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Es war Nacht. Die Dunkelheit breitete sich aus. Der Vollmond schien am Himmel und tausende von Sternen blickten hinab zur Erde. Ein kühler Wind wehte mir die Haare ins Gesicht. Ich fröstelte, denn ich hatte nur eine Jeans und ein T-Shirt in dieser Sommernacht an. Kein Laut ertönte hier im finstersten Wald von Brooklyn. Um mich zu wärmen, rieb ich mir die Arme und lief immer weiter in den Wald hinein. Ich hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Immer wieder drehte ich mich um, doch da war Niemand. Ich brauchte mir keine Sorgen machen, dass mich jemand beobachtete. Doch da war etwas, ich spürte es einfach. Vielleicht sollte ich umkehren. Es war eine total dumme Idee gewesen, ausgerechnet hier zu suchen, aber irgendwas zog mich hier hin.
Eine Weile lief ich noch weiter in den Wald hinein und blieb stehen. Plötzlich hörte ich ein Knacken hinter mir im Gebüsch. Erschrocken drehte ich mich um. Doch da war nichts. Ein Wolf jaulte in die Nacht hinein und ich rannte so schnell ich konnte. Ich musste hier weg, war mein einziger Gedanke. Hinter mir hörte ich Schritte. Sie versuchten mit mir mit zu halten. Beim Rennen wagte ich kurz über meine Schulter zu gucken und ich erschrak. Oh Gott! Das war unmöglich. So was gab es gar nicht. Ich hatte zu lange auf die roten Augen, die mich verfolgten, gestarrt und stolperte über einen Stein, rollte den Hügel hinunter und blieb eine Weile bewusstlos liegen. Mein Körper schmerzte, als ich versuchte mich aufzusetzen. Verzweifelt rang ich nach Atem. Verwirrt sah ich mich um. Wo war ich hier bloß gelandet? Ich rappelte mich wieder auf und sah mich um und erblickte eine Wiese ohne Bäume. Es gibt also nichts wohinter ich mich verstecken konnte, denn ich ging noch davon aus, dass dieses Monster mit den rot glühenden Augen mich noch verfolgte. Dann räusperte sich jemand hinter mir.
Ich drehte mich um und stand genau dieser Kreatur gegenüber.
Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter.
Er spürte meine Angst, die langsam in mir hoch kroch. Ihm gefiel es.
Langsam und unauffällig versuchte ich einen Schritt nach dem anderen Rückwerts zu gehen. Alles schrie in mir, dass ich hier weg musste. Doch dabei durchfuhr mich ein Schmerz. Mein Knöchel musste verstaucht sein. Auch das noch! Verdammt. Plötzlich erregte etwas, glitzerndes auf dem Boden meine Aufmerksamkeit. Oh, nein! Es war die Kette, die ich von meiner Pflegemutter geerbt hatte.
Diese Kreatur, die wie ein Mann mittleren Alters aussah, sah das Funkeln der Kette auch. Schnell versuchte ich es mir zu schnappen, doch es war zu spät. Er hatte sie sich schon genommen mit einer Schnelligkeit, die unmöglich war.
Ein hämisches Grinsen bildete sich auf seiner Fratze. Er war dunkelhäutig.
Plötzlich zückte er einen Dolch. Ich konnte erkennen, dass dieser mit kostbaren Edelsteinen besetzt war, aber was mir noch auffiel, ich konnte mich nicht wehren. Ich hatte keine Waffe. Er kam näher und versuchte mich zu packen, doch etwas hielt ihn davon ab, mich zu töten.
„Ein Schutzschild! Er hatte mir nicht gesagt, dass ein Schutzschild sie beschützt!“, rief er wütend und schlug immer wieder auf diesen unsichtbaren Schild ein. Jedes Mal zuckte ich zusammen. Ich fragte mich, wer ihn beauftragt hat, mich umzubringen.
Auf einmal hielt er inne und sprach mit einem geheimnisvollen Grinsen im Gesicht: „Ich kannte deine Mutter, deine leibliche Mutter.“ Ich starrte ihn stumm an. „Sie hat dich zur Adoption frei gegeben, weil sie dich nicht wollte!“
„Nein!“, schrie ich ihn an.
Er lächelte. „Nach ihrer Meinung hättest du nie auf die Welt kommen sollen!“
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. Tränen stiegen mir in die Augen und kullerten mir die Wange runter.
„Deine Pflegemutter hat dich nur auf genommen, weil sie ihr eigenes Kind verloren hatte. Niemand wollte dich haben und jetzt ist es immer noch so. Von jedem wirst du nur ausgenutzt. Du bist ein Niemand!“, fuhr er ruhig fort und dann geschah es. Mein Schutzschild war geschwächt. Hämisch grinsend kam er auf mich zu, den Dolch in der Hand. Ich stolperte Rückwerts und fiel auf meinen Allerwertesten. Triumph spiegelte sich in seinen Augen wieder. Er genoss es mich leiden zusehen. Langsam streckte er seinen Arm aus und der Dolche berührte den flackernden Schild und durchbrach ihn. Die Kreatur von Mensch packte mich an meinen Hals und stieß mir die Klinge in den Bauch. Er ließ mich los und ich fiel zu Boden. Blut quoll aus meiner Wunde.
Dieses Mal lachte er laut und zeigte mir noch meine Kette bevor er verschwand.


Kreischend wachte ich mitten in der Nacht auf und fuhr mir mit den Händen durch die Haare. Leise fing ich an zu weinen. Eine Weile blieb ich regungslos so sitzen, bevor ich aufstand. Jede Nacht der Selbe Albtraum, dass muss doch mal langsam ein Ende sein. Mittlerweile habe ich schon Angst ein zu schlafen nur um nicht mehr dies zu träumen. Es fühlte sich so echt an. Ich betrachtete mich im Spiegel. Alles war noch da. Ein Glück. Ich wischte mir die Tränen an meinem T-Shirt ab und ging verschlafen in die Küche.
Ich lebte erst seit ungefähr einer Woche hier in Brooklyn und andauernd passieren mir merkwürdige Sachen. Der Traum, dass ist doch nicht mehr normal.
Mit versteiften Gliedern nahm ich mir eine Wasserflasche aus dem Schrank und trank ein wenig.
In diesem Apartment lebte ich allein. Meine Pflegeeltern sind gestorben, als ich zwölf war, vor ungefähr drei Jahren, seit dem komme ich ganz gut allein zu Recht. Es fiel mir schwer meine Vergangenheit zu vergessen, sie alle zu verlassen um nach Amerika, meinen Geburtsort zu kommen um endlich die Fragen zu beantworten, worauf ich keine Antworten kriege. Wer meine leiblichen Eltern sind? Warum sie mich zur Adoption frei gegeben haben? Wahrscheinlich musste ich mich noch etwas gedulden, denn ich habe sie immer noch nicht ausfindig machen können, als ob sie vom Erdboden verschluckt wären. Mein halbes Leben lang lebte ich in Deutschland, dort hatte ich viele Freunde, aber ich war ein Einzelgänger. Ich liebte die Ruhe. Sie tat mir gut und jetzt gehe ich hier in Brooklyn auf die High School. Sie sind alle dort ganz nett.
Ich stellte das Glas auf den Schrank und ging wieder ins Bett. Die letzten paar Stunden bis zum Morgen konnte ich nicht mehr ein schlafen.


Der Wecker klingelte. Ich warf ein Kissen nach diesem verdammten Ding. Es fiel zu den und hörte immer noch nicht auf. Ich stöhnte verärgert und stand auf und machte ihn aus. Langsam trottete ich in das Badezimmer. Ich sah schrecklich aus. Meine Haare hatten nicht gerade den besten Zustand und unter meinen Augen befanden sich tiefe Augenringe. Heute ist es noch schlimmer als in den letzten Tagen. Ich stellte die Dusche an und ließ das kalte Nass über mich laufen. Es fühlte sich gut an. Jeden Morgen brauchte ich eine kalte Dusche um richtig wach zu werden, denn ich war ein totaler Morgenmuffel.
Fünfzehn Minuten später stellte ich die Dusche ab und machte mich fertig für die Schule. Mein Rucksack war schon gepackt und wartete vorne auf mich vor der Haustür. Schnell schnappte ich mir ein Toastbrot und aß es auf den Weg zur Schule. Ich hatte es nicht weit zur Schule. In der ersten Stunde hatte ich Sport. Morgens Sport, wie ich das hasste. Gerade rechtzeitig kam ich bei der Schule an, denn meine beste Freundin Naomi war noch nicht da. Dann konnte ich wenigstens noch ein paar Minuten für mich selbst bleiben.
Ich lief zu meinem Schließfach und packte meinen Rucksack da rein und nahm die Sportsachen raus. Seufzend ging ich zur Turnhalle. Dort stand Naomi mit ein paar ihrer Freundinnen zusammen. Sie lachten laut und quatschten über alles Mögliche. Dann war die Ruhe jetzt schon vorbei.
„Sa-a-a-a-a-a-a-a-a-a-am!“, rief meine beste Freundin laut stark und kam auf mich zu gerannt. Sie umarmte mich heftig.
„Du erdrückst mich!“, sagte ich zu ihr und versuchte mich aus ihrer Umarmung zu befreien.
„Sorry! Weißt du was? Ich bin mit Brandon zusammen!“, kreischte sie mir zu. Ich ging ein bisschen auf Abstand, wenn ich nicht wollte, dass mein Trommelfell platzte.
Ich lächelte sie an. „Seit wann denn?“
„Gestern. Du brauchst aber auch noch jemanden, dann siehst du wieder etwas glücklicher aus. Was ist los? Schlecht geschlafen?“
„Ich brauche keinen Freund und ja, ich habe wieder schlecht geschlafen!“, sagte ich etwas zu barsch, obwohl ich es nicht beabsichtigte.
Sie sah mich besorgt an und nahm mich tröstend in den Arm. Ich hatte Niemanden von dem Traum erzählt, sie würden mich wahrscheinlich für paranoid halten. Sie erstarrte und drehte sich um. Ihre Miene erhellte sich. Brandon kam gerade mit Shane, dem süßesten Jungen der ganzen Schule, aber das würde ich nie zu geben und Justin zur Turnhalle. Sie sprang in seine Arme und dann küssten sie sich leidenschaftlich.
Ich lehnte mich an die Wand und schloss die Augen. Mein Kopf drohte vor Kopfschmerzen zu explodieren. Ich bemerkte dass Mr. Ray kam.
Wir zogen uns in den Umkleiden um. Danach betraten Naomi und ich die Sporthalle und setzten uns auf die Bänke. Nach uns kamen auch ein paar Jungs, darunter auch Shane. Sie setzten sich gegenüber von uns. Brandon war nicht unter ihnen. Die ganze Zeit über starrte ich auf den Boden. Plötzlich stieß mich Naomi mit ihrem Ellenbogen in die Rippen. „Au!“, flüsterte ich leise.
Entschuldigend sah sie mich an und flüsterte: „Rate mal, wer dich die ganze Zeit über schon anstarrt.“
Langsam füllte sich die Sporthalle mit den Schülern.
Kurz fing ich an zu lachen und fragte spöttisch: „Wer sollte mich schon angucken?!“
Sie war nicht gerade erfreut über meinen kleinen und zu kurzen Lachanfall.
Mit ihrem Kopf zeigte sie in die Richtung von Shane. Shane! Mein Herz fing wie wild an zu hämmern. Unsere Blicke trafen sich. Verlegen sah ich schnell auf den Boden. Er hat die wunderschönsten Augen, die ich je gesehen hatte. Ein helles, sehr klares Blau und dazu blond-goldene Haare, so sah es jedenfalls aus, wenn das Licht seine Haare trafen. Er war muskulös, stark und groß gebaut. Shane müsste so über die 1.80 Meter groß sein, dass sind mindestens zwei Köpfe, die ich kleiner bin. Was ich in der einen Woche über Shane erfahren hatte, seit dem ich an dieser Schule war, war das meiste eigentlich nicht sehr gut. Er war noch nie mit einem Mädchen von dieser Schule ausgegangen. Die meisten waren schon etwas beleidigt und ihr Stolz war gekränkt, dass Niemand gut genug für ihn war. Er sollte arrogant und herzlos sein. Shane hatte bestimmt auch gute Seiten, hoffte ich zumindest. Eine Weile grübelte ich noch darüber nach. Eine gute Sache hatte es, er hatte mich indirekt abgelenkt von dieser schlechten Nacht. Ich schüttelte leicht meinen Kopf. Meine Haare fielen ins Gesicht. Mit einer Handbewegung strich ich sie mir aus dem Gesicht und sah, dass er mich immer noch beobachtete. Schüchtern lächelte ich ihm zu und er – er erwiderte es. Mein Herz machte einen Freudentanz.
Naomi hatte es natürlich auch mit bekommen, dass er mich anlächelte und lachte innerlich.
Dann fing der Unterricht an. Basketball stand für heute an.
Zum Anfang sollten wir uns mit dem Körbe werfen aufwärmen.
Vor mir stand Naomi und versuchte grade einen zu treffen, doch er ging daneben. Frustriert schimpfte sie. Bestimmt würde ich es auch nicht schaffen.
Ich versuchte die Körperhaltung unseres Sportlehrers nach zu ahmen und konzentrierte mich. Aber irgendwie konnte ich mich nicht richtig konzentrieren, denn ich spürte einen warmen Atemzug an meinem Nacken und plötzlich hörte ich eine raue, warme und sehr sanfte Stimme an meinem Ohr: „Du hältst den Ball falsch. Warte ich zeige es dir.“
Ich drehte mich zu dieser Stimme um und es war Shane. Er roch atemberaubend gut. Nach Wald. Ich stand mit dem Rücken zu ihm. Von Hinten legte er meine Hände auf die richtige Stelle des Balles.
Ich spürte, dass wir alle Blicke auf uns gezogen hatten.
Er sagte, dass ich noch kurz in die Hocke gehen solle und somit Schwung für den Wurf bekommen würde. Ich machte alles was er sagte und der Ball traf direkt ins Schwarze. Ich freute mich und er umarmte mich. „Danke“, flüsterte ich schüchtern und lief vor Scham rot an, dann ließ ich ihn los und verschwand in der Umkleide. Er sah mir verwirrt nach. In der Umkleide lehnte ich mich an die Wand und rutschte hinunter auf den Boden. Diese Umarmung erinnerte mich so sehr an meinen Pflegevater. Er war auch so gebaut wie Shane. Sanft klopfte es an der Tür. Wieso klopfte jemand? Die Mädchen brauchten doch nicht klopfen, sie konnten hier einfach rein stürmen, schließlich war es doch eine Umkleide für Mädchen. Ich stand auf, ging zu meiner Tasche und holte eine Wasserflasche raus. Nach ein paar Sekunden hörte ich Schritte hinter mir und jemand legte seine Arme um meine Taille. „Habe ich irgendwas Falsches getan?“, fragte Shane besorgt. Langsam schüttelte ich den Kopf. Ich konnte mich einfach nicht um drehen, denn wenn ich es tun würde, dann wären wir uns so nah, dass wir uns fast küssen würden. „Es ist nur… die Umarmung von eben, sie hatte Erinnerungen wach gerufen!“, sagte ich beklommen und schluckte.
Wir verharrten noch eine Weile in dieser Position, doch dann drehte er mich um, so dass meine Hände auf seinen muskulösen Brustkorb lagen für den Fall, dass ich ihn wegschieben musste oder wollte. Es war still. Wir konnten unseren unregelmäßigen Atemzug hören. Er blickte mich an. Und dann lagen auf einmal seinen weichen Lippen auf meinen. Er schmeckte süß nach Äpfeln. Ich erwiderte seinen Kuss zögernd. Anfangs war es noch ein schüchterner Kuss und dann wurde er leidenschaftlicher und fordernder, aber trotzdem sanft, was unvorstellbar war, dass so ein groß gebauter Typ überhaupt sanft sein konnte, als ob ich zerbrechlich wäre. Seine starken Hände lagen auf meinem Rücken. Wir lösten uns von einander. Er strich mir ein paar Haarsträhnen hinter mein Ohr. Schüchtern lächelte ich ihn an und sagte leise: „Wir sollten wieder in die Halle gehen.“
Er nickte benommen und führte mich aus der Umkleide raus, dabei hielt er meine Hand. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit dem heißesten Typen zusammen kommen würde. Waren wir jetzt eigentlich zusammen? Schließlich war das nur ein Kuss oder bildete ich mir das nur ein?
Ein ungutes Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Diese Liebe müsste einige schwere Situationen überwinden, wenn wir zusammen wären. Irgendwie dachte ich, dass wenn etwas passieren würde, dass ich ihn verletzen oder irgendwo mit rein ziehen würde, dass es nicht gut war. Vielleicht hätte diese Liebe keine Chance. Schließlich hatte ich nicht wirklich gelernt zu lieben und dann der Traum. Langsam konnte ich schon die Realität nicht mehr unterscheiden.
Ich machte mir einfach zu viele Gedanken.
Unauffällig schlüpften wir durch die Tür, die zur Halle führte und mischten uns unter die anderen.
Naomi zog mich von den anderen weg und flüsterte gespannt: „Shane und du?! Läuft da was?“
Strahlend lächelte ich sie an: „Vielleicht.“
„Was heißt hier vielleicht? Los schnapp ihn dir!“, sagte sie kichernd und wurde dann wieder ernst. „Hauptsache du bist einmal in deinem Leben glücklich. Ich glaube das tut dir auch mal ganz gut. Du hast es verdient. Seit dem ich dich kenne, verbirgst du Schmerz und Trauer, aber man konnte es in deinen Augen sehen und jetzt, jetzt funkeln sie voller Glück und Liebe. Ich möchte nicht, dass du wieder unglücklich bist!“
„Danke, Naomi!“
Sie summte und konzentrierte sich wieder auf unseren Lehrer, der grade den Jungs wieder eine Predig hielt, weil sie mal wieder Mist gebaut hatten, soweit ich es mit bekommen hatte.
Ich würde das erste Mädchen sein mit dem Shane von dieser Schule gehen würde. Normalerweise müsste ich doch stolz darauf sein. Was war los mit mir? Meine Gefühle spielten völlig verrückt. Der Traum, er war so real. Er würde sicher was mit meinem Leben zu tun haben. Oh, Gott. Mein Leben war so kompliziert geworden. Vielleicht hat Naomi auch Recht, etwas Glück könnte ich schon gebrauchen.
Plötzlich riss mich jemand aus meinen Gedanken. Naomi! Wer sonst?
„Hast du heute Abend Zeit?“, fragte sie mich neugierig.
Entschuldigend sah ich sie an: „Sorry, aber heute muss ich arbeiten. Abends wieder.“
Meine Arbeitszeiten sind bescheuert. Von 18-22 Uhr musste ich jeden Abend in dem kleinen und einzigen Restaurant in Brooklyn arbeiten. Und wenn es schließt, musste ich noch bei den Aufräumarbeiten helfen und meistens sollte ich dies alleine tun, weil alle abhauten. Die denken, dass es ja die Neue machen konnte. Es gefiel mir nicht dort zu arbeiten, aber was sollte man machen, um irgendwie an Geld ranzukommen. Mein Chef war ekelerregend mit seinem ständigen sabbernden Mund, wenn er mich ansah. Die Vorstellung daran ließ mich würgen.
„Mist. Brandon hat keine Zeit. Montags ist sein Football Abend mit den Jungs. Schade, ich dachte wir könnten einen witzigen Mädels Abend zusammen verbringen mit DVDs und über Jungs quatschen“, sagte sie traurig.
„Ich würde auch viel lieber mit dir den Abend verbringen, als mit meinem Chef wie der mich immer anschmachtet. Er ist so pervers und hat einen Bierbauch.“
„Wieso arbeitest du nicht woanders?“, schlug Naomi vor und lächelte Brandon verliebt an.
„Das geht nicht. In seinem Restaurant verdiene ich richtig gut.“
Sie zuckte mit den Achseln und beachtete mich nicht mehr, sondern kontaktierte mit Brandon. Gespielt verdrehte ich die Augen. Man musste sie immer bei Laune halten.
Aber Naomi hatte mir damals vorgeschlagen bei ihr und ihren Eltern einzuziehen, doch ich hatte dankbar abgelehnt. Ich wollte mich ihnen nicht aufzwingen, denn Naomi hatte noch drei weitere Geschwister. Es waren Brüder und die waren von dem was ich wusste, schwer zu bändigen und das wollte ich ihren Eltern nicht auch noch antun, eine weitere Person zu pflegen.
Von ihren Eltern bekam ich auch regelmäßig Geld auf mein Konto überwiesen. Damals hatte ich das auch abgelehnt, aber sie bestanden darauf und dann hatte ich einfach zugesagt. Da meine Pflegeeltern verstorben sind, hatten sie mir ein ziemliches Vermögen hinterlassen, da ich die einzige war, denen sie was hinterließen.
Ich liebte sie überalles, mehr als meine leiblichen Eltern.
Die Sportstunde verging sehr schnell und die darauf folgende Stunde auch.
Dann stand die Mittagspause an. In der Cafeteria holte ich mir nur ein belegtes Käsebrötchen. Die anderen guckten mich schon sorgenvoll an, warum ich nicht mehr aß.
„Machst du eine Diät?“, fragte mich Lauren besorgt.
Verlegen schüttelte ich den Kopf und verneinte.
Sie zuckte mit den Schultern und fragte: „Was ging da ab mit Shane?!“
Das war es also, warum sie mich angesprochen hatte. Eigentlich hatte ich mit ihr nie richtig einen Wortwechsel geführt. Liebte sie ihn und war auf mich Eifersüchtig, weil wir uns geküsst hatten? Jeder in der Schule wusste Bescheid, dass zwischen ihm und mir was gelaufen war in der Sportstunde. Das hatte sich mal wieder sehr schnell rum gesprochen. Seufzend brachte ich mein Tablett weg und sagte dann: „Ich weiß nicht!“
Sie schien über meine Antwort nicht gerade erfreut zu sein, sie hatte sich mehr Informationen erhofft. Etwas lag in ihrem Blick, dass ich nicht deuten konnte. Lauren war wirklich Eifersüchtig.
Naomi gesellte sich zu uns an den Tisch und strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
„Ist irgendwas passiert?“, hakte ich bei ihr nach.
Sie nickte überglücklich und hielt mir ihren rechten Arm hin. An ihrem Handgelenk befand sich ein Silberkettchen mit den Initialen: B+N Ich liebe dich!
„Wow! Es ist wunderschön!“, erwiderte ich darauf.
Meine Freundin fing darauf noch mehr zu strahlen und fing an ihre langen blonden Haare zu einem Zopf zu flechten.
Plötzlich schrie sie. Erschrocken starrte ich sie an und Brandon hielt ihr die Augen von hinten zu. Sie befreite sich von seinem Griff und küsste ihn eine Weile. Sie waren echt ein schönes Paar. Sofort wanderten meine Augen durch die Cafeteria um Shane zu suchen, doch er war nirgends zu sehen.
Merkwürdig! Sonst vertreibt er sich die Zeit immer mit Brandon und Justin.
Nachdenklich stand ich auf und verschwand in den Fluren. Die anderen sahen mir besorgt nach.


Ich ging nach Draußen auf den hinteren Schulhof, weil ich schon alles nach ihm abgesucht hatte und ich fand Shane nirgends. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Langsam blickte ich über meine Schulter, weil ich ein Gefühl hatte, dass mir jemand folgte. Schnell vertrieb ich den Gedanken aus meinem Kopf. Wer sollte mir schon folgen? Oh Nein! Der Typ aus meinem Traum. Ich werde noch verrückt. Es war nur ein Traum. Alle negativen Gedanken verbannte ich aus meinem Kopf. Plötzlich hörte ich Kampfgeschrei. Mein Lauf wurde schneller und als ich dann um die Ecke rannte, sah ich wie Shane sich mit Jemandem prügelte.
„Shane!“, schrie ich. „Hör auf!“
Shane verprügelte einen aus der oberen Stufe. Sein Name müsste Dustin sein, wenn ich mich nicht täuschte. Naomi hatte mir erzählt, dass die beiden Mal die aller besten Freunde waren, aber dadurch dass Shane sitzen geblieben war, meinen beide, dass sie sich verändert hatten. Shane sah mich einen kurzen Moment an, als ich ihn rief, dass er auf hören sollte. Diesen Moment nutzte dieser Dustin aus und rammte sein Knie in den Bauch von Shane. Dieser krümmte sich darauf hin und rang verzweifelt nach Atem, aber in dem Moment als er mich angesehen hatte, sah ich ein paar schlimme Wunden. Immer wieder schrie ich, dass sie auf hören sollten und dann sprang ich da zwischen und verpasste beiden eine Ohrfeige. „Verdammt! Hört auf euch so kindisch zu benehmen!“, sagte ich zu ihnen und funkelte die beiden böse an.
Dustin sah mich verdutzt an und schrie: „Du blödes Miststück. Halt dich da raus!“
„Hey! Hör auf meine Freundin anzuschreien!“, rief er Dustin hinter her.
Shane hatte mich „meine Freundin“ genannt! Mein Herz klopfte so laut, dass ich schon dachte, Shane könnte es hören. Doch dieser war mit etwas anderem beschäftigt. Er krümmte sich zusammen. Ich legte einen Arm um ihn und brachte ihn zu der Bank die einige Meter weiter weg stand. Mühsam setzte er sich hin und versuchte sich zu entspannen. Er stöhnte vor Schmerz.
„Wieso hast du dich geprügelt?“, fragte ich ihn besorgt und begutachtete seine Wunden.
Shane mied meinen Blick und blieb stumm.
„Na gut, wenn du nicht mit mir reden willst, dann gehe ich jetzt!“, sagte ich traurig und stand auf umzugehen, doch er hielt mich am Arm fest.
„Bleib“, flehte er.
Angespannt setzte ich mich neben ihn auf die Bank. Shane hielt immer noch meine Hand fest. Es schien so, als ob er sie nicht mehr los lassen wollte.
Die ganze Zeit über schwiegen wir. Verlegen sah ich zu Boden. Dieser Dustin hatte mich Miststück genannt. Wie konnte er es wagen?!
Shane und er mussten einen sehr heftigen Streit haben.
Plötzlich berührten mich kalte Finger an meinem Kinn und schoben mein Gesicht in seine Richtung, damit ich ihn an sehen konnte. Vorsichtig und zärtlich strich er mir über meine Wange. Erschöpft lehnte er seine Stirn an meine. Sein Atem erwärmte mein Gesicht. Wir sahen uns ein paar Minuten an und dann drückte er seine Lippen auf meine. Ich erwiderte seinen Kuss. Meine Hände fuhren durch seine Haare, danach legte ich sie auf seinen muskulösen Oberkörper und spürte seinen Herz vor Aufregung rasen. Unter seinem T-Shirt zeichneten sich seine Muskeln ab. Er streichelte sanft meinen nackten Rücken unter meinem Pulli. Er löste sich von mir und schwieg wieder.
Schüchtern streichelte ich seinen Arm und fragte: „Shane… ich…“, versuchte ich anzufangen und er unterbrach mich einfach.
„Pass auf dich auf! Halte dich besonders von ihm fern, denn Dustin kennt jetzt meine Schwäche.“
Verwirrt blickte ich ihn an und wollte grade den Mund auf machen umzufragen, da sagte er: „Keine Fragen. Ich will dich da nicht mit hin einziehen! Du bist mir wichtig.“
Als ich dieses hörte, wurde ich leicht rot. Ich bin ihm Wichtig! Liebevoll lächelte ich ihn an. „Du solltest wenigstens zur Schulkrankenschwester!“, forderte ich ihn auf.
Er schüttelte den Kopf. „Ich fahr jetzt nach Hause.“
„Soll ich dich begleiten? In diesem Zustand kannst du nicht fahren!“
„Und du erst Recht nicht. Du bist 15 Jahre alt und ich bin 17. Das kriege ich schon noch hin“, sagte er sarkastisch und stand mühelos auf, als sei nichts passiert.
Er verabschiedete sich mit einem Kuss von mir und brauste davon.
Verwirrt sah ich ihm nach.
Während wir die ganze Zeit schweigend auf der Bank gesessen hatten, hatte ich die dritte Stunde verpasst. In der vierten Stunde hatte ich Biologie bei Miss Johnson. Ich sagte ihr, dass ich Kopfschmerzen hätte und an der frischen Luft war, was teilweise stimmte. Meine Bio-Lehrerin glaubte es mir sogar, da ich eine recht gute Schülerin war und da vertrauten die Lehrer einen.
Ich setzte mich auf den freien Platz neben Naomi.
Sie hatte gemerkt, dass etwas nicht stimmte und nach der Stunde erklärte ich es ihr. Meine beste Freundin erzählte dieses Brandon und dieser schien darüber nicht gerade erfreut zu sein und sagte finster: „Haltet euch von diesem Dustin fern, verstanden?!“
Naomi und ich nickten nur noch verständnislos, warum auch er so auf ihn reagierte. Er musste was wissen, aber was?
Die letzten beiden Stunden verliefen wie im Schneckentempo. Den Lehrern fiel es nicht auf, dass Shane fehlte, wahrscheinlich weil er zu oft fehlte, da kümmerten sich die Lehrer natürlich nicht mehr drum.
Nach der Schule ging ich wieder zu Fuß zu meinem Apartment.
Und wieder hatte ich dieses beklemmende Gefühl, dass mir jemand folgte.


Um 18 Uhr fing meine Schicht im Restaurant an. Ich kam 5 Minuten zu spät, da ich noch mit Naomi telefoniert hatte und diese konnte einfach nicht aufhören zu reden. Zum Glück bemerkte es mein Chef nicht. Schnell zog ich mich um und fing an die Leute zu bedienen. Ich blickte in die Runde und auch heute Abend war wieder unser Stammgast da, der immer hier her kam, wenn meine Schicht anfing. Einmal hatte ich mich sogar gefragt, ob er ein Stalker war, was eigentlich nicht sein konnte, weil ich erst seit ein paar Tagen hier arbeitete. Es war aber schon irgendwie merkwürdig, dass der Mann immer wieder zur selben Zeit hier ins Restaurant kam und ging, wenn ich ihm sagen musste, dass wir schließen. Jedes Mal drückte er mir ein Haufen Trinkgeld in die Hand. Erst versuchte ich ihm das Geld zurück zu geben, da es einfach zu viel war, denn er kannte mich ja noch nicht einmal. Dieser Gast war wirklich sehr seltsam. Er müsste so um die 40 Jahre sein, aber für sein Alter sah er eigentlich noch ganz gut aus. Blonde Haare mit einem zu perfekten Gesicht und einen durchtrainierten Körper. Dieser Mann hatte beim Chef auch noch dafür gesorgt, dass immer nur ich ihn bedienen sollte und Niemand anderes. Ich lief auf ihn zu und stellte mein gekünsteltes Lächeln ins Gesicht. „Was kann ich heute Abend für Sie bringen, Sir?“, fragte ich freundlich.
Er erwiderte mein künstliches Lächeln freundlich. „Lasagne, wäre nett mit einem Glas Cola.“
„Kommt sofort.“ Ich schrieb die Bestellung auf und gab sie in der Küche ab.
In der Zwischenzeit bediente ich weitere Leute. Die Lasagne war sehr schnell fertig und roch sehr lecker. Leise fing mein Magen anzuknurren. Auch das noch!
Ich stellte den Teller mit dem Essen vor ihm ab und daneben das Glas Cola. Gerade wollte ich gehen, da hielt der Mann einfach meinen Arm fest und sprach freundlich: „Setzen sie sich doch zu mir. Ich habe einige Fragen an Sie.“
Verwirrt blieb ich stehen und antwortete darauf: „Es tut mir Leid, Sir, aber ich muss wieder an die Arbeit!“
Dieser Mann hatte mich noch nie direkt angesprochen. Er war unheimlich.
„Nun gut“, sagte er enttäuscht. Ich drehte mich um und war nicht weit gekommen, da rief er: „Sie sehen ihrer Mutter sehr ähnlich!“
Stock steif blieb ich stehen. „Woher kennen sie meine leibliche Mutter?“
„Ich war mit ihr befreundet und verheiratet, Samantha.“
„Woher kennen sie meinen Namen?“
„Ich bin dein Vater!“ Als ich diese Worte hörte, fiel mir mein Tablett aus der Hand.
Steif sagte ich mit einer monotonen Stimme und mit dem Rücken zu ihm gewandt: „Sir, sie verwechseln mich mit jemand anderem, den sie kennen!“
Ich ließ diesen verrückten Mann an seinem Tisch alleine zurück, hob mein herunter gefallenes Tablett auf und ging zu den anderen Tischen um weitere Bestellungen aufzunehmen.
Er saß immer noch da und beobachtete mich. Seine Blicke spürte ich in meinem Rücken. Sie bohrten sich formlos hinein. Diese Blicke, ich konnte sie einfach nicht mehr haben. Nach einer Weile sprach ich mit Marika, und sie übernahm zum Glück die Bedienung dieses unheimlichen Mannes.
Niemals würde er mein Vater sein. Es bestand ja nicht Mals eine Ähnlichkeit zwischen ihm und mir. Wieso zerreiße ich mir den Kopf darüber? Abhacken und in die Akte vergessen einordnen.
In der Pause meiner Arbeitsschicht verbrachte ich die ganze Zeit in der Küche.
In der Zeit die ich hier schon arbeite, habe ich auch eine Menge Freunde gefunden. Jared ist einer davon, sowie Marika, aber Jared ist ganz in Ordnung. Er hilft dem Chefkoch. Da meine Schichten immer in den Abend verlegt worden waren, brachte er mich immer nach Hause. Wer weiß, was passieren würde, wenn ich ganz alleine im Dunkeln nach Hause laufen würde? Dies wollte ich erst gar nicht wissen. Es war schon so oft vor gekommen, dass plötzlich junge Mädchen mitten in der Nacht spurlos verschwunden waren. Und ich wohne auch noch alleine in meinem Apartment.
Jared hatte auch Pause und gesellte sich zu mir. Gut gelaunt lächelte er mich an, was ich von mir nicht gerade behaupten konnte. Irgendwie spürte er diese negative Anspannung und fragte besorgt: „Hey! Was ist los? Ich sehe kein Funken Fröhlichkeit in deinen Augen!“
Ich schüttelte nur den Kopf. Er war bei jeder trotz so kleinen und negativen Problemen immer entspannt und fröhlich. Seine Stimmung wechselte sich nie bei ihm. Glaubte ich zumindest, jedenfalls hatte ich ihn noch nicht wütend erlebt.
„Zu kompliziert!“, antwortete ich einfach nur. Zwar beantwortete ich seine Frage nicht direkt, aber er hielt den Mund und hakte nicht weiter nach. Diese Eigenschaft beneidete ich auch an ihm. Ich platzte immer vor Neugier, wenn man mir was verheimlichte und er… er war gelassen.
„Ach, ich wollte dir schnell noch sagen, dass ich dich heute Abend nicht nach Hause begleiten kann. Nach meiner Schicht habe ich… noch ein Date!“
„Oh. Ok. Mich wird schon Niemand überfallen“, versuchte ich ihm zu versichern.
Er lächelte mit einem Hauch von Traurigkeit und ging wieder an seine Arbeit.
Ich hörte ihn herum albern. Meistens kann er einen richtig nerven, aber er ist wirklich ein toller Freund.


Punkt 22 Uhr Abend schlossen Marika und ich das Restaurant. Jared durfte eher gehen, wegen seinem Date. Ich wusste nicht, wie er es geschafft hatte unseren Chef zu überreden, damit er eher gehen konnte. Eigentlich sah Jared ganz gut aus. Er war vielleicht ein Jahr älter als ich, hatte braune, mittellange Haare, einen guten Körperbau, sah eigentlich recht gut aus.
„Samantha! Steh da nicht dumm rum. Hilf mir lieber!“, sagte Marika lachend und holte mich aus meinen Gedanken.
Gemeinsam stellten wir alle Stühle auf die Tische.
„Ist dir eigentlich schon Mal aufgefallen, das dich Jared gern hat?“, fragte mich Marika neugierig und räumte grad noch einen vollen Tisch ab, den wir vergessen hatten.
Kurz lächelte ich sie an. „Wie kommst du denn darauf? Jared und ich sind nur Freunde.“
„Hast du nie bemerkt, wie er dich immer anschaut? In den Pausen oder wenn du die Kunden bedienst? Verdammt Sam. Er hat sich in dich verliebt!“
Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Das kann nicht sein. Und außerdem hat er ja ein Date.“
Vorwurfsvoll blickte sich mich an. „Das ist jetzt nicht dein Ernst. Er hat dieses Date doch nur, um dich eifersüchtig zu machen!“
Jetzt fing ich laut an zu lachen. „Jared ist echt ein ganz netter Typ, aber es gibt jemand anderen in meinem Leben!“
Marika wurde noch neugieriger als sie war. „Darf ich fragen, wer denn der Glückliche ist?“
Schon wieder lief ich rot an und stammelte: „Er heißt Shane.“
„Shane, der aus deinem Jahrgang? Oh Gott, Sam. Er ist seltsam. Ich gebe dir Mal einen Rat und du solltest dir ihn echt zu Herzen nehmen! Shane ist gefährlich, Halte dich von ihm fern“, sagte sie wütend und ging in die hinteren Räume und ließ mich einfach verdutzt stehen.
Shane war gefährlich? Das konnte ich mir nicht vorstellen. Er war so lieb zu mir und die Gerüchte er sei herzlos, dass stimmte überhaupt nicht. Ich mochte ihn total gerne. Vielleicht hatte Marika recht, selbst meine Gefühle sagten mir, dass es wahrscheinlich keine Chance für diese Liebe geben würde.
Seufzend ging ich zu meinem Spint und zog meine Sachen an, damit ich gehen konnte. Die Kleidung, die ich immer im Restaurant trug, stopfte ich dort rein.
Marika wartete schon vorne am Eingang auf mich.
Seit eben, hatten wir kein Wort mehr mit einander geredet.
In den nächsten paar Tagen werde ich Jared beobachten und entscheiden, ob meine Freundin recht hatte, dass er in mich verliebt sei.
Sie drehte das Schild „offen“ nach „geschlossen“ um, dann verließen wir das Restaurant und Marika schloss ab.
Wir verabschiedeten uns dort vorm Eingang und jeder ging in die entgegengesetzte Richtung.
Heute Nacht war es erstaunlich kalt für die Jahreszeit Sommer.
Fröstelnd zog ich mir die Jacke tiefer ins Gesicht.
Vom Restaurant bis zu meinem Apartment musste ich eine gewaltige Strecke hinter mir bringen. In der Zeit dachte ich über Jared nach.
In der letzten Zeit war ich häufig niedergeschlagen und habe darauf nicht geachtet. Ich musste ihm unbedingt verdeutlichen, dass ich nur Freundschaft für ihn empfand. Das würde schwer werden. Sowas war mir noch nie leicht gefallen und meine Schüchternheit machte mir einen Strich durch die Rechnung.
Die Hälfte der Strecke hatte ich schon hinter mir gebracht und jetzt erst viel mir der ganze Nebel auf. Nebel im Sommer? Seltsam. Hier war was faul. Es wurde auch immer kälter. Wenn ich ausatmete konnte man dies sehen.
Misstrauisch sah ich mich um. Es war alles ruhig, zu ruhig.
Plötzlich hörte ich Schritte von über all herkommen.
Angst spiegelte sich in meinen Augen wieder und dann hörte ich genau die Stimme aus meinem Traum. Verzweifelt rang ich nach Atem. Das konnte nicht wahr sein.
„Nachts sollte man nicht alleine auf den Straßen rum laufen.“ Im dichten Nebel erschienen ein paar dutzende rote Augen.
Verwirrt drehte ich mich um die eigene Achse.
„Wer bist du und was willst du von mir?“, fragte ich verzweifelt in die Nacht hinein.
Diese Kreatur aus meinem Traum lachte hämisch. „Süße, ich will deinen Tod.“
„Warum?“
„Warum?!“, wieder lachte er. „Dein Vater will deine magischen Kräfte haben und um diese zu bekommen, hat er mich geschickt um dir den Tod zu bringen, Kleines!“
Vor Angst weiteten sich meine Augen. Ich rang nach Atem. Er war diese Person, die mich ständig verfolgte, die mich spüren ließ, dass da jemand war, obwohl man Niemanden sehen konnte. Den passenden Moment hatte er abgewartet, damit ich alleine und schutzlos war.
Ich sah mich nach allen Seiten um, doch ich konnte durch den dichten Nebel nichts mehr erkennen und fing einfach an in irgendeine Richtung zu rennen. Hinter mir hörte ich immer wieder wie er anfing zu lachen. Er liebte es eine Person kurz bevor sie durch seine Hand stirbt zu jagen.
Panik breitete sich in mir aus. Der Nebel wurde immer dichter und dichter bis ich stehen bleiben musste, weil ich gar nichts mehr sehen konnte.
„Och schade. Das wurde gerade etwas lustig.“ Spott hörte man in seiner Stimme.
Tränen stiegen mir in die Augen. Gleich war mein Ende. Wahrscheinlich war es jetzt das letzte Mal, dass ich die Welt gesehen hatte, aber nicht im Sonnenlicht.
Was wohl aus mir passieren würde, wenn ich sterbe?
„Das ist dein Ende!!“, rief er und ein Feuerstrahl schoss aus seinen Händen, der direkt auf mich zu kam.
Ich schrie und legte schützend die Arme vor mich, doch dieser Strahl hatte mich nicht getroffen, obwohl er es müsste.
Verwirrt sah ich auf und Shane stand vor mir. Irgendetwas lag auf seinem Rücken und schützte uns vor diesem brutalen Feuerstrahl.
Ich konnte in seinem Gesicht ablesen, dass er dies nicht länger aushalten würde. Die Kraft des Strahls war unermesslich.
„Shane! Was machst du hier?“, schrie ich ihn weinend an, denn ich wollte nicht, dass er wegen mir vielleicht heute stirbt.
„Dich beschützen, dass sieht man doch!“, selbst kurz vor dem Tod konnte er es einfach nicht lassen. „Los, verschwinde von hier. Lange kann ich es nicht auf halten.“
Ich schluckte. Er war echt unglaublich, dass er sowas für mich riskiert.
„Ich gehe nicht ohne Dich!“
„Verschwinde! Nun mach schon!“
„Nein! Wir stehen das Gemeinsam durch.“
Kopfschüttelnd sah er mich wütend an.
Dann nahm ich Shane in die Arme. Plötzlich fing ich an zu schweben. Meine Füße berührten den Boden nicht mehr. Die Panik in mir wurde immer größer.
Langsam blickte ich auf und sah das Shane mich in eine Gasse gebracht hat und mich hinter seinen Rücken schob.
„Wie schön. Junge Liebe“, sagte wieder diese Stimme mit den rot glühenden Augen und klatschte dabei. Das war jetzt das erste Mal, dass er aus dem Nebel trat. Er sah genauso aus wie in meinem Traum. Erschrocken zog ich die Luft ein und krallte meine Finger in den Arm von Shane. Dieser schien es nichts aus zu machen. Kurz blickte ich über seine Schulter, dabei musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen um überhaupt etwas sehen zu können. Diese Kreatur schwebte über dem Boden und Shane hatte ein Schwert gezückt, wann hat er denn das gemacht?
„Bleib hinter mir!“, zischte Shane zu mir, aber ich gehorchte ihm nicht und versuchte weiter über seine Schultern zu gucken, was ziemlich schwierig war.
„Shane!“, schrie ich, denn aus dem Nebel traten weitere schreckliche Kreaturen raus. Er sah es und drückte mich weiter nach hinten.
Oh Gott, wir werden sterben. Als ob diesen Gedanken Shane gehörte hätte, drückte er mir mitfühlend die Hand.
Ein qualmender Geruch stieg mir auf einmal in die Nase. Seine Jacke stank verkohlt, sowie sie auch aussah.
Er hatte auch noch seine Lieblingsjacke für mich geopfert. Ich stand tief in seiner Schuld.
Woher wusste er eigentlich, wo ich war? Er hatte doch diesen Footballabend mit den Jungs? Seltsam!
„Was wollt ihr von ihr?“, fragte Shane angespannt. Jeder Faser seines Körpers war angespannt.
„Du solltest dich lieber daraus halten!“, antwortete die Kreatur, die eigentlich wie ein ganz normaler Mann aussah.
„Ihr habt mir meine Frage nicht beantwortet, dass ist ziemlich unhöflich!“, sagte Shane spöttisch, aber auch zugleich etwas wütend.
„Wächter, dass müsstest du doch längst wissen! An ihr sind doch nur ihre Kräfte einzigartig!“
Wächter? Shane war ein Wächter? Was sollte das denn sein? Bin ich jetzt verrückt geworden?!
Ein ganz großes Fragezeichen bildete sich auf meinem Gesicht, dies entging auch dem unheimlichen Mann nicht.
Da lachte er und antworte belustigt: „Du hast es deinem kleinem Schatz anscheinend noch nicht gesagt?! Die Liebe zwischen einem Wächter und seinem Schützling ist verboten, dass ist dir doch bewusst oder?“
Shane nickte abwesend.
Ich verstand gar nichts mehr. Wenn wir das ganze hier überleben sollten, dann werde ich ihm dieses Mal Fragen stellen, bis er tot umfällt!
Und dann plötzlich griffen diese Monster uns an. Erschrocken trat ich zurück und wäre beinahe gestolpert, wenn Shane mich nicht fest gehalten hätte. Für ihn war ich bestimmt im Moment eine totale Last. Er musste kämpfen und gleichzeitig mich auch noch beschützen.
Es schien so, als ob sie von allen Seiten angreifen würden.
Ich hörte wie Schwertklingen auf einander prallten, sah wie Blut aus den Monstern raus quoll und wie Shane am Arm verletzt wurde.
Vor entsetzten schrie ich oft auf. Der Anführer mit den roten Augen genoss diesen Anblick, wie Shane verlieren würde, denn es sah nicht gerade gut für ihn aus. Es waren einfach zu viele.
Doch plötzlich richteten sich seine Augen auf mich. Sie verweilten so eine Weile.
Shane war beschäftigt, er bemerkte es gar nicht, dass diese Kreatur gerade vor hatte mich zu töten.
Ich stolperte Rückwerts und fiel auf meinen Hintern.
Meine Augen standen weit aufgerissen vor Angst.
Er lachte, genau wie in meinem Traum und hob die Klinge an zum folgenden Schlag. Wir bemerkten gar nicht mehr was um uns herum passierte. Meine Augen waren nur auf das Schwert gerichtet und seine fieberten dem Tod nach.
Ein Schluchzen entfloh meinem Mund und dann setzte er zum Stoß an.
Ich schrie und legte schützend meine Arme vor mich.
Schwertklirren war zu hören. Verwirrt sah ich auf. Shane hatte im letzten Moment eingegriffen. Er setzte sein Leben für mich aufs Spiel.
Ängstlich robbte ich Rückwerts. Ich wollte nur noch weg.
Shane war am Ende seiner Kräfte, er würde es nicht lange aushalten mit ihm zu kämpfen. Ich musste etwas unternehmen, ihm helfen, aber wie? Hier lag nichts Brauchbares rum, außer vielleicht ein paar vergammelte Pappkisten, aber die würden sicherlich nicht viel helfen.
Die Gasse lag im Dunkeln und nur das auf einander prallen der Schwerter war zu hören.
Ich sah in meinem Augenwinkel etwas glänzen. Langsam bewegte ich meinen Kopf in die Richtung. Das was da so glänzend in meinen Blickwinkel geraten war, war nur eine Regenpfütze, die durch den Mond am Himmel beschienen wurde, sonst nichts mehr. Dieser Anblick ließ mich nicht mehr los. Auf einmal lag in der Pfütze ein kleiner Dolch mit Edelsteinen verziert. Wie … wie ist das möglich? Ich war mir doch ganz sicher, dass da vorher nichts lag. Diese Stadt lässt mich echt zu viel fantasieren.
Vorsichtig griff ich nach dem Dolch. Er fühlte sich echt an. P-u-u-h, ich dachte schon das wäre nur eine Illusion und ich wäre vollkommen paranoid.
Zitternd und schwer atmend stand ich auf und schlich mich von hinten den beiden kämpfenden an.
Nur sein guter Wille von Shane ließ ihn weiter kämpfen. Ich bewunderte ihn dafür.
Ich musste wohl ein Geräusch gemacht haben, denn mit einmal drehte sich dieser unheimliche Mann um und fixierte mich mit seinen roten Augen. Jetzt stand ich direkt vor ihm und wieder schnürte mir die Angst meine Kehle zu, dass ich keinen Laut von mir geben konnte.
Seine Aufmerksamkeit galt nur noch mir. Er hatte Shane vergessen, was sein Fehler war, denn dieser holte aus uns stieß ihm das lange Schwert in den Bauch rein, ohne zu Zögern. Dann zog er das Schwert raus und dieser fiel zu Boden und atmete stoßweise.
Blut quoll aus seiner Wunde und es bildete sich eine Lache von seinem Blut unter ihm. Plötzlich schrie er aus vollem Halse. Erschrocken hielt ich mir mit meinen kalten und zitternden Händen die Ohren zu. Shane tat es mir nach.
Der Schrei war so hoch, dass bei den leerstehenden Häusern in der Gasse die Fensterscheiben zu Bruch gingen. Mir taten meine Ohren weh. Ich konnte es nicht mehr aus halten und fiel bewusstlos zusammen. Gerade noch bevor ich zu Boden stürzen konnte, fing Shane mich auf.


Mit hämmernden Kopfschmerzen wachte ich in seinen Armen auf.
Meine Augen nahmen alles verschwommen auf. Lichter flackerten.
Ich hörte einen sehr schnellen Atemzug. Er musste mich in den Armen nach Hausen tragen. War ich nicht schwer für ihn?
„Shane“, krächzte ich so leise, dass man mich kaum verstehen konnte. Meine Kehle war trocken und ein Kloß steckte darin. Ein paar Mal schluckte ich kaum hörbar.
Ich sah noch, wie er mich lächelnd ansah und sagte, dass alles vorbei war. Dabei strich er mir sanft über die Haare und rannte weiter. Wieder wurde ich bewusstlos und schlief in seinen Armen ein.
Als ich das nächste Mal erwachte, lag ich in einem großen Zimmer mit einer hellblauen Tapete an den Wänden. In diesem Raum befand sich nicht sehr viel, nur ein großer Schrank, dieses sehr bequeme Bett, ein Sofa, ein Flachbildfernseher, ein Laptop, der auf dem Schreibtisch stand und ein Fenster, das auf den Balkon führte.
Das Zimmer war einfach umwerfend eingerichtet.
Ich versuchte mich aufzusetzen, was mir nicht gerade leicht fiel, denn ein höllisch tuender Schmerz durch zuckte mich.
Plötzlich ging die Tür auf. Erschrocken zuckte ich wieder zusammen.
Shane trat ins Zimmer ein mit einer ausdruckslosen Miene. Vorsichtig setzte er sich neben mich, dann fragte er in die Stille hinein: „Wie geht es dir?“
Er sorgte sich um mich. Shane war so lieb. Wir kannten uns noch gar nicht so lange und er kümmerte sich um mich wie ein großer Bruder.
„Es geht wohl und dir? Bestimmt nicht sehr gut oder? Schließlich habe ich gesehen, wie dieses Monster dich mit seinem Schwert getroffen hat!“ Ich sah ihn besorgt an und streckte eine Hand nach ihm aus zu seiner Wunde oberhalb seines Armes.
Langsam zog ich das T-Shirt hoch und sagte dann vorwurfsvoll: „Shane! Dein improvisierte Verband ist nicht richtig, du willst doch nicht dass deine Wunde sich entzündet, dass muss desinfiziert werden!“
Leicht säuerlich blickte er mich an.
„Wo ist dein Badezimmer? Ich mach das jetzt richtig!“
Er wollte protestieren, aber mein Blick ließ ihn verstummen und zeigte auf die zweite Tür in diesem Raum. Langsam stand ich unter Schmerzen auf und stolperte den ganzen Weg ins Bad. Ich konnte spüren, wie er sich innerlich tot lachte und dann noch dieses breite, aber süße Lächeln auf seinem Gesicht aufsetzte. Sein Bad war ordentlich aufgeräumt. Ich hatte immer gedacht, dass es anders aussähe, halt so wie bei Männern, wenn sie alleine lebten. Wohnte er hier überhaupt alleine?
Es gab so viele Fragen, die ich ihm stellen möchte. Innerlich platzte ich vor Neugier. Neugierig sah ich mich um und fand den Kasten für Notfälle.
Diesmal passte ich sorgsam auf dass ich normal ins Zimmer ging und nicht wieder über meine Füße stolperte.
Ich wusste es, er saß lächelnd auf dem Bett, was er wohl über mich dachte.
Den Notfallkoffer mit dem Verbandzeug darin legte ich neben uns und öffnete ihn. Zu erst desinfizierte ich seine Wunde. Er holte tief Luft, wegen den Schmerzen. Danach wickelte ich ihm einen frischen und sauberen Verband um seinen Arm. Mir entging nicht, wie stark er sein musste, bei den vielen Muskeln.
Bei diesem Gedanke wurde ich leicht rot und versuchte mich auf das drum wickeln zu konzentrieren. Kurz sah ich auf und bemerkte, dass er mich ansah. Schnell guckte ich weg vor Verlegenheit. Es war für mich ungewohnt, dass mich ein Junge so ansah.
„Du bist wunderschön!“, hauchte er mir in mein Ohr. Bestimmt lief mein Gesicht jetzt rot an, wie eine Tomate, denn ich glühte wie die Hölle.
Auf meiner Wange spürte ich seine Finger, wie sie darüber strichen. Verlegen sah ich ihn an. Er grinste. Ich erwiderte sein Lächeln und klebte den Verband fest.
„Shane. Ich habe Fragen, sehr viele sogar und ich möchte sie auch beantwortet bekommen! Du weißt sicherlich, ich hasse Geheimnisse, auch wenn sie schlimm sind, sag es mir! Bitte“, flehte ich ihn an.
Er sah mir nicht ins Gesicht, stand auf und verließ das Zimmer.
Ich schloss die Augen, atmete tief durch und folgte ihm dann. Shane musste damit gerechnet haben, dass ich ihm gefolgt war, denn plötzlich fing er an zu reden: „ Wie viel, weißt du schon?“
„Wovon?“
„Wie sind deine Pflegeeltern gestorben? Erzähl die Geschichte von Anfang an!“, sagte er in einer sehr deutlichen Befehl Tonlage.
Seine Augen wurden wieder ausdruckslos. Der Funken Glück und Liebe von eben, war aus seinen Augen verschwunden.
Woher wusste er, dass ich nicht bei meinen leiblichen Eltern gewohnt hatte?
Wie konnte er überhaupt wissen, dass meine Pflegeeltern tot waren?
Er kannte mich kaum!
Eigentlich hatte ich mir geschworen niemals jemanden davon was zu erzählen, was damals wirklich geschehen war. Auch wenn mein Instinkt sagte, dass Shane gefährlich war, doch ich konnte ihm mit einem guten Gewissen vertrauen. Ich holte tief Luft und fing an zu erzählen: „Nach dem Tag, an dem ich geboren wurde, wurde ich sofort zur Adaption freigegeben. Ich kam zu einer Pflegefamilie, die ich auch sehr lieb gewonnen hatte. Damals waren wir oft umgezogen. Mein Geburtsort ist Amerika von da an ging es nach China, Afrika, Schweden, Groß Britannien, Frankreich und zum Schluss Deutschland. Wir wollten alle nicht mehr reisen, aber wenn wir von Deutschland weggegangen wären, würden sie wahrscheinlich noch am Leben sein. Erst nach ihrem Tod hatte ich verstanden, warum wir so oft wie möglich zu einem anderen Ort gereist waren und nie sehr lange dort blieben. Ich war gerade mal 12 Jahre alt, als es passierte. An dem Tag war ich bei meiner besten Freundin Denise. Abends hatten mich ihre Eltern nach Hause gebracht. Von der Ferne aus konnte man schon sehen, dass unser Haus in Flammen stand. Ich sprang aus dem Jeep und rannte ins Haus hinein. Man versuchte mich noch auf zu halten, aber es gelang ihnen nicht. Im Haus suchte ich vergeblich alle Räume nach ihnen ab und im Schlafzimmer fand ich die Beiden erstochen. Paul lebte nicht mehr, aber Mary atmete noch. Sie sagte mir, dass ich von dort verschwinden musste, man würde mich auch verfolgen und sie konnte das Versprechen nicht einhalten, was sie meiner leiblichen Mutter gemacht hatte um mich zu beschützen. Plötzlich war noch jemand im brennenden Haus anwesend. Ich weiß nicht, was es war, jedenfalls keine gute Kreatur, aber vielleicht hatte ich mir das nur eingebildet, aber meine Mom zischte wütend zu ihm, dass er mich in Ruhe lassen sollte, denn ich bin ja noch ein Kind! Dieses Monster kam immer näher, aber irgendetwas hielt ihn davon ab näher zukommen um mich mit zunehmen. Es war so eine Art Schutzschild. Dann gab mir Mom auch noch einen Anhänger, den ich bis heute noch trage. Das klingt jetzt für dich vielleicht ein bisschen lächerlich.“
Shane hörte sich meine Vergangenheit kommentarlos an. Er ging in die kleine Küche und trank gierig aus der Flasche. Traurig sah er mich an. „Es tut mir Leid, dass sie gestorben sind, aber wahrscheinlich werden noch mehr Menschen sterben müssen!“
Das sagte er so leichthin, als ob es die normalste Sache der Welt war. Ich wurde wütend auf ihn. „Shane, dass ist jetzt echt herzlos von dir!“
Er zuckte daraufhin nur mit den Schultern. Das gab es nicht. Die anderen hatten Recht, er konnte herzlos sein, wenn er es wollte. Ich hatte das Gefühl gleich in Tränen auszubrechen, doch ich verkniff sie mir und dann fing es an zu brennen.
Schuldbewusste trottete er zu mir hinüber und nahm mich entschuldigend in den Arm.
„Manchmal kannst du echt ein Mistkerl sein!“, schrie ich seinen Brustkorb an und schlug kraftlos auf ihn ein. Tränen liefen mir über die Wangen und fanden ihren Weg aus meinen Augen.
Shane nahm alles kommentarlos hin, er verteidigte sich nicht einmal, als ich ihn Mistkerl genannt hatte. Sanft strich er mir die Haare aus dem Gesicht.
„Deine Pflegeeltern waren sehr mutig und tapfer, dass sie dich überhaupt aufgenommen haben, als deine leibliche Mutter zu ihnen kam und sie um Hilfe bat.“
„Was?“, fragte ich benommen.
Er nickte mir zu und fuhr fort: „Dein wahre Mutter war eine Hexe und sie verliebte sich in den berühmtesten Wächter von uns. Er hieß Steven. Die Beiden waren wunschlos glücklich. Doch diese Liebe war verboten. Eine Hexe und ein Wächter? Nein, dass sieht Niemand gerne. Sie haben versucht sich zu wehren, doch letztendlich wurde deine Mutter Megan ermordet, kurz bevor dies geschah, brachte sie dich in Sicherheit zu Freunden, die sie vertrauen konnte.
Sie lebte mit Steven zu erst glücklich zusammen, doch dann veränderte er sich.
Als er erfahren hatte, dass deine Mom von ihm schwanger sei, wollte er mit dir rum experimentieren. Steven wurde grausam und dann beschloss sie nach deiner Geburt dich Weg zu bringen und kurz darauf, wir vermuten dass es so gewesen war, ermordete er sie. Seit dem ist er auf der Suche nach dir! Schickt alle seine Krieger los um dich zu finden und dann deine mächtigen Kräfte zu rauben um die Welt unter seiner Macht zu bekommen.“
Fassungslos setzte ich mich auf einen Küchenstuhl und betrachtete abwesend den Raum. Sie war wunderschön eingerichtet. Von hier konnte man auch auf den Balkon, genau wie bei ihm im Zimmer gehen. Ich schluckte und fragte: „Weißt du zufällig wie dieser Steven, mein Vater aussieht?“
Verdutzt über diese Frage sah er mich an. „Wieso fragst du? Nein, soweit ich weiß, hat er das Zauberbuch deiner Mutter gelesen und wechselt somit andauernd seine Gestalt um nicht erkannt zu werden.“
Frustriert stöhnte ich auf und legte mein Kopf in die Hände. War das vielleicht wirklich mein Vater, der in dem Restaurant saß? Er sah so freundlich aus, wie ein ganz normaler Mensch und doch sollte er grausam sein? Das konnte ich nicht glauben.
„Was ist ein Wächter?“, fragte ich ihn und sah ihn dabei nicht an. „Dieses Monster hatte gesagt, dass die Liebe zwischen einem Wächter und seinem Schützling verboten sei, was meinte er damit?“
Ich spürte die Anspannung, die von ihm ausging. Er wollte es mir nicht sagen.
„Shane. Ich soll dir vertrauen, dann musst du mir aber auch vertrauen! Keine Geheimnisse mehr!“, sagte ich fast flehend und sah ihn mit tränenden Augen an.
Er schluckte und antwortete monoton: „Ein Wächter ist Jemand, der über eine sehr bedeutungsvolle Person wacht. Sie besitzen Fähigkeiten um sie zu beschützen vor den Bösen. Sie würden sogar ihr Leben für sie opfern.“
„Und was hat das mit mir zu tun?“
„Du… du bist mein Schützling.“ Ich erstarrte und sah ihn fassungslos an. „Wenn du dann mein Wächter bist, dann…“
„…dürfen wir nicht zusammen sein. Ja“, vollendete er meinen Satz.
Tränen liefen mir jetzt über die Wangen, die ich nicht mehr zurück halten konnte.
Immer wieder schüttelte ich den Kopf. Tröstend kam Shane zu mir und strich mir sanft über die Wange. „Auch wenn unsere Liebe verboten ist, ändert sich nichts an meinen Gefühlen!“
Er blickte mich liebevoll an. Kraftlos lehnte ich mich an seiner Schulter und schluchzte ein paar Mal.
„Und wenn wir es geheim halten?“, fragte ich hoffnungsvoll und lächelte ihn schüchtern an.
Er nickte und küsste mich mitten auf dem Mund. Ich schmeckte Meine salzigen Tränen. Ich liebte ihn einfach zu sehr, anstatt ihn auf zu geben.
Wir lösten uns von einander und sofort sprudelte auch schon die nächste Frage aus meinem Mund: „Woher wusstest du, wo ich lang ging vom Restaurant aus nach Hause? Naomi meinte, dass du mit den Jungs eigentlich heute Abend etwas vor hattest. Mich wundert es nur ein bisschen.“
Eine Weile sahen wir uns an. „Wie ich dich aufgespürt habe, habe ich meinen Kräften zu verdanken. Brandon, Justin und ich saßen gerade vor dem Fernseher da spürte ich, dass du in Gefahr warst. Die Jungs wussten sofort Bescheid, was los war und dann bin ich rechtzeitig bei dir gewesen. Meine beiden Freunde wissen, was ich bin und wie meine Aufgabe lautet. Sie wissen auch vor wem sie sich fernhalten sollen. Dustin ist einer von ihnen, den du unbedingt meiden solltest.“
Zustimmend nickte ich ihm zu. „Warum hast du dich mit ihm geprügelt heute Morgen?“
Besorgt sah ich ihn an, doch er gab mir keine Antwort stattdessen sagte er: „ Es ist schon spät, wir sollten schlafen gehen!“
„Aber,…“, ich konnte meinen Satz nicht zu Ende sprechen, da fuhr er mich wütend an: „Das ist meine Angelegenheit, halt dich da raus!“
Mit diesem Satz verließ er die Küche. Verzweifelt sackte ich zurück auf den Stuhl und dachte nach. Dustin und Shane, irgendwas musste vorgefallen sein!
Wieso vertraute er mir nicht? Das war zum verrückt werden.
In der Küche wurde es mir mit einmal zu stickig. Ich braucht dringend frische Luft.
Leise öffnete ich die Tür, die zum Balkon führte und stellte mich an das Geländer und zog die frische Brise ein. Der kalte Wind peitschte mir ins Gesicht. Er wirbelte mir die Haare durch. Sofort band ich sie mir zu einem Dutt fest. Es tat gut. Hier draußen zu stehen und seine Gedanken freien Lauf zu lassen. Von hier aus hatte man einen wunderschönen Blick auf das Meer. In der Ferne glitzerte es durch den Mond und der Sterne. Der schönste Anblick, den ich je gesehen hatte. Shane und ich führten jetzt eine geheime Beziehung, ob sie wohl bestand hält? Daran hatte ich meine Zweifel. Wenn ich dies nicht vorgeschlagen hätte,… Diesen Gedanken konnte ich nicht zu Ende denken. Vielleicht hätte er mich ganz verlassen und mir einen neuen Wächter geschickt, der seine Aufgabe besser machen sollte, als Shane selber. Meine Gedanken schweiften immer wieder auf diese Situation hin. Ich holte tief Luft und verbannte alles aus meinen Kopf. Plötzlich legten sich zwei muskulöse Arme um meine Taille und pressten mich fest an seinen Körper.
„Du hast mich erschreckt“, sagte ich und sah weiter hinaus auf das glitzernde Meer.
„Sorry“, flüsterte er sanft. Der Wind trug seine Worte fort, dann küsste er mir aufs Haar. „Du musst reinkommen, sonst erkältest du dich noch!“
Ich nickte zur Bestätigung und ging rein Richtung Ausgang, doch Shane hielt meinen Arm fest und fragte vorwurfsvoll und spöttisch: „Wo willst du denn hin?“
Verwirrt sah ich ihn an. „Natürlich nach Hause.“
„Du kannst nicht mehr zurück, auf gar keinen Fall alleine. Es ist zu gefährlich. Ab sofort wohnst du hier!“ Ungläubig sah ich ihn an und meine Kinnlade klappte nach unten.
Er lachte und schob sie mit seiner Hand wieder nach oben.
In dieser Wohnung gibt es nur ein Bett. „Wo soll ich denn schlafen?“
Shane grinste nur breit und führte mich in sein Schlafzimmer.
„Ich geh duschen“, sagte ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch.
Die Dusche tat unheimlich gut. Alle Anspannung fiel von mir ab und so konnte ich alles schreckliche, was mir wieder fahren war, für einen kurzen Moment vergessen. Nach dem Duschen fand ich im Bad extra für mich hingelegt eine Boxershort und ein zu großes T-Shirt von ihm. „Das ist jetzt nicht sein Ernst?!“, flüsterte ich genervt zu mir selbst und zog es unfreiwillig an. Danach öffnete ich das Fenster, damit der Dampf raus kam. Mit einem Tuch wusch ich den Spiegel ab und fing an meine Haare trocken zu fönen. Sie glänzten im Licht ein wenig orange. Als ich fertig war, ging ich ins Schlafzimmer, doch Shane war nirgends zu sehen. Ich sehe echt lächerlich aus mit diesem zu großem T-Shirt und beschloss nach Shane zu suchen. In der Küche war er nicht und im Wohnzimmer auch nicht. Dieses Wohnzimmer sah eher gesagt nicht aus wie ein Wohnzimmer, sondern eher wie eine Abstellkammer. Jungs eben. Dann erst bemerkte ich den kalten Luftzug in meinem Rücken. Ich drehte mich um und sah, dass die Balkontür offen stand. Gerade kam er von Draußen rein mit einem nackten Oberkörper. Er hatte nur eine blau-karierte Boxershort an und lief Barfuß. Shane lächelte mich an, legte seinen Arm um meine Taille und küsste mich. „Du siehst bezaubernd aus!“, sagte er ein wenig lachend.
„Sehr witzig. Dieses T-Shirt ist mir viel zu groß, was du mir raus gelegt hast!“, entgegnete ich.
Er schmunzelte und antwortete darauf stattdessen: „Ich hätte auch nichts raus legen brauchen.“
Das war der alte Shane, den ich kannte. Machte aus jeder Sache einen kleinen Spaß.
Um ihn zu ärgern wollte ich ihm eine Ohrfeige verpassen, doch er fing mühelos meinen Arm ab und küsste mich wieder. Mit seinem Körper drängte er mich in sein Schlafzimmer. Jetzt fiel mir der ganze Kerzenschein auf, der in diesem Zimmer leuchtete. Überall waren Kerzen angezündet. Als ich aus dem Badezimmer gekommen war, waren diese aber noch nicht da.
Seine Hände wanderten meinen Rücken hinunter und zogen mir mein zu großes T-Shirt von ihm aus. Meine Haare verteilten sich über meinen ganzen Oberkörper, da sie nicht gerade kurz waren und Shane strich ein paar Strähnen von meinen Schultern runter und küsste mein Schlüsselbein. Es kitzelte.
Wieder küsste er mich mitten auf den Mund, wild und verführerisch. Meine Hände fuhren durch seine Haare und sie durch wuschelten ihm diese. Wir legten uns auf sein großes und sehr bequemes Bett. Ab da erst bemerkte ich durch den Kerzenschein, die vielen kleinen, schillernden Narben auf seinem Oberkörper.
„Was…?“, fragte ich besorgt, aber ich konnte meine Frage nicht mehr zu Ende fragen, denn er legte mir einen seiner muskulösen Finger auf die Lippen und küsste mich wieder. Er war so unglaublich süß. Ich verstand immer noch nicht, wieso er ausgerechnet mich ausgesucht hatte und sich in mich verliebt hatte. Andere Mädchen sehen sicherlich noch hübscher aus. Sie haben wenigstens die perfekte Figur, sind beliebt, sportlich und blond. Auf so eine müsste doch jeder normale Junge stehen, doch Shane war anders und das hatte ich von Anfang an gespürt. Er war der erste Junge mit dem ich eine Beziehung führe.
Shane war der einzige Grund zu leben, zu lieben und zu hoffen. Er hatte mich endlich wieder glücklich gemacht.


Am nächsten Morgen weckten mich warme Sonnenstrahlen.
Ich lag in seinen Armen. Seit dem ich mit ihm zusammen war, war ich glücklicher. Langsam setzte ich mich auf um ihn nicht zu wecken.
Er sah so süß aus, wenn er am schlafen war.
Mit einem Lächeln im Gesicht wickelte ich mir die Bettdecke um meinen Körper und sammelte dann meine Kleidungsstücke auf. Danach ging ich ins Bad um mich für die Schule fertig zu machen.
Im Spiegel sah ich, dass besondere Funkeln in meinen Augen, wovon Naomi immer redete.
Nach dem ich im Bad fertig war, ging ich zurück ins Schlafzimmer. Dort hieß mich ein leckerer Frühstücksgeruch willkommen, der aus der Küche kam.
Shane stand nur mit einer Boxershort bekleidet vor dem Herd und briet Eier.
Glücklich lächelte er mich an und ich erwiderte es.
Auf keinen Fall wollte ich diesen Moment zerstören, doch bald würde uns die Realität einholen und die Wahrheit vor Augen führen, dass unsere Liebe verboten war. Ich konnte das nicht akzeptieren. Wieso konnte ich nicht einfach ein ganz normaler Mensch sein? Wieso?!
„Worüber zerbrichst du dir deinen kleinen hübschen Kopf?“, fragte Shane neugierig.
„Wieso ich nicht ein ganz normaler Mensch sein kann. Was meinst du, was für besondere Kräfte besitze ich, dass sie so wertvoll sind, dass sie unbedingt mein Vater haben will?!“
Shane ging mit der Pfanne in der Hand zu mir und schaufelte das Essen auf meinen Teller und dann auf seinen. „Weißt du, es gibt eine Prophezeiung. Sie handelt von dir.

Ein menschliches Wesen,
eine Entscheidung,
die alles verändern kann!
Gut oder Böse,
Leben oder Tod,
Liebe oder Hass!“

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. „Was soll das bedeuten?“
„Das werden wir noch herausfinden. Jedenfalls muss ich dich in der Schwertkunst unterrichten. In den nächsten paar Tagen müssten sich deine Kräfte schon vollends entwickelt haben, dann wäre es ein leichtes heraus zu finden, was du für Fähigkeiten besitzt!“, sagte er. Shane hat Ahnung davon, ich sollte ihm vertrauen. „Aber ich verstehe nicht, wieso du es so leicht hinnimmst, dass es noch eine Welt gibt, eine Welt mit Magie?!“
Seufzend antwortete ich ihm: „Ich hatte schon immer so ein Gefühl und dann als dieses Monster meine Pflegeeltern ermordete, da…“
„Ist schon gut. Du brauchst den Satz nicht zu Ende sprechen!“, sagte er besorgt und strich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr.
Dankbar lächelte ich ihn an und aß mein Rührei auf. Es schmeckte köstlich.
Eine Weile saßen wir schweigend am Esstisch und es wurde auch bald Zeit zur Schule aufzubrechen.
„Wenn ich jetzt hier wohnen soll, dann brauch ich aber noch meine Sachen aus meinem Apartment!“, flüsterte ich leise.
Er nickte. „Nach der Schule gehen wir dorthin. Und Sam? In der Schule tun wir so, als ob wir nur Freunde wären!“
Ein kurzer Stich breitete sich in meinem Herzen aus, als er dies sagte, aber es geht ja nicht anders. Besser eine Geheime Beziehung zu führen, als gar keine!
Niedergeschlagen sah ich ihn an. „Es geht nicht anders!“, sagte er zu mir und küsste mich.
Der letzte Kuss für heute Morgen. Ich genoss ihn, denn in der Schule durften wir uns ja nicht als Paar zeigen. Was sollte ich bloß Naomi sagen? Hoffentlich fällt mir noch etwas Glaubwürdiges ein!


Sofort als ich in der Schule ankam, stürmte Naomi auf mich zu und bombardierte mich auch gleich mit sehr neugierigen Fragen.
Ich versuchte erst gar nicht zu, zu hören, doch dann würde sie sauer auf mich sein.
„Naomi, dass ist jetzt echt ein schlechter Zeitpunkt!“, sagte ich ein wenig genervt zu ihr und packte etwas zu heftig meine Bücher in mein Schließfach.
„Hat er dir weh getan? Sam! Du musst es mir sagen!“, zischte sie wütend.
„Es tut mir Leid. Shane und ich, wir passen einfach nicht zusammen. Sind deine Fragen damit endlich beantwortet?“
Sie nickte, aber insgeheim wusste ich, dass sie sich Shane vorknöpfen würde und ihn zu Rede stellt, warum er mit meinen Gefühlen spielte.
Schweigsam gingen wir gemeinsam zu unserer ersten Stunde. Französisch!
Ich stöhnte innerlich genervt auf. Auch das noch, heute Morgen!
Sonst hatte ich wohl Lust auf dieses Fach, aber heute, heute war einfach nicht mein Tag.
Wir besuchten diesen Unterricht zusammen mit Brandon und Shane, denn die Beiden hatten auch dieses Fach gewählt, doch ich sah die Beiden nirgends.
Kurz bevor die Stunde anfing, tauchten sie schließlich noch auf.
Shane sah mich ausdruckslos an. Seine Blicke spürte ich die ganze Stunde auf meinem Rücken.
Dann kam auch schon Madame Lavie und wir fingen mit dem Unterricht an.
Etwa zehn Minuten später, klopfte es an der Tür und unser Schulleiter Mr. Rosser kam herein. Hinter ihm trat ein Junge in Brians und Shanes Alter hervor.
Blonde Haare, ozeanblaue Augen und den gleichen Körperbau wie der von Shane. Sie sahen sich etwas ähnlich. Plötzlich flüsterte Naomi mir zu: „Der wäre doch was für dich!“
Wütend sah ich sie an. Ich liebte Shane und daran würde sich nichts ändern.
Der Junge stellte sich als Jason Coleman vor und wurde vor kurzem erst siebzehn.
Als er sich auf den Weg begab zu dem freien Platz, der zufälligerweise vor mir war, sah er mich undurchdringlich an. Ich konnte, seinen intensiven Blick nicht mehr stand halten und sah verlegen auf den Boden. Sicherlich hatte Shane diese Situation aufmerksam beobachtet.
Die Stunde verlief ziemlich angespannt. Sofort als es klingelte, sprang ich auf und wollte mich in der Mädchentoilette vor allen verstecken. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben, doch dann kurz bevor ich das Klo erreichte, zog mich jemand an meinem Arm in Richtung Treppenhaus.
„Shane! Was soll das?“, fragte ich ihn überrascht.
„Was sollte das eben mit diesem Neuen?“, konterte er wütend.
„Da war gar nichts, außer das mich der Typ nur blöd angeguckt hatte, mehr aber auch nicht!“
„Halte dich von ihm fern! Ich habe ein ungutes Gefühl bei ihm.“
Ich nickte und legte meine Hand auf seinen Hinterkopf, stellte mich auf Zehenspitzen und küsste ihn mitten auf den Mund. Er wirkte dieses Mal überrascht, aber er erwiderte meinen Kuss und drückte mich an die Wand. Seine Lippen waren weich und süß. Er schmeckte fantastisch. Mein Herz pochte ununterbrochen. Als ich eine Hand auf seine durchtrainierte Brust legte, spürte ich wie auch sein Herz vor Aufregung raste. Wir lösten uns von einander. Er legte seinen Kopf an meine Stirn und strich mir mit seinem Handrücken über meine Wange. Meine Haut war erhitzt und glänzte ein wenig im Schein der Treppenhauslampe.
Ich bemerkte, dass Shane nach Atem rang. Erschöpft schloss ich meine Augen und sein Atem wärmte mein Gesicht.
„Shane. Ich liebe nur dich!“, sagte ich sanft und ging zu meiner nächsten Stunde. Shane und ich bemerkten nicht den Schatten, der uns beobachtete.


Die nächsten paar Stunden verliefen langsam. Ich konnte es kaum abwarten, wann endlich die Pause begann.
Und endlich schellte es. Schnell packte ich meine Sachen zusammen und traf mich mit Naomi in der Cafeteria.
Sie fing an über diesen Neuen zu reden. Er kam mir ein bisschen merkwürdig vor und irgendwo hatte ich ihn schon mal gesehen.
In der Mittagspause aß ich nichts. Mir war der Appetit vergangen, als sich ausgerechnet der Neue sich zu uns gesetzt hatte. Schon wieder bedachte er mich mit diesem komischen Blick.
Am Eingang der Cafeteria sah ich, wie Shane und Brandon mit einander flüsterten.
Shane würde sie mir auf all meine Fragen keine Antworten geben. Er verheimlichte mir noch viel zu viel.
Wenn ich sein Schützling war, musste ich ihm vertrauen, aber dies gilt auch anders herum. Er war mein Wächter, er musste mir auch vertrauen! Wieso tat er das nicht?
Anstatt mit mir zu reden, spricht er mit Brandon! Aus ihm konnte man einfach nicht schlau werden. Shane konnte sich auch perfekt verstellen, da kam man nicht hinter, was los war!
Mein Stirn kräuselte sich bei dem vielen nachdenken und wieder sah Jason zu mir. In seinem Blick lag Neugierde und Frust.
Schnell wendete ich mich von ihm ab und hörte halbherzig meiner Freundin zu, dabei spürte ich seine und auch die Blicke von Shane auf mir.
Mit einmal wurde es in der Cafeteria dunkel. Als ich nach draußen sah, schüttete es eimerweise Regen und gleichzeitig gewitterte es. Bei jedem Knall zuckte ich panisch zusammen.
„Sam. Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist so blass“, hörte ich die besorgte helle Stimme von meiner besten Freundin.
„Es geht schon.“ Ich sah mich um und nirgends war Shane zu sehen. Wo war er denn jetzt schon wieder abgeblieben? Hoffentlich prügelte er sich nicht wieder, denn er zog alles gerade zu negativ an.
Letzte Nacht war wunderschön mit ihm. Wie er es wohl fand? Lange Zeit grübelte ich darüber nach und plötzlich riss mich jemand aus meinen Gedanken.
Erschrocken zuckte ich zusammen. Jason stand vor mir, der Neue und lächelte mich freundlich an.
„Hey, du musst Samantha sein oder?“, fragte er heiter nach.
Mit einem Kopfnicken bestätigte ich es und bemerkte erst dann, dass die Pause schon zu Ende war.
„Verdammt!“, zischte ich und sprang von meinem Stuhl. Schnell rannte ich die Flure entlang um noch rechtzeitig im Klassenzimmer anzukommen, bevor der Lehrer da war. Wieso hatte Naomi nichts gesagt?
Hinter mir hörte ich Schritte. Dieser Jason folgte mir. Was wollte er von mir? Er kannte mich doch gar nicht. Beim Rennen sah ich auf den Boden und dann als ich hoch schaute, stand er plötzlich vor mir und ich rannte ihn fast über den Haufen, wenn er mich nicht mit seinen muskulösen Händen gepackt hätte.
Mein Herz beruhigte sich nicht, sondern hämmerte weiter gegen meinen Brustkorb. Mein Atem ging ziemlich schnell, doch Jasons Atem war ruhig und gelassen, als ob er nie gerannt wäre. Das war unmöglich! Er müsste wie ich aus der Puste sein und dann war er auch noch hinter mir und stand jetzt vor mir!
Jason war kein normaler Mensch! Das stand schon Mal fest.
„Was willst du von mir?“, fragte ich misstrauisch und sah ihm diesmal ohne mit der Wimper zu zucken, wütend in sein Gesicht.
Sanft strich er mir über die Wange und lächelte mich an.
Wütend schob ich seine Hand von meinem Gesicht weg. „Was soll das?“
Jetzt fing er an zu lachen. Er war seltsam. Shane hatte Recht gehabt, ich musste mich von ihm fern halten.
„Du und ich, wir beide gehören zusammen!“, sagte er so, als ob es das normalste auf der Welt wäre.
„Was?!“, schrie ich ihn fast an. „ Was redest du für einen Schwachsinn?!“
Auf einmal küsste er mich. Er war sanft, aber seine Küsse waren nicht Mal halb so gut wie die von Shane. Abstoßend klatschte ich ihm eine Ohrfeige. Ein roter Fleck bildete sich auf seiner rechten Wange.
Ich hatte ein ungutes Gefühl in der Magengegend.
Und dann plötzlich färbten sich seine Augen schwarz. Er streckte seine Hand aus und eine unsichtbare Energie strömte mit so einer Wucht zu mir, dass ich gegen die Wand geschleudert wurde und halb bewusstlos liegen blieb.
Langsam öffnete ich die Augen und versuchte mich zu orientieren, wo ich war.
Dann fiel es mir auch wieder ein, was passiert war. Jason war ein Monster.
Ich stöhnte vor Schmerzen auf, als ich versuchte mich aufzurichten und sah dann plötzlich in sein hasserfülltes Gesicht.
Ein qualvolles Schluchzen entfuhr meiner Kehle und sah ihn ängstlich an.
Er packte mich bei meinem Hals und drückte mich gegen die Wand.
Tränen liefen mir über die Wange. Ich war hilflos. Ich konnte mich nicht einmal wehren. Schutzlos ausgeliefert zu sein, wollte ich nie wieder sein, wenn ich dieses hier überstand.
„Was willst du von mir?“, brachte ich noch schnell heraus, bevor meine Stimme ganz versagte.
Er lachte und sprach: „Du hast Shane nicht verdient. Er weiß deine wertvollen Kräfte nicht zu schätzen!“
Das war keine direkte Antwort auf meine Frage, aber dass sagte ich ihm nicht, wer weiß, was er dann mit mir macht.
Schmerzen breiteten sich in meinem ganzen Körper aus und dann küsste er mich wieder.
Ich versuchte ihn von mir weg zu drücken, doch ich hatte nicht genügend Kraft, daher drehte ich meinen Kopf immer ein wenig zur Seite, dann rutschte er ab.
„Lass mich los!“, schrie ich ihn an und plötzlich wurde er fort gerissen.
Shane stand vor mir und versuchte ein Lächeln zur Stande zu bekommen.
Er reichte mir die Hand und dankbar ergriff ich sie und er zog mich zu sich hoch.
Ich krallte mich an seinem T-Shirt fest, denn meine Beine würden einknicken, so weich waren sie.
Shanes Blick war die ganze Zeit auf Jason gerichtet. „Lass sie in Ruhe! Hast du verstanden?!“
Jason wischte sich das Blut aus seinem Mundwinkel mit seinem Pulli fort und knurrte. Er knurrte?!
Plötzlich griff er Shane an. Mit einer Schnelligkeit, die völlig unmöglich war, schob er mich hinter sein Rücken. Shane hielt dieses mühelos stand als Jason ihn angriff.
Erschrocken wich ich in die hinterste Ecke zurück. Erst dann bemerkte ich die Wunde an meinem Kopf. Das Blut rann mein Gesicht hinunter. Mein Kopf drohte zu explodieren, auch wenn es nur eine kleine Wunde war, sie tat höllisch weh.
Ich machte mir mehr Sorgen um Shane als um mich.
Jason knurrte ihn an wie ein verwildertes Tier.
Die Beiden rangen mit einander, stießen sich in die Schließfächer und schlugen auf sich ein.
Shane stand eingequetscht zwischen den Spinten und Jason.
Auf einmal zückte Jason einen kleinen Dolch und rammte ihn in Shane rein.
„N-e-e-e-e-e-i-n!!“, schrie ich entsetzt und lief zu den Beiden rüber und fing gerade noch Shane auf bevor dieser zu Boden fiel, doch dadurch dass er so schwer war, zog er mich mit hinunter auf den Flurboden der Schule.
Er keuchte. Um die Blutung zu stoppen, legte ich meine Hände auf die Wunde.
Es half nicht. Ich schluchzte und vereinzelte Tränen liefen wieder über meine Wange und Shane strich mit letzter Kraft sie fort und küsste mich und flüsterte bevor er starb: „Ich liebe dich!“
Er starb in meinen Armen.


Entsetzt öffnete ich die Augen und sah in das Gesicht von Jason. Verängstigt drückte ich ihn von mir weg. Was war das gerade? Müsste Shane hier nicht liegen? War ich jetzt total paranoid? Ich hatte ihn doch verbluten sehen!
Langsam sah ich mich hier um. Auf dem Boden lag kein Shane, der verblutete.
Was war nur los mit mir? Und wieso hatte er mich geküsst?
„Sam? Ist alles in Ordnung?“, fragte Jason mich besorgt.
Fassungslos starrte ich ihn an.
„Es tut mir Leid, dass ich dich einfach so geküsst habe!“, immer noch sah ich ihn erstarrt an. Meine Kinnlade klappte nach unten. Er lächelte und schob sie wieder hoch.
Kurz schüttelte ich den Kopf, drehte mich um und rannte weg.
Ich musste schnellst möglich meine wirren Gedanken ordnen, bevor ich Shane unter die Augen treten würde.
Während des Laufens, sah ich immer nur auf den Boden und dann geschah es, ich stieß mit einer harten Brust zusammen. Lass es bitte nicht Shane sein, flehte ich insgeheim.
Ich wagte einen kurzen Blick nach oben und sofort bereute ich dies.
Shane. Das gab es doch nicht. Verärgert rollte ich die Augen und ging an ihm vorbei.
Ein merkwürdiges Gefühl flaute in mir auf. Mein Gang wurde schneller.
Dann verließ ich die Schule. Es war mir egal ob ich die Schule schwänzte oder nicht. Mir ging es im Moment ja sowieso nicht gut. Hinter mir hörte ich Schritte.
Ein kurzer Blick über meine Schulter verriet mir, dass Shane mir folgte.
Selbst meine Ruhe kann er mir nicht mehr lassen. Ständig machte er sich Sorgen um mich, dass konnte ich ihm zwar nicht verübeln, da er auch mein Wächter war, aber ich brauche meinen Freiraum zum Nachdenken.
Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen. Der Geruch von Erde lag in der Luft.
Eine Weile lief ich noch allein in der Gegend rum, doch irgendwann holte mich Shane ein und packte mich am Arm, sodass ich ihm in seine blauen Augen sehen musste. Ein elektrischer Schlag durchfuhr mich und ich sah, wie dieses Mal das Monster mit den roten Augen ihn tötete. Es war so Real, was ich sah und plötzlich war ich wieder in der Gegenwart. Verwirrt schloss ich meine Augen um seinen intensiven Blick auszuweichen. Eine Theorie hätte ich wohl dazu, was ich andauernd sah.
„Shane? Kann es sein, dass sich jetzt schon meine Kräfte entwickeln?“, fragte ich ihn atemlos und sah ihm dabei in die Augen.
Er stockte. „Vielleicht. Ich weiß es nicht genau. Wieso fragst du?“
„Es kommt dir wahrscheinlich jetzt ziemlich lächerlich vor, aber ich vermute, wenn ich jedes Mal einen Menschen berühre, dann empfange ich eine Vision, die mir die Zukunft zeigt!“, sagte ich ein wenig ängstlich.
Sein Gesicht wurde ernster und er nickte abwesend. „Die letzte mit solch einer Kraft gab es schon seit über 100 Jahren nicht mehr. Du musst sehr besondere Fähigkeiten besitzen, deswegen will dich auch unbedingt dein leiblicher Vater haben.“
Mitfühlend über die Situation nahm er mich in den Arm. Manche Kinder, die zur Adoption frei gegeben wurden, erwarten von ihren Eltern, dass man sie in die Familie wieder aufnehmen würde, aber nicht deren Tod herbeiführen wollte.
Frustriert krallte ich mich in seinen Armen fest und begann heftig zu schluchzen. Leicht und gefühlvoll strich Shane mir über meine Haare und fragte leise: „Was hast du denn in deiner Vision gesehen, dass sie dich in Aufregung versetzt?!“
Krampfartig schluckte ich.
Sollte ich ihm antworten? Ich musste ihm die Wahrheit sagen! „Deinen Tod!“, seufzte ich traurig. Mein Kopf lag auf seiner Brust und ich bemerkte wie sich seine Körperhaltung verkrampfte.
„Es ist gefährlich, wenn du dich bei mir aufhältst!“, sagte er nur. Sein Gesicht war ausdruckslos. Mit einem riesigen Fragezeichen in meinem Gesicht blickte ich ihn an. Was meinte er denn damit schon wieder?
„Shane, du sprichst in Rätseln!“, antwortete ich stattdessen und zog ihn weiter, doch er ließ sich nicht von der Stelle bewegen. Vergebens ließ ich seinen Arm los und stapfte in Richtung meiner Wohnung. Als ich ein paar Meter weit gegangen war, merkte ich, dass er mit einmal neben mir lief. Schweigend gingen wir zu mir. Wir brauchten nur ungefähr zehn Minuten bis zu meinem Apartment. Ein beklemmendes Gefühl machte sich in mir breit, es warnte mich, dass ich da nicht hineingehen sollte.
Shane machte einen Schritt auf die Tür zu und untersuchte sie. „Hier sind keine Einbruchsspuren! Es könnte sein, dass niemand versucht hat hier ein zu dringen, aber das bezweifle ich.“
Er forderte mich auf, ihm den Schlüssel zugeben und schloss dann auf.
Als wir hineingingen, verdeutlichte er mir leise zu sein indem er seinen Zeigefinger auf seine Lippen legte. Kurz nickte ich ihm zu.
Langsam betraten wir die alten Stufen. Unter Shanes Gewicht ächzten sie laut.
Er fluchte leise und machte einen Schritt nach dem anderen um in den ersten Stock zu gelangen, wo sich meine Wohnung befand. Ängstlich nahm ich seine Hand in die meine.
Besorgt blickte ich mich um. Es schien so, als ob dieses Haus verlassen sei, denn niemand begegnete uns, während wir hinaufgingen.
Dieses seltsame Gefühl wurde immer stärker und mein Verstand meldete mir, dass wir gehen sollten, doch ich blieb stumm und lief mit Shane weiter nach oben.
Als wir auf den ersten Treppenabsatz ankamen, wurde es auf einmal kühler.
Frierend zog ich meine Jacke enger zu.
Shane ging auf die Tür meines Apartments zu und umfasste den Tür Knauf.
Ein leiser Schrei entfuhr ihm und nahm seine Hand herunter. Verwirrt blickte ich ihn an und umfasste den Knauf selber. Seltsam. Was hatte Shane? Verdutzt sah mich Shane an und flüsterte fragend die Worte in mein Ohr: „Ist der Knauf nicht höllisch kalt?“
„Was?! Nein, wie kommst du denn darauf?“, stellte ich ihm eine Gegenfrage, doch er beließ es mit einem Kopfschütteln und rieb sich seine Hand.
Leise drehte ich den Schlüssel im Schloss um. Sofort schob mich Shane hinter sich und trat als erster ein. Er blickte sich in der Wohnung um und lief Schnurstracks in die Küche und wärmte seine Hand unter dem Wasserhahn.
„Wieso kennst du dich so gut in meiner Wohnung aus?“, fragte ich ihn misstrauisch und verschränkte meine Arme vor der Brust.
Jetzt sah er mich an und lächelte schelmisch.
„Seit dem ich den Auftrag bekommen habe, dich zu beschützen, kam ich jede Nacht hier her und bewachte dich, wenn du geschlafen hast.“
Geschockt sah ich ihn an. WAS?! Oh Nein! Hoffentlich hatte ich nie im Schlaf gesprochen. „Ich…“ Meinen Satz konnte ich nicht zu Ende reden, denn er sagte lachend. „Es braucht dir nicht peinlich sein.“ Als hätte er meine Gedanken gelesen. „Du hast ab und zu etwas vor dir hin gemurmelt…“ Dieses Mal war ich diejenige, die ihn unterbrach und stotterte verlegen: „Was habe ich denn so gesagt?“
Er winkte ab und sagte mit einem breiten Lächeln im Gesicht: „Vielleicht hast du ein paar Mal meinen Namen erwähnt und oft über deine Vergangenheit geredet.“
Nur ein paar Mal seinen Namen genannt, das war ja schon peinlich. Jetzt lief ich rot vor Scham an und lief aus dem Bad raus und ging in mein Zimmer.
Gerade wollte ich energisch die Tür öffnen, doch es ging nicht und prallte mit dem Gesicht gegen die Holztür. Auch das noch! Ich bin so ein Tollpatsch.
Shane kam lachend aus der Küche angelaufen. Theatralisch verdrehte ich die Augen und versuchte noch einmal die Tür zu öffnen. Vergebens.
Er schob mich zur Seite immer noch lachend und versuchte die Tür auf zu kriegen. Shane hämmerte ein paar Mal an die Tür und holte aus seiner Tasche einen kleinen Dietrich raus und knackte nach wenigen Minuten das Schloss.
Vorsichtig sah er sich um und zückte einen Dolch, aber von meinem Zimmer ging keine Gefahr aus. Schnell lief ich zu meinem Bett und holte einen Koffer darunter hervor. Stopfte meine Kleidung achtlos hinein. Shane half mir.
Gerade schloss ich den riesigen Koffer und schrie aus vollem Halse.
Jemand hatte eine Messerklinge an seine Kehle gelegt. Blut rann seinen Hals hinunter in sein T-Shirt.
Geschockt ging ich ein paar Schritte Rückwerts und rempelte gegen meinen Nachttisch. Die Lampe fiel hinunter und zersprang.
Ich schluckte. Shane sah überhaupt nicht ängstlich aus, sondern hoch konzentriert.
Die Sonne beschien das Gesicht dieses Mannes und vor mir stand Dustin.
„Lass ihn los!“, rief ich ängstlich und versuchte die Tränen zurück zu halten. Meine Stimme zitterte.
Ein Lächeln zierte seinen Mund. Ein eiskalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Das war doch, dass selbe Lächeln, dass Shane auch immer aufsetzte.
Ich schlug mir die Hand vor den Mund um einen Schrei zu verhindern.
Das Haar von Dustin glänzte nicht so wie bei Shane, aber sie hatten dieselbe Haarfarbe. Die Gesichts Konturen von Dustin waren ein wenig stärker ausgeprägt als die von Shane. Damals war mir das nicht aufgefallen, aber jetzt…jetzt sieht man es.
„Oh Gott! Ihr seit Brüder!“, rief ich aus.


Geschockt sahen die Beiden mich an. Shane konnte mir nicht mehr in die Augen sehen und in Dustins Augen funkelte der pure Hass.
„Wie hast du es herausgefunden?“, fragte Dustin angespannt und hielt immer noch das Messer an Shanes Kehle.
Ich stockte und versuchte die richtigen Worte zu finden: „ Am Anfang ist es mir überhaupt nicht aufgefallen, aber jetzt… Ihr seid euch sehr ähnlich. Seit ihr etwa Zwillinge?!“
Shanes Gesicht wurde wie immer ausdruckslos, aber Dustins Gesicht wurde immer wütender. „Normalerweise hätte dir das nicht auffallen sollen, sowie bei den anderen Menschen. Wir haben einen kleinen Zauber angewandt, der uns nicht mehr so ähnlich aussehen lässt, aber wie ich sehe entfalten sich deine Kräfte schon.“ Dustin lächelte vergnügt dabei, als er es sagte. Shane stöhnte vor Schmerz auf, denn sein Bruder drückte die Klinger immer mehr an seine Kehle.
Zögernd machte ich einen Schritt nach vorne, zuckte aber wieder zurück, als Dustin mir einen wütenden Blick zu warf.
„Lass ihn gehen! Er ist dein Bruder!“, rief ich verzweifelt zu ihm, doch er machte keine Anstalten es von seinem Platz weg zu nehmen.
„Shane. Sie hat Gefühle für dich!“, sagte Dustin höhnisch.
Shanes Augen hafteten schon die ganze Zeit auf den Boden. Seine Arme hingen schlaff nach unten. Er war unglücklich.
„Was willst du?!“, zischte er auf einmal. Er hatte die ganze Zeit nichts gesagt.
Seine Stimme hörte sich rau an und es fiel ihm schwer etwas zu sagen.
Dustin musste anscheinend immer schon der Stärkere von beiden sein.
Dieser lachte wieder und sagte: „Jeder will sie haben, dass müsstest du doch schon längst wissen. Alle sind hinter ihr her um sie dem Boss abzuliefern und der, der es schafft, kassiert eine hohe Belohnung. Außerdem haben wir beiden hübschen auch noch eine Rechnung offen!“
Plötzlich schleuderte Dustin seinen Bruder gegen den Schrank. Der Kleiderschrank brach zusammen und Shane lag bewusstlos in den Trümmern. Ich schrie verzweifelt und rannte auf Dustin zu und knallte ihm eine Ohrfeige.
Sofort färbte sich seine Wange rot. Er wurde wütend und schleuderte mich gegen den Spiegel. Ich flog durch den halben Raum bis ich einen stechenden Schmerz in meinem Rücken spürte. Glasscherben hatten sich in meine Haut gebohrt. Der Schmerz war einfach unerträglich. Ich stöhnte und versuchte mir die Scherben rauszuziehen. Blut klebte mir an meinen Händen. Ich war so abgelenkt, dass ich nicht bemerkte wie Dustin auf mich zu kam und dann knallte er mir auch eine Ohrfeige. Tränen traten in meine Augen. Wütend sah ich ihn an. Er lächelte, packte mich am Arm und zog mich hoch. Plötzlich verdrehte er die Augen und fiel bewusstlos auf den Boden. Shane hatte ihm eine Vase auf seinen Kopf geschlagen. Geschockt sah ich den bewusstlosen Dustin an und dann meine blutbesudelten Hände. Die Schmerzen, ich konnte sie kaum noch aushalten. Dann packte mich auch schon Shane am Arm und riss den Koffer vom Bett runter und wir rannten aus der Wohnung.


Ein kalter Wind begrüßte mich, als wir das Haus verlassen hatten.
Shane hielt meine Hand und wir rannten so schnell wie wir konnten. Wir mussten weg, doch ich verlor einfach viel zu viel Blut. Es klebte schon an meinem Rücken fest und die Schmerzen blieben nicht aus. Ich konnte das Geschehene einfach noch nicht realisieren, was dort eben passiert war. Dustin und Shane waren Brüder, die sich gegenseitig bekämpften, aber warum?
Den ganzen Weg grübelte ich darüber nach und sah die Rückenmuskulatur von Shane an. Er was so muskulös. Meine Gedanken schweiften ab und ich dachte nur noch wie sehr ich ihn liebte.
Plötzlich hielt Shane an und ich lief in ihn rein. Verwirrt klammerte ich mich an seinem T-Shirt fest, damit ich nicht auf den Boden fiel. Ich sah über seine Schulter und erblickte Dustin. Oh, Nein! Wie konnte der denn so schnell wieder da sein?
Die Vase hatte keine Wunde bei ihm hinterlassen. Er sah gesund aus und lächelte mich hämisch an. Shane knurrte und drückte mich weiter zurück.
Wir hatten keine Chance gegen ihn, wurde mir bewusst.
Ich musste irgendwas tun, aber was?
Verzweifelt blickte ich mich um, aber nichts erregte meine Aufmerksamkeit, wie ich es anstellen sollte, Dustin zu überrumpeln und dann würde mein Rücken auch ein Hindernis sein.
Shane drückte mich immer noch weiter nach hinten und flüsterte mir zu ohne seinen Bruder aus den Augen zu lassen: „Bleib hier!“
Geschockt sah ich ihn an. Er wollte gegen ihn kämpfen! Als es mir bewusst wurde, zog ich ihn noch rechtzeitig zurück und küsste ihn. Ich spürte, dass er verwirrt war, aber er erwiderte meinen Kuss sanft. Der Kuss dauerte nicht lange, denn als es am schönsten wurde, löste er sich von mir und schlenderte gelassen zu Dustin hinüber und dabei zückte er sein Schwert.
Dustin stand angriffslustig bereit. Er wartete nur darauf, Shane zu töten.
Irgendwas muss vorgefallen sein, sonst hätte Shanes Bruder nicht so eine Mordlust. Er wurde von purer Rache geleitet.
Ich konnte hier nicht tatenlos rum stehen und griff mir eine Eisenstange, für den Fall, dass ich angegriffen werde.
Kampfgeräusche drangen an mein Ohr. Schwerter prallten auf einander ab um aber auch sofort wieder anzugreifen. Mein Atem stockte und ich quietschte auf, als Dustin Shane am Arm verletzte. Sein Arm wurde schwer und gerade konnte er rechtzeitig seinen Arm hochreißen um den nächsten Angriff mit dem Schwert abzuwehren.
Meine Hände umklammerten die Eisenstange fester. Shane hatte keine Chance, sowie es aussah, musste Dustin wirklich der Stärkere von beiden sein.
Langsam machte ich einen Schritt nach dem anderen. Leise schlich ich mich an Dustin von hinten an. Dieser bemerkte es nicht einmal, aber ein Schrei ließ mich erschrocken zusammen zucken und dann sackte Dustin auf die Knie. Eine Schwertspitze wurde gerade aus seinem Rücken gezogen. Shane stand teilnahmslos vor dem zusammengesackten Dustin und starrte ihn an, ungläubig darüber, was er soeben getan hatte. Ich ließ die Eisenstange fallen. Tröstend nahm ich Shane in die Arme. Dieser zog mich zu sich ran. Er legte seinen Kopf in die Kuhle meines Schlüsselbeines. Sein Schwert fiel achtlos zu Boden. Tränen kullerten seine Wange runter, aber er weinte nicht um ihn. Er versuchte es zu verdrängen, dass er seinen eigenen Bruder umgebracht hatte. Besorgt sah ich ihm ins Gesicht, nahm seine Hand und führte ihn weg, weg von seinem toten Bruder, aber wir bemerkten nicht, wie Dustin auf stand und verschwand.


***


Die Nacht brach herein. Sterne funkelten am Himmel. Die frische Luft tat mir gut. Ich konnte es einfach nicht glauben, dass ich meinen eigenen Bruder umgebracht hatte. Er wäre bestimmt damit gut zu Recht gegangen, wenn ich an seiner Stelle tot wäre. Dustin war schon immer von uns beiden der kaltblütigste gewesen und der Stärkere. Ich schüttelte den Kopf und atmete kurz ein und aus.
Dann bemerkte ich die Anwesenheit von Sam. Wenn sie es nicht gäbe, dann würde es kein Grund mehr geben zu Leben. Ein trauriges Lächeln brachte ich zu Stande, als sie mich wieder in den Arm nahm. Sanft strich ich ihr über ihre Haare und küsste es. Ich bemerkte, wie ihr Körper anfing zu zittern durch die Kälte. Langsam löste ich mich von ihr um meinen Pullover auszuziehen, denn darunter trug ich noch ein T-Shirt. Ich gab ihr diesen. Erst sah sie mich verständnislos an, aber dann nahm sie ihn dankbar an sich und zog ihn über.
Sie war in Gedanken, denn währenddessen kräuselte sich ein wenig ihre Stirn. Ich liebte sie einfach zu sehr.
Plötzlich zuckte ich zusammen. Eine Stimme hallte in meinem Kopf wieder. Ich wurde gerufen. Mein Vorgesetzter wollte mit mir sprechen. Es war sehr dringend, sonst würde er nicht so wütend nach mir rufen und dann noch per Gedankenübertragung.
Sam erklärte ich nur, dass ich kurz noch weg musste und sie sollte niemandem die Tür aufmachen. Irritiert blickte sie mich an, küsste mich und ging duschen.
Ich sah ihr hinterher bevor ich mich zu Ethan auf den Weg machte.
Wir trafen uns in Manhattan in der Mitte des Central Parks.
Ethan war ein sehr groß gebauter und starker Wächter, mein Vorgesetzter.
Er sah wütend aus, als ich eine halbe Stunde verspätetet ankam.
„Shane! So geht das nicht weiter!“, fing er leicht säuerlich an.
Fragend sah ich ihn an.
„Dein kleiner Schützling und du! Du weißt doch, es ist verboten eine Beziehung mit seinem Schützling einzugehen!“
Ich nickte, als ich dieses hörte und vermied jeglichen Blickkontakt mit ihm.
„Und wieso hast du es getan?!“, jetzt schrie er. Am liebsten würde ich im Erdboden versinken. Ethan war für mich, immer wie ein Vater gewesen und jetzt hab ich ihn maßlos enttäuscht.
„Antworte mir!“, rief er wütend und lief rot an.
„Ich… ich kann dir das erklären!“, sagte ich ausweichend stotternd.
„Ach ja? Ich musste das dem Rat melden und sie haben beschlossen, dass du die Stadt verlässt und keinen Kontakt mit diesem Mädchen mehr aufnehmen wirst. Hast du das verstanden?!“
Geschockt sah ich ihn an. „Das könnt ihr nicht machen!“
„Es ist besser so. Für Samantha und dich. Ihr wurdet häufig angegriffen. Wir wollten, dass niemand erfährt, dass sie existiert, sie vor dem Bösen beschützen und dann küssen sich ein Wächter und ein Mädchen in der Öffentlichkeit. Da kann man eins uns eins zusammen zählen, Shane!“
Ich brachte nur noch ein Nicken zu Stande, wenn ich gesprochen hätte, dann hätte mir bestimmt meine Stimme versagt. Er sprach noch darüber, dass ich eigentlich eine Strafe erhalten müsste, aber er hatte sich für mich eingesetzt. Ich sollte Dankbarkeit ihm gegenüber zeigen. All das ging durch meine Ohren rein und raus. Ich hörte ihm überhaupt nicht mehr zu, bis er sagte, dass ich gehen konnte.
Erleichtert atmete ich aus und musste darüber nachdenken, wie ich es am besten Sam beibringen konnte.


***


Nachdem ich die heiße Dusche genossen hatte, aß ich einen Apfel und lag dabei auf dem Bett. Es war ein anstrengender Tag gewesen und eigentlich müsste ich jetzt zu meiner Arbeit, doch Shane würde mich sicherlich nicht gehen lassen. Morgen müsste ich mir von meinem ekelerregenden Chef anhören, warum ich nicht gekommen war. Der Gedanke an meinen Chef ließ mich eiskalt erschauern. Seit gestern hatte sich mein Leben von Grund auf geändert und eigentlich kam ich damit ganz gut zu Recht, aber Shane sah unglücklich aus.
Es war für mich etwas Neues. Mein Leben herauszufinden und wer ich wirklich war. Das alles war so aufregend, doch Shane musste ein Problem haben, dass spürte ich einfach.
In ein paar Tagen würde ich endlich sechzehn werden. Ich freute mich darauf schon seit Wochen.
Für einen Moment schloss ich meine Augen und nickte ein.
Duschgeräusche ließen mich erschrocken hochfahren. Shane musste wieder zurück sein.
Mein Herz machte ein paar Sprünge vor Freude. Ihm ist nichts geschehen.
Dann ging auch schon die Badezimmertür auf und ein angezogener Shane trat ins Zimmer. Seine Miene ließ sich nicht deuten.
„Shane, was ist los?!“, quietschte ich und war froh darüber das meine Stimme nicht zu hysterisch klang. Er konnte mir nicht in die Augen sehen.
„Ich werde für eine Weile fort gehen müssen“, sagte er zu gelassen und schüttelte mit dem Kopf, damit ich ihn nicht unterbrechen sollte. „Sie haben es erfahren. Sie wissen, dass wir beide Gefühle für einander hegen. Obwohl ich wusste, dass es verboten ist sich in seinen Schützling zu verlieben und deswegen haben sie beschlossen, dass ich New York verlassen soll und ein Anderer wird nun meinen Platz einnehmen um dich zu beschützen.“
Mein Bauchgefühl sagte mir, dass ich ihn nie wieder sehen würde.
Ich konnte nichts sagen und blickte ihn ausdruckslos an.
Er kam auf mich zu, küsste mich auf die Stirn und flüsterte etwas auf Latein.
Was er sagte, konnte ich nicht verstehen und plötzlich überfiel mich die Müdigkeit. Ich versuchte dagegen an zu kämpfen nicht meine Augen zu schließen, doch es geschah einfach.
Im Unterbewusstsein bekam ich mit wie Shane mich zudeckte und mich für immer verließ.


Am nächsten Morgen wachte ich auf. Shane war fort. Ich konnte es einfach noch nicht realisieren. Er war weg. Weg. Ich schnappte mein Handy und rief um fünf Uhr morgens meine beste Freundin Naomi an.
Sie ging völlig verschlafen an ihr Handy und ich musste mir ihr meckern anhören, warum ich zu dieser Zeit bei ihr anrief. Als ich dann anfing etwas zu sagen, klang meine Stimme brüchig. Sofort war ihr Ärger verflogen und Besorgnis drängte sich in ihrer Stimme. Ich erzählte ihr fast alles.
„Hey, Süße! Lass dich jetzt auf keinen Fall hängen. Der Typ hat dich einfach nicht verdient. Es gibt bessere!“, versuchte sie mich auf zu muntern.
„Vielleicht“, sagte ich nur und Naomi sagte, dass sie jetzt vorbei komme.
Ich wollte sie erst überreden, es nicht zu tun, aber sie war einfach ein Dickkopf.
Sie war nicht einmal böse, dass ich sie angelogen hatte, dass zwischen Shane und mir vorher nichts lief.
Und ungefähr nach zwanzig Minuten klingelte es an der Tür und Naomi nahm mich in den Arm. Sofort fanden Tränen ihren Weg nach draußen.
Sie lächelte mich traurig an. Tiefe Augenringe betonten ihre Müdigkeit.
„Schöne Wohnung!“, sagte sie und sah sich um. „Du kannst nicht hier bleiben, dass alles wird dich nur an ihn erinnern und dich noch trauriger stimmen!“
Naomi hatte Recht. Ich sollte wieder zurück in meine Wohnung, aber eigentlich konnte ich dort nicht zurück. Vielleicht lauerten da ja noch andere Kreaturen außer Dustin, aber dies konnte ich ihr nicht erzählen. Sie würde mich bestimmt für verrückt halten.
Kurz nickte ich und ging mit ihr zusammen ins Schlafzimmer. Gemeinsam packten wir meine Sachen zusammen.
„Naomi. Ich bin dir so dankbar, dass du zu dieser frühen Stunde hier her gekommen bist!“, sagte ich glücklich darüber. Sofort nahm sie mich in den Arm.
Alles was ich von Shane noch habe, ist der Pullover den ich noch von gestern Abend trug.
Meine beste Freundin nahm meine Tasche, hakte sich bei mir unter und wir verließen die Wohnung von Shane.
Sie versuchte mich abzulenken, indem sie erzählte, was gestern noch in der Schule passiert war, da ich bei diesen Stunden nicht anwesend war, aber mich von ihm abzulenken, schaffte sie nicht.
Ich musste die ganze Zeit nur an ihn denken an nichts anderes mehr.
Traurig seufzte ich und dann standen wir auch schon vor der Haustür meines Apartments.
Naomi trat fröhlich ein und zog mich hinter sich her.
Die Kälte, die Shane und ich gestern gespürt haben, war verschwunden und sowie der kaputte Schrank, das Fenster und die Nachttischlampe. Alles wurde ersetzt. Bildete ich mir das nur ein? Verwirrt schüttelte ich meinen Kopf. Naomi half mir meine Sachen in den Schrank reinzulegen. Bis es Zeit wurde zur Schule zu gehen, redeten wir in der Küche, aber ein Thema ließen wir aus. Shane. An ihn zu denken, versetzte mir einen Stich im Herzen. Ich hätte nie gedacht, dass mich ein Junge so verzweifeln ließ.
In der Schule passte ich nicht auf. Meine Gedanken schweiften immer ab.
Jason ging ich komplett aus dem Weg und dabei half mir Naomi auch.
Wenn ich sie nicht hätte, dann wäre ich ja vollkommen hilflos.
Die Lehrer nahmen mich heute gar nicht dran. Sie ließen mich stattdessen in Ruhe.
Naomi ging heute nicht zu Brandon. Nur er kam einmal vorbei. In seinem Blick lag etwas, das ich nicht deuten konnte. Mein Gefühl sagte nur, dass er was weiß.
Insgeheim verabscheute ich ihn, weil er mir nicht die Wahrheit sagte und auch Shane. Sie ließen mich alle ahnungslos. Wie ich Geheimnisse hasste! Das machte mich einfach wütend.
Ich musste mich wieder beruhigen um nicht Naomi versehentlich anzumotzen.
Im Unterricht sah ich ständig zur Uhr. Meine Geduld war langsam am Ende. Ich wollte einfach nur noch nach Hause und mich in mein Bett verkrümeln und alles vergessen.
Naomi war so verständnisvoll. Sie verstand wie es mir ging. Einmal dachte ich sogar, dass ich nie hier her kommen hätte sollen, dann hätte ich mir den ganzen Schmerz ersparen können.
Nach Schulschluss begleitete mich meine Freundin nach Hause.
Auf den Weg zu mir schwiegen wir. Doch plötzlich sah ich eine Gestalt, die ich von irgendwo her kannte. Schnell zog ich Naomi in die nächstbeste Gasse und beobachtete diesen Typen mit dem er redete. Meine Freundin verstand nur noch Bahnhof. Ich verdeutlichte ihr, dass sie leise sein sollte, damit sie uns nicht hören konnten und dann auf uns zu kämen. Auf einmal fiel mir ein, wer da vorne stand. Es war Dustin mit Jason. Dustin müsste doch tot sein. Ich hatte gesehen, wie Shane sein Schwert durch ihn bohrte.
Anstrengend versuchte ich zu hören, worüber sie redeten, doch die Entfernung war einfach zu weit. Ich versuchte alles auszublenden und mich auf die beiden Personen zu konzentrieren, die miteinander aufgebracht unterhielten.
Und auf einmal konnte ich sie hören. Innerlich jubelte ich, weil ich es schaffte.
Ich konnte hören, wie sie über mich redeten und dass Dustin gescheitert war, Shane zu töten. Er sagte, er sei dabei selber fast drauf gegangen, aber Shane weiß nicht, dass er anders ist als sein Bruder.
Plötzlich drehte sich Dustin um und sah in meine Richtung. Rechtzeitig konnte ich noch reagieren und presste mich an die Wand.
Ein paar Minuten standen wir angespannt in der Gasse bis ich einen kurzen Blick wagte und zu den Beiden rüber sah. Enttäuschung breitete sich in mir aus. Sie waren verschwunden.
Naomi und ich verließen unser Versteck und gingen weiter.
Sie fragte mich nicht, was das eben sollte.
Bei meiner Wohnung angekommen, entfuhr mir ein seufzen.
Naomi und ich waren nicht mal eine halbe Stunde in der Wohnung, da klingelte es auch schon an der Tür.
Fragend sah mich meine Freundin an. Ich zuckte mit den Schultern. Wer sollte mich denn schon besuchen kommen.
Langsam machte ich die Tür auf und blickte in das Gesicht einer sehr freundlich lächelnden Frau.
„Hey! Du musst Samantha Matthews sein oder?!“, fragte sie freundlich. Die Frau wartete ab bis ich nickte und dann fuhr sie auch schon fort. „Ich bin Hailey Bennet. Ich komme vom Jugendamt.“
Geschockt sah ich sie an. Ich brachte keinen Ton aus meinem Mund raus.
Diese Frau, Hailey Bennet sah mich immer noch lächelnd an.
„Dürfte ich vielleicht reinkommen?“, fragte sie und ließ sich nicht beirren von meinem Schweigen. Anscheinend war sie an sowas schon längst gewöhnt.
Ich führte sie in die Küche.
Ms. Bennet sah sich um und sagte, dass es eine sehr schöne Wohnung sei.
Kurz antworte ich leise mit einem „Danke“.
Als wir in die Küche traten, war Naomi noch verwirrter. Ich brauchte die Frau nicht vorstellen, denn sie tat es schon von selbst.
Naomi und ich tauschten Blicke aus und dann fragte ich mit bebender Stimme: „Was…?“
Die Frau lächelte mich an und antwortete: „Samantha.“ Sie holte kurz Luft bevor sie fort fuhr. „Ich bin hier um dir zu sagen, dass du in deinem Alter nicht alleine wohnen kannst und ich habe auch schon die perfekte Familie gefunden, die sich sehr darüber freut dich auf nehmen zu können.“
Meine Kinnlade klappte nach unten. Jetzt konnte ich gar nichts mehr sagen.
Diese Frau überrumpelte mich einfach mit dieser Nachricht, dass ich erneut bei einer Pflegefamilie unterkommen sollte. Das konnte ich nicht, aber das konnte ich ihr nicht sagen. Ich konnte es nicht ertragen, wenn ich nochmal eine neue Familie ins Herz schloss, dass sie mich auch wieder verlassen. Sowas zweimal zu ertragen, würde ich nicht können.
„Das Schriftliche ist auch schon erledigt! Du brauchst nur noch deine Sachen packen und kannst auch schon sofort zu ihnen!“, sagte die Frau vom Jugendamt immer noch freundlich.
Das gab es nicht. Sie hatten einfach über meinen Kopf hinweg entschieden. Ich konnte ja nicht mal nein sagen, deshalb nickte ich nur stumm.
Freudig über mein Einverständnis half sie mir zusammen mit Naomi meine Sachen wieder ein zu packen.
Währenddessen sprach Ms. Bennet über die Familie zu der ich kommen werde und dort leben werde. Sie hießen Julia und Alex Smith. Die Beiden hatten auch einen Sohn. Er heißt Jason. Ms. Bennet erzählte so viel Positives über sie, dass ich überhaupt nicht mehr zu hörte. Ich hoffte inständig dass sie nett waren.
Naomi begleitete uns. Ohne sie könnte ich es wahrscheinlich nicht ertragen. Und außerdem sollte sie erfahren, wo ich demnächst wohnen würde.
Die Familie Smith lebt hier in Brooklyn, dann konnte ich wenigstens immer noch auf die Selbe Schule gehen wie meine Freunde.
Ach, Shane, wo warst du bloß?
Es dauerte nicht lange und plötzlich standen wir vor einem großen Tor.
Die Frau vom Jugendamt klingelte und sofort ging das Tor mechanisch auf, damit wir eintreten konnten.
Hinter dem Tor lag ein riesiger Garten mit wunderschönen Blumen. Mitten drin war ein Pool zu sehen. Wow! Unglaublich! Und dann erblickten wir das Haus. Es toppte selbst den Garten. Das war kein Haus. Die bessere Bezeichnung wäre Villa. Hohe Säulen säumten den Eingangsbereich.
Alles war sehr mittelalterlich gestaltet, aber trotzdem auch ein wenig modern.
Am Eingang erwartete uns ein Ehepaar. Das mussten Julia und Alex sein.
Sie sahen recht jung aus. Vielleicht Mitte dreißig? Man konnte es nicht genau sagen. Die Frau Julia hatte offene, lange, blonde Haare und dazu ein perfekt geschminktes Gesicht. Dies betonte voraussichtlich nur ihre smaragdgrünen Augen. Außerdem trug sie ein sehr elegantes schwarzes Kleid mit einer wertvollen Kette um den Hals. Ihr Mann hingegen sah etwas lässiger aus. Eine verwaschene Jeans mit einem schwarzen Pullover kombiniert. Er hatte braunes Haar, was ihn wirr vom Kopf ab stand. Beide machten eigentlich einen sehr netten Eindruck. Jetzt musste ich nur noch ihren Sohn beurteilen, der in meinem Alter sein sollte. Alex und Julia nahmen mich zur Begrüßung in die Arme und stellten sich vor.
Ms. Bennet verabschiedete sich auch sofort gut gelaunt, da sie denkt, es gefällt mir, was auch zur Hälfte der Fall war.
Die Beiden boten mir an reinzukommen und Naomi durfte auch mit.
Die Eingangshalle war ja schon atemberaubend, aber der Rest war einfach nur ein WOW!
Naomi und mir fiel die Kinnlade runter und wir lachten darüber.
Das erste Mal, dass ich wieder lachen konnte, seitdem er mich verlassen hatte.
Überall standen sehr teure Antiquitäten in den Räumen rum.
Man zeigte mir den Weg zu meinem Zimmer und dann ließen mich auch sofort Julia und Alex mit Naomi in meinem neuen Zimmer alleine.
Plötzlich fangen wir beide an zu kreischen und warfen uns auf das riesige Bett und fingen wieder an zu lachen.
„Sam! Du hast echt ein riesen Glück!“, seufzte Naomi zufrieden und guckte mich an.
Ich lächelte ihr zu und sah mich um. Ein großer Kleiderschrank stand an der Wand, ein Schreibtisch und riesige Fenster mit einem Balkon. Es war einfach unglaublich. Ich konnte es kaum realisieren. Erst verschwindet Shane und dann hatte ich auf einmal so ein Glück. Da stimmte irgendwas nicht. Plötzlich knallte ein Kissen an meinen Kopf. Ich drehte mich um und Naomi stand grinsend vor mir mit einem weiteren Kissen in der Hand. Wir hatten solchen Spaß mit einander, dass wir die Zeit ganz vergessen hatten. Es war schon spät und Naomi musste auch langsam nach Hause. Ich begleitete sie zum Eingang. Fröhlich umarmte sie mich und ging. Einige Zeit lang blickte ich ihr noch nach bevor ich die große Eingangstür schloss. Dann machte ich mich auf den Weg meine neue Familie zu suchen. Schließlich fand ich sie im Esszimmer, eher gesagt Speisesaal. Mitten drin stand ein langer Tisch und an dem saßen meine neuen Eltern Julia und Alex und Jason! Oh Nein! Das gab es doch nicht. Jason sah in meine Richtung und erstarrte. Mit diesem Typ sollte ich unter einem Dach schlafen. Niemals! Nachts musste ich meine Zimmertür abschließen.
Stockend lief ich an den Tisch und setzt mich an den freien Platz gegenüber von Jason. Jetzt bildete sich ein spöttisches Lächeln in seinem Gesicht. Er steckte mit Dustin unter einer Decke. Ich musste unbedingt vorsichtig sein, was ich in den nächsten Tagen machen werde.
„Samantha. Anscheinend kennst du ja schon unseren Sohn Jason“, sagte Julia fröhlich. Ich nickte und wie ich ihn kenne. Dieses Schwein. In meiner Vision hatte er vorgehabt Shane zu töten. Schnell verscheuchte ich diesen Gedanke.
Ich konnte es einfach nicht ertragen.
„Wir finden es sehr schön, dass du dich entschieden hast bei uns zu leben! Es brach uns das Herz, als wir hörten, dass ein Mädchen ganz alleine wohnt!“, sagte Alex geheuchelt mitfühlend.
Ich hatte mich entschieden?! Eher gesagt, Ms. Bennet hat es entschieden. Ich wollte gar nicht hier her! Innerlich brodelte es bei mir vor Wut.
Diesen Zorn musste ich zurück drängen um vernünftig zu antworten: „Ja! Ich bin froh hier zu sein!“
Diese Lüge fiel mir schwer über meine Lippen zu bekommen. Jason sah mich dann auch schon ungläubig an, als ich das sagte. Julia und Alex lächelten freudig über meine nicht so ehrliche Antwort.
Ich sah auf die Uhr, die hinter Jason an der Wand hing. Ungefähr zwei Stunden habe ich noch Zeit um zur Arbeit zu gelangen. Wenn ich heute Abend nicht hin gehe, werde ich gefeuert und das wollte ich auf keinen Fall!
Das Essen wurde gebracht. Es schmeckte sehr lecker. Nach dem ich fertig war, stand ich auf umzugehen, doch sofort wurde ich von Julia angemeckert, ich solle gefällig sitzen bleiben bis alle mit dem Essen fertig waren. Na toll! Das fing ja schon gut an.
Genervt setzte ich mich wieder auf mein Platz und mied von jedem den Blick.
Ich musste noch ungefähr zwanzig Minuten gelangweilt sitzen bleiben bevor ich endlich aufstehen konnte und mich für die Arbeit fertig machen konnte.
Als ich die Treppe hinaufging, bemerkte ich wie Alex die Haustür abschloss. Was sollte denn das werden? Wollten die mich hier gefangen halten?! Alex erblickte mich und sagte: „Du solltest jetzt in dein Bett gehen!“
Verständnislos sah ich ihn an, nickte und ging in meine Zimmer. Sofort schloss ich die Tür ab.
Packte meine Arbeitssachen, öffnete das Fenster und sah hinaus. Das war ziemlich hoch. Ich schmiss die Sachen nach unten. Ein leises Geräusch war zu hören, als es auf den Boden ankam. Dann machte ich mich auf den Abstieg bereit. In der Hauswand war immer ein kleiner Ritz vorhanden und dort konnte ich einen guten Halt finden um nach unten zu kommen!
Als es geschafft war, sahen meine Hände nicht so gut aus. Sie waren ein wenig aufgeschürft. Ich hoffte, dass es beim kellnern nicht auffallen würde.
Leise entfernte ich mich vom Haus und rannte durch den Garten, damit man meine Schritte nicht hören konnte. Als ich am Tor ankam, musste ich über die Mauer klettern. Auf der anderen Seite landete ich auch schon prompt auf meinen Allerwertesten. Musste ja auch irgendwann Mal kommen bei meiner Pechsträhne.
Jetzt musst ich mich wirklich beeilen um noch rechtzeitig bei dem Restaurant an zu kommen.
Aber ich bemerkte nicht, dass mich jemand beobachtete.


Heute kam ich recht pünktlich bei der Arbeit an. Es lag auch daran, dass es heute das erste Mal war, dass ich mich beeilt hatte.
Marika blickte mich besorgt an und formte mit dem Mund, dass ich zum Chef musste. Dieser erblickte mich schon, als ich gerade aus der Umkleide kam.
Er hielt mir vor, warum ich gestern nicht erschien war und deswegen Marika ohne mich alles alleine machen musste, aber ich hörte ihm nicht mehr zu. Ich konnte ihm auch nicht ins Gesicht sehen, denn jedes Mal wenn er mich sah, sahen mich seine Augen gierig an. Dieser Kerl war einfach nur pervers.
Ich nickte, ging an ihm vorbei und fing an zu arbeiten.
Was wohl passiert, wenn meine neue Familie mit bekommen hatte, dass ich sozusagen abgehauen war? Sicher wären sie sauer, sonst würden sie ja nicht mal die Haustür abschließen.
Während der Arbeit machte ich mir immer wieder Gedanken darum, wie sie reagieren würden. In der Pause zog mich Marika in eine Ecke, wo man uns nicht belauschen konnte. Sie sah mich ernst und traurig an. „Marika? Ist was passiert?“
Meine Freundin nickte und ein paar Tränen kullerten ihr die Wange runter.
„Jared, er…“, schluchzte sie.
Aufmunternd sah ich sie an. „Was ist mit ihm?“
„Er ist tot! Jared wurde gestern bei einem Überfall in einem Supermarkt ermordet!“
Entsetzt schlug ich mir die Hände vor dem Mund.
Das konnte nicht sein. „Wieso hast du mich nicht angerufen?!“
Sie schüttelte den Kopf: „Hab ich, aber du warst nicht da!“
Stimmt. Ich hatte jetzt eine neue Nummer durch den Umzug. Ob ich mich jemals daran gewöhnen könnte? Im Moment war mein Leben wirklich total beschissen. Shane verließ mich. Jared war tot. Ich wusste noch nicht, was ich von meiner Pflegefamilie halten sollte. Was sollte denn noch passieren?
Traurig nahm ich sie in die Arme. Ich versuchte einen kühlen Kopf zu bewahren und unterdrückte ein paar Tränen. Der Tränenschleier nahm mir die Sicht. Er ließ alles verschwommen erscheinen. Ein paar Mal musste ich blinzeln um wieder eine klare Sicht zu bekommen.
Danach stürzte ich mich in die Arbeit wie eine Verrückte. Sie half mir dabei alles Negative in meinem Leben zu verdrängen.
Ich konnte es einfach nicht fassen. Alle die ich lieb gewonnen hatte, verließen mich.
Gerade bediente ich ein älteres Ehepaar. Ich hörte ihnen überhaupt nicht zu und musste zweimal fragen, was sie bestellt hatten.
Langsam hielt ich es nicht mehr aus. Die Wärme im Restaurant musste gestiegen sein. Mit meiner Hand fuhr ich mir durch mein Gesicht. Sie fühlte sich kalt an, aber warum war es hier so stickig?
Das Ehepaar fragte mich besorgt, ob es mir gut ginge. Darauf konnte ich nur mit einem Nicken antworten. Ich nahm die Bestellung auf und wollte gerade sie in der Küche abgeben, als mir mit einmal schwarz vor Augen wurde und ich bewusstlos zu Boden fiel.


Es fühlte sich wie Stunden an, als ich das nächste Mal erwachte.
Ich lag auf dem Boden im Personalraum. Einige sehr bekannte Gesichter beugten sich besorgt über mich.
„Es geht mir gut!“, flüsterte ich und räusperte mich. Meine Kehle war trocken. Unbedingt brauchte ich ein Glas Wasser. „Wasser“, krächzte ich.
Sofort fuchtelte eine ungeschickte Aushilfe um uns herum und holte mir ein Glas voll mit erfrischendem Wasser. Gierig trank ich es aus, als sie es mir reichte.
„Sam?“, fragte Marika liebevoll. „Du bist blass. Ich bringe dich nach Hause.“
„Brauchst du nicht. Mir geht’s wirklich gut“, beteuerte ich. Eigentlich ging es mir total beschissen.
Ein lautes Pochen machte sich in meinem Kopf breit. Mit den Fingerspitzen drückte ich gegen die Schläfen. Jared war tot. Shane hatte mich verlassen. Ich lebte bei einer total irren Familie. Was sollte denn noch passieren um mein Leben ein Stückchen weiter in die Hölle zu treiben?
Wackelig stand ich auf. Marika und mein Chef sahen mich sehr besorgt an. Wie ich ihn hasste!
Mein Chef war einer der gruseligsten Menschen auf dem Planeten.
„Ich bringe dich nach Hause“, drängte mich Marika. Kopfschüttelnd wehrte ich ab.
„Mir geht’s gut!“, betonte ich dieses Mal schärfer, als beabsichtigt.
Sie zuckte zusammen und wechselte einen vielseitigen Blick mit dem Mr. Perversling.
Genervt stöhnte ich auf: „Ich gehe ja schon nach Hause, aber ohne Begleitung. Schließlich bin ich schon ein großes Mädchen.“
Marika wollte wieder Einwände erheben, als Mr. Perversling stumm seinen Kopf schüttelte.
Seit wann war er um das Wohlergehen seiner Angestellten besorgt?
Gruselig. Ich sollte schnell zur Villa und schlafen um diesen sehr merkwürdigen Tag hinter mir zu bringen.
Marika, sie war wie eine beste Freundin für mich. Irgendwie tat sie mir Leid, denn hier musste sie wahrscheinlich die nächsten paar Jahre noch verbringen, da dies hier ihr fester Job war und kein Aushilfejob. So bald ich etwas mehr Geld zur Verfügung hatte, war ich ganz schnell weg vom Fenster. Dieser ganze Laden würde mich dann nie wieder zu Gesicht kriegen.
Jetzt erst mal musste ich zu meiner neuen Familie gehen. Wenn sie mein Verschwinden bemerkt haben, dann hatte ich ein großes Problem. Wie Julia letztens schon abging… Das war echt unglaublich.
Noch ein wenig benommen, holte ich meine Sachen und verließ das Restaurant.
Natürlich konnte mein Chef mal wieder nicht, seine Augen im Griff haben.
Anscheinend hatte er keine Manieren gelernt.
Auf dem Nachhauseweg schlenderte ich gelassen und lustlos die Straße entlang.
Ich seufzte. Mein Leben war schon etwas anders.
Die kühle Abendluft umhüllte mich. Sommer, einer der besten Jahreszeiten. Ich hasste den Winter, da war alles kalt, nass und war halt nicht mein Ding.
Alle, die ich lieb gewonnen hatte, verließen mich. Ich konnte es überhaupt nicht realisieren oder ertragen.
Alle ließen mich im Stich.
Den ganzen Weg über, hing ich meinen Gedanken nach. Als ich plötzlich ein Geräusch vernahm. Erschrocken blieb ich stehen. Mein Körper reagierte nicht mehr auf mich. Normalerweise sollte ich jetzt meinen Allerwertesten von hier wegbringen und anstatt dies zu tun, verharrte ich an Ort und Stelle.
Genervt über mich Selber, wartete ich ab, was da vor sich ging. Es war schon dunkel, deswegen konnte ich mit meinen Augen nicht wirklich etwas erkennen.
Ein Lufthauch streifte mich an meinem Rücken. Abrupt drehte ich mich, doch da war nichts. Unbehagen, Neugierde, Angst und Panik machten sich breit.
Was war hier los? Der nächste Lufthauch strich mir über mein Gesicht. Erstarrt berührte ich die Stelle. Ich schluckte. Das war kein normaler Wind gewesen, das war etwas anderes. Es fühlte sich wie eine Hand an, obwohl nichts zu sehen war, strichen Finger über meine Wange. Sie waren warm gewesen.
Drehte ich jetzt völlig durch?! Reine Paranoia.
Nachdenklich blieb ich auf der Straße stehen. Die Laternen spendeten etwas Licht, nicht viel. Es Reichte aber aus um noch ein wenig etwas zu erkennen.
Vielleicht war das Shane und das was er versuchte zu vermitteln, war ein Zeichen.
Hoffnungen erfüllten mich, doch schnell verbannte ich sie aus meinem Herzen. Gefühle durfte ich nicht mehr zulassen, sie verursachten nur Schmerz und Leid. Shane wird eh nicht mehr zurückkommen, also sollte ich mir lieber keine Hoffnungen machen. Er liebte mich nicht mehr. Er hatte mir alles nur vor geheuchelt. Er war ein Idiot. Dieser Spruch „Männer sind Schweine“ hatte irgendwie einen Sinn.
Plötzlich raschelten die Bäume. Ein starker Wind wehte. War das vielleicht doch ein Zeichen?
Eben war absolute Windstille, dann kam der Luftzug und jetzt das.
Hier lief echt was falsch oder bildete ich mir das alles nur ein?
Meine Jacke zog ich bis oben hin zu, da es auf einmal kälter wurde.
Ich sollte weiter gehen, doch eine Seite von mir wollte ergründen, was hier lief. Die andere meines Verstandes wollte schreiend davon laufen.
Hinter mir hörte ich etwas knacken. Schnell drehte ich mich um und starrte, einen sehr großgebauten Mann an. Langsam schritt er auf mich zu. „Samantha“, hörte ich ihn meinen Namen sagen.
Verwirrt sah ich ihn an. Woher zum Teufel kannte er meinen Namen? Diesen Unbekannten hatte ich zuvor noch nie in meinem Leben gesehen, aber da war auch etwas Vertrautes.
„Schön dich zu sehen“, sagte er liebevoll.
Okay. Wer war dieser Typ? Er machte mir Angst!
Eine Möglichkeit wäre ihn hier einfach stehen zu lassen. Schließlich sollten junge Mädchen nie mit fremden Leuten reden. Die zweite Möglichkeit wäre ihn auszufragen.
„Wer sind Sie und woher kennen sie meinen Namen?“, fragte ich misstrauisch und hielt einen großen Abstand zu ihm. Wie immer siegte meine Neugierde und wählte Möglichkeit zwei.
Er lächelte. „Erkennst du mich nicht wieder?“, hakte er weiter nach.
Irritiert schüttelte ich meinen Kopf.
Seufzend rieb er sich über sein Gesicht. Dies zeigte, dass er seit langem nicht mehr geschlafen hatte. Tiefe Augenringe zierten sein Gesicht und ein vernachlässigter Bart prangte in seinem Gesicht. Unter diesem konnte man leicht erkennen, dass er ein markantes Gesicht hatte.
„Ich bin dein Vater“, sagte er monoton.
„Hä?“, gab ich von mir. Was anderes konnte ich vor Verblüffung nicht aus meinem Mund rauskriegen.
Dieser Mann sah ganz anders aus, als der aus dem Restaurant. Wer war denn nun mein leiblicher Vater?
Mein Mund öffnete und schloss sich dann wieder. Ich war vollkommen sprachlos.
„Das kann nicht sein. Niemand kann zwei Väter haben. Außer wenn man adoptiert wurde“, brachte ich mit brüchiger Stimmer heraus.
Belustigt schüttelte er seinen Kopf. Zum Friseur musste er auch mal wieder, denn verfilzte, mittellange Strähnen hingen in seinem Gesicht.
„Ich bin dein leiblicher Vater.“ Das „Leiblicher“ betonte er mit viel Gefühl.
„Ich weiß jetzt gar nicht mehr, was ich glauben sollte. Denn letztens war da so ein Typ in Ihrem Alter und er behauptete auch mein Vater zu sein.“
„Glaub diesem Mann nichts. Er ist derjenige, der dich haben will. Dich und deine Kräfte.“ Seine Stimme wurde lauter. „Er heißt Steven und war mit deiner Mutter verheiratet. Steven denkt, du seist sein Kind, aber du bist es nicht. Die Liebe zwischen deiner Mutter und mir war verboten. Ich habe es erst später von ihr erfahren, dass sie von mir ein Kind erwartet. Steven ist auch ein Wächter und ist mein Bruder. Wenn er heraus gefunden hätte, dass ich etwas mit Megan gehabt hatte, wären wir alle tot. Deshalb tat deine Mom, als wäre das Kind von ihm um dich zu schützen. Niemand, absolut niemand weiß davon. Bevor sie starb, hatte sie dich noch in guten Händen gebracht, denn Steven hatte sich verändert zum Negativen hin“, endete er seinen Vortrag.
Sollte ich ihm das wirklich glauben?
„Wie heißen sie?“, fragte ich nach einer Weile des Schweigens.
„Mein Name ist Ethan.“
„Kennen Sie Shane?“, hakte ich weiter. Shane war ein Wächter und dieser Ethan, mein Vater war auch einer. Dann müssten sie sich doch kennen? Und Shane hatte mir doch die Geschichte mit Steven und Megan erzählt, aber nichts von Ethan erwähnt! Jeder ging davon aus, dass ich die Tochter von Steven sei.
„Ja, ich kenne ihn“, sagte er bedrückt. Auf einmal verhielt er sich seltsam. Da stimmte was nicht.
Er verhielt sich genau in dem Moment, als ich Shanes Namen erwähnte hatte, merkwürdig.
„Shane hatte mir das schon erzählt, aber er geht davon aus, dass Steven mein Vater ist!“, erzählte ich.
Ethan schüttelte nur mit dem Kopf. „Wir können ruhig einen Vaterschaftstest machen, damit du mir glaubst! Ach ja, du kannst mich auch ruhig duzen“, sagte er lässig.
Das mit dem Vaterschaftstest musste ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen, aber wenn er darauf so erpicht war einen machen zu lassen, dann musste ich davon ausgehen, dass er mein Vater war.
„Wenn Sie, ich meine du. Wenn du mein leiblicher Vater bist, wieso kann ich nicht bei dir wohnen? “, fragte ich verzweifelt. „Diese Familie, bei der ich lebe. Ich weiß nicht, sie sind so merkwürdig. Besonders die Mutter und ihr Sohn. Hol mich daraus, bitte!“
Wieder seufzte er. „Das ist nicht so einfach, Sam!“
„Dann ist dir egal, was mit mir passieren könnte? Verflucht! Ich habe Angst, riesige Angst! Hol mich daraus, bitte!“, flehte ich. Noch einmal meinen Fuß in diese verdammte Villa zu setzen, bereitete mir Unbehagen. Diese ganze Welt bestand nur aus lauter kleinen Geheimnissen, gefährlichen Geheimnissen.
Ethan schien mit sich zu ringen. „Na gut. Komm mit.“
Lächelnd nahm ich seine Hand entgegen und plötzlich durchzuckte mich ein Stromschlag.
Es musste eine Vision sein. Wie immer war es nachts. Zwei Personen standen im Central Park. Von weitem erkannte ich ihn, Shane und Ethan. Diese Vision war irgendwie anders als sonst. Es war, als ob ich einfach nur ein Beobachter dessen war, was gerade geschah. Vielleicht war es die Vergangenheit? Sie konnte man sowieso nicht ändern!
Als ich sehr nah bei ihnen stand, merkte ich wie bedrückt und verletzt Shane war. Neben ihm stand Ethan? Wieso stritten sie sich?
„Dein kleiner Schützling und du! Du weißt doch, es ist verboten eine Beziehung mit seinem Schützling einzugehen!“, rief Ethan wütend. Shane konnte nur Nicken. Ethan hatte echt eine große Ausstrahlung. Es ging um mich!
„Und wieso hast du es getan?!“, jetzt schrie er.
Ich konnte ihm ansehen, wie sehr es Shane bedrückte.
„Antworte mir!“, rief er wütend und lief rot an.
„Ich… ich kann dir das erklären!“, sagte Shane ausweichend stotternd. Der erste Satz, der aus seinem Mund kam.
„Ach ja? Ich musste das dem Rat melden und sie haben beschlossen, dass du die Stadt verlässt und keinen Kontakt mit diesem Mädchen mehr aufnehmen wirst. Hast du das verstanden?!“
Geschockt sah Shane ihn an. Sein Gesicht wirkte fahl und blass. „Das könnt ihr nicht machen!“
„Es ist besser so. Für Samantha und dich. Ihr wurdet häufig angegriffen. Wir wollten, dass niemand erfährt, dass sie existiert, sie vor dem Bösen beschützen und dann küssen sich ein Wächter und ein Mädchen in der Öffentlichkeit. Da kann man eins uns eins zusammen zählen, Shane!“
Erschrocken von dem Gehörten, wich ich zurück. Das musste die Vergangenheit gewesen sein.
Jetzt keimten Hoffnungen in mir auf. Ethan hatte es dem Rat gemeldet, besonders er müsste doch für diese Beziehung sein. Shane wusste von Anfang an, dass diese Beziehung zum Scheitern verurteilt war.
Das was ihm damals wieder fahren war, sollte sich jetzt auf Shane und mich auswirken. Niemals! Ich würde das nicht zulassen. Jetzt liebte ich ihn und konnte nicht mehr ohne ihn leben.
Plötzlich so schnell die Vision auch kam, so schnell war sie wieder weg.
„Sam? Geht es dir gut?“, fragte Ethan mich besorgt. Ich schluckte und wich von ihm weg.
„Was sind die Konsequenzen, wenn ein Wächter und eine Hexe zusammen sind?“
In seinem Gesicht konnte ich gemischte Gefühle ablesen, sie aber nicht definieren.
„Schwere Konsequenzen“, antwortete er ausweichend. Seinen Kiefer presste er angespannt auf einander.
„Ich habe gesehen, wie du mit ihm gesprochen hast“, fing ich das Thema meiner Vision an. „Du bist schuld daran, dass er fortgegangen ist!“
Ethan konnte mir nicht mehr in meine Augen sehen. Er vermied es regelrecht.
„Besonders du, müsstest für so eine Beziehung sein!“, warf ich ihm vor. Es war die Wahrheit. Nur weil sein Glück nicht geklappt hatte, musste es ja nicht bedeuten, dass es mit Shane und mir genauso läuft. Vielleicht würde man dieses Verbot aufheben. Was war überhaupt so schlimm daran, dass ein Wächter und eine Hexe eine Beziehung führten oder andere Wesen? Niemand konnte was gegen die Liebe tun! Die Liebe war Stark. Sie ist Stark. Da konnten auch keine Regeln, was daran ändern.
„Wo ist er?“, fragte ich atemlos. „Wo?“ Meine Stimme klang panisch.
Ich wollte ihn unbedingt wiedersehen.
„Ich darf es dir nicht sagen“, entgegnete er.
Mit einem perfekten Schmollmund und einen aufgesetzten Hundeblick sah ich ihn an.
Ethan hielt den Blick nicht mal eine Sekunde aus und verriet mir den Ort. „San Francisco.“ Männer waren so leicht zu beeinflussen. Ich kicherte, aber als ich den Namen der Stadt hörte, wo sich Shane aufhielt, verging mir das Lachen.
„Das ist ja an der anderen Küste!“, sagte ich fassungslos. Das waren mehrere tausend Kilometer die zwischen uns lagen. „Du musst mich zu ihm bringen!“
„Ich könnte dich dort hin beamen!“
„Beamen?“ Verständnislos sah ich ihn an.
„Das ist eine sehr besondere Fähigkeit eines Wächters, aber wir können, beziehungsweise dürfen sie nicht mehr benutzen. Nur noch um in die Menschenwelt oder in meine Welt zu gelangen.“
„Dann fliegen wir halt“, sagte ich entschlossen. Ich musste Shane unbedingt wieder sehen. Diese Sehnsucht machte mich wahnsinnig.
„Nein. Ich werde dich direkt zu seinem Standort beamen.“
„Aber das war doch verboten?“
„Ich muss wieder einiges für dich gut machen. Schließlich war ich daran beteiligt euch auseinander zu bringen“, sage er betrübt und lächelte gequält. Mich wunderte dieser plötzliche Sinneswandel.
„Ok. Dann tu es“, sagte ich fest entschlossen und unterdrückte mein schlechtes Gewissen.
Wenn ich wieder hier war, durfte ich auf keinen Fall in die Nähe der Smiths kommen. Julia würde mich umbringen. Ethan war mein Vater und ich glaubte ihm. Ich war mir ganz sicher, dass er die Wahrheit sagte.
„Jetzt?“
Stumm nickte ich. Eine kurze Berührung reichte es schon um mich in nichts aufzulösen.
Es ging aber ziemlich schnell. Eine Sekunde war ich noch in New York und jetzt stand ich in einem ziemlich ordentlichen Apartment in San Francisco. Shane war schon immer ordentlich gewesen.
Mein Atem ging unregelmäßig. Ich war so aufgeregt und nervös. Kaum zu glauben, dass ich jetzt hier war. Die magische Welt war einfach fantastisch.
Aus meiner Hosentasche holte ich ein Feuerzeug heraus. Ich hielt es in die Höhe und eine Flamme erschien. Suchend sah ich mich um. Es musste das Wohnzimmer sein. Zögernd lief ich auf die Tür zu.
Was, wenn sich Ethan im Apartment geirrt hatte? Vielleicht war es doch falsch hier her zu kommen. Nur diesen einen Satz zu denken, versetzte mir einen Stich im Herzen. Ich schluckte. Hoffentlich war er zu Hause. Unentschlossen drückte ich die Türklinke runter und ging den Flur weiter entlang.
Am anderen Ende dieses Flures stand eine Tür spaltbreit offen. Es war die einzige Lichtquelle hier.
Mein Herz klopfte mir bis zum Halse. Plötzlich hörte ich Geräusche. Ich hielt meinen Atem an.
Es waren Stöhn-Geräusche. Nein! Das konnte nicht war sein. Shane war das nicht. Immer wieder sagte ich zu mir, dass er das nicht war. Er konnte mich nicht betrügen, dafür liebte er mich zu sehr.
Ich kam der Tür immer näher. Und je näher ich der Tür kam, desto aufgeregter war ich.
Am Türspalt angekommen, erhaschte ich einen kurzen Blick ins Innere. Mein Herz zerbrach in tausend Scherben. Shane betrog mich mit einer Frau, die mir sehr ähnlich sah. Ich hatte auch bemerkt, dass er nicht wirklich Lust auf diesen Sex hatte.
Wie konnte er das nur tun? Ich verstand die Welt nicht mehr.
Das war so absurd. Ich träumte bloß. Um mich selbst zu überzeugen, zwickte ich mir in den Arm.
Gerade konnte ich noch ein „Aua“ unterdrücken. Es war kein Traum und dies musste ich erst einmal verkraften.
Ich hatte gedacht, dass unser Wiedersehen anders abläuft als so.
Der Druck in meiner Brust wurde zunehmend stärker.
Ich musste hier raus. Wie konnte ich nur zurück? Wieso habe ich nicht über mein Vorhaben nachgedacht, bevor ich es ausführe? Wie konnte ich bloß so Stroh dumm sein und glauben, dass er mich niemals betrügen würde?
Diese Vision in die Vergangenheit hatte doch gezeigt, dass er mich liebte und gegen seinen Willen musste er mich verlassen, aber wieso tat er das jetzt mit dieser Frau?!
Warum konnte ich nicht ein normaler Mensch sein? Waren die Beziehung zwischen einem Menschen und einem Wächter auch verboten? Warum konnte ich nicht eine von ihnen sein?
So viele Vorwürfe brachten mich auch nicht weiter.
Leise versuchte ich den Ausgang mit dem Feuerzeug auszumachen und dann stieß ich etwas um. Ein lautes Klirren war zu hören. Das Stöhnen, dass aus seinem Schlafzimmer kam, verebbte.
Mit vor Schreck geweiteten Augen erstarrte ich. Auf einmal wurde die Tür aufgerissen, woher das Licht kam.
Ich stand vor ihm. Mein Herz klopfte wild. Das konnte einfach nicht sein. Ich hatte mein Herz ihm versprochen und was tat er, er betrog mich.
Shane hingegen, sah sprachlos aus. Er stand einfach nur da und sah mich an.
Ich konnte etwas in seinem Blick ausmachen, war dass Freude?
Freute er sich überhaupt mich zusehen und eine andere Frau lag in seinem Bett?
Er streckte eine Hand nach mir aus. Sofort wich ich von ihm zurück. Shane hatte sich sehr verändert. Besonders vom Körperbau. Er sah älter, muskulöser, stärker und auch irgendwie größer aus.
„Das ist ein Traum“, flüsterte er.
„Nein“, entgegnete ich zögernd.
Ich wollte noch etwas anderes sagen, fragen. So viele Fragen schossen durch meinen Kopf und aus meinem Mund kam nichts. Nichts!
Innerlich könnte ich mich ohrfeigen. Wir standen nur schweigend voreinander.
Doch plötzlich tauchte seine Tussi im Türrahmen auf und blickte uns fragend an.
Sie streichelte ihn am Oberarm. „Wer ist das?“, fragte sie wütend. Vielleicht war sie wütend, da ich ihren Sex unterbrochen hatte.
„Das ist jemand ganz besonderes“, flüsterte er. Mein Herz machte ein paar Freudentänze bei diesen Wörtern. Mein Verstand war nur maßlos enttäuscht von ihm.
„Verschwinde Sarah“, sagte er hart und konnte seine Augen nicht von mir nehmen. Wahrscheinlich dachte er, dass ich wieder abhauen würde, was ich am liebsten getan hätte, wenn mein verdammter Körper nicht so stark auf ihn reagieren würde.
Empört blickte sie von einem zum anderen. „Das ist doch hoffentlich nicht dein Ernst!“
Sie war schlank, sehr zierlich, so in etwa wie ich. Diese Sarah hatte einige Ähnlichkeiten mit mir.
Erst dachte sie, er verarscht sie, doch dann begriff sie, dass er es ernst meinte.
Wütend schnappte sie sich ihre Klamotten und verschwand aus der Wohnung.
Shane sah immer noch mich an. Er stand nur mit einer Boxershort bekleidet vor mir.
„Ich kann dir das erklären“, sagte er hilflos.
„Das sagen sie alle“, war das letzte, was ich sagte. Ich drehte mich um und wollte gehen, doch er packte mich sanft am Handgelenk und drückte mich gegen die Wand.
„Lass mich los, Shane“, flehte ich.
„Hör mir erst zu.“
„Du brauchst mir nichts erklären. Das was ich gesehen habe, reicht mir als Erklärung.“
Schwer seufzend lehnte er seine Stirn an meine.
„Du hast dich verändert“, sagte ich monoton.
„Aber ich liebe dich immer noch!“
„Habe ich gemerkt“, sagte ich sarkastisch.
Genervt verdrehte er die Augen. „Beim Sex habe ich immer nur an dich gedacht. Nie an sie! Ich schwöre es dir!“
Verzweifelt versuchte ich von ihm weg zukommen, doch sein Griff war zu fest und sein ganzer Körper nagelte mich an der Wand fest.
„Bitte. Glaube mir!“, flehte er verzweifelt und küsste mich auf einmal.
Erstarrt stand ich da und er küsste mich sanft, so wie früher, doch etwas an seinem Kuss war anders. So vieles war an ihm anders. Er hatte sich ganz schön verändert in der kurzen Zeit.
Zögernd erwiderte ich den Kuss. Shane schlang seine Arme um meine Taille.
Mein Körper passte perfekt an seinen, als er mich näher zu sich zog.
Mein Verstand sagte immer wieder, dass ich aufhören sollte. Ihn von mir stoßen, doch nichts dergleichen geschah. Ich ließ mich von seinen Küssen treiben wie auf Wolke sieben.
Über diesen Gedanken kicherte ich. Meine Hände lagen auf seiner nackten und muskulösen Brust.
Was tat ich hier eigentlich? Mein Verstand hatte Recht. Ich musste ihn von mir schieben.
Ich hasste meinen Körper. Dieser reagierte einfach zu sehr auf diesen göttlichen Traum vor mir. Normalerweise müsste ich stinkt wütend sein! Mit wie vielen er wohl geschlafen hatte?
Das reichte. Dies veranlasste mich ihn von mir wegzuschieben.
„Mit wie vielen Frauen hast du schon geschlafen?“, fragte ich wütend.
Er zögerte nicht mit der Antwort und gestand ohne zu blinzeln. Dabei sah er mir noch tief in die Augen. „Zwei.“
Ich schluckte. Mit zwei verschiedenen Frauen. Müde rieb ich mir durch mein Gesicht.
„Sie waren nur ein Jahr jünger als ich und ich gebe zu, dass sie dir verdammt ähnlich sahen!“ Er war so offen. Ich hätte niemals gedacht, dass er mir die Wahrheit auf den Tisch legte.
Bedrückt darüber, dass er mit zwei verschiedenen Frauen geschlafen hatte, musste ich erst einmal verdauen. Ich hingegen war noch Jungfrau! Klasse! Das machte mir jetzt auch echt Mut! Ich werde immer daran denken, dass er vor mir mit anderen geschlafen hatte. Könnte ich das ertragen?
Wollte ich mir wirklich so viel Leid antun?
„Wir müssen einiges klären“, sagte ich gähnend.
„Du solltest dir eine Mütze voll Schlaf gönnen. Wir können auch noch morgen alles klären“, entgegnete er und zog mich mit in sein Schlafzimmer. Wieder dachte ich daran, dass er mit dieser Sarah hier in diesem Raum, in diesem Bett…
„Sorry. Ich kann hier nicht schlafen. Ich werde das Sofa im Wohnzimmer bevorzugen“, sagte ich schnell und verschwand in den Raum, den ich bei meiner Ankunft als erstes betreten hatte.
Ich konnte auf keinen Fall in dem Bett schlafen, wo er vorher mit dieser Sarah geschlafen hatte.
Müde ließ ich mich auf das Sofa fallen. Shane war mir gefolgt und hatte ein paar Decken in der Hand.
Er breitete sie auf mir aus. Als er sich zum gehen ab wand, umschlang meine kleine, zierliche Hand seine, die einer Löwenpranke glich. „Bleib“, flüsterte ich. Überrascht sah er mich an und nickte.
Mein Verstand köpfte mich innerlich über das, was ich gerade getan hatte. Jedoch mein Herz machte gewaltige Hüpfe. Es war schön ihn wieder bei mir zu haben.
Das Sofa war groß genug für zwei. Allerdings war er echt durch seine Muskelmasse breiter geworden, dass ich zur Hälfte auf ihm lag.
Lächelnd sah er mich an. „Ich liebe dich“, flüsterte er und spielte mit meinen Haaren, doch ich war schon im Land der Träume!

Am nächsten Tag weckte mich die Sonne. Der Geruch von Shane stieg in meine Nase. Er roch so gut.
Mein Kopf lag immer noch auf seiner sehr muskulösen Brust. Hatte er etwas in der Zeit, die er hier lebte, im Fitnessstudio verbracht? Vorher hatte er auch schon Muskeln gehabt, aber nicht so.
Seit gestern Abend war ich überwältigt von seinem Anblick.
Meine Finger fuhren die Muskeln nach. Ich malte lauter unsichtbare Kreise auf seinen durchtrainierten Bauch.
Hier zu liegen, ließ alle Sorgen von mir abfallen. Wenn ich mit Shane nach New York zurück gehen werde, würden einige Probleme auf mich zukommen.
Ich seufzte. Auf einmal bewegte sich Shane und drehte sich auf die andere Seite. Prompt fiel ich in die Lücke zwischen dem Sofa und ihm. Besitzergreifend umschlungen seine Arme meine Taille.
Selbst auf der Couch konnte man den Größenunterschied erkennen. Er musste echt gewachsen sein.
Aber das konnte nicht sein, denn in ein paar Tagen da wurde man nicht so groß, oder täuschte ich mich? Dass es daran lag, dass wir uns nicht mehr gesehen hatten. Schließlich überwältigte mich seine Veränderung und ich hatte es vorher nicht wirklich zur Kenntnis genommen, dass er so groß war und ich wollte mich schon gar nicht als klein bezeichnen.
Nachdenklich schaute ich an die Decke. Shane hatte ein schönes Apartment. Sehr viele Fenster ließen die Sonne hineinscheinen.
„Woran denkst du?“, fragte mich Shane liebevoll und strich mir ein paar Strähnen aus meinem Gesicht.
„An vieles“, gab ich zur Antwort und lächelte ihn an.
Heute war der Tag mit den Erklärungen und ein paar Entscheidungen.
„Ich wollte dich nicht verlassen“, fing Shane an und wickelte eine Strähne meines Haares um seinen Finger.
„Ich weiß“, sagte ich fest. „Ich hatte eine Vision, die mir die Vergangenheit zeigte. Dort habe ich Ethan und dich im Central Park gesehen. Es war seine Schuld.“
„Woher kennst du Ethan?“, fragte er mit einer Spur Eifersucht.
„Er ist mein Vater.“
„Was? Nein. Ich dachte Steven wäre es.“ Ungläubig sah er mich an.
„Ethan ist mein Vater. Das ich Stevens Kind sei, war nur vorgetäuscht. Megan und Ethan hatte eine Affäre, als sie schon mit Steven zusammen war.“
Empört stand er auf. „Wenn ich Ethan zu Gesicht kriege, dann kann der was erleben! Er und seine Vorschriften. Er will mich lehren, dann sollte er erst mal seine Fehler wieder gerade biegen!“, rief Shane wütend. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Er war außer sich vor Wut.
Ihm musste unsere „Trennung“ viel ausgemacht haben oder vielleicht war es auch die Last, da er seinen Bruder umgebracht hatte, der allerdings wieder von den Toten auferstanden war. Das wusste Shane noch gar nicht.
Trotzdem jagte er mir ein wenig Angst ein. Er besaß so viel Energie.
Zögernd stand ich von dem Sofa auf und ging auf ihn zu. Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
Durch seine Wut konnte man seine Muskeln noch stärkerer erkennen. Um ihn zu beruhigen, legte ich eine Hand auf seine Schulter und zog ihn in meine Arme.
„Mit Rache werden wir nicht weiter kommen! Es ist längst passé und die Vergangenheit kann man nicht mehr ungeschehen machen. Jetzt gilt nur noch das Hier und Jetzt“, sagte ich sanft.
Er seufzte.
Wie sollte ich ihm bei bringen, dass sein Bruder noch am Leben war?
Erst einmal sollten wir klären, was das mit den anderen Frauen auf sich hat!
„Diese Mädchen, mit denen du geschlafen hast…“
„Es tut mir Leid, aber ich habe versucht dich zu vergessen. Ich musste dich vergessen um mich am Leben zu erhalten und dann kam das irgendwie zustande. Aber es hatte rein gar nichts zu bedeuten. Beim Sex habe ich immer nur an dich gedacht. Wirklich! Gib mir bitte eine zweite Chance“, entschuldigte er sich. Ich war beeindruckt von seiner Offenheit.
Sprachlos starrte ich auf den Boden. Eine zweite Chance? Schnellen Schrittes ging ich auf ihn zu und drückte meine Lippen auf seine. Dabei musste ich mich auf die Zehenspitzen stellen. Er war wirklich überrascht von meiner Reaktion. Hatte er wirklich gedacht, ich würde ihn verlassen? Das könnte ich niemals übers Herz bringen! Aber mein Verstand köpfte mich dreimal.
Trotzdem werde ich wahrscheinlich ein paar Probleme damit haben. Ich konnte es nicht vergessen, wie er mit anderen Frauen geschlafen hatte. Laut seiner Aussage hatte es ihm nicht mal gefallen. Gestern Abend hatte ich es auch gesehen, dass es ihm nicht gefiel.
Seine Hände lagen auf meiner Taille und zogen mich noch enger an sich.
„Versprich mir eines“, flüsterte ich an sein Ohr. „Tu das nie wieder!“
Er nickte und küsste mich auf die Wange.
„Es gibt noch weitere Dinge über die wir uns unterhalten müssen!“, sagte ich traurig. „Über deinen Bruder!“
„Dustin? Er ist tot. Da gibt es nichts zu bereden“, zischte er.
„Er ist nicht tot!“, entgegnete ich und sah ihm fest in die Augen.
„Was? Ich habe ihn doch eigenhändig umgebracht!“
„Anscheinend ist er von den Toten wieder auferstanden! Was weiß ich?!“, sagte ich genervt.
„Nein, das kann nicht sein!“
Ich zuckte bloß mit den Schultern. „Was willst du jetzt dagegen machen?“
Er raufte sich die Haare und lief nachdenklich auf und ab. „Ich habe keine Ahnung.“
„Wir werden das schon irgendwie schaffen“, munterte ich ihn auf.
„Was gibt es noch, worüber ich mir Sorgen machen muss?“, fragte er leicht genervt.
„Als du fortgegangen bist, kam eine Frau vom Jugendamt und hat mich in Jasons Familie gesteckt.“
„Jason?“, fragte er nach.
„Ja, der Neue aus der Schule.“
„Ach der. Was ist denn mit ihm?“, fragte er ahnungslos.
Mit der Hand schlug ich mir gegen die Stirn. Ich war so doof. Shane konnte ja noch gar nicht wissen, dass dieser Kerl böse war.
„Äh. Das ist der Typ, der dich in meiner Vision umbrachte und er steckt mit Dustin unter einer Decke!“, sagte ich irgendwie gelassen. Wie konnte man bloß bei so einer Situation gelassen sein, aber das war mal wieder typisch Sam.
„Oh und wie sind seine Eltern?“
„Der absolute Horror. Ich bin gestern Abend aus der Villa abgehauen nur um zur Arbeit zu gehen. Wahrscheinlich haben sie schon gemerkt, dass ich nicht mehr da bin. Jedenfalls wenn ich zurückkehre, kann ich nicht garantieren, ob seine Mutter mich am Leben lässt. Besonders sie ist total strange!“, beendete ich meinen Vortrag.
„Du wirst da auch nicht mehr hingehen, weil du bei mir bleibst. Am liebsten würde ich das Land verlassen. Mit dir irgendwohin gehen, wohin uns nie jemand finden würde“, sagte er und nahm mich in die Arme.
„Dann tu es“, flüsterte ich und sah ihn mit großen Augen an.
„Sie würden uns folgen, wie es bei deinen Pflegeeltern passiert ist“, entgegnete er.
Seufzend setzte ich mich wieder auf das Sofa. Warme Sonnenstrahlen wärmten mein Gesicht. Ich schloss meine Augen und genoss dieses wunderbare Gefühl frei zu sein.
„Wie bist du hier her gekommen?“, fragte Shane nach einer Weile.
„Ethan hat mich hier hin gebeamt“, antwortete ich gleichgültig.
„Er hat aber ganz schön viele Regeln gebrochen“, sagte er und lächelte sein unwiderstehliches Lächeln.
„Kann schon sein“, sagte ich gedehnt.
Heute hatte ich das erste Mal die Schule geschwänzt und verbrachte meine Zeit in einer ganz anderen Stadt.

Die nächsten Stunden verbrachten Shane und ich mit Reden. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. Endlich war ich wieder bei ihm. Glücklich lehnte ich mich an seine Schulter. Wir lagen am Strand und sahen dem Sonnenuntergang entgegen. Die Sonne ging in den Farben Orange, Gelb und Rot unter. Sie vermischten sich mit einander und dieses Bild war einfach faszinierend. Das war der schönste Sonnenuntergang. In New York konnte man ihn nie wirklich sehen so wie hier, da dort viele Wolkenkratzer vorhanden waren.
Zufrieden seufzte ich. Wir lagen zusammen auf einer Decke und kuschelten. Sein Arm lag mal wieder besitzergreifend um meine Taille. Dieser Griff bedeutete, dass er mich nie, wirklich nie wieder gehen ließ.
Es war schön für ein paar Stunden alle Sorgen zu vergessen und zufrieden leben zu können.
Wie immer spielte Shane mit einer Strähne meines Haares. Es musste wohl zur Gewohnheit geworden sein, wenn er nachdachte.
„Woran denkst du?“, flüsterte ich. Das Meer rauschte. Die Vögel zwitscherten. Der Salzgeruch des Wassers stieg in meine Nase und ließ mich wieder zufrieden seufzen.
„An uns“, gab er eine kurze Antwort.
Lächelnd sah ich ihn an und küsste ihn flüchtig auf die Lippen. Gequält stöhnte er auf, da es nur ein flüchtiger Kuss gewesen war und nicht mehr. Bevor ich mich nach unten sinken ließ, legte er seine Hände an meine Wange und zog mich wieder zu seinen Lippen.
Gierig küsste er mich. Es war ein sehr leidenschaftlicher Kuss. Seine Zunge spielte mit meiner.
Seine Hände wanderten meinen Rücken hinab und zogen mich noch näher und enger an ihn.
Danach fuhren sie unter mein Shirt und streichelten meinen bebenden Bauch.
Keuchend löste ich mich von ihm. Verlegen sah ich ihn an.
Shane küsste mich kurz auf den Mund. Danach folgten meine Wange, mein Hals und mein Schlüsselbein.
„Du bist süchtig nach mir, oder?“, fragte ich neckisch.
Grinsend sah er mich an. „Kann schon sein.“
Theatralisch verdrehte ich die Augen und wollte ihn gespielt schlagen, doch er fing meinen Arm ab.
Einen Moment konnte ich in seinen Augen die Gier erkennen.
Plötzlich drückte er mich auf die Decke. Lachend sah ich ihn an. Meine Arme postierte er neben meinen Kopf. Sie berührten den warmen Sand, der den ganzen Tag von der Sonne angestrahlt wurde.
Shane beugte sich zu mir runter. Mein Herz fing laut anzupochen. Er war nur noch ein paar Zentimeter von meinem Gesicht entfernt. In diesem Moment schien die ganze Welt still zu stehen. Unsere Finger waren ineinander geschlungen. Dann drückte er sanft seine Lippen auf meine. Man spürte durch den Kuss wie besitzergreifend, er geworden war. Es war so unglaublich. Dieser Kuss war wirklich anders als die davor. Das hier, das war nicht nur knutschen, das war richtig rummachen.
Ein Räuspern ließ uns aufhören.
Erschrocken wich ich von Shanes Lippen weg. Ich konnte in seinen Augen die Wut entflammen sehen. Er rollte sich von mir runter und da erkannte ich ihn, der uns gestört hatte.
„Ethan!“, rief ich überrascht.
„Geh weg von ihr, Shane“, zischte er. „Du lässt deine Finger von meiner Tochter!“
Zögernd stand ich auf. „Ethan. Es ist noch nicht einmal sicher, ob ich deine Tochter bin. Und außerdem kann ich selber entscheiden mit wem ich zusammen sein möchte oder nicht!“
Shane verschränkte seine Arme vor der Brust und musterte Ethan argwöhnisch.
„Shane ist nicht wirklich ein guter Umgang für dich!“
„Wieso der plötzliche Sinneswandel? Erst hilfst du mir mich zu ihm zu bringen und jetzt darf ich urplötzlich nicht mit ihm zusammen sein! Du bist schlimmer als eine Frau mit Stimmungsschwankungen bei der Schwangerschaft“, schrie ich ihn wütend an. Shane musste um seine wütende Fassung ringen um nicht zu lachen.
„Das steht jetzt nicht zur Debatte, meine Liebe“, sagte er kühl.
Shane tat gar nichts. Er stand einfach nur da und brodelte innerlich vor Wut.
„Wieso bist du hier?“, fragte Shane. Das war der erste Satz, der aus seinem Mund kam.
„Ich soll sie zum Rat bringen“, beantwortete er seine Frage.
„Nein, das werde ich nicht zu lassen“, zischte Shane. „Wenn sie in den Fängen des Rates kommt, wird man sie als Waffe gegen Steven einsetzen.“
Worüber redeten sie? Waffe? Ich wusste wohl, dass ich in einem Teil der Prophezeiung eine wichtige Rolle spielte, aber was ich genau machen sollte, wusste ich noch nicht.
„Vielleicht wird sie dabei umkommen!“ Shane ballte seine Hände zu Fäusten. Er zitterte. Jeden Moment könnte es passieren, dass er auf Ethan los ging.
„Okay. Okay. Jungs. Beruhigt euch und hört auf über mich zu reden, als wäre ich gar nicht da!“, rief ich und stellte mich zwischen ihnen. Ethan und Shane führten miteinander ein Blickduell.
Meine Hände lagen bei beiden auf Brusthöhe. „Jetzt klärt ihr mich erst einmal auf!“
„Wie du sicherlich schon von ihm weißt, bist du ein Teil der Prophezeiung. Du besitzt Kräfte, die unvorstellbar sind. Der Rat hat erst vor einigen Stunden von dir erfahren. Sie waren sehr erbost, dass die gegnerische Seite schon länger etwas ahnte, als die unsere. Jedenfalls wollen sie dich jetzt ausbilden“, antwortete Ethan.
„Das werde ich nicht zulassen!“, zischte Shane.
„Shane, für dich ist es jetzt eigentlich zu Ende. Ich brauchte dich nur, damit sie einen Wächter hat. Damit sie überlebt. Anfangs wollte ich auch nicht, dass der Rat von ihr erfährt, aber sie ist ein Teil der Prophezeiung! Es ist unumgänglich!“, setzte Ethan seine Rede fort.
Shane presste angespannt seine Lippen auf einander.
Ich war nur ein Mittel zum Zweck. Jeder wollte mich nur ausnutzen. Selbst Shane wurde ausgenutzt.
Seufzend ließ ich meine Arme sinken. Die Prophezeiung konnte man nicht abwenden. Ich musste einwilligen. Ich musste mich ausbilden lassen. Ich musste mit ihm gehen. Ich musste meinen Onkel umbringen, bevor er die Gelegenheit ergriff und mich umbrachte.
Diese schwere Erkenntnis ließ mich zittern. Bestürzt blickte ich meine zitternden Hände an.
Durch diese Hände wird Steven sterben. Ich schluckte. Jemanden umzubringen von heute auf morgen, dafür war ich nicht geschaffen. Für echte Auftragskiller wäre das ein Leichtes. Die würden sogar lächeln. Ihnen machte der Tod eines anderen Menschen nichts aus. Wenn ich es schaffen würde, könnte ich dann mit dieser Qual mein Leben weiter leben? Ich musste. Das Schicksal lag in meiner Hand, doch ich konnte nicht!
Mit Tränenerfüllten Augen sah ich Ethan an und schüttelte meinen Kopf.
Shane nahm meine kleine zierliche Hand in seine und drückte sie aufmunternd.
„Sie hat sich entschieden nicht mit zukommen“, sagte Shane hocherfreut.
„Es tut mir Leid“, flüsterte ich und dann ging alles auf einmal so schnell.
Ethan kam auf mich zugelaufen. Im letzten Moment beamte Shane uns hier weg.
Wir befanden uns wieder in seiner Wohnung.
„Was machen wir jetzt?“, fragte ich panisch.
„Untertauchen“, sagte er und zog unter seinem Bett eine fertig gepackte Tasche her.
Fragend hob ich eine Augenbraue hoch.
„Für einen Notfall und dies ist auch einer“, erklärte er.
„Als hättest du damit je gerechnet“, entgegnete ich leicht ironisch.
„Das ist eine Vorsichtmaßnahme, die jeder Wächter als erstes lernen wird“, sagte er ernst, küsste mich auf die Wange, holte noch einige wichtige Sachen und stopfte sie in seine Tasche.
„Jetzt müssen wir zu dir nach Hause“, sagte er monoton.
„Oh, Nein! Da gehe ich nie wieder hin!“, stritt ich ab und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wir holen nur deine Sachen!“, sagte Shane genervt und strich mir liebevoll eine Strähne hinter mein Ohr.
Seufzend gab ich nach. Diese Beamerei ging mir langsam regelrecht auf die Nerven. Davon wurde einem schlecht.
„Zieh nicht so ein Gesicht“, sagte er amüsiert, nahm meine Hand und verfrachtete uns in mein Zimmer in der Villa von den Smiths.
Leise durchlief ich das Zimmer zur Tür. Ich überprüfte, ob diese noch verschlossen war oder nicht und sie war es nicht mehr. Sie waren hier drin, schoss es mir durch den Kopf. Hatte man nirgendwo mehr seine Privatsphäre. Ich öffnete die Tür ein Stück und sah mich auf dem Flur um. Es war nichts zu sehen. Beruhigt schloss ich sie wieder und wollte gerade abschließen, da fiel mir auf, dass der Schlüssel nicht mehr im Schloss vorhanden war.
Fragend sah ich über die Schulter zu Shane. Dieser praktizierte etwas äußerst merkwürdiges. Langsam sollte ich mich echt an die magische Welt gewöhnen, doch sie faszinierte mich zu sehr.
Er machte nur eine kleine Bewegung, da hörte man schon das Klicken, wenn man den Schlüssel umdrehte, doch es war keiner da.
Staunend blickte ich Shane an.
„Du musst noch vieles Lernen, Schätzchen“, lächelte er amüsiert und machte meinen Kleiderschrank auf.
Ich zog aus der Ecke meinen Koffer und hievte ihn auf das Bett. Shane zerrte all Mögliche Dinge aus dem Schrank und schmiss es achtlos in den Koffer.
„Hey“, flüsterte ich. „Das sollte ich mal mit deinen Kleidungsstücken machen!“
„Tust du nicht“, sagte er gespielt gefährlich.
Genervt verdrehte ich die Augen. Wieder schmiss er etwas achtlos in meinen Koffer. Empört stieß ich die Luft aus.
Er hingegen lächelte nur.
Wenn er ein Mensch wäre, hätte ich ihm längst schon eine geklatscht. Da er ja ein Wächter war und sowieso stärker war als ich, könnte ich dieses Vorhaben glatt vergessen.
Aus dem angrenzendem Badezimmer holte ich mein Waschzeug, alle Parfümflaschen, Handtücher und brachte sie zu meiner Tasche.
Shane hatte währenddessen die Bücher aus den Regalen rausgenommen.
„Wehe du schmeißt sie auch achtlos in diesen Koffer“, drohte ich ihm.
Wieder lächelte er schelmisch und in seinen Augen blitzte etwas auf.
Übertrieben vorsichtig legte er sie dort rein.
„Du bist echt ein Idiot“, sagte ich und schlug ihm auf den Arm.
Theatralisch stöhnte er vor Schmerzen auf.
„Das war noch nicht mal ein harter Schlag“, sagte ich genervt. Ich merkte, dass er es liebte mich zu Ärgern.
„Übrigens, wo wollen wir jetzt eigentlich hin?“, fragte ich ihn.
„Lass dich überraschen“, antwortete er geheimnisvoll und machte den vollen Koffer zu.
Plötzlich rüttelte jemand an der Tür.
Erschrocken drehte ich mich zu ihr um und packte Shanes Hand.
„Samantha, Schätzchen. Mach doch mal bitte die Tür auf“, sagte Julias Stimme übertrieben höflich.
Woher konnte sie wissen, dass ich da war?
„Und jetzt?“, formte ich stumm mit meinem Mund.
Shane zuckte nur mit den Schultern.
„Samantha. Ich weiß, dass du da bist.“ Sie wusste etwas. „Mach doch bitte die Tür auf. Ich mache mir doch nur Sorgen um dich.“
Wie festgefroren, stand ich einfach nur da und hielt seine Hand.
Ein lauter Knall ließ uns gegen die Wand fliegen. Mit dem Rücken landete ich gegen den Spiegel.
Er zerbrach in tausend kleine Teile und sie bohrten sich wie verrückt in meinen Rücken. Gequält stöhnte ich auf. Plötzlich riss mich jemand vom Boden und drückte mich gegen die Wand. Es war Julia. Sie war allein. „Du, kleines Miststück“, zischte sie drohend und holte ein Messer heraus.
„Es wird wohl Niemand etwas dagegen haben, wenn ich dich hier und jetzt töte“, sagte sie gefährlich lächelnd.
Julia wackelte mit dem scharfen Messer vor meinem Gesicht herum. Verflucht! Wo war Shane, wenn man ihn brauchte?
„Wächter, bleib wo du bist!“ Diese Frau hatte sich nicht einmal umgedreht um zu wissen, dass er aufgestanden war. Ich sah etwas in seiner Hand aufblitzen.
Er trat einen Schritt nach dem anderem.
„Noch einen Schritt weiter und sie ist tot“, drohte sie. Julia hielt mittlerweile das Messer an meine Kehle gedrückt. Warmes Blut lief an meinem Hals hinunter.
Meine „Pflegemutter“ drehte sich immer noch nicht zu Shane um, sondern sie fixierte mich weiter.
Ihre Augen waren beängstigend. Ein Schauer lief meinen schmerzenden Rücken hinab und hinterließ eine Gänsehaut.
„Lassen Sie sie los“, forderte Shane.
Theatralisch verdrehte Julia ihre Augen und ließ das Messer in ihrer Hand um her schwingen.
Auf einmal verrenkte Julia ihre Hand nach hinten und plötzlich kamen da lauter Messer heraus. Sekundenschnell erreichten sie ihn. Blitzschnell wie die Messer, so wich Shane ihnen aus. Mit einer Flugrolle brachte er sich wieder zum Stehen.
Dann startete er einen direkten Angriff auf sie.
Julia wirbelte herum um mit Shane zu kämpfen. Erschrocken schrie ich auf. Deswegen hatte sie sich nicht umgedreht. An ihrem Hinterkopf befanden sich weitere zwei Augen, die mich dieses Mal fixierten.
„Shane, pass auf“, schrie ich. Er nickte bloß und griff diese Bestie an. Was sie wohl für ein Wesen war?
Die Messer von ihr prallten an seinem Schwert ab. Shane wirkte so viel stärker, oder tat sie nur auf schwach um ihn zu Fall zu bringen?
Gerade konnte Shane noch einem der Messer ausweichen, bevor sie seine Haut aufschneiden konnte.
Ich traute meinen Augen kaum als ich sah, wie er das Schwert schwang. Wie gut er damit umgehen konnte.
Schließlich schlug er Julia eines der Messer aus der Hand und stieß sie gegen die Wand.
Hasserfüllt starrte sie ihn an. Shane hob das Schwert um ihr den Todesstoß zu geben. Genau in dem Moment als er zustieß, wich sie der Schwertspitze aus.
Er rammte das Schwert in die Wand und konnte es auch nicht mehr herausziehen.
Auf einmal stand Julia auf und ließ das Messer in seine Richtung fliegen. Rechtzeitig bückte er sich.
Hämisch grinsend lief sie auf ihn zu.
Plötzlich stand er auf und rammte sein Schwert in ihren Bauch.
Ein markerfüllender Schrei durchzuckte meinen Köper. Julia schrie wie eine Furie und verpuffte in Staub.
Mit offenem Mund starrte ich das Häufchen Asche an.
Schweißüberbadet kam Shane erschöpft zu mir herüber.
„Los! Wir müssen von hier weg!“, rief er, schnappte meine Hand und den Griff des Koffers und beamte uns von hier Weg zum Flughafen.
„Wohin fliegen wir?“, fragte ich neugierig.
„Wirst du gleich erfahren“, sagte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn, der sich vom Kampf gebildet hatte.
Shane holte zwei Karten aus seiner Jacke und führte uns zum Passagiereingang.
Er zeigte den zwei Angestellten die Karten und sie ließen uns durch.
Gemeinsam gingen wir zu unseren Plätzen, verstauten das Gepäck und ließen uns erschöpft in die Sitze fallen.
„Was war Julia für ein Wesen?“, fragte ich angespannt.
Zögernd antwortete er: „Ein Warlock. Das sind böse Zauberer. Sie haben eine menschliche Gestalt um nicht erkannt zu werden.“
„Okay“, sagte ich etwas unsicher.
„Es gibt noch mehr Wesen“, sagte er lässig.
Seufzend lehnte ich mich an seine Schulter.
„Du musst noch so viel lernen, Sam“, sagte er erschöpft.
„Ich kann es kaum glauben, dass wir auf der Flucht sind!“ Gähnend kuschelte ich mich enger an ihn.
„Ethan wird alles daran setzen um dich am Rat abzuliefern. Ich kann dies ehrlich gesagt nicht verstehen. Er sagte doch, er wäre dein Vater. Und Väter würden niemals ihre Kinder in den Tod schicken, denn der Rat will das du Steven umbringst.“
„Ich krieg Kopfschmerzen davon“, jammerte ich.
„Irgendetwas stimmt da nicht. Ich glaube ihm nicht, dass er dein Vater ist“, sagte er misstrauisch.
Schnell stupste ich ihn an, damit er ruhig war, als ich sah das da jemand kam.
Eine Stewardess lief an uns vorbei und sah uns merkwürdig an.
Kichernd blickte ich ihr hinter her. „Du musst vorsichtiger sein. Uns darf doch keiner hören.“
Er lachte. „Und das kommt ausgerechnet von dir?“
Ich streckte ihm die Zunge raus. Plötzlich beugte er sich vor und küsste diese.
Angewidert drückte ich ihn von mir weg, doch er umfasste meine Arme und zog mich wieder zu sich.
Wieder musste ich anfangen zu kichern und küsste ihn.
„Wird man uns verfolgen?“, fragte ich nach einer Weile.
„Ich darf uns unter keinen Umständen beamen, dann hätten wir die ganzen Kämpfer vom Rat am Halse. Das letzte, was sie zurück verfolgen können, ist nur der Flughafen.“
Beruhigt ließ ich mich zurück in den Sitz sinken.
Das Flugzeug hob ab in den Himmel. Es war schon längst dunkel geworden und man konnte die Sterne am Himmel betrachten.
„Wunderschön“, flüsterte ich.
„So wie du“, hauchte Shane mir ins Ohr und zog mich an seine muskulöse Brust.
Mit einem Lächeln um meine Lippen glitt ich friedlich in einen traumlosen Schlaf.


Als ich das Nächste mal erwachte, lag ich in einem sehr bequemen und großen Bett. Verwirrt sah ich mich um. Es war noch mitten in der Nacht. Wo war ich? Wo war Shane? Wieso waren wir nicht mehr im Flugzeug?
Ich schlug die Decke zurück und merkte, dass ich meine normale Kleidung nicht mehr trug, sondern meinen improvisierten Schlafanzug, der aus einem Top und einer Boxershort bestand.
Leise stieg ich aus dem Bett und tapste Barfuß durch das Zimmer zur Tür. Mit zittrigen Händen griff ich nach dem Türgriff und drückt ihn nach unten. Die aus holzgeschnittene Tür knarrte ein wenig, als ich sie öffnete und wieder schloss.
Ich befand mich in einem Haus. Aber in welchem Land?
Mit einem unguten Gefühl stieg ich leise die Wendeltreppe hinab.
Unten angelangt, sah ich mich neugierig um. Hinter dieser Tür musste sich der Eingangsbereich befinden, denn dieser Raum war das Wohnzimmer. Auf der Couch lümmelte Shane rum und zappte durch den Fernsehkanal.
Anscheinend musste ich irgendein Geräusch gemacht haben, denn Shanes Kopf drehte sich unwillkürlich zu mir um.
Schüchtern lächelte ich ihn an und er erwiderte es. Shane klopfte neben sich auf den freien Platz und bedeutete mir, dass ich zu ihm kommen sollte.
Zögernd tapste ich zu der Couch. Shane griff nach meinem Handgelenk und zog mich zu sich hinab.
Kichernd schmiegte ich mich an seinen warmen Körper.
„Wo sind wir?“, fragte ich nach einer Weile des Schweigens.
„In München“, antwortete er und sah mich erwartungsvoll an.
„Was?! Deutschland?!“, fragte ich ungläubig. Nein, er veräppelte mich. Ich war schon lange nicht mehr hier gewesen. In den letzten Jahren verbrachte ich hier meine Zeit mit meinen Pflegeeltern Paul und Mary.
Überglücklich umarmte ich ihn. Hier wurden sie auch begraben. Endlich konnte ich ihr Grab besuchen.
„Ja. Wir befinden uns in München“, sagte er nochmal um es mir zu bestätigen. Und wie er „München“ ausgesprochen hatte. Voll der süße Akzent.
„Aber, denkst du, dass sie uns finden würden?“, fragte ich leicht betrübt.
„Sie gehen wahrscheinlich davon aus, dass wir nicht in deine Heimatstadt zurückkehren. Das wäre zu gefährlich.“
„Aber du hast es getan?“
„Weil ich davon ausgehe, dass sie hier nicht suchen werden. Weil sie genau wissen, dass ich nicht diesen Ort auswählen würde, aber ich habe es getan. Außerdem wollte ich dir auch gleichzeitig eine Freude machen!“
„Das ist so süß von dir!“, sagte ich und küsste ihn.
Er schmeckte nach Alkohol.
Angewidert löste ich mich von ihm. Ich hasste Alkohol.
„Was ist los?“, fragte er besorgt.
„Du trinkst?“ Es war eher eine Frage anstatt eine Feststellung.
„Manchmal“, antwortete er.
Darauf sagte ich nichts mehr. Es war seine Entscheidung.
„Wieso meinte Ethan, dass du ein schlechter Umgang für mich seist?“, fragte ich nach einer Weile.
„Keine Ahnung“, log er.
„Du lügst. Ich spüre es“, sagte ich und dieses Gefühl war unbeschreiblich. Ich konnte deutlich fühlen, dass er log. Und ich dachte, wir hätten keine Geheimnisse voreinander mehr. Enttäuscht glitt ich von der Couch. Shane folgte mir.
„Du hast Recht, ich habe dich angelogen“, sagte er ehrlich. „Das muss einer deiner besonderen Kräfte gewesen sein.“
„Würdest du mir jetzt meine Frage beantworten?“, fragte ich hoffnungslos nach.
„Ja. Mein Vater ist ein Dämon“, antwortete er.
Erschrocken wich ich von ihm zurück. Dämonen waren böse! Selbst meine „Pflegemutter“ Julia gehörte zu den Dämonen, auch wenn sie ein Warlock war.
Ich habe einen Dämon geküsst.
„Deine Mutter…“
Shane beendete meinen stotternden Satz: „…ist eine Wächterin. Sie hat sich auf einen Dämon eingelassen. Und bei meinem Bruder scheint diese Seite die Macht über ihn gegriffen zu haben!
Er besitzt wenige Fähigkeiten der Wächter. Dustin kommt nach unserem Vater und ich nach unserer Mutter.“
In meinem Kopf fliegen nur so die Gedanken hin und her. Dadurch bekam ich Kopfschmerzen.
Meine Kehle war wie ausgedörrt.
Diese Information hatte zu viel Druck auf mich ausgeübt.
„Weiß der Rat davon?“, fragte ich nach einer Weile.
„Ja“, antwortete er und trat einen weiteren Schritt auf mich zu.
Sofort wich ich von ihm weg.
„Ich kann verstehen, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben möchtest.“
„Was? Nein, ich liebe Dich. Aber lass mir nur ein bisschen Zeit“, stotterte ich.
Zu viel Druck, mit dem ich klar kommen musste. Warum konnte ich nicht ein normales Leben führen?! Diese Frage stellte ich mir tausend Mal am Tag.
Ich spürte Shanes liebevollen Blick auf mir. Meine Augen klammerten sich auf dem Boden fest.
Ich konnte ihm nicht ins Gesicht sehen.
In meinem Blickfeld gerieten plötzlich zwei nackte Füße.
Shane stand ganz dicht vor mir. Mein Herz klopfte wie wild in meinem Brustkorb. Hoffentlich konnte er das Pochen nicht hören.
„Sieh mich an, Sam“, flüsterte er sanft. Konnte ich damit umgehen, dass er ein Dämon war?
Ich liebte ihn über alles . Aber irgendwann schien doch auch mal seine Böse Seite durch, oder nicht?
Und davor hatte ich Angst.
Seine warmen Finger umschlungen mein Kinn und drückten es leicht nach oben, somit ich in seine wunderschönen blauen Augen schauen musste. Ich konnte mich jeder Zeit wieder neu in ihn verlieben.
„Du brauchst keine Angst vor mir haben!“, sagte er sanft. Mein Körper zitterte wie Espenlaub.
Er nahm mich in seine Arme. In seinen Armen zu liegen war ein schönes Gefühl. Shane gab mir Geborgenheit, Schutz, einfach alles. Ich fühlte mich wohl bei ihm und ich konnte es akzeptieren, dass er nur zur Hälfte ein Dämon war.
„Ich habe keine Angst vor dir“, flüsterte ich leise an seine Brust.
Er fing an zu lachen. „Aber du zitterst.“
„Ist nur der Schock“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Ich drehte meinen Kopf in seine Richtung und betrachtete ihn. „Du hast dich verändert.“
„Hm.“ Shane ging nicht weiter darauf ein und küsste mich auf mein Haar.
Er nahm meine Hand und zog mich mit nach oben ins Schlafzimmer. Dort legten wir uns auf das große Bett und ich kuschelte mich an ihn.

Die nächsten Tage verliefen…ruhig. Es war unheimlich ruhig. Diese Ruhe bedeute immer bevor der Sturm losging. Wenn wir uns in der Öffentlichkeit befanden, achtete Shane auf jede kleinste Bewegung im Schatten oder auf die Menschen. Es war schön endlich wieder in München zu sein.
Als wir einmal in der Stadt waren, traf ich auch meine beste Freundin Denise. Sie umarmte mich stürmisch. Mit einem kleinen Zeichen konnte ich Shane verdeutlichen, dass sie keine Gefahr darstellte. Er entspannte sich nur ein wenig, achtete aber wieder auf die anderen Menschen um uns herum. Ich konnte einigermaßen ganz gut damit umgehen, dass er ein Dämon war.
„Oh, Sam! Wie ich dich vermisst habe!“, sagte sie überglücklich.
„Ja, ist schon eine Weile her, als wir uns das letzte Mal gesehen hatten“, antwortete ich schüchtern.
„Du hast dich aber ganz schön verändert!“, sagte sie missbilligend und lachte wieder.
„Du aber auch! Es ist schön wieder hier zu sein!“
„Wer ist das da eigentlich neben dir?“, fragte Denise mich neugierig.
Shane konnte kein einziges Wort verstehen, was wir sprachen. Er konnte kein Deutsch.
„Das ist Shane, mein Freund“, sagte ich wahrheitsgemäß.
„Du hast einen Freund? Er sieht unglaublich heiß aus“, schwärmte sie.
Als ich seinen Namen erwähnte, sah er mich neugierig an.
„Ja. Ich liebe ihn über alles!“
„Weißt du, kannst du dich noch an Björn erinnern?“, fragte sie mich strahlend.
„Björn?“ Ich überlegte, aber ich konnte mich an keinen Jungen erinnern, der Björn hieß. „Nein!“
Enttäuscht sah sie mich an. „Wirklich nicht? Björn hat sich dermaßen verändert und ist beliebt geworden. Früher hatten wir ihn doch immer ausgelacht, wegen seiner riesigen Hornbrille, seine Sachen und dann die vielen Pickel. Er war auch total ungeschickt!“
„Ach ja. Björn. Genau, Tollpatsch-Björn“, sagte ich lachend.
„Ja. Aber jetzt ist er das genaue Gegenteil und er ist mein Freund“, sagte sie stolz.
Sprachlos sah ich sie an. Denise und Björn? Ich konnte mir Björn überhaupt nicht gut aussehend vorstellen.
„Wow! Das hätte ich niemals gedacht“, sagte ich fassungslos.
„Ich auch nicht. Aber ich muss jetzt leider weiter. Wir sehen uns!“, verabschiedete sie sich von uns und verschwand in der Menschenmenge.
„Wer war das?“, fragte mich Shane neugierig.
„Das war meine beste Freundin hier. Ihr Name ist Denise. Hast du eigentlich irgendwas von dem Gespräch verstanden?“
„Nicht wirklich“, gab er zu und legte einen Arm um meine Taille. Fröhlich schlenderten wir durch die Innenstadt. „Ich konnte nur meinen Namen verstehen!“
Grinsend sah ich ihn an. Und er küsste mich mal wieder leidenschaftlich.
Aber er hatte sich wirklich verändert. Er war besitzergreifend geworden. Wenn mich Jungs ansprachen, verscheuchte er sie immer grob. Seine Eifersucht war irgendwie total süß. Die fremden Jungs sprachen mich aber auch nur immer an, wenn Shane nicht in der Nähe war.


An einem schönen, warmen Sommertag besuchten wir gemeinsam das Grab meiner Pflegeeltern.
Es war ein komisches Gefühl, endlich sie zu besuchen. Shane und ich hatten noch ein paar Blumen organisiert, die ich auf das Grab legte. Irgendein Gärtner musste es gepflegt haben, denn es sah wie neu aus.
Als ich davor stand, kamen mir ein paar Tränen, die ich ihren freien Lauf ließ.
Shane stand ganz dicht neben mir und drückte mich mitfühlend.
Er wischte meinen Tränen weg und küsste mich.
Es machte sich ein beklemmendes Gefühl in mir breit, aber es war gut, dass er hier bei mir war.


In den nächsten paar Tagen lehrte mich Shane das Kämpfen mit dem Schwert.
Es war anstrengender als ich gedacht hatte. Wir fingen sofort an mit echten Schwertern zu kämpfen.
Eigentlich brauchte ich das nicht lernen, aber da ich nicht genau wusste, was ich für Kräfte besaß, musste ich solange das Schwert benutzen. Und Shane meinte, dass wenn man seine Kräfte benutzte, dass man immer schwächer wurde. Daher bevorzugte er immer die scharfen Schwerter, damit er für den Notfall noch etwas mit seinen Kräften anfangen konnte.
Shane war wirklich ein guter Lehrer, aber auch sehr zielstrebig und streng.
Er meinte auch, dass man seine Umgebung mit in den Kampf einfließen lassen sollte.
Zum Beispiel, wenn man sich mit einem Feind in einem Wald befand, konnte man gut die Bäume benutzen. Sich so geschickt bewegen, dass das Schwert des Gegners im Baum feststeckte und dann den Todesstoß vollendete.
Da wir mit echten Schwertern kämpften, kam es auch manchmal dazu, dass wir uns gegenseitig verletzten. Oft versuchte Shane dies bei mir zu vermeiden.
Wir trainierten viele Stunden an einem Tag. Am Ende dieses lehrreichen Tages fiel ich immer erschöpft und mit steifen Gliedern in das Bett.
Shane hatte es gut. Für ihn war es nicht mal ein kleines bisschen anstrengend. Jedenfalls zeigte er das nicht. Es war für ihn eine Leichtigkeit mit dem Schwert umzugehen.
Heute hatte ich extrem viele Wunden abgekriegt. Ich musste noch so viel lernen, aber ich war für eine Anfängerin nach seiner Meinung schon ganz gut.
Da ich auch zur Hälfte eine Wächterin war, besaß ich die Kraft des Beamens. Jedoch hatte Shane es mir verboten, es auszuprobieren, da der Rat es orten konnte und sofort wusste, wo wir uns aufhielten. Dies wollte ich nicht riskieren. Es war total schön hier, vor allem mit ihm zusammen.
Erschöpft ließ ich mich mit Shane küssend in das Bett fallen. Ehrlich gesagt, genoss ich seine Lippen auf meiner Haut. Seine Bartstoppeln kitzelten. Er hatte sich das letzte Mal vor ein paar Tagen rasiert. Shane meinte, er hätte einfach keine Zeit dafür. Es ließ ihn älter und sexier aussehen. Irgendwie stand ich darauf. Er stützte sich links und rechts neben meinen Kopf ab und küsste mich gierig auf den Mund. Meine Hände fuhren seine Muskeln auf dem Rücken nach, dich sich unter meinen Fingern bewegten. Er küsste meine Lippen und ging dann ein bisschen weiter runter zu meinem Hals. Dort verharrte er erst eine Weile und saugte an meiner dünnen Haut. Das sollte wohl ein Knutschfleck werden.
Ich umschlang seinen Nacken mit meinen Armen und bog meinen Rücken durch.
Er nutzte die Gelegenheit um mir mein Top auszuziehen. Schwach ließ ich mir das Kleidungsstück über meinen Kopf ziehen. Shane schmiss es achtlos –wie er immer mit meinen Sachen umging – aus dem Bett und ließ seine Lippen auf meiner Haut wandern. Zitternd umschlang ich meine Beine um seine Hüfte. Ein flaues Gefühl machte sich in mir breit, als seine wissenden Hände geschickt meinen BH öffnen wollten. Die ganze Zeit über hatte ich meinen Verstand ausgeschaltet und nur auf mein Herz gehört. Und jetzt als er weiter gehen wollte, schaltete sich mein Verstand ein und hielt mir vor, dass er schon mit anderen Frauen Sex hatte und ich war noch total unerfahren.
Er bemerkte wie angespannt ich auf einmal war und hielt inne. Seine Hände entfernten sich von dem Verschluss meines BHs und er sah mich besorgt an. „Ist alles in Ordnung?“
„Ja, ja!“, sagte ich zu schnell und traute mich nicht in seine Augen zu schauen.
„Ich brauche keine bestimmte Kraft um die Wahrheit zu erkennen, ich weiß auch so das du eine schlechte Lügnerin bist“, sagte er neckisch. „Also? Was ist los?“
„Es ist nichts – wirklich nichts!“, beteuerte ich.
Er hingegen sah mich mit einer hochgezogenen Augenbraue ungläubig an.
„Du hast mit anderen Frauen geschlafen und ich bin noch Jungfrau und…und…“, stotterte ich verlegen.
Er strich mir ein paar Haarsträhnen aus meinem Gesicht hinter mein Ohr.
Liebevoll sah er mich an. „Na und? Das hatte nichts zu bedeuten und ich werde dir auch nicht weh tun, versprochen!“
Zögernd nickte ich und dieses Mal küsste ich ihn. Er wirkte auch ein wenig überrascht, fing sich aber sofort wieder und spielte wie verrückt mit meiner Zunge. Shane übernahm voll und ganz die Führung. Seine Hände beschäftigten sich mit dem Erkunden meines Körpers. Das sollte ich mal machen!
Schnell zog er sich sein Shirt über den Kopf, dabei ging ich ihm ein wenig zur Hand.
Er öffnet geschickt meinen BH. Spielerisch knabbert er an meinen Brustwarzen, während seine Hände überall meinen Körper verwöhnten. Jetzt lag ich völlig entblößt vor ihm.
Ich stöhne verzückt und vergrub meine Hände in seinen Haaren.
Dies war mein erstes Mal und ich verbrachte es mit einem Halb Dämon und Wächter.
Das gab es nicht oft. Über diesen Gedanken musste ich kichern. Ich hatte mich schon längst damit abgefunden, was er war. Was zählte war, dass ich ihn liebte! Ich könnte vor Glück platzen.
So schnell wie er sein Shirt ausgezogen hatte, folgte auch seine Hose.
Shanes Finger schieben sich wissend in meine Spalte. Er machte mich noch vollkommen verrückt.
Da ich noch nie wirklich Sex hatte, wollte er mir ein wenig die Schmerzen ersparen.
Aus seiner Hose, die neben dem Bett zerknüllt lag, holte er eine Kondompackung raus, öffnete diese und rollte sich das Kondom über, bevor er bei mir eindrang.
Seine Augen lagen die ganze Zeit auf meinem Gesicht. Wenn ich Anzeichen von Schmerz zeigte, wusste ich, er würde sofort aufhören.
Langsam drang er in mich ein und hielt erschrocken die Luft an, als mich ein kurzer Schmerz durchzuckte. Sofort wurde Shane still und wartete meine Reaktion ab. Zögernd nickte ich und Shane fing langsam an sich in mir zu bewegen.
Ich öffnete meine Beine noch ein bisschen weiter und er drang tiefer in mir ein.
Überrascht stöhnte ich auf und konnte Shane auch ein kleines Stöhnen entlocken.
Meine Finger krallten sich etwas fester in seine Muskeln und ich drückte ihm meinen Körper noch weiter entgegen.
Shane gab mir viele nach mehr verlangende Küssen, die ich gierig erwiderte.
Erschöpft ließ ich mich in die Kissen drücken und Shane rollte von mir runter.
Er zog mich in seine Arme und ich kuschelte mich noch enger an ihn.
Über uns breitete Shane eine Decke aus, da es doch recht kühl wurde.
Sein Atem strich über die empfindliche Haut unterhalb meines Ohres und küsst mich auf meine Stirn.
Wohlig seufzend lag ich in seinen starken Armen. Eine Weile lagen wir noch kuschelnd in dieser Position bis ich irgendwann glücklich eingeschlafen war.


Am nächsten Morgen wachte ich überglücklich auf. Ich missbrauchte Shanes Brust als Kopfkissen. Ihm schien es auch nicht im Geringsten zu stören.
Er hatte anscheinend gemerkt, dass ich wach war, denn er wünschte mir einen guten Morgen und begrüßte mich schon am frühen Morgen mit einem sehr leidenschaftlichen, sanften und fordernden Kuss, den ich natürlich gierig erwiderte.
„Ich liebe Dich“, flüsterte ich in sein Ohr. Daraufhin zog er mich noch näher an seine Brust. Ich musste anfangen zu kichern.
Plötzlich hörten wir unten ein Geräusch. Luftanhaltend sah ich mit vor Schreck geweiteten Augen Shane an, der sich sofort anspannte.
Er legte einen Finger auf seine Lippen und bedeutete mir ruhig zu sein.
„Zieh dich an und hol ein paar wichtige Sachen – wir verschwinden!“, flüsterte er kaum hörbar.
Einverstanden nickte ich und tapste mit der Decke, die meinen Körper bedeckte ins Badezimmer.
Dort zog ich mich so schnell wie es ging leise an, holte ein paar Sachen und steckte diese in den Rucksack. Die anderen Dinge verstaute ich in meinem Koffer und schob diesen in das Geheimfach hinter dem Schrank. Mit seinen Sachen tat ich das Gleiche.
Während ich hier alles einpackte, hatte Shane sich schnell was über gezogen, sein Schwert geschnappt und schlich leise aus dem Raum raus.
Er wollte, dass ich hier drin blieb, doch ich folgte ihm, als ich fertig war.
Unten vernahm ich unbekannte Stimmen, die eine andere Sprache sprachen.
Ich kniete mich auf die erste Stufe und sah durch die Stangen nach unten.
Wie erstarrt saß ich auf der ersten Stufe. Dort waren ekelhafte Kreaturen, die alle Möbel auseinander nahmen.
Plötzlich legte sich eine Hand auf meinen Mund. Ich wollte schreien, doch dann erkannte ich, dass es Shane war.
Erleichtert atmete ich leise auf. Er nahm meine Hand und ich stand von der Treppe auf.
Shane zog mich wieder in das Schlafzimmer und sperrte die Tür leise zu. Zum Glück gab sie keine Geräusche mehr von sich, da Shane sie irgendwann mal geölt hatte.
„Was machen wir jetzt?“, flüsterte ich.
Shane lief zum Fenster und öffnete dieses. Oh, Gott! Er wollte doch nicht wohl daraus springen?!
Verrückter ging’s ja wohl nicht mehr!
„Du willst darunter springen?“, fragte ich fassungslos.
„Uns bleibt keine andere Wahl“, entgegnete er und schnappte sich seinen Rucksack.
Widerwillig schulterte ich auch meinen.
„Ich werde zu erst springen, dann kann ich dich ein wenig auffangen, wenn du springst, okay?“, schlug er vor.
Ich nickte. Unten hörten wir, wie die Gläser auf den Boden aufprallten.
Shane setzte sich auf den Rand des Fensters und sprang nach unten. Erschrocken rannte ich zum Fenster und sah zu ihm. Er war elegant auf seinen Füßen gelandet.
Erleichtert atmete ich aus.
„Komm“, formte er mit seinen Mund.
Unentschlossen stand ich einfach nur so da. Plötzlich drehte jemand an dem Türgriff.
Erschrocken drehte ich mich um. Die Tür vibrierte unter der Wucht der Schläge.
Schnell setzte ich mich auf den Rahmen und genau in dem Moment, als die Tür aufflog, sprang ich.
Shane fing mich auf, genau wie er es gesagt hatte.
Oben am Fenster brüllten diese Kreaturen ekelhaft und machten Anstalten auch von dort runter zuspringen.
Shane schnappte meine Hand und führte mich durch eine Tür, die in die Garage führte. Mit einem Holzbalken verriegelte er die Tür.
Dort stand ein neuer Wagen. Es war ein schwarzer Porsche.
„Seit wann steht hier ein Auto?“, fragte ich neugierig.
„Schon etwas länger. Habe ich mit zum Haus gekauft“, antwortete er gelassen und bedeutete mir einzusteigen.
Schnell öffnete ich die Beifahrertür und ließ mich in den Sitz fallen.
„Und wieso hast du mir davon nichts erzählt?“, fragte ich genervt.
„Ich hatte irgendwie nie den passenden Zeitpunkt gefunden und dann hatte ich es auch vergessen“, sagte er grinsend und gab mir einen Kuss.
Shane startete den Motor und drückte eine Taste auf so einer Fernbedienung. Sofort öffnete sich das Garagentor automatisch. Es ging langsam hoch, zu langsam. Ungeduldig tippte Shane auf dem Lenkrad rum.
In der Lücke konnte man schon die Füße der Monster sehen. Einer beugte sich nach unten und krabbelte unter dem Tor hindurch. Erschrocken schrie ich auf. Die anderen Kreaturen folgten. Das Garagentor war noch nicht wirklich oben. Shane legte den Gang ein und drückte auf das Gaspedal.
Diese Monster kamen auf uns zu und dann brauste Shane los. Er überfuhr diese ekeligen Kreaturen. Dabei gaben sie ein schreckliches Geräusch von sich. Ohne jegliche Angst durch fuhr Shane das Garagentor. Ich schrie wie am Spieß vor Schreck. Selbst diese Viecher waren erschrocken und wichen vom Tor weg, als wir hindurch gefahren waren. Schnell drehte ich mich um und sah ein sehr demoliertes Tor und das die Viecher uns folgten. Sie waren schnell.
„Du bist total irre!“, schrie ich ihn an.
„Beruhige dich“, sagte er vollkommen gelassen und bog um die Ecke.
Ich atmete tief durch. Der Schock saß in meinen Gliedern fest.
„Und jetzt?“, fragte ich mit zittriger Stimme.
Shane beschleunigte und fuhr über eine rote Ampel. Die Autofahrer hupten und die Fußgänger schrien auf, als sie diese Kreaturen sahen, die uns immer noch verfolgten.
„Wir müssen das Land verlassen“, sagte er und legte beruhigend eine Hand auf mein Bein. Sofort durch flutete mich eine wohlige Wärme.
„Wie haben sie uns gefunden?“
„Ich weiß es nicht. Entweder wir wurden beobachtet oder einer hat uns verpfiffen an den Rat oder an Steven.“
Wir verließen die Stadt und Shane fuhr auf die Autobahn. Vor einer Weile hatten wir schon die Kreaturen abgehängt. Erst als wir uns auf der Autobahn befanden, entspannte Shane sich nur ein wenig. Er fuhr über 200km/h. Es war eine Horrorfahrt mit ihm. Immer in der letzten Sekunde bremste er ab und überholte ein paar Autofahrer. Danach beschleunigte er wieder.
Die Landschaft um uns herum verschwamm.
Das würde jetzt wahrscheinlich ewig so gehen, da wir auf der Flucht waren.
„Und wohin geht’s jetzt?“, fragte ich neugierig.
„ Niederlande“, grinste er.
Die Holländer und ihre witzige Sprache. Über diesen Gedanken musste ich kichern.
Wir fuhren quer durch Deutschland. Einmal mussten wir sogar rasten, weil Shane das Auto tauschen wollte, damit unsere Feinde unsere Fährte verlieren. Jetzt saßen wir in einem schicken silberneren Benz.
Die meiste Zeit auf der Fahrt schlief ich auf dem Beifahrersitz. Es war ziemlich ungemütlich, aber ich war total erschöpft, da konnte ich echt überall schlafen.
Shane fuhr den ganzen Tag durch. Irgendwann nachts hielt der Wagen an. Überrascht darüber, dass wir angehalten hatten, wachte ich auf und sah ihn verschlafen an.
„Wieso halten wir an?“, fragte ich gähnend.
„Wir sind in Amsterdam“, antwortete er und stieg aus dem Wagen. Neugierig versuchte ich draußen etwas zu erkennen, doch es war zu dunkel.
Plötzlich wurde die Beifahrertür aufgemacht und eine Hand griff nach mir. Erschrocken japste ich auf. Dann folgte Shanes Kopf.
„Na, habe ich dich erschreckt?“, fragte er neckisch.
„Idiot“, murmelte ich und ergriff seine Hand. Mit wackeligen Beinen stand ich auf dem Boden.
Müde streckte ich mich erst einmal. Alle meine Glieder taten weh.
Shane nahm unsere Rucksäcke und lief auf ein großes Gebäude zu.
Schweigend folgte ich ihm.
Bevor wir in das Gebäude reingingen, schaute sich Shane nochmal in der Dunkelheit um und dann erst betraten wir gemeinsam das Hotel.
Eine sehr junge Frau stand an der Rezeption und begrüßte uns auf Holländisch.
Ich verstand kein einziges Wort, aber dafür Shane.
Er sagte irgendetwas auf dieser Sprache. Oh man, er hatte so einen witzigen Akzent.
Irgendwie schien diese Frau nur Augen für Shane zu haben, denn sie beachtete mich überhaupt nicht. Jetzt war ich auch noch eifersüchtig.
Lächelnd gab sie ihm die Zimmerschlüssel und berührte ganz zufällig seine Hand bei der Übergabe.
Wütend ging ich voraus.
„Jetzt warte doch mal“, rief Shane hinter mir her. „Übrigens läufst du in die falsche Richtung.“
Immer musste er sich lustig machen. Mürrisch ließ ich mich in die richtige Richtung ziehen.
„Sag mal, was hast du denn auf einmal?“, fragte er besorgt.
„Du hast mit der Frau an der Rezeption geflirtet. Das sah doch jeder Blinder mit Krückstock!“
„Ich habe nicht mit ihr geflirtet“, sagte er lachend. „Auf was du für Ideen kommst!“
„Hallo? Sie hat ganz zufällig deine Hand berührt!“, konterte ich wütend.
Shane schloss das Zimmer auf und zog mich mit rein. Er lachte immer noch.
„Du bist eifersüchtig. Das ist total süß“, sagte er lächelnd.
„Gar nichts ist süß!“, schimpfte ich und wollte an ihm vorbei gehen ins Badezimmer um mich frisch zu machen. Doch er hinderte mich daran und drückte mich gegen die Tür. Mein Rücken prallte unsanft gegen das Holz.
„Was...? Lass mich los!“, schrie ich ihn an. Er hatte sich so vor mir postiert, dass ich nicht entkommen konnte.
Shane küsste meinen Hals. Oh, man. Ich war einfach verrückt nach ihm.
Ich konnte mir ganz gut vorstellen, dass sein Gesicht ein breites Grinsen zierte. Selbst er hatte gemerkt, wie mein Körper auf ihn reagierte. Und mein Verstand schaltete sich bei ihm immer so schnell ab. Besonders jetzt nach dem gemeinsamen Sex fiel es mir umso schwerer ihn nicht zu begehren. Und in diesem Moment nutzte er es schamlos aus.
Seine Hände lagen auf meiner Hüfte und seine wundervollen Lippen drückten sich auf meine.
„Du bist immer das einzige Mädchen, das ich begehre“, flüsterte zwischen ein paar Küssen.
„Und du bist so ein verdammter Idiot!“, warf ich ihm vor. Ich packte sein T-Shirt und zog ihn zu mir.
Wild rumknutschend hob er mich hoch und trug mich zu dem Bett.
Mein erstes Mal war schon atemberaubend gewesen, aber jeder Kuss mit ihm war unvergleichbar.
Wieder einmal konnte ich mich nicht im Zimmer umschauen, denn Shane benebelte mich einfach zu sehr.
Seine Hand wanderte unter mein Shirt und streichelte meinen bebenden Bauch.
Meine Hände krallten sich in seinen muskulösen Rücken.
Er küsste einfach unglaublich. Ununterbrochen küssend streifte er mir mein störendes T-Shirt über den Kopf. Nur eine Sekunde hörten wir auf uns zu küssen und als das T-Shirt achtlos auf den Boden geworfen wurde, ging es weiter.
Ein plötzliches Räuspern hielt uns inne. Erschrocken setzte ich mich auf und griff nach meinem Shirt.
Vor uns stand Ethan. Woher wusste er wo wir uns befanden?
Shane griff in seine Hosentasche und zückte einen Dolch. Wieso trug der Idiot ein Messer in seiner Hosentasche? Man konnte sich an diesem Ding verletzen!
„Was willst du Ethan?“, zischte Shane und drückte mich weiter nach hinten. Mit dem Rücken stieß ich an die Wand.
„Wie ich sehe, vergnügst du dich mit meiner Tochter“, sagte er gefährlich ruhig.
„Lass uns in Ruhe!“, knurrte Shane und hielt den Dolch schützend vor sich.
Schnell zog ich das T-Shirt unter den missbilligenden Blicken von Ethan an.
„Anscheinend wolltet ihr sogar noch weiter gehen, als nur rumknutschen?“ Es hörte sich eher nach einer Frage an als nach einer Feststellung.
„Das haben wir bereits“, sagte Shane arrogant.
Ethan sah uns wütend an. Mir lief sofort die Schamesröte ins Gesicht. Auf einmal war es so heiß hier.
„Du hast mit ihr geschlafen?!“, rief er wütend und plötzlich stürzte er sich auf Shane.
Erschrocken schrie ich auf.
Beide rollten sich kämpfend auf dem Boden.
Das musste endlich ein Ende haben. Ohne nachzudenken, schnappte ich mir die Vase von der Fensterbank und schlug sie Ethan auf den Kopf.
Dies schien ihn nur noch wütender zu machen. Eigentlich hätte er jetzt bewusstlos werden sollen – hätte!
Mit wütenden Schritten kam er auf mich zu. Er packte mich an meinem Hals und drückte mich gegen die Wand. Ich bekam kaum noch Luft. Röchelnd versuchte ich seinen Arm von meinem Hals zu entfernen, doch er war zu stark.
Wo war Shane?!
Plötzlich riss Ethan seine Augen weit auf und fiel zur Seite. Erschrocken sah ich Shane an.
„Los! Wir müssen von hier weg!“, sagte er und schnappte sich die Rucksäcke.
Danach stürmten wir aus dem Hotel heraus zum Wagen. Dort saßen wir angespannt in unseren Sitzen.
Shane versuchte verzweifelt den Motor zu starten, doch es klappte nicht.
„Shane! Fahr!“, schrie ich und starrte nach draußen. Dort kamen viele Kreaturen auf uns zu. Manche trugen in ihren Händen eine Axt. Andere waren so große wie ein Riese. Aber es waren auch Menschen unter ihnen mit Gewehren. „Verdammt! Fahr endlich!“
„Ich versuch’s ja!“, motzte er mich an.
Der Motor wollte einfach nicht anspringen. An dem Tank lag es nicht, denn er war noch voll. Shane musste getankt haben, bevor wir hier ankamen.
„Die müssen irgendetwas mit dem Wagen angestellt haben!“, sagte Shane wütend.
Die Kreaturen waren nur noch ein paar Meter von uns entfernt.
„Was wollen wir jetzt machen?“, fragte ich hoffnungslos und sah unserem Ende zu.
Shane gab mir keine Antwort. Keine Antwort war auch ‘ne Antwort. Er wusste es selber nicht und probierte es nochmal aus. Immer wieder drehte er den Schlüssel im Zündschloss um, doch der Motor startete einfach nicht.
Plötzlich hörte ich Schüsse und wir konnten uns noch rechtzeitig ducken, sonst hätten uns die
Kugeln getroffen – oder eher mich, denn die Kugel steckte in meinem Beifahrersitz fest.
In der Fensterscheibe klaffte in kleines Einschussloch.
Wollte Ethan uns umbringen? Oder waren das die Kämpfer von Steven? Dann könnte ich verstehen, dass sie uns umbringen wollten. Denn Ethan brauchte mich lebendig, damit ich Steven umbringen konnte.
Shane versuchte immer wieder den Motor zu starten, doch es kam einfach kein Geräusch.
Jetzt hatten die Kreaturen den Benz erreicht. Hasserfüllt starrten sie uns an. Ich konnte jetzt genauer erkennen, wie sie aussahen. Von der Ferne aus ging das schlecht, da die Dunkelheit im Wege war.
Eine von den Kreaturen hatte hohle Augen und sah aus, als wäre sie am verwesen.
Konnte man die Toten auferstehen lassen? Denn sie sah wirklich so aus!
Plötzlich schwang einer seiner Axt genau auf diesen Wagen zu. Die Fensterscheibe bekam Risse.
Auch von der Seite versuchten sie die Scheiben kaputt zu schlagen.
Immer wieder schlugen sie auf die Fensterscheiben ein. Die Scheibe neben mir gab nach und die Scherben prasselten nur so auf mich herab. Sie schlitzten meine Haut auf und Blut quoll aus der Wunde. Die Kreaturen griffen gierig nach mir. Ich versuchte mich soweit von ihnen wegzusetzen, dass sie mich nicht erreichen konnten, doch dafür war das Auto einfach zu klein. Ihre dreckigen Pfoten auf meiner Haut zu spüren, rief Ekel in mir hoch.
Auch auf Shanes Seite hatten sie die Scheibe eingeschlagen und griffen nach ihm.
Er hingegen schlitzte die Kreaturen auf und ich saß einfach nur angewidert neben ihm.
„Wir müssen von hier weg“, sagte ich verzweifelt. Jemand griff nach meinem T-Shirt und zog daran.
Shane reagierte schnell und schlitzte ihm die Kehle auf.
Schleunigst entfernte ich mich von dem Fenster.
Shane versuchte wieder den Motor zu starten. Und dieses Mal klappt es. Irgendetwas musste den Motor blockiert haben. Er trat auf das Gaspedal und fuhr einige Monster über.
Wieder vielen Schüsse. Mich wunderte es, dass sie uns eben nicht einfach mit der Waffe umgebracht hatten. Oder sie hatten Spaß daran gehabt uns quälend und verzweifelt zu sehen.
Wir hatten einige Kilometer zwischen dem Hotel und uns gebracht.
Plötzlich hämmerte etwas auf dem Autodach rum.
„Was ist das?“, fragte ich verzweifelt.
Shane zuckte nur mit den Schultern und beschleunigte das Tempo.
„Ich geh nachsehen!“, sagte ich.
„Nein, wirst du nicht“, verbot Shane es mir. Allerdings hörte ich nicht auf seine Proteste und kletterte aus dem Fenster. Meine Füße stellte ich auf den Beifahrersitz. Mein ganzer Oberkörper befand sich im Freien. Ich krallte mich auf dem Autodach fest und sah darüber hinweg.
Erschrocken schrie ich auf.
Auf dem Dach des Benz lag eine Kreatur mit einer Axt in der Hand bewaffnet.
Ich konnte mich vor Schreck nicht bewegen. Das Monster hatte mich schon längst gesehen und kroch auf mich zu. Im aller letzten Moment sank ich zurück auf meinen Sitz.
„Fahr schneller“, sagte ich ängstlich.
Sofort beschleunigte er das Tempo mit Vergnügen.
Unerwartet schlug das Monster mit seiner Axt durch das Fenster von Shane. Um ein Haar hätte er Shane die Kehle durch geschnitten, wenn er sich nicht rechtzeitig zur Seite gelehnt hätte.
Jedoch verlor er in diesem Augenblick die Kontrolle über das Lenkrad. Der Wagen kam von der Fahrbahn ab und fuhr auf einen Baum zu. Wenn ich nicht geschrien hätte, dann hätte Shane nicht reagiert und somit das Lenkrad gegriffen um dem Baum auszuweichen.
Nichtsdestotrotz befand sich das Monster immer noch auf dem Wagen.
Aber urplötzlich nicht mehr auf dem Autodach sondern auf der Motorhaube.
Shane hatte das Vieh auch schon gesehen und fuhr Kurven, damit das Ding von der Haube verschwand. Aber es krallte sich fest und kam immer näher zur vorderen Scheibe, die allerdings noch nicht zerschlagen war.
Die Kreatur hob seine Axt und schlug auf die Scheibe ein. Nach zwei Schlägen prasselten die Scherben auf uns herab.
Sie stachen uns und verletzten uns.
Das Monster kam immer näher. Erschrocken schrie ich auf, als das Vieh auf einmal direkt vor uns stand.
Gerade wollte er unsere Köpfe abhacken, da zielte Shane auf das Monster mit zwei Pistolen. Dabei musste Shane das Lenkrad loslassen und das Auto war nicht mehr unter Kontrolle.
Mit zwei gezielten Kopfschüssen fiel das Monster von der Haube auf die Straße.
Shane schmiss die Pistolen nach hinten, wollte nach dem Lenkrad greifen, doch es war zu spät. Wir prallten gegen einen Baum.
Beim Aufprall blieb mir der Schrei in der Kehle stecken. Alles wurde Schwarz um mich herum.


Als ich das nächste Mal aufwachte, war Shane nicht mehr da, aber dafür standen zwei Sanitäter vor mir und versuchten mich aus dem Wagen herauszuholen, was ihnen mit einigen Mühen gelang.
Gerade legten sie mich auf eine Trageliege, als plötzlich der Wagen explodierte.
Wo war Shane?!
Erschrocken schrie ich auf.
„Shane“, krächzte ich und wollte ihn suchen, doch der Sanitäter hielt mich davon ab und schob mich in den Krankenwagen.
„Is dat de naam van de jongen?“, sagte der Sanitäter, der mich festhielt, damit ich nicht nach Shane suchen konnte. Aber ich verstand kein Wort von dem, was er sagte. Er musste es auch verstanden haben, dass ich nicht seine Sprache sprach und unterhielt sich angeregt mit dem anderen Sanitäter. Dabei sahen sie mich immer wieder an. Anscheinend redeten sie über Shane und mich.
Einige Tränen liefen über meine Wangen. Hoffentlich war er nicht tot!
„Shane!“, schluchzte ich leise.
„Können Sie mich verstehen?“, fragte der Selbe Sanitäter, der doch eben noch irgendwas auf Holländisch gesagt hatte!
Ich wollte nicken, doch es war zu schmerzhaft meinen Kopf zu bewegen. „Ja“, flüsterte ich.
Wieder sagte er irgendetwas auf Holländisch zu seinem Partner.
Er strich mir behutsam über meinen Kopf und sagte irgendetwas von „alles wird wieder gut.“
„Wo ist Shane?“, fragte ich mit krächzender Stimme.
„Ist das sein Name?“
„Ja.“
„Ich kann Sie beruhigen. Er lebt und befindet sich im anderen Krankenwagen.“
Erleichtert atmete ich auf.
Der Sanitäter fragte nicht einmal nach, warum das Auto so schrecklich demoliert ausgesehen hatte.
Es war sowieso explodiert, da stellte niemand mehr Fragen, weil alle Beweise durch die Explosion vernichtet wurden.
Vor meinen Augen bildete sich ein Tränenschleier. Wieso konnte ich nicht normal sein? Jeder andere Mensch führte ein normales Leben und ausgerechnet ich musste aus der Reihe tanzen!
Diese Fragen stellte ich mir zum wiederholten Male.
Die beiden Sanitäter unterhielten sich wieder auf Holländisch. Natürlich verstand ich kein Wort und lauschte ihren witzigen Worten.
Hätte ich jemals gedacht, dass wir sicher oder überhaupt am Krankenhaus ankommen würden?
Ja, ich hatte gedacht so würde es kommen. Doch plötzlich ging ein merkwürdiger Ruck durch den Krankenwagen.
Ängstlich sah ich den Sanitäter an, der wenigstens Deutsch sprechen konnte.
Sanftmütig blickte er mich an und setzte sich an meine Seite. Irgendwie fühlte ich mich zu diesem jungen Mann hingezogen. Er strahlte diese Geborgenheit und Wärme aus. Es war unbeschreiblich.
Ich musterte ihn genauer. Der Holländer hatte grüne Augen, die einem liebevoll ansahen und schokobraune Haare, die ihm ins Gesicht fielen, ließen ihn süß aussehen. Ich schätzte ihn um die achtzehn-neunzehn Jahre.
„Wie ist dein Name?“, fragte er mich.
„Samantha“, flüsterte ich mit einer rauen Kehle. Alles tat mir weh. Von Kopf bis Fuß.
„Ich bin Seth“, antwortete er mir und wandte sich seinem Kollegen wieder zu.
Wieder besprachen sie etwas auf Holländisch. Verflucht! Wieso hatte ich damals diesen Holländisch-Kurs abgesagt. Jetzt hätte ich es wirklich gebrauchen können!
Sein Partner nickte, öffnete die Wagentür und verschwand in der Dunkelheit.
Mittlerweile stand der Krankenwagen irgendwo auf einer Straße.
Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit! Da lief was falsch. Ich spürte dies förmlich.
Irgendwas würde jetzt passieren. Das fühlte ich.
Ängstlich drückte ich Seths Hand.
Plötzlich durchdrang die Nacht ein Schrei. Ich wollte mich aufsetzen, doch Seth hinderte mich daran.
Er machte Anstallten, auch nach draußen zu gehen wie sein Partner.
„Nein. Geh nicht nach draußen! Verriegle die Tür. Schnell“, krächzte ich. Der Sanitäter zögerte nicht und handelte sofort, was ich ihm aufgetragen hatte.
„Vermutlich ist dein Partner tot“, sagte ich stockend und leckte mir über meine trockenen Lippen, in denen sich schon längst Risse gebildet hatten.
Erschrocken sah Seth mich an. „Was?!“
Ich wollte irgendetwas sagen, doch mein Mund öffnete sich und schloss sich wieder.
Sein Partner musste tot sein. Es war sein Schrei gewesen, der schmerzverzerrt und glockenhell durch die Nacht zerriss.
Langsam ohne dass mich Seth daran hinderte, setzte ich mich senkrecht auf die Liege.
Der Holländer sah mich immer noch erschrocken an. Aber nach dem Schock verwandelte es sichin Wut.
„Woher willst du das wissen?“, zischte er.
„Sein Schrei und das urplötzlich der Wagen angehalten hatte. Es wird etwas passieren“, antwortete ich gleichgültig. Wichtiger war, dass ich zu Shane musste!
Wenn meine Vermutung stimmte, lauerten da Draußen wieder schreckliche Kreaturen, die uns unaufhaltsam suchen und finden werden.
Auf einmal wurde die Klinke des Wagens herunter gedrückt und an ihr herumgezerrt. Mein Körper spannte sich an.
„Mach die Tür nicht auf“, sagte ich ruhig und doch klang meine Stimme gefährlich.
Stark wurde an der Klinke herumgezerrt. Es würde nicht lange dauern, dann hatten sie die Tür auf.
Plötzlich wurde auf dem Dach des Wagens herum gehämmert, genau wie bei Shane und mir vorhin.
Sie waren es und sie kamen mich holen.
Hoffentlich war der Krankenwagen stabil unter der Wucht der Schläge.
In meinem Innern ergriff die Angst die Macht, aber nach außen hin sah ich völlig gelassen aus.
Um mich ein wenig zu beruhigen nahm ich Seths große Hand in meine.
Verwundert über meine Reaktion starrte er auf unsere umschlungenen Hände und dann fanden seine Augen ihren Weg in meine.
Mitfühlend drückte er sie.
Es war die reinste Qual hier zu sitzen und auf das Ende zu warten. Ich hoffte so sehr, dass Shane noch lebte. Er musste leben! Ein Leben ohne ihn war sinnlos.
Wie viele Menschen mussten wohl sterben bis ich Steven endgültig aus der Welt geschafft habe?
Schnell verscheuchte ich diesen Gedanken.
Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe rum.
Ein Klingeln eines Handys zerriss dieses qualvolle Grauen im Wagen.
Wie erstarrt sahen wir uns gegenseitig an. Reflexartig nahm Seth sein Handy aus seiner Hosentasche und hielt es sich an sein Ohr.
Eine männliche aufgeregte Stimme konnte ich vernehmen.
Seth nickte und reichte mir sein Handy. Verwirrt sah ich ihn an und nahm es entgegen.
„Hallo?“, flüsterte ich ängstlich in das Mobiltelefon. Die Schläge von Draußen hörten nicht auf.
Sie waren wie Trommelschläge, die diese Angst nur noch mehr verstärkte.
Erleichtert atmete jemand an der anderen Leitung auf. „Sam! Geht es dir gut?“
„Shane!“, schrie ich förmlich in den Gegenstand. „Gott sei Dank! Du lebst!“
„Ja“, kam es knapp von der anderen Leitung. „Wir müssen von hier weg!“
„Wie denn?“, fragte ich panisch. „Es gibt keinen Ausweg oder wir müssen uns durch die Monster durchschlagen!“ Woher hatte er überhaupt die Nummer von Seth?!
Ein Brüllen auf der anderen Leitung ließ mich nicht verstehen, was Shane versuchte zu sagen.
Im anderen Krankenwagen geschah gerade etwas und ich hatte panische Angst.
„Shane!“, rief ich immer wieder seinen Namen in das Handy.
Ein Rauschen und seine wunderschöne Stimme erklang: „Alles in Ordnung! Musste kurz jemanden köpfen!“
Selbst in so einer Situation musste er scherzen.
„Oh, Shane“, flüsterte ich kraftlos und ließ mich auf die Liege sinken.
Abrupt wurde die Tür aus den Angeln genommen. Erschrocken schrie ich auf und ließ das Handy zu Boden fallen. Fluchend sah ich das kaputte Mobiltelefon an.
Vor uns stand ein Riese mit der Tür in der Hand und sah uns nur mit einem Auge an. Er besaß keine zwei Augen und sein ekeliger Geruch drang bis zu uns herüber. Hässlich war noch nicht mal ein schlimmes Wort für diesen Riesen, denn er übertraf alles an Hässlichkeit.
Seth erstarrte. Er kannte die Welt der mystischen Fabelwesen, Kreaturen und Magie gar nicht.
Für ihn war das etwas vollkommen Neues. Aber ich konnte keine Angst von ihm spüren.
Ich sollte aufhören seine Gefühle zu analysieren und mich auf das kleine Problem da vorne konzentrieren.
Der Riese konnte mit seiner Statur nicht in den Wagen. Deshalb griff seine große Löwenpranke nach uns.
Seth und ich rückten bis an die Wand und wichen seiner Hand aus.
Im Krankenwagen sah ich mich um. Es gab nichts Brauchbares. Und mit der Trageliege konnte ich auch nicht sehr viel ausrichten. Aber ein Versuch war es wert.
Ich lief zu der Liege und schob sie gegen seine starke Hand. Irritiert stand Seth immer noch an der Wand, aber dann half er mir. Mit vereinten Kräften, die mich zu schnell verließen, schoben wir die Liege gegen ihn. Allerdings war der Riese stärker und es machte ihn wütender.
Rechtzeitig konnten wir die Liege noch loslassen, denn er zog sie mit voller Wucht aus dem Krankenwagen.
Schwankend stand ich auf und wich mit dem Sanitäter an die Wand, als die Hand des Riesen wieder versuchte nach uns zugreifen.
Ein markerschütternder Schrei ließ uns unsere Hände auf die Ohren legen. Wenn dieser Schrei nicht auf hören würde, würde gleich mein Trommelfell platzen!
Nach gefühlten Stunden hörte es endlich auf. Alles was mit Glas zutun hatte, war zerbrochen.
Langsam hob ich meine Augenlider und sah nach draußen. Dort war nichts mehr zu sehen.
Wo war der Riese?
Und urplötzlich war es auch so still. Eine gefährliche Ruhe machte sich breit.
Zögernd tat ich einen Schritt nach dem anderen. Mit einem unguten Gefühl stieg ich aus dem Wagen.
Es war rein gar nichts zu sehen. Als ich um die Ecke bog, blieb mir die Luft weg.
Ich hatte schon oft gesehen, wie Shane jemanden tötete, aber es immer wieder zu sehen und dann so brutal, ließ einen erschauern.
Gerade zog er sein Schwert aus dem Leichnam des Riesens und befreite es von dem stinkenden Blut.
Er steckte das Schwert ein und sein Blick traf meinem. Überglücklich, dass er lebte, stand ich einfach nur da und sah ihn an.
Humpelnd kam er auf mich zu und umarmte mich stürmisch.
Meine Schmerzen von dem Autounfall wurden von Zeit zu Zeit erträglicher, nur ich konnte meinen Kopf nicht wirklich mehr bewegen.
„Geht es dir gut?“, fragte er besorgt.
„Ja. Woher hattest du Seths Handynummer?“
„Wer ist Seth?“, stellte er eine Gegenfrage. Shane war eifersüchtig.
„Der Sanitäter. Also. Woher?“, hakte ich weiter nach.
„Von seinem toten Kumpel“, antwortete er monoton. „Anscheinend hast du dich mit diesem Seth gut verstanden?!“
„Shane! Was soll das? Denkst du etwa zwischen ihm und mir lief was?!“, fragte ich geschockt nach. Er hatte sie ja wohl nicht mehr alle! Ich liebte nur ihn. Und Shane dachte, ich würde mit dem erst besten rummachen um ihm eins auszuwischen. Auf was für Ideen kam dieser Idiot eigentlich?
Ich musterte ihn genauer. Seine Kiefer waren angespannt aufeinander gepresst. Auf seiner Wange befand sich ein langer Riss und getrocknetes Blut war überall in seinem Gesicht vorhanden.
Seine Augen starrten hasserfüllt an mir vorbei. Ich folgte seinem Blick und sah Seth, der benommen um die Ecke trat.
„Shane! Tu das nicht!“, flüsterte ich drohend. Ich konnte seine Wut spüren. Sie war so stark und unterdrückte mein ganzes Umfeld. Er wollte sich mit ihm prügeln. Jungs hatten auch nie was anderes vor! Immer mussten sie um das Mädchen kämpfen, was sie mochten. Nie konnten sie über das Problem sprechen.
„Shane! Wie oft noch, da lief nichts!“, zischte ich und legte ihm meine zitternde Hand auf seinen Brustkorb. Er konnte gerade so eben noch seine Wut herunterschlucken um nicht gleich auf Seth loszugehen!
„Was waren das für Monster?“, fragte Seth und zitterte am ganzen Körper.
Unsicher sah ich Shane an. Sollten wir ihm die Wahrheit sagen?
Selbstsicher ging er auf den Holländer zu und legte seine Hand auf Seths Stirn.
Dieser konnte überhaupt nicht reagieren und im nächsten Moment sackte er bewusstlos zusammen.
Erschrocken starrte ich auf den ohnmächtigen Körper. Nur an das heben und senken seiner Brust ließ ihn erkennen, dass er noch am Leben war.
„Was hast du getan?“, fragte ich geschockt.
„Seine Erinnerung genommen“, sagte er monoton und hievte Seths Körper in den Krankenwagen.
Danach griff Shane nach seinem Handy, was er von Seths toten Partner geborgt hatte und rief jemanden an. Er sagte etwas auf Holländisch. Das Gespräch verlief recht schnell.
Ich konnte einfach nur dastehen und zusehen, was er machte.
Plötzlich hörte man in der Ferne Sirenen.
Wir warteten noch einen Moment und als sie immer näher kamen, packte Shane mein Handgelenk und verschwand mit mir in den Büschen.
Mit einem schnellen Tempo waren ein Krankenwagen und zwei Polizeiwagen an diesem Unfallort.
Nachdem sie Seths Körper gefunden hatten, verschwanden Shane und ich.
Vom Autounfall waren meine Glieder noch total schwer und mein Nacken machte es mir auch nicht leichter.
Ich wusste überhaupt nicht wohin es ging. Shane zog mich einfach mit sich mit in die Dunkelheit.
Wir rannten durch Wälder über Stock und Stein. Meine Glieder wurden wie Blei.
Ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten und stolperte über eine Wurzel.
„Ah“, schrie ich und stürzte in den Dreck. Besorgt beugte sich Shane über mich.
„Geht’s?“
„Ja. Ich denke schon“, sagte ich müde und wollte aufstehen, doch mein Knöchel schmerzte.
Vor Schmerz stöhnte ich auf, als ich meinen Fuß bewegen wollte.
Mitleidig sah Shane mich an und plötzlich trug er mich in seinen Armen.
Um nicht herunter zu fallen schlang ich meine Arme um seinen Nacken und bettete meinen Kopf auf seine muskulöse Brust.
„Du humpelst“, stellte ich wieder fest. Vorhin war mir das auch schon aufgefallen.
„Geht schon“, antwortete er knapp und lief weiter durch das Gestrüpp.
Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn ich lag auf etwas weichem.
Die Müdigkeit musste ich aus meinen Augen wegblinzeln um eine klare Sicht zu haben.
Ich befand mich zugedeckt und mit Kissen vollgestopft auf dem Rücksitz eines teuren Autos.
Verwirrt setzte ich mich auf. Mein Nacken schmerzte, sowie mein Fußgelenk.
„Shane?“, fragte ich ihn. Er saß am Steuer. Woher hatte er diesen Wagen?
„Du bist wach? Wie geht es dir?“, fragte er besorgt nach.
„Es geht“, sagte ich knapp. Mich interessierte eher, woher er diesen teuren Wagen her hatte. „Shane? Sag mal, woher hast du diesen Wagen?“
„Aus einem Autogeschäft.“
Genervt verdrehte ich die Augen.
„Okay. Ich hab ihn mir geborgen“, gab er zu und vermied es regelrecht in den Rückspiegel zu schauen.
„Mit geborgen meinst du wohl eher gestohlen?“, stellte ich wütend fest.
„So ähnlich“, sagte er unschuldig. Idiot! Was, wenn eine Anzeige erstattet wird? Oder wir von Polizisten angehalten werden, die eine Kontrolle durchführen und merken, dass dieses Auto gestohlen gemeldet wurde?!
Dachte er auch überhaupt nach, bevor er handelt?
Innerlich schüttelte ich meinen Kopf, da ich dies nicht wirklich machen konnte mit meinem Nacken.
Jetzt erst fiel mir auf, dass die Sonne langsam aufging.
„Wohin fährst du?“, fragte ich neugierig nach.
„Nach Barcelona.“
„Wollen wir jetzt etwa jedes Mal das Land wechseln, wenn sie uns aufgespürt haben?“
Shane zuckte nur mit den Schultern. Das konnte ich nicht. Ich konnte nicht Lebenslang wegrennen.
Auch wenn ich nicht gerne Menschen, beziehungsweise mystische Wesen töten konnte, konnte ich aber auch nicht immer davon laufen. Wie man sehen konnte, brachte dies nicht viel.
Diese ewige Verfolgung und Flucht, das war einfach nicht mein Ding.
Ich möchte auch wieder ein normales Leben leben.
„Shane? Es bringt nichts, wenn wir immer davonlaufen!“, sagte ich nach einer Weile.
„Ich lasse nicht zu, dass du stirbst!“, rief er wütend aus.
„Aber ein Leben auf der Flucht…So hatte ich es mir nicht vorgestellt.“
„Wenn wir zu ihnen gehen, dann weißt du, dass sie es nicht dulden werden, wenn wir beide zusammen sind?! Willst du dieses Risiko eingehen? Verdammt Sam, ich liebe dich überalles und ich will dich nicht aufgeben, nur weil es gegen die Regeln verstößt!“
„Ich weiß es nicht. Aber das muss bald ein Ende haben! Vielleicht sehen sie über dieses kleine Verbot hinweg!“ Hoffnung keimte in mir auf. Vielleicht würden sie es wirklich tun.
Shane schien darüber nachzudenken. Ich wollte doch nur ein gottverdammtes normales Leben führen.
Eine Weile herrschte Schweigen zwischen uns.
Jeder hing seinen Gedanken nach. Ich hatte keine Lust mehr mich mit ihm zu streiten.
Dafür war ich zu erschöpft.
Langsam streckte ich mich auf dem Rücksitz aus und versuchte mir es mit den Kissen und der Decke gemütlicher zu machen.
Würde ich Shane wirklich nie wieder sehen, wenn wir zu Ethan gehen?
Würde es dann immer eine Geheimbeziehung zwischen uns sein, wenn dies wirklich nicht klappte, dass wir nicht zusammen sein durften?
Ich hasste Geheimnisse. Ich hasste den Rat. Ich hasste Ethan. Ich hasste Steven. Ich hasste diese gottverdammte Prophezeiung. Ich hasste diese Monster. Ich hasste mein Leben!
Seufzend starrte ich vor mich hin. Jetzt fuhren wir geradewegs nach Spanien. Dort war ich noch nie gewesen. Einerseits war die Flucht doch etwas Schönes. Man lernte die verschiedenen Länder kennen. Doch immerzu fliehen und eine riesen Todesangst zu verspüren, reizte an meinen Nerven.
Plötzlich hielt der Wagen an. Verwirrt darüber, setzte ich mich unter Schmerzen auf.
Shane saß angespannt vor dem Lenkrad. Seine Finger krallten sich in das Leder.
Besorgt wollte ich meine Hand auf seine Schulter legen, doch er zuckte zusammen. Erschrocken entfernte ich sie wieder.
„Du hast Recht!“, zischte er wütend.
„Womit?“, fragte ich atemlos.
„Wir sollten zu Ethan, damit du deine Aufgabe erfüllen kannst.“ Ethans Namen zischte er verächtlich aus.
„Aber ich dachte, du willst mich nicht verlieren?“, fragte ich verwirrt und geschockt zu gleich.
Mein Herz setzte ein paar Minuten aus, so gespannt war ich auf seine Antwort.
„Du hast was besseres verdient als mich“, war seine einzige Antwort.
Wie erstarrt saß ich einfach nur da und sah ihn entsetzt an. Wie konnte er das nur sagen? Er liebte mich doch! Mein Herz zerfiel in tausend kleine Teile.
„Nein! Du bist das Beste, was mir je passiert ist!“, entgegnete ich und meine Augen füllten sich mit Tränen. Ein Kloß bildete sich in meiner Kehle, den ich versuchte runterzuschlucken.
Shane schüttelte nur mit dem Kopf.
Sprachlos schaute ich ihn immer noch an. Ich wollte etwas sagen, doch wenn sich mein Mund öffnete, dann schloss er sich wieder.
„Shane! Bitte. Ich liebe dich!“, versuchte ich es nochmal. Warum sah er mir nicht ins Gesicht?
Ich wollte seinen wahren Gesichtsausdruck sehen und dadurch konnte ich seine Gefühle spüren.
„Du bist ein Idiot“, flüsterte ich mit zittriger Stimme.
Ich konnte es im Wagen nicht mehr aushalten, öffnete die Tür und humpelte nach draußen um ein wenig Luft zu schnappen.
Meine Arme verschränkte ich vor der Brust und sah der Sonne zu, wie sie den Himmel ganz langsam empor stieg.
Die kalte Morgenluft saugte ich in mir auf. Es tat gut. Ich brauchte einen kühlen Kopf.
Ich fühlte seine Anwesenheit hinter mir. Wie er schwer humpelnd auf mich zu kam.
Zögernd legte er seine Arme um meine Taille und zog mich fest an seine Brust.
Sein Gesicht verbarg er in meiner Halsbeuge.
„Ich liebe dich, Shane!“, flüsterte ich und ein paar Tränen rollten meine Wange hinab.
„Ich liebe dich auch“, entgegnete er sanft und traurig.
„Versprich mir, dass du mich nie wieder verlässt“, verlangte ich von ihm und drehte mich um, um ihm ins Gesicht zu sehen.
Liebevoll sah er mich an. Sanft legte er seine Hand auf meine Wange. Mein Gesicht passte perfekt in seine rein. Ich liebte seine Wärme und schloss deshalb für ein paar Sekunden die Augen.
Diese gemeinsame Zeit musste ich noch mit ihm genießen.
Langsam beugte er sich um und streifte kurz meine Lippen. Empört stieß ich einen frustrierten Laut aus. Ich konnte mir auch mit geschlossenen Augen vorstellen, dass sich in seinem Gesicht ein süffisantes Grinsen breit machte.
Ich legte meine Hand auf seinen Hinterkopf und drückte ihn fordernd gegen meine Lippen.
Dieser Kuss fühlte sich irgendwie nach einem Abschied an.
„Ich verspreche dir, dass ich immer an deiner Seite bleiben werde“, flüsterte er in den Kuss hinein.
Plötzlich durchzuckte mich etwas. Dies geschah immer, wenn ich eine Vision bekam.
War es dieses Mal die Zukunft oder wieder die Vergangenheit?
Ich wusste es nicht.
Ein verschwommenes Bild erkannten meine Augen. Ein paar Mal blinzelte ich und meine Sicht wurde klarer. Anscheinend war ich wieder nur ein Beobachter wie in der letzten Vision.
Ich erblickte überall grüne Wiesen mit bunten Blumen darauf. Ein wunderschöner Anblick zeigte sich mir.
Sollte dies der Beginn einer guten und hoffnungsvollen Vision werden? Inständig hoffte ich dies.
Neugierig lief ich über die Felder. In der Ferne konnte ich Menschen erkennen. Waren dies überhaupt Menschen oder eher gesagt Wesen?
Meine Neugierde war stark und so ging ich immer weiter bis ich bei ihnen ankam.
Es war ein Fest.
„Sam!“, rief jemand meinen Namen und dann erblickte ich mein Zukunfts-Ich.
Es war Ethan, der meinen Namen rief. Glücklich ging mein Zukunfts-Ich zu ihm und umarmte ihn.
Wie konnte ich nur? Ethan war böse! Er wollte nicht das Shane und ich zusammen glücklich sein wollen!
Doch gerade er müsste für diese Beziehung sein! Da meine Mom und er es nicht geschafft hatten.
„Du hast es geschafft! Ich kann es immer noch nicht fassen! Du hast Steven umgebracht!“, sagte er fassungslos.
Hatte ich es wirklich geschafft und Steven umgebracht?
Ich war mir da nicht so sicher.
„Danke“, flüsterte mein Zukunfts-Ich zu ihm.
Plötzlich wurden die Beiden von jemandem gestört. Es war Shane. Und er küsste mein Zukunfts-Ich leidenschaftlich. Also hatten wir eine Chance in der Zukunft?!
Wenn dies wirklich so war, dann konnte ich es kaum abwarten.
Ethan lächelte die Beiden nur an und verschwand in der Menschenmenge.
Ein Schütteln holte mich in die Gegenwart zurück.
Shane sah mich besorgt an.
„Ich habe die Zukunft gesehen“, sagte ich freudig zu ihm
„Und was hast du gesehen?“, fragte er neugierig nach.
„Wir haben eine Chance! Ich habe gesehen, wie du mich in der Öffentlichkeit geküsst hast vor Ethan und ich solle Steven umgebracht haben!“ Meine Stimme zitterte vor Hoffnung.
Zweifelnd sah Shane mich an. Er glaubte mir nicht! Das konnte doch wohl jetzt nicht wahr sein!
„Shane! Es ist die Wahrheit. Wir beide in der Zukunft gemeinsam!“
Wenn er mich liebte, musste er mir glauben!
Anscheinend dachte er darüber nach, was ich gesagt hatte. Wenn er gedanklich abwesend war, nahm er immer einen süßen Blick ein.
Zögernd trat ich einen Schritt auf ihn zu. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe und legte sanft eine Hand an seine warme Wange.
Liebevoll blickte ich ihm in die Augen und küsste ihn. Dieser Kuss war was Besonderes. Auch ohne Zunge hatte dieser Kuss etwas Leidenschaftliches an sich.
„Bitte, glaube mir“, flüsterte ich an seine Lippen. Zaghaft nickte er.
„Wir sollten erst einmal einen Arzt aufsuchen!“, sagte er, nahm meine Hand und führte mich zurück zu dem „geborgenen“ Auto.
Shane musste eine etwas schwerere Verletzung am Fuß haben, denn er humpelte immer stärker.
Mir tat nur noch mein Nacken ein bisschen weh, aber sonst ging es mir besser.
Auf der Autobahn fragte ich ihn erst einmal, wo wir uns befanden. Lässig sagte er, dass wir kreuz und quer durch Frankreich fuhren um unsere Spuren zu verwischen, damit Ethan oder Steven nicht uns folgten, aber da wir nach dem Arztbesuch zu Ethan gehen würden, hätte es sich damit auch bald erledigt. Er wollte Ethan nur noch ein bisschen ärgern, bevor wir zu ihm gingen.
Bei der Fahrt hielt ich die ganze Zeit seine Hand. Shane musste mit einer Hand lenken. Ich durfte immer den Gang umschalten.
Irgendwann fuhr er von der Autobahn runter auf eine Landstraße, die direkt in das Stadtinnere führte.
Wir befanden uns in Paris. Shane wusste genau, wo er hin musste. Anscheinend war er schon mal hier gewesen. Und als dann der französische Arzt Shane freundschaftlich in die Arme nahm und auf den Rücken klopfte, war mir klar, dass die Beiden sich kannten.
Nachher stellte es sich auch heraus, dass dieser Arzt kein Franzose sei, sondern Amerikaner und wusste von der magischen Welt bescheid. Ich war ein wenig irritiert darüber, dass er davon wusste, schließlich war er ein Mensch.
„Ich bin William und du musst die bezaubernde Sam sein von der mir Shane schon sehr viel erzählt hatte“, sagte er leicht flirtend und gab mir einen feuchten Handkuss. Unauffällig wischte ich mir meine Hand in meiner Jeans ab, als sich dieser William umdrehte.
Immer noch war ich erstaunt darüber, dass Shane so viel über mich erzählte. Meine Neugierde verlangte von mir ihn zu fragen, was er alles von mir erzählte.
Ein wenig verlegen sah Shane mich an und kratzte sich am Hinterkopf.
„Ladies First“, sagte er charmant und William kam auf mich zu. Er forderte mich auf ihm all meine Schmerzen zu schildern. Danach drehte er meinen Kopf zur Seite. Vor Schmerz unterdrückte ich einen lauten Schrei.

„Ah, ein Schleudertrauma“, sagte er gelassen. Wie konnte man dabei gelassen sein? „In ein paar Tagen wird das wieder verheilt sein. Es fühlt sich nur ein bisschen nach Muskelkater an.“
Ich hatte nur ein paar Verspannungen in dem Bereich Nacken und Hals.
William meinte, ich würde nach drei Tagen Schonungszeit wieder fit sein. Das bedeutete, ich durfte von niemandem angegriffen werden. Drei Tage hatte ich Zeit mich damit zu Recht zu finden, Steven, meinen Onkel töten zu können. Nie hatte ich je einer Fliege was getan. Und jetzt verlangte man von mir sowas.
Danach begutachtete er meinen Knöchel. Der amerikanische–französische Arzt meinte, dass es einfach nur eine Verstauchung sei. Er legte einen Verband darum und in ein paar Tagen würde dies auch wieder verheilt sein.
Nach meiner Behandlung kam Shane dran. Er musste ihm genauestens schildern, was im weh tat.
Seine Wange wurde desinfiziert und bekam ein paar Streifen auf die Wunde.
Als sich William Shanes Fuß zu wandte und ihn ein wenig begutachtete, sah ich mich neugierig in seiner Arztpraxis um. Er musste ein sehr bedeutungsvoller Arzt in dieser Stadt sein.
Es war die doppelte Größe einer Praxis. Draußen liefen die verschiedensten Arzthelferinnen rum. Sie hatten jeder einen anderen Hauttyp. Aber auch viel Patienten kamen hier her. Um diese frühe Zeit war die Praxis schon voll besetzt.
Der Raum hatte viele Schränke mit den verschiedensten Medikamenten und Gegenständen darin vorhanden.
„Oh, Shane“, sagte William kopfschüttelnd. „Dein Sprunggelenk ist geprellt. Die zugehörigen Bänder werden dabei schnell in Mitleidenschaft gezogen. Eine solche Distorsion – Zerrung - kann sehr schmerzhaft sein“, hörte ich den Arzt scharf die Luft einziehend sagen.
Besorgt drehte ich mich um und streichelte Shanes Schulter mitfühlend.
„Um bei dieser Sache wirklich hundert prozentig sicher zu sein werde ich ein paar Röntgenbilder machen“, antwortete er.
William fuchtelte wild um uns herum, rief den Helferinnen etwas auf Französisch zu, beförderte Shane in einen Rollstuhl und fuhr ihn aus dem Raum raus.
„Sam, du bleibst hier“, sagte er streng und rollte mit ihm raus.
Ich konnte nicht einmal etwas darauf erwidern, da knallte der Arzt schon die Tür hinter sich zu.
Überrascht blieb ich noch eine Weile davor stehen bis ich mich auf einen Stuhl niederließ.
Hoffentlich war das nichts Ernstes!
Ein paar Minuten später betrat eine Arzthelferin den Raum und lächelte mich sanft an.
Zögernd erwiderte ich es.
„Sie brauchen sich keine Sorgen um Shane machen“, beruhigte mich die Frau mit einem starken Akzent.
Hinter sich schloss sie die Tür und setzte sich auf den gegenüberliegenden Stuhl von mir.
„Woher kennen Sie Shane?“, fragte ich neugierig nach. Und eine leichte Spur von Eifersucht lag darin.
„Er kam schon öfters in diese Praxis und ich weiß auch von der magischen Welt bescheid“, beantwortete sie mir meine Frage höflich.
„Öfters?“, fragte ich geschockt nach. „Wie oft war Shane denn schon verletzt?“
„Einige Male war er auch schon fast dem Tode nahe“, antwortete sie. Scharf zog ich die Luft ein.
„Aber da ist diese Verletzung nicht wirklich schlimm. Das ist sogar noch harmloser im Gegensatz zu seinen anderen Verletzungen“, munterte sie mich auf.
Ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Dabei traten zwei kleine Grübchen auf. Sie war sehr zierlich und schlank. Ihre kurzen schwarzen Haare umrahmten perfekt ihr Gesicht. Warme braune Augen musterten mich liebevoll.
„Ich bin Charline“, sagte sie um das Thema zu wechseln.
„Sam“, antwortete ich knapp.
„Du hast echt einen guten Fang mit Shane gemacht!“, sagte sie lachend. „Aber er hat sich ganz schön verändert!“
„Ja. Besonders vom Körperbau und er ist plötzlich so eifersüchtig auf jeden männlichen Typen!“
Charline fing auf einmal an zu lachen. „Shane und Eifersucht? Das passt gar nicht zu ihm!“
„Ja, aber es ist wirklich so“, sagte ich mit ernster Stimme.
Seufzend ließ ich mich weiter in den Stuhl sinken. Shane hatte sich ziemlich verändert. Aber dieser Veränderung machte ihn noch anziehender.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Shane und William traten in den Raum.
Besorgt stand ich auf und humpelte zu ihnen.
„Ist alles in Ordnung mit ihm?“, fragte ich und musterte Shane.
„Wie ich mit meiner Vermutung richtig lag, ist sein Sprunggelenk geprellt. Dies kann einige Schmerzen hervorrufen!“, sagte der Doktor ernst.
Um Shanes Fuß war ein Verband umgewickelt.
„Ach, das ist nichts Ernstes. Ich hatte schon schlimmere Verletzungen“, winkte er gleichgültig ab.
Kopfschüttelnd blickte ich ihn an.
„Ihr solltet euch ein paar Tage ausruhen! Ich besitze ein leer stehendes Haus außerhalb von Paris. Und ich benutze es eigentlich gar nicht“, schlug er uns vor und hielt uns einen kleinen silbernen Schlüssel vor die Nase.
Unentschlossen starrte ich darauf. Ich mochte es nicht von anderen – fremden – Leuten abhängig zu sein. Doch Shane griff ohne zu zögern nach dem Schlüssel und ließ ihn in seiner Jeanstasche verschwinden.
„Dann macht euch noch ein paar schöne Tage bevor es richtig los geht!“, grinste William und verabschiedete uns.
Shane hatte Krücken bekommen, da er nicht selbstständig laufen konnte durch die Verletzung.
Bei mir war das nicht so schlimm, zwar humpelte ich, aber Krücken brauchte ich keine.
Als wir aus dem Haus traten, stand das „geborgte“ Auto schräg vorm Eingang.
Zwischen den Scheibenwischern klemmte sogar ein Strafzettel.
Kichernd humpelte ich zur Beifahrerseite. Mürrisch zerknüllte Shane das Stück Papier und warf es achtlos auf die Straße. Dann ließ er sich auf den Sitz fallen und startete den Motor. Mit quietschenden Reifen brausten wir davon.
„Anscheinend kennst du dich hier ja wirklich gut aus“, sagte ich leicht ironisch.
„Ja. Ich war schon öfters hier“, weichte er aus.
„Woher kennst du Charline?“, hakte ich misstrauisch nach. Sie kannte ihn zu gut.
„Ist nur eine alte Bekannte“, antwortete er monoton, zuckte dabei die Schultern und sah die ganze Zeit auf die Straße ohne mich eines Blickes zu würdigen.
Fragend zog ich eine Augenbraue in die Höhe. Wollte er mich veräppeln oder was? Eine alte Bekannte? Früher wurde an unserer Schule gesagt, dass er nie mit einem Mädchen von dort ausgegangen sei – außer mit mir. Wie es sich herausstellte, wusste ich doch noch nicht all zu viel über ihn. Er hatte noch mehr Frauengeschichten. „So, so. Eine alte Bekannte.“
Shane stöhnte genervt auf. „Okay. Du hast Recht. Sie ist nicht nur eine alte Bekannte. Wir hatten mal was zusammen. Es waren vielleicht nur zwei – drei one-night-stands mit ihr zusammen, mehr aber auch nicht.“
„Aha“, konnte ich nur darauf antworten. Es schockte mich zu hören, dass er vor mir und den anderen Tussen noch mehr Frauen hatte. Also war er doch nicht ganz unschuldig, wie man an der Schule sagte.
Manche Jungs meinten sogar, er wäre schwul, weil er sich nie auf ein Mädchen eingelassen hatte.
Ich durfte darüber nicht meinen Kopf zerbrechen. Es galt nur noch das Hier und Jetzt. Seine Vergangenheit in denen anscheinend viele Frauen vorkamen, musste mir gleichgültig sein, damit ich mit ihm ein gemeinsames Leben führen konnte.
Behutsam legte er seine warme, große Hand auf meinen Oberschenkel. Unter seiner Berührung zuckte ich zusammen.
„Hast du damit irgendwie ein Problem?“, fragte Shane mich besorgt und sah mich eindringlich an.
Hastig schüttelte ich meinen Kopf.
Ich brauchte ein anderes Thema, worüber wir reden konnten. Diese absolut ruhige Stille machte mich wahnsinnig und ich wollte nicht an die Frauen denken. Leider fiel mir kein anderes Thema ein.
Plötzlich musste ich an die Schule denken. Oh, oh. Ich war schon seit Tagen nicht mehr dort.
Galt das nicht als schwänzen? Das machte sich nicht gut auf dem Zeugnis. Hoffentlich hatte mich „meine Pflegefamilie“ entschuldigt für die nächsten Tage. Aber ich bezweifelte es.
Shane hatte es ja gut. Er war umgezogen! Seufzend lehnte ich meinen Kopf zurück.
Naomi, meine beste Freundin fehlte mir. Auch wenn sie so verrückt war, fehlte es.
Was sie wohl von mir dachte? Sie hatte mir bestimmt tausende von SMS geschickt, aber da mein Handy in dem Rucksack lag und der Rucksack sich in dem explodierten Auto befand, konnte ich nicht wirklich was tun. Wenn ich nach Hause zurückkehren werde, dann würde sie mir den Kopf abreißen!
„Worüber denkst du nach?“, fragte Shane besorgt und wandte seinen Blick für einen kurzen Moment von der Straße ab.
„An Naomi“, flüsterte ich ihren Namen.
„Oh“, antwortete er nur und legte seine Hand wieder auf das Lenkrad.
„Was Oh?“
„Ganz ehrlich? Ich mag sie nicht“, gab er offen zu ohne mit der Wimper zu zucken.
Vor Überraschung fiel meine Kinnlade nach unten.
„Ich weiß auch gar nicht, was Brandon an ihr mag“, redete er weiter.
„Wieso magst du sie nicht?“, fragte ich geschockt.
Er zuckte nur mit den Schultern und dann war auch dieses Thema für ihn gegessen.
Wir fuhren einen Waldweg entlang. William hatte gesagt, dass das Haus außerhalb von Paris lag.
Ungefähr eine Stunde brauchten wir um dorthin zu gelangen.
Shane hielt den Wagen an. Staunend stieg ich aus den Wagen. Es war unglaublich.
Das Haus war riesig und wunderschön. Um das Gebäude herum verlief eine Veranda.
Überall waren Fenster zu sehen, aber es brannte kein Licht. Was auch klar war, wenn es nicht häufig benutzt wurde. Es sah auch überhaupt nicht wohnlich aus.
Shane öffnete die Haustür und führte mich durch die vielen Räume.
Er schob die ganzen Vorhänge beiseite um zu lüften. Denn es muffelte stark.
Die Möbel waren mit weißen Laken abgedeckt. Wie lange war wohl William hier nicht gewesen?
Hundert Jahre? Nach hundert Jahren sah es tatsächlich aus. Eine große Staubdecke hatte sich überall abgelegt.
Ohne zu zögern ging Shane die Treppe hoch zu einem Zimmer. Er kannte sich hier schon ganz gut aus.
Ich folgte ihm einfach. In dem Raum angekommen, verblüffte mich dieses Haus noch mehr.
Dort stand ein großes Himmelbett und an der gegenüberliegenden Wand ein riesiger Kleiderschrank.
Shane machte sich am Schrank zu schaffen und ich ging zu den Fenstern, schob die Vorhänge beiseite und öffnete die Fenster. Ich atmete die frische Luft ein, die durch den Wind hereingeweht wurde.
Ein kleines Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus.
Ich fühlte pures Glück durch mich fließen. Dieses Gefühl zu spüren war toll. Seit der Reise aus Deutschland hatte ich mich nicht mehr so sicher gefühlt wie hier.
Ich drehte mich zu Shane um, der gerade dreist Klamotten aus dem Schrank nahm und sich umzog.
Er streifte sich sein zerfetztes T-Shirt über den Kopf. Immer wieder musste ich ihn für seine Muskeln bewundern. Aber er war ganz schön dreist.
Shane musste gemerkt haben, dass ich ihn musterte. Er drehte sich zu mir um und lächelte sein unwiderstehliches Lächeln.
Ich humpelte mit meinem verstauchten Knöchel zu ihm, legte meine kleine, zierliche Hand auf seinen nackten Oberkörper und meine Lippen waren nicht mehr weit entfernt von seinen.
„Irgendwie hast du mir zu viel an“, sagte Shane zwischen ein paar Küssen neckisch.
Süffisant grinste ich ihn an und löste mich von ihm.
Frustriert seufzte er und setzte sich auf das Bett.
„Ach ja, du kannst dich am Kleiderschrank bedienen“, sagte er gelassen.
Fragend öffnete ich meinen Mund, doch mit einer Handbewegung schnitt er mir das Wort ab.
„Will hat es erlaubt. Da sind auch ein paar Sachen für dich drin.“
Staunend sah ich ihn an und wandte mich dem Schrank zu.
Suchend schaute ich mich um. Hinter mir hörte ich ein unterdrücktes amüsiertes Lachen.
Er stand auf und wühlte in der hintersten Ecke des Schrankes rum. Shane holte ein Pappkarton mit verschiedenen Kleidungsstücken hervor und drückte den Karton in die Hand.
„Ich will erst gar nicht wissen, woher er die Frauensachen hat“, sagte ich, stellte den Karton auf das Bett und suchte nach etwas passendem. Allerdings waren nur knappe Kleider vorhanden.
„Anscheinend schleppt er eine nach der anderen ab“, sagte ich laut.
Plötzlich schlangen sich von hinten zwei sehr muskulöse Arme um meine Taille.
„Ich würde dich auch mal gerne abschleppen“, flüsterte er verführerisch.
Lachend küsste ich ihn auf die Wange.
Nach ein paar Minuten fand ich ein angemessenes Kleidungsstück.
„Dreh dich gefälligst um, wenn ich mich umziehe“, antwortete lachend.
„Nicht dein Ernst?“, fragte er ungläubig.
„Doch!“
„Du brauchst keine Angst haben, dass ich dir irgendetwas weggucke. Ich habe dich nämlich schon nackt gesehen“, sagte er breit grinsend.
Ich streckte ihm meine Zunge raus. Auf einmal stand er direkt vor mir und küsste sie.
Erschrocken wich ich zurück. Doch er verhinderte dies, indem er seinen Arm um meine Hüfte gelegt hatte und mich zu sich zog.
Plötzlich hob er mich hoch und setzte mich auf die Fensterbank ab. Dabei knutschten wir wild rum.
„Shane, wir sollten uns normalerweise ausruhen“, versuchte ich ihn von mir loszukriegen. Ich war zu erschöpft und meine Augenlider wurden immer schwerer.
„Ja, normalerweise. Aber was bedeutet für uns schon normal?“, fragte er und gab mir noch einen weiteren leidenschaftlichen Kuss.
„Ich bin müde, Shane!“, versuchte ich es nochmal.
Seufzend ließ er von mir ab und lehnte seine Stirn an meine.
„Ich kann nicht mehr ohne dich leben“, flüsterte er.
Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen. Flüchtig küsste ich ihn auf seine Lippen und lief zum Schrank rüber.
Ich suchte nach einer bequemen Short und einem T-Shirt. Sofort wurde ich bei all den Sachen schnell fündig. Danach ließ ich mir von Shane erklären, wo sich das Badezimmer befand und machte mich auf den Weg dorthin.
Im Badezimmer angekommen, verspürte ich die Lust ein Bad zu nehmen, anstatt schnell zu duschen.
Dieser Raum war riesig. Eine große Badewanne und eine Duschkabine, eine Toilette und zwei Waschbecken waren vorhanden. Alles wurde im schlichten weiß und ein wenig Gold gehalten.
Dieses Zimmer war nicht all zu mit Staub bedeckt wie die anderen.
Ich knüllte das Lacken, was die Wanne bedeckte in eine Ecke.
Danach ließ ich warmes Wasser dort reinlaufen. In den Schränken suchte ich nach Shampoo und Seife.
Während die Wanne randvoll mit Wasser gefüllt wurde, machte ich daraus ein schönes Schaumbad.
Nach kurzer Zeit entledigte ich mich meiner stinkenden und zerrissenen Klamotten.
Das letzte Mal hatte ich in Deutschland geduscht und seit dem nicht mehr.
Ich stellte den Wasserhahn ab und stieg in die Wanne rein.
Warmes Wasser umhüllte mich. Zufrieden seufzte ich wohlig auf und schloss meine Augen.
Als ich sie das nächste Mal öffnete, stand Shane über mir. Erschrocken setzte ich mich auf und bedeckte meinen Körper mit Schaum. Ein süffisantes Grinsen machte sich in seinem Gesicht breit.
Er hatte sich immer noch nichts übergezogen und stand mit seinem nackten Oberkörper vor mir.
Seine Krücken wurden an die Wand gestellt.
Die Wanne war groß genug für zwei Personen. Dies dachte er auch und machte Anstalten hier reinzukommen. Eigentlich wollte ich ein erholsames Bad nehmen, aber daraus wurde nichts.
Shane entledigte sich seinen Klamotten und stieg zu mir in die Wanne.
„Du kannst auch keine Minute ohne mich aushalten“, sagte ich neckisch und küsste ihn.
„Ich kann nicht mehr ohne dich leben!“, entgegnete er ernst und zog mich an seine Brust.
Ich bettete meinen Kopf auf seinen Brustkorb und wir lagen eine Weile schweigend in der mit wassergefüllten Wanne.
Diese Ruhe hatte etwas Angenehmes. Es herrschte nie eine peinliche Stille zwischen uns.
Ich wusste nicht wie lange wir hier schon umschlungen miteinander im Wasser lagen. Aber meine Haut wurde dadurch schrumpeliger wie die Haut von alten Leuten.
Es war auch nicht mehr so viele Schaum da wie vorhin.
Neben der Wanne lagen ein paar Handtücher, die ich noch vorher dort hingelegt hatte.
Schnell schnappte ich sie mir, stand auf und schlang sie um meinen Körper.
Verwundert sah Shane zu mir auf. Schüchtern lächelte ich ihn an und stieg aus der Wanne.
Ich trocknete meinen nassen Körper ab und schlüpfte in die Sachen, die ich im Schrank gefunden hatte.
Während ich beschäftigt war, tat Shane das Gleiche. Allerdings hatte er sich nur ein Handtuch um die Hüfte geschlungen. Sein Oberkörper war noch nass und sein Haar glänzte durch die Wassertropfen.
Grinsend kam er auf mich zu und wollte mich umarmen. Ich war gerade trocken, da wollte er mich wieder nass machen.
Geschickt wich ich ihm aus und wollte aus dem Raum verschwinden, da packten zwei nasse Arme von hinten meine Hüfte und presste mich ganz eng an seinen Oberkörper.
Lachend versuchte ich mich aus seinem Griff zu befreien, doch er war stärker.
Er drehte mich zu sich um und gab mir einen leidenschaftlichen Kuss. Dabei bugsierte er mich in Richtung Schlafzimmer.
Ich schlang meine Arme um seinen nassen Nacken und stützte ihn etwas, da Shane seine Krücken im Badezimmer stehen gelassen hatten.
Irgendwie schaffte er es die Tür aufzukriegen und mich auf das Bett zu legen – immer noch dabei küssend.
Shane zog mir das weite T-Shirt über meinen Kopf und befreite mich auch von meiner Short.
Danach folgte ziemlich schnell meine Unterwäsche.
Bei ihm musste ich ja einfach nur das Handtuch von seiner Hüfte entfernen.


Glücklich erwachte ich am nächsten Morgen.
Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Denn ich wusste nicht welchen Wochentag wir hatten.
Seufzend versuchte ich mich aufzusetzen, doch ein schwerer Arm lag über meinen Körper, der mich niederdrückte.
Shane schlief neben mir. Er lag ganz eng an mich ran gekuschelt. Sein Gesicht hatte er in meinen Haaren versteckt. Ein paar Sonnenstrahlen fielen auf ihn und er sah so süß aus. Einige Strähnen von seinem Haar hingen in seinem Gesicht.
Lächelnd zog ich die Bettdecke ein wenig höher.
Endlich hatten wir unsere Ruhe!
Ich legte mich zurück und döste vor mich hin.


Ein Geräusch ließ mich aufwachen. Blinzelnd versuchte ich den Schlaf aus meinen Augen zu vertreiben. Ich musste wieder eingeschlafen sein.
Shane hatte von dem Geräusch nichts gehört. Er schlief seelenruhig wie ein Stein weiter.
Ich setzte mich auf und schlang die Bettdecke um meinen Körper.
Sein Arm lag schon längst nicht mehr über mir. Mit steifen Gliedern kletterte ich aus dem Bett raus.
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. Erschrocken schrie ich auf.
„Ethan!“, rief ich ängstlich. Sofort war Shane hellwach und griff nach einem Messer, das auf dem Nachtschränkchen lag.
Er sah uns mit einer hochgezogenen Augenbraue an und hob die Hände.
„Wie hast du uns gefunden?“, fragte Shane ruhig.
„Charline war so nett und hat uns Auskunft gegeben, wo ihr euch befindet“, sagte er genauso gefährlich ruhig wie Shane.
Angespannt hielt ich die Decke, die meinen Körper bedeckte, fest.
„Ethan“, sagte ich seinen Namen. „Ich hatte eine Vision. Ich habe gesehen, wie du mich umarmt hast und gesagt hattest, dass ich Steven umgebracht hätte und alle, besonders du waren damit einverstanden, dass Shane – obwohl er ein Dämon ist – zusammen sein dürfen!“
Nachdenklich nickte er. Ich hatte mir unser Wiedersehen ganz anders vorgestellt.
Wieso half er uns und dann war er wieder gegen uns?
„Ich habe nachgedacht. Es war ein Fehler von mir euch nicht zu helfen! Es tut mir Leid“, entschuldigte er sich aufrichtig und ich spürte, er sagte die Wahrheit.
Shane jedoch war nicht begeistert davon. Er hielt immer noch misstrauisch das Messer in seiner Hand.
„Ich glaube dir nicht“, zischte Shane.
„Ich gebe zu, dass ich es nicht gerne sehe, dass du immer an ihrer Seite stehen wirst, aber ich habe es akzeptiert und mit dem Rat verhandelt. Ich musste einiges wieder gut machen. Deine Mom und mein Bruder hatten einige Risiken auf sich genommen und dann war ich da auch noch. Ich möchte euer Leben nicht schwer machen!“
„Was meinte der Rat?“, fragte ich aufgeregt.
„Sie überlegen es sich mit eurer Beziehung“, antwortete er.
Lächelnd sah ich Shane an, der allerdings immer noch Ethan mürrisch betrachtete.
Plötzlich fiel im unteren Geschoss etwas zu Boden.
Erschrocken hielten wir alle den Atem an.
„Bist du allein gekommen?“, fragte Shane wütend.
Ethan nickte.
Shane bedeckte seinen Körper mit der Decke, stand auf und schloss die Tür ab.
Schnell zog ich mir die Short und das T-Shirt über. Dabei achtete ich, dass Ethan oder Shane nicht guckten. Die beiden waren auch anderweitig beschäftigt. Ethan stand mit dem Gesicht zur Tür und Shane zog sich auch an.
Als wir fertig waren, drückte Shane mir einen Dolch in die Hand und bewaffnete sich selber.
Danach schlichen wir aus dem Zimmer raus. Ethan bedeutete uns hier erst einmal zu bleiben und abzuwarten.
Nickend standen wir auf der obersten Treppenstufe.
Mein Vater, ich ging jedenfalls davon aus, dass er es war, tapste die Stufen langsam nach unten.
Es war nur noch der Atem von Shane und mir zu hören.
Ein Schrei ließ mich zusammen zucken.
Erschrocken sah ich Shane an, der seinen Zeigefinger auf seine Lippen legte und „Pst!“ machte.
Er nahm meine Hand und wir gingen gemeinsam die Treppen runter.
Mein Herz pochte lautstark in meiner Brust.
Ich hoffte inständig, man konnte es nicht hören.
Unten angekommen, schaute Shane um die Ecke und erstarrte.
Neugierig wollte ich auch sehen, was da war. Doch er ließ es nicht zu.
Ein Räuspern ließ uns herumfahren.
Erschrocken japste ich nach Luft. Vor mir stand der Kerl aus dem Restaurant, der damals behauptete er sei mein Vater.
Ich schluckte und drückte das Messer in meiner Hand stärker.
Jetzt war der Moment gekommen ihn umzubringen. Das ging alles viel zu schnell. Ich wollte mich noch darauf vorbereiten – besonders seelisch.
Shane konnte nicht kämpfen. Seine Krücken befanden sich immer noch oben im Badezimmer.
Er konnte gerade so eben auf seinen Beinen stehen. Als wir die Treppe runtergingen, hatte er sich stark am Geländer fest gehalten.
Steven lächelte uns hämisch an. Und plötzlich mit einer Handbewegung flog Shane durch die Luft gegen einen Schrank. Die Glasfenster zerbrachen unter der Wucht. Dort blieb er bewusstlos liegen, jedenfalls regte er sich nicht mehr.
Dann wandte ich meine Aufmerksamkeit wieder zu Steven.
„Du siehst deiner Mutter so ähnlich“, sagte er mit einer rauen Stimme.
Verächtlich schnaubte ich und wich von ihm zurück. Im Augenwinkel sah ich, dass Shane sich bewegte.
„Ethan, dein Bruder meinte, ich sei seine Tochter“, sagte ich auch gefährlich ruhig. Meine Stimme zitterte nicht, was mich wirklich wunderte. Aber in meinem Inneren herrschte das totale Chaos.
Stevens Augen spiegelten die Wut wieder.
Anscheinend hatte er es noch nicht gewusst.
„Ich will nur deine Kräfte“, zischte er und machte einen weiteren Schritt auf mich zu.
Doch plötzlich hatte jemand ihm ein Schwert in den Rücken gerammt. Erschrocken keuchte er auf, aber er lebte noch. Wieso lebte Steven noch? Bei so einer Verletzung musste man doch sterben.
Lässig aber unter Schmerzen zog er sich das Schwert aus dem Rücken wieder raus und drehte sich zu der Person um, die das verursacht hatte. Es war Ethan. Er hätte beinahe seinen eigenen Bruder umgebracht.
„Du hast mit Megan geschlafen?!“, fragte er verächtlich. Aber daraus konnte man hören, dass er sie geliebt hatte.
„Ja. Wenn du immer beschäftigt warst. Megan wusste auch von Anfang an, dass Sam nicht dein Kind war, sondern meines!“, sagte er lachend.
Steven brodelte vor Wut. Wie ein Vulkan, der gleich ausbrechen würde.
Mit einer schnellen Bewegung rammte er Ethan das Schwert in den Bauch. Ungläubig sah er Steven, seinen Bruder an. Es war grausam diese Situation mit anzusehen.
Ethan fiel kraftlos zu Boden. Ich konnte von seinem Bruder den Rücken betrachten. Seine Wunde, die Ethan mit dem Schwert verursacht hatte, hatte sich schon längst wieder geheilt.
Langsam wich ich von ihm zurück. Ich musste hier weg. Wie sollte ich Steven umbringen, wenn man ihn gar nicht umbringen konnte?!
Hoffnungslos hielt ich ihn im Auge. Ich trat auf eine Scherbe. Es knirschte unter mir und dieses Geräusch ließ Steven herumdrehen.
Wütend sah er mich an und kam auf mich zugerannt. Er war so schnell wie ein Vampir. Aber das war er nicht, sonst hätte er das Blut von seinem Bruder getrunken.
Steven schlug mit dem Schwert nach mir. Rechtzeitig konnte ich den Schlag noch abwehren.
Ich drehte mich immer wieder um die eigene Achse, wich seinen Schlägen aus, versuchte selbst anzugreifen, doch das brachte alles nichts. Mein Körper wurde immer langsamer. Ich war erschöpft.
Aber mein Onkel anscheinend nicht. Er bewegte sich immer noch elegant und atemlos vor mir.
Gerade holte er einen Schlag aus und ich konnte ihn abwehren, doch die Wucht war so stark, dass mir das Messer aus der Hand glitt. Klirrend fiel es zu Boden.
Erschrocken duckte ich mich. Steven hätte mir beinahe meinen Kopf abgehackt.
Mein verstauchter Knöchel pochte und tat schrecklich weh.
In geduckter Haltung brachte ich ihn zu Fall. Er fiel zu Boden. Keuchend stand ich auf, griff nach meinem Messer und beugte mich über meinen Onkel. Auf einmal öffneten sich seine Augen. Erschrocken schrie ich auf und er beförderte mich, wie Shane mit einer Handbewegung gegen die Wand.
Mein Rücken schmerzte bei dem Aufprall und ich glitt zu Boden.
Steven kam gemächlich auf mich zu. Hinter ihm hatten sich einige Wesen aufgestellt um ihn zu beschützen.
Er zog mich an mein T-Shirt hoch und drückte mich gegen die Wand.
Hinter ihm hörte ich Schwerter aufeinander prallen.
Liebevoll strich Steven mit dem Handrücken über meine Wange. Angewidert drehte ich meinen Kopf zur Seite.
Er nahm meinen Arm hoch und hielt das Messer über meine Ader mit dem ich zuvor noch gekämpft hatte.
Ich rang nach Atem, als er ganz langsam mit der Klinge über meiner Haut schnitt. Ein qualvoller Schmerz entstand, den ich zu unterdrücken versuchte.
Meine Hände ballten sich angespannt zu Fäusten. In Stevens Augen konnte ich die pure Gier sehen, als er mein Blut beobachtete, das meinen Arm herunter tropfte. War er doch ein Vampir?
Steven lachte auf. „Du denkst etwa ich sei ein Vampir?“
Oh, Gott. Er konnte meine Gedanken lesen!
Wieder lachte er verächtlich. „Ich bin kein Vampir. Aber wenn ich dein Blut trinke, überträgst du mir automatisch deine Kräfte“, antwortete er lächelnd.
Das Aufeinanderprallen der Schwerter hinter ihm hatte schon seit einer Weile aufgehört.
Mein Onkel beugte sich hinunter um mein Blut zu trinken. Angewidert schloss ich meine Augen.
Ich wollte dies nur noch ohne Schmerzen beenden. In den letzten Sekunden, die ich noch lebte, dachte ich darüber nach ob die Vision, die ich gesehen hatte eine Täuschung war oder nicht.
Plötzlich hielt Steven inne. Er sah nach oben und auf einmal traf ihn etwas am Kopf.
Schnell ohne abzuwarten schnappte ich mir das Messer aus seiner Hand und schnitt ihm die Kehle durch. Blut spritzte und bedeckte mich damit.
Um sicher zu gehen, dass er auch wirklich tot war und sein wird, stach ich ihm noch in sein Herz.
Qualvoll schrie mein Onkel auf. Ich ließ das Messer fallen, was klirrend und blutverschmiert zu Boden fiel und hielt mir meine Ohren zu.
Und plötzlich löste er sich einfach im nichts auf. Erstarrt blickte ich auf die Stelle, wo er sich befunden hatte.
Ich hatte es getan. Ich hatte einen Menschen, nein ein Mensch war er nicht mehr, meinen Onkel umgebracht.
Fassungslos fiel ich auf meine Knie. Zwei starke Arme umfassten mich und zogen mich in eine Umarmung. Wie betäubt ließ ich es geschehen. Der Duft von Shane vermischt mit Blut und Schweiß stieg mir in meine Nase.
Er strich mir ein paar Haarsträhnen hinter mein Ohr.
„Wo ist Ethan?“, fragte ich mit brüchiger Stimme.
Shane zuckte nur mit den Schultern, half mir hoch und ich entdeckte die Toten Wesen, die versuchten ihren Herren zu beschützen.
„Hast du sie getötet?“, fragte ich nach.
„Ja“, antwortete er knapp und zog mich schwer humpelnd zum vorderen Bereich.
Dort lag Ethan röchelnd am Boden. Er hatte eine Verletzung am Bauch und sehr viel Blut verloren.
Hinter mir hörte ich, wie Shane Williams Name sagte und mit ihm sprach.
Ich humpelte in das riesige Wohnzimmer, holte ein Laken, das die Möbel bedeckte und ging vorsichtig wieder zu Ethan zurück. Das weiße Laken drückte ich auf seine Bauchverletzung. Es saugte sich schnell mit seinem Blut voll.
Schlanke Hände schoben meine weg. Als ich aufsah, erkannte ich William.
Er sah nicht gerade begeistert aus, als sich unsere Blicke trafen.
Geschickt behandelte er Ethan. Währenddessen setzte ich mich zu Shane auf die Treppe und lehnte mich an ihn.
Ich wollte nur noch, dass dieser Tag umging. An Schlaf war überhaupt nicht mehr dran zu denken.
William hatte so gut es ging Ethan versorgt und schleppte ihn gerade in seinen teuren BMW.
Shane und ich folgten ihm.
„Am besten wäre es, wenn wir das Haus mit Feuer verbrennen“, sagte Will monoton.
Er hing an dem Haus. So viele Erinnerungen hatte er in diesem Gebäude erlebt.
Ich spürte seine Traurigkeit darüber, dieses besondere Haus anzustecken.
„Uns bleibt keine andere Wahl“, fügte Shane hinzu. „Hast du den Spiritus dabei?“
William nickte betrübt und holte ein Flasche aus dem Kofferraum.
Shane nahm sie an sich und humpelte angespannt zurück zum Haus. Er verschwand dort drin.
Eine Minute später trat er aus der Tür und zündete ein Streichholz an. Dies warf er in das Haus rein.
Schnell entfernte er sich von dem Gebäude. Es brannte schon lichterloh.
Gemeinsam stiegen wir in den Wagen und fuhren in Richtung Paris.
Endlich war es vorbei.

Drei Monate später



Ich stand vor dem Spiegel und betrachtete das wunderschöne blaue Kleid an meinem Körper.
Es sah ziemlich gut an mir aus.
Lächelnd drehte ich mich um meine eigene Achse. Das Kleid wirbelte dabei in der Luft.
Dann erst bemerkte ich, dass Shane an der Tür stand und mich liebevoll anblickte.
„Du siehst wunderschön aus“, flüsterte er, kam auf mich zu und küsste mich leidenschaftlich.
Genau vor drei Monaten hatte ich Steven umgebracht, seit dem hielten sich die bösen Wesen sehr zurück.
Mittlerweile konnte ich wieder ein normales Leben führen. Ich ging wieder regelmäßig zur Schule, machte meine Hausaufgaben und musste büffeln bis zum geht nicht mehr. So vieles musste ich nachholen in der Zeit in der ich nicht da war. Die Lehrer hatten Verständnis mit mir gehabt. Sie dachten, dass ich eine schwere Krankheit hatte und konnte so lange nicht zur Schule gehen.
Letzten Monat hatte ich alle Arbeiten nach geschrieben und hatte mir mit den guten Noten meine Versetzung geschafft. Naomi musste ich die ganze Wahrheit erzählen. Sie glaubte uns nicht, dass ich eine schwere Krankheit hatte. Brandon wusste eh schon alles und Naomi war ziemlich sauer gewesen, weil ihr Freund alles wusste uns sie nichts.
„Komm“, sagte Shane und führte mich aus seiner Wohnung raus.
Meine Vision, die ich damals gehabt hatte, war letzte Woche in Erfüllung getreten. Steven war tot und jetzt hatte ich das blaue Kleid an, was ich dort getragen hatte.
Meine Pflegefamilie war fort. Alex und Jason waren auf der Flucht. Julia wurde von Shane umgebracht.
Der Rat hatte zugestimmt, dass wir eine Beziehung führen dürfen. Aber sie halten Shane im Auge, da er ja ein Dämon war. Und apropos Dämon, Shanes Bruder Dustin befand sich hinter Gittern in ihrer Welt beim Rat.
Shane und ich machten uns auf den Weg zu Brandon und Naomi.
Es war Freitag und es war mal wieder Zeit mal mit den Freunden auszugehen.
Wir saßen in dem neuen Wagen von Shane. Es war ein neuer silberner Sportwagen.
„Ich liebe Dich“, sagte Shane liebevoll und hielt meine Hand.
Ich beugte mich zu ihm rüber und küsste ihn leidenschaftlich und fordernd.
Vorsichtig schob er mich zur Seite und ergriff angespannt das Lenkrad.
„Mach das nie wieder, wenn ich fahre“, sagte er keuchend.
„Mal sehen“, grinste ich und küsste ihn auf die Wange.
Mein Leben war einigermaßen wieder normal.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 11.11.2009

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