Es war genau so, wie ich es mir immer gewünscht habe. Mein Leben fühlte sich so richtig an. Als wenn es vom lieben Gott, oder sonst wem Übermächtigem bestimmt war. Für mich, für mich ganz allein. Ich hatte einfach Glück.
Ich saß im Wartezimmer und laß die Zeitung für werdende Mütter. Ich war so aufgeregt. Aber das war ich jedes Mal. Die Frau neben mir hielt ein Ultraschallbild von ihrem Baby in der Hand. Sie sah bedrückt aus. Am liebsten hätte ich sie gefragt, was sie denn hatte. Mir ging es so gut und ich wollte diese Freude mit jedem teilen. Plötzlich kam die Arzthelferin herein und nahm mich mit. Im Behandlungszimmer musste ich nur noch fünf Minuten warten, bis mein Frauenarzt zu mir kam.
„Na, Miss Lynne, wie geht es Ihnen beiden denn heute?
„Danke, sehr gut.“
„Bald ist es ja auch schon geschafft. Wann genau gehen sie ins Krankenhaus.“
„Meinen Termin habe ich nächsten Donnerstag.“
„Dann gucken wir heute nochmal, ob alles in Ordnung ist und wenn sie wollen bekommen sie noch das letzte Ultraschallbild.“
Ich legte mich auf die Liege und schob mein T-Shirt etwas hoch. Er fuhr mit dem Ultraschallgerät über meinen Bauch und ich konnte meinen Kleinen endlich wieder sehen. Mir stiegen sofort die Tränen in die Augen. Es war immer noch so unglaublich und irgendwie unbegreiflich.
„Er liegt genau richtig. Hoffen wir mal, er dreht sich nicht mehr allzu viel bis nächsten Donnerstag.“
Man konnte alles so genau erkennen. Er war vollständig und „fertig“. Ich konnte es kaum abwarten. Am liebsten hätte ich sofort angefangen zu pressen. Ich wollte ihn endlich in meinen Armen halten.
Anscheinend sah man die Freude ganz deutlich in meinem Gesicht, denn mein Arzt grinste mich an.
„Etwas Geduld müssen sie noch haben.“
„Kein Problem, ich habe auch noch einiges zu erledigen.“
Wir fingen beide an zu lachen und er druckte mir mein Bild aus. Ich hielt es wie eine Trophäe in meinen Händen. Er war mein größtes Glück, zusammen mit meinem Freund, den ich bald meinen Mann nennen durfte. Zu Hause angekommen musste ich dann schnell etwas kochen. Phil machte freitags immer früher Feierabend. Und heute war es endlich so weit. Wir wollten einen Kinderwagen kaufen. Phil hatte in letzter Zeit ständig Überstunden gemacht und spät abends noch Termine gehabt, deswegen haben wir es nicht früher geschafft. Das Kinderzimmer war auch noch nicht ganz fertig. Bis vor zwei Wochen hatten wir noch über die richtige Farbe für die Wand diskutiert, aber letztes Wochenende haben wir uns dann für ein helles blau entschieden. Obwohl ich immer noch das Gefühl habe, dass Phil es nur meinetwegen gemacht hat. Ich war in der letzten Zeit etwas anstrengend. Mir ging es oft schlecht und dann hatte ich auch noch Zwischenblutungen bekommen. Das war alles zu viel für mich und ich musste mich irgendwo entladen und das hat meistens Phil abbekommen. Anfangs war ich mir keiner Schuld bewusst, denn für mich zählte nur ich. Schließlich war ich diejenige die schwanger war. Wir haben dann lange geredet und seitdem versuche ich mich zu bessern.
Phil war doch schließlich mein Ein und Alles.
Ich deckte den Tisch und räumte noch ein bisschen das Wohnzimmer auf. Da hörte ich auch schon den Schlüssel in der Tür und Phil kam herein.
„Hallo mein Schatz.“ Ich stellte mich auf Zehenspitzen und wollte ihm einen Kuss geben. Phil aber umarmte mich nur schnell und lief in sein Arbeitszimmer.
Wahrscheinlich hat er wieder Stress. Aber jetzt hatte er ja erstmal Urlaub. Ich ging hinter ihm her und blieb in der Tür zu seinem Zimmer stehen. Phil saß an seinem Laptop und hämmerte wütend auf den Tasten herum.
„Ich komme sofort, Liebling. Ich muss schnell noch diese E-Mail verschicken.“
Er drehte sich nicht zu mir um. In der Küche setzte ich mich auf einen Stuhl und wartete. Nach ein paar Minuten kam Phil dann zu mir und gab mir einen Kuss auf die Stirn. Er setzte sich gegenüber hin und trank sein Wasser. Ich beobachtete ihn dabei. Er nahm sich etwas Salat und Nudeln und begann zu essen. Auch ich nahm mir etwas. Die Übelkeit hatte nachgelassen, sodass ich heute Mittag tatsächlich mal ein bisschen essen konnte. Die letzten Wochen habe ich mittags meist nichts runterbekommen.
„Wann möchtest du denn losfahren?“
„Ich habe gedacht, vielleicht direkt nach dem Essen. Dann haben wir zum Abend hin Ruhe.“
Phil nickte einverstanden. Er räumte den Tisch ab und ich stellte den restlichen Salat und die Nudeln in den Kühlschrank. Nun gingen wir zusammen zum Auto und fuhren los. Eine knappe halbe Stunde mussten wir fahren, bis wir da waren. Ich war ganz aufgeregt. Ihm klammerte mich an Phil´s Arm als wir reingingen. Er lächelte mich zufrieden an.
„Hallo Frau Lynne. Guten Tag Herr Price. Kommen Sie um ihren Kinderwagen abzuholen?“
Ich grinste die Verkäuferin freudestrahlend an.
„Ja, genau.“
„Dann kommen Sie mal mit. Er steht hinten im Lager.“
Phil nahm meine Hand und wir folgten der Verkäuferin ins Lager.
Und da stand er. Unser Kinderwagen. Ich wollte mich eigentlich zusammenreißen, aber wieder flossen ein paar Tränen über meine Wangen. Phil reichte mir ein Taschentuch. Er kannte das schon. Ich war sehr nah am Wasser gebaut und jetzt in der Schwangerschaft war ich noch empfindlicher und sensibler.
Ich schob den Wagen aus dem Lagerraum heraus und wartete beim Ausgang auf Phil. Er war mit der Rechnung zu Kasse gegangen. Der Wagen hatte einen stolzen Preis, aber Phil hatte zu mir gesagt, dass wir ihn ja auch noch für unsere drei weiteren Kinder gebrauchen könnten. Solche Sätze ließen mein Herz höher schlagen. Er meinte es wirklich ernst. Wir hatten Schwierigkeiten den Kinderwagen einzuladen, obwohl unser Kofferraum ausreichend groß war. Als es geschafft war, schlug Phil vor nochmal in den Babyladen in der Innenstadt zu fahren. Wir könnten noch ein paar Sachen für das Kinderzimmer gebrauchen und wir hatten auch noch keinen Kindersitz. Obwohl das ja noch Zeit hatte, denn erstmal musste man ja den Maxicosi benutzen.
Den hatten wir schon in der ersten Woche nach der freudigen Nachricht gekauft. Phil konnte es am Anfang gar nicht abwarten. Er hat schrecklich geweint, als wir erfahren haben, dass ich schwanger war. Aber nach ein paar Stunden hatte er sich gefangen und wir haben lange über alles gesprochen. Die Verzweiflung war plötzlich wie weggeblasen. Wir beschlossen nur noch positiv in die Zukunft zu blicken. Und so machte Phil es auch. Jeden Tag hatte er eine neue Idee für das Kinderzimmer und jeden Tag brachte er irgendetwas für mich oder das Baby mit. Mit dem Namen waren wir uns von Anfang an einig. Jamain sollte er heißen. Über einen Mädchennamen haben wir gar nicht nachgedacht, wir wünschten uns einen Jungen und als mein Frauenarzt unseren Wunsch bestätigte war es keine Überraschung mehr. Irgendwie wussten wir von Anfang an, dass es ein Junge wird. Unser Junge!
Beim Babyladen angekommen, suchte ich zuerst die Toilette auf. Mir war schon wieder übel. Phil wartete auf mich und dann gingen wir zusammen in die Spielzeugabteilung. Wir gingen durch verschiedene Gänge. Ich fand eine Spieluhr, die man ans Bettchen machen konnte, aus Stoff. „Gut, dass wir hier noch hin gefahren sind“, sagte ich, als ich eine Reihe weiter ging und Phil meinen Fund zeigen wollte. Er war nicht da. Ich ging durch den Laden und suchte ihn, aber nirgens war er zu finden. Mittlerweile fand ich es gar nicht mehr so lustig. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, Phil an der Kasse ausrufen zu lassen, so wie man es mit kleinen Kindern, die verloren gegangen waren, immer machte.
Ich ging zur Toilette und nahm meine Tropfen. Eigentlich waren sie gegen meine Kreislaufprobleme, aber manchmal nahm ich sie auch einfach so und bildete mir ein, sie würden gegen alles was mit meinem Körper passierte helfen. Ich kramte in meiner Tasche nach meinem Handy. Ich hatte es mal wieder nicht eingepackt. Ich überlegte und war mir sicher, dass es zu Hause auf der Mikrowelle liegen musste. Als ich die Toilettentür öffnete, sah ich Phil. Er stand schräg gegenüber beim Wasserspender. Irgendwie war ich mehr sauer als froh, ihn zu sehen. Es sah so aus, als würde er eine Sms schreiben. Merkwürdig, ich konnte mich nicht erinnern, wann Phil das letzte Mal eine Sms geschrieben hatte. Er erzählte mir immer, dass er es nicht mochte und man doch besser telefonieren kann. Ich schlich mich hinter den Regalen lang und als ich fast bei ihm war, klingelte sein Handy.
„Warum rufst du mich an?“ Phil sprang auf und ging in einem unnormal schnellen Gang aus dem Geschäft. Ich spürte ein Stechen in der Magengegend. Ich lief zur Kasse, bezahlte die Spieluhr und ging zum Auto. Phil saß schon drin und starrte das Radio an. Ich klopfte an die Scheibe und er öffnete mir. Phil grinste mich nur an und fuhr los. „Schau mal, was ich gefunden habe, während du mit deinem Handy gespielt hast.“
Phil schaute sich die Spieluhr kurz an und startete dann das Auto.
„War das wieder die Firma, die angerufen hat?“
„Angerufen? Achso, ja genau die Firma. Bill braucht mich morgen beim Geschäftsessen.“
„Aber ich dachte es war so abgemacht, dass du nicht mitgehst.“
„Ja, war´s auch. Er hat sich umentschieden.“
„Schade. Mum kommt morgen Abend doch auch zum Essen.“
„Ich weiß Liebling. Es tut mir Leid. Ich kann es nicht ändern. Du weißt ja...“
„Ist schon gut, Phil,“ fiel ich ihm ins Wort.
Ohne noch ein Wort zu wechseln fuhren wir nach Hause. Mir war kalt, deswegen ließ ich mir ein Bad ein. Phil ging direkt in sein Arbeitszimmer, weil er noch Telefonieren musste, meinte er. Als ich im Wasser lag und das flackernde Licht der Kerze beobachtete, dachte ich nochmal an die Situation im Spielzeugladen. Phil ist quasi vor mir weggerannt. Er hatte mich zwar nicht gesehen, aber er hatte mich auch nicht gesucht. Vielleicht empfand ich es auch nur als merkwürdig, aber ich konnte mich nicht ablenken. Was sollte ich tun? Ihn ansprechen? Und was sollte ich ihn denn fragen? ´Schatz, warum hast du mich im Spielzeugladen nicht gesucht?´ Das klang ja wie ein kleines Kind. Und ich denke, genau so würde Phil das auch sehen. Ich meine, ich hab mich ja auch sozusagen versteckt um ihn zu beobachten. Eigentlich konnte ich gar nicht sicher sagen, dass er mich nicht gesucht hat. Ich löste meine Haare aus dem Zopfband, schüttelte meinen Kopf und tauchte dann unter Wasser.
Phil stand in der Küche am Herd, als ich aus dem Bad kam.
Er schaute kurz zu mir, nahm dann den Topf und stellte ihn auf den Tisch.
„Ich hab uns Nudeln mit Tomatensoße gemacht.“
Ich versuchte so zu tun, als würde ich mich freuen.
Phil war sehr aufmerksam während wir aßen. Er schaute oft zu mir und lächelte.
Er streichelte meine Hand und meinen Bauch.
Warum mache ich mir überhaupt so absurde Gedanken, wenn ich doch den tollsten Mann der Welt habe? Ich begann mich zu schämen.
Ich schwor mir, dass ich damit aufhören würde und dass ich mich jetzt nur noch auf das Baby freuen würde.
Am nächsten Morgen wachte ich mit heftigen Kopfschmerzen auf. Das kannte ich gar nicht. Mir war wohl öfter schlecht oder schwindelig, aber Kopfschmerzen?
Ich stand auf und ging zuerst unter die Dusche. Eigentlich war es zu erwarten, als ich raus kam war mir schlecht und ich musste mich übergeben. Nach einem Glas Wasser und einem Löffel Iberogast, ging es mir schon besser und ich begann mir die Haare zu föhnen und mich etwas zu schminken. Mittwoch, 15.06.98.
Auf dem Kalender in der Küche hatte Ben einen Termin für nächsten Mittwoch eingetragen. Abends! Ich fragte mich, ob er es vergessen hatte. Die Tränen liefen sofort über meine Wangen. Das hätte ich nicht verhindern können. Ich musste nächsten Donnerstag morgens ins Krankenhaus und Ben machte Mittwochabend noch Geschäftstermine ab. Das war mir zu viel. Unbegreiflich. Ich setzte mich in die Küche und versuchte mich etwas zu beruhigen. Phil war immer so aufmerksam und dachte immer an mich und jetzt so was. Ich fand keine plausible Erklärung für das alles. Vielleicht bin ich im Moment wirklich zu anstrengend und er kommt damit nicht mehr zu Recht. „Nächste Woche haben wir´s ja endlich geschafft“,sagte ich mir selber und der Gedanke ließ mich lächeln. „Nächste Woche bist du endlich bei uns.“ Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und fing an zu träumen. Ich stellte mir vor, wie Phil und ich das erste mal zusammen mit unserem Kleinen einkaufen gehen würden und wie wir mit ihm schwimmen gehen würden. Phil liebte das Wasser und wenn wir über uns und das Baby sprachen, dann kam fast immer als erstes: „Du wirst sehen, er wird schwimmen so lieben wie ich und das ganz schnell lernen.“ Plötzlich riss mich das Klingeln des Telefons aus meinen Träumen.
„Hey Mum.“
Mum erzählte mir, dass sie schon wieder einen Strampelanzug gekauft hatte und ob sie herkommen könnte, um ihn mir zu zeigen.
„Ja klar, komm her. Ich bin ja eh alleine.“
Das passte mir jetzt eigentlich ganz gut. Mum liebte Phil. Manchmal kam es mir vor, als würde sie ihn besser verstehen als mich. Aber irgendwie freute ich mich darüber. Mum würde wohl noch eine halbe Stunde brauchen. Ich fing an, den Tisch im Wohnzimmer aufzuräumen. Phil hatte seinen ganzen Kram von der Arbeit immer im Haus verteilt. Ich sammelte sie einzelnen Zettel und Umschläge zusammen und brachte den Stapel in sein Büro. Auf dem Schreibtisch lagen auch noch allerhand Zettel rum. Ich beschloss sie alle zusammen zu packen. Natürlich fiel mir dabei ein ganzer Stapel auf den Boden. Als ich mich bückte um ihn aufzuheben,fiel mir ein kleiner Zettel mit einer Adresse und einer Telefonnummer auf. „Schwerterstraße 64.“ Ich überlegte kurz. Das war die Adresse von einem Hotel. Phil traf sich oft mit Geschäftspartnern in Hotels, aber doch nicht in einem Hotel so weit abseits von der Stadt. Meine Hand zitterte und mir wurde schwindelig. Ich setze mich auf den Boden und starrte gegen die Wand. In meinem Kopf schwirrten wieder viel zu viele böse Gedanken. Und jetzt würde meine Mum kommen und merken, wie es mir ging und versuchen wieder alles gut zu reden. Das tat sie immer. Für sie waren wir perfekt.
Tag der Veröffentlichung: 17.06.2009
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