmung durchführen. Schnell hustete ich das Wasser aus meinen Lungen.
Mein Körper war eiskalt und ich zitterte wie Espenlaub.
Dieser Jemand strich mir liebevoll über mein nasses Haar.
Ich schluckte. Dann war ich doch nicht tot. Ein Schmerz durchfuhr plötzlich mich und ich schrie kurz auf. Die Person, die mich gerettet hatte, hatte mir auf meine Wunde gedrückt. Es tat höllisch weh.
„Shit“, flüsterte die Stimme und drückte mir ein Handtuch auf meine Wunde. Es musste ein Junge gewesen sein, der mich aus dem Wasser gezogen hatte. Jedenfalls erkannte ich seine Stimme nicht.
Ich wollte meinen Körper bewegen, doch er war wie eingefroren. Es fühlte sich so an, als würde ich über tausend Kilo wiegen. Ich konnte mich einfach nicht bewegen.
„Ich rufe den Notarzt!“, sagte der junge Typ verzweifelt. Wenn er den Notarzt rief, dann würde ich in das Krankenhaus gebracht, indem meine Mom arbeitet. Und meine Mom würde meinem Bruder Chase erzählen, dass ich noch am Leben war und das konnte ich nicht riskieren. Wenn er wüsste, dass ich noch unter den Lebenden verweilte, würde er bestimmt noch einen Versuch starten mich aus dem Weg zu räumen. Schließlich hatte er nicht einmal mit der Wimper gezuckt, als er auf den Abzug gedrückt hatte. Er war grausam und herzlos geworden. Irgendwie musste man ihn doch wieder zur Vernunft bringen! Aber wie?
Jedenfalls durfte ich mich auf keinen Fall in der Öffentlichkeit zeigen. Ich musste abtauchen, eine neue Identität annehmen und mich von Chase fernhalten. Und wie konnte man dies am besten bewerkstelligen? Ich war alleine und noch nicht mal volljährig. Wenn ich es wagen würde eine neue Identität anzunehmen, dann müsste ich all meine Freunde, Ellie, Sean, Taylor und Tyson belügen, so wie meine Mom, der mein Leben egal war und die Lehrer. Chase zu hintergehen war nicht all zu schwer für mich.
Was machte man nicht alles um leben zu können?
„Nein“, flüsterte ich. „Kein Notarzt!“
Ich spürte wie sich der Junge anspannte. Er fragte sich bestimmt, was er dann tun sollte.
„Du bist verletzt!“, meinte er. Es war ein schwaches Statement. Ich wusste, dass ich vielleicht sogar schwer verletzt war, aber er konnte mich nicht daran hindern meine Entscheidung zu ändern.
„Bring mich zu Doktor Lacroix“, forderte ich ihn auf. Doktor Lacroix war ein guter Freund meiner Mom. Er hatte auch mal im Krankenhaus gearbeitet, hatte sich dann aber entschieden eine eigene Praxis aufzumachen. Ich konnte ihm vertrauen. Wenn ich ihm meine Lage erzählen würde, würde er mich verstehen und zu mir halten. So kannte ich ihn. Früher hatte er viel mit meinem Bruder und mir unternommen. Er war ein herzensgütiger Mann und Franzose.
Der Junge war sich immer noch unschlüssig, was er tun sollte. Wenn er sich nicht bald entscheiden würde, würde ich ganz langsam sterben. Ich spürte wie die Kälte meinen Körper stärker schwächte.
„Bring mich bitte zu ihm!“, flehte ich mit einer brüchigen Stimme. Es kratzte im Hals, wenn ich sprach.
Er hob mich auf seine Arme und trug mich zu ihm. Ich hoffte es jedenfalls, dass er es tat.
Mein Kopf lag auf seiner nackten Brust. Er musste ins Wasser gesprungen sein um mich rauszuholen.
Ich verdankte ihm mein Leben.
Die Kälte lähmte mich, sodass ich dadurch bewusstlos wurde.


„Christy! Wachen Sie auf!“, rief jemand nach mir und rüttelte sanft an meinem Körper.
Langsam öffnete ich meine Augen und sah in das Gesicht von Doktor Lacroix. Es war schön ihn wiederzusehen. Aber er sah alt aus. Ich hatte ihn schon lange nicht mehr gesehen.
Unter seinen Augen befanden sich tiefe Augenringe. Arbeitete er etwa Tag und Nacht durch?
„Schön, Sie sind wach“, sagte er freundlich. „Ich werde ihre Mutter anrufen…“
„Nein!“, schrie ich zwischen seinen unvollendeten Satz. „Bitte nicht!“
„Christy!“
„Nein! Ich muss Ihnen da noch einiges erzählen, aber bitte solange bis Sie sich eine eigene Meinung darüber gebildet haben, wird niemand angerufen!“, schlug ich vor. Ich hoffte so sehr, er war auf meiner Seite.
Doktor Lacroix sagte, dass ich fast erfroren sei und einen starken Verlust an Blut erlitten hatte.
Aber ich hatte mit der Schusswunde Glück gehabt. Sie war nicht allzu tief gewesen und die Kugel hatte auch keinen großen Schaden in meinem Körper verursacht.
Um meinen Bauch wurde ein Verband gewickelt und ich kuschelte mich in eine warme Decke.
Der Doktor hatte mir eine heiße Schokolade gemacht. An der Tasse wärmte ich meine Hände auf.
Der Junge, der mich gerettet hatte, hatte sich ziemliche Sorgen um mich gemacht.
Aber Lacroix hatte ihm versichert, dass es mir gut ginge und ihn nach Hause geschickt.
„Du hattest ehrlich gesagt ein riesen Glück gehabt. Er war Surfer und hatte dich zufällig im Wasser treiben sehen“, sagte der Doktor und zog sich einen Stuhl zu mir und setzte sich abwartend auf meine Geschichte drauf.
Ich ließ kein einziges Detail aus. Natürlich erzählte ich kein Sterbens Wörtchen über die Gefühle für Tyson, die ich für diesen Idioten empfand. Ich ließ alles was mit der Liebe zu tun hatte weg.
Es zählte nur, was Chase mir angetan hatte. Ich informierte ihn auch darüber, dass nur meinetwegen Tyson durch meinen Bruder einen Unfall hatte.
Als ich ihm alles berichtete hatte, fühlte ich mich um einiges Leichter um mein Herz. Endlich konnte ich jemand meine ganzen Gefühle beichten, die seit zwei Monaten wie ein schwererer Fluch über mich lasteten. Ich hatte zwar schon anderen Personen davon erzählt, aber ich hatte mich jetzt bei ihm viel befreiter gefühlt als sonst.
„Und als ich da im Sand lag, habe ich über einiges nachgedacht“, vertraute ich ihm auch noch meine Gedanken an. „Ich habe mir überlegt eine ganz neue Identität anzunehmen!“
Doktor Lacroix rieb sich nachdenklich über seinen nicht vorhandenen Bart.
„Erst einmal müsste man mich für Tod erklären, meine Äußeres verändern und einen neuen Namen. Natürlich bräuchte ich auch eine eigene Wohnung und dazu würde ich mir einen Job besorgen.“
„Bist du dir da wirklich sicher? Du müsstest alle belügen!“, redete er mir in mein Gewissen ein.
„Es geht nicht anders. Ich will ein Leben, bei dem ich nicht von meinem Bruder terrorisiert werde!“
„Du hast meine Zustimmung. Ich würde für dich die Bescheinigung ausfüllen, die deinen Tod erklärt. Natürlich müssen wir „deine Leiche“ verschwinden lassen. Aber das werden wir morgen alles in Ruhe regeln!“ Er war auf meiner Seite. Endlich jemand, der mir half und nicht sofort von Chase umgebracht wird. Eigentlich hatte ich vorgehabt heute am Sonntag Tyson nochmals im Krankenhaus zu besuchen, aber das würde nicht gehen. Lacroix und ich mussten heute alles vorbereiten um mir eine neue Identität zu schaffen.


Die ganze Nacht über konnte ich nicht schlafen. Ich wälzte mich in dem Bett hin und her. Die Wärme war langsam wieder in meinem Körper zurückgekehrt. Und meine steifen Glieder taten nur noch ein wenig weh. Aber was mir am meisten zu schaffen machte, war die Wunde an meinem Bauch.
Der Arzt sagte, dass die Kugel keine Organe getroffen hatte, die wichtig waren. Es war eine kleine Wunde, aber sie tat höllisch weh. Und ich wäre beinahe erfroren. Soweit war mein Bruder gegangen.
Er war ein grausames Monster. Seit dem Tod unseres Vaters hatte er sich verändert. Aber wieso?
Wieso hatte er sich danach verändert? War ihm etwas Schreckliches widerfahren?
Trotzdem war das kein Grund seiner kleinen Schwester solche schrecklichen Taten anzutun.
Beinahe wäre ich von ihm drei Mal vergewaltigt worden. Ein Autounfall, den ich selber verursacht hatte, war mir auch schon passiert. Und dann mein „beinahe“ Tod am Strand, an dem war mein Bruder Schuld.
Seufzend stand ich auf. Es war schon längst helllichter Tag.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Lacroix erschien im Raum.
„So, das hier ist deine Totenbescheinigung“, sagte er lächelnd und zeigte sie mir. Damit wurde ich für meinen offiziellen Tod angesehen. Wie wohl meine Mom reagieren würde?
Ob sie weinen würde um ihre verstorbene Tochter?
„Wow, ich bin tot“, sagte ich erstaunt. Jetzt musste ich mein Vorhaben wirklich durchziehen.


Das Erste, was ich an diesem wunderschönen Sonntagmorgen machte, war, dass ich zum Friseur ging. Ich sagte der Friseuse, dass ich meine Haare braun färben lassen wollte und die Haare schulterlang geschnitten haben möchte. Es war schrecklich dabei zu zusehen, wie die Haare fielen und immer kürzer wurden.
Nach dem Friseurbesuch ging ich zu einem Fotoladen und machte Passfotos für meinen neuen Personalausweis.
Es war ungewohnt mit so kurzen Haaren und mit einer anderen Haarfarbe in der Öffentlichkeit rumzulaufen. Beim Friseur hatte ich mich im Spiegel kaum wieder erkannt. Aber wer mich sehr gut kannte, könnte mich als Christy Bennett wieder erkennen. Durch meinen Ausweis könnte ich demjenigen aber beweisen, dass es diese Person längst nicht mehr gab. Das einzige Problem, was es noch gab, war meine Stimme. Ich konnte sie nicht verstellen.
Als ich meine Fotos in den Händen hielt, ging ich auch schon sofort zur Verwaltung um einen neuen Ausweis zu beantragen. Ich log, dass ich noch nie einen gehabt hätte und meine Pflegeeltern mir jetzt erst erlaubten einen zu beantragen. Okay, diese Geschichte hatte ich mir ausgedacht und der Beamte war auch noch so doof und glaubte sie mir. Wenn er recherchieren würde, würde er niemanden in seinem Computer finden mit diesem Namen.
Der Beamte meinte, dass ich ungefähr in zwei Wochen meinen Ausweis zugeschickt bekam.
Ich musste meine ganzen persönlichen, ausgedachten Daten angeben.
Ab heute hieß ich nicht mehr Christy Bennett, sondern Mary Farell, war siebzehn Jahre alt, lebte allein, hatte angeblich Pflegeeltern, die sich um mich kümmerten und hatte mir einen Job in einer Bäckerei besorgt. Die Wohnung hatte Lacroix für mich gesucht und gab sich für meinen Pflegevater aus. Er war der Einzige, der wusste, dass ich nicht tot war.
Mein Leben hatte jetzt erst für mich begonnen.


Ich hatte doch noch mein Versprechen eingehalten und Tyson besucht. Eigentlich hätte ich es nicht machen sollen, aber die Sehnsucht war stärker gewesen.
Als ich in das Krankenhaus ging, versuchte ich mich unauffällig zu verhalten. Schließlich schaffte ich es zur Intensivstation zukommen und besuchte Tyson. Er schlief, als ich vor ihm stand.
Er sah verdammt süß aus, wenn er schlief. Seufzend betrachtete ich ihn. Seine Verletzungen waren schlimm. Tyson, wie du wohl reagieren würdest, wenn du erfährst, dass ich tot war?
Liebevoll streichelte ich über seine Wange. Und plötzlich bewegte er sich.
Erschrocken wich ich zurück. Er durfte mich nicht sehen.
Doch er packte mein Handgelenk und zwang mich stehen zubleiben. Mein Herz hämmerte so laut in meinem Brustkorb, dass ich dachte, er könnte es schon hören. Seine Berührung auf meiner Haut löste ein Kribbeln in meinem Bauch aus.
„Christy?“, fragte er ungläubig, doch ich reagierte nicht. Ich riss mich von ihm los und wagte einen kurzen Blick auf ihn, bevor ich verschwand. Er starrte mir ungläubig nach.
Tränen hatten sich in meinen Augen gebildet.
Auf einem der Gänge im Krankenhaus traf ich auf meine Mutter. Sie schien mich nicht erkannt zu haben. Ob sie schon wusste, dass ich tot war?
Schnell verließ ich das Krankenhaus. Ich war jetzt für einige Zeit auf mich allein gestellt.
Aber es war ein schönes Gefühl gewesen ihn wiederzusehen.


Morgen würde ein neuer Tag in einer neuen Schule beginnen.
Am selben Abend hatte mich Lacroix noch angerufen, dass es jetzt bekannt gegeben wurde, dass ich „tot“ war. Und morgen Abend würde sogar eine Beerdigung stattfinden ohne Leiche. Ich weiß nicht, wie Lacroix das hingekriegt hatte, aber ich konnte wieder über mein eigenes Leben bestimmen.
Doch eine Sache quälte mich: Tyson. Könnte ich ihn vergessen?
Wir waren nie zusammen gewesen, aber wir hatten uns einige Male geküsst und diese Gefühle beherrschten mich jetzt. Er würde der Einzige in meinem Leben bleiben - für immer.
Seufzend lag ich in meinem Bett. Eine „neues“ Leben bestand mir bevor. Ich konnte es in vollen Zügen genießen. Aber es würde eine schwere Zeit für mich werden. Schließlich stand ich vor dem nichts! Ich hatte nicht viel Geld. Mein Konto, das auf den Namen Christy Bennett lautete, konnte ich nicht mehr nutzen. Ich war offiziell tot und eine Tote kann nicht sein eigenes Konto plündern.
Kleidungen brauchte ich nicht mehr kaufen. Lacroix war für mich zu mir nach Hause gefahren und hatte einige Sachen abgeholt, während ich beim Friseur saß und die anderen Sachen noch erledigte.
Meine kleine Wohnung konnte man noch nicht als gemütliches Zuhause ansehen. Es stand kaum etwas drin. Wenn ich Lacroix nicht hätte, würde ich vielleicht auf der Straße leben.
In meinem Schlafzimmer lag auf dem Boden eine Matratze. Darauf befanden sich ein Kissen und eine Decke. Und ganz ehrlich es war unbequem, aber besser als gar nichts! Eine Lampe hatte ich keine. Mir diente eine Stabtaschenlampe.
Lacroix hatte mir auch einige Bücher aus meinem alten Zimmer besorgt, die hier allerdings auf dem Boden ordentlich aufgestapelt waren, sowie meine Kleidungsstücke. Ein Stapel für Pullover, einen für T-Shirts, einen für die Hosen, einen für die Unterwäsche, einen für Kleider und Röcke.
Handtücher, eine Zahnbürste und Zahnpasta hatte mir der Doktor auch noch besorgt, sowie eine Haarbürste. Er hatte alles unauffällig aus dem Haus geschafft. Zum Glück hatte er auch an meine Schminke gedacht, aber ich hatte schon mit dem Gedanken gespielt mich nicht zu schminken, da man ungeschminkt etwas anders aussah als mit.
Meinen Laptop hatte er auch noch rausgeschmuggelt. Aber trotzdem diese Wohnung sah sehr leer aus ohne Möbel und ohne Farbe an den Wänden. Es sah kahl und kalt aus wie bei den Ärzten.
Die Wände in meinem alten Zimmer waren gelb gewesen. Eine sehr schöne, warme Farbe.
Die Wohnung hatte nur drei Räume. Nämlich die Küche, das Bad und mein Schlafzimmer.
Das reichte mir. Das Wohnzimmer würde ich eh nicht oft benutzen, wenn ich eines hätte. Da ich sehr gerne die Bücher bevorzug als den Fernseher.
In der Küche standen ein Kühlschrank, ein Herd, eine Mikrowelle und noch ein paar weitere Schränke, in denen nichts drin stand. Der Kühlschrank bot auch nicht sehr viel. In den nächsten Tagen musste ich von Fertiggerichten leben. Dosenfutter, sehr lecker. Über diesen Gedanken verdrehte ich die Augen und starrte weiter die weiße Decke an.
Morgen war meine Beerdigung, mein erster Arbeitstag, sowie Schultag.
Ich spielte mit den Gedanken zu meiner eigene Beerdigung zu gehen.
Ellie! Wie es ihr wohl ging? Ob sie ihrem Freund gebeichtet hatte, dass ein fremder Mann ihr etwas ins Getränk gemischt hatte und sie dann mit ihm rumgemacht hatte? Ich hoffte für sie, dass er ihr verziehen hatte! Sie waren so ein süßes Paar zusammen.
Sean und Taylor, beide hatte ich ziemlich verletzt. Für sie hoffte ich auch, dass sie ein anderes Mädchen fanden, dass sie zumindest glücklich machte. Mein Herz gehörte für immer Tyson.
Ich legte eine Hand auf meinen Bauch. Doktor Lacroix meinte, es würde noch einige Wochen weh tun. Er hatte mir auch einige Schmerztabletten verschrieben, die ich nur einnehmen sollte, wenn ich Schmerzen empfand.
Ich legte mich auf die Seite. Zu viel durfte ich mich auch nicht bewegen, dann tat es ziemlich weh.
Wenn ich meine Augen schloss, erlebte ich meinen „beinahe“ Tod noch einmal. Es war schrecklich. Die Kugel, die mich traf. Dann meinen Körper, der in das eiskalte Wasser fiel.
Das Wasser drückte mich in die Tiefe. Diesen Augenblick würde ich nie wieder vergessen. Und dann der Ausdruck in Chase‘ Augen. Keine Gefühle, keine Reaktion, einfach gar nichts konnte man in ihnen lesen.
Ob jemand meinen Fall bei der Kripo erforschte? Es war schwer zu sagen, schließlich gab es keine Leiche. Nur die Totenbescheinigung verriet die Todesursache.
Ich durfte daran nicht mehr all zu viel drüber nachdenken. Es war Vergangenheit. Vor mir stand ein neues Leben.


Mit einem guten Gefühl wachte ich auf und machte mich für die Schule bereit.
Ich musste mich daran gewöhnen, dass ich ab jetzt Mary hieß. Das würde ein wenig schwer werden, denn wenn mich jemand Mary rufen würde und ich nicht reagierte. Oh, oh, gar nicht gut!
Im Badezimmer putzte ich mir ausgiebig meine Zähne und kämmte meine kurzen Haare. Sie waren so kurz. Es war unangenehm und ich bereute es, sie abgeschnitten zu haben.
Seufzend fuhr ich mit den Händen durch mein seidenweiches, braunes Haar.
Danach kramte ich ein paar Geldstücke aus meinem Portemonnaie um mir in einer Bäckerei was zum Frühstück zu kaufen. Als ich fertig war, schnappte ich mir meinen Rucksack, stopfte noch Block und Etui rein und machte mich auf den Weg zur Schule.
Schnell ging ich noch in eine Bäckerei rein und kaufte mir ein Schokocroissant. Als ich bei der Schule ankam, hatte ich mein Frühstück schon längst beendet. Ich lief über den großen Pausenhof. Erst einmal musste ich in diesem riesigen Gebäude das Sekretariat finden.
Zum Glück war es ausgeschildert, wo es sich befand. Alles gut für Unkoordinierte.
Manchmal verlief ich mich schnell, dass passierte aber auch nur, wenn ich nicht auf den Weg achtete. Also musste ich ihn mir gut einprägen, sonst hatte ich ein Problem. Und andere Schüler zu fragen, wo was ist, traute ich mir irgendwie nicht zu.
Ich fühlte mich wie im Film Twilight. Neue Schule, neues Glück. Naja, bei mir war die Situation aber ein wenig anders als bei Bella.
Als ich das Sekretariat betrat, begrüßte mich auch schon eine etwas jüngere Dame, die hinter einem Schreibtisch saß.
„Hallo! Ich bin die Neue, Mary Farell“, stellte ich mich vor.
„Ah, genau. Willkommen an deiner neuen Schule, Mary“, hieß sie mich freundlich willkommen. „Ich hab dir auch schon alles vorbereitet. Deine Bücher liegen hier und deinen Stundenplan muss ich noch ausdrucken!“
Stumm nickte ich und packte die Bücher in meinen Rucksack. Dabei stellte ich ihn auf den Stuhl.
Durch meine Verletzung musste ich aufpassen, dass die Bücher meine Wunde nicht streiften.
Während ich langsam die schweren Schulbücher einpackte, druckte die Sekretärin mir meinen Stundenplan aus.
Ms. Carter war eine sehr nette und junge Frau. Sie ließ sich nicht mal aus der Ruhe bringen, als ein Junge von einem Lehrer, der einen ziemlichen wütenden Ausdruck hatte, hier rein gezerrt wurde. Der Lehrer befahl ihm auf einem der Stühle Platz zu nehmen. Im Sekretariat gab es noch zwei weitere Türen. Einmal das des Direktors und das Lehrerzimmer. Was der Junge wohl angestellt hatte, dass er sofort zum Direktor geschleppt wurde?
„Was hat Jonas denn schon wieder angestellt?“, sagte Ms. Carter ein wenig erschöpft. Anscheinend war das einer, der gerne prügelte oder Streiche an den Lehrern verübte.
Die Sekretärin klang aber trotzdem noch bei ihren Worten sehr fröhlich. Sie hatte eine schlanke Figur und ein sehr markantes Gesicht. Ihre Wangenknochen stechen heraus und ihre Haare wurden hochgesteckt. Eine sehr fein angezogene Bürokraft. Ich könnte mir Ms. Carter in einer Designerfirma als persönliche Assistentin vorstellen und nicht als Sekretärin einer Schule.
Mit einem kleinen Lächeln gab sie mir meinen Stundenplan. Der Lehrer hatte jetzt auch einen etwas freundlicheren Ausdruck mir gegenüber eingenommen. Er war ein ziemlich gut aussehender Lehrer für sein junges Alter. Ich schätzte ihn so um die fünfundzwanzig Jahre, da er noch keine grauen Haare hatte. Er musste bestimmt Sport unterrichten bei seinem Körperbau.
„Das ist unsere neue Schülerin?“, fragte er, aber es klang eher nach einer Feststellung als nach einer Frage.
„Ja, Sir. Mein Name ist Mary Farell“, stellte ich mich vor und reichte ihm die Hand.
„Mr. Warren und ich unterrichte Deutsch, Sport und Biologie. Vielleicht habe ich sie ja in einer meiner Unterrichtsfächer“, stellte er sich freundlich vor. Ich hatte Recht gehabt. Bei so einem guten Körperbau musste er einfach Sport unterrichten.
Zögernd lächelte ich und wandte mich zum gehen.
Ich hörte noch das Seufzen des Direktors als er erschöpft und wütend fragte, was dieser Jonas schon wieder angestellt hatte.
Aber während ich mich mit Mr. Warren unterhalten hatte, spürte ich die ganze Zeit die Blicke von Jonas auf meinem Körper.
Im Augenwinkel hatte ich gesehen, dass er mich finster musterte. Sein Körperbau war schlaksig, aber auch ein wenig muskulös. Seine Haarfarbe war braun.
Er war schon recht seltsam.
Als ich auf meinen Stundeplan sah, lag noch ein anderer Zettel darüber. Mein neues Schließfach und dessen Code. Ich verstaute es in meinem Rucksack und freundete mich ein wenig mit meinem Stundenplan an.
Ratlos las ich ihn mir durch.
„Hey!“, quatschte mich eine hohe Stimme an. Es war ein Mädchen.
„Hey“, sagte ich schüchtern. Eigentlich wollte ich sie ignorieren und meinen Stundenplan weiter studieren, aber sie riss mir den Zettel aus meinen Händen und las ihn sich durch. Unverschämt.
„Du musst die Neue sein“, quasselte sie fröhlich weiter. „Wir haben die meisten Fächer zusammen!“ Na toll. Sie war eine richtige Nervensäge. „Ich bin Fiona.“
„Mary.“
„Als erstes hast du Englisch! Komm mit!“ Sie zerrte mich zum Englischraum. Die meisten Schüler starrten mich neugierig an. Es war unangenehm, die ganze Zeit über von fremden Augen angestarrt zu werden. Ich war doch kein Gegenstand!
Diese Fiona tat mir ganz schön weh. Meine Wunde an meinem Bauch brannte. Ich wollte mich von ihr losreißen, doch dann hielt sie plötzlich an. Wir standen in einem riesigen Raum, er sah so ähnlich aus wie die Klassenräume aus meiner alten Schule. Den Weg konnte ich mir nicht einprägen.
Sie zog mich auf zwei freie Plätze. Auch hier starrten mich die Schüler an, die schon auf ihren Plätzen saßen.
Ein Junge stand von seinem Platz auf und schlenderte mit solch einer Eleganz zu mir.
Wahrscheinlich war er der heißeste Typ auf der ganzen Schule. Ich merkte es daran, dass Fiona plötzlich ganz zappelig und nervös wurde. Mich jedoch ließ es völlig kalt.
Er sah schon ganz gut aus, aber niemand konnte Tyson das Wasser reichen.
„Oh mein Gott! Das ist Austin, der beliebteste Junge und er kommt genau hier her!“, kreischte sie mir in mein Ohr. Man hatte sie eine hohe Stimme. Wenn Fiona so weiter machte, würde mein Trommelfell platzen.
„Hey“, sagte Austin charmant. Auf seine Leier würde ich nicht reinfallen. Wenn er, der beliebteste Junge war, dann hatte er bestimmt schon mit den meisten Mädchen dieser Schule rumgemacht und auf so ein unteres Niveau würde ich mich nicht herablassen.
„Hey“, begrüßte ich ihn gelangweilt und packte meine Sachen aus meinem Rucksack auf den Tisch.
„Ich bin Austin und du musst bestimmt die reizende Neue sein!“ Er hatte so ein total ekelhaftes, aufgesetztes Lächeln im Gesicht. Solche Typen hatte ich auch schon auf meiner Schule gehasst und wie ich sie gehasst hatte. Tyson war nicht so ein Typ. Auch wenn er mit dieser Lisa zusammen war, konnte ich ihn ganz anders einschätzen. Ob ich ihn vielleicht heute besuchen sollte? – Nein, dafür hatte ich gar keine Zeit. Heute Nachmittag fing meine erste Schicht an und danach wollte ich noch unbedingt auf meine Beerdigung.
„Ich heiße Mary.“ Und nicht die reizende Neue, dachte ich verärgert.
Austin lächelte immer noch dieses Macholächeln. Bei jedem Mädchen hätte das Herz höher geschlagen und ihre Beine würden zu Wackelpudding werden, aber bei mir nicht. Ich verachtete ihn. Solche Jungs kannte ich, denn sie wollten immer nur das Eine. Und darauf konnte ich gut verzichten.
Er wollte noch etwas sagen, doch zum Glück kam meine neue Englischlehrerin herein und forderte alle auf sich zu setzen.
Fiona stieß mir ihren Ellenbogen in meine Rippen. Sie wäre beinahe an meine Wunde drangekommen und dann hätte ich so laut geschrien, dass es niemand verkraften könnte.
„Was ist?“, zischte ich flüsternd zurück.
„Du hast gerade Austin Wells zurück gewiesen“, sagte sie so, als wäre es der Weltuntergang.
Ich zuckte nur mit den Schultern.
„Niemand hatte ihn bisher zurück gewiesen!“
„Dann bin ich ja wohl die Erste!“, freute ich mich sarkastisch darüber.
Fiona verdrehte nur die Augen und schüttelte mit ihrem Kopf.
Währenddessen beobachtete ich aus den Augenwinkeln diesen Austin. Schlecht sah er ja nicht aus.
Seine Haare waren schwarz und wie ich eben feststellen konnte, waren seine Augen braun. Er besaß einen muskulösen Körper und ein sehr markantes Gesicht. Das typische Abbild eines Footballspielers.
Und meine neue Freundin machte einen Weltuntergang daraus, nur weil ich zu Austin Wells eine Abneigung empfand.
Ich konzentrierte mich auf den Unterricht. Bei meiner Englischlehrerin brauchte ich mich nicht vorstellen, wahrscheinlich hatte sie schon längst im Lehrerzimmer erfahren wie mein Name lautete und hatte am Anfang der Stunde ein neues Gesicht gesucht um den Namen der Person zu zuordnen.
Der Unterricht war hier ziemlich gut, wie es sich herausstellte.
Als es klingelte, packte ich meine Sachen zusammen und lief schweigend mit Fiona zum Deutschraum. Sie war so unheimlich still. Vorhin hatte sie mich noch zu gequatscht und jetzt war eine absolute Totenstille vorhanden.
Es war unheimlich. Und unheimlicher ging’s nicht mehr!
Vor dem Raum hielt uns ein gewisser Austin Wells auf. Er stellte sich mir in den Weg. Fiona erstarrte, errötete und floh in den Klassenraum. Ungläubig starrte ich ihr hinter her. Sie konnte mich doch nicht mit diesem Idioten alleine lassen.
Seufzend funkelte ich ihn wütend an. „Was willst du?“
Auf einmal drängte er mich gegen die Wand und berührte meinen Arm. Sofort schossen Erinnerungen an meine fast Vergewaltigung hoch. Ein Schauer durchlief meinen Körper und ich begann zu zittern. Er sollte seine dreckigen Pfoten von mir nehmen. Mein Atem ging hektischer. Und diese Erinnerungen schienen sich so echt vor meinem inneren Auge abzuspielen. Ich hörte Chase‘ Lachen, als würde er direkt neben mir stehen.
Ich schubste Austin von mir weg und verschwand im Raum. Dieser Idiot hatte schreckliche Erinnerungen in mir wieder erweckt, die ich versucht hatte zu vergessen. Ein weiterer Punkt ihn zu verachten.
Fiona beachtete mich nicht. Sie saß neben ein Mädchen, dass ich aus Englisch schon kannte. Aber ihren Namen hatte ich vergessen. Brook oder Lilly? Ich war mir nicht ganz sicher.
Jedenfalls setzte ich mich neben ein anderes Mädchen. Neben ihr war noch ein Platz frei.
Sie lächelte mich schüchtern an.
„Hi, ich bin Brook!“, stellte sie sich vor. Okay, dann musste sie Brook sein und das Mädchen neben Fiona war Lilly oder doch ein ganz anderer Name?! Oh man, das trieb mich noch zur Verzweiflung. Und wenn ich sie mal ansprechen sollte, wusste ich ihren Namen nicht und die Peinlichkeit war vorherzusehen.
„Mary“, sagte ich meinen falschen Namen.
Brook war total lieb zu mir und erklärte mir, dass sich wahrscheinlich Fiona sich von mir abgewandt hatte. Schon nach der ersten Stunde hatte ich eine „Feindin“, aber auch nur weil ich nichts von Austin wollte. Anscheinend musste man ihn mögen um dazu zugehören. Das war völliger Schwachsinn!
Dieses Mal hatte ich mir eine Freundin gesucht, die nicht so viel wie Fiona erzählte. Sie klärte mich um einiges auf, wie die Regeln hier waren.
Wenn es einen beliebten Jungen gab, musste es natürlich auch ein beliebtes Mädchen geben. Klischee!
„Sie heißt Kathryn und sie steht total auf Austin. Sei froh, dass du ihn zurückgewiesen hattest, sonst hättest du noch ein weiteres, aber viel größeres Problem an der Backe als Fiona!“, prophezeite sie mir. Brook hatte mir auch erzählt, dass Kathryn eine Cheerleaderin sei. Sie sah aus wie eine Barbie, als ich sie in der Pause traf. Natürlich blond, was denn sonst. Ich spürte, wie dieses Mädchen mich beobachtete und wahrscheinlich über mich ab lästerte, wie ich das hasste!
Mein erster Schultag und er war der absolute Horror.
In der Cafeteria war es rappel voll mit Schülern. Die Meisten von ihnen starrten mich an oder ihnen war es völlig egal. Zusammen mit Brook saß ich mit zwei weiteren Personen an einem Tisch. Das eine Mädchen hieß Serena, war blond, groß und schlank gebaut. Sie war vom Typ her eher eine sehr stille und freundliche Person. Neben ihr saß ein Junge. Er trug eine Brille auf seiner Nase. Seine Haare waren braun kurzgeschnitten. Josh konnte man nicht wirklich gut einschätzen, aber wenn er seine Brille abnahm, sah er ziemlich gut aus. Sein Körperbau war ein wenig muskulös, aber dafür war er groß.
Wieder huschte mir Tyson in meine Gedanken. Wie es ihm wohl ging? Ob seine Rippen ihm ein großes Hindernis waren?
Seufzend stützte ich meinen Kopf auf meiner Hand ab und beobachtete die Menge. Die Schüler konnte man mit Tieren aus dem Zoo vergleichen. Spielkinder. Manche warfen ihr Essen durch die Gegend, andere sprangen über Tische und Stühle. Kopfschüttelnd sah ich mich weiter um.
Auch hier, wahrscheinlich an jeder Schule herrschte die „Rangordnung“. Die Beliebten hingen mit den Beliebten ab und ja nicht mit den Losern, das war sofort ein Frevel, den man beging. Mir war es egal zur welcher Gruppe ich gehörte. Hauptsache ich hatte Freunde, die ich auch Freunde nennen konnte.
An der Fensterseite saßen die Footballspieler. Einige von den Cheerleadern gingen mit wackelndem Hintern zu ihnen und flirteten mit den Jungs. Die Mädchen wickelten sie um ihre Finger.
Und dann begegnete ich dem Blick von Austin. Seinen Ausdruck konnte man nicht definieren. Keine einzigen Regungen oder Gefühle. Er musste ein Pokerface aufgesetzt haben und sah mich damit an.
Es war unangenehm von seinen leeren Augen angestarrt zu werden.
Auf seinem Schoß saß die Barbie Kathryn, die versuchte Austins Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Desinteressiert wandte ich mich von den Beiden ab und grübelte über meine Probleme nach.
Heute Abend war die Beerdigung, laut Lacroix. Christy Bennett war tot. Mir fehlte mein altes Leben.
Dieses Neue war nicht anders wie mein Altes. Ich war auf mich ganz allein gestellt.
Auch wenn meine Mom sich keine Sorgen um mich machte, vermisste ich sie. Aber ich war wütend auf sie. Chase war immer ihr Lieblingskind. Wieso musste Vater bloß so früh sterben?
„Mary?“, rief mich jemand, doch ich reagierte nicht. „Mary! Mary!“
Plötzlich schnipste mir Josh mit einem breiten Grinsen vor meinem Gesicht herum.
„Was ist?“, fragte ich ahnungslos und schob seinen nervenden Arm weg.
„An wen hast du gedacht?“ Seine Stimme klang ernst und sanft.
„An niemanden“, antwortete ich schnell, zu schnell. Misstrauisch zog Josh eine Augenbraue hoch.
„Wirklich, ich habe an niemanden gedacht“, versuchte ich mich aus dieser peinlichen Situation zu retten. Lügen! Eine tolle Sache.
„Josh! Lass sie in Ruhe“, kicherte Brook. „Also was wollen wir heute Nachmittag machen?“
„Ich kann nicht! Ich muss arbeiten.“ Und auf meine eigene Beerdigung, dachte ich schwer seufzend.
„Oh, schade. Wo arbeitest du denn?“
„In einer Bäckerei, die in der Stadt. Aber nicht die in der Näher von der Schule.“
„Dann besuchen wir dich!“, rief Serena freudig und schlug Josh auf die Hand, der gerade ihren Pudding wegnehmen wollte.
Cool. Mein erster Arbeitstag und ich konnte mich schon vor meinen neuen Freunden blamieren.
Schüchtern lächelte ich nur und spielte mit meinem Apfel, den ich die ganze Zeit über die Tischplatte rollte.
Die Drei waren wieder in ein Gespräch verwickelt. Allerdings hörte ich nur mit einem Ohr zu. Ich machte mir tierische Sorgen um Tyson.


Endlich ertönte das Klingeln der Schulglocke. Und auf einmal war dieser ganze Leistungsdruck verschwunden. Seufzend packte ich meine Sachen zusammen. Heute hatten wir auch eine Doppelstunde Sport gehabt bei Mr. Warren. Doktor Lacroix hatte mir ein ärztliches Attest ausgefüllt zur Bestätigung, dass ich in nächster Zeit am Sportunterricht nicht teilnehmen konnte.
Mir war aufgefallen, dass ich schon seit gestern ständig vor mich hin seufzte. Tyson fehlte mir so.
Aber ich durfte beziehungsweise konnte ihn nicht besuchen. Ich würde nur meine neue Identität in Gefahr bringen und schon war Chase wieder hinter mir her. Dieses Risiko konnte ich nicht riskieren.
Ich schulterte meinen Rucksack, schlenderte noch kurz zu meinem Schließfach und legte dort noch ein paar Bücher rein. Wie in Trance schloss ich den Spind und erschrak beinahe zu Tode. Mein Herz pochte wild in meinem Brustkorb. Allerdings brachte das meinem Gegenüber überhaupt nicht aus der Ruhe. War sein Grinsen eigentlich auf seinem Gesicht festgefroren? Ich würde am liebsten in sein zu perfektes Gesicht schlagen.
Ignorierend wollte ich an ihm vorbei gehen, doch er riss mich an meiner Schulter zurück und drückte mich schon wieder, aber dieses Mal gegen die Spinde. Beim Aufprall fing sofort meine Wunde an zu pochen. Ein kleiner, aber höllischer Schmerz durchzuckte mich. Mein Rucksack fiel zu Boden.
„Was willst du?“, zischte ich mit brüchiger Stimme und hielt eine Hand auf meinen Bauch. „Du tust mir weh!“
„Geh mit mir aus und ich lasse dich danach in Ruhe“, schlug er mit einer sehr amüsierten Stimme vor.
„Das kannst du vergessen“, entgegnete ich. Wie ich diese Machos hasste. Sie waren von sich so sehr überzeugt.
Ein süffisantes Grinsen umspielte seine Lippen.
„Du reizt mich nur noch mehr an“, flüsterte er mir in mein Ohr. Ich erschrak. Er war plötzlich mir so nahe gekommen.
„Und wie reize ich dich nur noch mehr an?“, fragte ich stotternd und schluckte einen riesigen Kloß runter.
„Indem du dich von mir abwendest. Die anderen Mädchen würden sich freuen, wenn sie sich mit mir in dem Selben Raum befänden, aber du nicht.“
Natürlich, Jungs fanden schon immer das toll, was sie nie bekamen.
„Gibt es hier ein Problem?“, hörte ich eine strenge Frauenstimme rufen.
Sofort ließ Austin von mir ab und drehte sich zu der Frau um. „Nein.“
Da stand meine Englischlehrerin, aber ich hatte ihren Namen vergessen. Das kam nicht so gut an. Aber sie hatte mir geholfen diesen Macho loszuwerden.
Sie nickte und lief auf ihren Stöckelschuhen in Richtung Lehrerzimmer.
Als ich meinen Rucksack aufhob und auf den Ausgang zu lief, war Austin schon über die Berge.
Dieser Typ würde noch ein ganz schön großes Problem werden.
Als mein Blick auf meine Uhr fiel, hätte ich in diesem Moment Austin töten können. Wegen ihm kam ich zu spät zu meiner ersten Schicht.
„Dieser Idiot!“, murmelte ich und fing an zu rennen. Die ganze Zeit über lag eine Hand auf meinem Bauch, denn die Schmerzen waren unerträglich. Aber was sollte ich machen? Ich durfte nicht zu spät kommen!
Zehn Minuten später kam ich abgehetzt bei der Bäckerei an. In dieser befand sich noch ein Café, dort hangen nach meinen Erkundigungen sehr viele Jugendliche ab, wie Brook vorhin noch nebenbei erwähnte. Das hatte ich beinahe vergessen.
„Mary! Du bist zu spät!“, rief mir eine Angestellte zu. Ihr Name war…war…war… Shit! Ich hatte ihren Namen vergessen! Peinlich!
„Entschuldigung, aber ein Lehrer hatte mich noch aufgehalten“, log ich und es war eine perfekte Ausrede, die ich nicht immer verwenden konnte. Dann könnten sie mich ja gleich kündigen.
„In Ordnung“, rief sie mir wieder zu und ich lief schnell in den hinteren Raum. Dort zog ich mir meine Arbeitskleidung an und befestigte mein Namensschild an der Schürze.


Seufzend lief ich zurück in den vorderen Bereich. Ich musste mich moralisch darauf vorbereiten, dass womöglich Jugendliche aus meinem neuen Jahrgang hierher kamen. Und unter ihnen war auch Austin. Hoffentlich kam er nicht in diese Bäckerei! Belästigung an der Arbeitsstelle bei einer Aushilfe, die noch nicht volljährig war. Ganz klasse!
Die Frau, die mich vorhin ermahnt hatte, lief an mir vorbei und wies mich an erst einmal die Tische abzuräumen und zu putzen. Auf ihrem Schild konnte ich ihren Namen lesen: Ms. Anderson. Ihre Haare waren blond und wurden hochgesteckt. Sie trug die Selbe Arbeitskleidung wie ich.
Ich begab mich zu den Tischen und räumte das Besteck ab. Mit einem Lappen wusch ich die Platte ab. Dann brachte ich das Geschirr nach hinten und räumte es in die Spülmaschine.
Als ich mit dem einräumen fertig war, ging ich zurück in den vorderen Kundenbereich und stellte mich hinter den Tresen. Ms. Anderson zeigte mir, wie ich die Kasse bedienen musste. Als ein paar Kunden kamen, übernahm erst meine Arbeitskollegin diese und ich konnte schauen, wie sie es machte. Irgendwann durfte ich auch einen Kunden bedienen und Ms. Anderson meinte, ich hätte es gut gemacht. Darauf war ich ein wenig stolz, wer wäre das bitte schön nicht?! Ich hatte nur ein paar Probleme mit der Kasse gehabt, aber das war normal bei Anfängern.
Die meisten Kunden waren alte Menschen, die sich lieber in dem Teil der Bäckerei verzogen, als in dem Café. Erst am späten Abend wurde es dort voller. Sehr viele Jugendliche drängelten sich vor um einen Platz zu bekommen. Und unter ihnen konnte ich Tyson erkennen. Wie erstarrt blieb ich einfach stehen.
„Mary! Was ist los?“, rief mir Ms. Anderson zu.
„Ich habe Unterleibsschmerzen“, sagte ich mit einem gequälten Ausdruck. Eigentlich hatte ich keine Schmerzen, aber wenn Tyson hier war, dann konnte er mich wahrscheinlich wiedererkennen. Zu meinem großen Entsetzen trat ein Mädchen hinter ihm zum Vorschein. Und dieses Mädchen war niemand anderes als Lisa! Es bereitete mir ein Stich im Herzen, die beiden zusammen zu sehen.
Damals hatte er ihr die Tür vor der Nase zugeschlagen. Ein deutlicher Korb!
Zusammen setzten sie sich in eine hintere Ecke. Schnell wandte ich mich von ihnen ab und lief in den hinteren Bereich. Da war ich mal einen Tag tot und er vergnügte sich wieder mit seiner Ex. Ich konnte es kaum fassen. Dieser Idiot! Er war genau, wie die anderen Jungs. Tyson war kein Stück besser als Austin. Männer waren halt Schweine!
Und ich heulte diesem Idioten auch noch hinter her. Denn den Drang, die Tränen zurück zuhalten, war äußerst schwierig. Um mich abzulenken, holte ich das saubere Geschirr aus der Spülmaschine und sortierte es vorne in die Regale ein. Auf den ersten Blick konnte er mich eigentlich nicht erkennen. Außerdem hielt er sich ganz hinten in einer Ecke auf. Ich wollte erst gar nicht wissen, was die Beiden dort im Dunkeln trieben.
„Mary? Kannst du bitte den hinteren Tisch bedienen?“, fragte mich Ms. Anderson freundlich. Mit einem Nicken schnappte ich mir Block und Stift und machte mich auf in die Hölle.
Mit jedem Schritt, dem ich den Beiden näher kam, war die reinste Qual für mich.
Es war schön ihn wieder zu sehen, aber nicht mit ihr. Und eigentlich müsste er doch noch im Krankenhaus liegen?! War er schon so schnell wieder gesund?
Als ich bei dem Tisch ankam, hielt ich meinen Blick gesenkt. Trotzdem musterte ich ihn unauffällig.
In seinem Gesicht befanden sich tiefe Augenringe und seine Haut war blass, sonst war er doch immer etwas braun gebräunt. Und die eine Hand von Lisa lag auf seinem Oberschenkel.
„Zwei Latte“, sagte seine tiefe Stimme, die ein wohliges Kribbeln in meinem Bauch auslöste.
Mein Körper reagierte einfach zu sehr auf ihn.
Nickend schrieb ich es auf und fragte: „Noch etwas?“
Ich musste ja schließlich irgendwann etwas sagen. Überrascht sah er auf und blickte mir tief in die Augen. Aber ich hielt seinen Blickkontakt nicht aufrecht.
„Nein, danke“, antwortete er mit einem Unterton, den ich nicht deuten konnte. Hatte er etwas gemerkt, dass ich, ich war? Selbst als ich mich von dem Tisch entfernte, konnte ich deutlich seine misstrauischen und fragenden Blicke auf mir spüren.
Die ganze Zeit über hatte ich Lisa ignoriert. Sie ging mir auf die Nerven und machte mich rasend eifersüchtig, dass sie so dicht neben ihm saß und eine Hand auf seinem Oberschenkel lag.
Ich machte jeweils für Beide einen Latte, den ich ihnen nach ein paar Minuten brachte.
Wieder sah mich Tyson merkwürdig an. Er musste es gemerkt haben. Eine andere Erklärung gab es dafür nicht. Aber wenn er es wusste, wieso sagte er nichts?
Ich vermisste ihn. Er hätte nicht hierher kommen sollen. Normalweise müsste er im Krankenhaus liegen und sich auskurieren. Aber anscheinend waren seine Verletzungen doch nicht so schlimm gewesen.
Tyson wollte auch schon bezahlen. Ich sagte ihm die Summe und er gab mir mehr als nötig.
Zuerst legte ich ihm das Trinkgeld zurück auf den Tisch, doch er bestand darauf, dass ich es behielt. Ich konnte von ihm kein Geld annehmen. Das fühlte sich wie eine Abzocke bei ihm an.
Lisa hatte mich in der Zwischenzeit mit ihren Blicken getötet. Und ihre Hand wanderte immer gefährlich nahe seinem Schritt.
Während meiner Schicht spürte ich die Blicke von Tyson. Es war unangenehm.
„Mary? Du kannst jetzt Feierabend machen“, rief mir Ms. Anderson zu. Hier war nicht mehr viel los, also konnte ich sie alleine lassen.
Ich holte meine Sachen von hinten und verließ die Bäckerei. Dabei verabschiedete ich mich von ihr und rief ihr noch ein „Bis Morgen“ zu.
Von der Bäckerei aus, machte ich mich auf den Weg zum Friedhof. Ich war spät dran.
Es war echt unglaublich gewesen, ihn wiederzusehen und dann auch noch gesund!


Als ich am Friedhof ankam, hörte ich schon die mitfühlenden Worte des Pastors.
Ich steckte meine Hände in die Hosentasche um das unkontrollierte Zittern zu verbergen. Zwar sah mich keiner, aber ich fühlte mich so um einiges besser.
Hinter einem Baum versteckte ich mich und hörte der Zeremonie aufmerksam zu. Es waren viele anwesend und alle waren in schwarz gekleidet. In der Menge erkannte ich Ellie mit Luca, Sean, Taylor, meine Mom, die weinte, mein Bruder, der gelangweilt aussah, Doktor Lacroix, der sich in der Gegend umsah, einige aus meiner Schule und zuletzt Tyson, der sehr angespannt wirkte. Dieses Mal war er ohne Lisa da. Ich wäre auch sehr empört gewesen, wenn er seine Ex mit zu meiner Beerdigung mitbrachte. Einige meiner Verwandten waren auch noch anwesend.
Alle hielten eine Kerze und eine Rose in ihren Händen.
Am liebsten würde ich zu ihnen gehen. Ich vermisste alle so sehr, aber am meisten Tyson. Er wirkte so angespannt, denn seine Muskeln zeichneten sich unter seinem schwarzen T-Shirt ab.
Doktor Lacroix suchte mich anscheinend, denn immer wieder blickte er sich um.
Und Chase, dem war es egal, dass er mich umgebracht hatte. Wieso saß er nicht hinter Gittern?! Bearbeiteten die Cops diesen Fall nicht?! Vor Dummheit schlug ich mir gegen die Stirn. Schließlich gab es keine Leiche, deshalb konnten sie wahrscheinlich nichts unternehmen.
Jedenfalls zeigte Chase keine Reue.
Ich wollte mir meine Beerdigung nicht länger ansehen und wandte mich ab. Da es fast dunkel war, man sah wie die Sonne ganz langsam verschwand, konnte ich nicht sehen, wohin ich trat. Auf dem Boden lagen überall Äste, Laub und Steine. Und ich, Dussel trat auf einen Ast, der in meinen Ohren ziemlich laut knackte. Schnell nahm ich meinen Fuß von dem Ast und hielt meine Luft an. Eigentlich hätte es niemand hören können, oder? Da der Pastor so laut sprach, müsste es zu überhören gewesen sein! Müsste, hätte, sicher war ich mir nicht!
Ich blickte zu den versammelten Menschen. Niemand schien etwas gehört zu haben, denn sie lauschten weiterhin den Worten des Pastors. Meine Mom hielt eine Rose in den Händen und warf diese in mein Grab. Dabei hörte ich sie laut schluchzen. Länger wollte ich mir das nicht antun und wollte jetzt endgültig verschwinden.
Ich hatte noch nicht einmal den Ausgang des Friedhofes erreicht, da hörte ich schon Schritte hinter mir. Aber als ich mich umdrehte, war nichts zusehen. Merkwürdig.
Misstrauisch blieb ich stehen und suchte noch einmal die Gegend mit zusammengekniffenen Augen ab. Ich musste mich verhört haben. Es war rein gar nichts zu sehen. Bekam ich jetzt etwa Angst?
Mein Herz klopfte wie wild gegen meinen Brustkorb. Abends auf einem Friedhof zu sein, war schon ein wenig beängstigend.
Als ich mir ganz sicher war, dass dort auch wirklich keine Menschenseele war, wandte ich mich ab und wollte den Friedhof verlassen. Doch dies wurde mir zunichte gemacht. Denn ich prallte gegen eine harte Brust und wäre beinahe hingefallen, wenn mich derjenige nicht am Handgelenk gepackt hätte und zu sich gezogen hätte. Sein Geruch strömte mir in die Nase und ich hatte einen kleinen Verdacht, wer vor mir stand. Als ich auf sah, konnte ich durch die Strahlen, der Sonne nichts erkennen. Und der Typ hielt mich immer noch in seinen Armen fest. Ein paar Mal blinzelte ich.
„Ich dachte, du wärst tot“, hörte ich die sanfte, aber auch verärgerte Stimme von Tyson.
„Entschuldigung, aber ich glaube, Sie verwechseln mich mit jemandem.“ Ich riss mich von ihm los, doch er hielt mich wieder auf. Auch wenn ich mich so sehr danach sehnte, ihm die Wahrheit zu erzählen, konnte ich es nicht wagen. Es bestand eine gewisse Gefahr, wenn ich mich auf ihn einließ. Chase könnte davon Wind bekommen. Ich konnte es einfach nicht riskieren.
„Was?“, zischte ich.
„Du musst Christy sein!“ Er gab einfach nicht nach. „Ich erkenne dich. Deine Stimme, dein Geruch und dein Körper verraten dich!“
Mein Geruch? Dass man meine Stimme erkennen könnte, konnte ich noch glauben, aber mein Geruch? Na ja, sein Geruch lag mir auch immer in meiner Nase und vernebelte meinen Verstand.
„Du irrst dich“, sagte ich sanft und schob seine Hand weg.
„Du bist stur wie eh und je“, sagte er lachend, aber blieb dabei ernst. Ich verdrehte die Augen und erwiderte darauf nichts. Wenn er weiter so stur blieb, dann würde ich nachgeben und ihm die Wahrheit sagen.
„Christy! Ich weiß, dass du es bist! Wieso bist du angeblich tot?“, fragte er mich fassungslos und packte mich bei meinen Armen.
„Wie oft noch? Ich bin nicht die, für die Sie mich halten“, sagte ich gereizt und riss mich wieder von ihm los.
Wenn wir noch eine Minute länger gemeinsam dort zusammen gestanden hätten, hätte uns Chase gesehen. Denn die Menschen von meiner Beerdigung liefen gerade an Tyson vorbei.
Schnell flüchtete ich vom Friedhof. Das war knapp gewesen. Beinahe hätte ich ihm nachgegeben und ihm die ganze Wahrheit erzählt. Das durfte niemals geschehen. Chase wusste schon immer über alles Bescheid! Er könnte wirklich Wind davon bekommen.
Und außerdem war ich sauer auf Tyson, da er mit Lisa ein Date gehabt hatte.


Die nächsten Tage verliefen schrecklich. Austin belästigte mich ständig und wurde drängender. Er machte es auch nur, wenn ich alleine war. Dieser Typ erinnerte mich an Chase. Und wegen den Beiden schlief ich nachts schlecht. Tyson war auch keine große Hilfe. Wenn er konnte, kam er so oft wie möglich in die Bäckerei, wenn ich arbeiten musste. Dadurch, dass er ständig in meiner Nähe war, könnte er meinen Bruder auf mich aufmerksam machen. Tyson brachte mich an den Rand meiner Nerven.


Nach zwei Wochen konnte ich meinen neuen Personalausweis abholen. Und langsam standen auch schon die ersten Klassenarbeiten an. Eines Tages nahm ich mir frei um den ganzen Nachmittag, plus Abend zu büffeln wie eine Irre, da ich am nächsten Morgen eine doofe Mathearbeit über Parameter schreiben konnte. Mein Problem war, dass ich dieses Thema nicht verstand. Es waren einfach zu viele Formeln, Zahlen und Buchstaben. Wer brauchte schon Mathe? – Ich jedenfalls nicht!
Direkt nach der Schule setzte ich mich auf meine Matratze in meinem noch unfertigen Schlafzimmer und versuchte gerade eine schwierige Aufgabe zu lösen.

Welche Bedingungen müssen für die Parameter a, b, c erfüllt sein, damit der Graph, der angegebenen Funktion f…

(1) genau zwei Wendepunkte haben?
(2) genau einen Wendepunkt hat?
(3) keinen Wendepunkt hat?

Es war zum Haare raufen. In letzter Zeit war ich in Mathe nicht wirklich mitgekommen, da mich drei Personen immer wieder ablenkten. Da Tyson sich verdammt oft in meiner Nähe aufhielt, befürchtete ich, dass Chase dies auch tat. Ständig lebte ich mit der Angst. Austin war auch nicht besser.
Wieder lenkten sie mich vom Mathe lernen ab.
Seufzend versuchte ich stärker nachzudenken, wie man diese Aufgabe lösen konnte. Doch kein einziger Lösungsweg fiel mir ein. Und zu meiner Rettung klingelte es an meiner Tür. Warte! Es klingelte?! Wer sollte denn bitteschön mich besuchen? Leise schlich ich durch meine Wohnung zur Haustür. Dieser Jemand war wirklich ungeduldig. Er machte Sturmklingeln. Und ich war nur spärlich bekleidet. Ein langes, altes T-Shirt, das mir bis zu den Knien ging und einen Slip.
Ich sah durch den Spion und erkannte Doktor Lacroix! Freudig machte ich die Tür auf, aber um sie auch gleich darauf wieder zu schließen. Doch er stellte seinen Fuß dazwischen, um sie aufzuhalten, bevor ich sie überhaupt schließen konnte.
„Was willst du hier, Tyson?“, fragte ich und brachte es sofort schon auf den Punkt. Ich ahnte, dass Lacroix ihm alles gesagt hatte, sonst hätte er ihn nicht mitgebracht.
„Du kannst gehen“, zischte er zu meinem Arzt, der sich auch schnell verdünnisierte.
Mit vor der Brust verschränkten Armen blickte ich ihn wütend an.
Er legte seine Hände auf meine Schultern und drängte mich zurück in meine Wohnung.
„Ich will eine Erklärung von dir hören“, sagte er wütend und lehnte sich gegen meine Haustür.
Oh, ja. Eine Erklärung wollte ich von dir auch hören. Was lief zwischen Lisa und ihm?
Ich war total eifersüchtig! Wir waren ja nicht mal ein Paar! Er konnte rummachen mit wem er wollte.
„Weißt du eigentlich, wenn du dich in meiner Nähe aufhältst, dass wahrscheinlich Chase dahinter kommt, dass ich gar nicht tot bin?!“, konterte ich genauso wütend.
Es schien ihn nicht zu beeindrucken. Erwartungsvoll zog er nur eine Augenbraue in die Höhe.
Ich raufte mir meine Haare und gab einen langen Seufzer von mir.
Dann erzählte ich ihm alles. Auch von dem Kuss zwischen Sean und mir. Die ganze Zeit über hielt ich ihm beim erzählen im Auge. Er konnte gerade so noch seine Wut kontrollieren. Meine Wut würde er noch zu spüren bekommen, da er mit Lisa ein Date gehabt hatte. Obwohl sie seine Ex war und er ihr einen deutlichen Korb gegeben hatte!
Chase war wirklich skrupellos gewesen, als er mich erschoss und mich im Meer liegen ließ. Wenn der Surfer nicht da gewesen wäre, wäre ich sogar erfroren – jedenfalls wäre ich dann nicht mehr am Leben.
Manchmal wollte Tyson mir dazwischen reden, doch mit einer schnellen Handbewegung schnitt ich ihm immer das Wort ab und erzählte weiter. Ich sprach ganz offen mit ihm über meine Gefühle, Gedanken und Ängste. Und bei seinem Date mit Lisa endete ich.
„Ja, dass mit Lisa kann ich erklären“, stotterte er, fuhr sich durch die Haare und schenkte mir ein liebevolles Lächeln.
„Ja, schon klar.“ Ungläubig über seine Ausrede drehte ich ihm den Rücken zu und verschwand in der Küche. Ich hörte, wie er die Eingangstür zu meiner Wohnung schloss. Eigentlich trank ich nicht viel Alkohol, aber jetzt brauchte ich einen Schnaps. Nur leider befand sich in meiner Wohnung kein Alkohol, deshalb trank ich nur Cola.
Abwartend lehnte ich mich an den Schrank und sah Tyson erwartungsvoll an. Was wohl jetzt für eine dämliche Erklärung kam?
„Ich war frustriert, da du ja angeblich tot warst. Und Lisa hat…“
„hat dir geholfen über mich hinweg zukommen?“
Ich brauchte keine Antwort von ihm, ich konnte mir auch schon so denken, wie sie ihm geholfen hatte.
„Sex“, sagte ich monoton.
„Es ist nicht so, wie du denkst!“ Wenn er das noch einmal sagte, dann… Arg!
„Du brauchst es nicht zu erklären“, wehrte ich ab.
Plötzlich ging er mit weit ausgestreckten Armen auf mich zu.
Schützend hielt ich meine Arme vor meiner Brust.
„Geh weg“, zischte ich und wich ihm aus. Tyson drängte mich an die Wand und nagelte mich mit seinem Körper dort fest. Seine Hände postierte er neben meinen Kopf.
Eigentlich durfte ich nicht sauer auf ihn sein. Es war meine eigene Schuld. Schließlich war ich nicht mehr da und er hatte sich trösten lassen. Aber trotzdem er hatte sich mit Sex trösten lassen.
Wie wir uns aufführten?! Eigentlich brauchte ich gar nicht so eifersüchtig zu sein! Wir waren ja nicht einmal ein Paar. Also, wieso regte ich mich eigentlich so auf?! – Hormone, aber ich war nicht schwanger.
„Tyson“, flüsterte ich mit schwacher Stimme.
„Du brauchst nicht eifersüchtig zu sein, da wir ja eigentlich kein Paar sind“, säuselte er mir in mein Ohr. Seine Hand strich zart über meine Wange und hinterließ einen prickelnden Funkenschauer auf meiner Haut. Die Sehnsucht nach ihm wurde immer stärker. So sehr ich mich auch an meinem Verstand festklammerte, mein Körper reagierte zu sehr auf ihn, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte.
„Pah! Ich bin nicht eifersüchtig“, zischte ich verächtlich und versuchte ihn von mir zu drücken. Vergeblich!
„Klar“, lachte er. Ich spürte seinen warmen Atem auf meiner Haut. Und seine Lippen waren gefährlich nahe an meinen. Ich schluckte. Wo war meine Selbstsicherheit und Gelassenheit?!
Lange würde ich es nicht mehr aushalten. Und dann küsste ich ihn. Automatisch schloss ich meine Augen. So schnell würde er mich nicht mehr los werden. Meine Gefühle für ihn hatten gesiegt. Erst war ich ein bisschen verletzt darüber, dass er meinen Kuss nicht erwiderte, aber dann tat er es doch noch. Seine Reaktion nach zu urteilen, hätte er nicht damit gerechnet, dass ich von meiner Seite aus ihn küssen würde, da ich ihn immer wieder zurückgewiesen hatte.
Ganz ehrlich, ich war es Leid ihn immer zurückzuweisen, da es eigentlich keinen Grund gab dies noch weiter zu tun. Mir war in der letzten Zeit klar geworden, wie sehr ich ihn brauchte und liebte. Seine Küsse waren die Besten. Sean und Taylor küssten auch gut, aber Tysons Küsse waren besser.
Heute war es das erste Mal, dass ich mich wirklich auf ihn einließ.
Als hätte er nur darauf gewartet, zog er mich zu sich. Ich vergrub meine Finger in seinen Haaren. Seine Lippen waren warm und dieser Kuss wild und zärtlich zugleich. Sanft fasste Tyson nach meinen Handgelenken und zog mich aus der Küche raus. Aber dann übernahm ich die Führung und ging mit ihm in mein provisorisches Schlafzimmer. Als er sich umblickte, hob er bei diesem Anblick eine Augenbraue. Sein Blick fiel auf die Matratze. Ich hatte noch keine Zeit ein paar Möbel einzukaufen und das nötige Geld hatte ich auch nicht dafür. Allerdings wanderten meine Augen zu dem Mathematikbuch. Ich hätte mich ohrfeigen können. Morgen schrieb ich eine Mathearbeit und ich verstand das Thema immer noch nicht. Panik breitete sich in mir aus.
Tyson musste wohl meine Unruhe bemerkt haben, denn er fragte mich, was los sei. Dabei streichelte er mir liebevoll über meine Wange. Ach, Mathe war jetzt nebensächlich!
Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und drückte wieder meine Lippen auf seine.
Er zog mich mit sich, bis wir auf der Matratze saßen. Als wir eine Weile später aufhörten, lagen wir zurückgesunken und eng umschlungen auf der Matratze. Ich war süchtig nach seinen verführerischen Küssen. Vorsichtig knöpfte ich sein Hemd auf und schob meine Hand unter den Stoff, bis ich warme, nackte Haut fühlte. Auch Tyson reagierte auf diese Berührung und setzte sich auf, damit ich ihm sein Hemd über die Schultern streifen konnte. Mit meinen Lippen streifte ich über seine Schultern, seine Brust und lächelte, als ich fühlte, wie er vor Anspannung bebte. Er legte seine Arme um meine Taille und zog mich zu sich heran.
Ich bewunderte seine Bizepse und natürlich auch seine sehnigen, kräftigen Unterarme, die mich ganz fest hielten. Gierig erkundeten meine Hände seinen herrlichen Rücken und seinen nicht minder bewertenden Hintern. Er zog mir mein altes, sehr langes, das mir bis zu den Knien ging, T-Shirt aus. Nur mit Unterwäsche bekleidet, stand ich vor ihm. Meine Hände wanderten von seinem Hintern zu dem Knopf seiner Jeans. Er half mir sie auszuziehen. Nur mit einer Hand öffnete er den Verschluss meines BHs. Ich schluckte. Tyson hatte schon Übung darin gehabt. Wie oft wohl schon? – Eigentlich wollte ich das gar nicht erst wissen. Aber eine leise Stimme flüsterte mir ins Gewissen, dass ich nicht seine Erste war. Und dies bereitete mir einen Stich in meinem Herzen. Ich konnte nicht. Okay, ich hatte auch schon Sex vor ihm, aber nicht mit verschiedenen Männern. Er hatte bestimmt seine Frauen, wie seine Unterwäsche gewechselt.
Tyson bemerkte meine Angespanntheit und blickte mir tief in die Augen.
„Ich kann nicht“, flüsterte ich verlegen. Ich war zu sehr unentschlossen. Gerade noch war ich mir ganz sicher dabei gewesen, dass ich ihn will, aber der Gedanke mit wie vielen, er es schon hatte, machte mich verrückt. Lisa gehörte zu einer dieser Frauen.
Und, dass wir uns ganz nebenbei nackt gegenüber standen, machte ihm anscheinend nichts aus.
Ich hatte wenigstens noch einen Slip an. Meine Arme verschränkte ich vor der Brust, vor Scham.
Es war mir schon ein wenig unangenehm, nackt vor ihm zu stehen. Wieder schlich sich der Gedanke in meinen Kopf, dass ich ihn gar nicht wirklich kannte. Aber das war eine Ausrede. Ich hatte einfach zu viel Angst. Mir machte es jedenfalls nichts mehr aus, dass mich eine männliche Person berührte. Chase hatte damals ganze Arbeit geleistet. Dieser Idiot! Ich sollte keinen Gedanken mehr an ihn verschwenden.
„Lass dir Zeit“, erwiderte er und hielt unseren Blickkontakt auf Recht.
„Sag mal, wie hast du Lacroix um deinen Finger gewickelt?“ Ich wusste, dass es ein schlechter Zeitpunkt war, danach zu fragen, aber ich wollte meine Nervosität überspielen. Schließlich stand ich nicht immer nackt vor irgendjemanden.
„War ganz leicht“, sagte er mit einem süffisanten Grinsen. Anscheinend wollte er es mir nicht verraten.
Ich bückte mich um mir meinen BH wieder anzuziehen und währenddessen zog sich Tyson seine Boxershort an. Er wickelte meine Decke um unsere Körper und wir legten uns gemeinsam auf meine Matratze. Mein Kopf lag die ganze Zeit über auf seiner nackten, warmen und muskulösen Brust.
Mathe zu lernen, hatte ich vollkommen vergessen. Und morgen würde mir dies auch noch zum Verhängnis werden.


Warme Sonnenstrahlen weckten mich auf. Vorsichtig blinzelte ich einige Male und atmete tief ein.
Der Geruch von Lavendel stieg mir in die Nase. Tyson! Er schlief noch. Seufzend betrachtete ich ihn. Er sah so verletzlich aus im Schlaf. Wir lagen eng aneinander geschmiegt auf meiner Matratze. Vorsichtig richtete ich mich auf und stützte mich auf meinen Unterarm. Bei dieser Bewegung rutschte die Decke zur Seite und entblößte Tysons Brust. Zum ersten Mal konnte ich ihn genauer beobachten. Gedankenverloren malte ich lauter kleiner Kreise auf seine Brust. Tyson regte sich und schlug die Augen auf. Er musterte mich lange erstaunt und lächelte mich an. Sein intensiver Blick machte mich verlegen.
„Ich liebe Dich“, flüsterte er. Bei diesen drei Worten ließ er mein Herz schneller rasen und gab mir wieder das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit.
Und ich konnte ihn nur glücklich anlächeln und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann stand ich auf, um mich für die Schule fertig zu machen. Im Bad putzte ich mir erst einmal ausgiebig meine Zähne, kämmte meine Haare und zog mir frische Kleidung an. Ich hatte erst eine dreiviertel Jeans angezogen und stand im BH vor dem Waschbecken. Plötzlich schlangen sich von hinten zwei starke Arme um meine Taille. Als ich in den Spiegel blickte, erkannte ich Tyson, der sein Gesicht in meine Halsbeuge versteckte.
„Kannst du nicht heute schwänzen?“, fragte er hoffnungsvoll und lächelte mich mit seinem unwiderstehlichen Lächeln an, dem man kaum widerstehen konnte.
„Das geht nicht! Ich schreibe gleich Mathe!“ Und als ich das erwähnte, fiel mir ein, dass ich gestern gar nicht mehr lernen konnte! Ah! Das durfte nicht wahr sein.
Aber vielleicht konnte ich in der Arbeit ein wenig bei Brook abschreiben?! Sie konnte unheimlich gut Mathematik. Panisch löste ich mich von Tyson, zog mir ein Top an, da wir jetzt schon wieder eine Hitze hatten, die kaum auszuhalten war und machte mich auf den Weg in mein Schlafzimmer. Dort suchte ich das Mathematikbuch. Als ich es neben der Matratze gefunden hatte, steckte ich es hektisch in meinen Rucksack. Beinahe hätte ich Tyson vergessen, der mich nur blöd anstarrte.
„Los, raus!“, rief ich barsch und hatte ihn schon bei der Tür, als er plötzlich stehen blieb.
„Ich kann wohl kaum in der Öffentlichkeit nur mit einer Boxershort bekleidet rumrennen“, sagte er amüsiert. Dann erst fiel mir auf, dass er wirklich nur eine seiner Shorts an hatte. Oh, peinlich! Und er fand diese Situation zu komisch. Grummelnd schloss ich die Tür und Tyson schlenderte gemächlich – aber sehr elegant und selbstsicher, musste ich sagen – in mein Zimmer, um sich anzuziehen.
Hieß das jetzt, dass wir zusammen waren, oder eher nicht? Letzte Nacht hätten wir beinahe miteinander geschlafen! Und ich hatte ihn mal wieder abgewiesen. Aber daran zu denken, dass er es vor mir ausgerechnet mit Lisa getan hatte, machte mich verrückt. Ausgerechnet mit dieser arroganten Zicke!
Als Tyson fertig war, kam er zu mir herbei geeilt und er folgte mir aus der Wohnung.
„Chase wird schon nicht herauskriegen, dass du eine neue Identität angenommen hast“, munterte er mich auf und strich mir zärtlich über meine Wange. Wir standen vor dem Eingang des Häuserblocks.
„Viel Glück bei Mathe!“
„Danke“, sagte ich betrübt. Er drückte kurz noch seine Lippen auf meine, bevor wir unsere Wege gingen. Bei dem Kuss löste er wieder ein unbeschreibliches Kribbeln in meinem Bauch aus.
Aber wir hatten nicht bemerkt, dass uns jemand beobachtete. Dieser Jemand würde uns noch zum Verhängnis werden.


Seufzend lief ich zu Brook. Sie stand mit den Anderen auf dem Schulhof.
„Hi“, begrüßte ich alle. „Könnt ihr Mathe?“
Serena und Josh schüttelten beide ihren Kopf. Wenigstens war ich nicht die einzige, die kein Mathematik konnte, doch Brook bejahte mit: „Das Thema ist doch so easy.“
Ja, für jemanden der das Gen für Mathe besaß. Aber leider hatte ich dieses Gen nicht vererbt bekommen. Chase war auch so ein Mathegenie. Früher hatte er mir immer geholfen. Jetzt war ich auf mich alleine gestellt.
Als es klingelte, zuckte ich zusammen. Mathe! Nein, ich wollte nicht! Brook musste mich hinter sich her schleifen, damit wir überhaupt noch pünktlich ankamen.
Wie in Trance saß ich dann auf meinem Platz und starrte meinen Tisch an. Okay, Christy. Du würdest es schaffen!
Ich stöhnte genervt, als unser Lehrer Mr. Morris fröhlich in die Klasse kam. In seinen Händen befanden sich die Arbeiten. Auf seiner Nase prangte eine große Hornbrille. Seine grauen Haare befanden sich auch nicht mehr in ihrem besten Zustand.
Zuerst begrüßte er uns, dann ordnete er eine neue Sitzordnung an. Ein paar Schüler wurden auseinander gesetzt, um nicht abzuschreiben. Bitte! Hoffentlich ließ er mich neben Brook sitzen! Sie war meine einzige Hoffnung noch eine gute Note zu bekommen! Doch mein Stoßgebet wurde nicht erhört. Mr. Morris setzte mich ganz nach vorne, weit weg von Brooks Wissen. Nein! Ich hasste ihn! Wie konnte er mir das nur antun?! Widerwillig nahm ich meine Sachen, ließ mich auf den mir zugewiesenen Platz fallen und blickte Brook verzweifelt an. Sie schenkte mir ein kurzes, mitfühlendes Lächeln. Ich war verloren!
Als ich meinen Blick durch die Klasse wandern ließ, blieb er an Austin hängen, der mich süffisant angrinste. Angewidert verzog ich mein Gesicht und wandte mich von ihm ab. Dieser arrogante Schnösel!
Mr. Morris kam und gab mir zwei Arbeitsblätter. Es ging los mit dem Raten!
Zuerst studierte ich die Aufgaben eindringlich. Und tat so, als würde es ein Klacks werden, diese Aufgaben zu bearbeiten. Ich durfte nur nicht den Verstand verlieren.
Nach zehn Minuten war ich immer noch nicht angefangen. Nein! Nein! Nein! Ich konnte das nicht! Ich hasste dieses Thema. Ich hasste Mathe! Ah! Es war sinnlos. Ich konnte jetzt schon abgeben ohne irgendeinen Lösungsweg aufgeschrieben zu haben! Es würde eh eine sechs werden.
Die ganze Zeit über knabberte ich an meinem Füller herum. Wieso mussten das so viele Aufgaben sein?
Erst einmal tief Luft holen und mich beruhigen.
In der letzten halben Stunde hatte ich es doch geschafft ein paar Aufgaben zu lösen. Aber man war sich nicht sicher, ob sie auch überhaupt richtig waren.
Mir fehlte sogar nur eine Aufgabe. Ich war stolz auf mich, dass ich es doch noch so gut hinbekommen hatte.


„Es war der absolute Horror“, sagte ich in die Runde.
„Da hast du Recht“, stimmte Serena mit mir überein.
„Es war total easy“, gab Brook mit einem strahlenden Lächeln von sich.
Serena und ich stöhnten nur genervt und grummelten irgendetwas vor uns hin.
Alles, was nur ansatzweise mit Zahlen und Logik zu tun hatte, war für Brook ein Kinderspiel. Ich hätte Tyson gestern wegschicken sollen, um zu lernen. Das hatte ich jetzt davon. Mathe war das einzige Fach, was ich nicht konnte. Physik ging einigermaßen, aber auch nur, wenn es sich nicht um Elektrizität handelte oder um irgendetwas zu berechnen.
„Oh, mein Gott!“, quietschte Serena und warf ihre blonden, langen Haare nach hinten. „Austin Ames kommt hier rüber!“
Es gab einige wenige, die nicht auf Austin Ames standen. Aber leider gehörte Serena nicht dazu.
An meinen ersten Schultagen hatte ich Fiona kennen gelernt. Sie gehörte auch zu seinen Verehrerinnen. Und seit dem sie wusste, dass ich nicht auf Austin stand, fing sie an mich zu ärgern.
Dieser Schnösel kam mit einem breiten Grinsen im Gesicht auf uns zu geschlendert. Wo war eigentlich Josh? Wenn man Jungs brauchte, waren sie nie da, um einen zu helfen!
„Verzieht euch“, scheucht er meine zwei besten Freundinnen weg. Erst wollte Brook Widerstand leisten, doch Serena kicherte und zog sie weg. Genervt sah ich ihnen hinter her.
„Was sollte das?“, zischte ich und funkelte ihn wütend an.
„Die Beiden nervten“, sagte er achselzuckend. „Gehst du mal mit mir aus?“ Dass er immer sofort auf den Punkt kam.
„Nein“, antwortete ich mit einem falschen Lächeln im Gesicht.
„Das war absolut die falsche Antwort“, sagte er amüsiert. Mit diesem Satz ließ er mich nachdenken.
„Willst du mich gegen meinen Willen zwingen?“, fragte ich ihn, doch er antwortete mir nicht mehr. Sondern er rückte mir auf die Pelle. Austin drückte mich gegen die Wand, so wie Tyson es gestern auch gemacht hatte.
„Kann schon sein“, säuselte er mir in mein Ohr. Dieser Typ war geisteskrank.
„Hey, lass sie los“, rief Josh! Endlich!
Austin drehte sich überrascht zu ihm, musterte ihn verächtlich für ein paar Sekunden und wandte sich wieder mir zu.
„Ich hab gesagt, du sollst sie los lassen“, wiederholte er gefährlicher. Josh riss ihn von mir weg und sah mich besorgt an. Mit einem zittrigen Lächeln gab ich ihm zu verstehen, dass alles in Ordnung war.
„Wenn du sie noch einmal belästigst, kriegst du es mit mir zu tun“, drohte Josh. Mittlerweile war ich zu ihm gelaufen und er nahm meine Hand. Austin jedoch, schnaubte verächtlich, sah mich nochmals eindringlich an, bevor er verschwand.
„So ein Irrer!“, sagte Josh kopfschüttelnd.
„Danke“, bedankte ich mich aufrichtig bei ihm.
„Kein Problem!“ Gut, dass man Jungs als Freunde hatte.
Austin war wirklich ein totaler Draufgänger. Er dachte wohl, er würde jede rumbekommen, aber da hatte er sich geschnitten – bei mir nicht!
Ich war auch ein wenig wütend darüber, dass Serena Brook weggezogen hatte, damit Austin und ich alleine waren.
„Also wirklich, Mary“, tadelte Serena mich. „Ich, an deiner Stelle hätte mich sofort auf ihn eingelassen!“
Genervt verdrehte ich die Augen. „Austin ist nicht mein Typ!“
„Dann gibt es in deinem Leben jemand anderes“, hakte sie weiter nach.
„Kann schon sein“, antwortete ich verlegen.
„Wer ist es?“, fragte sie neugierig. Sogar Josh und Brook wurden neugierig, aber sie zeigten es nicht so offensichtlich wie Serena.
„Ist nicht so wichtig“, winkte ich ab.
Serena wollte gerade wieder ihren Mund aufmachen, doch da klingelte es schon zur nächsten Stunde.
Die nächste Zeit musste ich wohl oder übel ihren Fragen ausweichen.


In der letzten Stunde hatten wir Englisch. Und wenn es klingelte, musste ich mich schnell davon machen, damit Serena mich nicht weiter mit ihren neugierigen Fragen durchlöcherte.
Plötzlich klingelte es. Schnell packte ich meine Sachen zusammen, hievte meinen Rucksack auf meine Schultern und verließ gehetzt den Klassenraum. Von Serena war weit und breit keine Spur zu sehen. Gut!
Gedankenverloren machte ich mich auf den Weg nach Hause. Meine Hand lag auf meinem Bauch. Die Wunde verheilte gut und ich hatte auch beinahe keine Schmerzen mehr. Aber eine Narbe würde entstehen zur Erinnerung, an das, was mein eigener Bruder mir angetan hatte.
Ich versuchte, so gut es ging, die Erinnerungen zu verdrängen, aber wie gesagt, manchmal verfolgten sie mich in meinen Träumen. Es gab einige wenige Nächte, in denen ich besonders gut schlafen konnte.
Als ich das Schulgebäude verließ, begrüßte mich die Nachmittagssonne. Sie strahlte auf uns herab. Im Gebäude war es schön kühl, meistens warm und stickig. Und hier vermischten sich der Wind und die Sonne, so dass es schön angenehm warm war.
Ein Hupen riss mich aus meinen Gedanken. Verwirrt blickte ich auf und sah auf der anderen Straßenseite Tyson mit einem schwarzen Porsche stehen. Lässig lehnte er an der Autotür und sah mich lächelnd an. Wegen ihm würde Chase noch darauf kommen, dass ich noch am Leben war.
Dieser Idiot machte noch alles kaputt. Aber irgendwie war es total süß von ihm, mich abzuholen.
„Tyson! Wenn…“, fing ich schon tadelnd an, doch er unterbrach mich einfach, indem er seine Lippen auf meine drückte. Ich konnte seinem Kuss schwer widerstehen, daher erwiderte ich ihn.
Siegessicher spürte ich, dass er grinste und er legte seine Arme um meine Taille.
Als er sich von mir löste, sagte er: „Keine Sorge! Ich pass auf dich auf!“
„Spinner“, lachte ich und schlug ihm leicht auf die Brust. Kopfschüttelnd stieg ich auf der Beifahrerseite ein und erkannte, wie Brook, Josh und Serena uns mit offenem Mund anstarrten.
Schüchtern winkte ich ihnen zu, dass sie erst wenige Sekunden später erwiderten.
Breit grinsend stieg Tyson auch ein und startete den Motor.
Ein Gedanke beschäftigte mich auf der Autofahrt sehr. Waren Tyson und ich jetzt eigentlich zusammen? Es fühlte sich so unbeschreiblich gut an in seiner Nähe zu sein. Und ich spürte, wie sehr ich ihn in der Zeit vermisst hatte, in der ich angeblich tot war und ein neues Leben führte.
Ich liebte auch seine Fürsorglichkeit, die er als wir uns das erste Mal trafen, einsetzte. Er war so besorgt um mich gewesen. Obwohl wir uns gar nicht kannten.
Seufzend starrte ich nach Draußen. Ich brauchte ihn und dies wurde mir auch ziemlich bewusst. Aber sollte ich es wagen, ihn zu fragen, wie es um uns stand?
Anscheinend musste er meine Unruhe bemerkt haben, denn Tyson legte seine warme Hand auf meinen Oberschenkel. Schüchtern lächelte ich ihn an und nahm seine große Hand in meine. Sie verflochtenen sich miteinander. Eigentlich brauchte ich gar nicht so verlegen zu sein. Er hatte mir gestern ein Liebesgeständnis gemacht. Ich brauchte keine Angst haben.
„Also, sind wir jetzt so richtig zusammen?“, stotterte ich und biss mir nervös auf die Unterlippe.
„Wenn du es auch gerne möchtest?“, stellte er eine Gegenfrage und war auch überhaupt nicht verlegen.
Schüchtern nickte ich, doch plötzlich beugte er sich zu mir und küsste mich. Dabei hielt er das Lenkrad nur mit einer Hand fest und achtete nicht auf den Verkehr.
Ein nervenertönendes Hupen schreckte uns auf.
„Tyson!“, rief ich entsetzt seinen Namen. Gerade noch rechtzeitig riss er das Lenkrad rum und wir fuhren wieder auf der richtigen Fahrbahn. Ein riesiger Schock saß in meinen Gliedern.
Beinahe hätten wir einen Autounfall gehabt.
Doch Tyson grinste mich nur frech an.
„Idiot“, sagte ich nur noch.
Während der ganzen Autofahrt bemerkten wir nicht, dass uns jemand verfolgte.
Der Schock von eben war immer noch nicht verschwunden. Tyson war ziemlich leichtsinnig gewesen.
„Ich hab ganz vergessen zu fragen, wie die Mathearbeit war“, stellte er grinsend fest.
„Der wahre Horror“, antwortete ich ehrlich.
„Wohl kaum“, winkte er ab. „Das eben auf der Straße war schon der wahre Horror für dich!“
Empört blickte ich ihn an. Auch noch Witze reißen!
Lachend stand Tyson von meiner Matratze auf und wollte mich in seine Arme schließen, doch ich wich von ihm weg.
„Ach, komm schon“, versuchte er es mit dieser Leier.
„Du bist ein Idiot!“, beschimpfte ich ihn und tippte ihm mit meinem Zeigefinger auf seine muskulöse Brust, doch er nahm mein Handgelenk und küsste dieses. Wieder einmal löste er ein Kribbeln in mir aus. Er musste wissen, wie sehr mein Körper auf ihn reagierte und er nutzte dieses schamlos aus.
Tyson hatte es schon so weit gebracht, dass ich gegen die Wand gedrückt wurde und wir knutschten gerade hemmungslos miteinander rum. Selbst die Wut über ihn war jetzt vollkommen vergessen.
Aber auf einmal klingelte es an der Tür.
„Nicht“, hauchte Tyson in meinen Mund und ich blieb an Ort und Stelle. Doch immer wieder klingelte es und es nervte tierisch.
„Ich muss gehen, sonst hört das nie auf“, sagte ich und löste mich von ihm.
Einverstanden setzte er sich auf meine Matratze und durchwühlte meine Bücher.
Mit einem mulmigen Gefühl lief ich zur Tür.
Ohne jede Vorsicht öffnete ich sie. Ich hatte vergessen in den Spion zu gucken. Und ich verfluchte mich dafür, dass ich es nicht getan hatte.
„Christy, schön dich zu sehen“, hörte ich die Stimme meines Bruders! Wie erstarrt stand ich vor ihm und konnte mich nicht regen.
„Anfangs habe ich wirklich daran geglaubt, dass du tot seist. Aber du wurdest mit Black knutschend in der Öffentlichkeit gesehen“, hielt er mir vor. Er musste Tyson gefolgt sein, doch plötzlich bewegte sich etwas hinter Chase. Und Austin kam zum Vorschein. Austin?! Aber, das konnte nicht sein!
„Austin und ich sind schon sehr lange befreundet. Und er kannte dich von einem Foto. Als dann auch noch die Bestätigung kam, dass sich Tyson bei dir aufhält, war ich mir ganz sicher, dass du es bist!“, redete er weiter.
Blitzschnell versuchte ich die Tür zu schließen, doch Chase stellte seinen Fuß dazwischen.
„Nein! Tyson!“, rief ich verzweifelt. Lange würde ich nicht mehr standhalten.
Wenn Tyson nicht kommen würde, würde ich überrumpelt werden.
Plötzlich bewegte sich etwas Großes hinter mir. Als ich über meine Schulter spähte, erkannte ich Tyson! Gott sei Dank!
„Nach drei, lässt du die Tür los“, flüsterte er mir in mein Ohr.
„1“, zählte er langsam. Chase und Austin waren zu stark. „2 und 3, lass los!“
Wie auf Kommando ließ ich die Tür los und Chase und Austin hatten ihr ganzes Gewicht auf die Tür verlagert, so dass sie jetzt zu Boden fielen.
Tyson hielt eins meiner geliebten Bücher in den Händen und zielte damit auf Austins Kopf.
Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Mein Buch! Und dann auch noch mein Lieblingsbuch, City of Bones! Dieser Idiot! Das würde er zurück bekommen! Rache war süß!
Doch ich durfte mich nicht länger darüber aufregen, denn Chase hatte sich aufgerappelt und kam auf mich - mit einem hämischen Grinsen im Gesicht – zugeschlendert. Währenddessen kümmerte sich Tyson um Austin mit meinem Buch! Ich könnte ihn wirklich köpfen! Wahrscheinlich würde er selbst ohne Kopf ziemlich sexy aussehen!
„So, kleine Schwester! Jetzt bist du dran“, sagte er gefährlich ruhig. Jetzt hätte ich wirklich eine Vase von meiner Mom gebraucht.
So weit es ging, wich ich ihm immer wieder aus. Mittlerweile befanden wir uns in meinem provisorischen Schlafzimmer. Eine geeignete Waffe fiel mir nicht ins Blickfeld – außer meinen Büchern. Nein, das konnte ich nicht tun. Okay, Tyson, noch ein Grund mehr dir den Kopf abzuschlagen, da du mich auf den Gedanken gebracht hattest, Chase mit einem Buch den Rest zu geben.
Schnell rannte ich zu dem Bücherstapel, griff irgendeins, wehrte eine Faust von Chase ab und rammte ihm das Buch in den Bauch. Dieser krümmte sich vor Schmerz, aber trotzdem hielt ihn das nicht auf, denn er ging wieder auf mich los. Überrascht kreischte ich auf, verlor mein Gleichgewicht und fiel auf meinen Hintern. Chase lachte verächtlich und wollte sich auf mich drauf stürzen, doch mit meinen Beinen brachte ich ihn zu Fall. Ich war skrupellos geworden, dass hätte ich niemals von mir gedacht. Und Chase hatte das auch nicht erwartet. Er lag auf dem Rücken und ich krabbelte auf ihn drauf. Meine Hände hatte ich zu Fäusten geballt und schlug auf ihn ein. All die Wut über ihn überwältigte mich und ließ es an ihm aus. Fast war ich sogar den Tränen nahe.
Plötzlich packte er meine Handgelenke und schleuderte mich von sich runter.
Mein Kopf prallte auf dem Laminat auf und verursachte eine gewaltige Explosion, die durch Mark und Bein ging. Mir wurde schwarz vor Augen. Aber ich durfte jetzt nicht schwach werden, oder gar das Bewusstsein verlieren!
„Du bist so ein kleines Miststück“, zischte er, packte mich an meinen Hals und presste mich gegen die Wand. Meine Hände versuchten seinen starken Griff von meinem Hals zu lösen, doch er packte kräftiger zu.
„Wieso tust du das? Was habe ich dir eigentlich getan?“, fragte ich verzweifelt. „Früher haben wir uns doch so gut verstanden und jetzt? Das bist nicht du, Chase!“
Seufzend musterte er mich. „Ich war es Leid! Vater hatte immer nur dich bevorzugt!“
Hä? War mein einziger Gedanke. Ich verstand nur Bahnhof.
„Aber Mom bevorzugt nur dich! Du bist ihr Lieblingskind“, erwiderte ich verwirrt.
„Ja, Mom. Aber ich hatte keine Anerkennung von Dad“, konterte er wütend und traurig.
„Und deswegen baust du diesen Mist? Mom bevorzugt nur dich und ich bin nicht so übergeschnappt wie du!“ Wenn das der einzige Grund war, dann war er ein Irrer. Er müsste in die Psychiatrie eingewiesen werden.
Ich musste mich irgendwie von ihm befreien! Langsam hob ich mein Bein, winkelte es ein wenig an und rammte es ihm in den Bauch. Dies ließ ihn jedoch nicht beirren und hielt mich weiter an meiner Kehle fest. Eine meiner Hände suchte einen Gegenstand, womit ich ihn k.o. schlagen konnte, aber nichts war in Griffweite. Dann blieb nur mein Körpereinsatz.
Mit meiner freien Hand holte ich aus und schlug ihm ins Gesicht.
„Aua, man ist dein Gesicht hart“, jammerte ich und wedelte mit meiner pochenden Hand in der Gegend rum. Ich wollte nicht wissen, wonach das aussah.
„Dann musst du mich auch nicht schlagen“, erwiderte er und stand auf.
Durch meinen kräftigen Schlag hatte ich es geschafft, dass er mich los ließ.
„Du bist so ein Idiot!“, warf ich ihm an den Kopf und wich ihm wieder aus.
Chase setzte sein hämisches Grinsen auf. Mittlerweile befanden wir uns wieder in der Küche.
Tyson lag unter Austin, aber genaueres konnte ich nicht erkennen, da Chase mal wieder gefährlich nahe kam.
Doch plötzlich wurde ich von hinten gepackt.
„Lass mich los!“, schrie ich zu Austin und mein Bruder kam auf mich zu gelaufen.
Ich trat wie wild um mich. Auf keinen Fall sollte Chase mir zu nahe kommen.
Als er sich gerade auf mich stürzen wollte, hob ich meine Beine und trat mit voller Wucht gegen ihn.
Er taumelte nach hinten und fiel durch das Fenster in die Tiefe.
Wie erstarrt blickte ich zu dem kaputten Fenster. Ich hatte meinen eigenen Bruder umgebracht.
Und Austin ließ mich auch los, so dass ich mein Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte, doch zwei starke Arme schlangen sich um meine Taille und hielten mich fest.
„Ich habe ihn umgebracht“, flüsterte ich wie in Trance. Das war alles ein absolut schlechter Albtraum.
Austin lag bewusstlos auf dem Boden.
„Es wird alles gut“, flüsterte Tyson mir in mein Ohr und strich mir behutsam über mein Haar.
Zusammen gingen wir zu dem zerbrochenen Fenster. Den Anblick von Chase verrenktem Körper auf dem Rasen konnte ich kaum ertragen. Angewidert wandte ich meinen Blick ab. Wir befanden uns im zweiten Stockwerk.
Von der Ferne hörte man die Sirenen. Anscheinend hatten die Nachbarn die Polizei gerufen, die nach wenigen Minuten hier eintrafen und alles abriegelten.
Fassungslos, dass ich meinen eigenen Bruder aus Notwehr umgebracht hatte. Welche Schwester tat das schon? Und ob ich mit dem Gewissen leben konnte, dass ich ihn umgebracht hatte, wusste ich nicht!
Zwei Polizisten kamen die Treppe hochgelaufen, marschierten in meine Wohnung, setzten sich auf zwei Stühle und fingen an Tyson und mich zu befragen.
Zuerst wollten sie wissen, wie wir hießen. Von da an musste ich erklären, warum ich eine neue Identität angenommen hatte. Wir erzählten ihnen alles. Der eine grimmige Polizist schrieb sich alles haargenau auf und gab keinen einzigen Kommentar von sich. Der dickere, der Beiden war freundlicher, als sein Kollege und zeigte Verständnis für mich.
Ich erzählte auch, dass ich ihn nicht absichtlich getreten hatte, sondern er verlor das Gleichgewicht und fiel durch das Fenster. Die beinahe Vergewaltigungen erwähnte ich auch, aber die Polizisten wussten davon schon Bescheid.
Dieses Gespräch dauerte sehr lange. Nach einer Weile kam dann auch noch meine Mom. Sie nahm mich heulend in die Arme. Meine Mom machte mir erst einmal ein schlechtes Gewissen ihnen allen ein Tod vorgetäuscht zu haben. Aber ab da half mir der dicke, freundliche Polizist meiner Mom alles zu erklären. Zum Glück wich Tyson nicht von meiner Seite und unterstützte mich. Jetzt brauchte ich unbedingt eine Schulter zum ausheulen.
Eine weitere halbe Stunde verging und wir redeten immer noch mit den Polizisten. Sie erklärten mir, dass es Totschlag durch Notwehr war, daher brauchte ich mir keine Sorgen zu machen, dass ich hinter Gittern kam. Eine Sorge weniger.
Und meine Mom brach heulend zusammen, da ihr geliebter Sohn tot war – wirklich tot, kein Scheintod. Zuerst verwünschte sie mich zum Teufel und im nächsten Moment nahm sie mich verständnisvoll in die Arme. Ich konnte verstehen, dass sie es nicht fassen konnte - so wie ich, aber sie musste sich eingestehen, dass Chase kein unschuldiger Jugendlicher war. Nach seinen zwei Kumpels wurde jetzt auch eine Fahndung rausgeschickt.
Und Austin, der hatte sein Bewusstsein wiedererlangt und wurde von anderen Polizisten in Handschellen gelegt und abgeführt. Er hatte sich strafbar gemacht, da er Chase geholfen hatte.
Und jetzt wurde mir bewusst, dass ich frei war, da mein Bruder nicht mehr auf der Erde verweilte, konnte ich endlich mein Leben so leben, wie ich wollte.
Natürlich gab es noch ein wenig Stress, da ich meinen Tod nur vorgetäuscht hatte, aber alle waren verständnisvoll gewesen. Meine beste Freundin Ellie hatte mich zuerst zusammen geschrien und dann heulend in die Arme genommen. Ich konnte es halt niemandem erzählen, dass ich eine neue Identität angenommen hatte. Sie warf mir sogar vor, dass ich es Tyson erzählt hatte und ihr nicht. Darüber konnte ich nur lachen und erklärte ihr, dass es nur purer Zufall war, dass er es herausgefunden hatte.
Meine neuen Freunde konnten es auch kaum glauben, dass ich sie hintergangen hatte, aber auch sie waren sehr verständnisvoll gewesen, als ich ihnen von meiner misslichen Lage erklärte.
Da mein Bruder jetzt tot war, was ich immer noch nicht fassen konnte, vermisste ich ihn. Ich hatte auch eine sehr schöne Zeit mit ihm verbracht, bevor er so anders wurde.


Einige Wochen später war alles geklärt. Totschlag durch Notwehr. Ich brauchte nicht ins Gefängnis und keine Bewährung. Mein neues Leben hatte ich den Rücken zugekehrt und meine alten Namen wieder angenommen. Und die neue Frisur passte zu mir einfach nicht. Ich vermisste meine langen, schönen, blonden Haare. Seit kurzem lebte ich auch wieder bei meiner Mom. Sie war so fürsorglich geworden, da sie bemerkt hatte, dass sie sich immer nur um Chase gekümmert hatte. Lacroix war heil froh, dass ich wieder in mein altes Leben zurückkehren konnte, denn selbst ihm fiel das Lügen schwer. Tyson und er hatten kein gutes Verhältnis zueinander, da mein Freund ihn damals erpresst hatte, damit Lacroix ihn zu mir führen konnte. Und ich wusste immer noch nicht, was die Erpressung war. Aber nach dem Tod von Chase hatte ich nicht mehr danach gefragt. Ich hatte ihm sogar nicht vorgehalten, dass er mit meinem Lieblingsbuch auf Austin eingeschlagen hatte. Das war alles nebensächlich. Das Wichtigste war, dass ich endlich mit Tyson zusammen war und, dass ich ein neues Leben ohne Komplikationen führen konnte. Seufzend schmiegte ich mich an Tysons Brust. Er war für mich immer da.
Ich war froh ihn bei mir zu haben. Aber ein paar kleine Probleme hatten wir noch. Tysons Problem war Lisa und meins waren Taylor und Sean.
Vor einigen Tagen hatte ich mit den Beiden ein Gespräch geführt. Taylor nahm es gelassen zur Kenntnis, dass ich für ihn nur freundschaftlich etwas empfand. Er konnte es verstehen, denn er kam nach Jahren zurück, da war doch klar, dass da bei einem der Partner die Gefühle anders geworden waren. Aber leider wollte Sean es nicht begreifen, dass ich mich statt für ihn, für Taylor entschieden hatte. Es machte mich verdammt traurig, dass er meine Entscheidung nicht akzeptieren konnte.
Sean ging Tyson und mir aus dem Weg. Er wollte nichts mehr mit uns zu tun haben.
Und Lisa verursachte weitere Probleme. Sie wollte Tyson nicht an mich verlieren. Er hatte ihr schon zwei Mal einen deutlichen Korb gegeben und verständlicher ging es echt nicht mehr, ihn loszulassen. Es musste einfach mal in ihren Kopf gehen, dass er nichts mehr für sie empfand.
Irgendwann würde sie es noch verstehen.
„Ich liebe Dich“, flüsterte ich und malte unsichtbare Kreise auf seine nackte Haut.
„Du bist das Beste, was mir je passiert ist“, erwiderte er und streichelte mir liebevoll über mein Haar.
„Woran denkst du?“
„An die letzten Wochen und Monate“, antwortete ich seufzend. „Sean tut mir so Leid!“
Sofort verkrampfte sich Tyson bei diesem Namen. Schwer vorzustellen, dass die Beiden mal die besten Freunde waren. Diese Freundschaft ging nur wegen mir in die Brüche.
„Er braucht dir nicht Leid tun“, sagte er knapp.
„Warum nicht?“, fragte ich weiter nach.
„Er ist mit Lisa zusammen.“
„Was? Die Ex, des besten Ex-Freundes!“
„Aber mir ist das egal. Hauptsache, ich habe dich“, sagte er aufrichtig und küsste mich leidenschaftlich.
Ich setzte mich auf ihn drauf. Erwartungsvoll hob er eine Augenbraue und sah mich süffisant grinsend an. Langsam senkte ich meinen Kopf und küsste seine nackte Brust.
„Hast du abgeschlossen?“, fragte er nach. „Ich habe keine Lust, wenn deine Mom reinkommt!“
„Sie ist gar nicht Zuhause“, erwiderte ich lächelnd und arbeitete mich weiter nach unten vor.
Ein kurzes Stöhnen entfuhr ihm, was mich grinsen ließ.
Ich liebte ihn, so sehr, dass ich vor Glück platzen könnte.
Doch plötzlich lag ich nicht mehr auf ihm, sondern unter ihm.
Grinsend blickte Tyson mir tief in die Augen. Idiot! Kichernd zog ich ihn zu mir und presste meine Lippen auf seine. Währenddessen öffnete er meinen BH mit einer Hand und ließ ihn achtlos zu Boden gleiten. Meine Hände erkundeten seinen muskulösen Rücken. Ich spürte seine Erregung an meinem Oberschenkel. Wir küssten uns ununterbrochen, auch als er sich mit dem Erkunden meines Oberkörpers begnügte. Dann öffnete er seine Jeanshose und streifte sie sich ab. Genau wie mein BH wurde seine Hose achtlos zu Boden geschmissen. Nach diesen Kleidungsstücken folgten auch die Restlichen, bis wir nackt waren. Ich stöhne verzückt auf, als er sich mit dem Mund an meinen Brüsten zu schaffen machte und ich umschlang seine Hüfte fester mit meinen Beinen. Jetzt erst holt Tyson ein Kondom aus seiner Hose, die auf dem Boden lag, riss das Päckchen auf und streifte sich das Kondom über. Die Packung wurde genauso achtlos auf den Boden geworfen. Er spreizte meine Beine, bevor er in mir eindrang. Meine Hände krallen sich in seinen Nacken und er raubte mir einen atemlosen Kuss. Und wieder gab er mir einen fordernden Kuss, der aber auch sehr leidenschaftlich war. Ich öffnete meine Beine etwas weiter und er rutschte ein Stückchen tiefer. Schließlich schob er sich bis zum Anschlag in mich und ich stöhnte überrascht auf. Er begann sich leicht in mir zu bewegen. Es war ein unglaubliches Gefühl. Ich ließ meine Hände wieder über seinen Rücken wandern und ihm entfuhr auch ein tiefes Stöhnen. Er gab mir noch einen verlangenden Kuss, bevor er sich erschöpft von mir runter rollte. Tyson hatte seinen Kopf in meinem Haar vergraben und seine Arme zogen mich näher zu sich.
Ich breitete eine Decke über uns aus und küsste ihn wieder leidenschaftlich. Seine Zunge spielte wie verrückt mit meiner. Mit einem Seufzer löste ich mich von ihm. Sein Mund wanderte von meinen Lippen zu meinem Hals hinunter. Dort saugte er an meiner dünnen Haut. Das würde wohl ein Knutschfleck werden, den ich nicht verbergen konnte – nicht bei dieser Jahreszeit. Ich schämte mich auch nicht für diesen Knutschfleck, denn er kam von Tyson und ich liebte ihn über alles.
Ich hätte nie gedacht, dass er so zärtlich sein konnte.
Tyson entfernte das Kondom und warf es in meinen Mülleimer. Bevor meine Mom den Müll entsorgen würde, musste ich das Kondom verschwinden lassen.
Es war so ein wunderbares Gefühl in seinen Armen zu liegen. Wirklich so glücklich war ich schon lange nicht mehr – selbst nicht, als ich eine neue Identität angenommen hatte.


Impressum

Tag der Veröffentlichung: 23.05.2010

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch meiner besten Freundin Andrea :D

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