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Kapitel 1


(Lily)

Ich rannte die Treppen hinunter. Es fühlte sich an, als würde ich mich überschlagen, aber das tat ich nicht, noch nicht. Meine Beine bewegten sich einfach, ohne das ich mich groß anstrengen musste. Ich lief einfach, immer und immer schneller.

Meine Lunge fühlte sich an, als würde sie explodieren. Ich hechelte wie ein Hund. Dann musste ich anhalten. Ich erbrach mich mehrmals, dann rannte ich weiter. Ich begann zu schwitzen und mir wurde schwindelig.

Aber ich war da. An dem Platz wo es mir besser ging. Wo ich mir helfen konnte. In unserem Restaurant.
Die Tür war verschlossen. Marla war noch nicht da.
In mir zog sich alles zusammen. Ich wollte, ich konnte nicht mehr länger warten.


(Marla)

Tagebucheintrag 23:
Meine Hände zittern , und ich spüre jeden einzelnen Muskel. Tut mir Leid, ich kann jetzt nicht mehr schreiben, ich muss Los ,Lily wartet...



Die Tapete hing in Fetzen an der gelben Wand hinunter, mit rotem Edding hatte dort jemand die Zeilen“Friendship“ hingekritzelt. Als meine Augen über die schiefen Buchstaben fuhren, musste ich lächeln.
Der Wecker neben meinem Bett piepste laut, hatte ich ihn überhaupt gestellt? Na ja musste wohl so sein, sonst würde das dumme Ding nicht wie bescheuert klingeln.
Es war 12 Uhr und ich hatte noch ungefähr eine halbe Stunde Zeit um an dem Ort zu sein , wo ich und SIE, wir beide uns für den Tag rüsten konnten.
Oder besser gesagt für das Leben.
Ich spürte das meine Muskeln angespannt waren und meine Beine schmerzten von dem Muskelkater.
Ich brauchte dringend wieder ´Sugar´, so nannte man es unter Menschen wie ich es war.
Immer noch bohrte sich das schrille Pfeifen des Weckers in meinem Gehörgang und löste dort sofortige Kopfschmerzen aus. Vor Wut knallte ich den Wecker an die gegenüberliegende Wand.
"Dummes Ding, warum musst du auch so einen Krach machen. Du bist selbst Schuld.
Dein Leben hätte länger sein können.“
Überall auf dem Boden lagen leere Bierflaschen, die ich gestern ganz alleine geleert hatte. Ich hatte gehofft so wenigstens einschlafen zu können.
Meine Gedanken kreisten wieder zu meiner Mutter die seit 6 Wochen im Krankenhaus lag. Sie hat Krebs.
Vermutlich würde sie in den nächsten Monaten sterben.
Meine Mutter und ich, ja eine komplizierte Geschichte. Ich hatte keine Zeit und auch keine Lust darüber nachzudenken oder den Gedanken an ihr Platz zu lassen .
Alles was mich berührte hielt ich mir fern, mit Hilfe von meiner ´Nahrung´.
Ich schaute auf meine Armbanduhr, noch 20 Minuten dann trafen wir uns.
Ich ging ins Badezimmer und schüttete mir eine Hand voll kaltes Wasser ins Gesicht, den Blick in den Spiegel versuchte ich eigentlich zu vermeiden, aber irgendwie blieb er an meinen Augenringen hängen. Man sah mir an, dass ich nicht viel schlief. Meine Mutter dachte es wäre wegen ihr. Vielleicht hatte sie recht, vielleicht trug sie dazu bei, dass ich so aussah.
Meine blasse Haut passte nicht zu meinen blauen Augen und den dunklen Wimpern. Alles wirkte stumpf und leblos und genauso fühlte ich mich. Leblos.
Meine blond gefärbten Haare standen wie unter Strom in alle Richtungen ab und man konnte am Ansatz sehen, dass ich eigentlich dunkelhaarig war.
Vielleicht würde Lily mir die Haare bald wieder färben, eines ihrer vielen Talente.
Sie schätzte es sehr, wenn man nicht nach dem aussah was man war und ich war eine Sozialschwache Anfang 20-jährige, die nicht damit rechnete den Tag zu überleben. Aber dennoch wachte ich jeden Morgen in meiner alten Bettwäsche auf.
Ich strich mir meine Haare zurück und versuchte zu lächeln. Mein Zahnfleisch war mal wieder entzündet, aber der Schmerz war nur gering und eigentlich gar nicht da.
Dann verließ ich die Wohnung.

Ich bewegte mich langsam zu unserem Treffpunkt, konzentrierte mich auf jeden Laut der um mich herum herrschte, denn ich war in letzter Zeit nicht vorsichtig genug. Gestern hätte mich fast ein Auto erwischt, nur weil ich vor Euphorie auf der Straße getanzt hatte. Und ins Krankenhaus darf ich nicht, das könnte gefährlich werden. Für uns Beide.
Und ich würde nie etwas tun was
SIE in Gefahr bringen würde.
Ich bog um die Ecke und erreichte den Bahnhof, viele Jugendliche saßen auf dem Gehweg. Manche mit Alkohol in der Hand, andere rauchten eine. Früher war ich hier nicht gerne, denn irgendwie fand ich es eklig, aber seit ein Paar Jahren war alles anders.
Ich war anders. Nun gehörte ich zu dieser Welt und alles was außerhalb des Bahnhofs war fühlte sich fremd für mich an.
Ich konnte sie sehen als ich um die Ecke des Bäckers bog , sie trug wieder ihre Lieblingsjacke , ich hätte sie ihr zum Geburtstag geschenkt.

Kapitel 2

(Lily)

Plötzlich hörte ich Schritte hinter mir und spürte eine Hand auf meiner Schulter.
„Na endlich. Schnell, mach die Tür auf.“
Wir setzten uns an den Tisch und Marla holte das `Besteck` aus ihrer Tasche.
Jetzt konnte es losgehen.
Marla grinste mich an und zog das Band um ihren Arm noch strammer.
Ihre Arme sahen furchtbar aus. Vom Leben gekennzeichnet, sagte sie immer.
Sie setzte die Spritze an und stach in ihren Arm.
Ich kniff die Augen zusammen und schüttelte mich.
Marla fing an zu lachen.
„Machst du dich lustig über mich? Tolle Freundin.“
Sie zog die Augenbrauen hoch, löste das Band von ihrem Arm und gab es mir.
Ich entschied mich für den rechten Arm. Ich bin Linkshänderin und heute Nachmittag in der Uni musste ich schreiben und das ging nicht mit einem beschädigten Arm.
Marla nahm die Spritze, zog sie auf und dann war´s auch schon passiert.
Es ging immer so schnell, aber ich wusste warum sie es so machte.
Beim ersten Mal wollte ich genau zusehen, am liebsten hätte ich es selber gemacht.
Marla machte es ganz langsam und vorsichtig und beschrieb mir alles genau.
Ich brach zusammen und als ich wach wurde, hab ich alles vollgekotzt.
Sie war stinkesauer und seit dem machte sie es so schnell, dass ich gar nicht reagieren konnte.
Wir hockten uns auf die Matratze und aßen Chips.
Nach einer Weile musste Marla auf Toilette und ich folgte ihr.
Wir schlichen durch die Menschenmassen die an den Bahnsteigen warteten.
Manche starrten uns an und andere bemerkten uns nichtmal.
Sah man uns etwa nicht an, was wir gerade gemacht haben?
Es fühlte sich an, als hätte ich die Formel auf meine Stirn tätowiert.
Marla lief zur Toilette und ich wartete vor der Tür.
Mir fiel das Plakat an der gegenüberliegenden Seite auf.
Es war gemalt und ganz bunt.
Marla öffnete die schwere Tür und grinste mich an.
„Guck mal da drüben. Das Plakat.“
Marla sprang über die Schienen und setzte sich auf die Bank.
Sowas war normal bei ihr. Ich dagegen könnte mir schon beim zuschauen in die Hose machen. Aber was solls. Marla hat mich schon zu so viel gebracht, wo ich ohne sie nicht einmal dran gedacht hätte.
Also setzte sich mich auf den Boden und ließ mich runterrutschen, dann lief ich über die Schienen und kletterte an der anderen Seite wieder hoch.
Das sah zwar nicht so sportlich gekonnt aus wie bei Marla, aber ich war drübern.
Ich setzte mich zu ihr und sie nahm meine Hand.

(Marla)
Lily grinste mich mit ihren perfekten Lippen an und blickte dann hoch zu dem Plakat.
Die Wärme die von ihrer Hand ausging fühlte sich schön an, eigentlich war es das einzige was ich fühlte. Nervös trommelte sie mit ihren Fingernägeln auf der Bank herum.
„Es wird gleich besser Lily.“
Sie nickte und schreckte kurz zusammen als ich ihre Hand an mich riss und die feinen pinken Linien auf ihren Nägeln betrachtete. Zur Krönung klebte an jedem Nagel ein kleiner Stein der das schwache Licht des Bahnhofs ein fing.
„Wir sollten deine Nägel auch mal machen Marla!“
„Vergiss es, das ist nichts für mich. Ich meine, guck mich an... das wäre falsch.“
Sie stürzte ihre Lippen und wir schwiegen eine Weile.
Das Plakat war außergewöhnlich schön, das gezeichnete Obst hatte seltsame Farben. So war der Apfel in einem knallpink gehalten und die Banane in einem dunklem Rot.
„Das beste was aus Obst werden kann“; sagte ich laut.
„Ja, das Beste.“wiederholte mich Lily.
Wir beide wussten, dass wir nicht das Obst meinten, aber das war der Grund warum ich Plakate mochte, die Schlagwörter waren so zweideutig das sie zu fast allem passten.
Ich sprang leichtfüßig von der Bank und lief vor ihr hin und her .
„Gehst du heute noch zur Uni?“
„Ja, ich denke da muss ich mal wieder, wir haben eine wichtige Vorlesung.“
„Hmm, okay, dann geh... ich hab auch noch was vor. Sehen wir uns den heute Abend noch?“
Fragend neigte sie den Kopf zur Seite: „ Willst du schon gehen?“
„Ist mir egal.“
Lily lachte und zog mich wieder auf die Bank:
„Komm lass uns noch ein bisschen träumen …“
„Ja, träumen ist gut,“ vervollständigte ich den Satz.
Ich legte meinen Kopf auf ihre Schulter und beobachtete wie eine Frau einem Mann etwas zusteckte, ich wusste was es war. Denn im Gegensatz zu Lily wusste ich wie ein Dealer aussah .
Ich hielt sie da raus, aber sie hatte mich auch noch nie gefragt woher ich das alles besorgte, was ihr half den Alltag zu überstehen.
Ich drückte ihre Hand, denn ich spürte diese Angst, die ich schon einmal erlebt hatte. Ich würde sie nie mehr gehen lassen . Nie mehr.

(Lily)
Ich könnte stundenlang hier so sitzen bleiben, aber als ich kurz meine Augen öffnete und auf der großen Bahnhofuhr laß, dass es schon kurz vor drei war, sprang ich auf und fing an wie wild herum zu wirbeln.
Marla´s Augen blitzen mich an. „Was tust du da? Erst willst du träumen und jetzt hampelst du hier wie wild rum.“
„Ja, scheiße. Ich muss doch zur Uni. Ich hätte um halb drei da sein müssen und was tue ich stattdessen? Ich sitze im stinkenden Bahnhofsgebäude und starre ein dummes Plakat an und träum vor mich hin.“
„Jetzt komm mal wieder klar. Ich hab dich nicht dazu gezwungen, also rede nicht so, als würdest du mir was vorwerfen.“
Ich hob meine Hand und zeigte Marla den Mittelfinger. Dann griff ich nach meiner Tasche und rannte los.
„Wenn du heute Abend Hunger hast, bin ich um 8 Uhr wieder hier.“ schrie Marla mir hinterher.
Gut, dass ich das noch hörte, denn wenn ich ehrlich war, hatte ich jetzt schon wieder Hunger, aber das musste ich nun unterdrücken. Jedenfalls für mindestens 2-3 Stunden.
Ich öffnete hysterisch die große Tür der Uni und rannte die Treppen hoch. Zum Glück dachte ich noch daran mein Aussehen zu kontrollieren, denn der Blick in den Spiegel schockierte mich. Meine Augen sahen furchtbar aus. Dicke schwarze Ränder hatten sich unter meine Augen gelegt und zu allem Überfluss sah man auch noch die Einstichstelle an meinem Arm. Und ich trug ein T-Shirt. Ich kramte in meiner Tasche und hoffte ein Pflaster zu finden. Vergeblich! Wenn die Vorlesung, zu der ich eh schon eine Stunde zu spät kam, nicht so wichtig wäre, dann würde ich jetzt abhauen, aber das ging nicht. Ich hielt die ´kaputte´ Stelle mit meiner linken Hand fest und ging in den Vorlesesaal. Alle starrten mich an und der Professor unterbrach seine Erzählung für einen Moment. Ich huschte in eine Reihe und setzte mich hin. Neben mir saß Vanessa. Sie war eigentlich meine beste Freundin, aber trotzdem konnte ich ihr nicht alles erzählen.
„Warum bist du denn so spät?“ zischte sie.
„Ich...ich bin vorm Fernseher eingeschlafen.“
Sie verzog ihre Augen und schrieb weiter. Die Zeit verging recht schnell. Um halb 6 war die Vorlesung vorbei. Vanessa und ich alberten ein bisschen rum, als wir vor dem Gebäude noch eine rauchten. Plötzlich kreischte sie leise, als ich meinen Arm ausstreckte um die Zigarette auszudrücken.
„Mein Gott, was hast du denn da gemacht?“
„Ähm...ich... da... ich war heute morgen beim Arzt... Blut abnehmen.“
„Ach ja, das kenn ich. Wenn die nicht aufpassen sieht man danach halt aus wie ne Drogenabhängige.“ Vanessa fing an zu lachen. Dann winkte sie mir zu und ging.
Ich fühlte mich auf einmal ganz anders. Man sollte doch nicht sehen oder merken, was ich machte. Das war alles nur Marla´s Schuld. Bestimmt weil sie immer so schnell spritzte.
„Na, die kann was erleben.“ sagte ich leise zu mir selbst.
Sie hat nicht das Recht mein Leben zu zerstören und sie hat schon genug angerichtet. Hätte ich sie doch nur niemals kennengelernt.

Impressum

Texte: Alle Charaktere gehören den Autoren
Tag der Veröffentlichung: 04.08.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Drugs don´t work...

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